Zum Inhalt springen

ADB:Urlichs, Karl Ludwig

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Urlichs, Karl Ludwig“ von Nikolaus Wecklein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 353–355, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Urlichs,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 11. Dezember 2024, 14:00 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 39 (1895), S. 353–355 (Quelle).
Karl Ludwig Urlichs bei Wikisource
Ludwig von Urlichs in der Wikipedia
Ludwig von Urlichs in Wikidata
GND-Nummer 119010224
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|39|353|355|Urlichs, Karl Ludwig|Nikolaus Wecklein|ADB:Urlichs, Karl Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119010224}}    

Urlichs: Karl Ludwig U., namhafter Philologe und Archäologe, wurde am 9. November 1813 zu Osnabrück geboren; er machte seine Gymnasialstudien zu Aachen unter dem Director Rigler, seine Universitätsstudien zu Bonn, wo namentlich die Vorlesungen von Welcker über griechische Litteratur- und Kunstgeschichte und Mythologie einen nachhaltigen Einfluß auf ihn ausübten. Nachdem er sich mit der Abhandlung „Achaei Eretriensis quae supersunt collecta et illustrata“ (1834) den Doctorgrad erworben hatte, ging er 1835 nach Rom und wurde dort bald bei dem damaligen preußischen Gesandten Bunsen, dem „gelehrtesten Diplomaten“, Hauslehrer. Durch topographische und archäologische Studien sowie durch den Verkehr mit bedeutenden und gelehrten Männern in seinem Wissen und seinen Lebensanschauungen wesentlich gefördert, kehrte U. im J. 1840 nach Deutschland zurück und habilitirte sich in Bonn, wo vor kurzem Ritschl seine Lehrthätigkeit begonnen hatte. Der Meister lernte den jüngeren Lehrer, welcher in seinen Vorlesungen mehr die reale Seite der Alterthumswissenschaft behandelte, schätzen, wie er bereits im J. 1844 dessen Extraordinariat begutachtete und ihm immerfort zugethan blieb. Schon in der Bonner Zeit beschränkte U. seine Wirksamkeit nicht auf den Hörsaal: Durch Gründung einer historisch-antiquarischen Gesellschaft suchte er wissenschaftliches Streben zu wecken und gelegentlich der Bonner Philologenversammlung (1841) wurde auf seinen Vorschlag hin der „Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande“ begründet, dessen Jahrbücher er anfangs redigirte und immer wieder mit werthvollen Beiträgen archäologischen und epigraphischen Inhalts bedachte. Im J. 1847 wurde U. als Nachfolger O. Jahn’s an die Universität Greifswald berufen, wo er bis zum J. 1855 wirkte. In diese Zeit fällt seine parlamentarische Thätigkeit: er vertrat von 1849–52 in der zweiten Kammer den Wahlkreis Greifswald-Grimmen und wurde von dem Wahlkreis Frankfurt a. O.-Lebus in das Volkshaus des Erfurter Parlaments gewählt. In Greifswald fand U. auch an Louise Quistorp, der jüngeren Tochter des geheimen Justizrathes Quistorp, einen treue Lebensgefährtin, welche ihm vier Söhne und drei Töchter gebar. Im J. 1855 wurde U. nach Würzburg berufen, wo er unter Ablehnung eines zwei Jahre später erfolgten Rufes nach Freiburg bis zu seinem Tode am 3. November 1889 verblieb. In diesen 34 Jahren entwickelte er eine vielseitige und ersprießliche Thätigkeit, welche vor allem der Wissenschaft und den baierischen Mittelschulen zugute kam. Die philologischen Studien in Würzburg gestaltete er um, die archäologischen begründete er neu. Daneben lag ihm ob über Aesthetik und Kunstgeschichte Vorlesungen zu halten. Er ordnete die reiche Sammlung von Antiken und Denkmälern neuer Kunst, welche der Künstler Joh. Martin Wagner der Universität seiner Geburtsstadt 1857 schenkte, und vermehrte sie durch glückliche Ankäufe, insbesondere durch die Erwerbung der Feoli’schen Vasensammlung zu Rom 1872. Er machte die Sammlung weiteren Kreisen zugänglich und ehrte durch Vorträge und Programmabhandlungen (22, meistens über archäologische Fragen) das Andenken des hochherzigen Stifters. Er begründete auch in Würzburg eine philologische Gesellschaft, welche sich später zu einer philologisch-historischen erweiterte, und gedachte durch Schaffung eines philologischen Organs für Süddeutschland „Eos“ die wissenschaftliche Forschung der Lehrer an den Gymnasien zu beleben. Auf die Entwickelung des baierischen Mittelschulwesens übte er auch als Mitglied des obersten Schulraths Einfluß. Er nahm theil an der Feststellung der baierischen Schulordnung von 1874 und setzte bei der Ordnung der Lehramtsprüfungen die Aufnahme der Archäologie durch. [354] Das Anziehende seiner Persönlichkeit und die Gewandtheit seines Auftretens, der Zauber seiner Beredsamkeit und die Heiterkeit seines Wesens lenkten immer wieder die Wahl auf U., wen es galt die Universität bei festlichen Gelegenheiten zu vertreten. Gern erschien er auch auf den Philologenversammlungen und betheiligte sich an den Verhandlungen durch mehrere Vorträge. Seinem Wirken fehlte die äußere Anerkennung nicht; er erhielt 1857 den Titel eines Hofraths, 1880 den Kronorden mit dem persönlichen Adel, 1885 den Titel eines Geheimen Raths, 1866 wurde er zum Mitglied der Münchener Akademie gewählt. Seine Verdienste um die Wagner’schen Sammlungen wurden nach seinem Tode an der Universität durch Aufstellung seiner Büste geehrt.

Die wissenschaftliche Forschung von U. erstreckte sich vorzugsweise auf die Topographie von Rom, auch archäologische und antiquarische Fragen, auf die Kritik und Erklärung des Plinius und Tacitus, endlich auf die deutsche Litteratur. Zunächst nahm er in Rom an den topographischen Studien Bunsen’s regen Antheil und wurde bald ein Hauptmitarbeiter an dem großen Werke der „Beschreibung der Stadt Rom“, auch der Vertheidiger desselben gegen die Angriffe von W. Ad. Becker (Die römische Topographie in Rom. Eine Warnung. 1844) in der Schrift „Römische Topographie in Leipzig“ (1845). Das gleich anfangs in Aussicht genommene Urkundenbuch ließ U. erst im J. 1871 in dem „Codex urbis Romae topographicus“ erscheinen. Aus den Studien für dieses Buch ging die Abhandlung „Die Brücken des alten Rom“ in den Sitzungsb. der Münchener Akademie 1870 hervor. Noch einen schönen Fund machte der „um die römische Topographie hochverdiente Gelehrte“ (Worte von Hülsen, N. Rhein. Mus. 49, S. 393, wo dieser Fund besprochen ist) bei seinem letzten Aufenthalte in Rom, indem er die Lage des Templum Solis aufdeckte. – Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Thätigkeit lag in archäologischen Untersuchungen. Als Greifswalder Winckelmannsprogramm veröffentlichte er 1853 und 1854 zwei Aufsätze über Skopas, die später in die Schrift „Skopas’ Leben und Werke“ (1863) aufgenommen wurden. „Ueber die älteste Samische Künstlerschule“ handelte er im N. Rhein. Mus. Bd. 10, über „Die Anfänge der griechischen Künstlergeschichte“, über „zwei Vasen ältesten Stils“, über den „Vasenmaler Biygos“, „über den olympischen Tempel und seine Bildwerke“, über „das hölzerne Pferd“, über „Pergamenische Inschriften“ in Programmen des Wagner’schen Instituts (1871 f., 1874 f., 1877, 1881, 1883). Durch scharfsinnige Combination schriftstellerischer Notizen und Verwerthung der geschichtlichen Thatsachen und der politischen Verhältnisse der Staaten suchte er die Chronologie der Künstler und Kunstdenkmale festzustellen. Die Ausgrabungen in Pergamon und Olympia haben für verschiedene Ausstellungen von ihm eine glänzende Bestätigung gebracht. Musterhaft ist für diese Verbindung der Geschichte und der Kunst der 1883 gehaltene Vortrag über Pergamon. Bei seinem letzten Aufenthalte in Rom suchte er vergeblich für Würzburg den schönen Medeasarkophag zu erwerben, welchen er in dem Programm des Wagner’schen Instituts von 1888 beschrieben hat und welcher jetzt ein Schatz des Berliner Museums ist. Aus der Reihe weiterer Schriften archäologischen und antiquarischen Inhalts seien erwähnt die epigraphische Studie über „die Schlacht am Berge Graupius“ (1882), „Archäologische Analekten“ (1885), „Arkesilaos“ (1887). Mit neuerer Kunst beschäftigen sich die 1885 erschienenen „Beiträge zur Kunstgeschichte“ (Cornelius in München und Rom. Zwei Madonnen u. s. w.) Mit den archäologischen Studien von U. stehen in Verbindung die Pliniusstudien, aus denen die „Vindiciae Pliniae“ (I. 1853, II. 1866), die „Chrestomathia Pliniana“ (1857), die „Disputatio de numeris et nominibus propriis in Plinii naturali historia“ (1857), das Quellenregister zu Plinius’ letzten Büchern (1878) hervorgingen. Plinius ist der Hauptschriftsteller [355] der Greifswalder Zeit, zu Würzburg trat an dessen Stelle mehr und mehr Tacitus: „De vita et honoribus Agricolae“ (1868), Ausgabe des Agricola (1875), „De vita et honoribus Taciti“ (1879) u. a. Ein System und eine Geschichte der Philologie gab er in der Schrift „Grundlegung und Geschichte der classischen Alterthumswissenschaft“ (1886). – Durch Heinrich Abeken, mit dem U. in Rom verkehrt hatte, wurde er mit der Tochter Schiller’s, der Freifrau v. Gleichen-Rußwurm auf Schloß Greifenstein ob Bonnland (in der Nähe Würzburgs) bekannt gemacht, mit welcher er das dreibändige Werk „Charlotte von Schiller und ihre Freunde“ (1860–65) veröffentlichte. Aus dem Greifensteiner Archiv entnahm er auch die 25 Briefe der Brüder Schlegel an Schiller, welche in den Preuß. Jahrb. 1869 IX, 194 ff. abgedruckt sind, und das Lenzische Tagebuch, welches er in der Deutschen Rundschau 1877 X, 254 ff. veröffentlichte. Weitere Funde beleuchteten das Verhältniß Schiller’s zu Fichte ebenda 1883, XXXVI, 247 ff. Bei einem Aufenthalte in dem Hause der Frau Ernst Hasenclever in Ehringhausen fand U. in der Familienbibliothek Goethe’s Briefe an Johanna Fahlmer, deren Veröffentlichung (Leipzig 1875) interssante Aufschlüsse über das Leben Goethe’s in den Jahren 1773–77 bot. Weitere Beiträge zur Geschichte der deutschen Litteratur gab er im Goethe-Jahrbuch 1880. Den dritten Band dieses Jahrbuchs (1883) eröffnete er mit einem feinsinnigen Aufsatz „Goethe und die Antike“. Als Leiter des Wagner’schen Instituts entrichtete U. dem Stifter desselben einen Zoll der Dankbarkeit durch das Lebensbild „Johann Martin von Wagner“ (1865). Aus der ausgedehnten Correspondenz des Künstlers, unter welcher sich 600 Briefe des Königs Ludwig I. befinden, entnahm er wichtige Angaben zur Geschichte der Münchener Glyptothek (1867, 1889) und interessante Mittheilungen über „Thorwaldsen in Rom“ (1887). Wie U. auch in seinem späteren Leben an den politischen Ereignissen lebhaften Antheil nahm und in öffentlichem Auftreten für die Sache des Vaterlandes wirkte, so zeichnete ihn überhaupt Weite des Blicks und der Drang nach ausgedehnter Wirksamkeit aus. Deshalb fühlte er sich auch in der Wissenschaft auf einem engbegrenzten Gebiete nicht wohl; er wollte überall eingreifen und wußte sich rasch mit dem Gegenstande, mit dem er sich befaßte, bekannt zu machen. Daher haben auch die Ergebnisse seiner Forschung mehr viele einzelne Punkte verschiedener Gebiete als ein größeres zusammenhängendes Ganze eines einzigen Wissenszweiges gefördert.

Nekrolog in der Allg. Zeit. vom 6. Februar 1890, von H. v. Brunn in den Sitzungsb. d. Münch. Ak. d. W. 1890, S. 14 ff., von C. Hammer in den Bl. f. d. bayerische Gymnasialschulw. 1890, S. 611 ff., von M. Hertz in N. Jahrb. f. Pädag. 1890, S. 611 ff., von Bernhard Seuffert im Goethe-Jahrbuch 1891, XII, 271 ff., von Wecklein in dem Biographischen Jahrbuch f. Alterthumskunde 1892, S. 1 ff.