Zum Inhalt springen

ADB:Lotzer, Sebastian

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lotzer, Sebastian“ von Gustav Bossert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 97–102, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lotzer,_Sebastian&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 17:59 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Louise Hollandine
Band 52 (1906), S. 97–102 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Sebastian Lotzer in der Wikipedia
Sebastian Lotzer in Wikidata
GND-Nummer 122897714
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|97|102|Lotzer, Sebastian|Gustav Bossert|ADB:Lotzer, Sebastian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=122897714}}    

Lotzer: Sebastian L., reformatorischer Schriftsteller, geboren 1490. Die Familie, aus der Seb. L. stammt, hieß ursprünglich Laitzer nach dem Dorfe Laiz bei Sigmaringen. Ein Walter L. von Ebingen studirte 1520 in Freiburg (Württb. Vierteljahrshefte 3, 187). Die Form Loytzer braucht Seb. L. selbst im Titel seiner Schrift „Ain christlicher Sendbrief“. In Horb aber, wohin die Familie erst im 15. Jahrhundert gezogen sein dürfte, da sie sich früher dort nicht findet (Schmid, Geschichte der Grafen von Zollern-Hohenberg, S. 461) sprach man den Namen Lotzer. Zu den Verwandten gehörte der Tübinger Professor und Kanzler Jak. Beurlin aus dem ca. 12 Kilometer entfernten Städtchen Dornstetten, der auch in Horb die Schule besuchte. Der Vater Sebastian’s hieß ebenfalls so. Er ist wahrscheinlich jener Sebastianus Lotzer de Horw, der am 13. Januar 1485 für einige Zeit die Universität [98] Tübingen bezog (Roth, Urkunden der Universität Tübingen 497, Nr. 45), ohne seine Studien weiter zu verfolgen; denn er begnügte sich mit einem bürgerlichen Berufe, wurde aber von seinen Mitbürgern wahrscheinlich zum Amt eines Pflegers der Kirche zu Horb gewählt. Daß er Arzt gewesen sei, wie Götze (Seb. Lotzer’s Schriften S. 1, Anm.) vermuthet, ist unwahrscheinlich, da ihn sein Sohn in dem Sendbrief nur einen Bürger zu Horb nennt. Vielleicht wollte der Vater seinen Sohn Sebastian eine gelehrte Laufbahn einschlagen lassen und schickte ihn darum schon frühe, ehe er nur ordentlich Latein gelernt hatte, zur Hochschule. Gerade bei einem Knaben ließe es sich verstehen, daß er bei der Immatrikulation nur seinen Vornamen nannte. Es ist deshalb möglich, daß er jener Sebastianus ex Horb wäre, der am 12. December 1505 in Tübingen immatrikulirt wurde (Roth, a. a. O. 562, 27); aber es müsste dies eine ganz kurze Episode aus dem Leben des jungen L. gewesen sein. Götze schließt aus einer Stelle des Beschirmbüchleins, daß der Vater seinen Sohn zum Studium der Theologie habe nöthigen wollen. Das setzt eine Entfremdung von Vater und Sohn voraus, was nicht der Fall war, wie der Sendbrief an den Vater klar beweist. Man wird vielmehr annehmen dürfen, daß die Lehrer bei der mangelnden Vorbildung des Sohnes dem Vater riethen, ihn zu einem Handwerk anzuhalten. Er wählte das angesehene Kürschnerhandwerk, das auch Melch. Hofmann von Hall und Jacob Groß von Waldshut, zwei hervorragende Häupter der Täufer, gelernt hatten. Dagegen ließ der Vater im J. 1508 (25. October) seinen zweiten Sohn Johannes die Hochschule in Tübingen beziehen (Roth, Urkunden der Univ. Tüb. 573, 52), um Medicin zu studiren. Er bekam bald als Arzt einen Namen, war 1519 Leibarzt des Bischofs Wilhelm von Straßburg und widmete damals seinem Vater seine Schrift „Nützlich Regimen vnd vnderweysung, welcher massen den menschen mit dem gifft der Pestilentz beladen, mit hailsamer Arzney zu helffen sey“. Er war mit Erasmus befreundet (Erasmi opera ed. Cleric. 3, 1162. Horawitz in den Wiener Sitzungsberichten 108, 2, 774). Dieser entlehnte von ihm am 8. März 1529 eine Handschrift des Quintilian, während L., der inzwischen Leibarzt des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz geworden war, am 4. April 1530 seinen Sohn von Heidelberg nach Freiburg zu Erasmus schickte, daß er dort studire (Bl. f. w. K.-G. 1886, 59). Auch Melanchthon kannte den trefflichen und in Heidelberg einflußreichen Mann, durch dessen Vermittlung er hoffte, für Micyllus 1532 eine Professur in Heidelberg zu erlangen (Corp. Ref. 2, 596). Seine ärztliche Kunst preist in eleganten Distichen 1530 der Humanist Menrad Molther, der spätere Heilbronner Prediger, in seiner Ausgabe von Christiani Druthmari Matthaeus (Bl. f. K.-G. 1887, 60). Ein dritter Bruder dürfte Jacob L. sein, der am 26. October 1518 die Universität Tübingen bezog, später längere Zeit Pfarrer in der Pfalz war, sich nach Württemberg wandte und 1542 Diakonus in Markgröningen wurde (Roth 614, 5. Acten des Finanzarchivs Ludwigsburg).

Nach Handwerksbrauch mußte Seb. L. auf die Wanderschaft gehen und wandte sich dem Osten zu. Aeußerungen Lotzer’s machen wahrscheinlich, dass er Augsburg und die dortigen Zustände kannte (Götze a. a. O. 7, 2). Er ließ sich aber in Memmingen nieder, wo ihm ein Mitglied der angesehenen Kramerzunft, Weigelin, seine Tochter zur Frau gab. Natürlich wäre das nicht möglich gewesen, wenn L. es nicht zum selbständigen Meister in der Kürschnerzunft gebracht hätte, wie Götze annimmt, da nach Bericht Joh. Keßler’s in seinem Sabbata (s. u.) L. von sich gesagt habe: So bin ich ain ainfaltiger, gemainer handtwerksgesell. Aber diese Aeußerung ist nicht im Sinne des mittelalterlichen Zunftrechts zu verstehen, das einem Gesellen kaum möglich [99] gemacht hätte, die Tochter eines Krämers zu ehelichen, sondern will nur seine bescheidene Bildung und sociale Stellung kennzeichnen. Fortan hieß er in Memmingen beim Volk der Weigelin Kramer (Vogt, Correspondenz des Ulrich Arzt Nr. 242). Innig befreundet war L. mit dem gelehrten Prediger Dr. Christoph Schappeler, dem Pathen seiner Kinder. Durch ihn wurde L. früh mit der neuen Bewegung, die von Wittenberg ausging, bekannt. Eifrig las er nun Luther’s deutsche Schriften, vor allem aber das Neue Testament, wahrscheinlich in einem Augsburger Nachdruck (vgl. Josenhans, Württb. Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 1894, S. 391); aber auch das Alte Testament in der vorlutherischen Uebersetzung, wahrscheinlich in dem Druck von 1490 (vgl. a. a. O. 392). Am meisten beeinflußten ihn Eberlin’s fünfzehn Bundesgenossen. Aber er kannte auch Vadian’s Flugschrift „vom alten und neuen Gott“, den „Neue Karsthans“, die Schrift Hartmut’s von Kronberg an die Einwohner zu Kronberg, wie Götze nachgewiesen hat.

L. stand in naher Verbindung mit seiner Vaterstadt Horb, wo der Schulmeister Aegid. Krautwasser schon 1521 evangelisch gesinnt war, ebenso ein Stiftsherr der dortigen Collegiatkirche zum h. Kreuz, der drei noch unbekannte Flugschriften in diesem Sinne schrieb (vgl. Enders, Eberlin’s ausgewählte Schriften 1, 4, und sein Sendschreiben an die Städte Horb und Rottenburg und alle Bürger im Lande Hochburg, vgl. Radlkofer, Eberlin S. 112. Blätter für württb. Kirchengeschichte 1887, S. 89). Denn jene ganze Gegend kam in nahe Verbindung mit Joh. Eberlin und war in den ersten Monaten des Jahres 1523 durch Karsthans und seine volksthümlichen Predigten kräftig angeregt worden, bis er am 4. März 1523 als Gefangener von Balingen nach Tübingen und endlich auf die Bergfeste Reichenberg gebracht wurde, wo ihn die Bauern 1525 vergebens zu befreien gedachten. Die Nachrichten von Karsthans’ Wirken und seiner Verhaftung bewog L., „Ain hailsame Ermanunge an die ynwoner zu horw, das sy bestendig beleyben an dem hailigen wort Gottes mit anzaigung der göttlichen hailigen geschrifft, durch Sebastian lotzer von Horw. Im Jar M. D. XX iij“ an seine Landsleute ergehen zu lassen, indem er sie ermahnt, am Wort Gottes festzuhalten, sich ein Neues Testament zu kaufen und die Schriftwidrigkeit der bisherigen Festfeier, des Ablasses, des Heiligendienstes, der Wallfahrten und Bruderschaften darlegt. Diese Flugschrift muß sehr bald, nachdem L. von Karsthans’ Gefangenschaft gehört hatte, entstanden sein, wohl noch in der Fastenzeit. Das beweist die ausführliche Besprechung des Fastens. Die Annahme von W. Vogt, daß die Zuschrift an die Horber nur eine Deckadresse für Memmingen sei, fällt dahin, sobald man die Lage der Dinge in Horb berücksichtigt. Der Schluß der Schrift beweist, daß L. sich als einflußreicher Bürger einer großen Stadt fühlt, der mitten in der großen Bewegung steht und darum der kleinen Vaterstadt etwas bieten zu können glaubt. Seine Schrift fand Widerspruch bei „etlichen großen Hansen“, wie ihm sein Vater mittheilte, deswegen schrieb er jetzt „Ain christlicher Sendbrief, darinn angetzaigt wird, dz die layen macht vnd recht haben, von dem hailigen wort gots reden, lern vnd schreiben, auch von der speiß vnd dergleichen ander artickel grund auß der götlichen hailigen schrifft vast haylsam vnd fruchtbar (1523) lych, Auch den armen gewissen trostlich gethon, durch Sebastian Loytzer, burger zu Memmingen, an seinen lieben vatter, burger zu Horb. Wir lernen hier all die Einwürfe kennen, die von der Ehrbarkeit und Geistlichkeit in Horb gegen die neue Bewegung erhoben wurden, daß sie einen neuen Glauben bringe, die Sittlichkeit und die Autorität der Kirche untergrabe. Aber L. weiß die Herrlichkeit des Glaubensprinzips, die Selbständigkeit der christlichen Ueberzeugung, die Selbstverantwortlichkeit [100] der Christen, gegenüber der trägen Bequemlichkeit des bloßen Kirchenglaubens, die Klarheit und Gewißheit der christlichen Anschauung und den Ernst des Christenlebens schön zu schildern. Vogt hat Recht, der Sendbrief beweist den inneren Fortschritt Lotzer’s. Die Schrift kann nicht erst, wie Vogt annimmt, im August entstanden sein, denn L. wäre dann das Sendschreiben, das Eberlin am 13. Juli 1523 an Rottenburg und Horb und die Landschaft Hohenburg ausgehen ließ, wol bekannt gewesen. Der Widerspruch, den L. noch fand, stimmt auch nicht mehr zu der Lage der Dinge in der zweiten Hälfte des Sommers in Horb. Denn der Hofrath in Innsbruck berichtet an Ferdinand, die evangelische Bewegung in Horb sei in starkem Aufschwung. Auch in Memmingen stand L. in der vordersten Reihe der Kämpfer gegen die alte Kirche. Bischof Christoph von Augsburg hatte Grund genug, in seinem Hirtenbriefe an die Memminger vom 19. Juli 1523 über etliche wenige ungelehrte Laien zu klagen, die sich zu Luther’s Lehre bekennen und andere dazu verleiten. L. mit elf Genossen überreichte dem altgläubigen Pfarrer, der am 1. Juli die Lutheraner Ketzer gescholten hatte, eine saftige Adzesse. Unter dem Namen Besti Weiglin (so ist statt Wergelin zu lesen bei Dobel, Schappeler 34), erscheint L. am 31. August vor dem Rath, um bestraft zu werden, weil er den altgläubigen Hans Tiefenthaler nach einer Predigt zur Rede gestellt hatte. Aber schon am 2. September mußte Seb. L. wie seinem Freunde Ambros. Bäsch wieder das Disputiren in Glaubenssachen verboten werden.

Die Waffenrüstung, mit der L. kämpfte, lernen wir in seiner nächsten Schrift kennen. Es ist dies das „Beschirmbüchlein“, welches zunächst durch das 1523 herausgegebene unüberwindliche Beschirmbüchlein des späteren Reutlinger Stadtschreibers Benedikt Gretzinger (Augsburg, Steiner), aber wol auch schon früher durch Urban Rhegius’ 12 Artikel unseres christlichen Glaubens und „Ain kurze Erklärung etlicher läufiger Punkten ainen jeden Christen nutz und not zu rechtem Verstand der heiligen geschrift“ angeregt war. L. bietet hier dem einfachen Laien eine ganz wohlgeordnete Rüstkammer von Bibelsprüchen gegen die wichtigsten Lehren der alten Kirche in selbständiger Anordnung. Eine weitere kleine Schrift Lotzer’s, die Schappeler gewidmet ist, erschien Ende des Jahres 1524. Sie hat den Titel „Ayn außlegung vber dy Euangelium So man lyßt vnd singt, nach brauch der kyrchen am zwayntzigisten Sontag nach der hayligen Triualtigkait, Wöllichs beschreibt Math. am xx ij Capit. von ainem Künig, So seinem Sun hochtzeyt zuberayt hett u. s. w. Sebastian Lotzer in Memmingen M. D. X. X. iii j.“ Die Schrift, eine schlichte Laienpredigt, will nur der großen Freude Ausdruck geben, welche L. das Wort Gottes gewährt, das Schappeler und seinesgleichen verkünden, und das Frauen wie Argula v. Stauff zu Zeugen gewinnt.

Inzwischen war die Bewegung in Memmingen immer stärker angewachsen, die Gegensätze verschärften sich, je weniger der altgläubige Pfarrer Megerich und seine Genossen den Führern der Evangelischen gewachsen war und durch strenges Festhalten am Alten den Widerspruch reizte. Es kam am Weihnachtsfeste 5 Uhr Nachmittags, als Megerich nach altem Brauch die Altäre beräucherte und bis in den späten Abend die vom Volk ersehnte Predigt verhinderte, zu wüsten Auftritten in der Pfarrkirche, die bis zu Thätlichkeiten gegen den Pfarrer fortgingen. Er und seine Genossen mußten sich jetzt zu einer mehrtägigen Disputation stellen. Der Siegesmuth, mit dem Megerich am Christfest im Vollbewußtsein seiner Würde mit dem Rauchfaß von einem Ort zum andern gezogen war, brach hier jäh zusammen. Schwachmüthig stellte er alles Gott und dem Rath anheim. Aber nun kam Memmingen in üblen Ruf. Selbst Urban Rhegius äußerte in einem Briefe: „Ich hab ungern gehört, daß [101] die Gemaind so uffrierig ist und so ungehorsam ihrer Oberkheit, daran doch das Evangelium kain schuld hatt.“ Man beschuldigte die Stadt der Revolution, ja der Anarchie und des Communismus. Nicht nur Altgläubige, sondern auch Anhänger der evangelischen Partei unter den Wohlhabenden, die im J. 1519 sehr stark gegen die Geistlichkeit aufgebracht waren, wurden irre und riefen, man müsse etliche Lutherische köpfen. Ganz besonders wurde Schappeler für die Auftritte am Weihnachtsfest verantwortlich gemacht. Dies veranlaßte L. Anfang 1525 zu der kleinen Schrift „Entschuldigung ainer Frummen Christlichen Gemain zu Memmingen mit sampt jrem Bischoff und trewen Botten des Herren Christoph schappeler Prediger alda. Von wegen der empörungen so sich bey vns begeben u. s. w. Jm jar 1525. Sebastian Lotzer der jünger von Horb jetz in Memmingen.“ L. weist nach, daß Schappeler für die Ereignisse am 25. December 1525 nicht verantwortlich gemacht werden könne, da er nichts davon gewußt und stets gemahnt habe, „stiftig“, still und freundlich zu sein. Er sage aber jedermann, reich oder arm, die Wahrheit. Auch die Bürgerschaft könne man nicht des Aufruhrs beschuldigen, denn sie verlange nur das Wort Gottes, die Schuld tragen die, welche die Predigt des Evangeliums wehren. Treffend zeichnet er auch die feige, genußsüchtige Art, die zwar für Aufklärung schwärmt und die „Pfaffen“ haßt, aber von der „evangelischen Ordnung“ Störung ihres behaglichen Daseins fürchtet und feige den weltlichen Arm anruft, weil ihr Wahrheitssinn und sittlicher Ernst fehlen.

Aber nur zu bald galt es, nicht nur die Memminger, sondern die oberschwäbische Bauernschaft zu entschuldigen, deren Lasten durch die Herrschaften immer mehr gesteigert worden waren, und die jetzt sich zusammenschaarten, um ihre Beschwerden gegen ihre Herren geltend zu machen. Das, „was in Oberschwaben als allgemeines Gut landauf landab von Mund zu Mund flog“, fand „einen geschickten Redactor, der dies und jenes aus Eigenem dazu gab, auch wol das Ganze durch seine Auffassung färbte und die äußere Form normirte“ (Götze). Das so entstandene Werk sind die 12 Artikel der Bauern, die, seit sie Mitte März in die Oeffentlichkeit drangen (19. März Verkauf in Ulm auf dem Markt), das Programm der gesammten Bauernschaft wurden, indem sie die Forderungen der Bauern auf „das göttliche Recht“ gründeten und die sociale Revolution mit der religiösen Frage verquickten. Seitdem Götze nachgewiesen hat, daß der Urdruck der 12 Artikel von demselben Drucker, wie die meisten Schriften Lotzer’s, von Melchior Ramminger, gedruckt ist, und ebenso die Verwandtschaft der 12 Artikel nicht nur mit der Memminger Eingabe vom 24. Februar, sondern auch mit den Schriften Lotzer’s klar gestellt ist, hat die Annahme L. Baumann’s, daß die 12 Artikel das Werk Lotzer’s sind, den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit erlangt. Es ist nur noch die Frage, ob sie nur Privatarbeit Lotzer’s sind (Götze) oder ein mit den Bauern verabredetes officielles Programm (Baumann). Daß Schappeler einen größeren Antheil daran gehabt hätte, als den der geistigen Beeinflussung seiner Zuhörer und besonders Lotzer’s, daß er gar die Einleitung zu den Artikeln geschrieben hätte, ist angesichts seiner bestimmten Aussagen durchaus unwahrscheinlich und auch philologisch nicht zu beweisen. Vgl. Blätter für württembergische Kirchengeschichte 1887, S. 75 ff. Sicher ist jedenfalls, daß L. von den Baltringer Bauern zu ihrem Kanzler erwählt wurde. Aus seiner Feder sind wol die schönen ehrerbietigen, durchaus friedlich gehaltenen Schreiben des Bauern-Ausschusses vom 7., 9., 22. März (Vogt, Corresp. des Ulr. Arzt Nr. 108, 115/37) an den Schwäbischen Bund geschrieben. Die friedlichen, aller Gewaltthat abholden Gesinnungen des Bauernführers Ulrich Schmid und Lotzer’s waren den wilden Wassern nicht gewachsen. Es kam zu Gewaltthätigkeiten gegen Klöster [102] und Burgen. Gegen Schmid erhob sich ein Aufstand im eigenen Lager (zwischen 12. und 17. April). Die Schlacht bei Wurzach warf die Bauern völlig darnieder. Schmid und L. flüchteten in die Heimath Schappeler’s, nach St. Gallen, wo Keßler sie kennen lernte, so daß er in seinem Sabbata einen sehr werthvollen Bericht über sie geben konnte. Der Schwäbische Bund kam zu spät, als er am 21. April dem Memminger Rath den Befehl zur Verhaftung Lotzer’s gab. Dieser war geborgen, aber auch fortan verschollen. Doch ist anzunehmen, daß ihm sein Bruder in Heidelberg als einflussreicher Mann weiter half.

Lotzer’s Schriften: Joh. Keßler’s Sabbata, hsg. vom Hist. Verein des Kt. St. Gallen, 1902. – W. Vogt, Zwei oberschwäbische Laienprediger in der Zeitschr. f. kirchl. Wissenschaft u. kirchl. Leben, 1885, S. 413/498. – Bossert, Seb. Lotzer u. s. Schriften in Blätter f. württb. Kirchengesch. 1887, S. 25–78. Neugedr. Memmingen 1906. – Zu Joh. L. vgl. ebd. 1886, 58. – Götze, Seb. Lotzer’s Schriften, 1902. – Rohling, Die Reichsstadt Memmingen in d. Zeit der evang. Volksbewegung, 1864. – Cornelius, Studien z. Gesch. d. Bauernkrieges, Münch. Sitzungsb. 1866, S. 189 ff. – In L. Baumann, Die Oberschwäb. Bauern im März 1525. – A. Stern, Ueber d. zwölf Artikel der Bauern, 1868. – Lehenert, Studien z. Gesch. d. zwölf Artikel. – Baumann, Die zwölf Artikel d. oberschwäb. Bauern 1525. – A. Götze, Die Artikel der Bauern 1525. Hist. Vierteljahrsschrift 1901, S. 1–32. – A. Götze, Die zwölf Artikel der Bauern kritisch herausg. Ebd. 1902, 1–32. – W. Stolze, Die zwölf Artikel v. 1525 u. ihr Verf. Hist. Zeitschr. 1903, 1–42. – Götze, Zur Ueberlieferung d. zwölf Artikel. Hist. Vierteljahrsschr. 1904, 53–60. – Stolze, Zur Gesch. d. 12 Artikel v. 1525. Ebd. 1905, 1–16. – Götze, Neues von Christoph Schappeler. Ebd. 201–218.