BLKÖ:Liharžik, Franz
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 15 (1866), ab Seite: 181. (Quelle) | |||
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[182] Sein Vater war k. k. Officier, dann ein gering besoldeter Staatsbeamter. Der Knabe, Anfangs für das Baufach bestimmt, besuchte die Unterrealschule zu Neutitschein. Als sein Vater in eine höhere Gehaltstufe vorgerückt war, wurde es möglich, des Knaben Liebe zu den Studien zu befriedigen. Er trat nun zu Freiberg in die erste Classe des Gymnasiums, besuchte aber die übrigen Classen, ob der öfteren Versetzungen seines Vaters im Amte, in Kremsier und Troppau. Die Mittellosigkeit seiner Eltern zwang ihn, frühzeitig sich durch Ertheilung von Privatunterricht seinen Lebensunterhalt und die Mittel zur Fortsetzung seiner Studien selbst zu erwerben. Nach beendetem Gymnasium begab sich Liharžik, auf seine Kraft vertrauend, nach Wien, um dort die philosophischen Studien zu hören und dann jenes der Medicin zu beginnen. Daselbst war es vornehmlich der Professor der Physik, der nachmalige Freiherr von Baumgartner [Bd. I, S. 191, u. Bd. XIV, S. 393], der seine Liebe für die Naturwissenschaft durch einen lichtvollen fesselnden Vortrag weckte und förderte, der in der geschichtlichen Entwickelung seiner Wissenschaft darauf hinwies, wie die größten Forscher aller Zeiten, ein Newton, Kepler, Galilei, erst die mathematische Unumstößlichkeit eines beobachteten Naturgesetzes zur Grundlage ihrer weiteren Forschungen machten, und so gleichsam bestätigen, daß im Gebiete der Naturforschung nur auf dem Pfade positiver, durch die Ziffer zu bezeichnender Thatsachen und mit strenger Vermeidung jeder Speculation fruchtbringende Ergebnisse zu gewärtigen seien. Im Jahre 1833 begann L. das Studium der Medicin und wurde in den Jahren 1839 und 1840 Doctor der Medicin, Augenarzt, Geburtshelfer und Doctor der Chirurgie. Durch Professor Rokitansky’sLehre von der Hypertrophie und Atrophie der einzelnen Körpertheile und ihrem Einflusse auf die Functionen der bezüglichen Organe, wurde schon im Jahre 1837 seine Aufmerksamkeit auf die Größenverhältnisse der einzelnen Körpertheile und zu dem Schlusse seiner Beobachtung hingelenkt: daß alle Theile des menschlichen Körpers in einem gegenseitigen, bestimmend festen Verhältnisse stehen müßten, wenn anders der Gesammtorganismus zur besten und leichtesten Ausführung seiner Functionen vollkommen tauglich sein sollte. Nach erlangter Doctorwürde begann Liharžik die Laufbahn des praktischen Arztes und wählte besonders die Geburtshilfe als das Feld seiner vorherrschenden Thätigkeit. Zu Ende des Jahres 1840 bot sich ihm die günstige Gelegenheit dar, eine wissenschaftliche Reise durch Frankreich, England, Belgien, Holland und Deutschland zu machen, auf welcher er zu Paris Andral, Dupuytren, Ricord, Orfila, in Brüssel Scutin, in Bonn Kilian, Nasse und Wutzer, in Heidelberg Chelius und Carl Nägele, in Marburg Krukenberg und Hüter, in Gießen Langenbeck den älteren, in Leipzig Meißner, in Dresden Carus und von Ammon, in Berlin Dieffenbach, Busch und Schönlein kennen lernte. Mit mancher neuen Kenntniß bereichert, in die Heimat zurückgekehrt, suchte er hier das damals noch Unbekannte dadurch nutzbringend zu machen, daß er in demonstrirenden Vorträgen die praktischen Vortheile des Scutin’schen Pappverbandes, des Baudelocque’schen Cephalotribes, des decalcinirten Elfenbeins, des Schöller’schen Nabelschnurträgers, der Uterinalsonde, bekannt machte, nachdrücklich [183] aber vor den großen Nachtheilen warnte, welche die in seiner Gegenwart zu wiederholten Malen mißlungenen Stammel-Operationen mit sich geführt hatten. Nachdem seine Bemühungen, eine Assistentenstelle an der Wiener geburtshilflichen Klinik zu erlangen, erfolglos geblieben waren, trat er an die Seite des seinerzeit sehr gesuchten Geburtshelfers Dr. Hussian und wurde 1844 durch seinen Schwiegervater Dr. Götz, einen ausgezeichneten Kinderarzt, in die Praxis der Kinderkrankheiten eingeführt. Hier übernahm er die Führung der von Dr. Gölis gegründeten ersten Kinder-Krankenanstalt und jenes Impf-Institutes, welches, als das erste in Oesterreich, von Gölis im Jahre 1800 mit dem von Jenner aus London erhaltenen genuinen Impfstoffe begründet worden war. In diesem umfangreichen Wirkungskreise, der durch eine stets wachsende Praxis außer dem Hause noch bedeutend erweitert wurde, hatten nun im Laufe der Zeit mehr als 50.000 Beobachtungen ihm die subjective Ueberzeugung verschafft, daß das Größenverhältniß der Lunge zur Gesammtmenge des im Körper circulirenden Blutes den wesentlichsten Factor zur Bestimmung der körperlichen Tüchtigkeit eines Individuums begründe. Diese aus der übersichtlichen Abschätzung des Brustkorbes und des ganzen Körpers entstandene Ueberzeugung brachte ihn zu dem Entschlusse, sie durch genaue Messungen bestimmter Körpertheile objectiv, d. i. durch die Ziffer festzustellen und so allgemeingiltig zu machen. Die Resultate dieser Forschung, deren feste Grundlage 5000 an Individuen jeden Alters und Geschlechts mit größter Sorgfalt ausgeführte Messungen der größten Kopfperipherie und des Brustumfanges über beide Brustwarzen abgeben, sind unter dem Titel: „Das Gesetz des menschlichen Wachsthums und der unter der Norm zurückgebliebene Brustkorb, als die erste und wichtigste Ursache der Rhachitis, Scrophulose und Tuberculose“ (Wien 1858, Carl Gerold) erschienen. Diese gemessenen Thatsachen und die ihnen parallel laufenden Diagnosen ergaben nicht nur den zwingenden Schluß, daß die erste und wichtigste Ursache der Rhachitis, Scrophulose und Tuberculose in einer relativ zu kleinen Respiration zu suchen sei, sondern es ließen sich aus denselben auch die ersten Grundzüge des Gesetzes des menschlichen Wachsthums ableiten, und zwar vorerst in ihrer Anwendung auf die gemessenen, oben genannten zwei wichtigsten Körpergrößen, nämlich auf die größte Kopfperipherie und den Brustumfang. Mit diesem Werke begab sich Dr. Liharžik zu Alexander von Humboldt nach Berlin, um über sein Werk das Urtheil dieses tiefen Denkers persönlich einzuholen. Nicht nur in einer längeren Unterredung sprach sich Humboldt in anerkennender Weise über L.’s Forschungen aus, sondern übernahm es auch, mit seiner bekannten Bereitwilligkeit, diese Schrift der Akademie der Wissenschaften zu Berlin einzureichen und eigenhändig einzubegleiten. Da die Grundzüge des Wachsthums bloß für die oben genannten zwei Körpergrößen mit einer Wachsthumsdauer von 23 Epochen bestimmt waren und in den quantitativen Bestimmungen sich noch sonst viele Lücken und Mängel zeigten, so setzte Dr. L. seine Beobachtungen weiter fort und zog auch die anderen Körpertheile in den Kreis der Messungen ein. Nachdem aus diesem Grunde neuerdings von mehr als 5000 Individuen jeden Alters und Geschlechtes [184] verläßliche Messungsdaten gesammelt waren, welche auch die meisten Körpertheile umfaßten, sah Dr. L. das Gesetz des menschlichen Wachsthums so weit vervollständigt, daß es eine vollendete Proportionslehre des menschlichen Körpers für jedes Alter und Geschlecht begründen konnte. Die wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes sind in folgenden Sätzen enthalten: 1) Das gesammte Wachsthum aller Körpertheile begreift 24 Epochen, welche zusammen eine Dauer von 25 Jahren haben; 2) der erste Sonnenmonat nach der Geburt bildet die erste Epoche, jede darauf folgende Epoche ist um einen Monat länger als die unmittelbar vorangegangene, so daß die zweite Epoche 2, die dritte 3, die vierundzwanzigste 24 Sonnenmonate umschließt. Alle 24 Epochen machen daher zusammengenommen 300 Sonnenmonate = 25 Jahre aus; 3) diese 24 Epochen sind in drei Abschnitte getheilt. Der erste Abschnitt enthält 6 Epochen, von der Geburt bis zum vollendeten 21. Lebensmonate; der zweite 12 Epochen, vom 21. bis 171. Monat = 14 Jahre 3 Monate; der dritte wieder 6 Epochen, vom 171. bis zum Ende des 300. Monates. Diese drei Abschnitte sind dadurch charakterisirt, daß die Wachsthumszunahme in den Epochen eines jeden Abschnittes gleich, von einem Abschnitte zum andern aber verschieden sind, so zwar, daß der erste Abschnitt die beiden andern im Wachsthum übertrifft, der zweite bei gewissen Körpertheilen ein verhältnißmäßig kleineres, der dritte bei mehreren Körpertheilen wieder ein stärkeres Wachsthum in sich schließt. Die arithmetischen Angaben des Gesetzes waren so bestimmt gefaßt, daß aus ihnen eine einfache geometrische Construction der menschlichen Gestalt sich ergab, welche den Bau des Menschen als ein endlich gelöstes geometrisches Problem erscheinen ließ. Nun ließ Dr. Liharžik nach den Ziffern des Gesetzes, und zwar in dem Maßstab 1 Centimeter: 1 Wiener Linie, durch den Bildhauer Franz Müller in Wien, unter strengster Controle des Maßstabes und des Zirkels 12 Paare menschlicher Figuren in Gyps modeln, welche in den wichtigsten Wachsthumsepochen, als da sind: die Zeit gleich nach der Geburt, dann das Ende des 1., 3., 6., 15., 21., 36., 66., 91., 120., 171. und 300. Lebensmonates die gesetzmäßige Bildung und stufenweise Fortentwicklung der menschlichen Gestalt zur Anschauung brachten. Jedes dieser Modelle wurde in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in drei Stellungen photographirt, wodurch ein Album von 28 Blättern zu Stande kam, aus denen der Maler und Bildhauer die Alters- und Geschlechtseigenthümlichkeiten kennen lernt. Außerdem wurden die Statuetten in Erz gegossen, um eine Vervielfältigung des verkörperten Gesetzes in einem minder kostspieligen Stoffe zu ermöglichen. Dieses zweite Werk L.’s erschien unter dem Titel: „Das Gesetz des Wachsthums und der Bau des Menschen. Die Proportionslehre aller menschlichen Körpertheile für jedes Alter und für beide Geschlechter“ (Wien 1861, Staatsdruckerei, gr. Fol.) und enthält in prächtiger Ausstattung auf 19 Bogen den Text, auf 8 Tafeln die Darstellungen des arithmetischen Gesetzes zuerst in seiner Allgemeinheit, dann in seiner thatsächlichen Anwendung auf die wichtigsten Körpertheile, wie sie am häufigsten in der Natur vorzukommen pflegen und auf 9 anderen Tafeln geometrische Constructionen der menschlichen Gestalt in den wichtigen Altersstufen. Das neue Gesetz wurde am 31. October 1861 der kaiserlichen Akademie der [185] Wissenschaften in Wien vorgelegt, welche ihr Interesse für diesen Gegenstand durch dessen Aufnahme in ihre Schriften anerkannt hat. Im Jahre 1862 wurde das vollständige Werk mit den Erzfiguren und Photographien nebst einer lebensgroßen Construction des neugeborenen und des erwachsenen Paares, auf der Weltausstellung zu London dem Urtheile der wissenschaftlichen Jury unterbreitet und dem Verfasser die Preismedaille zuerkannt. Dr. L. war selbst nach London gekommen, um der Jury nähere Aufklärungen über sein neues Werk zu geben. Auch wurde er veranlaßt, vor hochgestellten Personen und wissenschaftlichen Corporationen, sich über seine Beobachtungen ausführlich auszusprechen. So stellte er sein plastisches Werk im britischen Royal-Institut der Wissenschaften zwei Mal auf, das eine Mal in Anwesenheit der gelehrten Welt Englands und das zweite Mal vor einer zahlreichen Versammlung fremder Gelehrten, die der Ausstellung wegen in London waren. Dasselbe geschah auch in einer Versammlung des Universitäts-Collegiums, der medicinisch-chirurgischen Facultät, der pharmaceutischen und ethnologischen Gesellschaft. Wohl fehlte es nicht an Scherzen und Witzen, als man die Broncefiguren Liharžik’s, die wie Sänger auf einem Orchester gruppirt standen, sah und ein Schalk hatte von ihnen die Sage verbreitet, daß sie zuweilen in allen österreichischen Mundarten mit einander conversiren. Aber Männer der Wissenschaft, wie Owen, Faraday, Charpey u. A., schenkten der neuen Forschung und ihren Ergebnissen eine ungetheilte Aufmerksamkeit. Professor Partridge, der sich selbst lange Zeit mit den Proportionen der menschlichen Körpertheile befaßte, machte L. darauf aufmerksam, daß in London ein Mann lebe, der an diesem neuen Funde das größte Interesse nehmen würde, weil er selbst schon eine Abhandlung über die Proportionen des erwachsenen Mannes unter dem Titel: „The Proportions of the human figure; according to the ancient greek canon of Vitruvius. A Canon of the proportions of the human figure, founded upon a diagram invented by John Gibson Esq. 1857. With description, practical application and illustrative outhlines by Joseph Bonomi“ (London 1857) herausgegeben hatte. Bonomi, der jetzt die Stelle eines Directors am Sir Soans-Museum zu London bekleidet, hatte durch zehn Jahre in Egypten gelebt und war ihm gelungen, dort jenes alte egyptische Naturmaß aufzufinden, durch dessen Hilfe, wie Plinius erwähnt, schon Polyklet seinen Canon der vollkommensten menschlichen Figur aufgestellt hatte und nach welchem die griechischen Meister, so z. B. Vitruvius und dann später der Italiener Leonardo da Vinci gearbeitet hatten. Mit einem Empfehlungsschreiben von Professor Partridge begab sich L. zu Bonomi, der, nachdem er Einsicht in das ihm vorgelegte Werk, mit seinen geometrischen Constructionen und photographischen Abbildungen genommen, seiner Bewunderung die begeistertsten Worte lieh, für dieselbe aber auch sofort die erklärenden Beweggründe beibrachte. Bonomi nahm nämlich eine Vergleichung vor zwischen seiner eigenen Proportionslehre und jener von Dr. Liharžik aufgestellten. Durch diese Vergleichung von Bonomi’s Prototyp des erwachsenen Mannes, mit Dr. Liharžik’s gleichnamiger Normalgestalt, ergab sich nämlich die merkwürdige Thatsache, daß die beiderseitigen [186] Umrisse derselben menschlichen Gestalt in allen Dimensionen mathematisch-identisch waren, obgleich beide unter verschiedenen Principien construirt worden waren. Denn Bonomi’s Canon war nach Regeln gebildet, die aus einem bestimmten, schon den alten Egyptern bekannten und mit dem Namen eines Naturmaßes bezeichneten Dreiecke abgeleitet wurden; Dr. Liharžik’s normale Mannesgestalt war aber das Ergebniß einer auf genauen Messungen beruhenden Naturanschauung; es lagen daher in beiden Proportionslehren Systeme vor, die nach Form und Wesen scheinbar ganz verschieden in ihrer Anwendung dennoch gleiche Producte ergeben hatten. Aus dieser formellen Uebereinstimmung beider Werke ergab es sich denn, daß die Natur bei der Bildung der menschlichen Gestalt mathematischen Gesetzen folge, daß die Naturprocesse selbst mathematische Functionen sind, und daß nur die wahren, d. h. der Natur entnommenen Verhältnisse und Formen, das eigentliche Ideal der Kunst bilden. Aber auch die Unterschiede beider Systeme traten hervor. Aus Bonomi’s Dreiecke ließ sich nur die Figur des erwachsenen Mannes ableiten, während die Ziffern des von Dr. L. nachgewiesenen Wachsthumsgesetzes für die Größenverhältnisse der menschlichen Gestalt in jedem Stadium ihrer stufenweisen Entwicklung und für beide Geschlechter feste Normen aufstellen. Da ferner die aus L.’s Wachsthumgesetz resultirende Construction des erwachsenen Mannes die vollendetste sei, welche je von der Kunst geschaffen worden war, so könne auch von allen andern vom Gesetze angegebenen Dimensionsverhältnissen der einzelnen Körpertheile die menschliche Figur für jedes Alter und Geschlecht in gleicher Vollkommenheit hergestellt werden, weil ein streng gegliedertes, in sich abgeschlossenes mathematisches System, welches alle seine Glieder nur aus sich selbst entwickelt, in allen seinen Theilen richtig sein müsse, sobald sein Schlußsatz oder Endglied, hier also die Figur des erwachsenen Mannes wahr ist, d. h. der Natur congruent erscheint. Diese Schlußfolgerung wurde aber noch durch die 24 Modelle der wichtigsten Wachsthumsepochen, die nach dem übereinstimmenden Urtheile von Kunstverständigen in Bezug auf Schönheit und Wahrheit nichts zu wünschen übrig lassen, vollkommen bestätigt. Auch in Paris fand das Werk in wissenschaftlichen Kreisen, so in der Akademie der Wissenschaften, in jener der Medicin und der bildenden Künste eine ehrenvolle Aufnahme und eingehende Würdigung. Während die Zeitschrift „Cosmos“ in den Nummern vom 21., 22. und 23. Juni 1862 in einer umfassenden Kritik die Vortheile und die Verwendung dieses neu aufgefundenen Wachsthumsgesetzes für die Anatomie, Physiologie, Pathologie und für die bildende Kunst darstellte, machte der berühmte Physiolog und Akademiker Professor Claude Bernard die scharfsinnige Bemerkung: „Es sei klar, daß, wenn in der ersten Grundlage des Gesetzes, oder in dem progressiven Aufsteigen auch nur einer einzigen Größe der geringste Fehler vorhanden wäre, dieser Fehler bei seines fortschreitenden Zunahme zu einer Größe anwachsen würde, die nicht nur dem Kenner, sondern schon dem Laien in die Augen springen müßte. Da aber, im Gegentheil von dem Gesetze, jeder Körpertheil auf die ihm eigenthümliche Art, von allen andern unbeirrt und unabhängig im Wachsthume [187] aufgebaut wird, und die jedesmalige Zusammensetzung aller, in einem gegebenen Zeitmomente zusammengehörigen Körpertheile vollendete Typen der menschlichen Gestalt ergebe, so müßte diese formelle Uebereinstimmung, abgesehen davon, daß die Ziffern des Gesetzes gemessenen Thatsachen entnommen sind, den gewichtigsten Beweis dafür geben, daß die Natur beim Wachsthum des Menschen wirklich dieselbe Methode befolgt, und daß diese hier durch die Ziffer aufgestellte Regelmäßigkeit den Namen eines Naturgesetzes mit Recht verdiene“. Auch das Urtheil eines anderen Gelehrten, des berühmten Dr. Carus, wies den Forschungen L.’s eine ehrenvolle Stelle in der Wissenschaft an. Carus selbst hatte sich lange mit Messungen der verschiedenen Körpertheile befaßt, die Resultate seiner Forschung in einer Abhandlung über den Canon der menschlichen Gestalt niedergelegt und ebenso wie L. ein Modell nach seinen aufgestellten prototypen Verhältnissen der menschlichen Körpertheile, die alle auf die Länge der Wirbelsäule zurückgeführt wurden, herstellen lassen. Carus’ Modell der vollkommensten menschlichen Gestalt, nach beendetem Wachsthume, sollte den idealen menschlichen Bau überhaupt darstellen und in der Wirklichkeit erst gewisse Abänderungen erleiden, die einerseits dem männlichen, andererseits dem weiblichen Geschlechte als Prototyp zu Grunde liegen, aus dem dann erst das gespaltene Gesetz für beide Geschlechter hervorgehen sollte. Da zeigte es sich nun, daß Liharžik’s Modell des erwachsenen Mannes in allen Dimensionsverhältnissen mit dem von Carus aufgestellten übereinstimme und es war nachgewiesen. daß das von Carus als bloß ideal bezeichnete Prototyp in Wahrheit das grundsätzliche Vorbild der menschlichen Gestalt sei, daß das Naturwahre mit dem absolut Schönen des Carus identisch sei. In den letzten zwei Jahren beschäftigte sich L., durch seine unablässigen Beobachtungen darauf geführt, mit Untersuchungen, ob nicht nach dem Gesetze, welchem das menschliche Wachsthum unterworfen ist, auch das Wachsthum der gesammten Thier- und Pflanzenwelt erfolge, ob es somit nicht das allgemeine Wachsthumgesetz genannt werden müsse, dem die Entstehung und Entwickelung aller organischen Individuen ihre Ordnung verdanke. Mehr als 12.000, bei verschiedenen Baumfrüchten durch vier Jahre angestellte Messungen, haben diese Ansicht für das Pflanzenreich bekräftigt. Das Wachsthum der Baumfrüchte von dem Momente des Blüthenabfalls bis zur Fruchtreife durchläuft mit derselben mathematischen Genauigkeit die 300 Zeiteinheiten in 24 Epochen und 3 Abschnitten, mit ebenso gleichen Zunahmen, wie dieses beim Wachsthum des Menschen beobachtet wurde. Selbstverständlich sind jedoch die Zeit- und Maßeinheiten bei den verschiedenen Individuen verschieden und sie richten sich theils nach der absoluten Größe des Individuums, theils nach den speciellen Gcößenverhältnissen seiner einzelnen Theile. So begreift z. B. bei der Aprikose die Zeiteinheit, welche jedesmal der ersten Wachsthumsepoche gleich ist und beim Menschen Einen Monat beträgt, sechs Stunden, daher dauert das gesammte Wachsthum der Aprikose 300 X 6 = 1800 Stunden = 75 Tage. Bei der Pfirsich ist die Zeiteinheit = 9 Stunden, bei einigen Sorten Winterobst = 13 Stunden, woraus sich die bezügliche Wachsthumsdauer mit 300 X 9 = 2700 Stunden 3 Monate [188] 221/2 Tage und mit 300 X 13 = 3900 Stunden = 5 Monate 121/2 Tage berechnet. Andere genaue Beobachtungen und Messungen an Thieren, z. B. am Rinde, haben dargethan, daß das Wachsthum desselben nach demselben Gesetze mit einer Zeiteinheit von vier Tagen vor sich gehe, daher 300 X 4 = 1200 Tage = 3 Jahre 15 Wochen zu seiner Vollendung in Anspruch nehme. Beim Pferde bildet die Zeiteinheit Eine Woche, daher das gesammte Wachsthum 300 Wochen = 5 Jahre 40 Wochen umfaßt, so daß das Pferd in seinem Wachsthume ebenso nach Wochen, wie der Mensch nach Monaten seiner Vollendung zuschreitet. Nebst diesen Untersuchungen hat L. noch eine andere Reihe von Arbeiten beendet. Er unterzog nämlich die alte Hermessäule, welche ob des in ihr verschlossenen Geheimnisses, das ganze Alterthum lebhaft beschäftigt hatte, seinen Beobachtungen und meint, ihre mysteriöse Bedeutung aufgefunden zu haben. In einem egyptischen Sarkophage der kais. Ambraser-Sammlung zu Wien befindet sich nämlich der Abriß einer Säule, nebst zwei säulenförmigen Constructionen, deren Längen- und Breitendimensionen in Centimetern ausgedrückt, genau jene Zahlen ergeben, welche die einzelnen Theile des neugebornen Mädchens in ihren hauptsächlichsten Längen- und Breitendurchmessern zeigen. So kam denn L. zu der Idee, daß die Hauptdimensionen dieser Säule einst nach Erkenntniß der prototypen Gestalt des Neugeborenen, dieser entnommen worden sind. Nachdem ferner das graueste Alterthum im ersten Menschen-Urmenschen (Adam Kadman) die mathematische Grundlage der gesammten Schöpfung und aller Naturgesetze anerkannt hatte, und deshalb alles menschliche Wissen auf gewisse einfache Zahlenverhältnisse zurückgeführt wissen wollte, so wird es erklärlich, warum man in der Hermessäule, der Trägerin der prototypen Menschengestalt, den Schlüssel zu allem menschlichen Wissen niedergelegt glaubte. Bei diesen Beobachtungen und Untersuchungen wurde L. auch mit jener uralten Rechnungsmethode bekannt, welche die merkwürdigsten Probleme auf eine Weise löst, die mit unsern jetzigen Rechnungsarten nichts als die Ziffern gemein hat. Bis in die ältesten Mythen zurück finden sich Ueberreste der sogenannten magischen Quadrate oder Tetragramme, welche von den größten Mathematikern bewundert, von andern wieder als mathematische Spielerei bezeichnet, einer ewigen Vergessenheit anheimgefallen schienen. Die Kenntniß dieser magischen Quadrate bezog sich aber bis jetzt nur auf die Art ihrer Construction und auf ihre am meisten in die Augen fallende Gliederung. Em. Moschopulos, Athanasius Kircher, La Loubére, Agrippa von Nettelsheim, Bachet de Mechiriac, Arnaud, Frenicle, de la Hire, Poignard, Sauveur, Onsen Bray und Rallier des Ourmes haben am ausführlichsten darüber geschrieben. Rallier bemühte sich, die Zahl der aus einer Quadratzahl möglichen Tetragramme zu finden und Sauveur machte den Versuch, magische Kreuze, Gitter und Würfel herzustellen. In neuerer Zeit haben sich Stiefel, Riese, Cornelius, Capito und Klügel damit beschäftigt. Alle diese Abhandlungen hatten jedoch nur die mechanische Herstellung und die daraus abstrahirten empirischen Regeln im Auge. Von dem eigentlichen Wesen und dem mathematischen [189] Bau der magischen Quadrate und von dem Gesetze, welches aus der Construction durch Berechnung abgeleitet wird, endlich von der Methode, aus den Tetragrammen gewisse mathematische Aufgaben zu lösen, hatte man seit mehr als 4000 Jahren keinen deutlichen Begriff mehr. L. will nun das Wesen der magischen Quadrate aufgefunden haben. Jedoch liegt die Darstellung dieses Fundes, als zu abstract, außer dem Bereiche dieser Skizze, die es nur mit fertigen Thatsachen und nicht mit dem Wie derselben zunächst zu thun hat. Auch war es nicht die mathematische Seite dieser neu aufgefundenen Rechnungsart, auf welche L. ausschließlich einen Werth legte. Die Schriften der ältesten Culturvölker zeigen deutlich, daß alle ihre Kenntnisse auf Zahlen zurückgeführt oder aus Zahlen abgeleitet wurden. Diese Zahlen, denen man eine so tiefe Bedeutung beilegte, scheinen aber keine andern zu sein, als die Fundamentalzahlen der Tetragramme, und das Alterthum hatte sich auch schon bemüht, aus den Tetragrammen die Naturgesetze abzuleiten, ja es wurde sogar die Behauptung aufgestellt, die Tetragramme bergen in ihren mathematisch en Eigenheiten den letzten Grund oder das mathematische Gesetz einer jeden Erscheinung. Daß sich in diesem Gebiete noch Anlaß zu weiteren Untersuchungen findet, ist selbstverständlich und L. setzt dieselben auch fort. Er hat seine bisherigen in einem Werke zusammengefaßt, welches unter dem Titel: „Ueber das Quadrat, die Grundlage aller Proportionalität in der Natur und das Quadrat aus der Zahl Sieben, die Uridee des menschlichen Körperbaues“ (Wien 1865, 4°.) erschienen ist. Er hat seine Forschungen nach dieser Richtung hin der kais. Akademie der Wissenschaften am 5. November 1863 vorgelegt, und sollen dieselben in den Acten der kais. Leopoldinisch-Karolinischen deutschen Akademie veröffentlicht werden. Von anderen im Drucke erschienenen Arbeiten L.’s ist dem Herausgeber noch bekannt die „Festrede über das Leben und Wirken des verstorbenen Herrn kais. Sanitätsrathes Dr. Leopold Anton Gölis, gehalten am 30. Mai 1864“ (Wien, 4°.). Liharžik’s Arbeiten haben in den höchsten Kreisen und in jenen der Wissenschaft mannigfache Würdigung erfahren. Belgien, Preußen und Nassau decorirten ihn. Seine kais. Hoheit der Herr Erzherzog Stephan forderte L., als dieser sich nach London zur Ausstellung begab, zu einem Besuch auf Schaumburg an der Lahn auf, um dort seine Forschungen, denen der kaiserliche Prinz, wie Allem, was Wissenschaft und Kunst bringen, eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmet, im mündlichen Vortrage darzustellen und manche Zweifel desselben aufzuhellen. Viele gelehrte Gesellschaften ehrten L. durch anerkennende Zuschriften, viele andere durch seine Aufnahme in die Zahl ihrer Mitglieder, wie u. a. die kais. geologische Reichsanstalt in Wien, die kais. naturforschende und kais. medicinisch-physikalische Gesellschaft zu Moskau, die kön. medicinisch-physikalische Gesellschaft zu Athen, die kais. Leopoldinisch-Karolinische deutsche Akademie der Wissenschaften, der er unter dem Namen Polykletus angehört u. m. a. In den Wintermonaten 1866 hielt L. mehrere öffentliche Vorträge über das magische Quadrat.
Liharžik, Franz (Arzt und Naturforscher, geb. zu Walachisch-Meseritz in Mähren 25. November 1813).- Das Vaterland (Wiener Parteiblatt) 1860, Nr. 101, und 1861, Nr. 297: „Wissenschaftliches Leben in Wien“. – Bayerische Zeitung (München, 4°.) 1863, Morgenblatt Nr. 91. – Der Korrespondent von und für Deutschland (Nürnberg, kl. Fol.) 1864, Nr. 434: „Das [190] Gesetz des Wachsthums und der Bau des Menschen“ (im Feuilleton).