ADB:Lorenz von Bibra
Bertold v. Henneberg gewann und von diesem zu wichtigen Diensten verwendet wurde. Auch dem Kölner Domcapitel gehörte L. an; der alten interessanten Rheinstadt waren seine liebsten Erinnerungen geweiht und gerne nannte er sie das Paradies der Welt. Wol früher als nach Mainz und Köln kam L. in das Wirzburger Domcapitel, in welchem schon vordem mehrere seiner Ahnen Unterkunft gefunden hatten und welchem damals gerade ein Verwandter, der berühmte Gelehrte und Staatsmann Kilian v. Bibra, als Propst vorstand. Die Einkünfte, welche dem jungen Canoniker aus diesen und anderen Pfründen zuflossen, machten es ihm möglich, sich eine von seinen Zeitgenossen oft bewunderte wissenschaftliche Bildung zu erwerben. L. besuchte die Universitäten zu Heidelberg und Erfurt und lernte hier den eben zur vollen Blüthe sich entfaltenden Humanismus kennen und lieben. Aber auch die absterbende Scholastik war ihm nicht fremd geblieben, er hatte sich mit ihr zu Mainz und vor Allem in Köln, dem Hauptsitze der alten Richtung, bekannt gemacht. Den Abschluß seiner theologischen und juristischen Studien bildete ein kurzer Aufenthalt an den Universitäten zu Orléans und Paris. Aus den Hörsälen nahm er außer reichen Kenntnissen jenes immer rege Interesse für die Wissenschaft und Kunst ins Leben mit, das seinem ganzen Wesen eine wohlthuende Wärme und Milde verlieh; an den Höfen und auf seinen Reisen trat er mit den bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit in Berührung und sammelte reiche Erfahrungen, hier wurden ihm auch die feinen Lebensformen eigen, welche ihn bei Hoch und Nieder gleich beliebt machten. Diese Eigenschaften sowie sein friedfertiger Sinn, der jeden Conflict zu vermeiden suchte, gewannen ihm das Vertrauen des Wirzburger Domcapitels in dem Maße, daß es ihn im J. 1495 zum Propst und wenige Monate später trotz seiner Jugend – nur der gewaltige Julius Echter hat in noch jüngerem Alter den Stuhl des heiligen Burkard bestiegen – zum Fürstbischof wählte. Was sein trefflicher Vorfahrer Rudolf v. Scherenberg begonnen hatte, setzte L. mit Eifer und Gewandtheit fort. Die finanziellen Verhältnisse des Hochstifts erreichten unter ihm den höchsten Grad der Blüthe; damals hat, wie die Späteren sich seufzend erinnerten, das Fürstbisthum „in der Silbergrube gestanden“. Auf dem Gebiete der Verwaltung und Polizei, des Münzwesens und der Gerichtsverfassung suchte er zu bessern so gut es ging, doch lagen hier die Schäden zum Theil so tief, daß seine Maßregeln ohne Erfolg bleiben mußten. Ebensowenig gelang es ihm, das üppig ins Kraut geschossene Raubritterthum zu unterdrücken. Zu den [175] allgemeinen Ursachen, aus welchen auch die gleichen Bestrebungen des Kaisers und anderer Reichsfürsten scheiterten, kam im Hochstift Wirzburg noch das eigenthümliche Verhältniß zwischen dem Fürstbischof und dem Adel. Als L. zur Regierung kam, war die Ritterschaft noch landsässig, aber durch das politische Uebergewicht des Domcapitels von einer geordneten Theilnahme an der Regierung ausgeschlossen, während sie auf der anderen Seite wieder manche Rechte und Freiheiten besaß, welche mit dem immer mehr erstarkenden Staatsgedanken sich nicht vertrugen. Beide Theile suchten dem unklaren und ewig schwankenden Verhältnisse ein Ende zu machen; der Fürstbischof wollte die alten Privilegien der Ritterschaft möglichst einschränken, diese strebte darnach, sich vom Hochstifte ganz unabhängig zu machen und die bisherige Landsässigkeit in einen bloßen Vasallitätsverband zu verwandeln. Da weder die Kraft der Regierung noch jene des Adels hierzu ausreichte, war eine fortwährende Gährung die Folge. Der Fürstbischof, welcher bei jeder kriegerischen Verwicklung in erster Linie auf die Wehrkraft der Ritterschaft angewiesen war, sah sich so gezwungen, ihr manches nachzusehen, was er gerne verhindert hätte. Dazu kam, daß die Freiheitsbestrebungen der Ritterschaft von den Markgrafen zu Ansbach systematisch unterstützt wurden; die Wirzburgische Regierung mußte deshalb den Adel sehr vorsichtig und schonend behandeln, wenn sie ihn nicht ins feindliche Lager treiben wollte. Denn Wirzburgs Feinde waren die Markgrafen. Vor ihnen das Hochstift zu sichern war die Hauptaufgabe der äußeren Politik des Fürstbischofs L. Darum schloß er sich gleich seinen Vorgängern eng an die Fürsten von Kurpfalz und Niederbaiern an, welche seit den Tagen des gewaltigen Albrecht Achilles Gegner der fränkischen Hohenzollern waren. Durch diese Verbindung wurde das Hochstift in den Landshuter Erbfolgekrieg verwickelt, Wirzburgische Truppen kämpften damals für die Ansprüche des Pfalzgrafen Ruprecht und Wirzburgisches Geld unterstützte den Kurfürsten Philipp am Rhein gegen seine zahlreichen und übermächtigen Gegner. Es gehörte die ganze persönliche Liebenswürdigkeit, Klugheit und Staatskunst des Fürstbischofs L. dazu, um trotz dieser Parteinahme für die Pfalz nicht in die Ungnade des Kaisers zu fallen. Glücklich kam er um diese Klippe herum, aber das Herzogthum Niederbaiern war vernichtet und das pfälzische Kurhaus sehr empfindlich geschwächt. Das Hochstift mußte sich deshalb nach neuen Bundesgenossen umsehen. Im J. 1508 schloß L. eine Einigung mit dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen, welche sich bald auch zu einem engen persönlichen Freundschaftsbunde der beiden charakterverwandten Fürsten gestaltete. Vier Jahre später bot sich dem Fürstbischof ein zweiter Verbündeter an. Der schwäbische Bund, welcher im J. 1512 sich neuerdings auf 10 Jahre verlängert hatte, suchte das Hochstift Wirzburg, welches ihm bisher aus finanziellen und politischen Gründen fern geblieben war, an sich zu ziehen; es wäre dadurch die Brücke zwischen den süddeutschen Bundesständen und dem Kurstaat Mainz gebaut und zugleich dem Bunde die Möglichkeit gewährt worden, gegen die ewige „Plackerei“ in Franken energischer und mit mehr Erfolg als bisher einschreiten zu können. L. wies jedoch die ihm von dem Bunde gebotene Hand nach kurzem Besinnen zurück. Er wollte sich von der Pfalz nicht trennen, welche außerhalb des Bundes stand, das Uebergewicht des Kaisers, der denselben vielfach für seine dynastischen Zwecke ausbeutete, erschien ihm bedenklich, ebenso wenig war er geneigt, zu Gunsten des Bundesgerichtes sich an seiner Fürstengewalt etwas abbrechen zu lassen, auch die hohe Hilfe und die weite Verzweigung des Bundes schreckten ihn ab. Eine Verstärkung des Hochstifts hielt aber L. doch für nothwendig, da gerade damals die Markgrafen sehr offensiv vorgingen und zwischen ihnen und dem bisher mit Wirzburg verbündeten Hochstift Bamberg eine Annäherung erfolgte. Deshalb beförderte L. die Aussöhnung des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz [176] und seines Bruders Friedrich mit dem Herzog Ulrich von Württemberg aufs Eifrigste und trat im J. 1513 mit diesen Fürsten und mit der oberpfälzischen Regierung in ein Schutz- und Trutzbündniß. Da diese Einigung ihre Spitze vor Allem gegen den schwäbischen Bund richtete und die verbündeten Fürsten vor jeder Schmälerung ihrer Fürstengewalt durch den Bund und die verhaßten Städte sichern sollte, erhielt sie den Namen „Contrabund“. Für das Hochstift Wirzburg wurde indeß der Anschluß an den Contrabund in mehr als einer Richtung verhängnißvoll. L. wurde durch den unbesonnenen, leidenschaftlichen Ulrich von Würtemberg von einer Verlegenheit in die andere gebracht und wäre schließlich beinahe in dessen Katastrophe mit verwickelt worden. Gleich nachdem der Contrabund geschlossen war, bekam Wirzburg die Rache des von ihm zurückgewiesenen schwäbischen Bundes zu kosten. Gelegenheit hierzu bot der berüchtigte Ueberfall eines von Leipzig heimkehrenden Waarenzuges bei Forchheim durch Götz v. Berlichingen und zahlreiche fränkische Ritter. Von den letzteren gehörte die Mehrzahl gleich ihrem Rädelsführer Götz dem Hochstifte Wirzburg an, die übrigen saßen im Gebiete des Hochstifts Bamberg und des Markgrafen. Der Bischof von Bamberg und der Markgraf verstanden es, jede Schuld von sich und den ihrigen abzuwälzen und Wirzburg allein als den Verbrecher „auszuhämmeln“. Der schwäbische Bund sollte im Auftrage des Kaisers die gegen Götz und mehrere seiner Helfershelfer ausgesprochene Acht vollziehen und den ausgeplünderten Kaufleuten Schadenersatz verschaffen. Wirzburg, dem die Aechter unterworfen waren, protestirte gegen die Einmischung des Bundes in diese Sache und wurde hierbei von Pfalz und Würtemberg energisch unterstützt. Der Kaiser stellte sich Anfangs auf die Seite des schwäbischen Bundes, dann aber als der Contrabund fest zusammenhielt und ein Krieg zwischen den erbitterten Gegnern auszubrechen drohte, suchte er zu vermitteln. Die entscheidenden Verhandlungen fanden Anfangs April 1514 zu Linz statt, wo Max eben Hof hielt. Markgraf Casimir, der persönlich nach Linz gekommen war, Bamberg, Nürnberg und der schwäbische Bund setzten alle Hebel in Bewegung, um das Hochstift Wirzburg in die Acht zu bringen oder ihm wenigstens eine übermäßig hohe Geldsumme abzupressen. Casimir suchte bei dieser Gelegenheit auch einen anderen Lieblingsplan seines Hauses durchzuführen. Fürstbischof L. und sein Domcapitel sollten durch Drohungen gezwungen werden, einen Bruder des Markgrafen, Friedrich, welcher seit kurzer Zeit Dompropst zu Wirzburg war, zum Coadjutor mit dem Recht der Nachfolge anzunehmen. Dagegen erhoben sich aber Bischof und Capitel wie ein Mann, denn sie erkannten gar wohl die ungeheure Gefahr, in welche das Fürstbisthum durch das Gelingen dieses Planes gerathen wäre. Schließlich kam Wirzburg mit einer verhältnißmäßig sehr hohen Geldbuße davon. Es mußte dem schwäbischen Bunde 6000 fl. als Entschädigung für die ausgeplünderten Kaufleute bezahlen, daneben aber machten der Kaiser und seine Räthe noch für sich ein recht einträgliches Geschäft. Max war seit mehreren Jahren dem Bischof L. 6000 fl. schuldig; jetzt mußte ihm dieser – aber nur „bittweise“, nicht aus Zwang – die Schuldverschreibung zurückgeben. Die Räthe ließen sich für jedes Wort, daß sie zu Gunsten Wirzburgs beim Kaiser sprachen, ordentlich „die Hände salben“. Dem Hochstift blieb es überlassen, sich an den Gütern der Familie Berlichingen schadlos zu halten, es machte aber hiervon aus nothgedrungener Schonung für die Ritterschaft nur insoferne Gebrauch, daß es die Nutzungen der Lehen Götzen einzog. Die nächste Folge der Linzer Niederlage war, daß sich der Contrabund neue Kräfte zu verschaffen suchte, um künftig dem schwäbischen Bunde gewachsen zu sein. Unterhandlungen, welche Wirzburg zu diesem Zwecke mit Hessen anknüpfte, zerschlugen sich wegen der inneren Zerrüttung dieses Fürstenthums, [177] dagegen gelang es dem gewandten Wirzburgischen Staatsmann Peter v. Aufseß, im J. 1515 den Kurfürsten Friedrich von Sachsen zum Anschluß an den Contrabund zu bewegen. Durch diese Politik lud das Hochstift den Groll des schwäbischen Bundes und des Kaisers auf sich. Mit dem letzteren war L. bis zum Linzer Tage ziemlich gut ausgekommen. Zur streng-kaiserlichen Partei allerdings hatte er nie gehört, aber er war doch regelmäßig auf den Reichstagen erschienen, hatte die dem Reiche bewilligten Steuern immer pünktlich bezahlt und sich dem Kaiser durch Geldvorschüsse, klugen Rath und heiteren Scherz angenehm gemacht. Seit dem J. 1514 trat jedoch eine merkliche Entfremdung ein, welche sich insbesondere darin kund that, daß Max die dem Hochstifte feindlichen Pläne des Markgrafen Casimir unterstützte. So verwendete er sich im J. 1517, als L. schwer krank darniederlag und täglich seine Auflösung erwartet wurde, eifrig für die Wahl des oben genannten Dompropstes Friedrich zu seinem Nachfolger. Ein Jahr später bewilligte der Kaiser dem Markgrafen Casimir ein Zollprivileg, welches die Interessen des Hochstifts empfindlich schädigte. Wie beim Kaiser fanden auch beim schwäbischen Bunde die Gegner Wirzburgs, der Markgraf, Bamberg und die Herzoge von Baiern, bereitwillig Gehör und Unterstützung. L. ließ sich aber vom Contrabunde nicht mehr abwendig machen, er stand mit Rath und That treu zu seinen Einigungsverwandten und nahm sich insbesondere des Herzogs Ulrich in seinen vielen Händeln eifrig an. Seine Versuche, den tollen Jüngling zur Mäßigung und Vernunft zu bringen, blieben erfolglos. Die Katastrophe Ulrichs erlebte L. nicht mehr; er war schon todtkrank, als ihm die Einnahme Reutlingens gemeldet wurde. Er hat diese Nachricht mit den prophetischen Worten: „Nun ist es aus mit ihm!“ entgegen genommen. In seinen letzten Stunden suchte L. noch die Nachfolge zu sichern und die Pläne der Markgrafen auf den Wirzburger Bischofsstuh1 zu vereiteln. Er begehrte deshalb vom Domcapitel den schon vielfach bewährten Konrad v. Thüngen zum Coadjutor, drang aber nicht durch, weil das Capitel hierin eine bedenkliche Einschränkung seiner Wahlfreiheit sah. L. wünschte Konrad zu seinem Nachfolger nicht bloß, weil derselbe durch und durch wirzburgisch gesinnt war, sondern auch weil er von ihm eine durchgreifende Reform der kirchlichen Verhältnisse erwartete. Daß eine solche Reform unvermeidlich sei, hatte er sich nie verhehlt, es ist auch während seiner Regierung Manches zur Hebung der verfallenen Zucht des Clerus und der Klöster geschehen, aber um eine consequente und dauernde Besserung nur in Angriff zu nehmen, war L. entschieden zu weltlich gesinnt. Die kirchlichen Interessen standen bei ihm erst in zweiter Linie, zunächst war er gleich seinen Standesgenossen ein weltlicher Fürst. Die Frage, ob L., wenn ihm das Schicksal ein längeres Leben gegönnt hätte, zur Reformation übergetreten wäre, erscheint uns überflüssig. Die Thatsachen, daß er den so rasch berühmt gewordenen Luther bei seiner Reise nach Heidelberg im Frühjahre 1518 freundlich aufnahm und daß er auf dem Reichstage zu Augsburg gegen das römische Aussaugungssystem sich erklärte, berechtigen schwerlich zu einem solchen Schlusse. Für die Hebung der theologischen Studien in Wirzburg hat L. es an Eifer nicht fehlen lassen; die Berufung des aus Sponheim verdrängten Trithemius zum Abt des Schottenklosters daselbst muß freilich vor Allem auch als ein Akt der Pietät und seiner Vorliebe für gelehrte und humanistische Bestrebungen überhaupt betrachtet werden. L. starb nach langem Siechthum, das er mit bewunderungswürdiger Geduld ertragen hatte, am 6. Februar 1519, wenige Wochen nach dem Tode des Kaisers.
Lorenz von Bibra, Fürstbischof von Wirzburg (1495–1519), stammt aus dem in Nordfranken reich begüterten Rittergeschlechte dieses Namens, welches gegen Ende des 15. Jahrhunderts in mehreren Zweigen blühte und theils durch seinen ausgedehnten Besitz, theils durch die Zahl und Tüchtigkeit seiner Sprossen eine hervorragende Stellung unter dem fränkischen Adel behauptete. Der Vater des Bischofs, Hans v. Bibra, stand im Dienste des Hochstifts Wirzburg und war längere Zeit Amtmann zu Mellrichstadt. Wahrscheinlich in diesem Städtchen wurde ihm als zweiter Sohn aus seiner dritten Ehe mit Agnes v. Schenkenwald um das Jahr 1458 unser L. geboren. Als ein jüngerer Sohn, den noch dazu ein schwächlicher Körper von der gewöhnlichen ritterlichen Laufbahn ausschloß, wurde L. für den geistlichen Stand bestimmt und erhielt durch die enge Verbindung seines Hauses mit verschiedenen fränkischen und rheinischen Stiftern schon in jungen Jahren mehrere Pfründen. So erscheint er als Mitglied des Domcapitels zu Mainz, wo er sehr bald das Vertrauen des großen Erzbischofs- Akten u. Urkunden des k. Kr.-Arch. Wirzburg. – Fries-Ludewig, Geschichtschreiber von dem Bischofthum Würzburg. – Gropp, Collect. noviss. [178] script. et rer. Wirceb., Vol. I u. III. – Ussermann, Episcop. Wirceburg. – Bibra, Geschichte der Familie Bibra, 2. Aufl. 1882. – Wegele, Geschichte der Universität Wirzburg, Bd. I S. 44–51.