ADB:Sayn-Wittgenstein, Ludwig Graf zu
Könige Maximilian von Böhmen bei dem Erzbischofe Adolf zusammentraf, im Herbste genannten Jahres nach Hause zurück. Bereits 1555 hatte Graf Wilhelm die Reformation in seiner Grafschaft auf Grund einer von ihm erlassenen evangelischen Kirchenordnung durch mehrere aus dem benachbarten Hessen herbeigezogene Theologen eingeführt und seinem Sohn Wilhelm dem Jüngeren die Regierung übertragen. Als aber dieser unvermählt schon 1558 starb, folgte ihm Graf Ludwig in dieser nach, da der andere ältere Bruder Georg seine Dompropstei im Stifte St. Gereon zu Köln nicht aufgeben wollte. Auf diese Weise war denn die ganze Grafschaft an Ludwig gefallen, nämlich das Haus Wittgenstein und Berleburg, die Vogtei Homburg im Bergischen, Vallendar und die Herrschaft Neumagen sammt ihren Zugehörigkeiten. Mit Freuden nahm der junge Gebieter die Grundsätze der Reformation, welche sein der Wahrheit allezeit offener Sinn bald für richtig erkannt hatte, an und suchte durch einen regen mündlichen wie schriftlichen Verkehr mit den bedeutendsten Predigern seines Landes, dem Laaspher Pastor Dr. Crato Streithoff, dem Superintendenten M. Kaspar Corlicius zu Arfeld, sowie mit den ausgezeichneten hessischen Gottesgelehrten Johannes Pincier zu Wetter, dem größten reformirten Theologen Hessens zu seiner Zeit, Dr. Nicolaus Cell u. A. sich theologisch weiterzubilden. Bald kam er auch in Berührung mit dem Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz und durch eine 1568 unternommene [625] Reise nach Zürich mit den großen Theologen dieser Stadt, besonders mit dem gemüthvollen Reformator Heinrich Bullinger. Durch alle diese Männer wurde Graf Ludwig in der Erkenntniß der göttlichen Wahrheit weiter gefördert und vor allem in die volle reformirte Lehre eingeführt. Im Jahre 1574 zum Großhofmeister in Heidelberg berufen, lernte er am pfälzischen Hofe das entschiedenste reformirte Kirchenwesen kennen, sowie alle die Koryphäen der dortigen Theologie: Olevian, Zanchius, Ursinus, Junius, Tossanus u. A., mit denen er später in fleißige Correspondenz trat. Bei dem Kurfürsten Friedrich stand er in hohem Ansehen. Dieser ertheilte ihm neben seinem Großhofmeisteramte noch die Würde eines Kanzlers in Heidelberg, Vicekanzlers in Amberg und Fauths von Germersheim. Oefters bediente er sich seiner Dienste auch in wichtigen Angelegenheiten, wie im Frühjahre 1575 in Amberg, um dort der maßlosen Kanzelpolemik der lutherischen Prediger gegen die Reformirten Einhalt zu thun. Im Herbste dieses Jahres weilte er aber mit dem Kanzler Ehem als Gesandter auf dem Regensburger Collegialtage, um über das gemeinsame Zusammenhalten der Evangelischen gegenüber der drohenden Haltung der Römischen zu berathen.
Wittgenstein: Ludwig der Aeltere, der Fromme, Graf zu Sayn-W., geboren am 7. December 1532 auf dem über der Stadt Laasphe gelegenen Schlosse Wittgenstein, † am 2. Juli 1605 zu Altenkirchen auf dem Westerwalde, hervorragend als christlicher Staatsmann und Beförderer der unter den reformirten Grafen jener Territorien bestehenden Wetterauer Grafeneinigung. Seine Eltern, Graf Wilhelm zu W. und Johannetta, eine Tochter des Grafen Salentin VI. zu Ysenburg-Grenzau, ließen ihn frühzeitig von dem Pastor von Weidenhausen unterrichten. In Köln bildete er sich mit seinen drei Brüdern in den classischen wie neueren Sprachen aus und bezog hierauf die Universität Löwen und dann Paris und Orleans. Im November 1553 begab er sich mit dem Grafen Philipp von Nassau nach Padua. Nach dem Tode des Papstes Julius III. eilte er nach Rom und ließ sich auf Zureden zweier deutscher Kardinäle als Kämmerer in den Hofstaat des neuen Papstes Paul IV. aufnehmen. Doch schon nach einem Jahre, im Mai 1556, gab er diese Stelle auf, machte eine Reise nach England und kehrte über Brüssel und Köln, wo er mit demDer Tod des Kurfürsten Friedrich III. und die unter dessen Nachfolger Ludwig VI. erfolgte lutherische Reaction trieb Graf Ludwig in die heimathlichen Berge zurück. Hier suchte er nun mit dem ebenfalls abgesetzten Dr. Caspar Olevian (A. D. B. XXIV, 286), dem Hauptverfasser des Heidelberger Katechismus, das Kirchenwesen seiner Grafschaft ganz nach dem Muster des pfälzischen zu ordnen. Dabei waren noch behülflich der Martyrologe und Inspector von Laasphe, Dr. Paul Crocius, der Berleburger Inspector Dr. Johannes Wicradius u. A. Nach Friedrich III. von der Pfalz erscheint uns Graf Ludwig als der bedeutendste unter den reformirten Fürsten und Herren des 16. Jahrhunderts. Seinem Verdienste ist es zuzuschreiben, daß der Strom reformirter Lehre aus der Pfalz nunmehr in das Wittgensteinsche und von da in das Nassauische, Solmsische, Wiedische und alle wetterauischen Grafschaften geleitet wurde. Vor allem ist er auf diese Weise mit Olevian, der Seele aller dieser Bewegungen, der Schöpfer der Synodal- und Presbyterialverfassung in diesen Gegenden geworden.
Nach dem frühen Ableben Ludwig’s VI. kehrte, auf den Wunsch des Pfalzgrafen Johann Casimir, Graf Ludwig wieder in seine frühere pfälzische Bedienung zurück, um in derselben bis zum Sommer 1594 zu verbleiben. Von da an verlebte er seine letzten Lebensjahre im Lande seiner Väter in Ruhe, nur bedacht auf das Wohl seiner Unterthanen. Bereits 1569 hatte er denselben eine musterhafte Polizei-, Ehe- und Gerichtsordnung gegeben, gewöhnlich das Wittgensteinische Landrecht genannt. Auch in die Geschichte der Stiftung der ehemaligen hohen Landesschule Herborn ist sein Name verflochten. Denn nicht bloß hat er dem Grafen Johann dem Aelteren von Nassau-Dillenburg gerne die Hand zum Bau dieser reformirten Schule geboten, sondern er schenkte auch derselben tausend Gulden zu Stipendien für unbemittelte Studenten.
In seinem Leben zeigte sich Graf Ludwig sehr einfach. Als ein Liebhaber guter Bücher hatte er sich eine stattliche Bibliothek mit Werken aus allen Fächern angelegt. In der Theologie hatte er sich besonders bedeutende Kenntnisse erworben. Eine echt deutsche Natur war sein Wahlspruch: Simulatum nihil diuturnum, Lügen hält nicht Stich. Nichts war ihm mehr verhaßt, als alles unprotestantische, hierarchische, gegen das Bibelwort verstoßende Wesen. Die Gradunterschiede unter den Dienern der Kirche verwarf er mit Entschiedenheit. Auch duldete er keine Bureaukratie in der Kirche, wie er denn dieser die ihr zukommende Autonomie in unumschränkter Weise, mit Verwerfung der unbiblischen Caesareopapie, eingeräumt wissen wollte. – Ludwig d. Aelt. war zwei Mal verheirathet. Seine erste Gemahlin Anna, eine Tochter des Grafen Philipp zu [626] Solms-Braunfels, starb schon nach sechsjähriger Ehe 1565. Auch die zweite, Elisabeth, eine Tochter des Grafen Friedrich, mit dem Beinamen Magnus, zu Solms-Laubach, starb vor ihm 1599 zu Dillenburg. Aus erster Ehe hinterließ Graf Ludwig von drei Kindern eine Tochter, Johannetta, die Gemahlin des Grafen Johann des Aelteren von Nassau-Dillenburg, und einen Sohn, Georg, den Stifter der noch blühenden fürstlichen Linie Sayn-Wittgenstein-Berleburg. In zweiter Ehe wurden ihm neunzehn Kinder geboren, deren mehrere jung starben. Die älteste Tochter, Agnese, vermählte sich mit dem Grafen Johann Albrecht I. zu Solms-Braunfels; Wilhelm wurde der Stifter der Linie Sayn-Wittgenstein-Sayn; Ludwig der Jüngere der Stifter der noch blühenden fürstlichen Linie Sayn-Wittgenstein-Wittgenstein; Magdalena, Gattin des Freiherrn Philipp von Winnenberg und Beilstein; Elisabeth, kurze Zeit vermählt mit dem Grafen Maximilian von Pappenheim; Juliana, Gemahlin des Grafen Wolfgang Ernst I. (A. D. B. XIV, 625) zu Isenburg-Büdingen; Amalie, Gattin des Grafen Georg des Aelteren zu Nassau-Dillenburg; Gebhard und Bernhard, welche als Studenten starben; Katharine, Gemahlin des Fürsten Ludwig Heinrich zu Nassau-Dillenburg.
Nach dem Testamente Ludwig’s des Aelteren vom 19. Mai 1593 sollten seine Söhne Georg und Wilhelm seine Länder erhalten. Weil aber Ludwig der Aeltere schon die Anwartschaft auf die Grafschaft Sayn im Falle des Ablebens des kinderlosen Grafen Heinrich IV. zu Sayn hatte, so sollte nach dem Codicill vom 5. Februar 1601 sein Sohn Wilhelm die Grafschaft Sayn erhalten, Ludwig der Jüngere aber Wittgenstein. Wegen seines hohen Alters trat nun der Graf seinen Söhnen Georg, Wilhelm und Ludwig die Regierung ab, welche am 17. August 1603 einen Vertrag errichteten, welcher u. a. die Bestimmung enthielt, daß ihr Vater nach wie vor das Haupt der Familie bleiben und das Directorium behalten solle. Die letzten Stunden des Grafen Ludwig waren sehr erhebend. Er ging heim mit dem Worte: „Es ist vollbracht; in Deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset“, und mit der Bitte: „Ach komm, komm Herr, komm! Amen“. Seinen Tod haben die Professoren Herborns in geistvollen Elegien beklagt.
- Cuno, Gedächtnißbuch deutscher Fürsten etc., woselbst alle sonstigen Quellen nachgewiesen sind; – Ders., Blätter d. Erinnerung an Dr. Casp. Olevianus. Barmen 1887; – Ders., Franc. Junius d. Ae. Amsterd. 1891; – Ders., Dan. Tossanus d. Ae. Amsterd. 1898. – M. Lossen, Der Köln. Krieg, I. Gotha 1882.