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ADB:Oldendorp, Johannes

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Artikel „Oldendorp, Johann“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 265–267, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oldendorp,_Johannes&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 20:13 Uhr UTC)
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Oldendorp: Johann O., einer der bedeutendsten deutschen Juristen um die Mitte des 16. Jahrhundertes, ist etwa 1480 zu Hamburg geboren als Neffe des bekannten Historikers Albert Krantz (s. A. D. B. XVII, 43), welchem er seine erste wissenschaftliche wie kirchliche Erziehung zu verdanken scheint. Universitätsstudien, zunächst 1504 in Rostock, sodann in Köln und Bologna bereiteten ihn auf die an letzterem Ort 1515 erfolgte Promotion zum Licentiaten vor, auf welche schon 1516 eine Berufung zur Professur nach Greifswald folgte, wo er 1517 das Rectorat bekleidete, aber erst 1518 die Doctorwürde erlangte. In Greifswald übte O. einen großen Einfluß und wirkte namentlich mit regem Eifer für die Rechte der Universität, wodurch er mit den städtischen Behörden in Conflict gerieth. Da sein Charakter weniger eine religiös-dogmatische, als humanistisch-praktische Färbung besaß (vgl. O. Fock, Rügen-Pommersche Geschichten V, S. 262 ff.) so war er, schon vor Einführung der Reformation, seinen katholisch strenggläubigen Amtsgenossen, namentlich dem späteren Decan des Greifswalder Domcapitels, Professor Heinrich Bukow jun. (Bd. III S. 512, vgl. Pyl, Geschichte der Greifswalder Kirchen II, S. 843 ff.) antipathisch und erregte dadurch, daß er seine Doctorpromotion (1518) unmittelbar mit seiner Trauung verband (vgl. Pyl l. c. S. 843), großen Anstoß. Dieser Umstand und die strenge Wahrung der katholischen Lehre, welche von den Universitätsprofessoren und älteren Rathsmitgliedern ausging, veranlaßte seine Uebersiedelung nach Rostock und später nach Lübeck, wo eine entschiedenere reformatorische Anschauung herrschte und er nun eine reiche Thätigkeit als Redner, Berather, Reformator und Staatsmann auszuüben vermochte. Nach Rostock hatte man ihn als Syndikus berufen; unter wesentlicher Mitwirkung seinerseits ward hier 1531 die Reformation zur Durchführung gebracht; den hiermit aufgenommenen Strebungen gegenüber trat die Wirksamkeit als Lehrer, obgleich er eine Zeit lang eine Professur bekleidete, völlig zurück, wie denn auch seine damals entstandene Schrift: „Von radtslagende [266] wo man gude Politik und Ordnungen von Steden und landen erhalden möge“ den Uebergang von der juristischen zu der politischen Richtung bekundet. Besonders aber nahmen ihn in Anspruch und rissen ihn persönlich auf den Tummelplatz der lebhaft erregten Parteileidenschaften die fortwährenden Angriffe, welchen er sich wegen seines evangelischen Eifers ausgesetzt sah und welche hauptsächlich in Schmähschriften der gemeinsten und gefährlichsten Art gegen ihn gerichtet wurden. Demgegenüber ließ er es an einer umfassenden Selbstvertheidigung nicht fehlen („Wahrhafte entschuldinge Doctoris J. Oldendorp Syndici tho Rostock“, 1533), welche allerdings zur Anerkennung seiner Schuldlosigkeit seitens des Rathes der Stadt führte, gegen die Erbitterung aber, welche bei Herzog Albrecht von Mecklenburg Platz gegriffen hatte, wirkungsblos blieb, so daß er sich nur innerhalb des städtischen Weichbildes und auch hier kaum auf die Dauer sicher fühlen konnte. Häusliche Unannehmlichkeiten der peinlichsten Art scheinen hinzugekommen zu sein; wol auch das Bedürfniß des geistreichen, lebhaften, kampf- und thatenlustigen Mannes nach einem großartigeren Wirkungskreis; so entwich er denn, unter doch wol nur formaler Verletzung des ihn an Rostock und sein dortiges Amt bindenden Eides, 1534 nach Lübeck, übernahm hier das ihm sofort angetragene Syndikat und stürzte sich nun völlig in die hochgehenden Wogen der Wullenwever’schen Wirren. Seine einzelnen Dienstleistungen in dieser Sache aufzählen hieße eine Geschichte jener gesammten Politik geben; wie tief er in die Pläne des gerade damals in der Stadt allmächtigen Bürgermeisters eingeweiht wurde, inwieferne er besonders in persönliche vertraute Beziehung zu ihm trat, so wichtig dieser Punkt auch für die Beurtheilung seines späteren Verhaltens wäre, ist nicht mehr festzustellen. Sicher ist nur, daß er einerseits seine ganze Rechts-, Geschichts- und Menschenkenntniß dem Dienste der Wullenwever’schen Politik widmete, so daß er an Verhandlungen aller Art sich betheiligte und sogar eine Sendung nach Wismar, Stralsund und selbst Rostock, um die Bürgerschaften gegen den abgeneigten Rath aufzuwiegeln und durch ihren Sieg die Städte auf lübische Seite hinüberzuziehen, übernahm; andererseits aber sich eine gewisse Selbständigkeit zu wahren wußte, vielfach im Sinne der Mäßigung wirkte und demgemäß den Abschluß des Stockelsdorfer Friedens (18. November 1534) wie die Herstellung des alten Raths und des Bürgermeisters Claus Brömse bedeutend förderte. Als nun der Sturz und Justizmord Wullenwever’s erfolgte, ist O. unbehelligt im Amte geblieben; und gerade dieser Umstand hat vielfach Veranlassung gegeben, ihn der Untreue und doppelten Spiels zu bezichtigen: eine Anklage, welche allerdings in dieser scharfen Form sicherlich unbegründet, aber auch, was den bloßen Vorwurf moralischer Schwäche angeht, mindestens unbewiesen ist. Trotzdem bleibt das Resultat einer gewissen Unlauterkeit im politischen (wie häuslichen) Leben des Mannes übrig; jedoch tritt demselben als entschiedenes Gegengewicht gegenüber die sein ganzes Dasein beherrschende Klarheit und Festigkeit der rein evangelischen Ueberzeugung; sie hatte ihn in jenen Strudel der Politik hineingerissen, aus welchem in solch verworrenen Zeitläuften sittlich völlig ungetrübt hervorzugehen den wenigsten gegeben ist; sie hat ihn nun auch weiter in seinen Schicksalen geleitet und zunächst abermals auf den Schauplatz politisch-religiöser Kämpfe gezogen. Er legte 1536 sein lübisches Amt nieder und folgte 1538 einem Rufe zur Professur nach Köln, der von der reformatorischen Umgebung des Erzbischofs ausging. Wie weit er sich dann activ an dem Kampf zwischen Hermann von Wied und der Stadt betheiligt hat, ist nicht sattsam festgestellt, obgleich es an Flugschriften hin und her keineswegs fehlt; 1540 bis 1542 treffen wir ihn gar nicht in Köln, sondern als Professor in Marburg; zu Beginn 1543 nach Köln zurückgekehrt, war er gerade im Begriff die juristische Facultät aus tiefem Verfall zu plötzlicher Blüthe emporzubringen, als er wegen seiner Beziehungen zu Meinertzhagen von dem reformfeindlichen siegreichen Rath [267] gezwungen wurde die Stadt zu verlassen. Diese ganze Episode bildet wie die Rostocker ein Vor-, so ein Nachspiel der lübischen Hauptaction; es sollte dem 63jährigen beschieden sein, jetzt endlich nach so vielen Irrfahrten in den Ruhehafen einzulaufen und dort noch fast ein Vierteljahrhundert gelehrter Muße zu genießen. Er fand dieselbe in Marburg, wohin ihn Landgraf Philipp abermals, unter den günstigsten Bedingungen, berufen hatte, und hat nun dort lehrend und schreibend, durch das Vertrauen seines Fürsten fortwährend ausgezeichnet und gegen die Anfechtungen geschützt, welchen ihn hin und wieder die in das neue Leben hinüberragenden Consequenzen alter Zeiten aussetzten, 1544 zum „Rath von Haus aus“, 1546 zum Rath in der fürstlichen Kanzlei und 1558 zum „Reformator“ der Universität bestellt, ungestört gewirkt bis zu seinem Tode, welcher ihn am 3. Juni 1567, zwei Monate nach dem Hinscheiden seines hohen Gönners, erreichte. Dieser Epoche seiner schriftstellerischen Thätigkeit verdanken wir diejenigen Arbeiten, welche dem Namen Oldendorp’s, mag er nun in der politischen Geschichte mit mehr oder minder Anerkennung genannt werden, in der juristischen Litterärgeschichte stets eine ehrenvolle Stellung sichern werden. Ist solch wissenschaftliches Wirken nach so bewegtem Leben schon an sich als Zeichen seltener Elasticität des Geistes bemerkenswerth, so erst recht dann, wenn wir die bei demselben an den Tag gelegte Vielseitigkeit in Betracht ziehen. In der „Εἰσαγωγή iuris naturalis sive elementaria introductio iuris naturae, gentium et civilis“, Köln 1539, werden die Grundlagen einer Rechtsphilosophie gelegt, welche allerdings noch vielfach an das Mittelalter anklingt, den Verfasser aber doch nicht ganz mit Unrecht unter den Vorläufern des Hugo Grotius zu nennen gestattet. Die Rechtsgeschichte beschäftigt ihn in seiner „Expositio in leges XII tabularum“. Der Exegese gewidmet sind die „Annotationes in librum I Pandectarum“. Vor allem aber bewegen ihn praktische Zwecke; so zu kleineren Schriften, wie den „Topica legalia“, Marburg 1545, und den „Actionum iuris civilis loci communes“, Köln 1539; weiterhin schließlich zu seinen zwei größeren Productionen, der „Practica actionum forensium absolutissima“, Köln 1540, und dem „Enchiridion exceptionum forensium“, 2. Ausg. 1552. Alle diese Arbeiten sind durchweg mit klarer Disposition und eindringendem Fleiß, in einem, spätitalienischer Breitspurigkeit abgewandten, unabhängig wissenschaftlichen Sinne, von dem jener Uebergangszeit eigenthümlichen, mittelalterliche und humanistische Anschauungen mehr äußerlich verbindenden, als innerlich verschmelzenden Standpunkt aus geschrieben. Außer ihnen hat O. noch eine Reihe anderer Werke veröffentlicht, welche sich genau aufgezählt finden bei Strieder, Hessische Gelehrtengeschichte 10, 119–139; seine sogenannten „Opera omnia“ hat er selbst, mit einer Widmung an die Kurfürsten des Deutschen Reichs versehen, Basel 1559 erscheinen lassen. – Sein Porträt aus der Greifswalder Zeit, welches ihn (sehr häßlich und schielend) in Amtstracht und Barett darstellt, besitzt die Universität Greifswald.

Strieder, Hessische Gelehrtengeschichte 10, 110. – Krabbe, Universität Rostock 374, 402, 416.– Kosegarten, Universität Greifswald 172. – Waitz, Lübeck unter J. Wullenwever, passim. – Harder, Zeitschrift des Vereins für Hamburg. Geschichte 4, 436. – Stölzel, Entwickelung des gelehrten Richterthums I. 50, 108, 415, 419; II. 185. – Varrentrapp, Hermann v. Wied 88, 159. – v. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I. 311 bis 338.