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ADB:Peschel, Oscar

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Artikel „Peschel, Oskar“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 416–430, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Peschel,_Oscar&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 00:09 Uhr UTC)
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Peschel: Oskar Ferdinand P., hervorragender Geograph und Publicist, geb. am 17. März 1826 zu Dresden, † am 31. August 1875 zu Leipzig. Peschel’s Vater war Officier und Lehrer an der Cadettenschule zu Dresden, ein Mann von hoher Bildung, seine Mutter, eine geb. Steinacker, stammte aus Leipzig. P. genoß nur bis zu seinem 14. Jahre den Unterricht des Gymnasiums und trat dann als Lehrling in ein Kaufmannshaus ein, welches er nach drei Jahren verließ. Zweijährige Privatstudien befähigten ihn, 1845 das Absolutorium der Kreuzschule zu Dresden zu erlangen. In Heidelberg und Leipzig widmete er sich der Rechtsgelehrsamkeit und bestand schon am 19. August 1848 bei der Leipziger Juristenfacultät das Examen pro praxi juridica et notariatu. Bezeichnend ist es, daß er nur wenige Wochen später, am 8. September des selben Jahres mit einer Dissertation „Ueber den Begriff des Tragischen im modernen Drama. Eine Kritik der Aristotelischen Poetik“ bei der Universität Jena in absentia promovirte. In der That liegt mehr in dem damit gewonnenen philosophischen Doctor als in der durch die juristische Prüfung erlangten Befähigung zum Richter oder Anwalt der Abschluß der Universitätsstudien des in vielseitiger litterarischer Bethätigung schon in den ersten Semestern sich ergehenden Jünglings. P. war nicht nur als „Raketen und Sternschnuppen sprühender“ Dichter von Polterabendscherzen im Kreise seiner Freunde bekannt, sondern hatte schon 1846 in Kuranda’s Grenzboten Novellen veröffentlicht und sich außerdem im Lustspiel versucht. Auch scheint nicht erst das Sturmjahr 1848 ihm die Feder des politischen Schriftstellers in die Hand gedrückt zu haben, denn er tritt uns in einer Correspondenz der Allgemeinen Zeitung aus Berlin vom 9. November 1848 als ein ausgesprochenes publicistisches Talent entgegen. Dieselbe bespricht das historische Ereigniß dieses Tages, die Vertagung der preußischen Nationalversammlung und ihre Verlegung nach Brandenburg in dem Stile eines sehr wohl informirten und über den Parteien stehenden Berichterstatters, welchem tiefere Farben, als die journalistische Palette zu tragen pflegt, für das Große dieses folgenreichen Wendepunktes in Preußens Geschichte zur Verfügung standen. P. war am 22. October nach Berlin gekommen, hatte hier durch einen glücklichen Zufall, der ihm einen Abgeordneten der Nationalversammlung zum Zimmernachbar gab, rasch Verbindungen in den politischen Kreisen gefunden, und in einigen Correspondenzen so sehr zur Zufriedenheit der [417] Allgemeinen Zeitung gearbeitet, daß deren Redacteur G. Kolb ihm Ende December eine Stellung bei der Redaction anbot. P. war um die Jahreswende selbst nach Augsburg gekommen, wo er eine Zeitlang den „deutschen Artikel“ besorgte, – von Berlin aus hatte P. auch gelegentlich über sächsische Verhältnisse geschrieben – um dann ein Jahr lang von Wien aus zu correspondiren. Er kehrte 1850 nach Augsburg in die Redactionsstube zurück und verweilte in derselben bis zum August 1854. Das Cholerajahr hatte in den Stab der Allgemeinen Zeitung Lücken gerissen. P. harrte aus und leitete eine geraume Zeit die Redaction des großen wichtigen Blattes. Freiherr von Cotta vergaß ihm nie die Opfer, welche er in dieser schweren Zeit gebracht und als die Redaction des mit der Allgemeinen Zeitung eng verschwisterten „Ausland“ im August 1854 durch den Tod des verdienten Dr. Eduard Widenmann erledigt wurde, übernahm P. die von Männern berühmteren Namens umworbene Stellung des Leiters der zu jener Zeit einzigen deutschen Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Die Nummer 48 des 1854er Jahrganges ist die erste, welche er mit seinem Namen zeichnete. In diese Zeit der rein publicistischen Thätigkeit fällt Peschel’s Vermählung mit Caroline Freiin v. Könitz im Herbst 1852 und damit die Gründung eines Hausstandes, dessen Segen in dem damals noch kleinen, an äußeren Anregungen armen Augsburg doppelt wohlthätig empfunden ward. Eng befreundet mit den geistvollen und vielseitigen Leitern der Allgemeinen Zeitung, in regem Verkehr mit den Mitarbeitern des Ausland, von welchen die meisten im Laufe der Jahre (denn Augsburg war damals noch ein Mittelpunkt des norddeutsch- und österreichisch-süddeutschen Verkehres) die Gastfreundschaft des vielgepriesenen Peschel’schen Hauses genossen haben, die eifrigen Studien durch jährlich wiederkehrende Reisen in die Alpen, an den Rhein, nach Frankreich, England, Italien und durch die behaglicher Arbeit im Hausgarten unterbrechend, führte P. in Augsburg ein schönes Leben, dessen idyllischen Frieden in den ersten zehn Jahren nur die Sorge um die niemals sehr kräftige Gesundheit des arbeitsamen und bis zur Erregung lebhaften Mannes einige Male umwölken wollte. Vergessen wir nicht nachzuholen, daß P. ein tieferes Interesse für Volkswirthschaft hegte, das in der kaufmännischen und industriellen Entwicklung Augsburgs manches Anziehende fand. P. war ursprünglich Schutzzöllner, ließ sich 1852 in England durch Dönniges zum Freihandel bekehren und gehörte zu den Vertheidigern des Zollvereins in der schwierigen Zeit des drohenden Zerfalles. P. erlebte den Triumph, daß die zähesten Gegner des Zollvereins ihn am Ende des Kampfes um seinen Rath bei der Abfassung einer Petition um Erhaltung des Zollvereins baten. Dasselbe Interesse wie für die politischen Angelegenheiten bethätigte P. zeitlebens auch für die volkswirthschaftlichen. Als er bereits das Ausland leitete, schrieb er noch oftmals Aufsätze über das Gold, über Fragen des Weltverkehrs, der Auswanderung u. ähnl. Als er dann zwanzig Jahre später in Leipzig Vorlesungen über Europäische Staatenkunde hielt, kamen auch diese Vorstudien seiner praktischen und weitsinnigen Auffassung und Behandlung der politischen Geographie zu Gute.

Die Leitung einer Zeitschrift, welche so umfassende Gebiete wie Länder- und Völkerkunde nicht bloß wissenschaftlich gründlich, sondern auch klar und in anziehender Form zu behandeln hat, und ebendeßhalb nicht auf sie sich beschränken darf, sondern auf alle jene Nachbargebiete übergreifen muß, auf denen die Voraussetzungen der Beurtheilung länder- und völkerkundlicher Fragen liegen, erfordert die ganze Arbeit eines Mannes. Peschel’s Vorgänger in der Redaction des Ausland waren Gelehrte von großem Rufe gewesen und besonders Dr. Widenmann, dessen Erbschaft P. antrat, galt für einen der meistwissenden Männer [418] des litterarischen Deutschlands jener Tage. Peschel’s geographische Bildung war, als er die Redaction des Ausland übernahm, erst im Werden. Aus der Zeitgeschichte hatte er die Anregung zum Studium der Geschichte der vergangenen Geschlechter geschöpft und schon 1852 sammelte er Material zu einer Geschichte der Entdeckung Amerikas. Die Publicistik hatte ihn zu den Problemen des Wirthschaftslebens hingeleitet. Sein schöpferischer Geist ließ ihn sehr frühe die Wichtigkeit der Stellung würdigen, welche die wirthschaftlichen Fragen jederzeit im Leben, in der Geschichte der Menschheit eingenommen haben. Hier baute sich die Brücke, auf welcher P. den Schritt auf das eigentlich geographische Feld wagte. Er selbst bezeichnete die Uebernahme des Ausland als den wahren Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn. Nichts ist instructiver als die Herausgabe des Ausland, schrieb er an seinen Nachfolger v. Hellwald. P. besaß den Fleiß und den Wissenstrieb, welche nothwendig waren, um diese Zeitschrift selbständig zu leiten. Seine Freunde rühmen als ein „Element in seinem Grundcharakter“ die Liebe und den Ernst, die er auf jedes Studium verwendete. „Wenn er durch irgend einen Zufall darauf kam, daß ihm die Kenntniß dieses oder jenes Wissens fehlte, sofort stürzte er sich mit aller Macht darauf. Bei großen Ereignissen und Zeitfragen suchte er stets auf die Anfänge zurückzukommen, daher sein in jeder Beziehung klares Urtheil“ (Familienaufzeichnungen). Bei der Redaction des Ausland liefen zu jener Zeit alle geographischen Erscheinungen der deutschen Litteratur und viele der französischen, englischen u. a. ein. Die Reisebeschreibungen, welche eine ganz andere, wichtigere Stelle einnahmen als jetzt, da viel mehr wissenschaftliches Material in ihnen verarbeitet wurde, lieferten in langen Auszügen einen großen Theil des Stoffes, der die Spalten dieser Zeitschrift füllte. P. legte sich die, wenn sie gut ausgeführt werden soll, nicht leichte Arbeit der Auslese und Verdichtung großer Thatsachenmengen großentheils selbst auf und die 16 Bände des Ausland, welche unter seiner Leitung erschienen, werden bis heute gerade wegen der condensirten Reisebeschreibungen, welche sie darbieten, besonders geschätzt. Diese Arbeit führte den jungen Herausgeber unmittelbar in die beste geographische Litteratur seiner Zeit ein. Ihr dankte er einen großen Theil des reichen Wissens, auf welchem seine wissenschaftlichen Arbeiten ruhen. Glücklicherweise war indessen das Ausland zu jener Zeit noch weit entfernt, eine geographische Zeitschrift im engeren Sinn zu sein. Es schloß politische, volkswirthschaftliche, selbst schönwissenschaftliche Beiträge und Betrachtungen nicht aus. Bei diesen mochte P. in den ersten Jahren seiner Redaction Ruhepunkte finden. In den „Politisch-geographischen Rückblicken“ fühlt man die Liebe durch, mit der der einstige politische Schriftsteller zum Leitartikel zurückkehrte, der freilich unter seiner Hand zum Ideal weitblickender publicistischer Erörterung sich erhob. Wenn wir nicht irren, so ist der erste selbständige Beitrag, welchen P. seiner Zeitschrift zuwandte, der Rückblick auf die österreichische Politik im Jahre 1854, ein glänzender Aufsatz, der viel Aufmerksamkeit erregte. Aber einige Nummern später finden wir die neue Redaction schon bereit, zu einem Aufsatze über die alte Geschichte Mexikos, aus der Feder Karl Andrees und Hermann E. Ludewigs, einige kritische Anmerkungen zu geben, welche Zeugniß ablegen, daß dem jungen Geographen eines der schwersten Probleme der Völkerkunde nicht fremd geblieben war. Eine gleichzeitige Darstellung der geographischen und politischen Lage Rußlands und Englands in Asien ist von einer Auffassung der politischen Geographie eingegeben, wie sie so tief und geistvoll keinem der damaligen deutschen Fachgeographen eigen war. Diese Rückblicke waren nicht die einzige Neuerung, welche P. im Ausland einführte. Viel einschneidender war die sehr viel ausgedehntere Mitarbeit des Redacteurs, deren Spuren man im Jahrgang 1855 in einer großen [419] Anzahl der verschiedenartigsten Aufsätze begegnet und welche auch in zahlreichen Anmerkungen zu den eingesendeten Arbeiten sich kundgiebt. Bis zu seinem letzten Redactionsjahr schrieb P. einen großen Theil seiner Zeitschrift selbst. Und seine Beiträge, große und kleine, waren für die Leser der Zeitschrift nie zu verkennen. Die Klarheit der Darstellung, die imponirende, doch oft vielleicht zu weitgehende Sicherheit der Behauptung, die Eleganz der Sprache stechen hell hervor. P. war sein fleißigster und erfolgreichster Mitarbeiter. Die Redaction des Ausland und diejenige der Allgemeinen Zeitung waren seit lange eng miteinander verbunden. Während jene Aufsätze herübernahm, welche für die Allgemeine Zeitung zu geographisch gehalten waren, war der Redacteur des Ausland Rathgeber und Helfer der großen Zeitung in Angelegenheiten, die seinem Ressort nahe lagen. In dieser Verbindung hat P. bis zu seinem Weggang von Augsburg politisch geschriftstellert. Aber die Aufregung dieser Thätigkeit ließ ihn die ruhigere beim Ausland auch gegenüber lockenden Anerbietungen vorziehen, wie sie öfter an ihn herantraten. Am wenigsten verführte ihn das 1855 ergangene Anerbieten, ein in Paris geplantes officiöses deutsches Blatt zu leiten.

Die „Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen“ (1858) ist in tieferem Sinne die erste wissenschaftliche Arbeit Peschel’s, denn an ihr hat er seine Kraft nicht bloß bewährt, sondern auch geschult. Die Vorarbeiten zu diesem Werke zeigen uns weit über die Tagesschriftstellerei hinausreichende Interessen, welchen schon im J. 1852, also lange vor der Uebernahme des Ausland, der vielseitig beschäftigte Redacteur seltene Mußestunden widmete. Die Bibliotheken von Augsburg und München wurden von ihm mit einem Fleiß und einer Sorgfalt durchgearbeitet, welche in zahlreichen sauberen Excerptenheften unsere Bewunderung erregten. Dafür, daß er dem damaligen preußischen Gesandten Minutoli am spanischen Hofe in der Besorgung von Correcturen behilflich gewesen, besorgte dieser ihm Abschriften in spanischen Archiven. Mit dem Aufwande eines gewaltigen Fleißes zusammengetragenes Material fügte sich der in einzelnen Abschnitten schon früh versuchten Ausarbeitung immer von Neuem an und schob die Veröffentlichung des Werks um so mehr hinaus, als Peschel’s Sorge für stilistische Reinheit, womöglich Schönheit ein leichtes Einschieben oder Angliedern nicht zuließ. Der große Vorzug dieses Werkes, einheitlich angelegt und nach einem sehr klaren Plane in jedem Abschnitt harmonisch durchgebildet zu sein, tritt bei dem nahe liegenden Vergleiche mit A. v. Humboldt’s Examen critique de l’histoire de la géographie du Nouveau Continent rasch in die Augen. Hier ist nichts von den Abschweifungen in hundert Fragen, welche dieses letztere Werk ebenso belehrend im Einzelnen wie überschüttend, ja fast verwirrend im Ganzen erscheinen lassen. Peschel’s Geschichte wirkt als historisches Kunstwerk und so wollte er es auch angesehen wissen. Als Historiker, nicht als Geograph hat er diesen großen Abschnitt der Weltgeschichte behandelt. So faßte er selbst sich auf und als die Historische Commission ihm den Auftrag ertheilte, eine Geschichte der Erdkunde in Deutschland zu schreiben, zweifelte er, ob die Annahme zulässig sei, da er sich doch nur als Historiker, nicht als Geograph bewährt habe. Dieses Buch hat das weitere Verdienst, die Persönlichkeiten der Entdecker und vor allem des Columbus selbst unbefangener zu zeichnen, als es bisher meist geschehen war. Nicht überall gefiel es, daß einige Helden um einige Stufen herabstiegen, aber die Wahrheit der Geschichtsauffassung hat durch Peschel’s Arbeit endgültig nur gewonnen.

P. empfand nach jedem neuen Werk, auf dessen Vollendung er zurückblickte, eine Schwächung seines Körpers, eine Erlahmung seiner Spannkraft. Es war [420] ihm, als ob im Streben und Arbeiten sein Geist an der schwachen Hülle zuviel gerüttelt habe und als ob nach jeder großen Anstrengung beide nur in tiefer Ruhe ins Gleichgewicht wieder kommen könnten. Jedes der vier Hauptwerke Peschels zeichnet nicht bloß eine neue Stufe seiner wissenschaftlichen Entwicklung, sondern scheint mit immer größerer Anstrengung dem schwachen Körper abgerungen. Im Frühjahr 1859 stellte sich zum ersten Mal Blutspeien ein, das nach einer Kur im appenzeller Bad Weisbad vollständig schwand. Kaum nach Augsburg zurückgekehrt, empfing P. die Kunde vom Tode seiner Mutter und seines Schwiegervaters. Die Gattin schreibt: „Das gab uns beiden das Gefühl des Alterns.“ In dasselbe Jahr fällt die durch Leopold Ranke übermittelte Aufforderung, die Geschichte der Erdkunde in dem Sammelwerke „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ zu schreiben. Die Redaction des Ausland stellte gleichzeitig erhöhte Ansprüche. 1855 waren durch August Petermann die Geographischen Mitteilungen, 1862 durch Karl Andree der Globus gegründet worden. Beide machten mit Karten und Illustrationen dem Ausland eine so starke Concurrenz, daß P. zu Neuerungen im Aeußeren seiner Zeitschrift und in der Auswahl und Behandlung des Stoffes sich gedrungen fühlte. Da indessen die besten Zeiten für diese Zeitschrift schon vergangen waren, fand er nicht das gehoffte Entgegenkommen bei der Verlagshandlung. Es kam zu einer Kündigung und zu dem Gedanken der Begründung eines Concurrenzunternehmens unter Einsetzung eigener Mittel. P. reiste nach Leipzig, um seinen Plan mit Geschäftsmännern zu besprechen. Endlich entschloß er sich, das Ausland in der Weise fortzuführen, daß er aus einer vom Verlage gestellten Pauschalsumme die Honorare für Aufsätze und Illustrationen bestritt. P. war aber zu großmüthig und zu optimistisch, um in eigenen Angelegenheiten ein guter Finanzmann zu sein; er setzte nur zu und kehrte endlich zu der alt erprobten Form der Leitung des in manchen Beziehungen verjüngten Blattes zurück. Aber er hat von dieser Zeit an das Gefühl nicht überwunden, in dieser ebenso geachteten wie gealterten Zeitschrift eine schwer zu bewegende, noch schwerer umzugestaltende Masse vor sich zu haben. Als die flatterigen grünen Umschläge beseitigt, Papier und Druck verbessert, Illustrationen beschafft worden waren, machte P. die Erfahrung, daß die Erneuerung eines in alten Geleisen sich bewegenden Unternehmens oft schwerer und unfruchtbarer sei, als eine Neuschöpfung. Und doch, was machte er auch nach dieser Zeit aus dem Ausland! Dasselbe war 1828 gleichzeitig mit einem Parallelunternehmen gegründet worden, welches den Namen Inland trug. Dem Titel entsprechend, den es bis 1865 führte, widmete es den größeren Theil seiner Aufmerksamkeit dem „geistigen und sittlichen Leben der Völker“. Es verschmähte auch Beiträge belletristischer Natur nicht ganz und war ursprünglich mehr der Unterhaltung als der Belehrung gewidmet. Als P. die Leitung übernahm, war der geographische Charakter schon ziemlich deutlich ausgesprochen. Die Zeitverhältnisse waren dazu angethan, ihn zu verstärken, denn die Erforschung Afrikas und der Nordpolarländer nahm mit ihrem Wechsel von hohen Erfolgen und erschütternden Niederlagen die Theilnahme weiter Kreise in Anspruch. Eine bändereiche Litteratur populärer Darstellungen folgte den Spuren Franklin’s, Livingstone’s, Barth’s. Eine wachsende Zahl von populären Zeitschriften setzte sich das Ziel, geographische und naturwissenschaftliche Kenntnisse zu verbreiten. Es herrschte eine gewisse Begeisterung für die realistischen Studien. Das war die Geburtszeit des naturwissenschaftlichen Unterrichtes, aber auch der neumaterialistischen Aufklärung. Für Peschel’s Zukunft war es von der größten Bedeutung, daß er gerade jetzt an der Spitze eines Blattes stand, welches diesen Strömungen sich nicht entziehen durfte. Er begann die Fortschritte der Naturwissenschaften zu verfolgen, vertiefte sich in einzelne Zweige derselben, wie Geologie [421] und Anthropologie, mit der ganzen Energie seines Willens und überraschte durch die Klarheit seines Ueberblickes und die Ruhe seines Urtheils. Er legte damit den Grund zu seiner selbstforschenden Thätigkeit auf dem physikalisch-geographischen Gebiete, welche kraft dieser Vorbereitung sich mit der Zeit auf eine nicht viel weniger ausgedehnte Litteraturkenntniß stützen konnte, als ihm für historische Arbeiten längst zur Verfügung stand. P. zeichnete vor vielen Fachgelehrten der Blick für das geistig Bedeutende auch in der naturwissenschaftlichen Litteratur aus. Bekanntlich überwiegt in dieser das Product gelehrter Handwerksarbeit an Masse gewaltig die geistig hervorragenden Erzeugnisse. Hellwald behauptet, daß das Ausland unter allen deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften zuerst gründlich Notiz von Darwins Origin of Species genommen habe. Jedenfalls ist es erstaunlich zu sehen, wie der gerade mitten in den Vorarbeiten zur Geschichte der Erdkunde stehende Mann Zeit fand, sich in die neuen Anschauungen dieses Werkes zu vertiefen, welches mehr als irgend ein anderes in unserem Jahrhundert umgestaltend und fruchtbar auf die Meinungen vom Werden der Welt, von der Schöpfung gewirkt und neue Wege der Forschung geöffnet hat. P. würdigte vollkommen die Bedeutung der neuen Theorie, ließ sich aber weder zu Befehdung noch Anerkennung verleiten, sondern sprach das wahre Wort, welches bis heute Geltung bewahrt hat: „Sie wird sich schwer beweisen lassen, weil dazu eine fortgesetzte Beobachtung durch Jahrtausende nöthig wäre. Sie läßt sich auch nicht völlig widerlegen, weil dazu hunderttausende von Jahren gehören würden.“ P. hat diese vorsichtige Haltung gegenüber der einflußreichsten naturwissenschaftlichen Hypothese unseres Jahrhunderts nie aufgegeben. Würde er am Leben geblieben sein, so hätte er die Genugthuung gehabt, ruhig Denkende auf seine Seite zurückkehren zu sehen. P. nahm dieselbe ruhige Haltung auch anderen Richtungen und Bestrebungen gegenüber ein. Um so bemerkenswerther ist es, daß sein geographischer Sinn ihn die große Bedeutung der Migrationstheorie Moritz Wagners voll würdigen ließ.

Die Geschichte der Erdkunde bis auf Alexander v. Humboldt und Carl Ritter ist das gelehrteste der Bücher, welche P. der Wissenschaft geschenkt hat. Es enthält die größte Fülle von Stoff, es ruht auf der Basis der breitesten und mannigfaltigsten Vorarbeiten, und erschwerte die künstlerische Abrundung mehr als jedes andere. Es liegt das in der Sache selbst. Dazu kommt aber eine Stellung der Aufgabe, welche den Keim des Zwiespaltes in sich selbst trägt. Eine Geschichte der Erdkunde vermag deutsches Verdienst noch viel weniger von nichtdeutschem zu trennen, als die Geschichte irgend einer anderen Wissenschaft. Man erinnere sich an die Expedition, welche Hornemann im Auftrag der britischen Afrikanischen Gesellschaft ausführte, oder an die gemeinsame Reise von Barth, Overweg und Richardson. Man kann nicht Alexander v. Humboldt’s und Moritz Wagner’s Forschungen im nördlichen Südamerika voll würdigen, ohne des zeitlich zwischen beiden stehenden Boussinggault zu gedenken. P. empfand lebhaft die unwissenschaftliche und zugleich unkünstlerische Beschränkung, welche ihm auferlegt werden wollte. Er hat sich derselben so wenig wie möglich gefügt, sein Band zeigt in der langen Reihe der Genossen die umfassendste, kosmopolitischste Darstellung und ist der lesbarste von allen geworden. Man tritt wohl keinem einzigen der berühmten Männer, die mit P. zugleich am Werke waren, zu nahe, wenn man sagt, daß Peschel’s Band der im Sinne des hohen Förderers dieser „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ wirksamste geworden ist. Es ist ein schwerwiegendes Zeugniß für den Einfluß eines so wenig an das große Publicum sich wendenden Werkes, wenn dasselbe nach zehn Jahren in zweiter Auflage erschien. Man darf behaupten, daß die Mittelpunktstellung der Geographie in der Wissenschaft unserer Tage sich seit dem [422] Erscheinen des Kosmos nicht mehr so praktisch bewährt habe, wie in dem lebendigen Interesse, welches von allen Seiten dieser geschichtlichen Darstellung entgegengebracht ward. Da dieselbe sich auch im Zeitraum, den sie umspannt, keine Schranken auferlegt – denn der Beisatz Neuere Zeit auf dem Titel gewinnt erst von S. 230 ab praktische Bedeutung – ersetzt sie nahezu eine Geschichte der allgemeinen Erdkunde, deren die deutsche Litteratur damals noch entbehrte. P. wußte am besten, wie viele Vorstudien noch zu machen waren, ehe die Grundlagen einer solchen Darstellung für gegeben erachtet werden durften. Er verfolgte, was an bedeutenderen Veröffentlichungen zur Geschichte der Erdkunde erschien, er hat auch die Umarbeitung des ersten Drittels seines Buches für die zweite Auflage noch selbst besorgt, aber selbstforschend war er seit dem ersten Erscheinen desselben nicht mehr auf diesem Felde thätig gewesen. Was ein einzelner Mann zu seiner Zeit mit dem Aufwande von sehr viel Kraft leisten konnte, hatte P. vollendet. In unabsehbare Weiten zog sich das zum Theil sehr öde Feld, das durchzupflügen gewesen wäre, wenn dem Ideal einer Geschichte der Erdkunde hätte nähergekommen werden sollen. Fehlt doch allein schon für die Geschichte der Reisebeschreibungen die nöthigste bibliographische Unterlage und ist selbst an provinziellen Vorarbeiten für die Geschichte der Landesaufnahmen und Kartographie deutscher Gebiete fast absoluter Mangel zu constatiren. Es ist vollkommen gerechtfertigt, wenn P. nach Abschluß dieses Werkes mit scharfer Wendung der Geschichte den Rücken kehrt, um der Natur der Erde und der Völker selbst sich zuzuwenden. Seine Geschichte der Erdkunde leidet an Unvollkommenheiten, welche z. B. in der Darstellung der wissenschaftlichen Hilfsmittel, die das 16. Jahrhundert zur Ortsbestimmung aufwenden konnte, in der lückenhaften Behandlung der Thätigkeit eines Ortelius, im Uebergehen so hervorragender Reisender wie Georg Marggraffs und Peter Kolbs sich empfindlich geltend machen. Vielleicht ist selbst einem Carl Ritter nicht genau die Stelle angewiesen, welche er in der Entwicklung der Geographie einnimmt. Größere Unvollkommenheiten liegen im Plan, dem P. sich anbequemen mußte. Aber trotzdem gibt es in keiner Cultursprache ein auf gleich engem Raum gleich inhaltreiches, das Wesentliche aus richtigen Gesichtspunkten erörterndes, den weltgeschichtlichen Zusammenhang geistvoll durchschauendes und, trotz des condensirten Characters, an den bedeutsameren Stellen formvollendet darstellendes Werk wie dieses. In pietätvoll durchgeführter, vielfach verbesserter zweiter Auflage erschien dasselbe 1877. Sophus Ruge in Dresden, welchen P. selbst zum Vollender dieser Neuausgabe bestimmte, hat dieselbe besorgt.

Eine Frucht der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften sind die 1869 zuerst erschienenen und seitdem mehrmals aufgelegten „Neue Probleme der Vergleichenden Erdkunde, als Versuch einer Morphologie der Erdoberfläche“. Die Anregung zu den einzelnen Aufsätzen über Fjorde, Ursprung der Inseln, Geographische Homologien, Deltabildungen, Hebungen und Senkungen der Küsten, welche seit 1867 in den Spalten des Ausland veröffentlicht wurden, empfing P., wie er selbst berichtet, zwar bei den Vorarbeiten zu seiner Geschichte der Erdkunde, besonders den Kartenvergleichungen, welche ihn auf die Naturwidrigkeit vieler Länderformen in den Kartenbildern früherer Jahrhunderte hinführten. Aber der Geist, aus dem heraus sie geschrieben sind, ist im Studium der Geologie und physikalischen Geographie geschult und man erkennt vorzüglich den Einfluß von Lyell, Dana, Darwin. Auch Bernhard v. Cotta’s Arbeiten, die auf der Berührungsgrenze von Geologie und Geographie stehen, und von denen manche im Ausland erschienen waren, mochten nicht ohne Einfluß geblieben sein. In zwei Richtungen haben allerdings jene Vorbereitungen auf die Neuen Probleme hinführen müssen. P. mußte die ganze Weite des brachliegenden Gebietes [423] der Morphologie der Erdoberfläche überschauen, mit dem die Geologie in landläufiger Beschränkung ebensowenig sich abgab, wie die Geographie Ritters. Letztere nannte sich zwar vergleichend, war es aber doch nur in dem Sinne der Vergleichung der Bedeutung der Erdräume für die Geschichte des Menschen, nicht in dem genetischen wie die vergleichende Morphologie, welche nun P. aufzubauen unternahm. Ferner mußten aber die ausgedehnten Studien, welche in der älteren geographischen und Reiselitteratur zu machen waren, auf eine Fülle einzelner Versuche zur Lösung geomorphologischer Probleme führen. Rennell’s Arbeiten über das Gangesdelta, Dana’s geistvolle Bemerkungen über die Fjordküsten in der halbvergessenen Bändereihe der Wilkes Expedition waren sicherlich einem Kenner der Litteratur wie P. nicht verborgen geblieben, eingehend hatte er J. R. Forster’s und Pallas’ Ansichten über das studirt, was er dann treffend geographische Homologien nannte. In der That konnten denn auch die Grundgedanken der Neuen Probleme als ganz neue Entdeckungen nur von solchen bezeichnet werden, denen die eigene Erfahrung der Thatsache mangelt, daß auf allen Gebieten der Wissenschaft die überraschendsten, geistvollsten Ansichten einzeln in Fülle vorgetragen worden sind, so daß Späterkommenden immer mehr nur das Verdienst der Ausprägung oder Legirung übrigbleibt. Peschel’s Verdienst an den Neuen Problemen liegt denn auch mehr in der sicheren Fragestellung und dem klaren methodischen Vorgehen. Daß in den Untersuchungen, welche wesentlich auf dem Vergleiche der ähnlichen Erscheinungen an der Erdoberfläche beruhen, nicht die Erscheinungen selbst in der freien Natur eingehend geprüft, sondern ihre immerhin doch nur schematischen Abbilder in Karten und Büchern zu Grunde gelegt wurden, hat minder geistvolle Nachahmer dazu verführt, überhaupt bloß auf der Karte vergleichende Erdkunde treiben zu wollen. Die Ergebnisse solchen Mißverstehens einer an sich vollberechtigten Methode P. zur Last zu legen, wie es in verständnißloser Weise von übereifrigen Kritikern versucht ward, ist ganz unberechtigt. Dem Bahnbrecher auf diesem Gebiete konnte es gestattet sein, zu zeigen, daß die Karten eine Sprache reden, welche der physikalische oder vergleichende Geograph verstehen soll. Er gab diese Neuen Probleme nicht für schwerwiegende und abschließende wissenschaftliche Untersuchungen aus, sondern erkannte ihnen nur den Werth von anregenden essayartigen Betrachtungen zu. Ihre Form, die geradezu elegant ist, vermeidet es, in Einzelheiten sich zu vertiefen, kann aber wohl dazu dienen, zahlreiche geistvolle Ansichten in raschem Wechsel zum Ausdrucke zu bringen. P. ist in anderen Fällen vor schwierigen Rechnungen und eindringenden Darlegungen nicht zurückgeschreckt; hier wollte er mehr anregen und hinweisen, als selbst Schächte anlegen. Nur ungeschickten Nachfolgern können diese schöngeformten, fesselnden Essays gefährlich werden, nur geschmacklose Lobredner können dieselben als Muster wissenschaftlicher Monographien anpreisen. Man sollte sich freuen, daß ein geistvoller Forscher seine Gedanken, mit deren Ausarbeitung er Bände füllen konnte, in so gedrängter Fülle und so anziehender Form dargeboten hat. Das Büchlein wird in unserer Litteratur seinen Platz behalten, wenn es längst wissenschaftlich antiquirt sein wird. Indessen wird es aber immerhin noch für eine Reihe von Jahren auch den Schülern und Freunden der Erdkunde zum gewinnreichen Studium dienen können.

Ende der sechziger Jahre machte sich an verschiedenen deutschen Hochschulen der Wunsch, Lehrstühle der Geographie zu gründen, lebhafter geltend. Die Theilnahme weiter Kreise an den geographischen Forschungen, von der wir oben gesprochen haben, war nur gewachsen. Es war die Zeit der nationalen Afrika- und Polarexpeditionen, zu welchen Tausende guter Deutscher ihre Scherflein zusammentrugen. Seitdem Alexander v. Humboldt und Carl Ritter aus dem [424] Leben geschieden waren, empfand man das Vorhandensein einer Lücke im geistigen Leben der Nation und besonders an jenen Anstalten, wo künftige Geographielehrer herangebildet wurden. Die deutsche Kartographie stellte sich entschieden an die Spitze, wo blieb die Wissenschaft? Es gab einige Professoren der Geographie an deutschen Hochschulen, aber keinen entfernt ebenbürtigen Nachfolger Carl Ritters. Die Geschichte der Erdkunde und die neuen Probleme zeigten, daß P. an Geist und Vielseitigkeit alle anderen Geographen überragte, die zu dieser Zeit in Deutschland thätig waren. Mit Recht schloß man aus seiner Darstellungsweise, daß er ein anregender Lehrer sein werde. Eine ganze Reihe gelehrter Gesellschaften, darunter die Münchener Akademie der Wissenschaften und die von Madrid, hatten ihn mit ihrer Mitgliedschaft belehnt. Mit dem damals neu begründeten Polytechnikum zu München knüpften sich zuerst Verhandlungen, denen die Universität derselben Stadt sich anschloß, es kam eine vertrauliche Anfrage aus Berlin, dann ein Ruf nach Graz, der abgelehnt ward, und endlich der Ruf nach Leipzig, den P. im Spätjahr 1870 annahm. Von München aus wurden auch, nachdem P. um Ostern 1871 nach Leipzig übergesiedelt war, noch Versuche gemacht, ihn zu gewinnen, aber nun vergebens. Vorher würde P. München vorgezogen haben, denn ihm ruhte seit kurzem das liebste Kind auf dem dortigen südlichen Kirchhof. Nun blieb er, von der sächsischen Regierung mit dem Titel eines Geheimen Hofrathes geehrt, bis an sein frühes Ende der gerade damals herrlich aufblühenden Universität Leipzig erhalten.

P. trat in die akademische Lehrthätigkeit, die ihm weitere Bahnen öffnete und zugleich ihn wesentlich entlastete, nicht mit triumphirenden Gefühlen ein. Es klingt wie Resignation aus seinen Briefen, die er zu dieser Zeit an Freunde richtete. Seine körperlichen Kräfte waren seit der Veröffentlichung der Geschichte der Erdkunde gesunken. Ein Sturz, den er im März 1858 that und der ihm eine mehrere Wochen andauernde Gehirnerschütterung zuzog, blieb vielleicht nicht ohne Einfluß auf ein Leiden, das seit 1864 in zunehmender Gereiztheit des Nervensystems sich ankündigte. Der Krieg des Jahres 1866 brachte ihn, den entschiedenen Anhänger kleindeutscher Politik, in scharfen Gegensatz zu vielen Freunden. Eine ganze Reihe naher Anverwandter waren im baierischen Heere ins Feld gezogen und die Familie seiner Gattin hatte Gefallene zu betrauern. Dazu kam die Verstimmung über die inneren Verhältnisse Baierns. Ein Artikel in der Allgemeinen Zeitung, welchen er zur Vertheidigung des arg beschuldigten Prinzen Karl schrieb, war ein Ausfluß der Erregtheit seines ritterlichen Gefühles über die schmähliche Verurtheilung, welche hoher und niederer Pöbel den Führern der besiegten Armee zu Theil werden ließ. Der Prinz berief ihn ins Hauptquartier nach Ansbach, wo ihm Einsicht in sämmtliche Operationsjournale und Depeschen verstattet wurde. Feldmarschall v. d. Tann, damals Generalstabschef, bewahrte ihm lebenslang treue Freundschaft. 1867 und 1868 ließen in emsiger Arbeit den Grund zu den Neuen Problemen und der Völkerkunde legen. P. war sicher, daß in nicht ferner Zeit die Berufung in ein akademisches Lehramt an ihn ergehen werde und suchte, wol mit im Hinblick darauf, seine wissenschaftliche Basis besonders nach der naturwissenschaftlichen Seite hin mit aufreibendem Fleiße zu verbreitern. Im Frühling 1869 besuchte er Venedig, Florenz, Rom und Neapel, um Studien über ältere Karten zu machen. Und im darauffolgenden Sommer empfing er den schwersten Schlag durch den Tod seines jüngsten achtjährigen Töchterleins, mit welchem besonders seit dem stürmischen Sommer 1866 ein inniges Verhältniß, daß man fast Freundschaft nennen konnte, ihn verband. Die Witwe schreibt: „War Oskar recht aufgeregt, so nahm ihn das noch nicht sechsjährige Mädchen an der Hand und [425] sie wanderten miteinander in den Garten und der Vater wurde durch ihr kluges Geplauder und ihre Aufmerksamkeit auf jedes Blatt erheitert und beruhigt.“ Als dieses Kind im August 1869 gestorben war, erholte sich P. niemals mehr ganz von seinem tiefen Schmerze. Er schrieb an Hellwald: „Der harte Schlag hat mich tief gebeugt und mächtig umgewandelt. Man wird sehr ernst, wenn das Liebste auf Erden unwiederbringlich verloren ist. Mit dem seltsam begabten Kinde bestand ein ganz eigener Verkehr, so daß mir ist, als hätte ich obendrein mein jüngstes Schwesterchen nicht mehr.“ Der Ort, wo dieses Liebste ihm entrissen worden war, blieb für P. nicht mehr derselbe. Er wartete nur die Gelegenheit ab, um Augsburg zu verlassen und hatte die Leiche seines Kindes in ein Familiengrab zu München legen lassen. Weder die Reihe ehrenvollster Berufungen noch die Freude über die Siege Deutschlands im folgenden Jahre hob seine Zuversicht. Er schrieb von der trüben Stimmung, welche ihn überwältige, wenn eine Pause in der geschichtlichen Spannung eintrete, weil der Verlust, den er erlitten, noch unverschmerzt sei.

Der Antritt des akademischen Lehramtes brachte neue Aufregungen. Für die pädagogische Seite des neuen Berufes hatte P. seine Vorbereitung in einem Aufsatze „Die Erdkunde als Unterrichtsgegenstand“, der 1868 in der deutschen Vierteljahrsschrift erschien, glänzend bezeugt. Aber die Vorlesungen, deren erste über physische Erdkunde P. im Sommer 1871 hielt, mußten ganz neu geschaffen werden. P. schrieb keine ausführlichen Collegien nieder, bereitete sich aber zu einem kurzen Dictat der Hauptpunkte jeder Vorlesung, welches er dann frei erläuterte, so sorgfältig vor, daß Klarheit und Sicherheit als Vorzüge seiner Vortragsmethode allseitig gerühmt werden. Sein Vortrag war nicht schwungvoll, hatte aber hinreißende Momente, die Schüler Peschel’s heute noch nicht vergessen haben. „Da war kein Wörtchen zuviel, keins zu wenig, wie Cristalle schloß alles scharf aneinander; es war leicht, ihm zu folgen, das Gesagte zu behalten.“ (J. Löwenberg.) In den späteren Semestern arbeitete P. mit seinen Schülern im ersten geographischen Seminar, das an einer deutschen Universität errichtet wurde. Seine Vorlesungen waren stark besucht, seine Zuhörer und Schüler verehrten ihn und empfingen einen tiefen Eindruck von seinem Wissen, seinem liebenswürdigen, offenen Charakter. Sie waren bewundernde und ergriffene Zeugen eines aufopfernden Pflichtgefühles, mit welchem sich P. in den letzten drei Semestern, in denen sein Rückenmarksleiden zum Ausbruch gekommen war, zur Universität fahren und zum Katheder führen ließ. Der Vervollständigung der Collegienhefte waren die letzten Arbeiten Peschel’s gewidmet. Dem Tode nah, besorgte er noch die Ankündigung der Vorlesungen für das Wintersemester 1875/76, welches seinen Lehrstuhl verwaist sah. Bis zu seinem Tode blieb er vollständig und mit der gewohnten Sorgfalt angekleidet. Er hatte den Tod kommen sehen, seitdem alle Kuren in Gastein, am Vierwaldstättersee, mit Electricität den Fortschritt der vom Rückenmark ausgehenden Muskelatrophie nicht hatten aufhalten können. Er starb bei Bewußtsein gegen Mittag des 31. August 1875.

Das Werk der letzten Jahre Peschel’s ist die „Völkerkunde“, welche 1874 erschien und heute in sechster Auflage vorliegt. Auch die Anfänge dieser Arbeit reichen in die Auslandzeit zurück und ein großer Theil war bei der Uebersiedlung nach Leipzig vollendet. Die ersten Vorläufer waren jene Aufsätze über die „Rückwirkung der Ländergestaltung auf die menschliche Gesittung“, welche seit 1867 bei ihrem Erscheinen in jener Wochenschrift nicht geringeres Interesse erregten als früher die Neuen Probleme. In diesen hatte P. der physikalischen Geographie neue Wege gewiesen, nun versuchte er die sog. Ritter’sche Auffassung der Geographie an den völkerkundlichen Thatsachen zu prüfen. Es war [426] viel Mißbrauch mit der Auffassung der Erde als einer Schule des Menschengeschlechtes getrieben worden. Carl Ritter war zu seiner stark zur Teleologie neigenden Richtung in der Zeit der Herrschaft der deutschen Naturphilosophie gekommen; es klebte ihr manches Unklare an. Gerade dieser Seite der Ritterschen vergleichenden Erdkunde bemächtigten sich die Nachtreter, welche nicht sehr weit von der Behauptung hielten, daß der Mensch das Erzeugniß des Bodens sei, auf dem er aufwachse. Die Volney’sche Anschauung, daß die charakteristischen Züge der mongolischen Rasse im Kampf der Gesichtsmuskeln mit dem Steppenstaub und der Wüstensonne sich ausgebildet hätten, schien ihnen nicht unbegründet. Daß Einflüsse der äußeren Natur auf die Natur unseres Körpers nicht den Geographen, sondern den Physiologen zur Erforschung zuzuweisen seien, fiel ihnen nicht ein. Die schwierigsten Probleme wurden durch Behauptungen im Stile der Carus’schen Unterscheidung der Menschen in Tag-, Dämmerungs- und Nachtvölker erledigt. So kam es, daß nach Carl Ritter das fruchtbare Gebiet der Naturbedingtheit geschichtlicher Erscheinungen zu verwildern drohte. Peschel’s kritisches Eingreifen geschah etwas rasch und einseitig. Mit Unrecht befehdete er Carl Ritters Teleologie als die Hauptursache der Ergebnißlosigkeit dessen, was man heute anthropogeographische Studien nennen würde. Er drang nicht bis zur Unterscheidung der geographischen und physiologischen, der mechanischen und statischen Momente in der Rückwirkung der Natur auf die Völker vor, sondern blieb wesentlich auf dem Boden seines Vorgängers stehen, suchte jedoch diesen Boden einzuengen und zugleich schärfer zu begrenzen. Man erkennt hier die Grenzen seines im höchsten Sinne formalen Talentes, dem zwar manche tiefste Probleme verschlossen sind, das uns aber gleichzeitig durch das selbständige combinirende Vorgehen auf den allerentlegensten Gebieten in Erstaunen setzt. P. gab die erste klare, umfassende Darlegung der Ergebnisse der anthropologischen Studien in dem Abschnitte über die Körpermerkmale der Menschenrassen. In dem Streit über Arteinheit, Alter und Urheimath des Menschengeschlechtes nimmt er nach keiner Seite Partei, sondern legt die Thatsachen unbefangen vor den Leser. Diese beiden Abschnitte hätte unter den damaligen Anthropologen so nur K. E. v. Baer schreiben können. Es ist auch nichts Besseres seitdem erschienen. Das negative Resultat, daß nichts in den Körpermalen zu einer scharfen Zerlegung der Menschen in Rassen zwinge, gilt bis heute. In den Abschnitten, welche von den ethnographischen Merkmalen der Völker, Sprachen, Tracht, Wirthschaft, Hüttenbau, Waffen, gesellschaftlicher Gliederung handeln, tritt P. energisch der Annahme entgegen, daß in der Menschheit der Gegenwart Urzustände fortdauern. So wie er den Affenmenschen auf dem anthropologischen Boden zurückwies, bekämpfte er die Persistenz des Urmenschen auf dem ethnographischen. Die nur scheinbar geistreichen, im tiefsten Grunde dilettantischen Arbeiten Lubbocks, welche damals, wie alles derartige, rasch Schule machten, fanden an ihm einen strengen Richter. Der Abschnitt über die Entwicklung der Religionen enthält eine fesselnde, geistvoll und schön geschriebene Uebersicht der geistigen Entwicklung der Menschheit. Er ist, auf dem Boden der Annahme zahlreicher selbständiger Götzen-, Götter- und Mythenschöpfungen stehend, vielleicht nicht der tiefste, aber jedenfalls der anziehendste Abschnitt des Buches, das in der die Schilderungen der einzelnen Völker enthaltenden zweiten Hälfte nicht ganz so gleichmäßig gearbeitet ist. Schmerzlich fühlt man bei den unvermuthet sich aufthuenden Lücken, wie die sorgfältig vollendende Hand ermattete und erinnert sich der Klage des Erkrankten über das schwere Buch, wie es auf ihm laste.

P. stand nach Anlage und wissenschaftlicher Richtung A. v. Humboldt näher als Carl Ritter. Den Spuren eines eindringenden Studiums der naturwissenschaftlichen und entdeckungsgeschichtlichen Schriften des ersteren begegnet [427] man bei P. überall. In der überreichen Litteratur des 100jährigen Geburtstages des großen Geographen überragt Peschel’s Würdigung der wissenschaftlichen Verdienste A. v. Humboldt’s weitaus alles, was von geistvollster und wissenschaftlich berechtigtster Seite sonst vorgebracht wurde. Kein Zeitgenosse war an vielseitigem Wissen und litterarischem Können A. v. Humboldt so nahe verwandt wie P., der daher unter den Gelehrten, welche sich 1869 unter Führung von Karl Bruhns zur Herausgabe einer dreibändigen Humboldtbiographie vereinigten, sicherlich der berufenste war. Es ist zu bedauern, daß ihm nur ein kleiner Antheil an diesem Werk verstattet war, welcher 1872, also bereits in der Zeit der abnehmenden Kräfte erschien. Was aber P. über A. v. Humboldt’s Verdienste um Erd- und Völkerkunde, Staatswirthschaft und Geschichtschreibung auf dem engen Raum von drei Bogen sagt, zeigt ihn als einen gewiegten Kenner gerade dieser Seiten der Thätigkeit A. v. Humboldt’s. Man empfindet so recht die tiefere Aehnlichkeit der wissenschaftlichen und litterarischen Richtung, welche beide Männer wie Meister und Schüler verwandt erscheinen läßt, wenn man sieht, mit welcher Sicherheit sich P. auf den Forschungswegen des großen Reisenden und Schriftstellers bewegt. Ihm war vermöge seiner publicistischen Vergangenheit auch die staatenkundliche Richtung des vielseitigen Geistes, welche in den halb statistischen Werken über Mexiko und Cuba Ausdruck fand, vertrauter als allen anderen Beurtheilern. Vorzüglich hat aber P. über die Bedeutung des Kosmos Worte gesprochen, die nur aus der tiefsten Selbsterfahrung geschöpft werden konnten.

Wir nennen zum Schluß einige hervorragende Arbeiten Peschel’s, welche in der bisherigen Darstellung noch keine Erwähnung gefunden haben. Gemeinsam mit Richard Andree und unterstützt von seinen Schülern Krümmel und Putzger gab P. den „Physikalisch-Statistischen Atlas des Deutschen Reiches“ heraus, dessen Erscheinen (1876) er nicht mehr erlebte. In gesunden Tagen hatte er den Plan entwerfen helfen, die Krankheit drückte aber seinen Antheil an der Ausarbeitung auf ein Minimum herab, und er konnte nur einige der Karten selbst noch prüfen. Die 1869 bei Münster in Venedig erschienene Sammlung der Karten des Andrea Bianco versah er mit eingehenden Begleitworten in der bescheidenen Form einer Vorrede. An den großen Serien von Volks- und Jugendschriften, welche der Buchhändler Otto Spamer herausgab, theilweise auch selbst verfaßte, betheiligte sich P. mit einigen Beiträgen zu dem „Buch berühmter Kaufleute“. Seine akademische Antrittsvorlesung „Die Theilung der Erde unter Papst Alexander VI. und Julius II.“ erschien 1871 im Druck. Erst nach seinem Tode erschien eine Auswahl größerer Aufsätze Peschel’s, welche J. Löwenberg als „Abhandlungen zur Erd- und Völkerkunde“ in drei Bänden herausgab. Die im ersten Bande stehende größere Abhandlung „Der Ursprung und die Verbreitung einiger geographischer Mythen im Mittelalter“ ist eine Vorarbeit zur „Geschichte der Erdkunde“, welche schon 1854 in der Deutschen Vierteljahrsschrift erschienen war. Von Schülern Peschel’s nach Collegienheften bearbeitet sind die „Physische Erdkunde“, welche G. Leipoldt in zwei Bänden und die unvollendete „Europäische Staatenkunde“, welche O. Krümmel herausgab.

Peschel’s Geist war fein, schöpferisch, kritisch und geduldig. Seine Bedeutung lag, wie bei jedem großen Gelehrten, in der Vereinigung so heterogener Eigenschaften. Es ist sehr bezeichnend, daß P. lange zwischen der belletristischen und publicistischen Thätigkeit schwankte und daß vielleicht nur der zufällig bei ihm sehr früh auftretende Wunsch nach einer festen Lebensstellung zu Gunsten der letzteren entschied. In den frühesten Arbeiten, die wir kennen, der Doctordissertation und jener ersten wohl bezeugten Correspondenz in der Allgemeinen Zeitung, deren wir bereits Erwähnung zu thun hatten, durchglüht das Feuer [428] einer jungen Dichterseele den gehobenen und oft kühnen Ausdruck. Die Welt- und Menschenkenntniß, die überlegene Beurtheilung von Ereignissen, welche den reiferen Sinn ergrauter Männer zu umwölken vermochte, würde uns noch mehr erstaunen, wenn wir nicht daran dächten, daß ein intuitiver Geist diese Correspondentenfeder lenkte. Seine Freunde glaubten, daß P. recht daran gethan habe, sich nicht der Dichtkunst in die Arme zu werfen, da seine Begabung ihnen zu deutlich nach der anderen Seite zu weisen schien. Er hat selbst keinen Werth auf seine dichterischen Gaben gelegt, denn er bewahrte kein Erzeugniß seiner Muße auf und es fand sich gar nichts der Art in seinem Nachlasse vor. Aber wir verfolgen bis in sein letztes großes Werk hinein, in die Völkerkunde, zwei Ausstrahlungen dieser schönen Gabe, welche ebenso wol den spröden Stoff zahlloser Thatsachen kühn umzuschaffen und zum Fruchtboden blühender Gedanken zu machen, als denselben in eine anziehende, ja gewinnende Form zu bringen vermochte. Wenn diese poetische Anlage nicht genügte, um große Werke der Dichtkunst auszugestalten, so belebte oder verlebendigte dieselbe den scharfen Verstand des Denkers und gab seinen wissenschaftlichen Hervorbringungen eine Form, welche glauben lassen konnte, daß auch nach Alexander v. Humboldt ein großer Geograph die Nationallitteratur mit gelehrten und schönen Arbeiten bereichern werde. Peschel’s Bedeutung für die Geographie liegt daher nur theilweise auf der wissenschaftlichen Seite, ein nicht geringer Theil derselben führt auf die litterarischen Verdienste zurück. Die rasch hintereinander folgenden Auflagen, welche einige von seinen Werken erlebten, sprechen es deutlich aus, daß nicht bloß das wissenschaftliche Publicum sich durch dieselben angezogen fühlte. P. hat nichts Unlesbares geschrieben und pflegte die Form, wie er selbst öfter betont hat, mit Bewußtsein, im Gegensatz zu den meisten deutschen Gelehrten, die nach Goethe’s Ausspruch die Gabe besitzen, die Wissenschaften unzugänglich zu machen. Damit ist aber auch schon ausgesprochen, daß Peschel’s wissenschaftliche Thätigkeit hauptsächlich auf jenen Gebieten der Geographie sich bewährte, welche dem Verständniß des Publicums näherliegen, weil sie wenig Voraussetzungen machen und nicht in Sprachen voll dunkler Formeln und Zahlen reden: den geschichtlichen, völkerkundlichen, politischen und wirthschaftsgeographischen. Wo er auf das Gebiet der physikalischen Geographie überging, bot er keine tief eindringenden, zu endgültigen Ergebnissen kommenden Untersuchungen, sondern er schritt anregend, anbahnend vor. Auch beruhen diese Arbeiten alle nicht auf unmittelbarer Beobachtung der Natur. Sie sind im Studium der Litteratur und der Karten entstanden. Keine von ihnen ist bloß für den Fachmann geschrieben und es legt keine einen Schacht an, der dann von Nachfolgern in directer Richtung auf die tiefste Stelle des Problems fortgegraben werden konnte. Es prägt sich überhaupt in allem, was P. geschrieben hat, eine andere Auffassung von gelehrter Thätigkeit aus, als sie in Deutschland und besonders an den Universitäten in Geltung steht. Nie wird die Fühlung mit dem gebildeten Publicum ganz aufgegeben und als die größte Kunst gilt, gründlich zu sein, ohne langweilig oder gar unverständlich zu werden. Nur ein vielseitiger, scharfsinniger, durch tiefe und ausgedehnte Studien genährter Geist konnte auf dieser Grenze sich bewegen, ohne seicht zu werden. Es ist wahrscheinlich, daß P., wenn er das Leben erhalten hätte, immer mehr dem Reize, Wahrheit zu suchen, nachgegeben und auf die Form der Darstellung nur den Werth einer Eigenschaft zweiten Ranges gelegt haben, daß er zuletzt doch mehr der Wissenschaft als der Litteratur angehört haben würde.

P. schrieb in den ersten rein publicistischen Jahren seiner Thätigkeit einen Stil, den man blühend nannte. Die Schätzung einer ausgeschmückten Schreibweise war damals eine allgemeinere als heute. In den Spalten der Allgemeinen [429] Zeitung erschienen äuch sehr inhaltreiche und klare gedachte Abhandlungen gern in einer stilistischen Toilette, der man ein wenig die Absicht, zu gefallen, anmerken durfte. Die brutalen Thatsachen hatten die kleinen Verschönerungskünste nicht ganz verdrängen können. Ja, man gewinnt den Eindruck, als ob nach 1848/49 auch im Stil eine Periode der Restauration eingetreten sei. Peschel’s Ideen waren jedenfalls in der ersten Hälfte der 50er Jahre moderner als ihre Einkleidung. Und doch gewann ihm zunächst diese mehr Beifall als jene allein es vermocht hätten. Der Mann, welcher in ein angesehenes Blatt, wie die Allgemeine Zeitung, schrieb, stand in immer sich erneuernden Beziehungen mit dem Publicum. Erschien einer von Peschel’s glänzenden Aufsätzen, so liefen Briefe von allen Seiten ein, welche Beifall und Zustimmung in oft enthusiastischen Lobesreden aussprachen, hauptsächlich aber neugierig nach dem Namen des Verfassers sich erkundigten. Auch abgehärtete Tagesschriftsteller verschmähen nicht die Reize eines solchen Rapportes mit dem Publicum, und wir begreifen, daß es P. wohlthat, als der erste selbständige Aufsatz, welchen er im Ausland nach Uebernahme der Redaction erscheinen ließ, eine derartige Beifallssalve hervorrief. Ein großer Theil der Vorzüge des Stiles von P. ruhte indessen auf der geistigen Seite. Die klaren, scharf umrissenen Gedanken schufen sich eine entsprechende Form des Ausdruckes. Ein anderer Theil gehört der nervös feinen Empfindung an, der die Hypothese einer asiatischen Abstammung der altamerikanischen Cultur „widerwärtig“ erscheint, die „mit Unwillen“ den Gedanken eines Herabsteigens der Urarier vom Pamir zurückweist, dagegen die Wahl Turkestans als Urheimath arischer Völker „verführerisch“ findet, auch mit Vorliebe Worte wie geographisches „Verhängniß“, „geheimer Sinn“ der Uferlinien, u. dgl. anwendet. Daß das genaue Maß bei diesem Hervortreten der Empfindung leicht verloren geht, ist kaum zu verwundern und man gewöhnt sich an die leichte Uebertreibung des Ausdrucks, mit welcher die südlichen Nordseeküsten als der Schauplatz der heftigsten Verwüstungen bezeichnet werden, welche gegenwärtig die Geschichte unseres Planeten kennt u. dgl., als nothwendiges Zubehör dieser individuellen, jeder Zeit lebhaft gestimmten, pulsirenden Schreibweise.

Mit alledem hat P. das große Verdienst, die Stellung der Geographie als Wissenschaft neben den Schwesterwissenschaften befestigt zu haben. Von seinen Neuen Problemen ging die Anregung zur Gewinnung des an die Geologie verlorenen Gebiets aus, und daß P. die historische und die naturwissenschaftliche Seite mit gleichem Geiste vertrat, ist vorbildlich für seine hervorragendsten Nachfolger geworden. P. hat eine im Vergleich zu der Kürze seiner Lehrthätigkeit große Anzahl von Schülern ausgebildet und eine ganze Reihe derselben ist wissenschaftlich thätig geworden. Dennoch kann man nicht von einer Schule im üblichen Sinne dieses Wortes sprechen, denn eine so eigenartige Individualität kann gerade ihr Bestes, das, was sie auszeichnet, nicht übertragen. Auch hatte P. noch keine eigenen Methoden ausgebildet, die er wie fertige Werkzeuge seinen Schülern hätte übergeben können. Schriften wie die Leipoldts über die mittlere Höhe Europas oder Krümmels Morphologie der Meeresräume deuten indessen an, daß P. planvoll vorgegangen sein würde, um seine Schüler an die Lücken der geographischen Forschung hinzuführen und in den Neuen Problemen wie in der Völkerkunde waren Wege beschritten, welche über A. v. Humboldt und Ritter hinausführen mußten. Peschel’s Lehrwirksamkeit war nicht zu kurz bemessen, um zahlreiche Anregungen auszustreuen, und um die begeisterte Anhänglichkeit einer großen Zahl von Schülern sich zu sichern, aber es war ihm nicht vergönnt, die Früchte seiner Unterweisung im Heranreifen zu überwachen. Es trat einiges Unreifes zu Tage, was zusammen mit den ungemessenen Lobesergüssen von nicht ganz Urtheilsfähigen, die sich auf eigene Faust unter Peschel’s Anhänger eingereiht [430] hatten, bald nach seinem Tode eine theilweise entsprechend sich übernehmende Kritik hervorrief. Leider fand diese auch in der nicht immer ganz gelungenen Art der Herausgabe von Peschel’s hinterlassenen Schriften einigen Anlaß, sich zu äußern. Diese Schwankungen sind vorübergegangen und P. steht heute als der nächst Carl Ritter um die Entwicklung der wissenschaftlichen Geographie in Deutschland verdienteste Gelehrte und als der würdige Nachfolger A. v. Humboldt’s auf dem Gebiete geographisch-litterarischer Thätigkeit da.

Wir haben P. als eine fein empfindende, sanguinische, bewegliche Natur kennen gelernt. Dieser Grundton schloß die Kraft nicht aus. Bei aller Liebenswürdigkeit konnte dieses Herz auch herbe sein und schrak nie vor dem Ausdruck der Ueberzeugung zurück. Ein hervorragender Zug war die deutschpatriotische Gesinnung, welcher P. bei jeder Gelegenheit Ausdruck verlieh. Geborener Sachse, in Baiern lebend, durch Geist und Wissenschaft gerecht gegenüber dem Individuellen in Staaten, Provinzen, Städten, wie er denn für sein Adoptivvaterland Baiern und besonders Augsburg stets ein auf tiefster Kenntniß begründetes Verständniß bewies, ist P. unter die frühesten und entschiedensten Vertreter des deutschen Reichsgedankens in Süddeutschland zu rechnen. Ohne mit dieser Gesinnung auf den Markt zu treten, hat er für dieselbe gewirkt und gestritten. Peschel’s Formen waren im persönlichen Verkehr und in der Schrift verbindlich und es ist bezeichnend, daß, so offen er auch seine wissenschaftlichen und politischen Ansichten vertrat, litterarische Fehden ihm fast ganz erspart blieben.

Mittheilungen und Aufzeichnungen der Witwe Peschel’s, von J. Löwenberg und aus dem Kreise der augsburger Freunde und der leipziger Schüler und Freunde. – Oskar P., sein Leben und Schaffen von Friedrich v. Hellwald. 1876. – Nachruf von Georg Ebers. Mitth. d. V. f. Erdkunde zu Leipzig. 1875. – Oskar P. und die Erdkunde. Von Heinrich Pahde (Progr. Mühlheim a. d. Ruhr. 1879). – Kürzere Lebensbeschreibungen von Richard Andree im Daheim XII. Jahrg., von F. v. Hellwald im Ausland 1875, Nr. 41 und der Allgemeinen Zeitung 1875, Nr. 265 (Beil.), von W. in der Deutschen Rundschau f. Geographie, VII. Jahrg. H. 12. – Zur Würdigung seiner Wirksamkeit finden sich werthvolle Beiträge in F. v. Richthofen, China I. und in den methodologischen Berichten H. Wagner’s im Geographischen Jahrbuch seit 1878. In den letzteren ist die mit Peschel’s Anregungen sich beschäftigende Litteratur bis zur Gegenwart herab zusammengestellt. Bildnisse Peschel’s finden sich in den Biographien von F. v. Hellwald, R. Andree, G. Ebers und J. Löwenberg.