ADB:Schlagintweit
Joseph August Wilhelm Schlagintweit geboren. Durch Vermittlung des Benedictiner-Conventuals Wührmann kam der Knabe zum Studium und auf das Gymnasium zu Passau, dann ins Lyceum nach München und bezog [337] von hier die Universität Landshut. Als Studium wählte S. die Medicin; mit der Dissertation „de Cataractarum origine“ wurde die Doctorwürde erlangt. Ein staatliches Reisestipendium gewährte die Mittel zu einer Studienreise nach Wien und Prag; durch zahlreiche Staar- und andere Augenoperationen an Menschen und Thieren, die unterwegs auf Ersuchen der Herrschaften ausgeführt wurden, kamen die Gelder zusammen zu einer Rundreise über ganz Deutschland. Die Reise ging von Prag über Dresden nach Berlin, von hier nach Göttingen, Marburg, Gießen, um über Frankfurt a. M., Würzburg, Bamberg, Erlangen, Nürnberg und Augsburg wieder an ihrem Ausgangspunkte München zu schließen. Die Abreise von München fand am 17. November 1816 statt, die Rückkehr am 31. Juli 1818. Das 22 Bogen enthaltende Reisejournal voll reicher Einträge gibt durch seine eingehende Beschreibung der besuchten öffentlichen Anstalten ein werthvolles Bild von der Einrichtung der Heilstätten, wie sie damals an den Universitäten und in Landstädten bestanden. Als Ergebniß der Reisebeobachtungen erschien 1818 die Schrift: „Ueber den Zustand der künstlichen Pupillenbildung in Deutschland“ mit Beschreibung des vom Verfasser zu dieser Operation erfundenen Instrumentes „Regenbogenhaut-Häkchen, Iriankistron“. 1821 erhielt S. die Erlaubniß zur selbständigen Ausübung der Praxis in München. Bereits am 1. Mai 1822 gründete er seine Privat-Heilanstalt für Augenkranke; diese anfangs sehr einfach eingerichtete Anstalt begründete den Ruf des Inhabers als Augenarzt und wurde später in ein geräumiges Haus übergeführt. 1828 schrieb S. einen „Entwurf zur neuen Organisation des Medicinal-Armenwesens der Haupt- und Residenzstadt München“, 1836 wurde er leitender Arzt des Cholerahospitals des Grafen von Arco-Valley, das vom 7. November 1836 bis 1. Februar 1837 eröffnet war und legte die Ergebnisse der ärztlichen Behandlung nieder in der Schrift „Praktische Erfahrungen und Beobachtungen über die epidemische Brechruhr in München“. Auf Veranlassung der bairischen Medicinalbehörde wurde sodann 1852 für die Hebammen eine Anleitung zur Verhütung der bösartigen Augenentzündung bei Neugeborenen verfaßt. Für die Heilanstalt für Augenkranke gaben jährliche Berichte ausführliche und medicinisch lehrreiche Aufschlüsse über die behandelten Krankheiten. 32 Jahresberichte haben den Gründer der Anstalt zum Verfasser; nach seinem Tode wurde die Anstalt vom Staate als ophthalmologische Klinik der königlichen Ludwigs-Maximilians-Universität übernommen und der bei diesem Anlasse veröffentlichten Denkschrift ist zu entnehmen, daß in der Anstalt von 1822–54 unter Schlagintweit’s Leitung 18 220 Augenkranke, darunter 718 am grauen Staar Erblindete behandelt wurden. Seit 1837 war S. dirigirender Arzt des königlichen Blindeninstituts, 1839 wurde ihm der Titel eines königlichen Rathes, 1842 der Verdienstorden vom heiligen Michael verliehen. Am 10. August 1854 machte ein Choleraanfall seiner segensreichen Wirksamkeit ein Ende. (Vgl. Dr. J. V. Zimmermann, Einleitung zum 33. Jahresbericht, München 1855.) Von seinen Söhnen haben sich als Gelehrte und Schriftsteller einen Namen gemacht:
Schlagintweit: S., eine Familie von Gelehrten (Arzt, Naturforscher, Orientalist), aus München. Die Familie stammt aus Oberösterreich. Confessionswechsel hatte eine Spaltung bewirkt; der evangelische Theil zog sich mit anderen Glaubensgenossen in das Gebiet des deutschen Ordens, Ballei Franken, und in den Kirchenbüchern des Pfarramts Weiboldshausen, Amtsgerichts Ellingen erscheint der Name von 1671–1707. Im Quellgebiet des Regenflusses tritt die Familie Mitte des vorigen Jahrhunderts auf; als Sohn eines Bäckers wurde am 7. December 1791 zu RegenHermann, Adolf und Robert v. S. Hermann wurde am 13. Mai 1826, Adolf am 9. Januar 1829, Robert am 27. October 1833, sämmtlich in München geboren. Die beiden älteren Brüder blieben von Jugend an eng aneinandergeschlossen und arbeiteten ihr ganzes Leben hindurch mit einer selbst bei Brüdern seltenen Neidlosigkeit zusammen. Zur Erziehung der Knaben, die ihre Mutter nach langem Krankenlager im Alter von 13 und 10 Jahren verloren, hatte der meist außer dem Hause beschäftigte Vater junge Philologen als Hauslehrer an sich gezogen. Die Wahl des Vaters fiel stets auf charakterfeste junge Männer und ihrer Pflichttreue ist es mit zum Verdienst anzurechnen, daß [338] sich ihre Zöglinge durch größte Ausdauer auszeichneten. Dieselben besuchten das Gymnasium, fanden aber unter dem steten Umgang mit fachgebildeten Erziehern Zeit, neben dem Lehrstoff der einzelnen Classen die neueren Sprachen sich anzueignen und der Neigung zu naturwissenschaftlichen Studien nachzugeben. Der Vater ließ die hervortretenden Anlagen durch Privatunterricht fördern; dieses frühzeitige Eintreten in Studien, die naturgemäß der Universitätszeit zufallen, hatte jedoch auch seine Schattenseiten und kaum konnte der ungeduldige Adolf dazu gebracht werden, sämmtliche Gymnasialklassen zu absolviren. Mit dem Uebertritt an die Universität waren beide Brüder zu litterarischen Arbeiten befähigt und bereits unterm 21. September 1847 begegnen wir ihrer ersten publicistischen Leistung; unter diesem Datum ist von Hermann in der Beilage Nr. 13 zur Allgemeinen Zeitung vom 13. Januar 1848 ein Aufsatz über „die Gletscher des Oetzthales“ veröffentlicht. Gemeinschaftlich zeichnen die beiden Forscher zum erstenmal im „Ausland“ vom 10. Juli 1848 ihre durch neun Nummern dieser Zeitschrift sich fortsetzenden Schilderungen aus den Hochregionen der Alpen. Diese Arbeiten sind das Ergebniß von zwei Reisen, welche in den Jahren 1846 und 1847 gemacht wurden; ihr Begleiter war dabei der jüngere Bruder Eduard, damals Zögling des königlich bairischen Kadettencorps, der auf diesen Reisen die Erfahrungen zu seinen späteren Beobachtungen in Marokko sammelte. Auf den Wunsch des Vaters war Hermann bei der medicinischen Facultät eingetreten, konnte aber dem Berufe als Arzt keinen Geschmack abgewinnen und wandte sich endgültig den naturwissenschaftlichen Fächern zu, als die Mitarbeit des jüngeren Bruders gesichert war. Unter dem 20. Juli 1848 promovirte Hermann in München mit einer Abhandlung über ein Instrument zur Winkelmessung, im nächsten Winter Adolf mit einer geognostischen Arbeit. Im Mai 1849 siedelten die Brüder nach Berlin über, wo sie sich durch zahlreiche Abhandlungen in Poggendorff’s Annalen und anderen Fachzeitschriften vortheilhaft einführten; am 24. Juni 1849 hatten sie die Ehre, zum erstenmale von Alexander v. Humboldt empfangen zu werden. Humboldt schätzte an den jungen Forschern, daß sie ebenso glücklich im Erringen des Materials der Beobachtung sind, wie in der Verallgemeinerung des Materials (Brief aus dem Beginn des Jahres 1850) und stellt ihre Arbeiten über die östlichen Alpen dem Werke von Saussure an die Seite. „Gestaltung der Erdoberfläche und ihr Einfluß auf Temperatur der Luft, des Bodens und der Quellen, auf geographische Vertheilung und Physiognomie der Vegetation; Durchsichtigkeit der Luftschichten, Schneehöhe, Gletscher, chemische Analyse der in den Eisröhren enthaltenen Luft, – alles ist mit den Hilfsmitteln, welche der seit Saussure’s Tod so riesenhaft fortgeschrittene Zustand unseres physikalischen, geognostischen, botanischen Wissens darbietet, sorgsam durchforscht. Ich darf mich auch auf das Zeugniß des ersten Geologen unserer Zeit, Leopold v. Buch, der catonisch streng, nicht zu übermäßigem Lobe bereit ist, berufen. Meinem Lebensberufe als Gelehrter getreu, sind meine Hoffnungen immer auf die neuen Geschlechter gerichtet, auf daß unter dem Schutze deutsch gesinnter, edler Monarchen deutscher wissenschaftlicher Ruhm genährt und zu neuem Glanz erhoben werde.“ Mit diesen Worten empfahl Humboldt unter’m 4. April 1850 „die zwei noch sehr jungen, gründlich gelehrten und was jetzt so selten, mit anmuthiger Bescheidenheit auftretenden Naturforscher, die ein Jahr unter uns gelebt und hier eine Auszeichnung und Achtung genossen, die seit langer, langer Zeit keinem anderen jungen Gelehrten zu theil geworden ist“, der Huld und hilfreichen Aufmerksamkeit ihres Landesherrn, dem hochsinnigen Könige Maximilian II. von Baiern. Vom August 1850 datirt die Vorrede zu den „Untersuchungen über die physikalische Geographie der Alpen“. Mit 2 Karten, 11 Tafeln und zahlreichen in den Text gedruckten [339] Holzschnitten (Leipzig 1850). Dieses Werk bringt die bisherigen Beobachtungen in den östlichen Alpen zum Abschluß und ist A. v. Humboldt zugeeignet. Im Winter 1851 treffen wir die Brüder in England, wo sie sowohl in der dortigen Gelehrtenwelt, wie in der Gesellschaft hohe Gönner fanden. Unterm 28. Juni 1851 habilitirte sich Hermann an der Universität Berlin als Docent für physikalische Geographie und ging unmittelbar nachher mit seinem Bruder an die Erforschung der westlichen Alpen. Unterm 23. August 1851 gelang es den eifrigen Forschern, als die ersten die Spitze des Monte Rosa zu erklimmen; die um 7,1 Meter höchste Erhebung war wegen Einzahnungen des Kammes und Steilheit der Felsen nicht zu erreichen und ist unseres Wissens auch seither nicht gewonnen worden. (Die Besteigung ist beschrieben in der Illustrirten Zeitung Nr. 556 vom 25. Februar 1854.) Im Herbst 1852 gingen die Brüder in die bairischen Voralpen und lieferten ein Relief der Zugspitze, des höchsten Gipfels der deutschen Alpen. Am 12. März 1853 habilitirte sich Adolf an der Universität München als Docent für Geologie.
Robert hatte die Brüder in das Gebiet der Zugspitze begleitet und unternahm im Herbste 1853 selbständig eine Erforschung der Gebirgsmassivs des Kaisergebirges.
Die Gesammtergebnisse der Untersuchungen der drei Brüder in den schweizerischen, italienischen und bairischen Alpen sind vereinigt in dem Werke: „Neue Untersuchungen über die physikalische Geographie und die Geologie der Alpen. Mit einem Atlas von 22 Tafeln“ (Leipzig 1854). König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen nahm die Widmung des Werkes an. Im Atlas zeigt sich zum erstenmal die große künstlerische Ausbildung der Gelehrten; ihre Ansichten der wichtigsten Spitzen und Thäler der Monte Rosa-Gruppe zählen in der dortigen Gegend noch heute trotz der hohen Vollendung, welche die Photographie erfuhr, zu den treffendsten Alpenbildern. Von der Genauigkeit der örtlichen Beobachtung geben ehrendes Zeugniß die beiden Reliefs der Monte Rosa-Gruppe und der Zugspitze im Maßstabe von 1:50 000 (galvanoplastisch vervielfältigt, Leipzig 1854). Vgl. Dr. O. Funke, Die Schlagintweit’schen Reliefe (Leipzig 1855, 22 S.).
Durch Vermittlung A. v. Humboldt’s wurde der geistreiche König Friedrich Wilhelm IV. auf das Brüderpaar aufmerksam, bezeichnete es ihrer Unzertrennlichkeit wegen scherzend als „das siamesische“ und wandte den Forschern sein ganzes Wohlwollen zu. Seitens der Directoren der Ostindischen Compagnie wurde auf Anstehen von Sabine und Murchison die Ausdehnung der 1846 von Elliot im indischen Archipel unternommenen magnetischen Untersuchungen auf die Halbinsel Indien hinauf bis zum 37. Grad nördlicher Breite in dem damals eben zugänglich gewordenen Himalayastaat Kaschmir in Aussicht genommen. Humboldt, zu Rath gezogen, machte auf seine Günstlinge als geeignete Gelehrte hierzu aufmerksam; der König nahm sich des Vorschlags an und wußte die Einwürfe, welche gegen die beiden Brüder wegen ihrer Jugend, wie wegen ihrer Nationalität erhoben wurden, dadurch zu beseitigen, daß er am 27. Februar 1853 eine „gemeinschaftliche“ Expedition vorschlug, zu deren Kosten König wie Compagnie beitrügen. Dieser Gedanke fand seitens des damaligen Gesandten Preußens am Hofe von St. James, Freiherrn Christian v. Bunsen, gleich ausgezeichnet als Gelehrter, wie als Diplomat, unermüdliche Förderung und schon unterm 23. April konnte Bunsen ein vorläufiges Abkommen dahin melden, daß die Compagnie zu den Kosten der Reise eine Summe von eintausend Pfund Sterling jährlich aussetze, während der hochherzige König diesen Betrag aus seiner Privatschatulle bis zu der damals veranschlagten Summe erhöhte. Bald darauf siedelte Adolf nach London über; seine Schritte wurden von Bunsen und Humboldt getragen, sowie wirksam unterstützt durch die Bemühungen des bairischen [340] Gesandten Freiherrn v. Cetto und die lebhafte Theilnahme, welche dem Unternehmen seitens der Vertreter der Wissenschaft die Royal Society und namens der Directoren der Ostindischen Compagnie der um die Eroberung wie die wissenschaftliche Erforschung der westlichen Provinzen von Indien gleich verdiente Oberst Sykes entgegen trugen. Ende Mai war die Entsendung der beiden Brüder nach Indien zur Durchführung einer magnetischen Aufnahme Vorderindiens gesichert. Mit großem diplomatischen Geschicke wurden von Adolf die Verhandlungen zur Erweiterung der Aufgabe der Reisenden weitergeführt und auch die Begleitung des jüngeren Bruders Robert als Assistenten erwirkt, obgleich einflußreiche Tagesblätter gegen die Bevorzugung der Fremden und die Entsendung „der ganzen Familie“ manches Unangenehme zu sagen wußten.
Auf dem Dampfer „Indus“ schifften sich die Reisenden am 20. September 1854 in Southampton ein, nahmen den Weg zur See über Gibraltar und Malta nach Alexandrien, querten Unterägypten unter theilweiser Benutzung der neuen Eisenbahn in 3 Tagen, gingen in Suez auf dem Dampfer „Oriental“ wieder auf See, mußten in Aden das Schiff wechseln und landeten in Bombay am 26. October. Heute beansprucht eine Seereise aus London nach Bombay nur 20½ Tage. Die Ankunft wird an A. v. Humboldt in einem längeren Schreiben gemeldet, das die Eindrücke der Reise, wie die während der Seefahrt und auf dem Ueberlandwege angestellten Beobachtungen schildert und mit den Worten schließt: „Es weiß hier Jedermann so gut wie in England, daß Ew. Excellenz allein die Veranlassung unserer Entsendung nach Indien gewesen sind“. Die Reisenden verstanden es rasch, sich die Gunst der maßgebenden indischen Behörden zu erwerben; besondere Unterstützung lieh ihnen Lord Elphinstone, damals Gouverneur von Bombay, der große Reisen im nordwestlichen Indien ausgeführt hatte.
Am 2. December brachen die Brüder von Bombay nach Madras auf. Adolf nahm den südlichen Weg über Mahabaleschwar, durchforschte die Klüftungen der Westghats und stieß in Puna mit seinen Brüdern zusammen, die nach dem Dekhan auf der großen Heerstraße emporgestiegen waren. Bis Bellari ging die Reise gemeinsam; dann studirte Adolf die nördliche Abdachung der Ostghats, während die beiden anderen Brüder sich südlich wandten und ab Bangalore verschiedene Wege nach Madras einschlugen. Auf dieser Reise, die ausschließlich zu Pferd zurückgelegt wurde, nehmen den breitesten Raum in den Tagebüchern die geologischen Aufzeichnungen ein. Calcutta erreichten die drei Brüder zu Schiff und stiegen nach den Gangesebenen empor. Von hier wurde Centralindien im Amarkantak-Gebirgsstock von Robert untersucht, während Adolf unaufhaltsam nach Süden drängte, um sich über die geologische Beschaffenheit der Gebirgszüge zu unterrichten, welche am oberen Rande des Dekhans den Gewässern ihre Ost-Westrichtung aufdrängen. Robert gehört zu den ersten Europäern, die sich in das gefürchtete, von Sagen umwobene Amarkantakgebirge wagten, dessen Bewohner zu den rohesten Völkern Indiens, wahren Wilden, gehören. Während Robert sich den Staaten Rewah und Gwalior zuwandte, überschritt Adolf das Vindhya-Gebirge, sowie die östlichen Fortsätze der Satpura-Kette und machte erst am Meere, im Deltagebiete des großen Godaveri-Stromes Halt. Die Reise gehörte zu den ausgedehntesten, welche in damaliger Zeit ausgeführt wurden; sie beanspruchte nur die kurze Frist von sieben Wochen (19. December 1855 bis 7. Februar 1856) und begründete durch die reiche geognostische Ausbeute das hohe Ansehen, dessen sich Adolf in Indien als Geologe erfreute. Eine wichtige Ergänzung erhielten diese Beobachtungen durch die Aufnahmen, die Adolf in den darauffolgenden Monaten im südlichen Indien anschloß. Vom Radschamandri segelte Adolf nach Madras und von hier nach kurzem Aufenthalt nach der französischen Besitzung Ponditscherri, trat von hier [341] im Palki oder der Tragbahre die Landreise über Tritschinapalli an – schon damals Station der seither mit so überraschenden Erfolgen wirkenden christlichen Missionen – und stieg nach dem Gebirgsstock der Nilgiris empor. Ueber das Tafelland Maissur kehrte Adolf in weitem Bogen nach Madras zurück und verließ dieses am 21. März 1856 zu Schiff für Calcutta.
Assam, das Thal des Brahmaputra, suchte Hermann auf; im ersten Theil der Reise galten die Studien den Verästelungen, wie sie unter der Vereinigung der gewaltigen Wassermassen des Ganges und Brahmaputra im unteren Lauf dieser Ströme entstehen. Die Reise wurde vom Fuße des Himalaya am 15. August 1855 direct in Booten angetreten und darin fortgesetzt hinab bis Dacca und wieder aufwärts bis Silhet, wo der Südfuß der Khassia-Berge erreicht war. Die ruhige Bootfahrt war der Ausführung großer Zeichnungen und Aquarellgemälde günstig und gehören diese zu den farbenreichsten Stimmungsbildern, welche die Brüder zurückbrachten. Leider zog sich Hermann durch den 44tägigen Aufenthalt auf dem Wasser während der Regenzeit ein schleichendes Fieber zu, wozu sich ein bösartiger Karbunkel auf dem Rücken gesellte. Einem Eingeborenen mußte der nothwendige Schnitt überlassen werden und von dem Kräfteverlust, den Hermann durch diese Erkrankung erlitt, erholte er sich zeitlebens nicht mehr, wenn auch der Aufenthalt im Khassia-Gebirge vom 29. September bis 16. November 1855 in Höhen nicht unter 1200 Meter in der kalten und günstigsten Jahreszeit augenblickliche Stärkung brachte. Aufenthalt und Durchquerung der Khassia-Berge gestalteten sich für Hermann zu einem der erinnerungsreichsten Abschnitte der ganzen Reise; zu naturhistorischen Arbeiten aller Art und Anfertigung von Zeichnungen trat zum erstenmal in größerem Umfang die Beschäftigung mit anthropologischen Fragen (Menschenmessungen, Abgypsen des Vordergesichtes, Sammeln gut beglaubigter Menschenschädel und ganzer Skelette), sowie die Anlage ethnographischer und zoologischer Sammlungen.
Ins Thal des Brahmaputra hinabgestiegen, verweilte Hermann 2 Monate in Assam und dehnte seine Reisen nördlich bis in den Himalaya, östlich bis zum Austritt des Brahmaputra aus dem Gebirge aus. Gestützt auf Bestimmungen der Wassermenge der bei Sadiya sich vereinigenden Gebirgsflüsse hielt sich Hermann für berechtigt, nach den Angaben der Eingeborenen den Lohit als Quellfluß des Brahmaputra zu betrachten; neuere Reisen anglo-indischer Kundschafter erweisen für den Lohit zu geringe Längenausdehnung, um ihm diese Ehre zuzuerkennen und jetzt gilt als Oberlauf des Stromes der Dihang, in Tibet Tsang-po genannt.
Die Feststellung des Einflusses der Gesteinsarten und größeren Gebirgsmassen auf die Magnetnadel gehörte zur besonderen Aufgabe der Reisenden und konnte nur durch Eindringen in das größte Gebirgssystem der Erde, des Himalaya mit dem ihn nördlich abschließenden Künlün gelöst werden; eine Erforschung dieses Gebirges entsprach auch in hohem Grade den Neigungen der Brüder und waren sie zu einer solchen Aufgabe durch ihre Vorstudien in besonderer Weise befähigt. Demgemäß sehen wir die Reisenden mit der größten Ausdauer sich in diesem Gebirge bewegen.
Zwischen 16. November 1855 und 30. Januar 1856 gelang Hermann ein Vorstoß von Gauhati, Assam, über Mangaldai und Udalguri in das Gebiet des Lamas oder Klosteroberen über Tawang. Die Erwartung, bis zur Wasserscheide des südlichen Hauptkammes des Gebirges vorzudringen, erfüllte sich nicht, die Lamas weigerten Träger und Führer. Hermann mußte in Narigun in 1110 Meter Höhe Halt machen, konnte aber von Aussichtspunkten einen Ueberblick über die Hochgipfel erhalten, deren nächstgelegene bereits den Montblanc überragen [342] und kehrte mit einer reichen Ausbeute an Kartenskizzen und Zeichnungen nach Tezpur in Assam zurück.
Von Mai bis August 1855 führte Hermann einen äußerst lohnenden Besuch von Britisch Sikkim aus und verband damit die Erforschung der Ketten westlich davon: der Sandakphu-, Phallut- und Singalilaberge. Hermann entfaltete hierbei eine ganz staunenswerthe Thätigkeit. Lange Beobachtungsreihen, große Panoramen, 32 kleinere Zeichnungen und eine stattliche Sammlung der seltensten Gegenstände des buddhistischen Cultus aus den Klöstern Pemiongtschi, Saimonbong und den Vorräthen des gelehrten Tschibu Lama, der damals in Dardschiling seinen Landesherrn, den Fürsten von Sikkim, vertrat, sind die Frucht dieser Reise.
Während Bhutan und das unabhängige Sikkim zu den verschlossenen Gebieten gehörten, so erfreute sich Hermann bei seinem Besuche von Kathmandu, der Hauptstadt des Königreiches Nepal, das den mittleren Theil des Himalayagebietes einnimmt, eines Parwâna-Geleitsbriefes des Herrschers. Einen vollen Monat (14. Februar bis 13. März 1856) konnte Hermann in Nepal zubringen; zu den Feststellungen, die er dort mit Erfolg vornahm, gehört die Ermittelung von Gaurisankar, „der Siva und seine Gattin Gaurî einschließende Berg“, als den Eingeborennamen für den höchsten Berg der Erde von 8840 Meter Höhe. Die Engländer hatten den Berg Everest genannt nach dem verdienten Vorstande des indischen trigonometrischen Amtes und wollten Hermann zuletzt 1886 den Ruhm streitig machen, den Eingeborennamen bestimmt zu haben; die Sache ist aber inzwischen zu Gunsten des deutschen Forschers klargestellt (vgl. E. S. in Petermann’s Mittheil. 1888, S. 338 u. 1890; Survey of India Department, Dehra Dun 1890).
Während Hermann im Osten des britisch-indischen Reiches Beobachtungen anstellte, nahmen Adolf und Robert das mittlere Indien, Hindustan und die Gebirge nördlich davon in Angriff. Die Reise von Calcutta über Patna, Benares, Allahabad, Fatehgarh und Bareli bis Bhabar am Fuße des Gebirges unterhalb Nainital beanspruchte damals mit der Eilpost – nur von Calcutta bis Bardwan waren 110 Kilometer Eisenbahnen eröffnet – volle vier Wochen; heute ist Bhabar Endpunkt der Bahn und die Eilzüge verkehren in 40 Stunden. In Nainital erforderten die magnetischen Beobachtungen und die Vorbereitungen zur Reise ins Hochgebirg einen Aufenthalt von fünf Wochen. Am 17. Mai 1855 brachen die Brüder auf nach Munschyari (Schimpti), dem Winterquartier der tibetischen Bevölkerung. Robert warb hier die erforderlichen Träger an und erwartete seinen Bruder in Milam, in 3439 Meter Sommeraufenthalt der Bewohner. Adolf führte inzwischen in der großartigen Gletscherwelt südwestlich von Milam seine erste Hochgebirgsfahrt aus. Auf dem Pindar wurde zum erstenmal Gletschereis betreten, in Höhen von 5000 Meter der Einfluß der verdünnten Luft empfunden; die Wirkung schrieben die Begleiter der Ungunst der Götter zu und hatte Adolf dagegen Schafe opfern zu lassen. Der Junimonat wurde von Milam aus mit unermüdlichem Fleiß zu Bergbesteigungen und Beobachtungen auf Hochjochen zugebracht, wobei die stattliche Höhe von 5675 Meter erklommen wurde. Nicht weniger als 63 Gletscher erster Ordnung waren auf den Karten einzutragen, darunter solche von 18 Kilometer Ausdehnung. Mit den von und nach Tibet verkehrenden Karawanen fand eifriger Verkehr statt; werthet doch der Handelsumsatz während der Sommermonate in diesem sonst einsamen Hochthale eine halbe Million Mark, weil die tibetische Regierung den dortigen Bhutias die Vergünstigung zugesteht, die den Hindus der Ebene noch heute verweigert wird, die Märkte in Tibet zu befahren. Die hier angestellten Menschenmessungen und gewonnenen Sammlungen tibetischer Handschriften wie Handelsgegenstände gehören zu den werthvollsten der ganzen Reise. Ebenso umfassend gestalteten sich die zoologischen [343] und botanischen Sammlungen. Am 4. Juli brachen die Reisenden zu einem Abstecher nach dem chinesischen Tibet auf. Zuerst wurde während drei Tagen Nachtlager in der gewaltigen Höhe von 5646 Meter genommen; dann sollte in die Ebene des Satledsch-Flusses hinabgestiegen werden. Eine chinesische Grenzwache nöthigte die Forscher anfangs zu einem beschwerlichen Marsche längs der Grenze in westlicher Richtung; nach zwei Tagen entzogen sie sich unter Verkleidung der Ueberwachung durch einen zwanzigstündigen eiligen Ritt, ihre Verfolger holten sie aber ein und erst nach längeren Verhandlungen mit dem chinesischen Mandarin in Daba, einer hochinteressanten Höhlenstadt, deren sämmtliche Häuser in den weichen Lößboden eingeschnitten sind, erwirkte ihr Reisevorstand, ein angesehener Bhutia aus Milam, die Weiterreise bis zum 5351 Meter hohen Tsako (Tschoko-)La, einem Passe in der Wasserscheide zwischen Satledsch- und Industhal. Die Reisenden suchten gegen die Vereinbarung Gartok zu erreichen, fanden sich aber unerwartet einer Abtheilung von mehr als hundert tibetischen Soldaten gegenüber und gingen nun in südwestlicher Richtung zurück, bestiegen noch mit Meß- und Zeichentisch den 5702 Meter hohen Gunschankargipfel in der Trans-Satledsch-Kette, folgten im Thale dem Satledsch-Flusse bis zum großen buddhistischen Kloster Mangnang und kehrten dann nach Britisch Garhwal zurück. Der Aufenthalt in Tibet umfaßt die Zeit vom 4. Juli bis 12. August; zahlreiche astronomische und Höhenbestimmungen, reiche naturhistorische und ethnographische Sammlungen wie 20 Zeichnungen sind das Ergebniß dieser an Entbehrungen wie Anstrengungen denkwürdigen Ausbiegung nach Norden. Eine neue Leistung ersten Ranges knüpft sich an den Rückweg. Von Mangnang aus wurde das Gepäck auf dem 5606 Meter hohen Manapasse nach dem Pilgerort Badrinath vorausgeschickt, wo im Sommer an 50,000 Hindus zum Schrein des Gottes Wischnu wallfahren; die Forscher selbst stiegen östlich davon den Ibi-Gamin-Gletscher empor, der vom 7752 Meter hohen gleichnamigen, auch Kamot genannten Gipfel sich herabsenkt. In der gewaltigen Höhe von 5888 Meter wurde auf der Gletschermoräne das letzte Nachtlager genommen; am nächsten Morgen begünstigte festgefrorener Schnee den Anstieg und erst bei 6766 Meter machte die eigenthümliche Erschöpfung, welche unter dem verringerten Drucke der Luft eintritt, dem weiteren Anstiege ein Ende. Diese Höhe von 6766 Meter ist die größte Erhebung, zu der sich je eines Menschen Fuß zu wissenschaftlichen Zwecken erhob. Ueber einen Paß von 6234 Meter erfolgte der Abstieg nach Badrinath in 3169 Meter Höhe.
Die großartige Natur ließ die Reisenden nicht zur Ruhe kommen. Mit dem ihm auszeichnenden Drang nach Klarheit kehrt Adolf verkleidet über den Nanapaß nach Tibet zurück, gewinnt am Bogo-La (südwestlich von Tsako-La) mit 5856 Meter Höhe wieder einen Ausblick auf die Trans-Satledsch-Kette, vervollständigt seine Karten und steigt voll befriedigt über den 5560 Meter hohen Nilangpaß in das Thal des Ganges-Quellflusses Bhagirati ab. Nach Uebertritt in das Tonsthal wird ein längerer Halt auf dem Kidarkanta gemacht, ein Gipfel von nur 3811 Meter, aber ein Aussichtspunkt ersten Ranges, von welchem aus eine umfassende Zeichnung der großartigen Rundsicht aufgenommen wurde. Durch die stete Uebung hatte sich Adolf eine solche Sicherheit in Wiedergabe der Gebirgslinien angeeignet, daß dieses Panorama wie die Mehrzahl der späteren Ansichten mit Feder und Tinte zu Papier gebracht ist. Ohne Aufenthalt ging es thalabwärts nach Masuri, wo zum erstenmal nach monatlangen ununterbrochenen Gebirgsreisen wieder Verkehr mit Europäern möglich wurde. Robert ging von Badrinath über Dschosimath thalabwärts bis Gopeswar (Tschamoli gegenüber), stieg dann über Ukimath nach Kedarnath auf und berührte auf dieser Reise die trotz ihrer abgeschiedenen Lage aus ganz Indien besuchten Wallfahrtsorte [344] im Quellgebiete des Ganges. Die Jahreszeit war indessen weit vorgerückt; auf beschneiten Hochjochen wurde der Uebergang nach Kharsali im oberen Dchschamnathale erzwungen und den merkwürdigen heißen Quellen von Dschamnotri ein Besuch abgestattet. Am 21. October sind beide Brüder in Masuri vereint und eilen nun mit einem großen Troß von Beobachtungsmanuscripten und Sammlungen aller Art der hindustanischen Tiefebene zu, um die kühle Jahreszeit, die Hermann im Brahmaputrathale zugebracht hatte, zu den bereits beschriebenen Reisen hinab bis nach Madras in die Nilgiris auszunutzen. Erst im Monat April 1856 wird den drei Brüdern die Freude, in Simla vereinigt zu sein; die Instrumente werden verglichen und die Erforschung des westlichen Gebirges in Angriff genommen.
Am 3. Mai 1856 brachen die drei Brüder nach Kulu auf, trennten sich aber schon nach dem zweiten Nachtlager. Hermann nahm die östlichste Route, folgte dem Satledschthale bis Vangtu, ging dann genau nördlich, durchschritt Spiti und betrat Westtibet, auch Ladakh genannt, über den 5637 Meter hohen Parangpaß. Mit den Ursachen und Wirkungen, welche abflußlose Seebecken in Tibet zu Salzseen gestalten, wurde Hermann bekannt am Tsomoriri, der bei 25 Kilom. Länge und 5–8 Kilom. Breite dem Starnbergersee an Form wie Wasserfläche gleichkommt, an Tiefe aber nur 75 Meter erreicht. Die hier gemachten Beobachtungen fanden 8 Tage später ihre Ergänzung am Pangkong- oder Tsomognalarisee, dem größten Wasserbecken im britischen Indien, das eine Ausdehnung von 150 Kilometer bei 8 Kilometer Breite hat. Hermann stieg von hier zum Industhal hinab, lernte in Himis zum erstenmal das buddhistische Klosterleben im großen Stil kennen und stieß am 23. Juli in Le, der Hauptstadt[WS 1] von Ladakh, mit Robert zusammen, der über den Baralatschapaß Tibet erreicht hatte und schon drei Wochen vorher in Le eingetroffen war. Adolf suchte Material für sein Lieblingsfach, hielt sich westlich, besuchte die Gletscher in Zanskar und überschritt dann unaufhaltsam einen Kamm nach dem andern, um möglichst bald die Hochthäler von Balti zu erreichen, oder die rauhe Provinz nördlich des Schayokflusses nach seinem Zusammenflusse mit dem Indus. Bereits am 15. Juli trifft Adolf dort ein und bleibt dort ein volles Vierteljahr, einen Gletscher nach dem andern vermessend und zeichnend. Das dortige Gebirge bildet den Südrand der als Dach der Welt bezeichneten Pamir-Hochsteppen und ist mehr vergletschert, als alle anderen Theile der Grenzgebirge der centralasiatischen Tiefebenen; der Boltorogletscher hat eine Länge von 65 Kilometer oder fünfmal mehr als die größten Gletscher der Schweiz. Am Tschorkondagletscher hielt sich Adolf eine ganze Woche in der unwirthlichen Höhe von 5900 Meter im Freien auf; von der Großartigkeit der dortigen Gletscherwelt gibt ein farbenreiches Blatt im 1. Band des Reisewerkes einen Begriff. Beim Ueberschreiten des Mustagpasses, in dessen nächster Nähe der zweithöchste Berg der Erde sich zur gewaltigen Höhe von 8619 Meter erhebt, kam Adolf als der erste Europäer mit den räuberischen Kundschut, einer tibetischen Colonie, in Berührung; er bedurfte hundert Mann, um auf dem Mustagpasse (5480 Meter) vor einem Ueberfalle sicher zu sein.
Während Adolf hier mit Bienenfleiß wichtige Bausteine zur Lösung orographischer Fragen ersten Ranges zusammentrug, führten seine Brüder Hermann und Robert eine Reise nach Turkistan über Hochsteppen aus, die noch keines Europäers Fuß betreten hatte. Die Brüder brachen hierzu am 24. Juli 1856 von Le auf und erreichten ohne Zwischenfall die Höhe des Karakorumpasses bei 5568 Meter. Schon hier ließ sich durch Beobachtungen und Bergbesteigungen, die bis zu 6083 Meter Höhe ausgedehnt wurden, erkennen, daß die wasserscheidende Kette erreicht war und nicht erst der fernere Künlün die Wasser Centralasiens [345] von Indien abschließe. Hermann wollte diesen Punkt durch eine Ueberschreitung des Künlüns selbst über alle Zweifel erheben, und unter Verkleidung ritten die beiden Brüder am 10. August von nur wenigen Getreuen gefolgt in die „Steppen der großen Wildniß“ hinein, wie die Eingeborenen die Hochthäler bezeichnen, die Tagereisen weit den Raum zwischen den beiden Kämmen ausfüllen. Einen eigentlichen Pfad gab es nirgends, einige mitgetriebene Schafe lieferten die Nahrung. Bei empfindlicher Kälte, der manche Thiere erlagen, überstiegen die Reisenden den Künlün, erst am 15. Tage stießen sie wieder auf Menschen. Glücklich wurde die Rückkehr bewerkstelligt, in Le das zurückgebrachte hochwichtige Beobachtungsmaterial geordnet und nach Hause geschickt und der Abstieg nach dem viel besungenen Thal von Kaschmir angetreten. Hieher wandte sich auch Adolf; die letzten zwei Monate des Jahres 1856 brachten den Brüdern den Genuß gemeinschaftlicher Rückkehr nach der Pandschabebene, wo in Rawalpindi noch Standquartier genommen wurde. Am 17. December trennten sich die Brüder. Robert trat direct den Rückweg an, stieg längs des Dschehlam, Tschenab und Satledsch zum Indus hinab und folgte diesem bis zu seiner Mündung bei Karatschi; auch von hier ging es zu Land weiter. Die Insel Katsch, die Halbinsel Kathiawar wurden gequert und erst in Surat nach einem zu Pferd und auf Kameelen ausgeführten Marsch von 2400 Kilometer Länge, der 4½ Monate erforderte und in strenger Kälte begonnen, bei drückender Hitze vollendet wurde, ging es nach Bombay zu Schiff. Nach Ordnung der Angelegenheiten machte Robert einen Abstecher nach Ceylon und schiffte sich hier am 14. Mai 1857 nach Europa ein. Ebendahin gelangte Hermann einen Monat später von Calcutta aus, wohin er von Rawalpindi über Lahor, Agra und Patna mit einem Abstecher nach Nepal gegangen war. Am 30. Mai trafen sich die beiden Brüder in Kairo, schifften sich am 2. Juni in Alexandrien ein und landeten am 7. Juni in Triest.
Adolf hatte bei der Trennung in Rawalpindi den Plan, nach seinem Besuche von Peschawar die Grenzgebirge gegen Afghanistan zu untersuchen. Durch die liebenswürdige Vermittelung von Sir John Lawrence wurde Adolf am 26. Januar 1857 nach Unterzeichnung des neuen Vertrages mit Afghanistan dem damals allmächtigen Emir von Kabul, Dost Mohammed, vorgestellt und er durfte vom Khaiberpaß jenseits der Grenze nach Kalabagh am Indus absteigen. In Dera Ismael Khan unterbricht Adolf den Weg nach Süden, wendet sich östlich und während ihn die Brüder auf einem Abstecher in das Biasthal (Kangra) vermutheten, hatte er sich bereits wieder dem Hochgebirge zugewandt. Ein Zusammentreffen in Peschawar mit Karawanenführern nach Turkistan hatte den Plan reifen lassen, den Künlün östlicher zu übersteigen, als es im Vorjahre seinen Brüdern gelungen war. In Lahor wurden die letzten Einkäufe an Tauschwaaren gemacht, Anfangs Mai sind in Sultanpur (nördlich von Simla) die Thiere und Lebensmittel beschafft und auf einsamen Wegen, um unbeachtet zu bleiben, ging es östlich des Karakorums zu den damals noch unbekannten Lingtsi-Thang-Hochebenen empor. Der Karakorum wurde am Kisilpasse, der Künlün in den Kilianbergen überstiegen. Mit dem Uebertritt nach Turkistan beginnen die Widerwärtigkeiten. Pferde wurden gestohlen, verdächtiges Gesindel stellte sich ein; an Stelle rastlosen Vorwärtsdringens folgt Aufenthalt in versteckten Seitenthälern am Südabhang des Künlüns. Ende Juli entsendet Adolf Diener nach Yarkand, um verlässige Nachrichten über die Gerüchte von einer politischen Umwälzung in Kaschgar zu erhalten. Herr des Landes war Wali Khan geworden, Mitglied einer Khokandifamilie, die seit Jahrhunderten nach dem Besitz des inzwischen zur chinesischen Provinz gewordenen östlichen Turkistans strebte; den Sieg, der dem Abenteurer fast ohne Schwertstreich zufiel, feierte er nach alttatarischer Sitte [346] durch eine Pyramide aus den Schädeln der hingerichteten Gegner, die außerhalb der Hauptstadt Kaschgar zusammengetragen wurde. Seit 1. August sah sich Adolf unter Aufsicht gestellt; es gelang ihm aber noch, Yarkand unter den Wirren zu verlassen, die ein Sturm der Chinesen mit sich brachte, der eine Stunde nach seiner Ankunft begann. Mit der Ueberlegenheit, die Europäer auszeichnet, meldet sich Adolf, in Kaschgar angelangt, bei Wali Khan zur Audienz. Die Antwort war jedoch der Befehl zu seiner Enthauptung, die sofort am 27. Aug. 1857 vollzogen wurde; sein Kopf wurde zur Spitze der Schädelpyramide verwendet. So endete die letzte Reise der Brüder, auf welcher sie theilweise Wegen gefolgt waren, die seit Marco Polo kein Europäer mehr betreten hatte.
Nach Europa zurückgekehrt, werden Hermann und Robert von regierenden Fürsten wie wissenschaftlichen Gesellschaften hohe Ehren zu Theil; am höchsten steht darunter ihre unterm 24. November 1859 vollzogene Erhebung in den erblichen Adelstand des Königreichs Baiern, dann die unterm 4. August 1864 ertheilte Genehmigung an Hermann, den Beinamen Sakünlünski (d. h. Uebersteiger des Künlün) führen zu dürfen, wozu eine Auszeichnung aus Rußland den Anstoß gab; ebenso treffend ist der Beiname Plinius Indicus III., mit welchem die altehrwürdige Leopoldino-Carolina-Akademie den Reisenden unter die Zahl ihrer Ehrenmitglieder aufnahm. 13 Orden zierten die Brust Hermann’s, 17 Orden und Medaillen Robert.
Zur Ausarbeitung wurde das Beobachtungsmaterial einer genauen Sichtung unterworfen und in 106 Foliobände gebracht, davon enthalten 46 die eigenhändig geschriebenen Aufzeichnungen der Brüder, 38 vereinigen die magnetischen und meteorologischen Ablesungen, 22 die Pausen mit Erläuterungen von den Zeichnungen. An landschaftlichen Ansichten und Skizzen zur Festhaltung wissenschaftlich merkwürdiger Formationen wurden 749 mitgebracht; darunter befinden sich Panoramaaufnahmen von 4 Meter Länge; 484 sind als Aquarelle, als Kohlenzeichnung und selbst in Oelfarben ausgeführt. Ebenso umfassend waren die Sammlungen. Nach der endgültigen Bestimmung zählten die einzelnen Gruppen 14 777 Nummern; davon entfallen 9577 auf geologische Handstücke und Erdarten, 1800 Arten auf das Herbarium, 650 auf Baumdurchschnitte und Sämereien, 750 auf zoologische Präparate, 400 auf Menschenskelette und Schädel, wie Gesichtsmasken über Lebende, diese erläutert durch 202 Messungen an Kopf und Körper; 1400 Stück zählen die ethnographischen Gegenstände, an 200 die tibetischen und indischen Handschriften wie Drucke. – Die beiden Brüder gingen rüstig an die Herausgabe ihrer Beobachtungen; zur Ermöglichung der Arbeit unter steter Benützung der Sammlungen wurde das einst fürstbischöfliche Sommerschloß Jägersburg bei Bamberg erworben. Das Hauptwerk ist englisch verfaßt, hat Großquartformat und den Titel: „Results of a scientific Mission to India and High-Asia; with an Atlas of Panoramas, Views & Maps.“ Das ganze Werk war auf 9 Bände berechnet; davon erschienen 1861–63 in rascher Folge Bd. I: Astronomical Determinations and Magnetic Observations (494 S.); Vol. II: Hypsometry (549 S.); Vol. III: Glossary and Route-Book (292 S.). Erst 1876 folgte der IV. Bd.: Meteorology (497 S.). Zahlreiche Fachrecensionen besprachen das Werk sehr günstig; das Urtheil über die farbenreichen Atlasblätter ist dahin zusammengefaßt, „daß die Natur mit den Augen des Gelehrten betrachtet und mit der Fertigkeit des Künstlers mit Stift und Pinsel festgehalten ist“. In deutscher Sprache schrieb Hermann sodann „Reisen in Indien und Hochasien“ (4 Bde. 1869–80). Für die Fortführung der „Results“ wurde der Verlust von Adolf empfindlich störend; für die einzelnen Fächer mußten aus der Reihe der deutschen wie englischen Gelehrten Mitarbeiter gewonnen werden; Abhandlungen über verschiedene Theile der Sammlungen erschienen. Je länger sich die Herausgabe jedoch verzögerte, um so mehr wurden die eigenen Beobachtungen [347] durch die neuen Untersuchungen in Indien beeinflußt, zu denen Beamte und Gelehrte fortgesetzt ebenso umfassende wie bedeutende Beiträge liefern. Hermann fühlte sich bei dem zusehenden Schwinden seiner Gesundheit der Arbeit nicht gewachsen und die Aufgabe der Zusammenfassung der Einzelarbeiten zu einem harmonischen Ganzen blieb ungelöst.
Robert hatte sich inzwischen ein anderes Gebiet der Thätigkeit gesucht. Mit Decret vom 23. Februar 1864 zum außerordentlichen Professor für Geographie an der großherzogl. hessischen Universität Gießen ernannt, wurden für ihn Einladungen seitens Gesellschaften in den größeren Städten Mitteldeutschlands und der Schweiz der Anstoß, Vorträgen vor dem erweiterten Kreis erwachsener Hörer den Vorlesungen vor wenigen wißbegierigen Universitätsstudenten den Vorzug zu geben. Bis zum 7. April 1868 hatte Robert die Ergebnisse seiner indischen Reise im Deutschen Reich, in Oesterreich-Ungarn, der Schweiz und den russischen Ostseeprovinzen in 74 Städten vorgetragen. Im August 1868 erhielt Robert von den Vorständen des Lovell Institutes in Boston, das 1836 mit dem Legat von ¼ Million Dollars zu dem Zweck gegründet wurde, durch wissenschaftlich gehaltene, öffentliche Vorträge Bildung zu verbreiten, die Einladung zu zwölf Vorlesungen. Robert verblieb 9 Monate in den Vereinigten Staaten, dehnte seine Reisen bis nach dem Stillen Ocean aus und hielt in 20 Städten 76 Vorträge (davon 21 in englischer Sprache, die er meisterhaft beherrschte) mit beispiellosem Erfolge.
Als Beiträge zur Kenntniß von Amerika erschienen: „Die Pacifische Eisenbahn“ (1870), „Californien“ (1871), „Mormonen“ (1874), „Prairien“ (1876). Im Sommer 1878 erschien ein eigenartiges Buch: „Robert von Schlagintweit’s 1000 Vorträge“; zu dieser Leistung an öffentlichen Vorträgen in zwei Welttheilen an 400 Orten hatte es der Verfasser damals gebracht! Zur Vervollständigung seiner Kenntniß des amerikanischen Westens hielt sich Robert vom 4. März bis 6. September 1880 zum zweiten Mal in Amerika auf und schrieb: „Eisenbahneinrichtungen“ (1882), „Santa Fe und Südpacificbahn“ (1884), „Pacifische Eisenbahnen“ (nach seinem Tode 1886 veröffentlicht).
Hermann’s Gesundheit war durch die Reisen in Indien untergraben; am 19. Januar 1882 unterlag er in München einem langwierigen Leiden. Aus seiner letztwilligen Verfügung ist bemerkenswerth, daß er seinen Schädel und sein Gehirn der eigenartigen Sammlung dieser Ueberreste berühmter Männer in der königl. Anatomie dortselbst bestimmte. Robert hatte sich 1880 in San Francisco eine Rippenfellentzündung zugezogen, die sich später wiederholte und am 6. Juni 1885 zu Gießen nach schwerem Siechthum Ursache seines frühzeitigen Todes wurde. Beide Forscher starben unvermählt. Nach ihrem Tode ehrte ihre Vaterstadt München das Andenken der drei Brüder durch eine Gedenktafel an ihrem Vaterhause, die im October 1886 zur Aufstellung gelangte. Zu einer großen internationalen Feier gestaltete sich am 30. November 1888 die Einweihung des Denkmals, das auf Betreiben des kaiserlich russischen Consuls Nicolai Feodorowitsch Petrowsky seitens der kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft unter Mitwirkung der kaiserlich chinesischen Regierung und Unterstützung der deutschen Gesandtschaft zu Peking in Kaschgar gesetzt wurde; der Feier wohnte auch ein Deutscher bei, der österreichische Forscher Dr. Josef Troll aus Wien.
- Aus den zahlreichen Nekrologen über die drei Brüder seien erwähnt: Prof. Dr. Lauth, Allg. Zeitung vom 25. Januar 1882. – Köln. Zeitung vom 9. Juni 1885. – Deutscher Jugendfreund. 1883. – R. v. S. von Dr. Zierndorf (Cincinnati 1885). – Die Sitzungsberichte der k. b. Akad. der Wissenschaften enthalten zwei Aufsätze über Adolf: 1869: Todestag von A. S.; 1890: Denkmal für A. S. in Kaschgar mit 1 Tafel und 1 Karte.
[348] Eduard S., geboren am 23. März 1831, nahm als bairischer Oberlieutenant im 6. Chevauxlegersregiment theil an der Expedition der Spanier in Marokko, ging später nach England und Frankreich und schrieb: „Der spanisch-marokkanische Krieg 1859–60“ (Leipzig 1863); „Militärische Skizzen über England und Frankreich“ (Allg. Milit. Ztg. 1861). Er fiel als Hauptmann im bairischen Generalstab am 10. Juli 1866 im Gefecht zu Kissingen.
Emil S., geboren am 7. Juli 1835,[1] hatte während der Reisen der Brüder in Indien die Correspondenz mit König Friedrich Wilhelm IV. und A. v. Humboldt zu vermitteln und siedelte hierzu an die Universität Berlin über, wo er Rechtswissenschaft studirte und einen überaus anregenden Verkehr mit den ersten Gelehrten der Hauptstadt pflog. Seine Arbeit, mit welcher er den Doctorgrad erwarb: „Die Erwerbung auf den Todesfall (mortis causa capio) nach römischem Recht“ erschien 1863 erweitert in den Jahrbüchern für Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts von Gerber und Ihering, Jena 1863. Fast gleichzeitig brachten die Sitzungsberichte der bair. Akademie der Wissenschaften seine erste Uebersetzung eines buddhistischen Tractates (Ueber das Beichtbuddhagebet) aus dem Tibetischen, dessen Sprache er sich im Verkehr mit dem Buriäten-Lama Galsang Gombojew (vgl. über diesen gelehrten Mongolen, der Ende 1863 zu St. Petersburg verstarb: A. Schiefner in Mélanges Asiatiques 1856, p. 650) angeeignet hatte. Noch in demselben Jahre erschien in englischer Sprache: „Buddhism in Tibet illustrated by literary documents and objects of worship“ (Groß 8°, 403 Seiten). In der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (Bd. 18) veranstaltete Prof. Brockhaus einen deutschen Auszug; eine vollständige Uebersetzung ins Französische lieferte die Musée Guimet in Lyon 1881. Die bair. Akademie der Wissenschaften ernannte den jugendlichen Mitarbeiter auf dem Ehrenfelde seiner Brüder zu ihrem Mitgliede und veröffentlichte von ihm: „Die Könige von Tibet“ (1865), „Die Gottesurtheile der Inder“ (1866). In die praktische Berufsthätigkeit als Verwaltungsbeamter berufen, ist Emil z. Z. Bezirksamtmann in Zweibrücken. Durch den ununterbrochenen Verkehr mit seinen Brüdern und die Beschäftigung mit ihren Sammlungen befähigte er sich zur Verarbeitung eines umfassenden, durch Zusendungen der indischen Regierung fortgesetzt ergänzten, seltenen Quellenmateriales. In dem Prachtwerk „Indien in Wort und Bild“, 2 Bände in 4°, 477 Seiten mit 416 Holzschnitten (Leipzig 1880–82; die zweite „bis auf die Gegenwart fortgeführte“ Ausgabe erscheint seit 1890) ist eine „anschauliche und verlässige Schilderung von Indien geliefert, wie sie selbst England über die größte seiner Kolonien kaum besitzt“ (Petermann’s Monatsber. Februar 1882; A. Weber, Deutsche Litteraturztg. 1882, S. 287; v. Scherzer, Allg. Zeitg. 1880). Emil fiel auch die Aufgabe zu, die großen Sammlungen seiner Brüder durch Kataloge und Uebergabe an öffentliche Museen dauernd benutzbar zu machen. Die verschiedenen Gruppen gingen nach Berlin in das Völkermuseum und andere öffentliche Anstalten über, die Manuscripte und Anderes blieben in München, in’s Ausland kam nur wenig.
- Die Briefschaften, Tagesaufzeichnungen, Urkunden und Drucksachen der Mitglieder der Familie sind jetzt in 53 Foliobänden gesammelt und befinden sich im Besitze von Emil Schlagintweit.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ Schlagintweit, Emil XXXI 348 Z. 7 v. o. l.: 1835, † am 20. Okt. 1904 in Zweibrücken. [Bd. 56, S. 398]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Haupstadt