Zum Inhalt springen

ADB:Zimmer, Patritius Benedict

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Zimmer, Patritius Benedict“ von Friedrich Lauchert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 242–248, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zimmer,_Patritius_Benedict&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:27 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Zimmer, Johann Georg
Nächster>>>
Zimmermann, Albert
Band 45 (1900), S. 242–248 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Patritius Benedikt Zimmer in der Wikipedia
Patritius Benedikt Zimmer in Wikidata
GND-Nummer 118772929
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|45|242|248|Zimmer, Patritius Benedict|Friedrich Lauchert|ADB:Zimmer, Patritius Benedict}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118772929}}    

Zimmer: Patritius Benedict Z., katholischer Theologe und Philosoph, geboren am 22. Februar 1752 zu Abtsgmünd im Gebiete der gefürsteten Propstei Ellwangen (seit 1802 württembergisch), † am 16. October 1820 zu Steinheim. Z. erhielt seine Gymnasialbildung zu Ellwangen und absolvirte hier auch das philosophische Studium, worauf er an der damaligen Universität Dillingen Theologie und die Rechte studirte. Am 1. April 1775 empfing er die Priesterweihe, 1777 wurde er Repetitor des Kirchenrechts im Studienconvict zu Dillingen, 1783 Professor der Dogmatik daselbst an der Universität. Seit 1791 war er zugleich Pfarrer in Steinheim bei Dillingen. In den zwölf Jahren seiner Lehrthätigkeit zu Dillingen schloß sich Z. besonders eng an Johann Michael Sailer, seinen Collegen in der theologischen Facultät, und den Professor der Philosophie Joseph Weber an. Die aus Sailer’s Leben bekannten, von den Exjesuiten an der Studienanstalt St. Salvator in Augsburg ausgehenden Angriffe gegen diese drei Männer (s. A. D. B. XXX, 182) führten dazu, daß Z. gleichzeitig mit Sailer im J. 1795 aus dem Lehramte entlassen wurde. Die Entlassung wurde bei Z. in die Form gekleidet, er könne von der Anwesenheit auf seiner Pfarrei Steinheim nicht ferner dispensirt werden. (Christoph von Schmid, Erinnerungen II, 171.) Er zog sich demgemäß für die nächsten Jahre auf diese seine Pfarrei Steinheim zurück. Im J. 1799 aber wurde er gleichzeitig mit Sailer und Weber (das „Dillinger Kleeblatt“) an die Universität Ingolstadt berufen, als Professor der Dogmatik, als Nachfolger Dobmayer’s, und mit der Universität 1800 nach Landshut versetzt. Seine Pfarrei Steinheim behielt er auch jetzt bei und kam immer in den Oster- und Herbstferien dahin. Während er auch in Landshut mit seinem alten Freunde Sailer, mit dem er in demselben Hause wohnte, fortdauernd im innigsten Einvernehmen stand, verschaffte ihm andererseits seine derbe schwäbische Kraftnatur und besonders die Leidenschaftlichkeit, mit welcher er, seit er sich der Schellingischen Philosophie angeschlossen hatte, die Kantianer bekämpfte, auch hier Gegner, die seine zeitweilige Amtsenthebung, freilich nicht mit dauerndem Erfolge, durchsetzen konnten. An der Universität Landshut selbst waren es vor allem die beiden Professoren der Philosophie Reiner und Socher, Kantianer, mit welchen Z. in Streit gerieth, besonders als im Studienjahre 1805 er und der Mediciner Röschlaub den genannten Professoren der Philosophie gegenüber Vorlesungen über die Schellingische Philosophie ankündigten und hielten. Der Streit wurde mit solcher Heftigkeit geführt, daß die Universitätscuratel diese Vorlesungen von Z. und Röschlaub verbot. Reiner starb bald darauf; Socher zog sich am Ende des Studienjahres von der Universität auf seine Pfarrei zurück. Nach dem [243] Abgang dieser Gegner war es in Landshut besonders der Regens des Clericalseminars (Georgianum), der Rationalist Fingerlos, an dem Z. einen heftigen Gegner hatte. Auch mit dem Rector des Lyceums zu München, Cajetan Weiller, kam er in Streit. Ueberhaupt aber trug ihm seine kräftige Polemik gegen den Kantianismus und sein eigener Schellingianismus die Gegnerschaft aller „Aufgeklärten“ und zahlreiche offene und versteckte Angriffe in den Journalen ein. (Vgl. Zimmer’s „Erklärung an das Publikum“, in der Oberdeutschen Allgemeinen Literaturzeitung 1805, II, S. 15, vom 21. Juni 1805, gegen drei in dieser Zeitschrift erschienene Artikel.) Aus diesen Kreisen wurden ihm die Bezeichnungen Obscurant, Mystiker u. dgl. zu Theil. Als solcher wurde er nun auch bei der Universitätscuratel denuncirt, um seine Entlassung zu bewirken. Wie Salat (Denkwürdigkeiten S. 301) berichtet, seien auch Zimmer’s Hefte über Dogmatik zu diesem Zwecke nach München gesandt worden und in die Hände Jacobi’s und Anselm v. Feuerbach’s gekommen, deren großes Mißfallen sie erregt haben; das Urtheil dieser Männer habe aber bei den akademischen Curatoren das größte Gewicht gehabt. Sailer theilt in seiner Biographie Zimmer’s ein Schreiben eines „Ungenannten“ mit (S. 36–42; Werke Bd. 38, S. 446–450), der von den Curatoren der Universität aufgefordert worden war, Z. zu bewegen, seine Entlassung vom theologischen Lehramte selbst zu begehren; dieser Ungenannte war, wie in Sailer’s Werken bemerkt wird, Sailer selbst, der in dem Antwortschreiben das Ansinnen von sich wies und warm für Z. eintrat und für den Fall, daß derselbe doch von dem Lehrstuhl der Dogmatik entfernt werden sollte, vorschlug, ihm einen Lehrstuhl der Philosophie oder Geschichte zu übertragen. Die schon beschlossene Versetzung Zimmer’s in den Ruhestand konnte zwar nicht mehr ganz rückgängig gemacht werden, sondern erfolgte im November 1806, aber schon am Anfang des Sommersemesters 1807 wurde er wieder als Professor der Theologie angestellt, aber nicht mehr als Dogmatiker, sondern als Professor der biblischen Archäologie und Exegese. Im J. 1819 war er Rector der Universität; in diesem Jahre wurde er auch zum Abgeordneten der Universität in die 2. Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Baiern gewählt (über seine Thätigkeit in dieser Eigenschaft vgl. Sailer S. 31 f.; Werke Bd. 38, S. 442 f.). Nach Ablauf seines Rectoratsjahres wurde er für das Jahr 1820 zum zweiten Mal zum Rector gewählt. Inzwischen hatte er während seines Aufenthaltes als Deputirter in München den ersten Anfall eines organischen Herzleidens zu überstehen gehabt; mehrere wiederholte Anfälle ließen erkennen, daß eine gänzliche Wiederherstellung ausgeschlossen war. Als er am 5. September 1820 zum letzten Mal mit Sailer nach seiner Pfarrei Steinheim reiste, sollte er von dort nicht mehr nach Landshut zurückkehren. Am 15. October traf ihn, nachdem er noch die Frühmesse gehalten hatte, ein Schlaganfall, der seinen Tod am folgenden Tage herbeiführte. Er wurde auf dem Kirchhof zu Steinheim begraben. – Ueber Zimmer’s sittlichen Charakter urtheilt sein langjähriger Freund Sailer (S. 17; Werke Bd. 38, S. 438 f.): „Sich gleich und Eins mit sich im Denken und Lehren, war er es auch in seinem übrigen Leben. Dieselbe Festigkeit und Bestimmtheit des Geistes, mit welcher er die Gegenstände seines Lehrfaches behandelte, hat sich auch seinem sittlichen Charakter so eingedrückt, daß er im Umgange mit Großen und Kleinen, mit Gelehrten und Ungelehrten, in Mitte geliebter Freunde und liebender Zuhörer, dieselbe feste und bestimmte Haltung seines ganzen äußeren Menschen in Blick, Miene, Ton, Geberde darstellte – dieselbe Haltung, die ihn in seinem Lehrfache auszeichnete. Sein ganzes würdevolles Wesen, sein hoher, Achtung gebietender Ernst, mit dem er sonst auch minder wichtige Dinge erfaßte, konnte sich im kleinen Kreise seines häuslichen Lebens so wenig, als im größeren seines [244] öffentlichen Lehrberufes verleugnen. Ueberall erschien er als derselbe ernste, feste Mann, dem es nur um Wahrheit und Recht zu thun ist“.

Zimmer’s Schriften sind, in der Reihenfolge ihres Erscheinens: „Dissertatio dogmatica de vera et completa potestate ecclesiastica“ (Dilingae 1784); „Theologiae christianae theoreticae systema, eo nexu atque ordine delineatum, quo omnium optime tradi explanarique videtur“, Sectio I (Dilingae 1787); „Veritas christianae religionis, seu theologiae christianae dogmatica Sectio I“ (Augustae Vindelicorum 1789); „Veritas catholicae religionis, seu theologiae christianae dogmatica Sectio II“ (Augustae Vind. 1790); „Fides existentiae Dei, seu de origine hujus fidei, unde ea derivari possit et debeat, criticum examen (Dilingae 1791); nach längerer Pause folgte nun erst die specielle Dogmatik, die Z. früher im Anschlusse an die zwei Sectionen der Generaldogmatik oder Apologetik als 3. Section folgen zu lassen beabsichtigt hatte: „Theologiae christianae specialis et theoreticae Pars I–IV“ (Landishuti 1802, 1803, 1804, 1806); „Philosophische Religionslehre. I. Theil, Lehre von der Idee des Absoluten“ (Landshut 1805); „Philosophische Untersuchung über den allgemeinen Verfall des menschlichen Geschlechtes“ (3 Theile, Landshut 1809); „Untersuchung über den Begriff und die Gesetze der Geschichte, über die vorgeblichen Mythen im ersten Buche Mosis, und über Offenbarung und Heidenthum, als Einleitung in die Geschichte des menschlichen Geschlechtes, in so fern sie Geschichte der Völker der alten Welt ist“ (München 1817). – Um die schriftstellerische Thätigkeit Zimmer’s gerecht zu würdigen, muß man sie vom Standpunkte der damaligen Verhältnisse aus betrachten. Dieselbe hat im ganzen Umfange eine apologetische Tendenz; sie will durchaus dem Zwecke der wissenschaftlichen Begründung des katholischen Dogmas dienen, gegenüber dem Rationalismus, der sich bekanntlich damals auch in den katholischen Schulen breit genug machte. Den Gegnern und ihren Einwänden auf dem Boden der Philosophie wie auf dem der Geschichte trat er wohl ausgerüstet entgegen und bekämpfte sie mit ihren eigenen Waffen. Sein unausgesetztes Bestreben ging dahin, Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie in Einklang zu bringen. Zu diesem Zwecke vertiefte er sich in die verschiedenen zu seiner Zeit blühenden philosophischen Systeme, um vermittelst ihrer Principien die katholische Dogmatik speculativ zu begründen. Von der Leibniz-Wolfischen Philosophie (in Anlehnung an Stattler) anfänglich ausgehend, durchlief er nach einander auch die Systeme Kant’s und Fichte’s, um schließlich (seit 1804) bei Schelling stehen zu bleiben, in dessen System er endlich die wahre, dem Christenthum angemessene Philosophie gefunden zu haben glaubte. Den langen Aufschub des Erscheinens seiner speciellen Dogmatik motivirt Z. eben besonders damit, daß die Philosophie in den vorausgehenden Jahren in einer Umwandlung begriffen gewesen sei, so daß es geboten erschien, ein Resultat abzuwarten. Allerdings begann er dann gleichwol das Werk in seiner Fichtischen Periode und ging mitten in demselben zu Schelling über. In der dem 1. Bande der Specialdogmatik (Theologia christiana specialis et theoretica) vorangestellten Einleitung, welche die Principien und die Methode eingehend auseinandersetzt, geht Z. aus von der Unterscheidung des gemeinen, logischen und philosophischen Denkens (cogitare trinum esse, nimirum vel communiter, vel logice, vel philosophice cogitare). Das Erste ist der Standpunkt der Offenbarung, die sub communi aspectu, dem für das Bewußtsein aller Menschen zugänglichen, von Gott spricht. Der zweite oder der aspectus logicus der aus dem ersten durch Abstraction sich ergibt, ist der Gesichtspunkt der Kirche in ihren dogmatischen Entscheidungen und ihrer Lehrverkündigung. Ueber beiden steht nach Zimmer’s Anschauung als der höhere Standpunkt der aspectus philosophicus. Die beiden ersten Gesichtspunkte gehen vom Gegebenen, [245] vom Positiven aus; dagegen habe der dritte mit den beiden andern nichts gemein, sei ihnen vielmehr diametral entgegengesetzt und bewege sich in einem Denken contra leges seu regulas Logicae. Die beiden ersten aspectus einerseits wie der dritte andererseits seien wahr, obwol verschieden; es seien aber total verschiedene Gebiete, die einander überhaupt gar nicht berühren. Auf diese Weise will Z. alle Einwände der Philosophie gegen bestimmte Lehren der christlichen Offenbarung abweisen, da diese Einwände, weil auf einem ganz anderen Standpunkte des Denkens sich bewegend, jene dogmatischen Lehren gar nicht berühren. Die Offenbarung spreche von Gott so, wie er im nothwendigen Bewußtsein aller Menschen erscheine, und deshalb seien ihre Lehren wahr, nämlich für diesen Standpunkt; sie behaupte aber nicht, daß Gott in sich wirklich so sei, wie er erscheine und leugne also nicht, daß er in sich anders sei und sein müsse, als er im nothwendigen Bewußtsein aller Menschen erscheine. Sie setze also der Philosophie und Speculation gar keine Schranke. In der Ausführung der beiden ersten Bände, die unter dem Einflusse dieser Anschauungen stehen, hat sich Z. aber doch erfreulicher Weise in positiveren Bahnen bewegt, als diese Einleitung vermuthen ließe; wo er der positiven Darstellung einzelner dogmatischer Lehren philosophische Erklärungen nachfolgen läßt, werden diese „von ihm selbst nicht unter die Lehrsätze der Kirche, sondern unter die Meinungen der Theologen gesetzt, die, wie alles Subjective, dem Wandel und Wechsel unterworfen sind, und gewöhnlich Gestalt und Farbe vom herrschenden philosophischen System erhalten“ (Widmer, Nachtrag S. 87); zu jenen principiellen Auseinandersetzungen stimmt dies freilich wieder nicht. Allerdings aber führen jene Anschauungen von der absoluten Verschiedenheit der beiderseitigen Standpunkte auch praktisch dahin, daß, wie Günther (in der unten zu nennenden Kritik, S. 134) sehr richtig sagt, „der Theolog und der Philosoph im Verfasser sich wechselseitig aus dem Wege gegangen sind“, womit er aber eben nach beiden Seiten hin Unrecht hat und eine wirkliche speculative Begründung des Dogmas thatsächlich unmöglich macht. Mit Recht wendet sich Günther (S. 137 f.) scharf gegen die Behauptung Zimmer’s, „daß die bedeutenden Einwürfe gegen die Wahrheiten der christlichen Religion einzig auf einer Verwechslung der verschiedenen Standpunkte des menschlichen Wissens beruhen“; allerdings können sie nur aus einer Verschiedenheit des Standpunktes herrühren, aber eben deshalb, weil der Standpunkt der Gegner, sofern er der Offenbarung widerspricht, ein falscher ist, nicht aber so, als ob von dem einen Standpunkte wahr sein könnte, was es von dem andern nicht ist. – Die ganze Gliederung, welche Z. der speciellen Dogmatik gibt, ist folgende: er theilt sie zunächst in zwei Haupttheile: De Deo in se (Bd. I) und De Deo pro nobis (Bd. II–IV); der 2. Theil zerfällt wieder in drei Sectionen, de Deo creatore, gubernatore und iudice. Die Schwäche des nach diesem Schema construirten Systems zeigt sich in der Ausführung der 2. Section, welche in sich befaßt die Anstalten, die Gott in der durch den Sündenfall geschaffenen Lage der Menschheit getroffen hat, um den Menschen die Erreichung ihres moralischen Zweckes zu ermöglichen; unter diesen Gesichtspunkten werden in fünf Abtheilungen betrachtet 1) Christus; 2) die übernatürliche Gnade; 3) die Engel; 4) die Kirche; 5) das Meßopfer und die Sacramente. Die centrale Bedeutung der Lehre von der Erlösung und dem Erlöser kann in diesem Schema nicht zur Geltung kommen. – Anders stellt sich die Auffassung des Verhältnisses von Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie in den beiden letzten Bänden der Specialdogmatik dar, nachdem Z. den Standpunkt der Schelling’schen Identitätsphilosophie zum Standpunkte seiner Speculation gemacht hat. In negativer Hinsicht macht sich der veränderte Standpunkt in dem veränderten Tone gegen Kant geltend. Während [246] Z. früher Kant selbst von den Kantianern unterschieden und sich bei der philosophischen Begründung der Dogmen bemüht hatte zu zeigen, daß zwischen der echten Philosophie Kant’s selbst und dem Christenthum wol Verschiedenheit des Standpunktes, aber keine unausgleichbaren Gegensätze inbezug auf wichtige Lehren bestehen, wie manche Kantianer wollten, so wendet er sich jetzt nicht nur mit der derbsten und leidenschaftlichsten Sprache (die sich freilich aus den von dieser Seite gegen ihn gerichteten Angriffen wol erklärt) gegen „den Pöbel der Kantianer“, sondern er bezeichnet es als erwiesen, daß die Kantische Philosophie überhaupt von Grund aus falsch sei in ihren Grundsätzen oder Grundlehren (Theol. christ. spec. et theor. III, 221 s. Diese antikantischen Partien des 3. Bandes sind in deutscher Sprache geschrieben). Deshalb können die von dieser Philosophie gegen das Christenthum gerichteten Angriffe dieses überhaupt gar nicht erreichen, weil das Christenthum „um eine Stufe höher stehet, als die kantische Philosophie. Denn das Christenthum lebt und schwebt ganz allein in lauter Ideen und in der Potenz des Ewigen; die kantische Philosophie nur allein in Begriffen und empirischen Anschauungen, und somit bloß in den Potenzen des Endlichen und Unendlichen, ohne das Ewige zu kennen, worin beide Eins sind. Daher das unaufhörliche Protestiren dieser vorgeblichen Philosophie gegen die Ideen und gegen die Realität derselben“ (a. a. O.). Es offenbart sich nur „das ungeschickte Benehmen vorgeblicher Philosophen“, wenn sie „das, was entweder bloße Glaubens- oder Vernunftsache ist, und sein kann, mit dem Verstande ergreifen und begreifen wollen; und, wenn sie es nun nicht können, wenn sie dabei auf Unmöglichkeiten stoßen, diese Unmöglichkeiten nicht auf den begreifenden Verstand, sondern auf das Zubegreifende legen, d. h., entscheidend aussprechen, nicht, dem Verstand ist es unmöglich, so etwas zu begreifen, sondern das, was der Verstand nicht begreifen kann, ist unmöglich, oder man kann doch wenigstens zur gewissen Einsicht seiner Möglichkeit nicht gelangen“ (a. a. O., S. 229 f.). Im Gegensatz gegen den Standpunkt des Verstandes findet Z. in der Vernunftanschauung (intellectuellen Anschauung) die absolute Erkenntniß, in welcher die Gegensätze des Endlichen und Unendlichen und die daraus sich für den Standpunkt des Verstandes ergebenden Widersprüche in der Identität aufgehoben sind. Die vorgeblich philosophische Ansicht der Kantianer sei unphilosophisch, „und in Bezug auf daß Erkennen der Wahrheit gerade die verkehrteste in der Welt, und eben darum die betrüglichste“. Denn dieselbe „ist die Ansicht der Dinge vermittelst des Verstandes, den sie von der Vernunft gleichsam losgerissen und isolirt haben. Nun ist aber die absolute Einheit der empirischen Anschauung und des Verstandes, das ist, die Vernunft, allein das Organ der Philosophie; und somit die Vernunftansicht allein die philosophische Ansicht. Also kann die Ansicht des Verstandes keine philosophische Ansicht der Dinge gewähren; sie muß unphilosophisch sein“. (A. a. O., S. 237 f.) Widersprüche in den Lehren des Christenthums werden auf dem Standpunkte des Verstandes erzeugt durch die Trennung des Verstandes von der empirischen Anschauung; diese mit Widersprüchen behaftete Ansicht ist aber nicht die Ansicht des Christenthums, wie diese vom Christenthum selbst für den größten Theil der Menschen aufgestellt wird; denn diese letztere ist „nicht die Ansicht des Verstandes von der empirischen Anschauung getrennt und darum derselben widersprechend, sondern vielmehr die Ansicht des Verstandes, wie er mit der empirischen Anschauung noch Eins ist“. Im Falle der Trennung des Verstandes von der empirischen Anschauung, durch welche Trennung nothwendig Widersprüche in die Ansicht gebracht werden, will das Christenthum selbst, „daß durch die höhere Ansicht die entstandenen Widersprüche gehoben und die absolute Einheit des Verstandes und der empirischen Anschauung wieder hergestellt werde; oder, was [247] eins ist, daß die Vernunft, und die rein intellectuelle Anschauung als die absolute Einheit beider eintrete“. (A. a. O., S. 251.) Von dieser Anschauung über das Verhältniß von Glauben und Wissen ausgehend, will Z. jetzt, während er alle Einwürfe einer bloßen Verstandesphilosophie als die Sache gar nicht berührend abweist, das katholische Dogma vermittelst der Schellingischen Identitätsphilosophie speculativ begründen und vom Standpunkte der Idee construiren. Ein breiter Raum im 3. Bande ist dem Versuche einer speculativen Begründung der katholischen Abendmahlslehre auf diesem Grunde gewidmet. Indem er dabei aber das katholische Dogma in eine pantheistische Speculation auflöst, beweist er freilich nur, daß er selbst, wenn auch in der besten Absicht, als Schellingianer auf einem Wege wandelt, der vom Standpunkte des positiven katholischen Christenthums nur als ein Irrweg bezeichnet werden kann. – Die „Philosophische Religionslehre“ setzt in dem erschienenen 1. Theil die philosophischen Grundprincipien eingehender auseinander; weitere Theile, welche die Religionsphilosophie hätten enthalten sollen, sind nicht erschienen. Der philosophischen Begründung der Lehre von der Erbsünde ist die „Philosophische Untersuchung über den allgemeinen Verfall des menschlichen Geschlechtes“ gewidmet. Den bleibendsten wissenschaftlichen Werth dürfte Zimmer’s letztes Werk haben, die „Untersuchung über den Begriff und die Gesetze der Geschichte“. Seine geplante Geschichte der Völker der alten Welt, welcher das genannte Buch als Einleitung dienen sollte, ist nicht mehr zur Ausführung gelangt; wenigstens ist nichts mehr davon dem Druck übergeben worden.

Nach Zimmer’s Tode veröffentlichte sein und Sailer’s Schüler Jos. Widmer zunächst in Sailer’s Biographie Zimmer’s und dann in seinem „Nachtrag“ zu derselben (s. unten) eine Darstellung von dessen Wissenschaft, die durchaus auf Zimmer’s Ideen eingeht und mit diesem in der Identitätsphilosophie, wie Z. von derselben Gebrauch gemacht hatte, das Heil sieht. Eine scharfe Kritik an Zimmer’s Speculation übt dagegen Anton Günther in seiner ausführlichen Recension von Widmer’s „Nachtrag“, in den Wiener „Jahrbüchern der Literatur“, 28. Band, 1824, S. 87–168, in welcher der pantheistische Standpunkt dieser Speculation, die darum auch „durchaus nicht geeignet sei, den dogmatischen Glauben zum Wissen zu steigern“, scharf dargethan wird. Von einem andern Standpunkte, als Anhänger der Philosophie Jacobi’s , griff der seichte Vielschreiber Jak. Salat den verstorbenen Z. an, in einer Polemik übrigens, die mehr persönlich gehässigen als wissenschaftlichen Charakter trägt, in dem Buche: „Denkwürdigkeiten betreffend den Gang der Wissenschaft und Aufklärung im südlichen Deutschland; veranlaßt durch J. M. Sailers Denkschrift auf P. B. Zimmer“ (Landshut 1823; das Buch liefert besonders S. 264–322 auch Züge zu Zimmer’s Biographie, aber in gehässigster Weise und mit kleinlichster Klatschsucht dargestellt). Man thut Z. gewiß Unrecht, wenn man die Aufrichtigkeit seiner Absicht, durch den Gebrauch der Philosophie nur das positive katholische Dogma tiefer zu begründen, bezweifelt, wie Denzinger (Vier Bücher von der religiösen Erkenntniß I, 209–211; 540–544) sogar so weit geht, ihm Heuchelei vorzuwerfen. In allen Schriften Zimmer’s zeigt sich, nach der positiven Seite derselben, ein treues Festhalten an der positiven Wahrheit des katholischen Christenthums, worin er sich immer gleich bleibt, ohne im mindesten vom katholischen Dogma etwas preisgeben zu wollen. Gerade seines strengen Katholicismus wegen wurde er in der Landshuter Periode am meisten angefeindet. Die Philosophie aber erschien ihm als willkommene Bundesgenossin im Kampfe gegen den Rationalismus, wie auf der andern Seite die Geschichte. Das Unglückliche dabei ist nur das, daß er zuletzt die geeignetste Waffe und die absolute philosophische Wahrheit in einer Speculation gefunden zu haben glaubte, die als [248] Pantheismus die christliche Weltanschauung aufhebt, deren Fundament die Wesensverschiedenheit Gottes und der Welt und die creatio ex nihilo ist. Die Consequenz des Pantheismus lag selbstverständlich nicht im Sinne Zimmer’s; eben deshalb ist er aber von einer inneren Unklarheit über die Grundlagen der christlichen Weltanschauung nicht freizusprechen, auch nicht davon, daß er thatsächlich pantheistische Gedanken in seine speculative Theologie eingeführt hat. Seine vermeintliche Versöhnung von Glauben und Wissen in der „höheren Ansicht“ ist doch nichts anderes, als ein bedenkliches Schillern zwischen Christenthum und Pantheismus. Daß in seinem Geiste diese Gegensätze so neben einander herlaufen konnten, ohne daß entweder die pantheistische Speculation das christliche Dogma in seinem Bewußtsein auflöste, oder umgekehrt die Ueberzeugung von der Wahrheit des letzteren ihm half, sich von den Irrwegen dieser Speculation zu befreien, das erklärt sich nur daraus, daß thatsächlich in seinem Geiste der Theologe und der Philosoph sich gegenseitig aus dem Wege gegangen sind. Die Wahrheit der Offenbarung und der Kirchenlehre steht ihm unantastbar fest, als etwas, das keineswegs der Kritik der Philosophie untersteht. Neben dieser Wahrheit gibt es für ihn aber eine philosophische Wahrheit, die einer ganz andern Sphäre der Erkenntniß angehört. Vom katholischen Standpunkte kann man es nur bedauern, daß der hochbegabte und in dem Ernst seines Strebens verehrungswürdige Mann sich aus den Fesseln der Identitätsphilosophie nicht mehr losmachen konnte. Als Lehrer hat Z. neben Sailer eine bedeutende Wirksamkeit ausgeübt und trotz der Irrwege seiner Speculation mit Sailer kräftig zur Regeneration eines positiveren Geistes und Sinnes im bairischen Clerus mitgewirkt.

J. M. Sailer (und J. Widmer), Patritius Benedictus Zimmer’s kurzgefaßte Biographie und ausführliche Darstellung seiner Wissenschaft. Landshut 1822. (Mit Porträt.) In Sailer’s Sämmtlichen Werken. Bd. 38, S. 417 bis 519. – J. Widmer, Nachtrag zu P. B. Zimmer’s kurzgefaßter Biographie, oder desselben Theologie und Philosophie in gedrängter Kürze. Uri 1823. – Felder-Waitzenegger, Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon der deutschen katholischen Geistlichkeit, Bd. II (1820), S. 540–543; Bd. III (1822), S. 589. – Cl. Al. Baader, Lexikon verstorbener baierischer Schriftsteller, Bd. II, 2 (1825), S. 242–245. – Theologische Quartalschrift 1820, S. 749–753. – Christoph von Schmid, Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. II (Augsburg 1853), S. 166–171; 188 f. – Fr. A. Scharpff, Vorlesungen über die neueste Kirchengeschichte, 2. Heft (Freiburg 1852), S. 101 f. – Permaneder, Annales Univ. Ingolst.–Landish.-Mon., P. V (1859), p. 192, 283, 370 s., 377, 380, 382 s. – G. Aichinger, J. M. Sailer (Freiburg 1865), S. 87–90, 201 ff., 219, 329 f., 332–340, 421. – K. Werner, Geschichte der kath. Theologie (1866), S. 254–256, 310 bis 315. – Hurter, Nomenclator, P. III (ed. 2, 1895), p. 559–561.