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ADB:Stade, Dietrich von

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Artikel „Stade, Diederich von“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 353–355, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stade,_Dietrich_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:34 Uhr UTC)
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Stade: Diederich v. St., Germanist. Er ist am 13. October 1637 zu Stade aus einer bürgerlichen Familie geboren. Sein Vater, Nicolaus v. Stade, war Kaufmann, die Mutter eine Kaufmannstochter, die, früh verwittwet, auch den Sohn dem Handelsstande bestimmte. Schon hatte sie ihn dem Unterricht entzogen und gedachte ihn als Lehrling nach Spanien zu senden, da trat die Neigung des Knaben zu den Wissenschaften so lebhaft zu Tage, daß ihm im Alter von 14 Jahren die Rückkehr auf die Schulbank zugestanden wurde. Im J. 1658 bezog er dann die Universität Helmstedt, wo er Anfangs theologische Collegien hörte, bald aber sich mehr auf juristische und historische Studien warf. Seine wissenschaftliche Richtung dürften am meisten die Vorlesungen Hermann Conring’s gefördert haben. Nachdem er im sechsten Semester bereits die Hochschule verlassen hatte, hielt er sich kurze Zeit in Hamburg auf und begab sich dann nach Schweden: war doch seine deutsche Heimath seit dem westfälischen Frieden der Krone Schweden unterthan. Während eines siebenjährigen Aufenthaltes hat er dort die entscheidenden wissenschaftlichen Anregungen gefunden, reiches Wissen auf sprachlichem und archäologischem Gebiete gesammelt und bedeutungsvolle gelehrte Bekanntschaften geschlossen. Von 1662–1667 war er Secretär und zugleich Erzieher im Hause des schwedischen Reichsraths Svante Banner in Stockholm, vorher und nachher aber weilte er längere Zeit in Upsala, wo gerade damals die antiquarischer und linguistischen Studien einen mächtigen Aufschwung nahmen. Hier lernte er den phantastischen Skandinavisten Olaf Rudbeck und seinen ihm an solider Gelehrsamkeit und kritischem Sinn gewaltig überlegenen deutschen Collegen Joh. Scheffer kennen, hier verkehrte er mit dem kundigen Bearbeiter isländischer Sagas Olof Verelius und dem Kenner und Herausgeber des Ulfila Georg Stjernhjelm, eignete sich eine gründliche Kenntniß des lebenden Schwedisch wie des Altnordischen, demnächst auch des Angelsächsischen, Niederländischen und Friesischen an und war, als er 1668 wieder den Boden der Heimath betrat, für das vergleichende Studium der Muttersprache weit besser gerüstet als irgend einer seiner Landsleute.

Er erhielt in Stade das Amt eines königl. schwedischen Consistorialsecretärs und hat es mit einer fünfjährigen Unterbrechung, welche die braunschweigische Occupation herbeiführte (1675–1680) und die ihn zwang, vorübergehend zur Anwaltschaft seine Zuflucht zu nehmen, bis zum Jahre 1711 verwaltet. Aus dieser amtlichen Thätigkeit erwuchs u. A. eine 1684 begonnene topographische Uebersicht über die Herzogthümer Bremen und Verden, die, obwohl nach Superintendenturen und Präposituren bearbeitet, doch über die Zwecke der kirchlichen Verwaltungsbehörden hinausgreift (erst neuerdings gedruckt im Archiv f. Gesch. etc. zu Stade VI, 12–72); ferner die gelehrte Vorrede zum Stadischen Kirchen-Handbuch [354] (Stade 1710) und allerlei Sammlungen und Vorarbeiten zur Geschichte, speciell zur Kirchengeschichte jener Landschaften. Auch übersetzte er (1711) die aus Anlaß der Vickerstaff’schen Prophezeiungen erschienene Schrift des Schweden M. G. Block gegen neu aufgetauchte falsche Wahrsagereien. Im J. 1711 ward er königlicher Archivar für die Herzogthümer Bremen und Verden, aber schon 1712 durch die politischen Ereignisse aus dem ihm lieben Amte vertrieben, hat er die letzten Jahre seines Lebens in Hamburg und in Bremen zugebracht. In Bremen, wo sein zweiter Sohn seit 1712 als Domprediger wirkte, ist er am 19. Mai 1718 gestorben.

Stade’s Nachruhm gründet sich nicht auf die erwähnten Nebenarbeiten seiner amtlichen Beschäftigung, sondern auf die germanistischen Studien seiner Muße. Ueber deren langsamen, aber stetigen Fortschritt gibt der reiche Nachlaß Auskunft, den die königliche Bibliothek zu Hannover aufbewahrt (vgl. Bodemann’s Verzeichniß ihrer Handschriften, Register S. 653 f.). Sein wissenschaftlicher Briefwechsel, soweit er bei v. Seelen, Memoria Stadeniana (S. 181–344) gedruckt ist, beginnt erst mit dem Jahre 1694, und vor die litterarische Oeffentlichkeit ist St. überhaupt erst in seinem 71. Lebensjahre getreten. Freilich in der kleinen Gemeinde der deutschen Alterthümler galt er schon längst als eine Autorität, wie die Vorrede des von ihm zwar nicht angeregten, aber geförderten Greifswalder Professors Palthen zu dessen Ausgabe des althochdeutschen Tatian (Greifswald 1706) bezeugt. 1708 erschien dann zu Stade sein „Specimen lectionum antiquarum Francicarum ex Otfridi monachi Wizanburgensis libris evangeliorum atque aliis ecclesiae christianae Germanicae veteris monumentis antiquissimis collectum“ etc., ein dünnes, aber überaus inhaltreiches Quartheft, das eine überraschende Vertrautheit mit den Denkmälern, dem Wortschatz und der Grammatik der „fränkisch-teutschen Zeit“ offenbarte. Seit Jahren hatte St. sich mit dem Althochdeutschen und besonders eindringend mit Otfried beschäftigt, war, unzufrieden mit der Leistung des Flacius, zu der Wiener Hs. selbst vorgedrungen und begann nun, durch das Beispiel mehr noch als durch die Aufforderung des Engländers Hickes angefeuert, die Sprache des Weißenburger Mönchs grammatisch und lexikalisch gesichtet einer Darstellung der althochdeutschen Sprache zu Grunde zu legen. Dies Werk, im J. 1710 begonnen, würde bei allen an den Proben ersichtbaren Mängeln doch die bisherigen Leistungen der Deutschen auf dem Gebiete der historischen Sprachforschung sämmtlich übertroffen und gegenüber dem Thesaurus des Hickes eine Ehrenpflicht des deutschen Festlandes erfüllt haben. St. ist der erste deutsche Gelehrte, der über den antiquarischen Dilettantismus hinaus, bei dem selbst die tüchtigsten seiner Landsleute, wie Schilter, stehen blieben, zu der klaren Erkenntniß und Forderung vorgeschritten ist, für jeden germanischen Einzeldialekt und für jede Epoche zunächst eine feste grammatische Grundlage zu schaffen. Ueber das, was ihn von Männern wie Schilter und Eckhart trennte, hat er sich selbst ebenso bescheiden wie präcis ausgesprochen. Speciell auf althochdeutschem Gebiete war ihm von den Zeitgenossen höchstens der Däne Rostgaard durch umfassendere Quellenkenntniß überlegen. Aber Alter und Exil haben Stade’s althochdeutsche Studien zu keinem Abschluß gelangen lassen. Wir besitzen von ihm im Drucke nur noch eine[WS 1] weitere Arbeit, die freilich ebenso ein Denkmal seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit wie ein Spiegel seines frommen und liebenswürdigen Wesens ist: „Erläuter- und Erklärung der vornehmsten Wörter, deren sich … Doct. Martin Luther in Uebersetzung der Bibel in die Deutsche Sprache gebrauchet, von welchen einige allen und jeden entweder an sich selbst, oder dem Gebrauche, wie auch dem Ursprunge nach, nicht gnug bekannt sein mögen. Den Deutschen zu Liebe deutsch geschrieben“ (Stade 1711). Das Unternehmen, die veralteten und unverständlich gewordenen Wortformen und Wortbedeutungen [355] der Lutherbibel zu sammeln und zu erläutern, war freilich nicht neu – in dem Vorbericht zur 2. Ausgabe hat der Sohn selbst die Vorgänger des Vaters namhaft gemacht; unter ihnen A. H. Francke und Bödiker; aber Niemand vor ihm hatte eine ähnlich reichhaltige Zusammenstellung geliefert, und ganz neu war die eingehende und vielfach überraschend glückliche etymologische Erklärung, die aus reicher Kenntniß der ältern Sprache und aller zugänglichen Quellen schöpfte. In der 2. Ausgabe (1717 von St. abgeschlossen und 1724 von dem Sohne herausgegeben) ist das Werk von 190 auf über 900 Seiten angewachsen, das Auctorenregister gibt einen Ueberblick über Stade’s umfassende Studien: seine Interessen begriffen fast das Gesammtgebiet dessen, was wir heute unter germanischer Philologie verstehen, auch Rechtsalterthümer, Mythologie und Volkskunde fehlen nicht, und nur freilich in der Litteratur, deren Geschichte dieser Zeit nur eben als Hülfswissenschaft galt, treten die Dichter der mittelhochdeutschen Blüthezeit noch durchaus zurück.

Diederich v. St. hinterließ aus seiner 1670 geschlossenen Ehe mit Elisab. Gertrud Keller vier Söhne und eine Tochter. Der älteste Sohn, Diederich v. St. wie der Vater geheißen, geb. 1674, machte im schwedischen Staatsdienst eine glänzende Carrière und wurde von Karl XII. in den Adelstand erhoben; als junger Etats-Secretär hat er 1700 das Tagebuch über den holsteinischen Feldzug geschrieben, welches im Archiv d. Ver. f. Gesch. zu Stade II, 210–234, abgedruckt steht. – Der zweite Sohn Johann Friedrich v. St., geb. 1678, † 1740 als Domprediger zu Bremen, theilte die sprachlichen Interessen des Vaters, dessen Otfried-Studien er schon im J. 1700 als schwedischer Gesandtschaftsprediger in Wien fördern konnte und von dessen Luther-Wörterbuch er außer der 2. noch eine 3. Ausgabe (Bremen 1737) mit eigenen Anmerkungen veranstaltete.

Jo. Henr. a Seelen, Memoria Stadeniana sive de vita, scriptis et meritis Diederici a Stade commentarius etc. (Hamburgi 1725). – Raumer, Geschichte der Germanischen Philologie S. 173 ff. – Ueber den Sohn Johann Friedrich auch Rotermund, Lexikon der Bremischen Gelehrten II, 163.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: éine