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ADB:Schröter, Corona

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Artikel „Schröter, Corona“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 560–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schr%C3%B6ter,_Corona&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 06:31 Uhr UTC)
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Schröter: Corona Elise Wilhelmine S., geboren am 14. Januar 1751 in Guben, † am 23. August 1802 in Ilmenau. – Glücklich, wer mit auserlesenen Geistern und Personen in nähere Verbindung und intimen Verkehr treten kann, beneidenswerth, wen Unsterbliche ihrer Liebe, Freundschaft und Anerkennung würdigen! Ein Strahl der Unvergänglichkeit, welche segenspendende Götter jenen verliehen, umschimmert auch ihr Haupt und von dieser höheren Berührung getragen, wird auch ihr Name von ewiger Glorie umleuchtet. Zu solchen Glücklichen zählt Corona S., die, eine selten schöne und edle Frau und vielseitige Künstlerin, dennoch, wie viele andere gottbegnadete ihres Geschlechts, die bleibender Erinnerung würdig, heute vielleicht vergessen wäre, hätten ihr nicht Goethe’s huldigende Verse und die ihr in denselben ausgesprochene Bewunderung das schönste, bleibendste Denkmal errichtet, das ihr Verehrung und Liebe setzen konnte und ihr ein verdientes ewiges Gedächtniß für alle Zeiten gesichert. In dem Gedichte „Auf Mieding’s Tod“ (Maschinist des Weimarschen Theaters, starb am 27. Januar 1782. Man hat sich die Bühnenmitglieder am Grabe versammelt zu denken, zu denen, einen Kranz spendend, Corona tritt), widmet er ihr in einem wunderbaren im leichtesten Alltagstone tiefste Empfindung athmenden Gedichte, folgende ergreifend schöne Zeilen:

Ihr Freunde, Platz! Weicht einen kleinen Schritt.
Seht, wer da kommt und festlich näher tritt!
Sie ist es selbst; die Gute fehlt uns nie;
Wir sind erhört, die Musen senden sie.
Ihr kennt sie wohl; sie ists, die stets gefällt;
Als eine Blume zeigt sie sich der Welt:
Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ists und stellt es vor.
Es gönnen ihr die Musen jede Gunst,
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.
So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.
[561] Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn!
Nur absichtslos, doch wie mit Absicht schön.
Und, hocherstaunt, seht ihr in ihr vereint,
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.
     
Es schweigt das Volk. Mit Augen voller Glanz,
Wirft sie ins Grab den wohlverdienten Kranz.
Sie öffnet ihren Mund, und lieblich fließt
Der weiche Ton, der sich ins Herz ergießt.

Selten hat selbst der große Dichter, der so manche holde Frau besang, edlere Gedanken, innigere Worte, herzlicheren Ausdruck gefunden. – Corona S. entstammte einer zwar sehr begabten, aber in dürftigen Verhältnissen lebenden Musikerfamilie, die mit vier Kindern gesegnet war, die sich in der Folge alle als bedeutende Künstler bethätigten. Der Vater, J. F. S., Sohn eines Zinngießers in Eilenburg, bestallter Hautboist im Graf Brühl’schen Regimente, hatte sich am 29. März 1748 mit M. R. Hefter, einziger Tochter eines Schuhmachers und Lohgerbermeisters in Guben verehelicht. Kaum war Corona dreijährig, als er einem Ruf nach Warschau folgte; von dort siedelte er 1763 nach Leipzig über und starb, alle seine Kinder überlebend, 1811, 87 Jahre alt, in dürftigen Umständen als pensionirter Hofmusikus in Kassel. – Er unterrichtete in den ersten Jahren alle seine Kinder selbst: Corona entwickelte schon frühe die schöne Gestalt und angeborene Grazie, die sie nachmals so sehr auszeichneten. Der Vater, der das Gesangstalent seiner Tochter bald entdeckte, aber leider nicht der geeignete Gesangslehrer für sie war, schädigte dadurch ihre Stimme, daß er sie, um möglichsten Umfang zu gewinnen, zu sehr in die Höhe trieb. Infolge solcher Ueberanstrengung blieb das Organ Corona’s immer etwas empfindlich und bedeckt. Aber emsiges Selbststudium entwickelte ihren Ton dennoch, bei reiner, weicher Stimme und innig-seelenvollem Vortrag, zu seltener Schönheit. Corona war 12 Jahre alt, als der Umzug nach Leipzig erfolgte. Dort wirkte der durch seine Compositionen und schriftstellerischen Arbeiten bekannte J. A. Hiller. Seine Frau, auch aus Guben stammend, war die Pathin Corona’s. Der wackere, herzensgute Mann nahm die Angekommenen freundlich und freundschaftlichst auf und war sofort bereit, die talentvollen Kinder künstlerisch nach jeder Richtung zu fördern. Er dirigirte, damals noch unentgeltlich, die 1743 von Cantor Doles ins Leben gerufenen großen Concerte, die zwar infolge des siebenjährigen Krieges zunächst eine Unterbrechung erfahren hatten, aber 1765 wieder aufgenommen, seit 1775 als Concerts spirituels weitergeführt wurden und, nach ihrer Uebersiedlung 1781 in den Gewandhaussaal, als Gewandhausconcerte bis heute fortbestehen. Damals, als S. mit seiner Familie in Leipzig eintraf, hatte der nie rastende Hiller, damit doch der musikalische Sinn nicht ganz einschliefe, ein Privatunternehmen (1762–1765), die öffentlichen Concerte, begründet. Der einsichtsvolle Meister erkannte bald, welchen Kräftezuwachs sein Institut durch die Schröterschen, wenn er sie unterrichtete und festhielt, gewinnen konnte. Unermüdlicher Fleiß und nach dem Höchsten gerichtetes Streben beseelte sie, namentlich Corona, und ließ sie überraschende Fortschritte machen. Schon 1765 sang die jetzt vierzehnjährige in einem der großen Concerte. Ihr Gesang, ihre Schönheit und Anmuth gewannen ihr allgemeinen Beifall. Kaum aber hatte sie sich in der Gunst des Publicums festgesetzt, als sie in Gert. Elis. Schmeling aus Kassel, nachmaligen Mara, in der Folge die gefeiertste Sängerin ihrer Zeit, eine nicht zu unterschätzende Rivalin erhielt. Man rühmte jetzt schon an letzterer den besten Vortrag, namentlich im Allegro, die Reinheit, Gleichheit, Stärke und Fülle, den großen Umfang und die Biegsamkeit ihres Organs und ihre unübertreffliche [562] Fertigkeit und Gewandtheit, vermöge deren sie wie spielend die schwierigsten Passagen, unfehlbar und vollendet, prima vista singen konnte. Das musikalische Leipzig theilte sich alsbald in zwei große Parteien, die eine huldigte der Virtuosin Schmeling, die andere gab dem gemüth- und geistvollen Vortrage der Corona den Vorzug. Das dauerte bis 1771, wo erstere mit einem für die damalige Zeit glänzenden Gehalt als Hofsängerin Friedrich’s II. nach Berlin übersiedelte. Es kann nicht verwundern, daß die in seltenem Liebreiz und großer Schönheit erblühende Corona leidenschaftliche Neigungen erweckte. Der Kriegsrath Dr. K. W. Müller trug ihr seine Hand an und der sechzehnjährige Goethe, der 1765 die Universität Leipzig bezog, war von ihrer schönen Gestalt, ihrem vollkommen sittlichen Betragen und ernst anmuthigen Vortrag hochentzückt und widmete ihr manche begeisterte Verse; so nach der Aufführung des Hasse’schen Oratoriums: Santa Elena al Calvario:

Unwiderstehlich muß die Schöne uns entzücken,
Die frommer Andacht Reize schmücken.
Wenn Jemand diesen Satz durch Zweifeln noch entehrt,
So hat er dich niemals als Helena gehört.

Als er September 1768 von Leipzig schweren Herzens schied, sollte mit seinem Weggange Verehrung und Neigung für die holde Sängerin, die flecken- und makellose Reinheit sich in allen Verhältnissen zu bewahren wußte, nicht erlöschen, vielmehr nach sieben Jahren in innigerer Weise neu aufleben. Im J. 1771 wurde der nachmalige Capellmeister Friedrich’s II., J. F. Reichardt, Student in Leipzig. Er sah die schöne, herrliche Künstlerin und ward zum ersten Male von heißer, tief begeisterter Liebe ganz durchdrungen. Ihm verdanken wir denn auch in seiner Selbstbiographie (Schletterer: J. F. R. Augsb. 1865) einen ersten, eingehenden, mit Begeisterung und Feuer geschriebenen Bericht über sie. Corona war die Sonne, die ihm Tag und Nacht, Freud und Leid bestimmte, alles erhellte oder verdunkelte. Er lebte nur für sie. Jeden Morgen und Nachmittag verbrachte er ganz mit ihr am Flügel. Sie sang, wenn gleich mit bedeckter Stimme, mit voller Seele und großem Ausdruck. Besonders musterhaft declamirte sie das Recitativ. Ihre bewundernswürdige Gestalt und edle, hohe Haltung, ihre bewegliche, ausdrucksvolle Physiognomie, gaben diesen Vorträgen einen von ihm nie geahnten und empfundenen Zauber. Namentlich trug sie eine Arie aus Hasse’s Artemisia: „Rendetemi“ unübertrefflich vor. Er bat sie täglich darum und konnte ihr nie ohne tiefste Herzensbewegung lauschen. „Dieser hohe Genuß, sagt er, hat mich vielleicht allein zu dem Künstler gemacht, der ich geworden bin.“ Corona wohnte damals im Richter’schen (später im Reichenbachschen) Garten, bei dem Kunstgärtner Probst, dessen Tochter, Wilhelmine, ihre treueste und unzertrennlichste Freundin wurde und in deren Armen sie einst auch ihre schöne Seele aushauchte. Mit beiden Mädchen machte er häufige vergnügliche Spaziergänge in Leipzigs Umgebung. Aber auch in diesem so intimen Verhältnisse wußte das hohe edle Wesen Ernst und Würde zu wahren. Nur einmal, nach einem Concerte, in dem Reichardt’s Violinspiel sie wie es schien sehr erfreut und gerührt hatte, wagte er es, ihr bei einem einsamen Spaziergange durch den Garten einen Kuß zu geben, der aber durch die spröde und wegwerfende Art, mit der sie diese Frechheit zurückwies, der einzige blieb. Ein leiser Händedruck, ja eher Fingerdruck blieb höchste Belohnung für sein treues Dienen und seine grenzenlose Verehrung und Liebe. Die unglückliche Eifersucht eines Mannes, der auf ihre Hand Anspruch zu haben glaubte, störte endlich das reine ideale Seelenbündniß, das zwischen Beiden bestand und der schwärmerisch liebende Studiosus sah sich zuletzt in die traurige Nothwendigkeit versetzt, sie zu meiden. – Nach dem Weggange der Schmeling errichtete Hiller, um sich gegen Sängerinnenmangel zu sichern, eine Singschule [563] für Damen. Neben Corona sangen 1776 die Saporiti und Almerigi; später die Schwestern Podleska aus Böhmen; aber jene blieb stets die Gefeierte, allgemeinste Achtung genießend und in den angesehensten Familien verkehrend. Dabei war sie stets bestrebt, ihre geistige Bildung zu steigern, ihre künstlerischen Anlagen zu entwickeln, ihre reichen Sprachkenntnisse und ihre Fertigkeit im Zeichnen und Malen (unter Oeser) zu vervollkommnen. Für ihre Werthschätzung in Leipzig spricht, daß Chr. H. Schmid und J. G. Dyck, 1774, ihr, die doch mit dem Theater noch in keinerlei Verbindung stand, ihre werthvolle „Chronologie des deutschen Theaters“ dedicirten. – Am 7. November 1775 war Goethe, damals 26 Jahre alt, dringender Einladung des jungen Herzogs Karl August folgend, in Weimar eingetroffen, die kleine Residenz fortan im Vereine mit anderen bedeutenden Männern zum geistigen Mittelpunkte Deutschlands machend. Schon Ende dieses Jahres begann das für den Dichter so verhängnißvoll werdende Freundschafts- und bald Liebesverhältniß mit der um sieben Jahre älteren, höchst intriguanten Frau v. Stein, das ihn fortan für viele Jahre beherrschen sollte. – Die Herzogin-Mutter, Anna Amalie, der junge Fürst und nun noch der geniale hinzutretende Poet wußten die schon immer am herzoglichen Hofe vorhandene Neigung für das Theater zu heller Flamme zu entfachen. Aber noch fehlte es an einer wahrhaft großen künstlerischen Kraft zu schöner Darstellung weiblicher Rollen, an einer vorzüglichen Sängerin für die Musikaufführungen. Da erinnerte sich Goethe der edlen, von ihm einst schwärmerisch verehrten Künstlerin in Leipzig. Sein Vorschlag die Herrliche für Weimar zu gewinnen fand Beifall, und März 1776 reiste er dahin, um Coronen als herzogliche Kammersängerin zu engagiren. Die im siebzehnten Jahre schon so zart und lieblich erblühte Schönheit, war jetzt mit 25 Jahren „eine allgefeierte Künstlerin, eine vollentfaltete, mit jedem Reiz geschmückte prangende Centifolie“ geworden. Von hohem junonischem Wuchse und edelstem Ebenmaaß, mit fast südländisch dunkelm, aber außerordentlich frischem Teint, seelenvoll leuchtenden braunen Augen, von seltener Tiefe und wunderbarer Klarheit, dunkelbraunem Haar, eigenthümlichem Adel der Haltung und natürlicher Grazie in jeder Bewegung, erschien sie in ihrem geschmackvoll einfachen Kleid ihm als ein herrlich ideales Weib. Eine kräftig, aber fein geschnittene Nase, ein ungemein lieblicher Mund, ein festgerundetes Kinn charakterisirten ihr Antlitz; sie besaß ungemein wohlgebildete Hände. Aber nicht allein hellenisch schön war sie, sie war auch eine groß angelegte Natur, eine geistvolle, reich entwickelte, tiefempfindende Künstlerin. Schönheit des Körpers und der Seele einten sich in ihr in seltener Harmonie“. Darf es überraschen, wenn der entzündbare Dichter, der sie noch am Abend seiner Ankunft besucht hatte, noch spät ganz entzückt über sie an Fr. v. Stein schrieb: „Die Schröter ist ein Engel, – wenn mir doch Gott so ein Weib, solch ein edel Geschöpf in seiner Art bescheeren wollte, daß ich Euch könnt in Frieden lassen!“ Noch im Herbst siedelte Corona nach Weimar über, am 23. November sang sie dort zum ersten Male. Ihre Erscheinung in dem geistig so lebhaft bewegten Hofkreis gewann ihr sofort alle Herzen. Bald wurde sie der Abgott des Hofes wie des Publicums. Sie bezauberte durch ihre Anmuth, Schönheit und Kunstleistung Männer und Frauen, aber – sie blieb, stets Ehre und Tugend auch jetzt wahrend, unnahbar, selbst dem leidenschaftlich-feurigen Herzog, der sie zwar marmorschön, aber auch marmorkalt nannte. Der Einzige, der vielleicht ihre Gegenliebe zu gewinnen vermocht hätte und wol auch gewonnen hat, war Goethe. Aber er wurde in unwürdigen und unlöslichen Banden festgehalten und schwankend, wie ein schwaches Rohr in seiner Neigung zwischen ihr und Frau v. Stein, hatte er seine Seele getheilt. Dennoch darf man wol sagen, daß sich zwischen ihm, dessen Herz von diesem überaus reizenden Wesen tief ergriffen und gewonnen war, und Corona ein [564] inniges, fast leidenschaftliches Liebesverhältniß gestaltete, das bis 1781 fortdauerte, wo dann Frau v. Stein, die ihn mit fortwährender Eifersucht unausstehlich quälte und andererseits stets sinnlich wieder zu reizen und zu fesseln wußte, das entschiedene Uebergewicht über ihre Rivalin gewann. Einstweilen war er häufig der Gast Coronens oder sie kam mit ihrer Freundin zu Tische und zu fröhlichen, langen Unterhaltungen, ja auf ganze Tage zu ihm ins Gartenhaus. Sie betheiligte sich von jetzt ab in hervorragender Weise namentlich am Liebhabertheater, in dem sie alle tragischen oder Charakterrollen meisterhaft spielte, gewöhnlich als Partnerin Goethe’s oder als Primadonna in den Singspielen. Schon vor Jahren hatte Corona den Dichter zu manchem Werk begeistert, jetzt schrieb er für sie, nachdem sie mit großem Erfolge in den „Mitschuldigen“, in „Lila“ und in „Erwin und Elmire“ gespielt hatte, die nachmals in die „Empfindsamen“ oder „Die geflickte Braut“ (freventlich) eingefügte Proserpina und die vom 14. Februar bis 28. März 1779 gedichtete (prosaische) „Iphigenia“, die schon am darauffolgenden 6. April, dem Osterdienstag, mit einer alle Herzen reiner Menschen tief ergreifenden Wirkung aufgeführt wurde. Ein Anwesender schrieb über diese Aufführung: „Nie werde ich den Eindruck vergessen, den Goethe als Orest in griechischem Costüm machte. Man glaubte einen Apoll zu sehen. Nie erblickte ich wieder solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit, als damals an ihm.“ Und neben ihm Corona als Iphigenia in all ihrer Schönheit und Anmuth, mit ihrem poetisch-seelenvollen Spiel, ihrer ganzen hohen, plastisch schönen, glänzenden Erscheinung! „Zum Muster war das schöne Bild herangewachsen, vollendet nun“. Als Dianens Priesterin, sittsam auf reinlichem Altar ihr Opfer darbringend, entwickelte sie ihre ganze Meisterschaft. Ihre ideal hellenische Schönheit, in ergreifender Darstellung ganz die hohe Seele, die dem Dichter vorgeschwebt, erfassend, erschien sie als die tiefinnige Repräsentantin sittlicher Wahrheit, weiblicher Größe und edelster Jungfräulichkeit. Sie stellte Iphigenien nicht dar, sie war Iphigenie! – „Goethe und Corona – waren die edelsten, schönsten Gestalten, die je zusammen auf den Brettern in einer so ganz dem Ideale angehörenden poetischen Schöpfung zur Verkörperung dieser Gestalten gewirkt. Wenn es ein für einander geschaffenes Menschenpaar je gegeben, dies war es. Es gehört zu dem tragischen Geschick in Goethe’s Leben, daß er an der Verbindung mit diesem, in jeder Beziehung zu ihm passenden und seiner würdigen, von ihm als Künstlerin und Frau so hoch verehrten und geliebten Wesen durch Einflüsse verhindert und so von der Ausfüllung seiner Existenz durch eine seiner würdige Ehe und von der Begründung eines sittlichen Familienlebens abgehalten wurde, das er in den ersten Jahren seines Weimarer Aufenthaltes ebenso ersehnte, als er, wie Wenige, für ein solches geschaffen war“ (A. Stahr). Seit Aufführung der Iphigenia war Corona die Allgefeierte. Noch im gleichen Jahre, am 20. Mai, trat sie in Goethe’s Schäferspiel: „Die Laune des Verliebten“ auf. Nach der Rückkehr des Dichters aus der Schweiz fand er wiederholt Gelegenheit sie im Concerte (Elena von Hasse; Messias von Händel) zu bewundern und als im Mai 1780 das neue Theater in Weimar eröffnet wurde, sang sie in „Jery und Bätely“. Am 18. August wirkte sie dann bei der Aufführung der „Vögel“ in Ettersburg mit, im October in Wolf’s: „Robert und Kalliste“; im folgenden Jahre im Epiphaniasfestlied (erster König), in der großen Redoute (Komödie), in Pergolese’s: „Salve regina“, in „Minerva’s Geburt, Leben und Thaten“ u. s. f. Das (Liebes-) Verhältniß mit Corona hatte in stetem Schwanken von höchster Innigkeit und zärtlichster Leidenschaft bis zu kühleren Momenten dabei ununterbrochen fortgedauert. Aber mit jenem feinen Ahnungsgefühl, das alle liebenden Frauen besitzen, mußte sie dennoch allmählich erkennen, daß ihre Nebenbuhlerin die erste Stelle im Herzen des Geliebten gewann. Was [565] sie dabei empfunden, gelitten haben mag? Die alte Innigkeit schwand, sein Verkehr mit der einst so leidenschaftlich Geliebten beschränkte sich zuletzt nur noch auf das Nothwendigste – „sein Glück“ war fortan nur Frau v. Stein. Doch wand der Dichter gerade in dieser Zeit, unwiderstehlichem Drange folgend, der künstlerischen Trägerin aller Weimarischen musikalischen Theaterunternehmungen und vollendeten Kunstleistungen, ihrer natürlichen Schönheit und Kunstbegeisterung einen unverwelklichen Lorbeerkranz um die Stirne und verlieh der ehemals seinem Herzen so nahe gestandenen, hochverehrten, durch seine herrlichen unvergänglichen Worte in dem Gedichte auf Mieding’s Tod die Unsterblichkeit. Corona begegnen wir 1782 wieder in dem Redoutenaufzug „der weiblichen Tugenden“ (Bescheidenheit), im „Comédie-Ballet“, in „Die schöne Fischerin“ (wozu sie auch die Musik componirt hatte), in Seckendorf’s „Urtheil des Paris“, in Einsiedel’s „Räubern“ und dessen Zigeuneroperette: „Adolar und Hilaria“. Im folgenden Jahre, 1783, vollzog sich dann eine wichtige Umgestaltung im Weimarer Kunstleben. Goethe, der nochmals mit Corona in der letztgenannten Operette in Ettersburg zusammen gespielt hatte, wurde ernster und zudem jetzt von Geschäften mehr beansprucht. Es wurde stiller an den gewohnten Kunststätten. Das Liebhabertheater hörte auf. Corona, in letzter Zeit schon kränkelnd, zog sich ganz von der Stätte schönster Triumphe zurück. Sie blieb, die Bühne aber nie mehr betretend, noch ferner als Kammersängerin in Weimar, der Musik und Malerei und ihren Schülerinnen (Christiane; Aur. Louise Neumann, nachherige Becker; Minna Burgdorf u. a.) lebend und in edler Kunstpflege Beruhigung und Trost für schmerzliche Täuschungen und Leiden suchend, die ihr Herz betroffen hatten. Seit 1787 war sie auch Schiller und seiner Gattin näher getreten. Goethe hatte mittlerweile seine italienische Reise gemacht und war mit edlerer, reiner Welt- und Kunstanschauung und besonnener und vernünftig geworden, im Sommer 1788 nach Weimar zurückgekehrt und nun nahte auch Frau v. Stein das Verhängniß. Bald nach seiner Ankunft lernte er Christiane Vulpius kennen. Seine so lange nachher (19. October 1806) erfolgte Trauung mit ihr hat Corona nicht mehr erlebt. Als 1788 die Herzogin, ihre mütterliche Gönnerin, auch nach Italien reiste, zog sie sich aus den Hofkreisen gänzlich in die Stille des Privatlebens zurück. Sie blieb aber immer noch die Seele heiterer Familiengesellschaften, wo musicirt, Sprüchwörter und dergl. dargestellt wurden und sie ihr Geschick, Maskenscherze auszudenken, bethätigen konnte. Um 1790 war ihr der Kammerherr v. Einsiedel näher getreten. Verheirathet war sie, wie man behauptete, gewiß nicht mit ihm. Die Oelbilder, die sie in dieser Zeit malte, wurden sehr anerkennend beurtheilt, auch veröffentlichte sie zwei Liederhefte: 1786 (25 Lieder) und 1794. Ihre wankende Gesundheit ließ sie schon 1788 den leider nicht ausgeführten Plan fassen, Carlsbad zu besuchen; nun Ende der neunziger Jahre ergriff sie ernstliche Erkrankung. Die frische Gebirgsluft des Thüringer Waldes sollte ihrer kranken Brust Stärkung und Genesung zurückgeben. Sie siedelte daher nach dem Bergstädtchen Ilmenau über. Ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht. Von ihrer treuen Freundin Minna gepflegt, lebte sie hier still und zurückgezogen, bis sie ganz vereinsamt und vergessen, 51 Jahre alt, in deren Armen sanft entschlief. Die Welt gedachte der herrlichen, einst so geehrten und gefeierten, nicht mehr. Ein kleiner stiller Zug, darunter Knebel, altbewährte Freundschaft bethätigend, bewegte sich hinter dem Sarge, als er in die kühle Erde gesenkt wurde. Goethe fühlte sich nicht in der Verfassung, der von ihm ehemals so sehr Geliebten ein Wort der Erinnerung, ein wohlverdientes Denkmal zu widmen.

Mit Corona beschäftigen sich mehr oder minder eingehend alle die zahlreichen Arbeiten, welche die Glanzzeit Weimars, seine Musik- und Theaterverhältnisse und Goethe’s persönliche Beziehungen zum Gegenstande haben. Eine sehr sorgfältige, [566] liebenswürdig und anziehend abgefaßte Schrift (die auch die Grundlage vorstehender Biographie bildet) liegt in: R. Keil’s „Corona Schröter. Eine Lebensskizze mit Beiträgen zur Geschichte der Genieperiode“, L. 1875, vor. Kein Leser wird dieses schöne, mit einem Porträt Corona’s geschmückte Buch ohne Befriedigung und Bewegung aus der Hand legen. Corona war die zweitälteste unter vier Geschwistern, die, wie schon gesagt, alle musikalisch bedeutend waren. Ihr älterer Bruder, J. Samuel S., geboren 1750 in Guben, † am 2. November 1788 auf seinem kleinen Landgute bei London, kam, nachdem er als Sopransolist bis 1765 im großen Leipziger Concert gewirkt und dann mit seinem Vater eine Reise durch Holland gemacht hatte, um 1780 nach London, wo es ihm, anfangs allerdings nur unter großen Mühen, gelang, sich zu Ansehen emporzuarbeiten. Seine Kunst blieb zuerst unbemerkt, und so geschah es, daß er, dessen Hauptinstrument das Clavier, aber nie die Orgel war, aus Noth die Organistenstelle an einer deutschen Capelle übernehmen mußte. Nun schrieb er einige Claviersonaten, die auf J. Chr. Bach’s Empfehlung endlich der Verleger Napier edirte. Dadurch erwarb er sich ebenso ein gutes Honorar, als viele Schüler, denn seine Compositionen waren sehr gefällig und ansprechend und gewannen sich insbesondere den Beifall der Damenwelt. Nach Bach’s Tode, 1782, betraute man ihn mit der Direction der Privatconcerte des Adels und er wurde Solocembalist der Königin. Ein unkluger Schritt, zu dem er sich hinreißen ließ, verdarb ihm leider seine Stellung. Er heirathete heimlich eine seiner Schülerinnen, ein Mädchen aus angesehenem Hause und mit großem Vermögen, welches Vorkommniß die Verwandten desselben so wüthend machte, daß sie ihn vor den Kanzleihof stellen wollten. Um dem zu entgehen, willigte er ein seiner Frau zu entsagen und nie mehr in London öffentlich zu spielen. Allerdings erhielt er ein jährliches Schmerzensgeld von 500 Pfund. Er zog sich nun aufs Land zurück, wo er aber das Glück hatte, vom Prinzen von Wales gehört und bewundert zu werden. Er wurde mit reichem Gehalt in den Hofstaat desselben aufgenommen. Zum Dank dafür widmete er seinem Gönner seine letzte Sonatensammlung mit Violin- und Violincellobegleitung. Im Begriffe einen Operntext von Metastasio zu componiren, starb er nach dreijährigem Lungenleiden, das er sich durch heftige Erkältung zugezogen. Er war ein ebenso guter Violin- als Clavierspieler. Seit 1776 erschienen von ihm, meist in Amsterdam gedruckt: 6 Sonaten, Op. 1; 3 Clavierquintette (mit Pugnani) 1780; 6 Claviertrio, Op. 2; 6 und zweimal 3 und nochmals 6 Clavierconcerte, Op. 3 (London), Op. 4 und 5 (Berlin) und Op. 6 (Paris); 6 Duos für Violine und Violincello, Op. 3 (6?) und 2 Claviertrio, Op. 9. – Ein jüngerer Bruder Corona’s, J. Heinrich S., geboren 1762 in Warschau, war Violinvirtuose. Er ließ sich schon im siebenten Jahre in einem Leipziger Concerte mit einem Dittersdorf’schen Violinconcert hören. Um 1782 unternahm er eine Kunstreise durch Deutschland, Holland und Frankreich und erntete auch großen Beifall durch seine Vorträge auf der Harmonica à cloux de fer (mit Eisennägeln?). Nachdem sein Bruder sich in England eine feste Stellung gegründet hatte, begab er sich ebenfalls dahin, erregte auch dort durch sein Spiel Aufsehen und veröffentlichte mehrere gelungene Violinduette. Plötzlich verschwand er und blieb für immer verschollen. Noch 1805, in seinem einundachtzigsten Jahre, schrieb Papa Schröter, der alle seine Kinder vor sich ins Grab sinken sah, tiefgebeugt aus Kassel an seine Tochter nach Darmstadt: „Mit mir sieht’s schlecht aus, ich habe diesen Winter sehr viel ausgestanden. Ich glaube, es wird mir auch nicht besser werden; ich fühle, daß meine Lebenszeit vorbei ist. Nun sitze ich da auf meine alten Tage, kein Mensch fragt, Vater habt Ihr zu leben oder gebricht Euch etwas? Wenn ich mein Leben betrachte, bedauere ich die viele [567] Arbeit, die ich gethan habe. Der Gram, den ich in meinem Herzen trage um meinen Heinrich, ist gar nicht zu beschreiben; daß ich auch gar nicht erfahren kann, ob er lebt oder todt ist! Denke ich daran, kommt ein Jammer mir ins Herz und ich sehe die Vergänglichkeit und wie alles nur ein Traum ist“ u. s. w. – Das jüngste Kind des alten Hofmusicus, der bald nach dessen Geburt seine Frau verlor, war die 1766 in Leipzig geborene Marie, die in den achtziger Jahren als Kammersängerin Anstellung in der Privatcapelle des Erbprinzen von Darmstadt, nachmaligen Großherzogs Ludwig fand. Sie vermählte sich am 28. Juli 1788 mit dem fürstlichen Bauschreiber G. Rühl; in schwesterlicher Liebe mit Corona stets innig verbunden, starb sie mit Hinterlassung dreier Söhne.