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ADB:Vetter, Nicolaus

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Artikel „Vetter, Nicolaus“ von Max Seiffert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 665–666, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vetter,_Nicolaus&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:57 Uhr UTC)
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Vetter: Nicolaus V. ist seiner historischen Bedeutung nach nicht der Großen einer in der Geschichte der deutschen Orgelmusik; er vertritt mehr den Typus jener in bescheidenen Kreisen wirkenden Organisten, die, selbst nicht neue Bahnen eröffnend, die Errungenschaften der bedeutsam hervorragenden Meister weiter ausmünzten und ihrem Schülerkreise vermittelten. Von seinem Lebensgange wissen wir nur wenig. Am 30. October 1666 wurde V. in Königsee geboren (Walther’s Lexikon). Sein Lehrer im Clavier- und Orgelspiel wurde 1681 zunächst Georg Caspar Wecker in Nürnberg, dann 1688 Johann Pachelbel in Erfurt. Er muß ein echter und rechter Schüler Pachelbel’s gewesen sein. Denn als dieser „nach Johanni 1690 als Hofforganist weggezogen nach stuckhart“ [Stuttgart], wurde V., 24 Jahre alt, dessen Nachfolger in Erfurt. Lange behielt ihn diese Stadt nicht; 1691 bereits folgte er einem Rufe nach Rudolstadt, wo er als Hoforganist und später in Nebenämtern als fürstlicher Regierungs-Advocatus ordinarius und Kirchen-procurator wirkte. V. muß also, wie so viele der damaligen Musiker, akademischen Studien obgelegen haben. Man kann annehmen, daß er zu solchen vor seiner Ankunft in Erfurt und zwar vielleicht in Leipzig, wo Daniel V. Organist war, Gelegenheit hatte. Als Walther’s Lexikon 1732 erschien, lebte Nic. V. noch; sein Todesjahr ist noch nicht festgestellt.

Das wichtigste, aber bisher gänzlich unbeachtete Document für Vetter’s künstlerische Thätigkeit ist Ms. Z. 35 fol. (Kgl. Bibl. Berlin), eine Orgeltabulatur, von dem späteren Wernigeroder Organisten und Theoretiker Joh. Val. Eckelt geschrieben, als er in Erfurt bei Pachelbel und N. V. studirte, d. h. 1691–92 (erg. danach Ed. Jacobs’ Aufsatz über Eckelt, s. Vierteljahrsschr. f. M. 1893, S. 311 ff.) Auf ein interessantes „Verzeichniß der Chorale auffm schloße in der Behtstunde“ folgt eine große Menge von Orgelstücken mit Notizen Eckelt’s, von wem er die Stücke gelernt und gekauft hat. Dies für die Methode der Pachelbel’schen Schule ungemein wichtige Manuscript enthält allein 8 Compositionen Nic. Vetter’s; weitere Stücke sind verstreut auf der Kgl. Bibl. Berlin (Ms. 22, [666] 541 I, II, III; Ms. acc. 4107), Kgl. Hochschule Berlin (Spitta’s Nachlaß Nr. 1440), Univers.-Bibl. Königsberg (Nr. 15 839) zu finden, Die Form der Choralbearbeitungen trägt deutlich die Züge Pachelbel’scher Kunst. V. umgiebt den im Baß oder Diskant gemessen schreitenden Choral mit beweglichen Figuren, er verarbeitet die Zeilenmotive fugenartig, er combinirt beide Arten, er läßt auf einen orgelmäßigen, schlicht vierstimmigen Satz eine Anzahl claviermäßiger Variationen folgen, genau wie Pachelbel. Vetter’s Fugenform ist eben wie die Pachelbel’s süddeutsch. Die große dreitheilige Fantasie von Frescobaldi-Froberger wurde von den in ihre Fußstapfen tretenden Wiener und süddeutschen Orgelmeistern nur vereinzelt weitergepf1egt; ihre Stelle eroberte sich immer mehr ein weniger complicirtes, fughettenartiges Gebild. Aehnlich erging es ja übrigens im Norden auch der großen Fantasie Sweelinck’s unter dem erkennbaren Einfluß des Südens. Männer wie C. Kerl, E. Kindermann, Späth, Murschhauser repräsentiren den süddeutschen Typus. Wie ausgeprägt süddeutsch in der Gestaltung und Durchführung des Themas Vetter’s Fugen sind, mag man daran ermessen, daß Eckelt über eine Fuge (fol. 62 v.) Vetter’s noch den Namen „G. Kerl“ setzte. Besondere Beachtung verdient die A-dur-Fuge (fol. 60 r.) Es ist die Zeit des Durchbrechens der gleichschwebenden Temperatur. Nur zum kleinsten Theile ist das sehr innige Verhältniß des ganzen Pachelbel’schen Kreises zur Temperaturfrage von der Forschung bisher gewürdigt worden. Pachelbel allein hat zwei größere Notenwerke geschrieben (eines ist ungedruckt), die neben Seb. Bach’s „Wohltemperirtem Clavier“ in der Geschichte genannt werden müssen. Eckelt befaßte sich späterhin theoretisch mit jener Frage. Vetter’s Fuge zeigt, wie Pachelbel auch praktisch seine Schüler auf dem viel umstrittenen neuen Boden festen Fuß fassen lehrte. Die Fuge, im allgemeinen Charakter Seb. Bach’s F-dur–Fuge (wohlt. Cl. I) nicht unähnlich, ist, musikalisch betrachtet, freilich noch ein Monstrum an harmonischer Ungelenkheit und Steifheit. Man darf jedoch nicht vergessen, daß sie noch aus Vetter’s Lehrzeit bei Pachelbel stammt. – Von Vocalwerken Vetter’s ist bis jetzt noch nichts bekannt geworden. Außer Eckelt ist noch Joh. Casp. Vogler als Schüler Vetter’s zu nennen (Spitta, J. S. Bach I, 517). A. G. Ritter (Z. Geschichte d. Orgelsp. II, 108 f.) theilt zwei Stücke mit.