ADB:Wichgrevius, Albert
Μικρανϑ ρώποις s. homullis“ (1599) nicht bloß mit der antiken und humanistischen Enkomienlitteratur vertraut zeigt, [311] sondern auch die deutschen Humoristen Hans Sachs, Wickram, Frey, Fischart und Rollenhagen citirt. Einen glücklichen Wurf dagegen that er mit seiner Komödie „Cornelius relegatus, s. comoedia nova festivissime depingens vitam pseudostudiosorum et continens nonnullos ritus academicos in Germania“ (Rostock 1600), die in der erwähnten Rede angekündigt, im Jubeljahre 1600 von Rostocker Studenten aufgeführt wurde und rasche Verbreitung fand. Hier hat er zwar nicht ganz ohne litterarische Vorbilder, aber doch mit selbständiger, frischer Beobachtung des akademischen Lebens und im Gegensatz zu der zahmen Nüchternheit seiner übrigen Schriften durchaus unzimperlich die Geschichte eines verbummelten Studenten ausgemalt. Er beginnt mit der Entsendung des jungen Cornelius, dessen Name im damaligen Universitätsjargon soviel wie Katzenjammer, graues Elend besagt, aus dem Elternhause auf die ferne Hochschule. Vom Vater mit Warnungen, von der Liebsten mit Thränen entlassen, zieht der verschmitzte Bursche, der der Schulzucht längst überdrüssig ist, lustig von dannen; ein Traum der sorgenden Mutter ahnt das ihm drohende Unheil voraus. Der 2. bis 4. Act spielt auf der Universität. Cornelius wird von drei livländischen Landsleuten in Empfang genommen und zum Depositor Aurarius gebracht, der ihn sammt seinem Burschen der schmerzhaften Ceremonie der Deposition, einem spaßhaften Examen, Zahnziehen, Behobeln u. s. w. unterwirft. Dann folgt eine Prüfung vor einem Professor und die Immatriculation durch den Rector. Das Lotterleben des jungen Studenten wird durch ein doppeltes Saufgelage veranschaulicht. An das erste schließt sich nächtlicher Unfug der Zechgenossen, Verhaftung durch die Scharwächter und Verurtheilung vor dem Universitätsgericht. Vom zweiten sehen wir nur die Vorbereitungen; unterdeß sammelt sich die ganze Schaar der Gläubiger, ihn vor dem Rector zu verklagen. Und nun trifft den kecken Sünder die zehnjährige Relegation, die Nachricht von seiner Enterbung und vom Tode der Eltern und die Forderung, für ein ihm inzwischen geborenes Söhnlein zu sorgen. Niedergeschmettert, jetzt erst ein wahrer „Cornelius“, kehrt er ins verödete Vaterhaus zurück; ein teuflischer Geist, der sich mit einer alphabetischen Reihe unverständlicher Hexameter vorstellt, weist ihm einen von der Decke herabhängenden Strick; aber wie der Verzweifelte sich daran aufhängen will, reißt er dort verborgene Geldsäcke herab und beschließt, ein neues Leben zu beginnen. Er gewinnt durch aufrichtige Reue die Fürsprache des Fürsten Nestor und wird vom Rector wieder zu Gnaden aufgenommen. In der Anlage der Fabel ist der Einfluß von Stymmel’s älterem Studentenstück (s. A. D. B. XXXVII, 98) und von Gnapheus’ Drama vom verlorenen Sohn (s. A. D. B. IX, 279) unverkennbar. Für den glücklichen Abschluß benutzte W. ein altorientalisches Märchen, das zuletzt noch in Tieck’s Novelle „Die Gemälde“ wiederauflebte. Für die drastische Erfassung des modernen Lebens und die gelenke Sprache boten ihm die Komödien Daniel Cramer’s, den er in Wittenberg selber gesehen hatte ein Vorbild. Vor allem aber ist ihm zu gute gekommen, daß er, wie mir A. Hofmeister freundlichst nachweist, ganz bestimmte Rostocker Persönlichkeiten und Verhältnisse bei seiner lebensvollen und culturgeschichtlich wichtigen Schilderung vor Augen hatte. Im Wirthe Gerhardus erkennen wir Gerd Delbrügg in der Steinstraße wieder, bei dem die westfälische Landsmannschaft kneipte; im Depositor Aurarius, der die Deposition offenbar ganz nach den 1588 von Jakob Prätorius für Rostock erlassenen Bestimmungen handhabt, haben wir den Pedell Peter Eß vor uns, der, weil er an Studenten Geld lieh, längst den Spitznamen Aes oder Aerarius führen mochte; Fridericus ist Johann Freder, der Rector des Jahres 1600, Fürst Nestor der in gleichzeitigen Schriften öfter als Nestor der deutschen Fürsten bezeichnete Herzog Ulrich zu Güstrow u. s. w. Die Wirkung des derbrealistischen Stückes auf die Zeitgenossen war keine geringe. Vier weitere [312] Auflagen folgten der ersten; Johann Sommer (s. A. D. B. XXXIV, 603) ließ 1603 eine wohlgelungene, von kräftigem Humor beseelte Verdeutschung erscheinen, und noch 1657 nahm sich J. G. Schoch in seiner Prosakomödie vom Studentenleben Wichgrev zum Muster. Auch Künstler wie Jakob v. d. Heyden (Speculum Cornelianum 1618, 1879) und Petrus Rollos (Vita Corneliana s. Cytherea studiosorum. Berlin 1639) nützten die Figur des Cornelius, dessen wesentliche Züge W. noch in einem der ersten Ausgabe angehängten, später durch eine Satura in Vetullam ersetzten deutschen Monologe zusammengefaßt hatte.
Wichgrevius: Albert W., neulateinischer Dichter des 16. Jahrhunderts. Als Sohn des Predigers Henning W. um 1575 zu Hamburg geboren, bezog er im April 1591 die Universität Rostock und setzte seine philologischen und theologischen Studien in Helmstedt und (seit 1594) in Wittenberg fort. Mit dem Magistertitel und der Würde eines gekrönten Poeten geschmückt, kehrte er 1597 aus der Lutherstadt nach Rostock zurück, um sich dort als Privatdocent niederzulassen. 1600 übernahm er das Amt des Schulrectors zu Pritzwalk in der Mark Brandenburg und verheirathete sich hier mit Elisabeth Chemnitz, vermuthlich einer Nichte des kurfürstlichen Vicekanzlers Matthias Chemnitz. 1605 folgte er einer Berufung zum Prediger nach Allermöhe in Billwerder bei Hamburg, wo er am 22. December eingeführt wurde und bis zu seinem 1619 erfolgten Tode verblieb. – Wichgrevius’ Schriften sind mit Ausnahme der von mir nicht gesehenen „Encaenia Allermodiana“ (1615), einer niederdeutschen Predigt zur Einweihung seiner umgebauten Pfarrkirche, in lateinischer Sprache abgefaßt. Aus ihrer großen Zahl darf man schließen, daß seine dichterischen Versuche frühzeitig – schon 1590 ward seine Ekloge auf den Tod G. Rolevink’s gedruckt – Anerkennung fanden. Doch verdienen weder seine Rostocker und Wittenberger Abhandlungen über einige Sätze des Aristoteles, über Heiligenverehrung und über Cäsar’s Leben, noch seine Hochzeits- und Trauercarmina, seine ebenso mühsamen wie zwecklosen anagrammatischen Spielereien und die kleinen Epen vom Leiden und von der Himmelfahrt Christi besondere Beachtung. Erwähnt sei nur, daß er sich in seiner „Oratio pro- Moller, Cimbria litterata 1, 728. – Schröder, Lexikon der hamburgischen Schriftsteller 8, 13 (1883). – Goedeke, Grundriß2 2, 144, wo eine Ausgabe des Cornelius (Altdorf 1615) nachzutragen ist. – E. Schmidt, Komödien vom Studentenleben 1880 S. 10. – Fabricius, Die akademische Deposition 1895 S. 53. – Rostocker Universitätsmatrikel, hsg. von Hofmeister; die Wittenberger in der Zeitschr. f. dtsch. Philologie 20, 84. – Zwei Gedichte im Münchener Cod. lat. 10 741, Bl. 223.