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ADB:Paulus Diaconus

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Artikel „Paulus Diakonus“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 245–248, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Paulus_Diaconus&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 00:10 Uhr UTC)
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Paulus: P. Diakonus, des Warnefrid Sohn, der Geschichtschreiber der Langobarden; sein Ur-Urgroßvater Leupichis war unter Alboin 568 mit dem Volke der Langobarden eingewandert und zwar hatte sich später wenigstens seine „Fara“ niedergelassen in dem Gebiet des nachmaligen langobardischen ducatus Forojuliensis, der „regio“ des Städtleins Forum Julii (Cividale del Friuli), zu der provincia Venetia gehörig. Bei dem Einfall der Avaren von 610 wurden die fünf Söhne des Leupichis aus der eroberten Burg Friaul gefangen fortgeschleppt. Dem Jüngsten derselben – er hieß ebenfalls Leupichis – gelang es als Mann (ca. 620) in die Heimath zurück zu fliehen; er fand das Dach des alten Hauses zerfallen, Brombeeren und Gedörn füllten den Innenraum, eine hohe Eiche erhob sich daraus. Der Sohn dieses Leupichis hieß Arichis, dessen Sohn Warnefrid vermählte sich mit Theodelindis: dieser beiden Kinder waren unser P. (geboren ca. 725), ein Bruder Arichis und eine Schwester, welche früh schon Nonne ward. Also

 
 
Leupichis I.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Leupichis II.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Arichis
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Warnfrid
 
Theodelindis
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Paulus
 
Arichis
 
Schwester

Das Geschlecht war gemeinfrei, vielleicht einer niederen Schicht des neu aufgekommenen Dienstadels, nicht dem alten Volksadel der Langobarden angehörig: auch reich war er wenigstens nach der Heimsuchung durch die Avaren (610) nicht mehr: der heimgekehrte Leupichis erhielt zwar durch Geschenke von Geschlechtsvettern und Freunden so viel, daß er das verfallene Haus wieder aufbauen und ein Weib heimführen mochte: allein an den Liegenschaften hatten Nachbarn die Ersitzung inzwischen vollendet. Dieser nicht glänzenden Begüterung entspricht es, daß das Geschlecht in einem jedesfalles sittlichen und thatsächlichen, vielleicht auch rechtlichen Abhängigkeitsverhältniß stand zu dem Herzogsgeschlecht zu Benevent, welches aus Friaul stammte: Arichis war ein in diesem Geschlecht häufiger Name: vielleicht ward Paulus’ Großvater zu Ehren eines solchen friaulisch-beneventanischen Herzogs Arichis genannt, wie seine Mutter vermuthlich zu Ehren der gefeierten bajuwarischen Fürstentochter Theodelindis (s. den Artikel), welche die berühmteste und einflußreichste Langobardenkönigin gewesen war. P. war ungefähr 720–725 geboren, er ward, nach einer zweifelhaften Ueberlieferung, am Hof des Königs Ratchis erzogen. Hier zeigte ihm dieser einmal (ca. 748) den sagenberühmten Becher König Alboins; er besuchte die Schulen und lernte (ca. 749) sogar (bei dem Grammatiker Flavianus) zu Pavia griechisch, was ihn später am Hofe Karls des Großen sehr empfehlen sollte. In nahem Verhältniß stand P. (ca. 755–774) zu dem aus Friaul stammenden Herzog Arichis von Benevent und dessen Gemahlin Adelperga, der Tochter des letzten Königs der Langobarden, Desiderius (s. A. D. B. V, 70): das Fürstenpaar hatte aufrichtig Sinn und Neigung für Wissenschaft, Kunst und Bildung. Er richtete Gedichte an beide (763) und eignete der Herzogin (766–774) eines seiner wichtigsten Werke zu, die „historia Romana“. Er hatte ihr den Eutropius geliehen: da sie aber diesen Auszug allzu mager und namentlich keine Angaben über die Kirche [246] darin fand, welche offenbar der frommen Fürstin näher anlag als die Kriegs- und Staatsactionen der heidnischen Römer grauer Vorzeit, so erweiterte und vervollständigte er die Bücher Eutrops und führte die Erzählung weiter bis auf die Mitte des VI. Jahrhunderts, genauer die Eroberung Italiens und die Vernichtung des Ostgothenreichs durch die Byzantiner: hier, kurz vor dem Auftreten des eigenen Volkes auf der Halbinsel, brach er ab. Er verspricht am Schluß, das Werk „bis auf unsere Tage“ fortzusetzen: das ward wol vor 774 geschrieben: schwerlich würde P. dies Versprechen ertheilt haben, hätte er gewußt, daß er alsdann in dem der Herzogin gewidmeten Werke ihr die Entthronung und Gefangennehmung ihres Vaters, den Sturz ihres Reiches und Hauses würde zu erzählen haben. Für unsere Kenntniß der in diesen sechs Büchern erzählten Dinge ist das Werk ohne Belang: denn das Wenige, was P. Eutrop einfügte, ist aus ohnehin bekannten Quellen entnommen. Seine Gesinnung sowie Geschichtsauffassung ist aus seinem selbständigen Werke besser zu beurtheilen: doch bekundet er auch hier seine streng kirchliche, eifrig kaiserlich-römische und den „Barbaren“ abgeneigte Gesinnung. Am meisten lag ihm an, „die Kirchengeschichte in Zusammenhang mit der weltlichen darzustellen“, wie er der Fürstin schrieb. Sein Verkehr mit dem herzoglichen Paar zu Benevent – daß er längere Zeit an diesem Hofe gelebt ist möglich, aber nicht nachweisbar – fällt in die Jahre 763–774 vor seinem Eintritte in das Kloster, vielleicht auch vor dem Eintritt in den geistlichen Stand. Daß die Katastrophe des Langobardenreiches P. bewogen habe, in dem Kloster einen Ausweg und eine Zuflucht zu suchen, darf vielleicht vermuthet werden: trafen doch damals schwere Schläge auch das Haus seiner Gönner zu Benevent und die eigene Familie. Herzog Arichis, der Eidam des entthronten Königs, und dessen nach Byzanz geflüchteter Sohn Adelchis bereiteten eine Erhebung wider Karl den Großen vor: der Papst meldete diese Gefahr seinem Beschützer: sollte P. in seiner Seele für den Papst oder für den Herzog Partei ergreifen? Gleichzeitig (776 nach Ostern) ward Paulus’ einziger Bruder, der wie der Herzoge von Benevent Arichis hieß, von Karl gefangen nach Frankreich abgeführt, weil er sich an der geplanten Erhebung des Beneventaners und des Friaulers wider die Frankenherrschaft betheiligt hatte, auch sein Vermögen ward eingezogen (deshalb ist wohl nicht anzunehmen, daß er nur als Geisel schon 774 mitgenommen wurde). Dieser hart neben P. einschlagende Wetterstrahl, der die „Fara“ Warnefrids zerstörte, mochte wohl Neigung und Beschluß, aus der Welt in den Frieden des Klosters zu flüchten (776?) bestärken und beschleunigen. Er nennt sich selbst in jener Zeit „verkannt, arm, hilflos“. Im siebenten Jahre der Gefangenschaft seines Bruders (also 782) begab sich P. aus dem Kloster Monte Casino in das Frankenreich zu Karl, sei es, um Fürbitte für seinen Bruder einzulegen, sei es, von Karl an den Hof berufen. An diesem Hof nahm er bald eine hochangesehene Stellung ein in dem Kreise der Gelehrten, welche man wol Karls Akademie genannt hat. Er hat wahrscheinlich die Freigebung des gefangenen Bruders erwirkt. Zahlreiche Gedichte von P. an Karl, von Petrus von Pisa im Namen Karls an P. u. dergl. sind uns erhalten: sie bezeugen den heitern, traulichen Verkehr in Scherzen, die uns freilich zuweilen recht frostig anmuthen. P. folgte während seines Aufenthalts im Frankenreich dem wechselnden Hoflager Karls: er weilte, wie er selbst schreibt (G. Langob. VI. 16), zu Diedenhofen (Ostern 783 – 23. März – bis Mai und September bis Weihnachten 784), an der Mosel 10. Januar 783, zu Metz und zu Poitiers zwischen 782 und 786, außerdem etwa zu Kiersey, Düren, Heristal, Attigny. Er erhielt 784/785 den ehrenvollen Auftrag, Karls älteste Tochter (damals neunjährig), von Hildegard, Hrothtrud, im Griechischen zu unterrichten, da sie (Ostern 781) mit dem Thronerben von Byzanz verlobt worden. Auch dichtete er nach [247] Karls Auftrag (783) die Grabinschriften für die Königin Hildegard († am 30. April 783) und ihr nur zweiwochiges Töchterlein Hildegard († am 9. Mai 783), sowie eine früher 774 (ebenfalls als Säugling) gestorbene Tochter Adelheid und für zwei Töchter von Karls Sohn Pippin: Adelheid und Hrothtrud, welche alle in der Capelle des heiligen Arnulf (s. A. D. B. I, 607), des Stammhauptes des Geschlechts, zu Metz beigesetzt waren. Während seines Aufenthaltes im Frankenreich höchst wahrscheinlich (etwa zu Diedenhofen?) verfaßte er (nach October 783: etwa 784/5) auf Wunsch des Bischofs Angilramn von Metz die Geschichte der Bischöfe von Metz, wie er selbst in der Langobardengeschichte (VI. 16) erzählt. Dagegen dasjenige Werk Paulus’, welches die Kirche nun ein Jahrtausend im Gebrauch gehalten hat, die auf Karls Befehl veranstaltete (später von Alkuin umgearbeitete) „Sammlung und Ausziehung von Predigten“, hat er wol erst nach der Rückkehr nach Monte Casino verfaßt. Vielleicht hat er Karl (December 786) auf dessen Reise nach Rom begleitet, jedesfalles in Rom schrieb er die kurze Biographie Gregors des Großen (Januar und Februar 787?) und ging dann (März 787) mit Karl nach Monte Casino. Bald nach dem Tode des Herzogs Arichis (25. August 787) und vor der Rückkehr von dessen Sohn Grimoald aus Frankreich nach Italien (Frühjahr 788) dichtete er die schöne, innig-empfundene Grabschrift für jenen. Sein Hauptwerk aber, die Geschichte seines eigenen Volkes, die er bis 744 herabgeführt, hat er nach 786/7, ungefähr 790 zu Monte Casino verfaßt oder doch begonnen; vielleicht hat ihn der Tod an der Vollendung gehindert: er starb am 13. April eines unbestimmbaren Jahres; etwa 795? Im Jahre 792 beantwortet er noch von Monte Casino aus eine Anfrage Karls wegen der Regel seines Klosters, welche er eingehend erläutert hat. Sehr bald hat sich die langobardisch-beneventanische Sage und eifriger noch die Gelehrtenfabel mit P. beschäftigt und ihm allerlei Geschicke angedichtet, welche ihn wegen seiner Treue gegen Desiderius und das Herzogsgeschlecht zu Benevent getroffen haben sollten. Die Würdigung seiner Langobardengeschichte hat meisterhaft gegeben Wattenbach I. 5. Aufl. S. 161 (s. die Litteraturangabe unten). Aus seinen Quellen (origo gentis Langobardorum c. 670, Gregor von Tours, Beda, Leben der Päpste, die uns verlorene Langobardengeschichte des Bischofs Secundus von Trient, † 612, und besonders Friaulische Ueberlieferungen) nimmt er ganze Stücke auf, ohne sie eigentlich zu einem Ganzen zu verarbeiten; in der Kritik, sogar in der Sorgfalt und Genauigkeit bei der Benützung seiner Gewährsmänner erscheint er schwach, höchst verwirrt in der Chronologie, und obwohl seine eigentliche Aufgabe die Volksgeschichte der Langobarden ist, nimmt er ohne rechtes Maß doch auch Fernerliegendes auf. Läßt er aber demnach als gelehrter Geschichtschreiber viel zu wünschen übrig, so entschädigen uns doch dafür andere sehr wesentliche Vorzüge: „die einfache Klarheit seiner Darstellung, die lautere Wahrheitsliebe, die ihn von allem in ungeschminkter Geradheit berichten läßt, die Wärme des Gefühls für sein Volk, welche sich auch ohne ruhmwürdige Verherrlichung besonders in der Aufzeichnung der alten Sagen kundgibt. Sehen wir nun aber vollends auf den materiellen Werth seiner Geschichte, so ist derselbe unbedenklich als ganz unschätzbar anzuerkennen: wir verdanken ihm eben die Bewahrung jenes reichen, durch keine spätere Gelehrsamkeit verfälschten Sagenschatzes und über die Geschichte der Langobarden was er aus verlorenen Quellen schöpfte sowol wie die Aufzeichnung mündlicher Ueberlieferung: rettungslos würde alles dieses nach dem Sturze des Reiches dem Untergang verfallen sein, wenn nicht des alten Mönches Hand es mit treuer Liebe aufgezeichnet hätte“ (Wattenbach).

Ausgabe: Waitz in den Monumenta Germaniae historica: Scriptores rerum Langobardorum et Ital. saec. VI–IX, 1877. (Hiezu Monod, Revue critique [248] 1879 I. Die Gedichte ebenda hrsg. v. Dümmler, Poetae Latini medii aevi I. pag. 27. – Literatur: Bethmann, P. D. Leben und Schriften; die Geschichtsschreibung der Langobarden Pertz Archiv X. – Abel, P. D. und die übrigen Geschichtschreiber der Langobarden, zweite Ausgabe durch Jacobi 1878. – Jacobi, Quellen der Langobardengeschichte 1877. – Dahn, Langobardische Studien I. Des Paulus D. Leben und Schriften 1876. – (Hiezu Waitz, Gött. gel. Anz. 1876). – Ebert, Allgemeine Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abendlande. II. 1880. S. 36 ff.