Zum Inhalt springen

ADB:Seidel, Karl Ludwig

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Seidel, Karl Ludwig“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 621–623, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seidel,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 19:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 33 (1891), S. 621–623 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Carl Seidel in der Wikipedia
Carl Seidel in Wikidata
GND-Nummer 117463493
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|33|621|623|Seidel, Karl Ludwig|Ludwig Julius Fränkel|ADB:Seidel, Karl Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117463493}}    

Seidel: Karl Ludwig S., Dichter, geboren am 14. October 1788 (nicht 1787) zu Berlin, als erster Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der ihm eine vortreffliche, insbesondere auch die körperliche Ausbildung berücksichtigende Erziehung gab. 1799 verlor er die sorgliche Mutter, 1804 fallirte die Firma des Vaters, sodaß S. nun auf einen Erwerb denken und das noch nicht durchlaufene Gymnasium verlassen mußte. Er trat, gegen seine Neigung dem Handelsstande bestimmt, als Lehrling in ein kaufmännisches Geschäft, bildete sich in den gezählten Mußestunden durch meist romantisch-sentimentale Lectüre weiter und wurde 1807 Commis in einem anderen Hause, das binnen kurzem zusammenbrach. Nun gab er, bereits mittelmäßig Guitarre spielend, Unterricht auf diesem Instrument, vervollkommnete seinen musikalischen Vortrag durch Fleiß und hörte, von einem höheren Streben getrieben, 1812–16 an der Berliner Universität Collegien bei Fichte, Seckendorf, Kiesewetter, Lichtenstein, Erman. Er lernte hier den Sohn eines Kaufmanns Nauen kennen und begleitete ihn auf einer Reise nach Italien, die ihm ästhetisch mannigfache Anregungen bot und seine Schriftstellerei wachrief. 1817 kehrte er heim, widmete sich in Berlin unter Tölken, Hegel, Böckh kunstgeschichtlichen u. ä., bei Zelter Generalbaßstudien und unterrichtete mit Erfolg in verschiedenen Schulwissenschaften, namentlich junge [622] Mädchen feinerer Familien, so daß er bald Lehrer an den ersten Töchterschulen (seit 1828 an der Luisenstiftung) und zu Privatstunden sehr gesucht ward. Seine Lectionen in Aesthetik, Psychologie, Litteratur und Geschichte gehörten zwei volle Jahrzehnte in Berlins schöngeistiger Damenwelt zum guten Ton; seit 1841 traten öffentliche Vorlesungen über dieselben Gegenstände hinzu. 1826 erwarb er mit der Vertheidigung der Dissertation „De saltationibus sacris veterum Romanorum“ die philosophische Doctorwürde, 1840 erhielt er für sein pädagogisches Wirken den Titel eines königlichen Professors, heirathete darauf Emilie Detroit, die fünf Jahre seine Schülerin gewesen war und mit schwärmetischer Verehrung an ihm hing und starb am 15. August 1844 nach einem leichten gastrischen Fieber vom Schlagfluß getroffen. – Als Belletrist trat S. zuerst 1815 mit Skizzen aus seinem italienischen Reisetagebuche: „Auch ich war in Italien“ (in der Zeitschrift „Der Freimütige“, 1815); „Mein Spaziergang nach Superga“ (ebd. 1817); „Schilderungen aus Italien“ (in mehreren Folgen ebd. 1818) auf. Sehr fruchtbar war seine behende Feder in der leichten Unterhaltungsnovelle, wie sie das schnell verdauliche Kost verlangende Berliner Publicum nach den napoleonischen Kriegen liebte. Diese Erzählungen, wie „Die Ahnfrau“, „Der goldene Regen“, „Fürst Helios“, „Das Sommertänzchen“, „Der Engel im Domino“, „Die Velletrinerin“, (meist in F. W. Gubitz’ „Gesellschafter“ abgedruckt), sind keine schwere Waare, glatt stilisirt, der Inhalt für den Augenblick und zwar für einen nur nebenbei der Lectüre gewidmeten berechnet, gaben sich aber auch ganz anspruchslos. In der Tendenz, soweit eine solche vorhanden, tragen sie dem arg herabgedrückten und bald zu befriedigenden Geschmacke des damaligen Durchschnittpublicums Rechnung. Besonders erwähnt sei nur noch „Der Brautkampf“, 1819 in der „Abendzeitung“ veröffentlicht. Nach dieser Novelle hat Theodor Hell (d. i. K. G. Th. Winkler) ein Libretto „Die drei Pinto“ gestaltet, dessen erste Theile Karl Maria v. Weber als komische Oper componirte; des letzteren Enkel, Hauptmann Karl v. Weber bearbeitete neuerdings den Hell’schen Text und Capellmeister Gustav Mahler führte nach hinterlassenen Entwürfen den musikalischen Theil zu Ende, so daß die Oper („Die drei Pintos“, Leipzig 1888) 1888 am Leipziger Stadttheater durchschlagend in Scene ging. Auf poetischem Felde lieferte S. 1817–43 zahlreiche Festlieder und Gelegenheitsgedichte, viele schablonenmäßig gearbeitet, und keines aus höherer Intuition geschöpft; die schönwissenschaftlichen Familienblätter der Zeit nahmen diese formgewandten Verse des bekannten Mannes gern in ihre Spalten. Ein schwierigeres Ziel steckten sich nur die in „Das Kreuz in der Mark“ (Berlin 1838) vereinigten 100 lyrisch-epischen Nummern auf die Einführung des Christenthums in der brandenburgischen Mark; Anspruch auf Schätzung in unseren Tagen dürfen auch sie nicht erheben. Von seinen zahlreichen kunstgeschichtlichen, kunstkritischen und ästhetischen Aufsätzen absehend, verzeichnen wir nur Seidel’s Hauptwerk: „Charinomos. Beitrag zur allgemeinen Theorie und Geschichte der schönen Künste“ (2 Bde., Magdeb. 1825–28). Dies Buch beruhte auf wirklich andauernden ästhetischen Studien, war jedoch, wie Seidel’s ganze philosophische Anschauung, in allem Wesentlichen eklektisch. Es trug seinem Verfasser übrigens ein Belobungsschreiben von Goethe (zu dessen 81. Geburtstag S. in der Berliner „Gesellschaft für ausländische Litteratur“ 1830 die Festrede hielt: s. „Der Gesellschafter“ 1830), vom Großherzog von Weimar die goldene Verdienstmedaille, von Friedrich Wilhelm III. die große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft ein; auch wurde S. Secretär und Ehrenmitglied des Berliner Künstlervereins. Persönlich war S. eine reine und liebenswürdige Natur, nicht an tiefes, selbstständiges Denken gewöhnt, weichlich und oft fast weiblich, und hing, jeder Schroffheit, aber auch jedem Ausdrucke echter Ueberzeugung abgeneigt, stets das [623] Mäntelchen nach dem Winde. Daher war er in allen Gesellschaftskreisen wohlgelitten und auch, obwohl ohne sonderliche wissenschaftliche Verdienste, Mitglied mehrerer gelehrten Vereine. Einen ausführlichen Nekrolog, überreichlich gewürzt von panegyrischer Hudelei und eigentlich von der ersten bis zur letzten Zeile ein Denkmal haltlosester Vergötterung, schrieb Seidel’s Wittwe: Neuer Nekrolog der Deutschen XXII (1846), S. 589–602 (am Ende ein Verzeichniß aller gedruckten Arbeiten Seidel’s). Vgl. ferner: Karl Seidel. Sein Leben und Wirken. Ein Denkmal, seinen Schülerinnen, Verehrerinnen und Freunden gewidmet von Dr. J. Bartsch (Berlin 1845); hier ist im Anhange die gefühlvolle Grabrede des Predigers Bachmann, eines Freundes von S., mitgetheilt. Bei Seidel’s Lebzeiten, 1826, wurden die Bemerkungen bei J. E. Hitzig, Gelehrtes Berlin, S. 254, gedruckt. Die neuen litterarhistorischen Encyklopädien, Handbücher und kritischen Monographien nennen S. nicht mehr, außer Goedeke, Grundriß und Brümmer, Lex. dtsch. Dicht.