ADB:Zellweger, Johann Caspar

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Artikel „Zellweger, Johann Kaspar“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 38–45, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zellweger,_Johann_Caspar&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 07:59 Uhr UTC)
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Zellweger: Dr. Johann Kaspar Z. von Trogen 1768–1855. Für die Vorgeschichte der Familie verweisen wir auf das im Eingang der nachfolgenden biographischen Skizze über den Großoheim Joh. Kaspar’s, Dr. Laurenz Zellweger Gesagte. Der jüngere Bruder des Dr. Laurenz Z., Johannes (Landammann 1646–47), hatte zwei Söhne, Jakob (1723–1808), der von 1794 bis zum Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft die höchste Würde des Landes bekleidete, und den Landsfähndrich Johannes Z., durch den der commercielle Glanz des Hauses seinen Höhepunkt erreichte. Dieser Landsfähndrich Johannes Z. (geb. 1730, † 1802), ein Mann von rastloser Thätigkeit, hoher Bildung, ungeheuchelter Frömmigkeit und, trotzdem er als der reichste Appenzeller galt, puritanisch einfachen Sitten, hochangesehen im Kreise der hervorragendsten Eidgenossen, wie er denn auch für 1776 zum Präsidenten der Helvetischen Gesellschaft in Schinznach erwählt worden war (vgl. über ihn Biogr. Skizze im Appenz. Monatsbl. 1839, Nr. 7), ist der Vater unseres Joh. Kaspar, welcher am 4. März 1768 als der älteste Sohn des Landsfähndrichs aus dessen zweiter Ehe geboren wurde; die Mutter, Anna Hirzel, war die Schwester des menschenfreundlichen zürcherischen Arztes Dr. Hans Kaspar Hirzel (1725–1803), Verfassers der „Wirthschaft eines philosophischen Bauers“ (Kleinjogg) und Mitbegründers der helvetischen Gesellschaft, sowie des Staatsmannes und Geschichtschreibers Salomon Hirzel (1727–1819). Dem elterlichen Hause, in welchem Joh. Kaspar aufwuchs, gab der ernste Sinn des Vaters das feste Gepräge, dessen nachhaltige Einwirkung sich in der Entwicklung des Sohnes als Grundton geltend machte; unverkennbar findet sich in der letztern aber auch manches, was an die Art seiner mütterlichen Verwandten erinnert, bei denen der Knabe sich schon im Sommer 1774 für einige Zeit aufhalten durfte.

Der Landsfähndrich ließ seinen Söhnen eine sehr sorgfältige Erziehung angedeihen. Aber schon im 13. Jahre wurde Joh. Kaspar in den Stunden, die der von Hauslehrern ertheilte Unterricht nicht ausfüllte, von seinem Vater in die Schreibstube des Geschäftes eingeführt und ein Jahr später in die Filiale des Zellweger’schen Hauses nach Lyon gesandt, um dort seine kaufmännische Lehre durchzumachen (1782); alsdann ging er 1786 in die Filiale zu Genua über, deren selbständige Leitung ihm 1790 anvertraut wurde. Im gleichen Jahre [39] verheirathete er sich mit Dorothea Geßner, der Tochter des Idyllendichters Sal. Geßner, die ihm in drei und dreißigjähriger Ehe neun Kinder schenkte (von denen aber nur eines den Vater überlebte). Neun Jahre stand er unter den höchst schwierigen Verhältnissen der Revolutions- und Kriegszeit dem Geschäfte in Genua vor, kehrte dann in die Heimath zurück und übernahm nach dem Tode der Eltern 1802 mit seinem Bruder Jakob, dem damaligen helvetischen Senator (und Landammann von 1803–17, s. o.), die Leitung des Gesammthauses; thatsächlich fiel der Haupttheil der Geschäftslast auf seine eigenen Schultern, da er dem Bruder die Fortsetzung der ebenfalls in der Tradition liegenden politischen Thätigkeit zu ermöglichen bestrebt war. Aber die übergroße Anstrengung zerrüttete seine Gesundheit; auf ärztlichen Rath sah er sich 1808 gezwungen aus dem Geschäfte auszutreten; mit 40 Jahren war er ein kranker, nahezu gebrochener Mann. Nur in kleinem Maßstabe führte er seine industrielle Bethätigung noch ein Jahrzehnt weiter, bis er dieselbe, nachdem er sich allmählich erholt und während der unfreiwilligen Mußezeit sich neuen, weniger aufreibenden Lebensinteressen zugewandt hatte, im J. 1818 ganz aufgab.

Die Bethätigung für diese neuen Interessen gemeinnütziger und wissenschaftlicher Arbeit ist es, die Zellweger’s Namen ein bleibendes und dankbares Andenken bei der Nachwelt sichert.

Wir finden die Anfänge beider, wie angedeutet, schon in den Jahren seiner Reconvalescenz. Wie hätte der an rastlose und an planvolle Thätigkeit gewöhnte Mann jetzt der zurückkehrenden Kräfte sich freuen können, ohne sich zugleich wieder im großen Stil eine Lebensaufgabe zu setzen? Er wandte sich zuerst physikalischen Studien zu, dann der Geschichte; aus dem ursprünglichen Gedanken, die Geschichte seiner Familie zu schreiben, entwickelte sich der Plan einer Geschichte des appenzellischen Volkes. Die außerordentlichen Schwierigkeiten, die ein solches Unternehmen gerade für ihn hatte, der einer gelehrten Bildung, eines für wissenschaftliche Darstellung geeigneten Stils, der Kenntniß der historischen Litteratur und der Resultate der bisherigen historischen Forschung zufolge seiner kaufmännischen Vergangenheit entbehrte, schreckten ihn nicht ab; um die Urkunden zu verstehen lernte der achtundvierzigjährige Mann aufs neue Latein. Er sparte kein Opfer an Zeit, Mühe und Geld, um nicht nur in den schweizerischen, sondern auch in deutschen, österreichischen und französischen Archiven den Quellen nachzuspüren und sie auszubeuten. Er kam in Correspondenz mit einheimischen und ausländischen Geschichtsforschern und mit Kennern des Mittelalters wie Joseph v. Laßberg, trat der seit 1811 bestehenden (älteren) schweizerischen geschichtsforschenden Gesellschaft in Bern bei und veröffentlichte kleine historische Arbeiten in deren Organ, dem „Geschichtsforscher“. Aber mehr als ein Decennium dauerte es, ehe der erste Band seines großen Werkes im Drucke erscheinen konnte (1831/32).

Während dieser Zeit hatte sich Zellweger’s Thätigkeit für gemeinnützige Unternehmungen bereits aufs reichste entfaltet, und zwar in der Nähe wie in der Ferne. Der Tod seines Bruders, des Alt Landammanns Jakob Z., bewirkte 1821, daß bei den gemeinsamen Bestrebungen, in welchen bisher dieser in erster Linie gestanden, er nun selbst an die Spitze zu treten hatte, so bei der neu gegründeten Sparcasse, bei der 1821 eröffneten Kantonsschule. Mit seinem Bruder war Joh. Kaspar auch der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft, als sie sich 1820 in St. Gallen versammelte, beigetreten; 1822 bezeichnete dieselbe, die damals am Rande der Selbstauflösung stand, für das folgende Jahr Trogen als Zusammenkunftsort und Joh. Kaspar Z. zu ihrem Präsidenten. Da bewährte sich das praktisch organisatorische Talent des ehemaligen Großkaufmanns mit dem weiten Blick und dem warmen Herzen an ihr [40] aufs trefflichste. Trogen ward die Stätte der Wiedergeburt für die Gesellschaft, Z. gewissermaßen ihr zweiter Gründer, sie selbst in den folgenden Jahren der Sprechsaal für die hervorragendsten Vertreter des Culturfortschrittes in allen Theilen der Schweiz, die Vorkämpferin und Bahnbrecherin für die freie Erfassung der staatlichen Aufgaben in den dreißiger Jahren. Aber auch für Z. war die Stellung, die ihm sein Verhältniß zu der schweizerischen Gesellschaft gab, von entscheidender Bedeutung; nicht nur gewann er dadurch für seine Bestrebungen in der engern Heimath erneuten Antrieb, Rückhalt und Förderung; er trat mit den bedeutendsten Staatsmännern des weiteren Vaterlandes in freundschaftliche Fühlung und fand in den Verhandlungen der Commissionen, sowie in den öffentlichen Discussionen der Gesellschaft Gelegenheit, in weiten Kreisen die volkswirthschaftlichen und pädagogischen Anschauungen, die ihn belebten, zum Ausdruck und Durchbruch zu bringen. Wie durch die Gesellschaft sein gemeinnütziges Wirken zu einem allgemein schweizerischen wurde, so galt er hinwiederum bis ins Greisenalter als der persönliche Träger und Hüter der in ihr lebenden Ideen; und noch zwei Mal in späterer Zeit, als die politischen Wirren einen Unterbruch ihrer Versammlungen herbeiführten und ihre Existenz in Frage stellten, verdankte sie seinem Einfluß und seiner Initiative die Wiederaufrichtung zu neuer kräftiger Thätigkeit (1835, 1850).

Auch nach seinem Austritt aus den Handelsgeschäften lag ihm die Entwicklung der appenzellischen und der schweizerischen Industrie sehr am Herzen. Lebhaft trat er in der St. Gallisch-appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft, die er schon 1820 mit Dr. Aepli von St. Gallen gegründet, gegen die der Maschinenindustrie entgegenstehenden Vorurtheile und für Einführung neuer Industriezweige auf. Er sorgte dafür, daß die Discussion über Handel und Fabrikwesen schon 1823 auch auf die Tractandenliste der schweizerischen Gesellschaft kam und auf derselben blieb. Jahr für Jahr von 1824–30 gelangten nun hier Themata zur Besprechung, in welchen in irgend einer Form die Frage von Schutzzoll oder Freihandel, Zunft- und Innungswesen oder Gewerbefreiheit behandelt wurde. Mit Gesinnungsgenossen wie Pestalozzi-Hirzel in Zürich, Prof. Bernoulli in Basel u. A. zur Seite, brachte Z. allmählich die Anschauung zum Siege, daß die Beseitigung aller Beschränkungen, die Abschaffung aller Privilegien, die grundsätzliche Abwendung vom Schutzzollsystem im wohlverstandenen Interesse der Schweiz liege; es gelte die volle Entbindung und Entfaltung der eignen Kraft, wahre Selbsthülfe von innen heraus, nicht Nachahmung des Auslandes in Anwendung künstlicher Sperrmittel; „die Macht der Aufklärung ist größer als alle Zölle!“ schloß er 1826 sein durchschlagendes Votum gegen das Schutzzollsystem. Auch in amtlicher Thätigkeit, als „eidgenössischer Commissär für das Zollwesen“ wirkte er von 1824–33, soweit die Verhältnisse es möglich machten, auf das nämliche Ziel hin. Wenn nach der Julirevolution 1830 die Ideen des Freihandels auch officiell in der Schweiz immer mehr die Oberhand gewannen, so ist das nicht zu geringem Theil das Verdienst der Verhandlungen der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft in den zwanziger Jahren und Zellweger’s, der auch in der Folgezeit, wenn entgegengesetzte Strömungen in der Oeffentlichkeit wie in der Gesellschaft wieder mächtig wurden, mit unerschütterlicher Festigkeit das Panier des Freihandels hochhielt (Versammlung von Glarus 1848). Aber nicht nur in der Schweiz galt er in Handelsfragen als Autorität. Auch vom Auslande wurde er consultirt, so von Dr. Bowring, den die englische Regierung 1835 in die Schweiz sandte und der dann besonders durch den Verkehr mit Z. in seinen handelspolitischen Ansichten gefördert, nach seiner Rückkehr als der erste im englischen Parlament die Idee des Freihandels im Sinne Peel’s vertheidigte. Ausdrücklich [41] gedachte auch Bowring’s Nachfolger, Symons, im Parlamente Zellweger’s als des Mannes, „dem die Schweiz mehrere jener richtig gewürdigten Grundsätze der Regierung und Staatswirthschaft schuldig ist, die ihr einen unter den europäischen Staaten so ausgezeichneten Wohlstand verschafft haben“.

Auch die pädagogisch-humanen Bestrebungen Zellweger’s gehen schon in die Zeit zurück, da er durch seine Gesundheitsverhältnisse gezwungen war, aus der kaufmännischen Thätigkeit zu scheiden. Auf einer seiner letzten Geschäftsreisen hatte Herrnhut mit seinem Frieden und seiner guten Sorge für Erziehung und Unterricht tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Die Erziehung seines eignen Sohnes hatte ihn dann zu Pestalozzi in Isserten und mit Fellenberg auf Hofwyl zusammengeführt. Er empfand es als einen Mangel, daß sein Kanton keine höhere Erziehungs- und Unterrichtsanstalt besaß. So veranlaßte er die Gründung eines Consortiums von sechs Männern (unter diesen neben ihm selbst seine zwei Schwiegersöhne und sein Bruder Landammann), welches mit privaten Mitteln die Errichtung einer „Kantonsschule“ in Trogen ins Werk setzte; er selbst fügte, sobald der Staat die Anstalt als Stiftung anerkannt, seiner finanziellen Betheiligung als Mitgründer noch eine Gabe von 5000 fl. in Geld sowie die Schenkung des Hauses bei, in welchem die Kantonsschule seit ihrer Eröffnung im Februar 1821 untergebracht war. Nach seines Bruders Tod an der Spitze der Anstaltsleitung veranlaßte er, da der erste Director wegen Krankheit schon nach Jahresfrist zurücktrat, die Wahl von Pestalozzi’s ehemaligem Mitarbeiter Hermann Krüsi, unter dessen Leitung die Anstalt, vielfach auch aus anderen Kantonen besucht, zu hoher Blüthe gelangte. Auch in der spätern Zeit noch nahm sich Z. der Kantonsschule mit Rath und That an und blieb bis ins Greisenalter in der Aufsichtscommission. Da die Anstalt in dem ersten Jahrzehnt ihres Bestandes auch zugleich für die Lehrerbildung sorgte, entstanden im Anschluß an die Prüfungen der Seminaristen Lehrerconferenzen, zunächst eine solche des Landes vor der Sitter, 1826 die kantonale Lehrerconferenz, welche 1828 und auch nachher zu wiederholten Malen Z. zu ihrem Präsidenten wählte.

Die zweite pädagogische Schöpfung Zellweger’s für Trogen war das Waisenhaus. Sein Großoheim, Dr. Laurenz Z. hatte bei seinem Tode durch ein Legat von 300 fl. bereits den Anstoß zu Errichtung eines solchen gegeben. Aber durch Aufnahme auch Erwachsener, „alter, kranker und schlechter Leute“, war aus demselben im Laufe der Zeit mehr und mehr ein Armenhaus geworden, in welchem die Waisen lediglich Versorgung gegen äußern Mangel erhielten. So erbot sich denn Z. 1816 der Gemeinde, auf seine Kosten einen Erzieher bilden zu lassen, und nachdem ein von ihm gewählter Jüngling nach siebenjährigem Aufenthalte bei Wehrli auf Hofwyl zurückgekehrt war, konnte 1823, wiederum auf Zellweger’s Kosten, eine gesonderte Anstalt in der „Schurtanne“ eröffnet werden; erst zwei Jahre nachher wurde sie von der Gemeinde übernommen. Der von Z. ausgewählte Erzieher (Joh. Konrad Zellweger) bewährte sich trefflich; die Schurtanne wurde eine Musteranstalt, die aus dem In- und Ausland häufig besucht, zeitweise auch von der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft zur Ausbildung von Armenlehrercandidaten aus anderen Kantonen benutzt wurde. 1836 stiftete der Gründer der Anstalt, der für diese seine „Adoptivtochter“ immer ein offenes Herz und eine offene Hand hatte, eine besondere Hülfsgesellschaft, um den austretenden Waisenhauszöglingen mit Rath und Obsorge, sowie durch Darreichung ausreichender Geldmittel zu einer Berufslehre bei tüchtigen Meistern behülflich zu sein.

Erzieherische Fragen, besonders die Frage der allgemeinen Volksbildung oder Lehrerbildung beschäftigten Z. von früh an bis ins Alter und treten uns besonders in seiner Correspondenz mit Fellenberg, Niederer und Krüsi, Horner, [42] Pupikofer, Rector Hanhart in Basel u. A. entgegen. Zellweger’s Ideal ist eine Erziehung auf streng sittlich-religiöser Grundlage, mit harmonischer Ausbildung aller Kräfte des Leibes und der Seele, eine Erziehung fürs Leben mit Gewöhnung zur Arbeit und gründlichem, aber Ueberflüssiges meidendem Unterricht, und danach richten sich nun auch seine Anforderungen an Lehrerberuf und Lehrerbildung. Die Armenlehrerbildung, wie sie unter Fellenberg und durch Wehrli auf Hofwyl ausgestaltet und dann durch letzteren in Kreuzlingen auch der Volksschullehrerbildung überhaupt zu Grunde gelegt wurde, entsprach diesem Ideal am unmittelbarsten und um so enger schloß sich Z. an diesen Typus an, als seine über die Grenzen seines Kantons hinausgehenden pädagogischen Bestrebungen sich speciell humanitären Zwecken zuwenden, der Erziehung der Armen und Waisen, der Verwahrlosten und jugendlichen Verbrecher. Als Organ der Fürsorge für diese Kreise ersah er sich – da zu Beginn der dreißiger Jahre die Sorge für die allgemeine Volksbildung immer mehr ausreichend und ausschließlich vom Staat übernommen wurde –, die schweizerische gemeinnützige Gesellschaft, als diese nach fünfjährigem Unterbruch ihrer Versammlungen 1835 zum zweiten Mal in Trogen unter seinem Vorsitz zusammentrat. Auf seinen Antrag bestellte die Gesellschaft eine Commission, die sich unter seiner Leitung die Aufgabe setzte, dahin zu wirken, daß die Errichtung eines Seminars für Lehrer an Armenschulen und Rettungshäusern zu Stande komme und die mit Einwilligung und mit den Mitteln der Gesellschaft sofort die Ausbildung von Zöglingen für den Armenlehrerberuf an die Hand nahm. Er selbst stand dieser „Armenlehrerbildungscommission“, der auch Wehrli bis zu seinem Tod als Mitglied angehörte, von 1835–50 vor; eine Reihe der tüchtigsten schweizerischen Armenlehrer und einige treffliche Volksschullehrer sind durch sie in die Bahn segensreichen Wirkens geleitet worden. Das in Aussicht genommene Seminar, für das die Commission bereits 1837 einen von Z. ausgearbeiteten Plan vorlegen konnte, kam zwar damals nicht zu Stande, indem der Plan in der Gesellschaft auf Opposition gestoßen zu sein scheint und von der Commission zurückgezogen ward; dafür wurde nunmehr die Gründung einer Anstalt für Versorgung verwahrloster Kinder ins Auge gefaßt. Auch hier wie bei der „Schurtanne“ sorgte man zunächst von langer Hand her für Auswahl und Vorbildung des künftigen Vorstehers; als dieser nach mehrjährigem Aufenthalt in Deutschland (vornehmlich im Rauhen Hause bei Wichern) zurückkehrte, wurde die „Rettungsanstalt für Knaben in der Bächtelen bei Bern“ am 1. April 1840 eröffnet. Das Zustandekommen dieser ersten Rettungsanstalt in der Schweiz, nach dem Muster des Rauhen Hauses organisirt und selbst das Vorbild einer Reihe später begründeter Rettungsanstalten in den verschiedenen Landestheilen (Sonnenberg bei Luzern, Serix in der Waadt, Pestalozzistiftung bei Schlieren u. s. w.) war wesentlich den persönlichen Bemühungen und der unermüdlichen Thätigkeit Zellweger’s zu verdanken; sie blieb auch sein „liebstes Pflegekind“ bis an seinen Tod.

Wir übergehen, was Z. weiterhin für seinen Kanton und in der Eidgenossenschaft auf dem Boden der Gemeinnützigkeit gethan, – unvergessen bleibt namentlich seine Bethätigung in der Organisation der großen Liebessteuer für die durch die Hochwasser des Jahres 1834 heimgesuchten Kantone Graubünden, Tessin, Wallis und Uri –, um noch seiner Leistungen auf dem Gebiete der Geschichtsforschung zu gedenken.

Sein großes historisches Werk „Geschichte des appenzellischen Volkes“ erschien vom Jahre 1831 an; zuerst die Urkunden zum 1. Band, dann im folgenden Jahr der 1. Band der Darstellung, 1834 der 2., 1839 und 1840 der 3. Band in 2 Abtheilungen, zwischen hinein die Urkunden zum 2. und 3. Band; [43] bereits im J. 1836 hatte er sich entschlossen, die Verarbeitung des gesammelten Stoffes nicht weiter als bis zur Landestheilung von 1597 auszudehnen. Z. hielt darauf, die Urkunden, aus denen er geschöpft, der Oeffentlichkeit selbst zur Prüfung seiner Darstellung zu übergeben und in die Darstellung der politischen Geschichte das culturhistorische Material eingehend zu verweben. Die Geschichte seines Landes sollte nicht nur im Gegensatz zu der bisherigen Ueberlieferung die Wahrheit geben, sondern soviel als möglich Ursache und Wirkung jedes Ereignisses vorführen und zugleich für die Nichtgelehrten wie die Gelehrten genießbar sein; in der Vorrede zum 3. Band spricht sich der ganze Z. über die höhere praktische Tendenz aus, die er bei seinem Werke im Auge hatte: „Wenn die Obrigkeit unseres Landes aus dieser Geschichte die Ueberzeugung gewinnt, daß nur reine Religiosität und die Gabe eines richtigen Urtheils die Völker beglücken, daß nur der feste Glaube an den Beistand Gottes unerschütterlichen Muth, und nur das Bestreben dem Höchsten immer ähnlicher zu werden, Ruhe und Frieden im Volke erhalten und es zur Erfüllung seiner Pflichten tüchtig machen, und das die Hingebung für Andere am sichersten durch das Vorbild Christi geweckt werde: dann würden wir uns glücklich schätzen, unsere Muße zu diesem Werke verwendet zu haben“.

Mit der „Geschichte des appenzellischen Volkes“ schenkte Z. seiner engeren Heimath „eine Specialgeschichte, wie sich einer solchen in gleicher Ausführlichkeit, Vollständigkeit und Gründlichkeit wol schwerlich ein anderes Land wird rühmen können“. Dabei ist der Ausdruck „schenken“ so ziemlich wörtlich zu verstehen; schrieb doch Z. schon 1830 an Laßberg: „Mich wird die Freude, meine Geschichte zu machen, 4000–5000 fl. reine Auslagen an Geld kosten“. Innig freute ihn, daß es ihm gelungen war, die Darstellung dem Volke genießbar zu gestalten, – wenn auch gewiß richtig ist, daß die Verbreitung des Werkes unter demselben und seine Wirkung viel größer geworden wäre, hätte er den gleichen Inhalt an Reichthum und Tiefe in kürzerer Zusammenfassung dargeboten. Von der Kritik der gelehrten Kreise wurde das Buch sehr günstig aufgenommen, obgleich auch einzelne Mängel nicht verschwiegen blieben, die mit der späten und vielfach autodidaktischen Weise in Zusammenhang standen, mit der sich Z. in die historische Forschung eingearbeitet. Für alle Zeiten bleibt das Werk ein Denkmal ernstester Erforschung der Wahrheit und einer gewaltigen Arbeitsenergie und sichert seinem Verfasser einen ehrenvollen Platz unter den Geschichtsschreibern seines Vaterlandes. Der Anerkennung seiner Verdienste auf diesem Gebiete gab die philosophische Facultät der Hochschule Bern 1844 durch Verleihung der Doctorwürde öffentlichen Ausdruck.

Kleine historische Veröffentlichungen im appenzellischen Monatsblatt und in schweizerischen Fachzeitschriften gingen derjenigen der Geschichte des appenzellischen Volkes nebenher und folgten ihr nach, so „Ein Versuch, die wahren Gründe des burgundischen Krieges darzustellen“ (im Archiv f. schweiz. Geschichte Bd. V, 1847).

Noch als Siebzigjähriger ging Z. an die Ausarbeitung eines zweiten Hauptwerks, für das er im Verlauf seiner bisherigen Archivstudien reichliches Material, namentlich in französischen Archiven gefunden: einer „Geschichte der diplomatischen Verhältnisse der Schweiz mit Frankreich in den Jahren 1698–1784“; sie war auf 3 Bände berechnet; der erste, bis 1716 reichend, erschien in 2 Abtheilungen 1848 und 1849. Nur die rasche Abnahme seiner Sehkraft in den letzten Jahren hinderte ihn an der Fortsetzung und Vollendung des Werkes.

Schon bei Vollendung seiner Appenzeller Geschichte war Z. der Senior unter den schweizerischen Geschichtsforschern. Eben damals machte sich das Bedürfniß geltend, einen wirksameren Zusammenschluß der in den einzelnen Kantonen in [44] reger Thätigkeit auf historischem Gebiete arbeitenden Kräfte zu begründen. Die ältere schweiz. geschichtsforschende Gesellschaft hatte sich in ihren Arbeiten und in ihrem Personalbestand mehr und mehr auf Bern concentrirt und schwebte seit dem Tode ihres Stifters, des Schultheißen v. Mülinen († 1833) zwischen Sein und Nichtsein. Trotz seines Alters erschien Z. den Fachgenossen als diejenige Persönlichkeit, welche vermöge ihres hohen Ansehens, ihrer weitverzweigten Verbindungen und ihrer organisatorischen Erfahrung am ehesten das erwünschte Ziel, über Zersplitterung und Rivalitäten hinauszukommen, verwirklichen könnte, und mit voller Energie nahm er den Gedanken auf. Im Mai 1840 ernannte ihn die alte Gesellschaft in Bern zu ihrem Präsidenten; er nahm die Wahl an und lud eine Conferenz von Abgeordneten der verschiedenen localen Gesellschaften auf den 30. September 1840 nach Baden ein; es erschienen 31 Vertreter aus 10 Kantonen der Eidgenossenschaft. Unter dem Vorsitz Zellweger’s einigte man sich rasch auf die Grundsätze der neuen Vereinigung. Die definitive Constituirung wurde einer ersten Versammlung der Gesellschaft im Herbst 1841 in Bern zugewiesen. Da drohten persönliche Schwierigkeiten und der Beginn der politischen Wirren im Aargau im letzten Augenblick noch Alles in Frage zu stellen; namentlich die Zürcher riethen dringend Verschiebung an. Aber Z. blieb fest. Am 25. September 1841 trat die erste Versammlung der neuen allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz in Bern zusammen und da sich niemand anders dafür hatte finden lassen, hielt der drei und siebzigjährige Mann selbst die Eröffnungsrede; die Zahl der angemeldeten Mitglieder stieg auf 210, der Wurf war gelungen und eine Gesellschaft ins Leben gerufen, die seit jener Zeit zu den thätigsten und intensivst wirkenden wissenschaftlichen Vereinigungen der Schweiz zählt („Archiv f. schweiz. Geschichte“ 1843–76, 20 Bände; „Anzeiger f. schw. Gesch.“ 1870 ff.; 29. Jahrg. 1898; „Jahrbuch f. schw. Gesch.“ 1877 ff., bis jetzt 22 Bände; „Quellen z. Schweizergeschichte“ 1877 ff., bis jetzt 17 Bände). Nur noch ein Jahr behielt Z. den Vorsitz in der Gesellschaftsbehörde bei; schon 1843 legte er denselben „wegen zunehmender Kränklichkeit und Schwäche“ nieder.

Daß er aber auch nachher noch, solange ihm Kraft vergönnt war, auf dem Gebiete der Geschichtsforschung wie auf demjenigen der Gemeinnützigkeit thätig war, sahen wir bereits. Doch allmählich machte sich das Alter auch bei ihm fühlbar; am einen Auge erblindete er völlig und der zitternden Hand ward das Schreiben schwer. Todesfälle in seiner Familie sowie das plötzliche Hinscheiden seines mit ihm zu gemeinnützigem Wirken seit 30 Jahren eng verbundenen Freundes, Decan Frei in Trogen († 1852) erschütterten ihn tief. Theils mit eigner, theils mittelst fremder Hand stellte er für seine Enkel die Nachrichten zusammen, die ihm beim Ordnen seiner Correspondenz und aus der Erinnerung des Aufzeichnens würdig erschienen; er kam damit bis zum Jahre 1827. So lebte er in stiller Zurückgezogenheit in seinem schönen Hause in Trogen. Noch war es ihm vergönnt im Kreise dreier Generationen von Nachkommen am 4. März 1854 seinen 87. Geburtstag in ungetrübter Festfreude zu feiern. Aber bald danach stellten sich allerhand Beschwerden und Leiden ein; als der Winter hereinbrach, konnte er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Ruhig und schmerzlos verschied er am 31. Januar 1855.

Nekrologe i. d. Appenzellischen Jahrbüchern 5. Heft 1855 und i. d. Verhandlungen der schweiz. gemeinnützigen Gesellschaft 1855, S. 237 ff. – Biographische Skizzen im Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft in Zürich 1856 (F. v. Orelli) und in Hunziker’s Geschichte der schweiz. Volksschule Bd. II, S. 355 ff. (Decan Heim). – Dr. K. Ritter, Briefwechsel zwischen Laßberg und J. C. Zellweger, St. Gallen 1889. – Dr. K. Ritter, J. C. Zellweger [45] und die Gründung der schweiz. geschichtsforsch. Gesellschaft (Jahrbuch f. schw. Gesch., Bd. XVI, 1891). – Hunziker, Gesch. d. schw. gemeinnütz. Ges. Zürich 1897.