ADB:Pierson, Karoline
[WS 1] Burdach verstand es, ihr poetisches Talent zu fördern. Auch ihrem Verwandten, dem berühmten Archäologen Dr. Pescheck, verdankte sie viel, so daß ihr, als sie später als Improvisatrice auftrat, eine tüchtige wissenschaftliche Bildung dienstbar war. Auch über eine schöne Singstimme verfügte sie, und da sie viel Lebhaftigkeit bei ihren Vorträgen entwickelte, so rieth ihr ihr Landsmann Heinrich Marschner, sich für die Bühne auszubilden; allein Familienverhältnisse und vor allem des jungen Mädchens Neigung für litterarische Arbeiten verhinderten dies. Der Schule entwachsen, ging Karoline nach Dresden, wo sie unter dem Schutze einer würdigen Dame lebte und schriftstellerisch thätig war. Friedrich Kind, Ludwig Tieck u. A. zollten ihren Arbeiten gebührende Anerkennung, und besonders der erste war es, der sie in litterarische Kreise einführte, ihr die nöthige Unterstützung und Anregung zur Vertiefung ihrer Bildung gewährte und ihr namentlich eine weitgehende Perspective in die Gesetze der Prosodik und Metrik eröffnete. Im J. 1834 trat sie mit einer Sammlung ihrer Gedichte u. d. T.: „Liederkranz“ an die Oeffentlichkeit. Friedrich Rückert spendete diesen Liedern warmes Lob; C. G. Reissiger, Jul. Otto, C. E. Hering, Otto Nicolai setzten mehrere derselben in Musik, und selbst Wolfgang Menzel, der abgesagte Feind aller Frauenpoesie, sprach ein günstiges Urtheil über sie. Dann folgten die Texte zu den Opern „Conradin von Schwaben“ (1834, Musik von C. E. Hering) und „Bertha von Bretagne“ (1835, Musik von J. Rastrelli). Im J. 1836 verheirathete sich Karoline mit dem unter dem Namen J. P. Lyser bekannten Schriftsteller, einem Sohne des Dresdener Hofschauspielers Burmeister; doch war die Ehe, der zwei Töchter entsprossen, nicht glücklich und wurde nach sechs Jahren wieder getrennt. In dieser Zeit lieferte sie zahlreiche Beiträge zu den von ihrem Gatten herausgegebenen Sammelwerken „Abendländische Tausend und eine Nacht“ (1838–39) und „Abendländische Einhundert und eine Nacht“ (1840), schrieb u. d. T.: „Charakterbilder für deutsche Frauen und Mädchen“ (1838) eine Reihe von Novellen, denen sie 1842 eine zweite Sammlung „Novellen“ folgen ließ, ferner das Drama „Meister Albrecht Dürer“ (1840; 2. Aufl. 1871), eine ihrer besten Leistungen, und gab das Taschenbuch „Herbstgabe“ (1839–41) heraus, dessen Inhalt später u. d. T.: „Zehn Novellen“ (III, 1842) erschien. Die Beschäftigung mit dem Leben und Dichten der Luise Karschin, deren Biographie [59] sie auch schrieb, erweckte in ihr die Lust, sich auch öffentlich, wie sie es ja privatim so oft mit Erfolg gethan, als Stegreifdichterin zu bethätigen. Friedrich Rückert, dem sie mehrere Proben von ihrem Talent in Erlangen geboten hatte, ermuthigte sie, ihren Entschluß auszuführen, durch ein Gedicht, das die Dichterin ehrte und für sie, da es in der Frankfurter „Didaskalia“ abgedruckt wurde, der beste Empfehlungsbrief ward. So trat sie denn von 1840 bis 1843 in den größten Städten Deutschlands mit kaum geahntem Erfolge als Improvisatrice auf; an den Höfen zu Berlin, Wien, Hannover, Dessau, Bernburg, Pesth (zur Zeit des Erzherzogs Joseph) wurde sie ausgezeichnet und vom Könige von Hannover an die englische Königin Victoria empfohlen, die sich für die Dichterin interessirte und ihr einen Empfehlungsbrief an König Leopold I. von Belgien übergab. Im J. 1844 verheirathete sich Karoline mit dem englischen Tondichter Henry Hugo Pierson, der einige Zeit Professor an der Universität in Edinburg war, aber aus Vorliebe für Deutschland sich hier dauernd niederließ. Ihm zu Liebe gab Karoline ihre bisherige Thätigkeit als Stegreifdichterin auf, um sich nun ganz ihren Pflichten als Gattin und Mutter zu widmen. Sie lebte in der Folge mit ihrer Familie in Wien, Mainz, Würzburg, Stuttgart, Hamburg und zuletzt in Leipzig, wo sie am 28. Januar 1873 ihren Gatten durch den Tod verlor. Zwar hatte ihre Feder in dieser Zeit nicht ganz geruht; aber erst seit dem Jahre 1860 konnte sie ihrer schriftstellerischen Thätigteit mehr Zeit und Muße widmen, und hat sie seitdem unter dem Pseudonym R. Edmund Hahn noch eine stattliche Reihe von Romanen geschrieben; z. B. „Das Dokument“ (1865), „Starhemberg oder: Die Bürger von Wien“ (1865), „Ein Jahr in der großen Welt“ (II, 1866), „Das graue Haus in der Rue Richelieu“ (1867), „Hohenzollern und Welfen“ (III, 1867–69), „Schloß Hrawodar“ (III, 1870), „Die Sklaverei der Liebe“ (II, 1872), „Die falsche Gräfin“ (1873), „Der Zögling des Diplomaten“ (III, 1876), „Zu früh vermählt“ (1876), „Schöne Frauen“ (II, 1881), „Im Park zu Rodenstein“ (II, 1881), „Die beiden Gräfinnen“ (II, 1884), „Die Geheimnisse des Waldschlosses“ (II, 1885), „Ehen werden im Himmel geschlossen“ (1886), „Das Erbfräulein“ (II, 1889) u. a. Nach dem Tode ihres Gatten hatte Karoline ihren Wohnsitz in Dresden genommen, um ihren drei Söhnen und einer Tochter nahe zu sein; im Jahre 1892 verlegte sie denselben nach Coswig bei Dresden, wo einer ihrer Söhne im „Lindenhof“ eine nachmals sehr berühmte Heilanstalt eröffnet hatte. Dort ist sie am 2. April 1899 hoch betagt gestorben.
Pierson: Karoline P., geborene Leonhardt, wurde am 6. Januar 1811 (nicht 1814) als die Tochter eines sächsischen Hauptmanns in Zittau geboren. Kurz nach ihrer Geburt starb die Mutter, und drei Jahre später erlag der Vater, der sich wieder verheirathet hatte, seinen im russischen Feldzuge erhaltenen Wunden. Karolinens Stiefmutter heirathete später den sächsischen Hauptmann Dreverhoff, so daß die Tochter nun auch einen Stiefvater erhalten hatte. Im Hause der Stiefgroßeltern erhielt sie eine vortreffliche Erziehung und durch den dortigen Verkehr mit gebildeten und gelehrten Männern vielseitige Anregung. Begabt mit einer regen, nie müden Phantasie, erzählte sie schon als Kind jene Märchen, Sagen und Geschichten, woran die Oberlausitz so reich ist, und die sie bei ihrem Talent so schön auszuschmücken verstand. Gelegentlich einer Schulprüfung verrieth sich, als Karoline zwölf Jahre alt war, ihr sogenanntes Improvisationstalent, infolge dessen sie von ihrem Lehrer Anleitung im deutschen Versbau erhielt. Sie schrieb nun viele Gedichte, die nicht so mangelhaft gewesen sein können, da einige derselben gewürdigt wurden, auf dem Stadtarchiv in Zittau aufbewahrt zu werden. Die Angehörigen der jungen Dichterin verhielten sich ihrer Neigung gegenüber mehr ablehnend als aufmunternd; dagegen beschäftigten sich ihre Lehrer, meist ausgezeichnete Gelehrte, viel mit ihr, und besonders der Director- Persönliche Mittheilungen. – Adolf Hinrichsen, Das litterar. Deutschland, 1891, S. 1041. – Die Gartenlaube, Jahrg. 1874, S. 711. – Lina Morgenstern, Die Frauen des 19. Jahrh., Bd. 3, S. 145. – Leipziger Illustr. Zeitung, Jahrg. 1886, Bd. 86, S. 313. – Sophie Pataky’s Lexikon deutscher Frauen der Feder, Bd. 2, S. 135.
Anmerkungen (Wikisource)
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