ADB:Michelsen, Andreas Ludwig Jacob

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Artikel „Michelsen, Andreas Ludwig Jacob“ von Maria Michelsen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 695–698, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Michelsen,_Andreas_Ludwig_Jacob&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:45 Uhr UTC)
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Band 21 (1885), S. 695–698 (Quelle).
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Michelsen: Andreas Ludwig Jakob M., Gelehrter, Jurist, Politiker und Historiker. Geboren den 31. Mai 1801 zu Satrup im Sundewitt als ältester Sohn des dortigen Diakonus, hatte er eine bedrängte Knabenzeit infolge des schon 1807 eingetretenen Todes seines Vaters und der Napoleonischen Kriegszeiten. Die kluge, willensstarke Mutter verstand jedoch, unterstützt anfänglich von ihrem Vater, L. von Born, und nach dessen Tode von dem späteren Grafen v. Blücher-Altona als Vormund, die Erziehung der Söhne sicher zu leiten. Nach dem ersten Unterricht in Apenrade kam M. auf Veranlassung seines Vormunds 1815 auf das akademische Gymnasium in Altona und fand dort im Hause des Grafen Blücher einen für die ganze Richtung seines Lebens bedeutungsvollen Rückhalt. 1819–21 zuerst in Kiel studirend, hörte er juristische, historische und philosophische Collegien und wurde besonders angeregt durch die Vorträge von Dahlmann. Nach Fortsetzung des Studiums in Göttingen unter Eichhorn, Bergmann und Anderen vollendete er dasselbe in Kiel, wo er dem Rechte und der Geschichte der Herzogthümer den größten Eifer zuwandte. Michaelis 1823 bestand er in Schleswig das jur. Amtsexamen mit dem 1. Charakter. Dieses günstige Ergebniß und die vielverheißende, doch vorwiegend theoretische Anlage brachte ihm ein mehrjähriges Reisestipendium aus Staatsmitteln. Zuerst in Berlin hörte er bei Savigny römisches Recht und schrieb damals seine Doctordissertation „De exceptione rei venditae et traditae“. Darauf in Heidelberg trat er auch zu Thibaut in Beziehung und richtete sein Augenmerk auf die Jury. Dem Studium dieses Gegenstandes vorzüglich galt ein dreimonatlicher Aufenthalt in Paris. Ueber Bonn, wo er mit Niebuhr verkehrte, heimgekehrt lebte er einige arbeits- und genußreiche Jahre in Kopenhagen. Am „Geh. Archiv“ in das Studium der Urkunden zur schleswig-holsteinischen Geschichte vertieft, trieb er daneben mit Vorliebe skandinavische Rechtsgeschichte. Mancherlei Anregung bot der Verkehr mit Kolderup-Rosenvinghe, Rasn, dem Juristen Oersted, mit Oehlenschläger, Thorwaldsen und Andern. Auch mit U. J. Lornsen (Bd. XIX S. 200) traf er hier zuerst zusammen. Die nächste Frucht der Kopenhagener Zeit, die „historische Skizze“: „Nordfriesland im Mittelalter“, die erste selbständige Behandlung der Geschichte dieses Volksstammes auf urkundlicher Grundlage, ließ Dahlmann und Andere in dem Verfasser einen entschiedenen Beruf zur Geschichtswissenschaft erkennen, ehe er selbst einen solchen für sich in Anspruch zu nehmen wagte, und es erfolgte 1829 seine Berufung zum außerordentlichen Professor der Geschichte in Kiel als Nachfolger von Dahlmann. 12 Jahre, seit 1837 als ord. Professor hat M. die damals sehr umfangreiche Kieler Geschichtsprofessur bekleidet, den specielleren Collegien nach sorgfältigen Vorstudien die allgemeineren hinzufügend. Wie Dahlmann auch über Politik zu lesen, lehnte er ab, vertrat dagegen die publicistische Jurisprudenz, und seine Vorlesungen über Kirchenrecht, besonders durch Claus Harms (Bd. X S. 607) veranlaßt, machten auch die Theologiestudirenden [696] zu seinen Zuhörern. Nebenher ging eine fortgesetzte schriftstellerische Thätigkeit, und überall kam dem Historiker die gründliche rechtswissenschaftliche Bildung zugute. Sein Verdienst um die schleswig-holsteinische Geschichtsforschung in jener Zeit besteht außer den eignen Arbeiten (hier ist „der ehemalige Oberhof zu Lübeck und seine Rechtssprüche“ 1839 zu nennen) und einer nicht geringen akademischen Wirksamkeit in der Begründung der „schleswigholsteinisch-laubenb. Gesellschaft für vaterländische Geschichte“, zu der er in erster Reihe mitgewirkt hat, und in der damit in Verbindung stehenden Herausgabe wichtiger Urkunden, einer Frucht der Arbeit in Kopenhagen. Darum hat man von ihm gesagt, er habe „die Urkundenschätze der Heimath zuerst erschlossen“. Hier nimmt sein „Urkundenbuch zur Geschichte des Landes Dithmarschen“ 1834 den ersten Platz ein, 1842 schloß sich daran die „Sammlung altdithmarsischer Rechtsquellen“. (1839 und 42 schleswigholstein. Urkundensammlung.) An der Redaction der Vereinszeitschrift hatte er beständig den überwiegendsten Antheil. – Auf die sich so entfaltende Berufsthätigkeit wirkten hemmend politische Verhältnisse. Einst hatte M. abgelehnt vom Katheder theoretisch Politik zu lehren, jetzt sollte er durch Vaterlandsliebe und persönliche Rechtsüberzeugung zur praktischen Theil- und Parteinahme gedrängt werden. In dem Verfassungsstreite der 30er Jahre gab er mehrfach seiner Anschauung Ausdruck und ward bald als einer der hinter dem „Agitator“ Lornsen stehenden geistigen Agitatoren angesehen. Mit in die Untersuchung hineingezogen, wenn auch ohne directe Folgen, ward er von nun an peinlich überwacht und amtlich zurückgesetzt. Nach der Mitunterzeichnung einer Zustimmungsadresse an Dahlmann im J. 1832 wurde ihm wie anderen „das Allerhöchste Mißfallen“ in aller Form zu erkennen gegeben. Die im October 1840 erfolgende höchst glückliche eheliche Verbindung mit der Gräfin Ernestine v. Brockdorff, Tochter des Grafen C. L. v. Br., früheren Kanzlers des Herzogthums Holstein, gab zwar ein Gegengewicht gegen solche politische Anfechtung, mehrte aber das Verlangen nach freierer Stellung; deshalb ging er, nachdem er 1837 einen Ruf nach Basel ausgeschlagen, 1842 nach Jena, um nun eine Professur des Staats- und Völkerrechts zu übernehmen. – In Jena fast 20 Jahre gern gehörter Lehrer der publicistischen und germanistischen Jurisprudenz, 1843 Beisitzer des Schöppenstuhls, 1855 Mitglied des thüringischen Oberappellationsgerichts, hat M. die historische Richtung nie verleugnet und sich das Hauptverdienst um die Rechtswissenschaft wiederum durch die Herausgabe von Urkunden und Rechtsquellen erworben. Seine Theilnahme an der Germanistenversammlung zu Lübeck 1846 gab Veranlassung zu der germanistischen Untersuchung: „Ueber die Genesis der Jury“ 1847. In mehreren Abhandlungen: „Die Hausmarke“ 1853; „Ueber die Ehrenstücke und den Rautenkranz“ 1854; „Ueber die festuca notata“ 1855 und anderen berührte er das Gebiet der Heraldik. 1844–48 war er auch Redacteur der „Neuen Allgemeinen Jenaer Literaturzeitung“. Wie früher im engeren Vaterlande, so beschäftigte ihn auch bald in der neuen Heimat die Specialgeschichte, zumal Verfassung und Recht. Daher seine hervorragende Theilnahme an den Arbeiten des „Vereins für thüringische Geschichte und Alterthumskunde“. Eine Reihe von Veröffentlichungen stehen zu den Aufgaben des Vereins in unmittelbarer Beziehung und haben zum Theil eine bleibende grundlegende Bedeutung, so: „Die Rechtsdenkmale aus Thüringen“ 1852 ff., der „Codex Thuringiae diplomaticus“ 1854 und Andere, doch verlor er Schleswig-Holstein nie aus dem Auge. 1844 und 46 erschienen: „Polemische Erörterungen über die schleswig-holsteiner Staatsuccession“, ein energischer Ausdruck seiner Ueberzeugung von dem unbedingten Rechte des Augustenburger Hauses und der Anlaß enger persönlicher Beziehung zu dem Herzoge Christian August als vertrauter Rathgeber und ständiger Rechtsconsulent. [697] Bei der Erhebung Schleswig-Holsteins 1848 fühlte er sich getrieben, dem Vaterlande unmittelbar zu dienen. Er wurde von der „provisorischen Regierung“ der Herzogthümer in außerordentlicher Mission nach Berlin gesandt, um die Hülfeleistung Preußens zu beschleunigen. Darauf von dem nördlichsten schleswigschen Wahlkreise zum Abgeordneten in die Nationalversammlung zu Frankfurt gewählt, nahm er an den Verhandlungen des ersten deutschen Parlaments lebendigen Antheil. Gleich anderen in seinen patriotischen Hoffnungen getäuscht, schied er mit dem Reste der „erbkaiserlichen“ Partei den 24. Mai 1849 aus dem Parlamente aus. In Jena 1851 zum Mitdirector des staatswissenschaftlichen Seminars ernannt und seit 1855 als Oberappellationsrath eifrig thätig, hat er doch unausgesetzt und mit Vorliebe als Vorstand des Geschichtsvereins gearbeitet (1853 „Der Mainzer Hof zu Erfurt,“ 55 „die Rathsverfassung und Erfurt im Mittelalter“, 56 „Urkundlicher Ausgang der Grafschaft Orlamünde“, 60 „Die Landgrafschaft Thüringen unter den Königen Adolf, Albrecht und Heinrich VII.“ u. s. f.) Daneben brachten Ferienreisen, so 1851 nach Italien (Besuch von Pompeji) geistige Erholung, zugleich den Blick auf weitere Gebiete lenkend. Zu der Familie des Landesherrn, besonders zu der Großherzogin Marie Paulowna von Rußland, stand M. in näheren Beziehungen, die Einwohner der Stadt Jena zeigten ihre Gesinnung durch den Ehrenbürgerbrief. Einen Ruf nach Marburg und später nach München lehnte er zwar ab, sah sich aber 1861 veranlaßt, aus seiner Stellung in Jena zu scheiden, um in Muße einer wissenschaftlichen Thätigkeit zu leben. Doch traf ihn schon 1862 die Wahl zum ersten Vorstand des Germanischen Museums zu Nürnberg. Seine mehrfach erwiesenen antiquarischen Interessen ließen neben der Thätigkeit für die deutschen Geschichtsvereine die Wahl berechtigt erscheinen und ihn selber mit ganzem Eifer die neue Aufgabe erfassen. Jedoch politische Ereignisse entzogen ihn schnell dem Januar 1863 angetretenen Posten. Als im November dieses J. nach dem Tode Friedrichs VII. Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein von Gotha aus seine Erbansprüche erhob, berief er M. sogleich zu sich, und dieser glaubte sich der Pflicht gegen das engere Vaterland nicht entziehen zu dürfen. Nachdem er im Auftrage des Herzogs die Arbeiten v. d. Pfordtens am Frankfurter Bundestage unterstützt hatte, legte er im Sommer 1864 sein Amt in Nürnberg ganz nieder und folgte dem Herzoge nach Kiel. Eine Reihe von Schriften über schleswig-holsteinische Staatserbfolge kennzeichnen seine Wirksamkeit. Nach dem Scheitern der herzoglichen Sache trat er ganz von der Oeffentlichkeit zurück und siedelte sich 1867 in der Stadt Schleswig an, in der Stille in wissenschaftlicher und litterarischer Arbeit Trost suchend. Die Ueberarbeitung und Herausgabe der „schleswig-holsteinischen Kirchengeschichte“ nach hinterlassenen Handschriften von Jensen in 2 Bänden, 1873–79, ist das Hauptwerk dieser seiner letzten Jahre: ein Werk, vielleicht nicht in allem einzelnen auf der Höhe der Wissenschaft stehend, aber die erste ausführliche Gesammtdarstellung des Gegenstandes und darum ein Hülfsmittel zum Studium für weitere Kreise. Inzwischen unternahm er, außer verschiedenen kleineren antiquarisch-historischen Mittheilungen, 1876 die Herausgabe der „Briefe von Schiller an den Herzog Friedrich Christian von Sch.-H.-A. über ästhetische Erziehung“, nach dem bisher unbekannten Urtexte, den er abschriftlich in der Augustenburger Bibliothek aufgefunden hatte. Der Tod der Gattin im Mai 1872 brachte die erste schmerzliche Störung in dieses beschäftigte Stilleben, woran 1874 sich ein schwere Augenentzündung reihte. Dennoch war es ihm vergönnt, die Arbeit wieder aufzunehmen; er lernte fortan zu dictieren, und bis in die letzten Lebensjahre blieb ihm die Geisteskraft ungeschwächt erhalten. Er verschied am 11. Februar 1881.

S. Biogr. Umrisse der Mitglieder deutscher Nationalvers. Frkf. 1848. – Leipziger Illustrierte Zeitung. 1864. – E. Alberti, Lexikon Schlesw.-Holst. [698] Schriftsteller II, S. 57 ff., wo ein vollständiges Verzeichniß seiner Schriften bis zum Jahre 1867. – W. v. Giesebrecht, Nekrolog in den Sitzungberichten der Akademie der Wissensch. in München. 1881. – Dr. G. Richter, A. L. J. Michelsen und seine Bedeutung für die thüringische Geschichtsforschung in den Mittheilungen des Vereins für thür. Gesch. u. Alterthumsk. 1881. – Carstens, Geh. Rat A. L. J. Michelsen in der Zeitschrift der Kieler histor. Gesellsch. Jahrg. 1882. –