ADB:Zellweger, Laurenz
Zellweger stammt aus den inneren Roden von Appenzell, siedelte aber, theils vor der Reformation, theils auch erst infolge derselben allmählich in die äußeren Roden über. Ein Zweig derselben ließ sich, nachdem er sich zuvor im Rheinthal aufgehalten, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Trogen nieder. Schon bei der Landestheilung 1597 war aus demselben Konrad Hauptmann der Rode Trogen, sein Sohn Johannes 1639 Landesseckelmeister; der Enkel Konrad, 1681 Statthalter, 1697 Pannerherr, begründete mit seinem gleichnamigen Sohn, der ihm 1721 auch in der Statthalterwürde nachfolgte, durch Leinwandhandel den Reichthum der Familie. Als große Kaufleute und Industrielle dehnten ihre Nachkommen die Geschäftsverbindungen über Frankreich, Italien und Spanien aus und ihnen, sowie der von ihrem Beispiel auf andere Familien ausgehenden Anregung verdankte das protestantische Appenzell A/Rh. im 18. Jahrhundert seine blühende Fabrikation und seinen Wohlstand. Reichthum und Bildung hob die Zellweger über ihre Mitbürger empor und schuf ihnen hervorragenden politischen Einfluß, rief aber auch zugleich in dem rein demokratischen Staatswesen, unterstützt durch die Rivalität der verschiedenen Landestheile, eine leidenschaftliche Opposition gegen die mächtige Familie und ihre Parteigänger hervor, die im Kampf der Harten gegen die Linden 1732–34 zu tumultuarischen Auftritten führte und das Land an den Rand des Bürgerkrieges brachte, auch nachher noch zu verschiedenen Malen (1747 Absetzung des Landammanns Johannes Z., 1798 im Zusammenbruch der alten Ordnung auf dem Gebiete der ganzen Eidgenossenschaft), selbst bis ins 19. Jahrhundert hinein (1817) und mit einer Art Ostracismus gegen die an der Spitze des Staatswesens stehenden Glieder aus dem Zellweger’schen Hause abschloß.
Zellweger: Dr. Laurenz Z. von Trogen (1692–1764). Die Familie derDer älteste Sohn des jüngeren Statthalters Konrad und der ältere Bruder des ersten Landammanns aus der Familie, des in der Landsgemeinde zu Hundwyl 1747 abgesetzten Johannes Z., ist Dr. Laurenz Z., welcher von den schweizerischen Zeitgenossen den edelsten und aufgeklärtesten Söhnen seines weitern Vaterlandes zugezählt wurde.
Geboren am 2. August 1692 in Trogen legte Laurenz den Grund zu seinen medicinischen Studien in Zürich bei Dr. Scheuchzer und setzte dieselben alsdann unter Boerhave in Leiden fort, mit dem er auch nachher in freundschaftlichem brieflichen Verkehr blieb. 1713 erwarb er sich mit einer Dissertation „de nutritione animali“ die Doctorwürde, vollendete seine Bildung durch längere Reisen in Deutschland und Frankreich und ließ sich dann als Arzt in seinem heimathlichen Dorfe nieder. Ausdrücklich wird bemerkt, daß er im Gegensatz zu seinen Berufsgenossen nicht selbst dispensirte, sondern die Arzneien aus der Klosterapotheke in St. Gallen bezog, um desto besser auf die Entdeckung der Ursachen und der Natur der Krankheiten seine Aufmerksamkeit richten zu können; daß seine ärztlichen Vorschriften ungewöhnlich einfache gewesen seien und daß er für schwierige Krankheitsfälle ein ganz besonderes Vertrauen in weitesten Kreisen genoß. Daneben überließ er sich seiner Neigung zu „philosophischen“ Studien und vertiefte sich in die antike und in die moderne Litteratur. 1726 ward er in den Rath aufgenommen und zugleich zum Kilchhöreschreiber, 1729 zum Landmajor und Zeugherrn erwählt, als welcher er das Landesarchiv zu verwalten hatte. Da machte er sich denn an die Aufgabe, dieses und das Archiv der Gemeinde in Ordnung zu bringen, und begab sich, um den fachmännischen Rath und Anweisung des „Canzelisten“ Leu (des nachmaligen [46] Bürgermeisters) einzuholen, eigens aus diesem Grunde nach Zürich; während dieses Aufenthaltes trat er zugleich in persönliche Beziehungen zu Professor J. J. Bodmer. Aber die Bewegung der Jahre 1732–34, in welcher er mit seinem Vater von dem tobenden Volke am Leben bedroht wurde, durch seinen Muth jedoch auch dem Gegner imponirte – er bot selbst im kritischen Augenblick einem derselben den Degen und entblößte seine Brust mit den Worten: „Hier schlägt mein Herz; wenn du glaubst, daß es einem Verräther schlage, so durchbohre dasselbe!“ – entsetzte ihn seiner Aemter und er blieb von nun an fest bei dem Entschluß keine öffentliche Stellung mehr anzunehmen, zog sich gänzlich auf seine Studien und auf den ärztlichen Beruf zurück und wenn er später etwa aufgefordert wurde, ins politische Leben wieder einzutreten, pflegte er scherzend zu sagen: „Ich behelfe mich meines Urtheilsspruches. Auch dazu konnte er sich nicht entschließen einen eignen häuslichen Herd zu gründen; er lebte mit seinen von ihm kindlich verehrten Eltern in Einem Haushalt zusammen, bis diese von seiner Seite gerufen wurden, als er selbst schon dem Greisenalter sich nahte.
Um so reicher entfaltete sich im Verkehr mit Gleichgesinnten in der Nähe und aus der Ferne das geistige Leben für ihn und um ihn. Seine Freundschaft mit Bodmer führte nicht nur diesen, sondern mit demselben eine Reihe von Gesinnungsgenossen in Zürich und Winterthur (Breitinger, S. Geßner, Heidegger, Füßli, Sulzer und Künzli, 1757 auch Wieland) zu häufigem mehrwöchentlichen Sommeraufenthalt nach Trogen, wo sie in dem einfachen hölzernen Hause Zellweger’s (der „föhrenen Hütte des Philokles“) Gastfreundschaft genossen, der Freundschaft pflogen, Molken tranken und in fröhlicher Ungezwungenheit als ein kritischer Areopag im Hirtenlande die neusten Ereignisse der Litteratur besprachen, ihre patriotische Gesinnung stärkten und zugleich an den Großthaten Friedrich’s II. sich erlabten. – Z. war stiller Mitarbeiter der Discurse der Sitten-Maler und des Mercure Suisse und schrieb zugleich in die Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Zürich, deren Mitglied er war, eine „Kurze Beschreibung des Acker- und Feldbaus im Lande Appenzell“; anderes blieb Manuscript. Mit Bodmer stand er in vertrauter Correspondenz bis an sein Lebensende, das nach schmerzhaften, mit frommem Sinn und philosophischer Geduld ertragenen Leiden am 14. Mai 1764 erfolgte. Der helvetischen Gesellschaft, die ihn gleich bei ihrer förmlichen Constituirung 1762 zu ihrem Mitglied ernannt hatte und zu ihm wie zu einem Patriarchen aufsah, sandte er vom Sterbebette aus durch seinen Neffen Johannes (den nachmaligen Landsfähndrich) zu ihrer Zusammenkunft im Frühjahr 1764 seinen „patriotischen Abschied“, der dem „Denkmal“, das ihm dann Namens der Gesellschaft Dr. Hans Caspar Hirzel setzte, vorangedruckt ist.
- Dr. J. C. Hirzel, Denkmal Herrn Dr. Laurenz Zellweger, von der Helvetischen Gesellschaft errichtet. Zürich. Heidegger 1765. – H. Krüsi, Dr. Laurenz Zellweger, in den Appenzellischen Jahrbüchern, 2. Folge, 10. Heft. Trogen 1882. – Bruchstücke des Briefwechsels zwischen Bodmer und Zellweger, in Zehnder-Stadlin’s Pestalozzi, Bd. 1 (Gotha, Thienemann 1875), S. 318–85 und 680 ff.