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ADB:Natzmer, Oldwig von

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Artikel „Natzmer, Oldwig von“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 291–294, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Natzmer,_Oldwig_von&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:49 Uhr UTC)
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Natzmer: Oldwig Leopold Anton v. N., preußischer General der Infanterie, am 18. April 1782 auf dem Familiengute Vellin im Kreise Schlawe in Pommern geboren, wurde nach dem frühen Tode seines Vaters im Pagenhause zu Potsdam erzogen und trat dadurch schon jung zum Königshause in Beziehungen, welche sich später mit mehreren Mitgliedern desselben zu sehr innigen gestalteten; mit dem Prinzen Wilhelm, Bruder Friedrich Wilhelm’s III., durfte er sich sogar duzen. Am 19. Januar 1798 trat er als Fähnrich beim 1. Bataillon Garde Nr. 15 in den Dienst, nahm bald an den militärwissenschaftlichen Bestrebungen, welche besonders durch Scharnhorst gefördert wurden, lebhaften Antheil und wurde schon damals zu den Arbeiten des Generalstabes herangezogen. Den Krieg von 1806 machte er als Bataillonsadjutant mit, focht in der Schlacht bei Auerstädt und im Gefecht bei Nordhausen, wurde aber durch die Capitulation von Prenzlau Kriegsgefangener und dadurch, auf Ehrenwort entlassen, von der Theilnahme an den weiteren Kämpfen ferngehalten. Nach Friedensschluß erhielt er als Stabscapitän das Commando der 1. Compagnie [292] der neugebildeten Garde und wurde mehrfach bei den Arbeiten zur Reorganisation der Armee verwendet; namentlich half er bei der Abfassung der neuen Exerciervorschriften, von denen das Reglement für die Infanterie vom 15. Januar 1812, an dessen Herstellung er großen Antheil hatte, durch Klarheit, Einfachheit und Gediegenheit sich auszeichnet; seine praktische Richtung kam bei den Verhandlungen vielfach zum Ausdruck. Bemerkt zu werden verdient, daß er, obgleich Infanterist, auch an der Abfassung des Exercierreglements für die Cavallerie theil hatte. An den patriotischen Bestrebungen jener Zeit nahm er ein reges Interesse; dem Tugendbunde blieb er jedoch fern. Als Flügeladjutant, wozu er 1809 ernannt worden war, und Major begleitete er den König 1812 nach Dresden, wo dieser mit dem auf der Reise nach Rußland begriffenen Napoleon zusammenkam; im September jenes Jahres wurde er nach Wien gesandt, um die in Dresden eingeleitete Annäherung an Oesterreich weiter zu verfolgen; er konnte beruhigende Mittheilungen über des Kaiser Franz An- und Absichten zurückbringen. – Als um die Jahreswende 1812/13 York’s Uebertritt erfolgt war, erhielt er einen hochwichtigen Auftrag nach dem Kriegsschauplatze. Derselbe war zwiefacher Natur. Der ostensible Theil ging dahin, York zu desavouiren, N. sollte Murat mittheilen, daß der König den Schritt seines Generals mißbillige und das Commando an Kleist übertragen habe; dann aber sollte N. insgeheim zu den Russen gehen, dem Kaiser ein Schutz- und Trutzbündniß anbieten und über das Vorgehen gegen York aufklären. Er entledigte sich der Mission wiederum mit Geschick, interessant ist sein Bericht über seine Verabredungen mit den Russen. Nachdem er am 19. Januar 1813 Abends in Berlin wiedereingetroffen war, reiste der König am 22. nach Schlesien ab. In dem nun folgenden Kriege war N., welcher nach der Schlacht bei Bautzen Oberstlieutenant wurde, zuerst York, dann Blücher zugetheilt, während des Waffenstillstandes half er Gneisenau die schlesische Landwehr zu organisiren, nach Ablauf desselben befand er sich in seiner Eigenschaft als Flügeladjutant im königlichen Hauptquartier, wurde aber daneben mehrfach mit militärisch-diplomatischen Aufträgen betraut. Schon früher, als es sich um Thielmann’s Absichten handelte, die sächsischen Truppen zu den Verbündeten überzuführen hatte er den Vermittler gemacht. Vor der Schlacht bei Kulm ward er zu Ostermann entsandt, um diesen über die Lage der Armee aufzuklären und ihn zum Ausharren zu bestimmen. Der größte Theil des Heeres befand sich noch im Gebirge, Ostermann’s Standhalten allein konnte die Truppen retten; er entsprach Natzmer’s Vorstellungen in glänzendster Weise. Nach der Schlacht bei Leipzig ward N. zum König von Sachsen gesandt. Im Feldzuge von 1814 war er dem jungen Prinzen Wilhelm, dem jetzigen Kaiser, beigegeben, welcher ihn gern seinen Lehrer in militärischen Dingen nennt; nach Beendigung desselben begleitete er den König nach England; im October wurde er Mitglied der zur Retablirung der Armee niedergesetzten Commission. Bei Ausbruch des Krieges von 1815 trat er in die Truppe zurück, indem er das Commando der Grenadierbrigade übernahm und dieselbe nach Frankreich führte, bei dem schnellen Verlaufe des Feldzuges kam er nicht mehr zu kriegerischer Verwendung. Im October ward er General; er war 33 Jahr alt. An dem in den nächsten Jahren in Berlin sich entwickelnden regen militärischen Leben nahm N. lebhaftesten Antheil; mit dem Prinzen Wilhelm Sohn, welcher sich mit ihm in das Commando der Regimenter des Gardecorps theilte, wetteiferte er in der Ausbildung der beiden unterstellten Truppen; sein soldatisches Talent trat überall hervor, besonders glänzend bei einer 1819 am Wedding bei Berlin abgehaltenen Belagerungsübung. Von seinem Interesse für die verschiedensten, mit seinem Beruf in Verbindung stehenden Fragen legen seine Denkschriften und sein Schriftwechsel mit bedeutenden Männern Zeugniß ab; der letztere bekundet [293] außerdem die Achtung, welche man seinen Ansichten zollte, angesehene Geschichtsschreiber, wie Droysen und Bernhardi, benutzen ihn gern als Quelle. In besonders nahen Beziehungen stand er zu des Königs Generaladjutanten, Job v. Witzleben, dem späteren Kriegsminister, und zu Graf Anton Stolberg, zwei sehr einflußreichen Persönlichkeiten. Im Jahre 1817 begleitete er den Prinzen Wilhelm, welcher den Auftrag hatte, seine Schwester, die Prinzessin Charlotte, ihrem künftigen Gemahl, dem nachmaligen Kaiser Nikolaus, zuzuführen, nach Rußland; den langen dortigen Aufenthalt, welchen die Reise mit sich brachte, benutzte er vortrefflich, um Nachrichten über das Land, dessen militärische Zustände und seine Armee zu sammeln. Später hatte er noch zweimal Gelegenheit derartige Beobachtungen anzustellen: 1835 bei der Truppenzusammenziehung in Kalisch und 1837 gelegentlich der Manöver bei Kowno und bei Wossnesensk, wo Kaiser Nikolaus in den Ebenen der Ukräne 42,000 Reiter tummelte. – Nachdem er schon lange den Wunsch gehegt und kundgegeben hatte, nicht allein Infanterie zu commandiren, ein Begehren, welches bei den eigenthümlichen Formationsverhältnissen des Gardecorps nicht erfüllt werden konnte, erhielt er 1820 das Commando der 11. Division in Breslau und damit Gewährung seines Verlangens; zunächst freilich wurde seine dortige Thätigkeit durch eine Reise nach Troppau, wohin er den Kronprinzen, nachmals König Friedrich Wilhelm IV., zum Fürstencongreß zu begleiten hatte, und durch eine Sendung nach Italien unterbrochen, wo er als preußischer Militärbevollmächtigter dem Feldzuge der Oesterreicher gegen Neapel vom Jahre 1821 im Hauptquartiere Frimonts beiwohnte; 1822–23 begleitete er den Prinzen Wilhelm Sohn auf einer Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien. 1825 erfolgte seine Ernennung zum Generallieutenant und 1827 wurde er, der Infanterist, mit der Leitung einer großen Reiterübung bei Berlin beauftragt, an welcher 12 Cavallerieregimenter theilnahmen; für die Art, in welcher er sich seines Auftrages erledigte, erntete er, wie sein Biograph sagt, „fast überschwängliches Lob“. In demselben Jahre vertauschte er seine Stellung in Breslau mit dem Commando der Erfurter Division, mit welcher er nach der Julirevolution von 1830–1832 am Rhein stand; im März 1832 wurde er commandirender General des I. Armeecorps in Königsberg i. Pr. Gelegentlich des Königsmanövers im Jahre 1834, wo dem commandirenden General allemal ein besonderer Gnadenbeweis zu Theil zu werden pflegt, wurde er zum Regimentschef ernannt, aber nicht, wie sonst die Regel ist, eines Regiments seiner Waffe, sondern eines Cavallerieregiments, der 12. Husaren, eine Anerkennung der Dienste, welche er der Cavallerie geleistet hatte. 1839 erhielt er auf wiederholtes Ansuchen, zu welchem asthmatische Beschwerden ihn veranlaßten, seine Entlassung aus dem activen Militärdienste, wurde aber gleichzeitig zum Generaladjutanten und zum Mitgliede des Staatsraths ernannt; Friedrich Wilhelm III. hatte ihn damals für eine Art von Ministerpräsidentenstellung als Nachfolger des Grafen Lottum in Aussicht genommen; der Tod des Königs verhinderte die Ausführung der Absicht. 1840 ward er General der Infanterie und erhielt den Schwarzen Adlerorden. Seine öffentliche Wirksamkeit hörte mit seinem Austritt aus dem Dienste nicht ganz auf; 1841 nahm er als preußischer Bevollmächtigter an der Bundesinspicirung der Contingente von Hannover und Braunschweig Theil; 1842 begleitete er den König zur Taufe des Prinzen von Wales nach England; auch gehörte er damals wiederum zu der mit der Bearbeitung eines neuen Cavallerieexercierreglements bestimmten Commission, welche aber ebensowenig wie ihre Vorgängerin es verstand, etwas dem Geist der Waffe Genügendes zu liefern, man hatte das Verständniß dafür verloren. Als um die Mitte der vierziger Jahre die Fragen der inneren Politik alle Gemüther beschäftigten, sprach er sich für ein Zweikammersystem mit zweckmäßigem Wahlgesetze aus. N. starb nach schwerem Leiden am [294] 1. November 1861 auf seinem Gute Matzdorf im schlesischen Kreise Löwenberg. Seit 1824 war er mit einem Fräulein von Richthofen in kinderloser Ehe vereirathet.

G. E. v. Natzmer, Aus dem Leben des General Oldwig v. Natzmer, 1. Theil, Hannover 1876 (reicht bis zum Jahre 1820, giebt aber in weiten Umrissen auch die späteren Lebensjahre).