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ADB:Spittler, Christian Friedrich

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Artikel „Spittler, Christian Friedrich“ von Karl Friedrich Ledderhose in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 208–212, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spittler,_Christian_Friedrich&oldid=- (Version vom 28. Dezember 2024, 09:32 Uhr UTC)
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Spittler: Christian Friedrich S., von Basel, geb. am 12. April 1782, † am 8. December 1867. Sein Vater, Jeremias Friedrich S., war Pfarrer in dem württembergischen Dorf Wimmsheim nicht weit von der badischen Stadt Pforzheim und später in Strümpfelbach, ein bekenntnißtreuer, von seinen Gemeinden geliebter Geistlicher. Seine Mutter war eine fromme Pfarrerstochter Sibylle Maier. Die S. stammten aus Krain und wanderten um des Evangeliums willen aus. Der Vater unterrichtete seine Kinder selber, starb aber schon im Sommer 1793. Der Knabe kam nun zur weiteren Ausbildung nach Kirchheim unter Teck, während die Mutter mit den Ihrigen in Strümpfelbach zurückblieb. Die Kirchheimer Lateinschule hatte einen tüchtigen Präceptor, der aber den Stock mehr gebrauchte, als recht war. Er schlug einst so heftig nach der linken Hand des Lateinschülers S., daß der Mittelfinger für immer lahm blieb. Ein Schaden, der zu reichem Gewinn ausschlug, weil er mit dazu beitrug, daß S. von der Theilnahme am Zuge Napoleon’s nach Rußland freiblieb. Nach der Confirmation, die einen tiefen Eindruck auf ihn machte, kam er als Lehrling auf eine Schreibstube in Steinbach, wo er vier Jahre tüchtig ausgebildet wurde. Sollte er doch Cameralist werden und wie mehrere seiner Vorfahren als Stiftsverwalter dem Vaterlande dienen. Nur aus Gehorsam gegen den elterlichen Willen, nicht aus Neigung trat er in diesen Beruf. Von Steinbach kam er in die Stadtschreiberei nach Schorndorf. Hier übten seine jungen Genossen anfangs keinen guten Einfluß auf ihn, aber zunächst infolge einer tiefen Ohnmacht, die ihn einst befiel, ging eine ernste Sinnesänderung in ihm vor.

Zur Bekämpfung der überhand nehmenden Freigeisterei kam ein Augsburger Geistlicher, der bekannte Dr. Urlsperger auf den guten Gedanken, eine deutsche Christenthumsgesellschaft zu gründen. An diesen Verein sollten sich alle anschließen, welche an der Bibel und ihren ewigen Wahrheiten festhielten. Er reiste nach Basel, um dort den Mittelpunkt der Gesellschaft zu gründen. Diese Stadt war ganz geeignet und bald bildete sich ein Centrum, von welchem aus ein ganzes Netz von Zweigvereinen sich verbreitete. Ein engerer Ausschuß besorgte die regelmäßige Verbindung zwischen den einzelnen Vereinen. Der bekannte [209] Theolog Steinkopf wurde zum Protocollführer berufen, jedoch die Geschäfte nahmen so überhand, daß er nothwendigerweise einen Gehilfen brauchte. Dazu wurde ihm von dem Hofcaplan Rieger von Stuttgart der junge S. empfohlen. Er fühlte sich bald wohl in seinem Elemente und arbeitete sich tüchtig ein. An Steinkopf’s Stelle trat, als er als Prediger nach London berufen wurde, der württembergische Candidat Blumhardt. Bald waren beide die innigsten Freunde. Blumhardt besorgte besonders die Redaction der „Sammlungen für Liebhaber christlicher Wahrheit und Gottseligkeit“. Die Zeitschrift liefert in diesem Jahre bereits das 104. Bändchen. Aber im J. 1807 verlor S. auch seinen Freund Blumhardt, welcher von seiner Behörde zurückberufen wurde. Das vielverzweigte Secretariat der Gesellschaft blieb nun ganz an ihm hängen und der arbeitliebende junge Mann erledigte alles mit der größten Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit. Für die „Sammlungen“ hatte er jetzt zu sorgen. Da hatte er die Freude, tüchtige Mitarbeiter zu finden, u. a. auch eine Reihe katholischer Geistlichen. Es war eben damals die Zeit der Goßner, Boos, Seiler[1], Fenneberg, Leander van Eß und anderer. Er wurde nun auch definitiv mit Gehalt angestellt und zur Wohnung ihm die Augustinerherberge zum „Fälkli“ angewiesen. Noch ehe er verheirathet war, ließ er sich überreden, junge Studirende der Theologie in das Haus aufzunehmen und hatte die Freude, daß die meisten unter seiner Leitung sich gut entwickelten. Am 11. Februar 1812 führte er seine Braut, Susanna Götz, heim zu einer gesegneten, glücklichen Ehe.

Während der Kriegszeit von 1812 und 1813, unter der auch Basel schwer zu leiden hatte, wirkte er in hingebender Thätigkeit an den Lazarethen, für die Hungernden und Krüppel. Damals lernte er auch die bekannte Baronin v. Krüdener kennen. Der nüchterne S. billigte natürlich nicht alles, was diese Dame that, aber der gleiche Sinn für Mission durchdrang auch ihn. So sammelte er Gelder für die Missionsschule des Pastors Jänicke in Berlin und schickte ihm auch manche junge Leute, welche Missionare werden wollten. Goßner hat einmal ihm geschrieben: „O Du Spittler, was fängst Du noch alles an! Doch es freut mich sehr, mache Du nur fort; die Zeiten werden immer wichtiger.“ Das erste, was er unternahm, war, in Basel selber ein Missionsinstitut anzulegen. Die Genehmigung erhielt er von der Regierung und bald hatte er auch ein Comité beisammen. Als Missionsinspector gelang es ihm, seinen Freund Blumhardt zu gewinnen. Auch ein Haus wurde erworben und an Zöglingen fehlte es nicht, davon manche sich zu bedeutenden Männern entwickelt haben. Der Anfang der Anstalt fällt in das Jahr 1815. S. wußte und sah es, daß viele arme Kinder in Verwahrlosung herumirren und viele arme Gemeinden keine Schullehrer haben. Das ließ ihm keine Ruhe, bis er ein Haus und einen Inspector dazu gefunden hatte. Der Mann war der Schuldirector Zeller von Zofingen und das Haus das Schloß Beuggen am Rhein, 3 Stunden von Basel, welches der Großherzog Ludwig von Baden aufs huldvollste gewährte. Bald füllte sich das Schloß mit Zöglingen, welche Armenschullehrer werden wollten, und mit armen, verwahrlosten Kindern. Zeller ist ja ein anerkannter Pädagog, wie seine Schriften beweisen. Beuggen bleibt eine Musteranstalt auch unter der Leitung des Sohnes Zeller’s. Auch den Gedanken einer Mission an Judenkindern führte S. aus, und wenn er keine besonderen Erfolge erlebte, so besteht doch bis jetzt in Basel ein Verein „der Freunde Israels“. Und als die Griechen sich von dem türkischen Joch loskämpften, war es wiederum S., der in Sclaverei abgeführte Griechenkinder loskaufte und einen Verein zur „sittlich-religiösen Einwirkung auf die Griechen“ zu Stande brachte. Die Zahl stieg bald auf 28 Knaben. Sie wurden in Beuggen gebildet. Daß [210] er bei den verschiedenen Comités immer das treibende Element war, versteht sich von selbst. Schon im Mai 1833 wurde in Beuggen auch eine Anstalt für Taubstumme eröffnet, aber sie füllte sich bald so sehr, daß es an Raum fehlte. Da bot ein reicher Baseler sein Landgut in dem benachbarten Dorf Riehen an. S. kaufte es für 20,000 Franken und versetzte das Fälkli, welches sein Eigenthum geworden war. In Pforzheim wirkte ein Taubstummenlehrer, Wilhelm Arnold, schon einige Zeit erfolgreich. In seiner Person wurde ein ausgezeichneter Inspector gewonnen, welcher beinahe 40 Jahre lang an dieser Stätte gewirkt hat. Der schöne Erfolg der Anstalt veranlaßte einen Herrn Merian, ihr ein Capital von 32,000 Fr. zu schenken. Da der sonst so glücklichen Ehe Spittler’s der Kindersegen versagt geblieben war, so nahm er ein armes, dreijähriges Mädchen mit Einwilligung von dessen Eltern an Kindesstatt an. Es ist die bekannte Susette S., welche das köstliche Buch: „Christian Friedrich S. im Rahmen seiner Zeit“ geschrieben hat und ihm und seiner Arbeit bis zu seinem Ende eine so treue Gehülfin gewesen ist. Dieselbe Barmherzigkeit erwiesen die Eheleute 14 Jahre später einem armen, unmündigen Knaben.

Im J. 1836 machte S. eine Reise zur Erholung nach seiner Heimath Württemberg. In den Straßen Cannstatts wurde eines Tages aus einem Einspänner sein Name gerufen. Es war Dr. Barth, welcher ihn bestürmte, mit nach München zu Professor Schubert zu reisen. Er stieg ein und die Gäste wurden in München auf das freundlichste empfangen. Schubert war gerade mit seinem Reiseplan nach Palästina beschäftigt, und obwol S. sich schon lange in Gedanken mit dem heiligen Lande und seiner Hauptstadt beschäftigte, so wurde er doch hier noch mehr dazu angefeuert und die Arbeit für den Orient nimmt seitdem eine bedeutende Stelle in seinem Wirken ein. Zur Ausführung seiner Gedanken für das heilige Land diente eine Anstalt, welche sein Lieblingskind geworden ist, es ist die Pilgermission auf St. Chrischona. Der Hügel, auf welchem die Chrischonakirche steht, bietet eine der schönsten und großartigsten Aussichten. Hier christliche junge Leute, welche für tiefere wissenschaftliche und sprachliche Aufgaben nicht befähigt genug waren, einfach und praktisch auszubilden, war sein wohlüberlegter Plan. Freilich war die Kirche in der Länge der Zeit eine Ruine geworden und der benachbarte Chrischonabauer benutzte sie auf allerlei Weise zu seinen landwirthschaftlichen Zwecken. Nachdem S. von der Baseler Regierung die Kirche gegen einen kleinen Zins erhalten hatte, schritt er alsbald an die Herstellung derselben, und zwar mit bedeutenden Kosten. Es ging bei dieser Herrichtung und den Anfängen der Anstalt durch viele Demüthigungen. Senfkornartig begann die Schule und wurde doch zu Spittler’s Freude ein gewaltiger Baum, unter dem soviel Menschen Heil gefunden haben. Es stellten sich auch bald Zöglinge ein, unter denen der in Jerusalem lebende Baurath Schick einer der bedeutendsten ist. Er und Palmer waren die ersten Brüder, welche S. nach Jerusalem abordnen konnte. Als in den vierziger Jahren der Gedanke ihm nahe trat, sich zur Ruhe zu begeben, und er mit Steinkopf darüber sprach, wollte dieser mit Recht nichts davon wissen, „und so komme ich nicht aus dem Treiben heraus und muß auch andere wieder treiben“, schreibt er im Sommer 1844. Dieses Treiben hat er auch trefflich verstanden. Das weiß ganz besonders die Pilgermissionsanstalt „Chrischona“, die jetzt so bedeutend geworden ist und Hunderte und aber Hunderte von Zöglingen fast in die ganze Welt geschickt hat. Ein kleines Comité brauchte er für diese Anstalt und den Erzähler dieses bat er, das Präsidium zu übernehmen, in dem Gedanken, daß die Pilgermission in dem Geleise der Kirche verbleibe, denn er war ein guter Kirchenmann. Ein weiteres Mitglied war der unvergeßliche Karl Mez von Freiburg, welcher die Anstalt durch mächtiges Wort und reiche Unterstützung [211] gehoben hat. Im J. 1848, dem traurigen Revolutionsjahre, schreibt er: „Ueberall brechen Gerichte herein und wie werden wir in die letzte Zeit vorgerückt. Mag der Sturm auch noch so groß werden, der Herr ist bei uns im Schifflein, über welches mächtige Wellen gehen.“ Trotz solcher Wellen aber ermüdete dieser productive Geist nicht, immer wieder neue Anstalten zu gründen. Auf dem Weg nach der Chrischona liegt das Dorf Bettingen; der Gemeinde fehlte eine Kinderschule. Bald brachte er das Geld von Baseler reichen Frauen zusammen und eine fromme Wittwe leitete die Schule. Eine größere Anstalt jedoch, welche er gründete, war das Diakonissenhaus in Riehen. Er hatte nämlich den berühmten Diakonissenvater Fliedner von Kaiserswerth kennen gelernt und ihn veranlaßt, über das Diakonissenwesen einen Vortrag zu halten. Dieser Vortrag hatte einen tiefen Eindruck auf viele Frauen und Jungfrauen gemacht. In dem Dorfe Riehen wurde S. unter den günstigsten Bedingungen ein geeignetes Anwesen angetragen, sogar späterhin von den Erben geschenkt. Auch die richtige Vorsteherin fand er und zwar in Trinette Bindschärler in Hagen im Wiesenthal. In Straßburg und Kaiserswerth bereitete sie sich zu ihrem Dienste vor und ist wol eine der tüchtigsten Vorsteherinnen von Diakonissenhäusern geworden. Gegen 200 Schwestern sind bis jetzt in diesem Hause gebildet worden. Diese Diakonissen verwendete er auch zu einem kleinen Kinderspital, welches eine Frau Burckhardt-Vischer gewünscht hat. Nach einer schweren Krankheit setzte diese edle Frau das Kinderspital zum Haupterben ihres Vermögens von einigen 100,000 Franken ein. Das Haus nimmt arme kranke Kinder unentgeltlich auf. Eines seiner schönsten Werke ist das syrische Waisenhaus in Jerusalem. Im Herbst 1860 drang die Nachricht auch nach Basel, daß fanatische Türken unter den Christen auf dem Libanon und in Damascus ein Gemetzel angerichtet hatten; man schätzt die Zahl der Erschlagenen auf 20 000, da beauftragte er Schneller, welcher früher Hausvater auf Chrischona gewesen war, arme Knaben für das Waisenhaus zu sammeln. Schon im Herbst 1861 waren es bereits 30 heimathlose Knaben, die dort Aufnahme fanden und noch bis auf diesen Tag besteht das Waisenhaus, aus welchem schon über 300 Zöglinge in den verschiedensten Fächern ausgegangen sind. Das Waisenhaus ist aus dem Mutterhaus Chrischona hervorgegangen. Von der Pilgermission ging auch auf Veranlassung des Bischofs Gobat von Jerusalem die Mission in Abessinien unter König Theodoros aus, welche freilich zerstört wurde, obwol unter den Juden (Falaschas) noch immer gearbeitet wird. Nur noch zwei Gründungen müssen wir berühren, es ist die Mägdeanstalt auf den Schoren bei Basel und das Spittlerstift in Riehen. Die erstere sollte den Mädchen, welche Dienste suchen, zur Bewahrung und zum Erlernen ihres Berufs dienen, während das Spittlerstift eine Reihe von Frauen und Jungfrauen in seinen Schoß aufnimmt, welche allein mit ihren Mitteln kaum auskommen, aber vereint mäßig bestehen können. Im 19. Jahresbericht der Pilgermission schreibt er zum Schlusse: „Es grüßt Euch in seinen alten, schwachen und kranken Tagen, da er spürte, daß er nahe am Ziele ist, wol zum letzten Mal namens des Pilgermissionscomités das älteste Mitglied desselben, Christian Friedrich S.“ Er starb auch wirklich während des Druckes dieses Rundschreibens. Er erfreute sich sonst einer guten Gesundheit und hatte an seiner Pflegetochter eine bewährte Pflegerin und an seinem tüchtigen Gehülfen Jäger einen bewährten Stellvertreter. In seinem Sterbensjahre nahm er auffallend ab. Sein Sterbelager bot die köstlichste Erbauung. Er rief einmal aus: „Welch eine Sündenkette von 86 Jahren; aber alle Sünden sind durchstrichen mit dem Blute Christi.“ Am zweiten Advent 1867 ging er heim, seine Augen glänzten lange, ein Großer im Reich Gottes war geschieden, von dessen Leben [212] man sagen kann, es war Lieben, und das Erhebendste war, daß er keinen Ruhm suchte.

Aus „Christian Friedrich S. im Rahmen seiner Zeit, gesammelt aus seinem schriftlichen Nachlaß,“ Christian Friedrich Spittler’s Leben von Dr. Johannes Kober und aus Erlebnissen des Erzählers.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 209. Z. 15 v. o. l.: Sailer. [Bd. 36, S. 792]