BLKÖ:Joachim, Joseph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Nächster>>>
Joachim, Wilhelm
Band: 10 (1863), ab Seite: 217. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Joseph Joachim in der Wikipedia
Joseph Joachim in Wikidata
GND-Eintrag: 118776223, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Joachim, Joseph|10|217|}}

Joachim, Joseph (Violinvirtuose und Componist, geb. nach Reich’s „Beth-El“ zu Kitsee im Wieselburger Comitate 15. Juli 1831). Von israelitischen Eltern abstammend, kam er in früher Jugend mit ihnen nach Pesth, wo sie sich häuslich niederließen. Da er ein großes Talent für die Musik beurkundete, erhielt er bald Unterricht im Violinspiele und schon in wenigen Wochen regten sich ganz sichtlich die Schwingen seines musikalischen Genius. Nun wurde der Knabe der Leitung des ausgezeichneten Violinspielers und Orchesterdirectors am Pesther Theater, Ladislaus Servaczinski, übergeben und schon in Einem Jahre – Joachim zählte damals sieben – konnte er sich öffentlich hören lassen. Im Jahre 1838 kam J. auf Rath seines Meisters nach Wien, um unter Professor Böhm seine künstlerische Ausbildung fortzusetzen. Während er drei Jahre Böhm’s Unterricht im Violinspiele genoß, ertheilte ihm der Regens chori bei St. Stephan, Herr Preyer, auch ein Meister seines Faches, Unterricht im Generalbasse. In der Zwischenzeit trat er ein paar Male öffentlich auf, so einmal am 31. Jänner 1842 im Zöglingsconcerte des Conservatoriums – Joachim zählte damals zehn Jahre – bei welcher Gelegenheit er mit dem virtuosen Vortrage Ernst’scher Variationen allgemeine Bewunderung erregte. Im Jahre 1842 kam er zur ferneren Ausbildung nach Leipzig und blieb daselbst über ein Jahr. Bald wurde er dort Mendelssohn-Bartholdy’s erklärter Liebling, der es nicht verschmähte, den jugendlichen Künstler in einem Concerte öffentlich am Clavier zu begleiten. Auch war es Mendelssohn, der sich dem Ansinnen der Angehörigen Joachim’s, daß er das Conservatorium in Leipzig zur ferneren Ausbildung besuche, entschieden widersetzte, weil der junge Künstler in Anbetracht der Stufe, auf welcher er damals stand, an der genannten Anstalt nichts Entsprechendes gewinnen konnte. Während nun Joachim in der Theorie der Musik von David, und zwar im Studium Bach’scher Compositionen, und von Hauptmann im Generalbasse Unterricht erhielt, nahm ihn Mendelssohn unter seine besondere Leitung. Im Jahre 1843 unternahm J. einen Kunstausflug nach London, und ein Schreiben Mendelssohn’s an Moscheles ebnete dem jungen Virtuosen alle Pfade. J. spielte in einem Hofconcerte vor den Majestäten von England, Rußland, Sachsen [218] und vor Männern wie Wellington, Russell u. A. Bis zum Jahre 1850 währte J.’s Aufenthalt in Leipzig und vornehmlich diesem Umstande ist es zu danken, daß J. in der Musik jene gediegene ernste Richtung einschlug, die ihn so ganz von den Virtuosen der Gegenwart unterscheidet. In Leipzig, in dieser Centrale deutscher Intelligenz, die ebenso schöpferisch wie genießend sich verhält, bewegte sich J. in einem gewählten Künstlerkreise, seinen Aufenthalt zeitweilig durch Kunstausflüge nach Norddeutschland, Paris und London unterbrechend. Um ihn an diese Stadt zu fesseln, wurde er 1850 als zweiter Concertmeister in dem Gewandhaus- und Theaterorchester angestellt. Aber dieser Anstellung folgte über Liszt’s Vermittlung Joachim’s Berufung nach Weimar, wo er die Hof-Concertmeisterstelle der Weimarer Capelle antrat. Ende 1852 vertauschte er diese Stelle mit der gleichen in Hannover. Bei allen deutschen Musikfesten, welche in den letzteren Jahren oft stattfanden, als in Düsseldorf, Karlsruhe, Hannover u. a. O., wirkte J., überall Enthusiasmus erweckend, mit. Ein tiefes und anhaltendes Leid neben seinen Triumphen und glänzenden Erfolgen verursachte ihm im Jahre 1847 Mendelssohn’s Hingang (4. November 1847), an dem der junge Künstler mit inniger Liebe und Dankbarkeit hing. Später trat Joachim zu Robert Schumann in innige Beziehung, und der Einfluß zweier Geister wie Mendelssohn und Schumann in den Jahren des Reifens hatten auf J.’s künstlerische Vollendung den segensvollsten und nachhaltigsten Einfluß. J. ist, wenn nicht ausschließlich, so doch vorherrschend Virtuos, obwohl er sich auch in der Composition versuchte, jedoch in letzterer Eigenschaft bisher wenig bekannt geworden ist. Von seinen Compositionen sind zu nennen: „Für Violine und Pianoforte“, 3 Nummern; – „Concert in einem Satze“; – „Lindenrauschen“, 3 Nrn.; – „Die Abendglocke. Ballade“; – „Concertouverture“; – „Violinconcert“; – „Quartette und Lieder“; – „Hebräische Lieder“, angeregt durch Lord Byron’s „Hebrew Songs“ – und „Ungarisches Concert“. Schon im Jahre 1857 meldeten die Journale, daß Joachim sich mit der Tochter der Frau Bettina von Arnim vermälen werde. Diese Nachricht erscheint durch die neueste (Presse 1863, Abendblatt Nr. 50) widerlegt, nach welchen J. mit der Hof-Opernsängerin Fräulein Weiß sich verlobt haben soll. Im Mai 1862 berichteten ferner die Journale, daß Joachim in Hannover um einen zweijährigen Urlaub gebeten und ihn erhalten habe, daß man aber bei Hofe darüber verstimmt und gewillt sei, ihm die gänzliche Entlassung nach London, wohin sich der Künstler von Hannover aus begeben hatte, nachzusenden. Auch dieß scheint leeres Gerücht gewesen zu sein, da Joachim zur Stunde (Februar 1863) noch Concertdirector in Hannover ist. Ueber J.’s künstlerische Charakteristik und die erheblicheren Urtheile der Kunstkritik siehe weiter unten in den Quellen. „Gewiß aber, schreibt einer seiner Biographen, hat seit Ludwig Spohr’s epochemachenden Erscheinung als Vertreter eines classischen Violinspieles und Schöpfer einer specifisch deutschen Geigenschule kein Violinist Deutschlands bis in unsere Gegenwart hinein eine so hohe Bedeutung wie Joachim gewinnen können.

Reich (Ignaz), Beth-El. Ehrentempel verdienter ungarischer Israeliten (Pesth 1856, Alois Bucsánszky, 4°.) Heft I, S. 61. – Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1861, Carl B. Lorck, 4°.) S. 418 [nach diesem geb. bei Preßburg]. – [219] Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden, Schäfer, gr. 8°.) Bd. II, S. 512. – Das Vaterland (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 52. – Oesterreichische Zeitung (Wiener polit. Blatt) 1861, Nr. 55. – Wiener Zeitung 1861, Nr. 36. – Ostdeutsche Post 1861, Nr. 50. – Pester Lloyd (Pesther polit. Blatt), Jahrg. 1858, Nr. 104. und Jahrg. 1861, Nr. 56 u. 61. – Humorist, herausgegeben von M. G. Saphir (Wien), 1856, Nr. 50. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1863, Nr. 69 (im Feuilleton von Hanslick), – Fremden-Blatt (Wien 4°.) 1862, Nr. 82. – Breslauer Zeitung 1861, Nr. 123. – Frankl (L. A.), Sonntagsblätter (Wien, 8°.) Jahrgang III (1844), S. 561. – Porträt. Stahlstich von Weger (Leipzig, Baumgartner, 4°.) [auch Beilage der Leipziger Modenzeitung von Diezmann] – Ueber Joachim den Künstler. Ueber wenige Künstler der Neuzeit stimmen die Urtheile der Kunstkritik so überein, wie über Joachim: „Zwei specifische Eigenthümlichkeiten charakterisiren seine Kunstliteratur: die größte Strenge und Reinheit des Styls und eine unübertreffliche Technik. Er hat sich sein Spiel und seine Natur rein, keusch, edel und maßvoll erhalten mitten in dieser Zeit. mitten in dieser Welt der Koketterie, der sittlichen Unsicherheit und der aus Unkraft herrührenden Maßlosigkeit; so daß er von dem von Dumas in der Erzählung von den Pfirsichen so treffend charakterisirten schwarzen Puncte der Fäulniß freigeblieben und ein Künstler fast mitten unter Virtuosen geworden“. – In dem Werkchen über das „Karlsruher Musikfest 1856“ wird J. in einer Reihe von Aufsätzen, die ihn allein betreffen, von Verschiedenen und nach verschiedener Richtung gefeiert. Die Londoner „Review“ stellt ihn in einem „Joachim et Vieuxtemps“ überschriebenen Artikel über „Vieuxtemps“. Das Barockste, was die Kritik über ihn sagen konnte, ist aber doch das dem Urtheile über die Elsler, daß sie Goethe tanze, nachgebildete, „daß Joachim Protestantismus spiele“, welchen Ausspruch ein Witzblatt mit dem Trumpfe, „er habe Strohsessel gespielt“, abfertigte. – Herr Speidel – nach Hanslick der zweitbeste Musikkritiker Wiens – schreibt über Joachim den Virtuosen: „Er ist ein großer Techniker und ein tüchtiger, geschmackvoller Musiker. Sein Strich ist grandios; wenn er zu geigen anfängt, so hat nicht ein Gedanke Raum zwischen dem Bogen und der gestrichenen Saite. Sein Ton ist voll, rund, intensiv, doch nicht allzu groß. Die Geige erklingt unter seinem Bogen ganz ihrer Natur gemäß: durchdringend, schneidig in der Höhe, weich und gesangvoll in der Mittellage, und auf der vierten Saite, wenn sie energisch angegriffen wird, mit jenem naturgewaltigen Mitschnarren und Mitächzen des Steges, das wesentlich zum Charakter der Violine gehört. In allen Stricharten, gebundenen und hüpfenden, ist er vollendeter Meister. Seine Scala ist ungewöhnlich rein und klar, einen Triller mit so breitem plastischem Nachschlage, so ungemein gleichmäßig und voll, doppelgriffig und zweistimmig getheilt, haben wir nie vollendeter spielen hören. Und all’ diese große Technik wird nun unter die Zucht des reinsten Geschmackes genommen. Bestimmt umrissen, ohne irgendwelche formelle Einbuße wird jeder musikalische Gedanke wiedergegeben. Und dennoch, bei allen Vorzügen, die sein Spiel kennzeichnen, können wir diesem Künstler nur mit kühler Bewunderung folgen. Alles technisch und ästhetisch Lehr- und Lernbare hat er in vollendeter Weise los, nur Eines fehlt ihm: eine tiefe, ursprüngliche Empfindung, jenes nachschöpferische Vermögen, welches den ausübenden Künstler für Augenblicke auf die Höhe eines producirenden Künstlers zu heben scheint. Wie dieses Geniale im Künstler ein geistiger Hauch ist, der sich äußerlich nicht haschen läßt, so läßt sich auch nicht mit dürren Worten beweisen, daß einem Künstler diese letzte Kraft mangelt. Nur ein angebornes, durch Erziehung zum Schönen geläutertes Verständniß für dieses Höchste in der Kunst wird Anwesenheit oder Mangel dieses letztern unmittelbar empfinden oder begreifen. Genie ist eine freiwillige Gabe der Natur, die sich durch keinerlei Arbeit erringen läßt. Einem Musiker zu sagen, daß er kein Genie sei, kann nichts Beleidigendes für ihn haben, und was das Publikum betrifft, so kann es wahrlich nicht verlangen, daß sich die Kritik zum gehorsamen Echo eines vielleicht wetterwendischen Enthusiasmus hergibt.“ – Ueber Joachim den Componisten bemerkt Hanslick, als dessen „ungarisches Concert“ gegeben wurde: „Diese Tondichtung voll Geist und Gemüth, voll Energie und Zartheit sichert Joachim einen hervorragenden Platz unter den modernen Componisten. Man möchte seinen Virtuosen-Siegen gram werden, welche wohl allein schuld sind, daß diese Kraft so selten zu einem größeren Werke sich zusammenfaßt“.