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ADB:Scheuchzer, Johann Jakob

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Artikel „Scheuchzer, Johann Jacob“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 710–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheuchzer,_Johann_Jakob&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:46 Uhr UTC)
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Scheuchzer *): Johann Jacob S., geboren am 2. Aug. 1672, † am 23. Juni 1733; Arzt, Naturforscher und Historiker in Zürich. S., ein Sohn des gleichnamigen Stadtarztes in Zürich († 1688), erhielt seine erste Bildung am Züricher Gymnasium (Carolinum), wo ihn indessen der wesentlich auf die alten Sprachen und die Theologie abzielende Unterricht wenig befriedigte, während sein ungewöhnlich lebhafter Geist und frühe vom Vater empfangene Anregung ihn auf die Natur- und die Heilkunde hinlenkten. Von den Aerzten Johann v. Muralt (A. D. B. XXIII, 53) und J. J. Wagner erhielt er einen vorbereitenden Unterricht in der letzteren, bezog im Frühjahr 1692 die Universität Altorf, im Hause des Orientalisten Wagenseil daselbst aufgenommen, hörte bei Bruno und Moritz Hofmann (A. D. B. XII, 637) in medicinischen Fächern, bei J. Christoph Sturm Mathematik und Physik, disputirte unter diesen Lehrern 1693, wandte sich dann nach Utrecht und erwarb sich daselbst unter Leusden am 26. Januar 1694 den medicinischen Doctortitel mit einer Dissertation de surdo audiente. Eine Reise durch Norddeutschland, Böhmen, Baiern und Franken führte ihn heim und nach einer Alpenreise im Sommer 1694, wobei er zum ersten Male seine Aufmerksamkeit [711] auf die Fossilien richtete, und nochmaligem Besuche von Altorf und dann von Nürnberg, um sich bei Sturm und bei Eimmart (A. D. B. V, 758) in den mathematischen Fächern weiter auszubilden, wurde er als Nachfolger seines ersten Lehrers J. J. Wagner († am 14. December 1695) zum zweiten Stadtarzt (Poliater) in Zürich berufen, mit Anwartschaft auf die Professur der Mathematik am Carolinum. Noch in Altorf hatte S. im Juni 1695 seine erste naturhistorische Abhandlung de genere conchytarum publicirt; noch sah er in den Fossilien nicht Ueberreste organischer Wesen, sondern zufällige Erzeugnisse bloßer mechanischer Kräfte, Spielzeuge der Natur. In sein Amt in Zürich eingetreten, entfaltete er aber alsbald eine außerordentlich rege und fruchtbare Thätigkeit auf dem ganzen Gebiete der Naturforschung wie der Geographie und Geschichte seines Vaterlandes, die ihm unter den schweizerischen Gelehrten rasch eine der hervorragendsten Stellen erwarb und in der Geschichte der Naturwissenschaften ein bleibendes Andenken sichert. 1697 vermählt, nahm er in sein Haus Jünglinge auf, denen er neben dem Unterrichte, den sie in der öffentlichen Schule empfingen, noch besondere Information ertheilte, hielt Privatvorlesungen über naturwissenschaftliche Gegenstände, war (1694–1709) eines der thätigsten Mitglieder und Actuar des wissenschaftlichen Collegiums der „Wohlgesinnten“ und gab in bemerkenswerther Weise kund, wie weite Ziele sich sein Streben stecke. Zum Mitgliede der kaiserlichen Akademie Naturae Curiosorum, unter dem Namen Acarnan aufgenommen, veröffentlichte er 1697 ein Flugblatt (charta invitatoria), welches die Leser zu Beantwortung von mehr als 190 Fragen über Gegenstände der Meteorologie, Astronomie, Erdkunde, Alpenkunde und Alpwirthschaft, Ethnographie und Naturgeschichte aufforderte. Von S. überallhin verbreitet, hatte dasselbe freilich so viel als keinen Erfolg. Seine Wißbegierde ließ sich dadurch nicht abschrecken. Er schritt zu eigner Untersuchung der von ihm ins Auge gefaßten Probleme, bemühte sich, eine vollständige Uebersicht des bisher Geleisteten und zugleich eine eigene Naturaliensammlung anzulegen, die ihn fördere. Unter dem Titel „Historiae helveticae naturalis prolegomena“ veröffentlichte er im J. 1700 ein Verzeichniß aller Schriftsteller des In- und Auslandes über Naturkunde und den Plan zu einer schweizerischen Natur- und Landeskunde, dem in einer zweiten Schrift „Stoicheiologia ad Helvetiam applicata“ eine Uebersicht der Elemente und ihrer Erscheinungen folgte. 1701 gab er in einem zweibändigen Werk „Physica oder Naturwissenschaft“, nach dem Muster der „Physica eclectica“ seines Lehrers Sturm (1697) eine Uebersicht der gesammten damaligen Naturwissenschaft in kurzen bestimmten Lehrsätzen. Im J. 1702 begann seine bis 1715 fortgesetzte Zeitschrift der „Nova litteraria helvetica“, Litteraturberichte über die schweizerischen schriftstellerischen Arbeiten der Jahre 1701–1714, begleitet von biographischen Notizen über die nach der Reihenfolge der Kantone aufgeführten Verfasser. Insbesondere aber begann S., beinahe alljährlich die Schweiz und vorzüglich ihre Gebirge zu bereisen, wobei ihn sein Bruder Johannes (s. oben) oder auch jüngere Tischgenossen und Schüler, wie u. A. 1705 Hans Jacob Leu (A. D. B. XVIII, 467), begleiteten und unter den damals nicht fehlenden Entbehrungen und Gefahren, doch alle Naturerscheinungen und auch die wirthschaftlichen Verhältnisse der durchwanderten Gegenden sorgfältig beobachtet und mannichfachste Thatsachen gesammelt wurden. Auf diesen Reisen, die Scheuchzer’s Namen bei der damaligen Seltenheit solcher Wißbegierde bald weit herum bekannt machten und deren Nutzen die zürcherische Regierung durch gewährte Unterstützung anerkannte, machte S. die ersten barometrischen Höhenmessungen im Gebirge, die ersten Versuche, die Probleme der Gletscher, der sogen. Windlöcher, der periodischen Winde, der intermittirenden Quellen u. a. m. zu lösen und bereicherte, in unermüdlichem Sammeleifer fortfahrend, die Mineral- und Petrefactenkunde. [712] Dem letzteren Gebiete galten Abhandlungen, in denen S. durch seinen Schüler J. Hch. Hottinger[WS 1] 1698 von den Krystallen handeln ließ, 1700 selbst über die Dendriten schrieb und 1702 ein Verzeichniß schweizerischer Mineralien und Petrefacten gab (Specimen lithographiae helveticae curiosae). In demselben Jahre erschien die erste Beschreibung einer seiner Reisen, in der Form einen von Johann S. unter der Leitung seines Bruders veröffentlichten Dissertation: „Οὐρεσιφοίτης s. Itineris alpini descriptio“, Turici 1702. Inzwischen vermehrten sich Scheuchzer’s Verbindungen auch im Auslande. Er trat insbesondere in Beziehung zu den Engländern und als ihn Woodward’s[WS 2] Essay towards a natural history of the Earth (1695 und 1702) zu der Ueberzeugung gebracht hatte, daß die Petrefacten Ueberreste wirklich lebender Organismen seien, welche in der Katastrophe einer großen Fluth, der Sündfluth, untergegangen seien, veröffentlichte S. 1703 eine lateinische Uebersetzung von Woodward’s Werk, unter dem Titel „Specimen geographiae physicae“ und sandte an den Verfasser durch seinen Schüler Hottinger eine „Montium glacialium helveticorum descriptio“ in welcher die Schichtung der Gletscher eingehend behandelt war. 1704 zum Mitgliede der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in London ernannt, übermittelte ihr S. Ergebnisse seiner Arbeiten zur Aufnahme in die Philosophical Transactions, 1706 seine Beobachtungen der totalen Sonnenfinsterniß vom 12. Mai und 1707 seine Beobachtung einer Mondfinsterniß von 1706. Er widmete Newton 1708 eine Abhandlung über die Höhe und die Ausdehnung der Alpen und wurde von den Freunden in London in den Stand gesetzt, bei Pauli daselbst 1708 eine illustrirte Beschreibung seiner drei Alpenreisen von 1702–1704 unter dem wiederholten Titel „Οὐρεσιφοίτης“ erscheinen zu lassen. Um dieselbe Zeit auswärtiges Mitglied der Berliner Akademie geworden, sandte er ihr 1708 seine barometrischen, 1710 meteorologische Beobachtungen ein. In einer Aufzeichnung über die von ihm am 8. August 1709 beobachtete ungewöhnliche Menge fallender Sternschnuppen lieferte er einen der ältesten erhaltenen Belege über den Laurentiusstrom. Auch die Schriften der Pariser Akademie erhielten von S. 1708 eine Abhandlung über die Petrefacten und Leclerc’s Bibliothèque choisie 1709 eine solche über den Doppelspath (Androdamas). 1708 aber faßte S. unter dem Titel „Beschreibung der Naturgeschichten des Schweizerlandes“ in drei Theilen eine seit 1705 unter ähnlichem Titel herausgegebene Wochenschrift zusammen, in welcher zugleich die Beschreibung seiner wichtigsten Bergreise vom Jahre 1705 Aufnahme fand. In eigenem Verlage publicirte er 1708 eine Beschreibung und Abbildungen fossiler Fische, insbesondere derjenigen von Oehningen, unter dem Titel „Piscium querelae et vindiciae“, welcher noch Cuvier bleibende Bedeutung für die Paläontologie zuschreibt, und ließ den Fischen 1709 ein „Herbarium diluvianum“ in 10 Tafeln folgen (wiederholt und vermehrt, Leyden 1723). Um dieselbe Zeit fanden seine oryktognosischen Beobachtungen praktische Verwendung, indem auf seine Anregung hin die Benutzung des Torfs und der Braunkohle als Brennstoff im zürcherischen Gebiete begann und durch obrigkeitliche Verfügungen 1708 und 1709 nachdrücklich unterstützt wurde. Inzwischen war Scheuchzer’s Stellung in Zürich selbst noch immer eine höchst bescheidene geblieben, da seiner Beförderung nicht bloß Mangel an Gelegenheit, sondern auch das Mißtrauen Vieler gegen seinen stets regen Forschungstrieb und seine Hinneigung zu neuen Ansichten entgegenstand. Er selbst und auswärtige Freunde sahen sich nach einer einflußreichern Stellung für ihn um und in Leyden war die Rede davon, S. das medicinische Professorat zu übertragen, das nach Hotton’s Tode schließlich Boerhave (1709) erhielt, als endlich Scheuchzer’s vierzehnjährige Anwartschaft auf die Professur der Mathematik am Carolinum in Zürich sich 1710 erfüllte. 1701 hatte er die Dissertation von E. Blanck in Basel über [713] den Nutzen der Mathematik in der Medicin unterstützt; mit einer Rede über die Bedeutung der Mathematik für die Theologie trat er nun am 28. November 1710 sein neues Amt an. Daß er sich lieber mit den Anwendungen, als mit der Theorie der Mathematik beschäftigte, zeigten kartographische und schriftstellerische Arbeiten, denen er jetzt sich hingab. 1710 entwarf er eine Karte der Landschaft Toggenburg, gestochen von J. Hch. Huber; 1712 erschien Scheuchzer’s große Schweizerkarte in 4 Blättern, gestochen von Huber und Schalch. Von den Behörden und dem Publicum außerordentlich günstig aufgenommen, 1765 neu aufgelegt, blieb sie bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die geschätzteste Karte der Schweiz. Für die nördlichen und östlichen Landestheile auf älteren guten Vorlagen und zum Theil auf eigenen astronomischen Beobachtungen Scheuchzer’s fußend, für die Westschweiz sehr mangelhaft, an Zahl der aufgenommenen Namen (4000) alle früheren Karten übertreffend, bildet diese Karte – nach Wolf’s Urtheil – nicht sowohl einen Fortschritt über die Leistungen ihrer Vorgänger hinaus, als vielmehr den Beweis, daß nur die Ermittlung neuer umfassender Vermessungsgrundlagen, auf welche S. mit Nachdruck als nothwendig hinwies, wirklich weiter zu führen vermöge. In angebrachten Abbildungen zeigt sie übrigens, daß S. (wenigstens damals noch) von den Irrthümern seiner Zeit, wie vom Glauben an die einstige Existenz von Drachen u. dgl. nicht frei war. Durch ein 1714 veröffentlichtes „Enchiridion mathematicum“ (nach Sturm) entsprach S. im ferneren dem Titel seines Amtes, während er 1711 eine neue, wesentlich verbesserte Bearbeitung seiner Physica von 1701 und gleichzeitig eine „Medulla physicae,, Kern der Naturwissenschaft“ erscheinen ließ. Inzwischen beschäftigten ihn Dinge anderer Art, als unter den Nachwirkungen des inneren schweizerischen Krieges von 1712, in welchem S. als Arzt die zürcherischen Truppen im Felde begleitete, eine tiefgehende politische Bewegung Zürich ergriff. S., durch die Bürgerschaft zu ihrem Vertrauensmann und Sprecher gegenüber der Regierung bezeichnet, trug durch sein Verhalten zum friedlichen Ausgang der Dinge wesentlich bei. Dies hatte auch zur Folge, daß die Regierung seine Anstellungsverhältnisse in einer Art gestaltete, die ihn bewog, einem 1712 durch Leibniz an ihn gelangten Rufe, als Leibarzt in den Dienst Peter’s des Großen in Rußland zu treten, endgültig zu entsagen und sich mit neuem Muthe seiner Heimath zu widmen. Rüstig führte er von 1716 an seine Arbeiten weiter. Er veröffentlichte ein Verzeichniß seiner Sammlung von Fossilien und Petrefacten („Museum diluvianum“), dessen Reichthum Cuvier rühmt; seine „Prolegomena“ von 1700 erweiterte er 1716 zu einer allgemeinen „Bibliotheca scriptorum historiae naturali insevientium“ und fügte 1716–1718 seiner „Naturgeschichte des Schweizerlandes“ von 1708 drei weitere Theile unter dem Titel „Helvetiae Stoicheiographia“ hinzu, durch welche das ganze Werk in systematische Ordnung gebracht und nach Scheuchzer’s neuen Forschungen gestaltet wurde. 1717 aber rückte er den „Acta lipsiensia“ ein Verzeichniß seiner sämmtlichen erschienenen oder in Ausarbeitung begriffenen Schriften, sowie den Entwurf eines mineralogischen Wörterbuches bei. Die eben genannten Werke Scheuchzer’s blieben nicht ohne Bedeutung für eine Zukunft, die er nicht ahnen konnte. Denn die lange nach seinem Tode von J. G. Sulzer 1746 herausgegebene Ueberarbeitung der „Naturgeschichten des Schweizerlandes“ und die 1752 bei Heidegger in Zürich erschienene zweite Auflage der „Stoicheiographia“ nahm Schiller 1801, neben Tschudi’s Chronik, zur Hand, als er die Studien für seinen Wilhelm Tell begann und in den Natur- und Sittenschilderungen des Dramas sind Anklänge aus den beiden Werken Scheuchzer’s unverkennbar. Von 1720–30 beschäftigten S. theils medicinische Dinge, theils Meteorologisches, sowie die Vorarbeiten eines großen naturwissenschaftlich-theologischen Werkes, das er auf Grundlage aller [714] seiner bisherigen Forschungen zu errichten gedachte. Er übersetzte 1720 Woodward’s Buch über den Stand der Heilkunde, insbesondere über die Blatternkrankheit, ins Lateinische („Medicinae status etc). und schrieb auf obrigkeitliche Anregung 1720 und 1721 mehrere deutsche und lateinische Schriften über die damals in Marseille ausgebrochene Pest. In einer neuen Ausgabe seines Οὐρεσιφοίτης (Leiden 1723) erschien in vier Bänden die vollständige Sammlung von nun neun Gebirgsreisen; 1723–25 eine „Aërographia Helvetiae“ in zwei Theilen, 1728–29 unter etwas verändertem Titel wiederholt. 1729 folgte die dritte Ausgabe seiner zuerst 1701 und 1711 in zweiter Bearbeitung erschienenen „Physica“ und 1727–31 Reihen meteorologischer Beobachtungen, worunter solche, die 1728 correspondirend in Zürich und auf dem St. Gotthard unternommen worden waren. Mehr und mehr aber fand sich S. unter dem Studium der Petrefacten als Ueberreste der Sündfluth von dem Gedanken erfüllt, daß zu klarem Verständnisse der Bibel wie zu gründlichem Studium der Theologie überhaupt wahre Kenntniß der Natur unumgänglich sei. Dies brachte ihn zu dem Vorhaben, alle Stellen der Heiligen Schrift, in welchen Gegenstände oder Erscheinungen der Natur erwähnt sind, mit wissenschaftlichen Erläuterungen zu begleiten. Schon 1715 hatte er in einer Dissertation das Thema des Gottesbeweises aus der Natur behandelt. Von 1721 an folgten jetzt, aus seiner Feder, Erläuterungen einzelner Stellen oder größerer Abschnitte der Bibel: 1721 ein Commentar zu Hiob („Jobi physica sacra“), 1724 ein solcher über die Heuschreckenspeise der Israeliten in der Wüste („Physica sacra; specimen de locustis“), 1727 und 1730 Abhandlungen über die beim Bau der Stiftshütte verwendeten Materialien („Specimen operis biblici physici ad Exodem XXV“ und „Πορίσματα ex N.i. Ti. physica sacra“); 1726 aber diejenige Schrift, die unter allen Arbeiten Scheuchzer’s das größte Aufsehen erregte: seine Beschreibung und Abbildung eines Fossiles aus Oehningen, in welchem er das Skelet eines vorsündfluthlichen Menschen zu erkennen glaubte, „Homo diluvii testis“. Tiguri. 4° (24 S und 1 Tafel). Von Spätern für ein Fischskelet erklärt, wurde das Fossil von Cuvier als das eines Riesensalamanders erkannt und unter dem Namen „Andrias Scheuchzeri“ in die Paläontologie eingereiht. 1731 aber begann S. die Publication des Gesammtwerkes, in welchem er alle seine Forschungsergebnisse zu vereinigen bemüht war, seiner „Kupferbibel“, oder „Physica sacra iconibus aeneis illustrata“. In vier Theilen hat S. selbst den Text dieses großen Werkes in Deutsch und in Latein ausgearbeitet, das – von 750 Kupfertafeln begleitet – in Wien und Ulm in den Jahren 1731–35 (4 Bde. Fol.) erschien und sofort Uebersetzung ins Französische und Holländische erfuhr. Noch für die Gegenwart ist dasselbe nach Cuvier’s Zeugniß durch gewisse Abbildungen dem Naturforscher unentbehrlich. Verdienen die Zahl und die Mannichfaltigkeit der Leistungen Scheuchzer’s auf den genannten Gebieten und der bleibende Werth mancher derselben (nur das Bedeutendere ist hier genannt) vollste Anerkennung (1732 wurde er auch zum Mitgliede des Institutes in Bologna ernannt), so ist man vollends verwundert, seine Arbeitslust und Arbeitskraft auch auf dem Felde historischer Forschung nicht minder bethätigt zu finden. Für die kirchliche, die politische und litterarische Geschichte seiner Heimath war S., wie für die Naturforschung, von unermüdlichem Eifer beseelt. Zwar ist von seinen Arbeiten hierüber nur Weniges im Drucke erschienen: 1730 ein Heft: „Alphabethi ex diplomatibus et codicibus Thuricensibus specimen.“ Fol. Tiguri und 1733 der Anfang (Litt. A u. B) einer alphabetisch angelegten „Bibliotheca helvetica“. 4°, Tiguri. Aber höchst umfangreiche handschriftliche Sammlungen und Arbeiten Scheuchzer’s zur Geschichte des zürcherischen Chorherrenstiftes, der zürcherischen Klöster, des Klosters St. Gallen u. a. m. [715] besitzt die Stadtbibliothek Zürich aus Scheuchzer’s Nachlaß. Am bedeutendsten ist darunter eine Sammlung meist von S. persönlich angefertigter guter Abschriften auf die Schweiz bezüglicher Urkunden: „Diplomata Historiae Patriae“ in 29 starken Foliobänden und 4 Registerbänden. Die Veröffentlichung einer „Eidgenössischen Geschichtbeschreibung“, deren einläßliches Programm S. 1726 mit Einladung zur Subscription drucken ließ und in 51 Städten des In- und Auslandes auflegen zu lassen gedachte, unterblieb, weil die Obrigkeit die Sache nicht gern sah und S. befürchten mußte, mit der Censur in Schwierigkeiten zu gerathen. Die zürcherische Stadtbibliothek verwahrt Scheuchzer’s ausgedehnten Briefwechsel mit zahlreichen Freunden und Gelehrten des In- und Auslandes. So hatte S., den eine besondere Urbanität im Umgange auszeichnete, in verdienstlichster rastloser Thätigkeit sein 61. Jahr erreicht, als ihm endlich die Stellung zu theil wurde, die sein stets erhofftes Ziel war. Nach dem Hinscheiden des greisen Dr. J. v. Muralt (12. Januar 1733) wurde er zu dessen Nachfolge berufen, als Oberstadtarzt (Archiater) und Professor der Physik am Carolinum und erhielt das mit diesen Stellen verbundene Kanonikat am Großmünster. Zugleich behielt er dabei die mathematische Professur. Aber nur kurze Zeit blieb ihm vergönnt, sich dieser vollen Anerkennung seiner Verdienste durch die zürcherische Regierung zu erfreuen. Noch hatte er 1732 zwei medicinische Abhandlungen und 1733 eine historische Uebersicht aller seit 1271 bekannten Ueberschwemmungen in der Schweiz („Cataclysmographia Helveticae.“ 4°, Tiguri) veröffentlicht, als ihn eine Krankheit am 23. Juni 1733 dahinraffte. Fünf Jahre früher war ihm derjenige seiner Söhne im Tode vorangegangen, der ihm durch seine Studien zunächst stand, Johann Kaspar S., seit 1722 in London und 1728 daselbst zum Dr. med. promovirt, Uebersetzer von Kämpfer’s Geschichte Japans aus dem Holländischen ins Englische. Die Vollendung des Druckes seiner „Physica sacra“ erlebte S. nicht mehr; er sah auch nicht mehr die neue Bearbeitung seines „Museum diluvianum“ von 1716, welche der Freund, dem er es einst dedicirt hatte, Theodor Klein, Stadtschreiber in Danzig († 1759), unter dem Titel „Sciagraphica lithologica“, Gedani 1740 herausgab.

N. Bourguet, J. J. Scheuchzer, im Mercure Suisse 1734. – Leu, Helv. Lex. XVI, 304 und Supplem.-Bd. V, 351. – G. Cuvier, J. J. Scheuchzer, in der Biogr. Universelle, Vol. 41 (1825). – J. J. Siegfried, Die beiden Scheuchzer; in den Verhandlungen der Technischen Gesellschaft in Zürich 1853. – R. Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. Erster Cyclus. Zürich 1858; – Derselbe, Gesch. der Vermessungen in der Schweiz. 4°. Zürich 1879. – Rud. Pepmüller, Zu den Quellen des Schillerschen Wilhelm Tell, im Archiv für Litteraturgeschichte von Dr. R. Gosche. Bd. I. Leipzig 1870. – Handschriftl. Sammlungen der Stadtbibl. Zürich.

[710] *) Zu Bd. XXXI, S. 141.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Heinrich Hottinger (1680–1756); Schweizer Arzt und Kristallograph, Enkel des Johann Heinrich Hottinger d. Ä.
  2. John Woodward (1665–1728); englischer Naturhistoriker, Geologe und Arzt