ADB:Rist, Johann
*): Johann R., Dichter des 17. Jahrhunderts, stammt aus einer alten Nördlinger Patricierfamilie, deren Stammbaum sich bis in den Beginn des 16. Jahrhunderts zurückführen läßt. Sein Vater Kaspar R. war als Dolmetscher mit einem Griechen nach Hamburg übergesiedelt und wurde später Pfarrer im benachbarten Ottensen, wo ihm am 8. März 1607 sein Sohn Johannes geboren wurde. Die eigenartige seelsorgerische Thätigkeit Kaspar Rist’s, die mit einzelnen Zweigen der heutigen inneren Mission Verwandtschaft hat, scheint dem jungen Johann R. schon in frühester Jugend manche seelische Eindrücke zugeführt zu haben, die den zarten Knaben geistig und körperlich beschwerten. Er litt früh unter merkwürdigen religiösen Anfechtungen, und Zweifel über die ewige Gnadenwahl erschütterten jahrelang das kindliche Gemüth, das, wie R. später selbst berichtet, nur durch den 91. Psalm befreit und wodurch er schon zeitig zu religiösen Dichtungen angeregt wurde. Die Mystik die sich bei ihm noch in den Jünglingsjahren geltend machte, ist bestimmt auf diese ersten Eindrücke zurückzuführen, ebenso wie die liebevolle Betrachtung der Natur, zu der ihn sein Vater schon frühzeitig anhielt. Neben einer, wie es scheint, recht sorgsamen häuslichen Unterweisung, genoß R. auch bald den Unterricht in der Hamburger Johannesschule, deren Rector Sperling sich seiner warm annahm. Von hier kam er dann an das mit akademischem Charakter ausgezeichnete Bremer Gymnasium, das gerade damals unter der Leitung des berühmten Theologen Matthäus Martini (s. A. D. B. XX, 514) einen großen Aufschwung nahm. Die milde religiöse Richtung die hier herrschte war für den, das ganze Leben hindurch bekundeten friedfertigen theologischen Standpunkt Rist’s bestimmend. Aber der, auch durch eine krankhafte körperliche Reizbarkeit geförderte, mystische Zug seiner ersten Jugend scheint ihn hier auf geistige Abwege, chiromantische Spielereien und prophetische Neigungen geführt zu haben, von denen ihn erst das frische burschikose Studentenleben, an der kurz vorher aus dem Stadthagener Gymnasium academicum gebildeten Universität Rinteln befreite. Daß er über dem „Mindener Bier“ und Studentenlustbarkeiten seinem zukünftigen geistlichen Beruf, für den er schon „im Mutterleibe“ bestimmt war, nicht entfremdet würde, dafür sorgte der dortige Professor der Theologie Josua Stegmann, ein wenig bedeutender Gelehrter, aber ein durch Heimsuchungen im Glauben gefestigter Mann. Durch seine geistlichen Liedersammlungen ist er neben Arnd und Gerhard von großem Einflusses auf Rist’s geistliche Dichtung gewesen. Der große Jammer der Zeit, der bei zarteren Naturen schon vor dem Pietismus zu einer Verinnerlichung des Lebens führte, hatte Stegmann jene Weichheit der Empfindung gegeben, die wir dann in den mystisch angehauchten Andachtsliedern Rist’s wiederfinden.
RistNach einem vorübergehenden Aufenthalte in seiner Heimath, während dessen [80] sein Vater starb, besuchte R. 1625 die Universität zu Rostock, wo sich in seinen Studien die Vielseitigkeit der Bildungsinteressen erkennen läßt, die sein geistiges Leben auszeichnen. Neben den orientalischen Sprachen die er bei Tarnow hörte, studirte er bei Peter Lauremberg, Joachim Junge, Jacob Fabritius und Angelo Sala Botanik, Mathematik, Chemie und Heilkunde, von denen er namentlich die letztere mit Rücksicht auf seinen künftigen Beruf als Landpfarter eifrig betrieb, und noch in späteren Jahren weiß er in breiter Geschwätzigkeit viel rühmenswerthes von der „alleredelsten Erfindung“ der Arzneikunst zu erzählen. Ob R. nachher, wie meistens berichtet wird, die Hochschulen zu Leyden, Utrecht und Leipzig besucht hat, ist nicht gewiß, bestimmte Zeugnisse liegen dafür nicht vor. Für die nächsten Jahre nach seinem Aufenthalt in dem „lieben Musensitz“ Rostock, den er 1628 nach der Besetzung durch Wallenstein, mit seinen Holsteiner Landsleuten verlassen mußte, sind nur spärliche Mittheilungen über eine schwere Erkrankung an der Pest bekannt. Er wird wohl einige Zeit in Hamburg und Ottensen zugebracht haben, bis er 1633 zu Heide im Norder-Ditmarschen bei Heinrich Sager als Hauslehrer eine behagliche Stellung erhielt, und dort, geliebt und geschätzt von der näheren und weiteren Umgebung, ein wenig getrübtes Glück mehrere Jahre genoß. Um diese Zeit verlobte er sich mit Elisabeth Stapel, der Schwester der ihm befreundeten Brüder Franz und Ernst Stapel. Im J. 1635 verließ er, gedrängt von einem ihm – wie er sagt – von Gott gesendeten Triebe den geistlichen Beruf zu ergreifen, Heide, und wurde in Wedel, einem in der Nähe Hamburgs gelegenen Marktflecken, Prediger, wo er bis zu seinem Ende verblieb.
Hier gestaltete sich R. sein Leben in einer eigenartigen, von den Zeitgenossen vielbewunderten Weise. Er wußte sehr glücklich die patriarchalischen Verhältnisse seines Wohnsitzes mit den Vortheilen, die ihm die Nähe Hamburgs bot, zu vereinigen und führte da ein heiteres von größeren geistigen Interessen bewegtes Landleben. Er stellte sein Leben in den Dienst der dem ganzen 17. Jahrhundert eigenen Naturempfindung, die die Freude am Schönen in der Natur nicht vom Utilitätsstandpunkte trennen konnte. Große wohlgepflegte Anlagen von Nutzpflanzen zeugten für seinen auf das praktische gerichteten Natursinn, während reiche wissenschaftliche Sammlungen mannichfachster Art dem polyhistorischen Zuge in seiner Bildung entsprachen. In diesem, in seinem Sinne und dem der Zeit behaglichen Heim, schaffte er sich in der Familie, im Amte und in der Kunst eine nicht ganz von Affectation und bewußter Behäbigkeit freie, patriarchalische Stellung, die ihn zu einem Vorläufer des Halberstädter Patriarchen „Papa Gleim“ machte. Aber es hieße sein treues der Pflichterfüllung gewidmetes Leben verkennen, wenn man dieser etwas kleinlichen Art sich das Leben zurecht zu legen, irgend welche tiefere Bedeutung in seinem beruflichen Wirken beimessen wollte. Gerade seine geistliche Amtsführung läßt einen großen Zug nicht verkennen und er war trotz seiner frommen Schwärmerei vorurtheilsfrei genug, seine Gemeinde mit dem theologischen Gezänke, das das kirchliche Leben durchtobte, zu verschonen und sie mit feinem pädagogischen Takt zu behandeln und zu leiten. Er suchte durch einen feierlichen sinnigen Gottesdienst die Gemüther der Gemeindekinder mehr zu erheben als zu zerknirschen, und statt durch übertriebene Gebetkämpfe sie nieder zu drücken, ließ er sie „die vergnüglichen Freuden der Welt“ maßvoll genießen. Durch eine glückliche ärztliche Thätigkeit erwarb er sich das Vertrauen auch der Verstocktesten seiner Gemeinde, und bald war sein Ruf so gewachsen, daß von Nah und Fern, Bekannte und Fremde dem gastlichen Hause Rist’s als Ziel zusteuerten.
Dieser behagliche Zustand wurde durch die Kriegsnoth zerstört und schwedische Heerhaufen verwüsteten 1659 sein Haus und seine mit so viel Liebe [81] zusammengetragenen Sammlungen. Namentlich betrübte ihn der unwiederbringliche Verlust vieler seiner nur handschriftlich erhaltenen Schauspiele. Von da ab scheint das Unglück in seinem Hause heimisch geworden zu sein. Elementarereignisse, Kriegsnoth, die furchtbarsten Brandschatzungen, Krankheit trafen ihn und seine Gemeinde und als allzuviel Unheil sich auf sein Haupt zusammenzog, begann er trotz seiner Gläubigkeit zu verzweifeln und auch nach Wiederherstellung des Friedens konnte er nie wieder die ungebrochene Kraft von ehedem erlangen. Der Verlust seiner Gattin, die ihm fünf Kinder geschenkt hatte, vergrößerte noch seine Trübseligkeit, und auch eine im späteren Alter eingegangene zweite Ehe mit der Wittwe seines Freundes Philipp Hagedorn konnte ihn von dem ihn immer mehr überkommenden Gefühl der Schwäche und Vereinsamung nicht befreien. Gefaßt sah er dem erlösenden Tode entgegen, der ihn am 31. August 1667 ereilte.
R. ist eine der typischsten Erscheinungen unter den deutschen Dichtern aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Alle litterarischen Strömungen jener Zeit spiegeln sich in seinem Schaffen wieder, und auch an ihm wiederholt sich die damals so häufige tragische Erscheinung, daß große Begabung an der Vielschreiberei, am Mangel künstlerischer Bildung und wahlloser Abhängigkeit von fremden Mustern scheiterte. R. hatte zwar nicht die Eignung der Dichtung neue Bahnen zu weisen, aber ihr aus dem Jammer ihrer künstlerischen Verkommenheit aufzuhelfen wäre er, nach Opitz, wie kein zweiter berufen gewesen. Seine weltliche Lyrik ist auch – obgleich er sie nach der Mode der Zeit als ein ungerathenes Kind seiner Muse, später am liebsten verleugnet hätte – von historischen Gesichtspunkten aus betrachtet, nicht ohne Bedeutung. In seiner – öfter gedruckten – ersten Gedichtsammlung „Musa teutonica“ (1634) statuirt er zwar noch einen tiefgehenden Unterschied zwischen den Reimen, die vom „gemeinen Volk“ gesungen wurden und den „nach der Kunst gesetzten Oden“, aber er selbst bietet die für die ganze weltliche Lyrik jener Zeit so bezeichnende Vermischung volksthümlicher Dichtung mit der Kunstpoesie. Neben Grefflinger, Schoch u. a. ist er einer der Förderer jener Richtung, die im Gesellschaftsliede den Uebergang reiner Volksdichtung zur gelehrten Kunstlyrik schafft. So sind denn auch die pastoralen Dichtungen seiner Sammlungen „Des Daphnis aus Cymbrien Galathea“ (1642 u. öfter) und „Des edlen Daphnis aus Cymbrien besungene Florabella“ (1644 in sieben Auflagen verbreitet) zu wahren volksthümlichen Liedern geworden, die sich – gegen den Willen des Verfassers – Eingang in die Volksliedersammlungen jener Zeit verschafften, und mit ihren leicht sangbaren Melodien den besseren bürgerlichen Kreisen ebenso vertraut waren wie den „Jungemägden“ und „Rastrumsbrüdern“ in der Schenke. Er hält sich aber bei aller Weltlichkeit fern von jener grobianischen Art, durch die sich beispielsweise Grefflinger oder Finckelthaus oft die Volksthümlichkeit erkauften, und eine leichte Sentimentalität, mit der er, dem wie es scheint, schon damals den Deutschen eigenen Zuge der Gefühlsinnigkeit, entgegen kam, schaffte einzelnen seiner Lieder, z. B. „Daphnis gieng vor wenig Tagen“ oder „Daphnis wollte Blumen brechen“ eine solche Beliebtheit, daß sie selbst in den Zeiten des „blutleckenden Krieges“ von einem Ende Deutschlands bis zum anderen ertönten und zahllose Nachahmungen und Parodien hervorriefen. Von Opitz scheidet R. einerseits ein etwas spießbürgerlicher Zug, aber auch dieser Umstand eröffnete ihm Kreise die dem „Boberschwan“ verschlossen waren, andererseits ein liebevolleres Versenken in das Kleinleben der Natur. Aber R. kann sich auch nicht von der kleinlichen Richtung der Zeit emancipiren, die nur das Zarte und Geregelte in [82] der Natur schätzte, für das Gewaltige oder Großartige aber alle Empfänglichkeit vermissen läßt. Sonst ist R. in seiner weltlichen Lyrik in formeller Beziehung von Opitz, in stofflicher, wie die ganze deutsche Renaissancelyrik von der antiken, neulateinischen, französischen, italienischen und niederländischen Litteratur abhängig. Für die Epigramme hat ihm Owen, dieser unerschöpfliche Born allen epigrammatischen Poesie des 17. Jahrhunderts, die Motive und Pointen geliehen. In einem seiner Lieder deutet er auch die litterarische Herkunft der von ihm besungenen Frauengestalten (Fillis kommt von Frankreich her u. s. w.) an. Hier verwahrt er sich auch nach dem Muster aller zeitgenössischen Poeten dagegen in seiner Liebeslyrik Erlebtes dargestellt zu haben, was man dem ehrenwerthen Wedeler Pastor eher als anderen glauben darf. – Sonst wirthschaftet R. mit den gleichen abgenützten Motiven und landläufigen Wendungen der deutschen Renaissancelyrik und nur die überall durchschimmernde Liebe zur Natur unterscheidet ihn von zahlreichen gleichstrebenden Genossen in Apoll. Recht unbedeutend sind seine den historischen Stoffen der Zeit gewidmeten Gedichte. R. ist zwar einer der wenigen die in ihrer Dichtung nicht die Flucht vor dem Kriegsgetümmel ergreifen, und wackere patriotische Gesinnung, tiefer Schmerz über die Verwüstung des Vaterlandes und die Bewunderung der großen protestantischen Helden der Zeit führen seine Feder, aber seine Kraft erlahmt an den großen ungewohnten Aufgaben und hilft sich durch öde Banalität oder großwortigen Bombast, wie z. B. in dem bekannten Liede auf die Erstürmung Regensburgs durch Bernhard von Weimar. Auch die zahlreichen Gelegenheitsdichtungen erheben sich nicht sehr über die Durchschnittsleistungen der anderen Renaissancepoeten und dürfen sich nicht im entferntesten mit den musterhaften Gedichten dieser Gattung bei Simon Dach messen. Der Ueberschwang der darin ausgedrückten Gefühle steht zumeist in keinem Verhältnisse zum Objecte das besungen wird, und von allen von R. gesammelten Casualpoesien ist eigentlich nur das nach Opitz’ Tode gedichtete, weil doch gelegentlich ein Strahl echter Empfindung durchschimmert, von bleibenderem Werte.
Auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit als Lyriker steht R. da, wo er sich dem geistlichen Liede zuwendet. Er ist einer der fruchtbarsten geistlichen Liederdichter, was bei der ins ungeheuerliche gehenden Production jener Zeit viel bedeutet, aber nirgends sind die Schwächen der ihn ja sonst auch charakterisierenden Ueberproduction weniger fühlbar als hier. Der fromme Geistliche hatte seit seiner frühesten Jugend den Drang, die ihn bewegenden andächtigen Stimmungen poetisch auszudrücken und wenn ihm auch später nur die Routine die Feder in die Hand drückte, so zeigt er doch stets eine bemerkenswerthe Mannigfaltigkeit des Ausdruckes und der Form. In zehn Sammlungen „Himmlische Lieder“ (1642), „Sonderbares Buch“ (1651), „Sabbathische Seelenlust“ (1651) „Alltägliche Hausmusik“ (1654), „Festandachten“ (1655), „Katechismusandachten“ (1656), „Seelengespräche“ (1658), „Kreuzschule“ (1659), „Seelenparadies (1660), „Passionsandachten“ (1664), hat er nicht weniger als 659 Lieder veröffentlicht, die, wenn sie auch in innerem Werthe ungleich sind, alle treuherzige fromme Empfindung und Glätte des Ausdruckes zeigen. Es bedurfte gar nicht des Zeugnisses berühmter Theologen, daß in seinen Liedern nichts „dem Worte Gottes und unseren symbolischen Büchern oder der gesunden Art zu reden zuwiderlaufe“, um sie volksthümlich und zu Lieblingsliedern der Gläubigen zu machen. Hatte doch selbst die Kaiserin-Wittwe Marie Eleonore, als ihr unter verschiedenen Ristischen Liedern auch sein Osterlied „Lasset uns den Herren preisen“ vorgelesen wurde, sich zur bezeichnenden Aeußerung veranlaßt gefühlt. „Es ist dieses ein gar schönes herrliches Lied, welches man noch einmahl wiederholen [83] müßte, es wäre gleichwohl immer schade, daß der Verfasser sollte zum Teufel fahren.“ Die allgemeine Anerkennung scheint R. übrigens gegen jede tadelnde Bemerkung ungemein empfindlich gemacht zu haben, da fast alle Vorreden seiner Liedersammlungen gegen namenlose „Splitterrichter, Mückenseiger und Kameelverschlucker“ mit einer Heftigkeit kämpfen, die gegen seine sonst so milde Art religiöse Gegensätze auszugleichen auffallend absticht. Die Bemerkung, daß er in seinen Liedern „opitzire“, durfte ihm allerdinges nicht in Form eines Vorwurfes gemacht werden, aber der wie es scheint öfter ausgesprochene Einwand, daß seine Lieder zu lang seien und er in diesen gar nicht aufzuhören wisse, hatte einige Berechtigung und wurde auch nicht durch Rist’s unwirsche Gegenbemerkung, daß man ja nicht alle Strophen singen müsse, beseitigt. Eher gelang es ihm die Fülle seiner Production an geistlichen Liedern mit dem Mangel an geeigneten Fest- und geistlichen Gelegenheitsdichtungen zu begründen, und wiederholt berichtet er von Aufforderungen in seiner Production fortzufahren, wie ihn verschiedene Theologen brüderlich ermahnt hätten, er möge das Erbaulichste aus den alten Patres in andächtigen Liedern verfassen, was er aber zu Gunsten der Lieder, welche Kernsprüche der heiligen Schrift verarbeiten, ablehnt. Seine geistlichen sogenannten Casualdichtungen sind nicht bei zufällig sich ergebenden Gelegenheiten gedichtet, sondern schon vorher für vorausgesetzte Anlässe verfertigt worden. Diese, wie die für einzelne Berufskreise verfaßten Lieder sind zwar oft nicht ohne Banalität, zeigen aber auch wie z. B. das Lied eines Kriegsmannes „Du mächligster Herr JESU Christ“ viel volksthümlichen Charakter.
Das Bezeichnende an Rist’s geistlichen Liedern ist neben der glatt dahinfließenden Sprache, in erster Reihe die Innigkeit der Empfindung, die sie dem späteren Andachtsliede mit mystischer Färbung stark nähern. Es finden sich hier viele Grundelemente der pietistischen Dichtung vorbereitet, die R. fast als einen Vorläufer dieser Richtung erscheinen lassen. Die in der früheren kirchlichen Lyrik herrschende frische Unbefangenheit im Verkehr mit Gott, beginnt einer weicheren unfreien und dabei doch familiär vertraulichen Demuth zu weichen, Subjectivität der Empfindung sich vorzudrängen und an Stelle der kräftigen Sprache und Bilder der Psalmen erscheinen mystisch gewendete süßlich tändelnde Motive des Hohenlieds. Hier machen sich bei R. die Gemüthsbewegungen seiner Jugend und der künstlerische Einfluß seines Lehrers Josua Stegmann geltend, der neben Arnd durch seine „Angenehmen Herzensseufftzer“ auf ihn wirkt. Aber der Erfolg der Ristischen Lieder wäre nicht so nachhaltig gewesen, wenn nicht, vielleicht ihm unbewußt, der Einfluß der volksthümlichen Poesie dazu getreten wäre, der erst seiner geistlichen Lyrik das eigenartige Gepräge verleiht, und ebenso wie in seine weltliche Lyrik dringen auch hier vereinzelte Verse die zum festen Bestande der Volkslieder gehören, ein und die frischen aufmunternden Anfangsverse der deutschen Gesellschaftsdichtung sind hier oft mit großem Geschick ins geistliche übertragen. Weit über 150 Lieder sind aus den Ristischen Sammlungen, die gleichfalls ihr großes Publicum hatten, in die Gesangs- und Erbauungsbücher jener und der unmittelbar folgenden Zeit gedrungen, einzelne haben sich dauernd erhalten und manche, wie sein kraftvolles, wenn auch nicht originales Lied „O Ewigkeit o Donnerwort“ oder „Ermuntere dich mein schwacher Geist“, „Lasset uns den Herren preisen“, „Werde munter mein Gemüthe“ u. a. verdienten, so weit sie nicht noch heute gesungen werden, eine längere Lebensdauer.
Mit der Lyrik ist aber Rist’s litterarische Thätigkeit noch nicht erschöpft. Schon früh hatte er sich eifrig der dramatischen Dichtkunst gewidmet, und eine große Reihe von leider meist in den Kriegszeiten verloren gegangenen Schauspielen [84] geschrieben. Seine „Irenomachia“, die er 1630 unter fremdem Namen – dem seines Freundes Ernst Stapel – veröffentlichte, hat gerade wie sein „Friedewünschendes Teutschland“ und sein „Friedejauchzendes Teutschland“ ihren Werth in den, zwischen die einzelnen Akte eingeschobenen „Zwischenspielen“, die mit ihren wahrhaft humorvollen Bildern aus dem Volksleben, mit ihrer derben und frischen Natürlichkeit, an die gleichartigen bildlichen Darstellungen der niederländischen Kunst erinnern. Alle diese Stücke sind in Prosa geschrieben und halten sich selbst in ihren allegorischen Theilen zumeist an die dem Leben abgelauschte natürliche Redeweise. Das „Friedewünschende Teutschland“ bietet trotz seiner langathmigen und oft wunderlichen allegorischen Einkleidung – die in vielen Beziehungen auf Moscherosch zurückgeht – ein lebendiges dramatisches Bild der Deutschland im dreißigjährigen Kriege bewegenden Strömungen, und zeugt von ebenso großer vaterländischer Gesinnung als guter Beobachtungsgabe. Namentlich sind die Zwischenspiele, in denen er oft niederdeutsch sprechen läßt, lebenswahre Culturbilder aus jener bewegten Zeit, die einen scharfen Einblick in das Treiben und Denken der unteren Stände gestatten. In den Zwischenspielen des „Friedewünschenden Teutschland“ gönnt sich R. das kleinliche Vergnügen, seine persönliche Rache an seinem früheren Freunde Zesen zu üben. Man muß ihm auch gestehen, daß er es mit großem Geschick gethan hat. Er persiflirt das allerdings die Satire herausfordernde Wesen Zesen’s, und unter Anspielung auf dessen Abenteuer mit einer „Leipziger Jungemagd“ mit Anlehnung an Thomas Corneille’s „berger extravagant“ und ähnliche Satiren wird der R. an Originalität weit überragende Dichter als großsprecherischer „Sausewind“ mit seiner „Rosenmund“ verspottet. Selbst in ein historisches Stück, den „Perseus“ (1634) fügt R. mit glücklichem Sinn für drastische Bühnenwirkung, gelungene plattdeutsche Soldaten- und Bauernscenen ein. Auch in seiner „Depositio cornuti“, ein auf Wunsch seines Druckers Stern verfaßtes Depositionsspiel für Buchdrucker mischt er – hier allerdings nach dem Vorbilde seiner Vorlage – des Depositionsspieles des Danziger Druckers Paulus de Vise – hoch- und niederdeutsche Rede. Rist’s Stücke sind oft gedruckt und selbst in, von seinem Wohnsitze entlegenen Orten, wie z. B. Frankfurt a. M., wiederholt aufgeführt worden.
Rist’s Uebersetzungen, seine größeren und kleineren Prosaschriften verdienen kaum eine Erwähnung. Nur eine Reihe, später von Er. Francisci (Finx) fortgesetzter und unter dem Titel „Recreationsjahr“ herausgegebener „Unterredungen“ sind ihres biographischen Inhalts wegen zu nennen. In Form von Unterhaltungen zwischen R. und den ihn auf seinem Wedeler Pfarrhofe besuchenden litterarischen Freunden, werden mit einem großen Aufwand von Worten und viel Behagen fast gar nicht zusammenhängende Begriffe oder Gegenstände auf ihre Bedeutung hin besprochen und festgestellt, welcher unter ihnen der „alleredelste“ sei. Z. B. ob Müllerei, Schrift oder Arzneikunst die „alleredelste Erfindung“, ob Tinte, Wein, Milch oder Wasser das „alleredelste Naß“ sei, wobei er sich selbstverständlich für die Tinte entscheidet u. s. w. R. nützt die Gelegenheit, um hier den Lesern einen Einblick in sein inneres und äußeres Leben zu gewähren, und führt ihnen sein Heim mit allen ihm wichtig scheinenden Kleinlichkeiten des Haushaltes vor Augen. Nur die große Meinung die R. von seiner Bedeutung hatte, konnte ihn zu einer solch’ praetenziös auftretenden Selbstbespiegelung veranlassen und die Stellung die er unter den litterarischen Genossen seiner Zeit einnahm, berechtigte ihn scheinbar dazu. R. hatte durch seine Sonderbarkeiten und den damals üblichen Weg des Ansingens und Andichtens sich verschiedene einflußreiche Freunde, Verbindungen, Gönner und [85] Ehren zu verschaffen gewußt. Er stand mitten im litterarischen Cliquenwesen seiner Zeit. Als „Daphnis von Cymbrien“ gehörte er dem Pegnitzorden, als der, bis zum Ueberdruß besungene „Rüstige“ der fruchtbringenden Gesellschaft an, und 1660 stiftete er, um seinem Ehrgeiz recht fröhnen zu können, den Elbschwanorden, dem er als „Palatin“ vorstand. Schon 1645 war er von Ferdinand III. zum Poeten gekrönt, später in den Adelstand erhoben, und endlich zum kaiserlichen „Hofpfalzgrafen“ ernannt worden. Die letzte – wegen ihres häufigen Vorkommens etwas zweifelhafte – Würde, berechtigte ihren Inhaber selbst Poeten zu krönen und Titel zu verleihen. Diese scheinbar einflußreiche Stellung verwirrte ihn vollends, und er wurde durch die Ehren-, Lob-, Widmungsgedichte und titeljagenden litterarischen zeitgenössischen Streber in seiner Ueberschätzung noch bestärkt, so daß er allmählich zu einem maaßlos gespreizten Wesen kam, und eine so reizbare Empfindlichkeit gegen jede andere Anschauung in litterarischen Fragen zeigte, daß man nach den Vorreden seiner Schriften, bei dem sonst so milden Manne den Verfolgungswahn vermuthen könnte. Derartige Kleinlichkeiten mögen ihn auch mit Zesen entzweit haben, und haben noch nach seinem Tode zu einer oft ungerechten Beurtheilung seiner Leistungen beigetragen. Bei Lebzeiten fand dieser „Jupiter unter den Dichtern“, das „Wunder der Hochgelehrten“ reiche Genugthuung in den Huldigungen, die ihm namentlich von den Mitgliedern des bald nach Rist’s Tode eingegangenen Elbschwanordens gebracht wurden, von denen einer sein dem „Groß-Ehrwürdigen und Hochedlen Rüstigen“ gewidmetes Madrigal mit dem bezeichnenden Verse schloß:
„Herr Rist der ist dem Himmel überlegen.“
[79] *) Zu Bd. XXVIII, S. 651.