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BLKÖ:Rokitansky, Karl

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Roliński, Martin
Band: 26 (1874), ab Seite: 288. (Quelle)
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Rokitansky, Karl (Arzt und Naturforscher, Begründer der berühmten „Wiener Schule“ in der Medicin, geb. zu Königgrätz in Böhmen 11. Februar 1804[BN 1]). Sein Vater Prokop R., aus Gitschin in Böhmen gebürtig, war Kreiscommissär in Leitmeritz und starb als solcher im Alter von 42 Jahren im Jahre 1813, nachdem er im Jahre 1810 von Kaiser Franz für seine Verdienste bei den im Jahre 1809 zur Organisation des Landsturmes in Böhmen getroffenen Vorbereitungen mit der großen goldenen Ehrenmedaille sammt Kette ausgezeichnet worden war. Seine Mutter Theresia war eine Tochter des Königgrätzer 1. Kreiscommissärs Wenzel Lodgman Ritter von Auen. – Der Sohn Karl besuchte die unteren Schulen und das Gymnasium in seiner Vaterstadt und in Leitmeritz und beendete seine wissenschaftliche Bildung, nachdem er sich dem Studium der Medicin zugewendet, an den Hochschulen zu Prag und Wien, an [289] welch letzterer R. im Jahre 1828 die Doctorwürde erlangte. Im nämlichen Jahre ernannte ihn auch Professor Wagner, welcher damals das pathologisch-anatomische Fach hatte, zu seinem Assistenten. Auf diesem Posten arbeitete R. in erster Zeit freilich ziemlich unbeachtet, mit einem Eifer und einer Sorgfalt ohne Gleichen, bei den anatomischen Untersuchungen. Er machte sich sonach als Arzt und Anatom bald so bemerkbar, daß er nach dem Tode Wagner’s im Jahre 1834[BN 1] zum außerordentlichen Professor der pathologischen Anatomie ernannt wurde und das mit dieser Professur verbundene Amt des gerichtlichen Anatomen für sämmtliche, in Wien von Gerichts wegen vorzunehmenden Leichenöffnungen erhielt. Um nun Rokitansky’s Thätigkeit und wissenschaftliche Bedeutung, die eine europäische ist, richtig zu würdigen und ganz zu verstehen, muß ein kurzer Blick auf die bisherigen Zustände in der Medicin, so weit sie die Grenzen einer Biographie nicht überschreiten, die aber doch ein treues, möglichst zutreffendes Bild des Mannes der Wissenschaft geben soll, entworfen werden. Bis vor Rokitansky fragte der Arzt – vielleicht Wenige ausgenommen, die aber damit nicht vorzutreten wagten – zu wenig darnach, wie die Erscheinungen am Kranken zu Stande kommen; man begnügte sich vielmehr damit, das äußerliche Beisammensein von Symptomen als eine besondere Krankheit aufzufassen. Diese Krankheitsformen betrachtete nun die praktische Medicin als Störungen im Lebensgange, der sich in den Nerven oder anderen Organen kundgab, ohne dabei die anatomischen Störungen und physiologischen Vorgänge, die eben die Grundlage jener krankhaften Aeußerungen sind, gehörig zu berücksichtigen. Man hatte nämlich Physiologie und Anatomie in der medicinischen Wissenschaft bisher viel zu wenig beachtet. Der Umschwung, der in den Naturwissenschaften sich vorzubereiten begann, mußte auch auf die Heilkunde seine Rückwirkung äußern. Selbst große Aerzte, wie der berühmte Kliniker Schönlein, zeigten noch große Hinneigung zur naturphilosophischen Anschauung, welche aber in einem Gebiete, auf welchem die strengste Objectivität geboten, immer hinderlich ist. Dieser naturphilosophische Einfluß war es also zunächst, der in der Naturwissenschaft nicht geradzu abgewiesen, aber doch auf ein bei weitem geringeres Maß zurückgeführt wurde, das ihm etwa zukommt. Was in den übrigen Gebieten der Naturwissenschaften allmälig zum Durchbruche gelangte, dieser Vorgang mußte sich endlich auch in der Heilkunde vollziehen. Der berühmte Physiolog Johannes Müller, und der Begründer der physiologischen Chemie, Justus Liebig, bereiteten diesen Umschwung auf zwei Gebieten der Naturwissenschaft vor und verhalfen der physikalischen und chemischen Erklärung der Lebensvorgänge zu ihrem Rechte. Zu ihnen – wenngleich unabhängig von ihnen – gesellte sich Rokitansky auf anatomischem Gebiete und mit ihm im Vereine mit Skoda, der die krankhaften Erscheinungen am Körper nach Auenbrugger’s, in Frankreich fortgebildeter, in Oesterreich aber vergessener und nun wieder aufgenommener Theorie der Percussion und nach Laennec’s[WS 1] Auscultation deutete und verwerthete, begann die neue Aera der Medicin, welche in der Wissenschaft als die sogenannte „Wiener Schule“ galt und zu großem Rufe gelangt ist. Die Art und Weise, wie eben Rokitansky sozusagen zum Führer der Wiener Schule wurde, beruht weniger auf der [290] Menge neu entdeckter Thatsachen, als viel mehr darin, daß es seinen zahllosen genauen und scharfsinnigen Beobachtungen gelang, mit Hilfe des Befundes im todten Körper den Vorgang und die Aufeinanderfolge der krankhaften Störungen im lebenden Körper zu erklären. Die Vergleichung verschiedener Entwickelungsstufen desselben Processes, die er bei seinen zahllosen Leichenöffnungen – im März 1866 beging R. die dreißigtausendste, durch ihn vorgenommene Leichensection festlich im Kreise mehrerer Freunde – aufgefunden hatte, setzte ihn in den Stand, die Nothwendigkeit des Ganges in den Veränderungen, sowie die Möglichkeit einer natürlichen Beseitigung und Ausgleichung des krankhaften Processes zu erörtern. Wenn nun ein solcher Vorgang, eine solche Betrachtungsweise sich Geltung verschafft, so gelangt der denkende Arzt dadurch zur genauen Kenntniß von dem unabweisbaren Verlaufe der Krankheit; er kann nun beurtheilen, ob er denselben zu hemmen, abzuändern oder doch zu mäßigen hoffen darf, er erfährt aber auch, wo und wann von selbst und ohne sein Zuthun Rückkehr zur Genesung zu erwarten ist. Alle diese Ergebnisse von vielen Tausend sorgfältigen Untersuchen am menschlichen Leichnam legte R. in seinem Werke über pathologische Anatomie nieder [die Titel seiner Schriften folgen auf S. 292], welches in der wissenschaftlichen Welt Epoche machte und in alle civilisirten Sprachen übertragen wurde. Dieses Werk hat um so größere Bedeutung, als dem Meister bis dahin nur wenig – Giovanbatt. Morgagni’s „Adversaria anatomica“ (1715 u. f.); – „De causis et sedibus morborum per anatomen indigatis, im Jahre 1761 erschienen, sind die Hauptwerke in dieser Richtung – vorgearbeitet worden, so daß er meist nur sein eigenes, sorgfältig zusammengetragenes Material bearbeiten mußte. Selbst in der Methode der Darstellung des Gegenstandes sah er sich auf sich selbst angewiesen, da ihm seine Vorgänger kaum brauchbares Material darboten, er mußte sich sozusagen eine neue Terminologie und einen eigenthümlichen Styl für das zu Beschreibende schaffen. Wie glücklich er darin gewesen, immer das rechte Wort zu finden, wie er ebenso originell als zweckmäßig den anatomischen Befund wiederzugeben verstanden hat, wurde von der Fachkritik allgemein anerkannt. Dabei war er für fremde Ansichten, wenn sie den seinigen widerstritten, nicht unzugänglich. Er der Erste, der, wo es sich um Feststellung positiver Thatsachen in der Wissenschaft handelte, das absolute in verba magistri jura über den Haufen geworfen, geberdete sich selbst für nichts weniger als unfehlbar, und als die von ihm aufgestellte und wissenschaftlich durchgeführte Ansicht über die verschiedenartigen Blutmischungen in Krankheiten, die sogenannte Krasenlehre, widerlegt wurde, gab er, nachdem er von der Unhaltbarkeit seiner Ansicht, die jedoch von seinen Schülern eben als Ausspruch des Meisters lange noch festgehalten und nachgebetet wurde, sich überzeugt, sie selbst auf und arbeitete die späteren Ausgaben seines Werkes in dieser Richtung vollends um. Dabei hat er durch Darstellung des Verlaufes der Krankheiten, wobei er sich nicht durch Unwesentliches irre machen läßt, namentlich das praktische Bedürfniß des Arztes fest im Auge behalten, und nicht etwa die ausschließliche Herrschaft der pathologischen Anatomie, da dieß endlich nur zu einer groben Emperie führen würde, proclamirt, sondern nur ihren Einfluß [291] in Verbindung mit der Physiologie, d. h. mit stetem Hinblicke auf die gesunden und abnormen Verrichtungen des Organismus zur Anerkennung zu bringen gesucht. In einem in der feierlichen Sitzung der kais. Akademie der Wissenschaften im Mai 1858 gehaltenem Vortrage: „Zur Orientirung über Medicin und deren Praxis“ hat er gleichsam ein Programm seiner Tendenzen gegeben, auf welches für alle Jene hingewiesen wird, die sich über dasselbe genau unterrichten wollen. Rokitansky hatte die Vorstudien zu seinem epochemachenden Werke in einer unscheinbaren, auf das Dürftigste ausgestatteten Leichenkammer des Wiener allgemeinen Krankenhauses vorgenommen. Und dieselbe wurde, als man die Bedeutung und Größe des Meisters erkannt hatte, bald der Zielpunct der Wanderungen wissensdurstiger Scholaren aus allen Weltgegenden. Der Meister sah aber bald, daß eine solche Unterbringung weder seiner, noch der Wissenschaft, die er vortrug; noch der pathologisch-anatomischen Präparate, die bald eine Sammlung, die nicht ihres Gleichen hatte, bildeten, würdig sei. Den ersten Anstoß zu einer Aenderung dieser Thatsachen gab die Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Wien im Jahre 1858, in welcher ausgesprochen wurde, es sei für die Residenz und die alte Universität nicht ehrenvoll, das Kostbarste, was sie in Bezug auf Heilkunde besitze, um welches sie alle anderen Hochschulen beneiden dürften, das in seiner Art einzige Cabinet der pathologischen Anatomie in einem Raume aufgestellt zu sehen, der eher für ein Kohlenmagazin als für eine wissenschaftliche Sammlung dieser Art passe. Der Anstoß war nun gegeben, und nun strebte der Meister darnach, die Mittel zu einem anatomischen Museum mit dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechenden Oertlichkeiten zu erhalten. Nach langen Mühen und Kämpfen wurde endlich im Jahre 1858 der Neubau beschlossen und im Jahre 1862 wurde das vollkommen mit aller Munificenz durch Staatsmittel und Spenden mehrerer Professoren eingerichtete Haus dem öffentlichen Wohle übergeben. Das Gebäude, dessen nähere Beschreibung die Waldheim’sche „Illustrirte Zeitung“ 1862, Nr. 27, enthält, steht mit dem allgemeinen Krankenhause in Verbindung und trägt an seiner Stirne in goldenen Lettern die dem Titel der oberwähnten Schrift Morgagni’s nachgebildete Aufschrift: „Indagandis sedibus et causis morborum“ [der Forschung nach dem Sitze und den Ursachen der Krankheiten gewidmet]. Die Rede, mit welcher der gelehrte Arzt seine Vorträge in dem neuen Gebäude eröffnete, machte ungeheures Aufsehen. Rokitansky forderte in derselben „Freiheit der Forschung“ als das höchste Postulat, denn „wo der Gelehrte ein Knecht ist, kann keine Freiheit sein“. Er bekannte sich in seinem Vortrage offen zum Materialismus in der Wissenschaft, zu jenem, welcher Alles, was er nicht mit seinen Sinnen zu fassen und zu beweisen vermag, in das Reich des Glaubens verweise, aber für sich nur mit authentischen Thatsachen zu thun habe. Die Gegner des großen Meisters suchten aus diesem freimüthigen Ausspruche für ihre Zwecke und Machinationen Capital zu schlagen. Die Antwort auf diese hyperloyalen Bemühungen war überraschend. Nachdem der Medicinal-Referent im Ministerium für Cultus und Unterricht gestorben, wurde R. im Jahre 1863 an dessen Stelle berufen. Es bleibt noch übrig eine Uebersicht der wissenschaftlichen Arbeiten [292] R.’s zu geben. Diese sind: „Handbuch der pathologischen Anatomie“, 3 Bände (Wien 1841 u. f., Braumüller; 3. umgearbeitete Aufl. 1855–1861, mit 180 Holzschnitten im Texte, gr. 8°.). Rokitansky’s Hauptwerk, in alle gebildeten Sprachen übersetzt; – „Die Conformität der Universitäten, mit Rücksicht auf gegenwärtige österreichische Zustände“ (Wien 1863, Sallmayer, gr. 8°.); – „Zeitfragen, betreffend die Universität, mit besonderer Beziehung auf die Medicin“ (ebd. 1863, gr. 8°.); – „Der selbständige Werth des Wissens. Vortrag, gehalten in der feierlichen Sitzung der kais. Akademie der Wissenschaften am 31. Mai 1867“ (Wien 1867, Gerold, 8°.; zweite Aufl. ebd. 1869, 8°.); – „Die Solidarität alles Thierlebens. Vortrag, gehalten u. s. w. am 31. Mai 1869“ (ebd. 1869, 8°.); – aus den Denkschriften math. naturw. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften besonders abgedruckt: „Zur Anatomie des Kropfes“. Mit 1 Taf. (Wien, 4°.); – „Ueber die Cyste“. Mit 5 Taf. (ebd., 4°.); – „Ueber einige der wichtigsten Krankheiten der Arterien“. Mit 23 col. Taf. (ebd., 4°.); – aus den Sitzungsberichten math. naturw. Classe besonders abgedruckt: „Ueber die Entwickelung der Krebsgerüste mit Hinblick auf das Wesen und die Entwickelung anderer Maschenwerke“. Mit 2 Taf. (Wien, 8°.); – „Ueber den Zottenkrebs“. Mit 1 Taf. (ebd., 8°.); – „Ueber den Gallertkrebs mit Hinblick auf die gutartigen Gallertgeschwülste“. Mit 3 Taf. (ebd., 8°.), – „Ueber die pathologische Neubildung von Brustdrüsentextur und ihre Beziehung zum Chrystosarcom“. Mit 2 Taf. (ebd., 8°.); – „Ueber das Auswachsen der Bindegewebs-Substanzen und die Beziehung desselben zur Entzündung“. Mit 1 Taf. (ebd., 8°.); – „Ueber Bindegewebs-Wucherung im Nerven-System“ (ebd., 8°.); – in den medicinischen Jahrbüchern des österreichischen Kaiserstaates, in der neuesten Folge, im 10. Bande: „Ueber innere Darmeinschnürung“; – im 14. Bande: „Ueber Darmeinschiebung“; – im 15. Bande: „Ueber die Knochenneubildung auf der inneren Schädelfläche Schwangerer“; – im 16. Bande: „Ueber spontane Zerreißung der Aorta“; – ebenda: „Ueber die divertikelähnliche Erweiterung des Luftröhrencanals“; – im 17. Bande: „Ueber die sogenannten Verdoppelungen des Uterus“; – ebenda: „Ueber Combination und wechselseitige Ausschließung verschiedener Krankheitsprocesse nach Beobachtungen an der Leiche“; – im 18. Bande: „Ueber Stricturen des Darmcanals und andere der Obstipation und dem Ileus zu Grunde liegenden Krankheitszustände“; – ebenda: „Ueber das perforirende Magengeschwür“; – im 19. Bande: „Beiträge zur Kenntniß der Rückgratskrümmungen und der mit denselben zusammentreffenden Abweichungen des Brustkorbs und des Beckens“; – ebenda: „Beiträge zur Charakteristik dyskrasischer Entzündung und Vereiterung am macerirten Knochen“; – im 20. Bande: „Der dysenterische Proceß auf dem Dickdarme und der ihm gleiche am Uterus, vom anatomischen Gesichtspuncte beleuchtet“; – ebenda: „Skizze der Größen und Formabweichungen der Leber“; – im 21. Bande: „Drei merkwürdige Fälle von Erkrankung des Pharynx und Oesophagus“; – im 24. Bande: „Bemerkungen und Zusätze, betreffend die faserstoffigen Gerinnungen in den Herzhöhlen, die Verknöcherung der Klappen und die fettige Entartung des Herzfleisches“; – in der Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte in Wien, im 5. Jahrgange (1848): „Beiträge zur Kenntniß der Verknöcherungsprocesse“, – und ebenda: „Pathologisch-anatomische [293] Beobachtungen“; – und im 7. Jahrg (1851): „Ueber die dentritischen Vegetationen auf Synovialhäuten“. Ferner hat R. zu der von Donat. Aug. Lang ausgeführten Bearbeitung von James R. Benett’s „Der hitzige Wasserkopf, seine Ursachen, Natur, Diagnose und Behandlung“ (Wien 1844, gr. 8°.) und zu Joh. Mayer’s Uebersetzung des Werkes von Rob. Christison: „Ueber die Granular-Entartung der Nieren und ihre Verbindung mit Wassersucht, Entzündungen und andere Krankheiten“ (Wien 1841, Gerold, gr. 8°.) anatomisch-pathologische Zusätze und Anmerkungen beigefügt. Obgleich R., wie bemerkt worden, am 28. April 1863 in das damalige Staatsministerium berufen worden und noch jetzt in der Eigenschaft eines Hofrathes im Ministerium für Cultus und Unterricht arbeitet, so hat er doch seine Professur beibehalten und erfreuen sich die Vorträge des „Vater Roki“, wie er in Studentenkreisen genannt wird, nach wie vor ungeschmälerter Theilnahme. Diese so einflußreiche Thätigkeit des gelehrten Forschers hat sowohl von Seite des Staates, wie von jener der Wissenschaft im In- und Auslande die verdiente Anerkennung gefunden. Er wurde als Professor zuerst zum k. k. Regierungsrathe, später zum Hofrathe ernannt. Auch wurde er in das Herrenhaus des österreichischen Reichsrathes als lebenslängliches Mitglied berufen und hat als Mitglied der liberalen Partei in wichtigen Fragen immer zu Gunsten des Fortschritts, öfters in zündender Weise gesprochen. Vor Jahren bereits mit der großen goldenen Medaille pro litteris et artibus ausgezeichnet, wurde ihm später das Ritterkreuz und zuletzt im Jänner 1871 das Commandeurkreuz mit dem Stern des Franz Joseph-Ordens verliehen. Seit 21. Juli 1869 fungirt R. als Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, deren wirkliches Mitglied in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe er bereits seit 17. Juli 1848 ist. Die Prager Hochschule hat ihm im Jahre 1848 das Ehrendoctorat verliehen. Von den zahlreichen gelehrten Akademien des In- und Auslandes, welche der Almanach der Akademie für 1859, S. 77, aufzählt, sind zu nennen die Pariser Akademie der Wissenschaften, welche ihn im Juni 1870 unter ihre Mitglieder aufnahm, die kön. medicinisch-chirurgische Gesellschaft zu London, die amerikanische Academy of arts and sciences zu Boston, die kön. Akademie, der Wissenschaften zu Stockholm, und als im Februar 1870 in Wien der anthropologische Verein sich constituirte, wurde R. von demselben zum Präsidenten gewählt. – Es bleiben nur mehr einige Worte über die Familie des Gelehrten zu sagen übrig. Im Jahre 1834 vermälte sich R. mit Marie Weis in Wien. Dieses Ehebündniß war zugleich ein Geisterbündniß und hat in der wohlthuendsten Weise anregend auf R.’s Leben eingewirkt. In Marie R. vereinigt sich eine merkwürdige Gruppe der vielseitigsten und verschiedenartigsten Talente. Von der Natur mit einer herrlichen Stimme, zugleich aber auch mit einem gediegenen musikalischen Sinne begabt, ward sie eine Sängerin, welcher der Ruhm und die Vortheile der ersten Gesangskünstlerin zugefallen sein würden, wenn sie nicht, den stillen Frieden des Familienlebens vorziehend, freiwillig darauf verzichtet hätte. Ihr Sprachtalent ist ein außerordentliches; ohne Mühe und scholastisches Exerciren bemächtigt sie sich spielend jedes Idioms und spricht die gangbaren lebenden [294] Sprachen nicht blos mit einer Sicherheit, sondern auch mit einer Eleganz und einem Wohllaute, als hätte sie alle zugleich mit der Muttermilch eingesogen. Nebstdem eine Tänzerin ersten Ranges, welche jedem großen Ballete Ehre gemacht haben würde, ist sie Meisterin in weiblichen Arbeiten. Doch all’ diese Vielseitigkeit, die verlockende Aussicht auf Glanz und Berühmtheit, hat sie niemals von dem einen schönen Ziele ihres Lebens abgelenkt, dem der vortrefflichen Gattin, Mutter und Hausfrau. Ihr Sprachtalent ist beinahe in gleichem Maße auf jeden ihrer vier Söhne, ihr musikalischer Genius vorzugsweise auf die beiden älteren Söhne, Hans und Victor, übergegangen. – Hans (geb. 1835), im Besitze einer Baßstimme von Mark, Kraft, Ton und Schönheit, wie sie nur höchst selten angetroffen wird, bildete sich nach classischen Mustern; sein Gesang trägt daher durchaus das Gepräge des Adels, der Gediegenheit, die im berechtigten Gefühle ihrer Würde sich von kleinen Künsten frei hält. Er ist eine der ersten Zierden des Hof-Operntheaters zu Wien und wirkt dabei als Professor am Conservatorium durch Lehre und Beispiel. Seine Gattin, Therese R., ist eine Enkelin und auch im Puncte des Gesanges eine Erbin des gefeierten Lablache; ihr reizender Liedervortrag bildet ein Glied in jener Kette des Schönen, die sich um den R.’schen Familienkreis schlingt. – Victor R., von der Natur ebenfalls zum Sänger bestimmt und mit vortrefflichen Mitteln ausgestattet, hat es vorgezogen, sich als Gesangslehrer Verdienste zu sammeln und erzieht tüchtige Schüler. – Karl R., der dritte Sohn, ist Doctor der Medicin; seine Collegen rühmen seine soliden Kenntnisse und seine kunstreiche Hand im Fache der Geburtshilfe. Seine Gattin Gabriele, Tochter des Advocaten Sterger in Gratz, hatte sich bereits zur trefflichen Sängerin ausgebildet, als auch sie den Besitz des häusliches Glückes dem Berufe der Kunst vorzog. – Der jüngste Sohn endlich, Prokop R. (geb. 1843), ebenfalls Doctor der Medicin, verwerthet jede Stunde, welche seine täglich wachsende Praxis ihm übrig läßt, zu gewissenhaften Forschungen; sein mit großem Beifalle aufgenommener erster öffentlicher Vortrag, welchen er im October 1873 in der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien über Athmungs-Nervencentra hielt, gab einen Vorgeschmack dessen, was die Wissenschaft sich künftig von ihm versprechen darf. Wie sein Vater, ist er mit einer Marie Weis, einer Bruderstochter seiner Mutter, verheirathet, und diese jüngere Marie R. erinnert, wie durch den Namen, so durch Geist und Liebenswürdigkeit an ihre Tante-Schwiegermutter.

Waldheim’s Illustrirte Zeitung (Wien, kl. Fol.) 1862, Nr. 27. – Ueber Land und Meer (Stuttgart, Hallberger, kl. Fol. XV. Bd. (1866), Nr. 20: „Gallerie berühmter Aerzte. IV.“ – Allgemeine Familien-Zeitung (Stuttgart, Schönlein, Fol.) 1872, Nr. 47, S. 898. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1868, Nr. 91, im Feuilleton. – Wanderer (Wiener polit. Blatt) 1868, Nr. 134, im „gereimten“ Tagesbericht. – Aquarellen aus den beiden Reichsstuben. Von J. J. K.(rasnigg) (Wien 1868. R. v. Waldheim, 8°.) Erste Serie, S. 54; zweite Serie, S. 36, 41, 42, 43. – Osvěta, d. i. die Aufklärung (Prager illustr. Blatt, 4°.) 1863, Nr. 29. – Posel z Prahy. Kalendář na r. 1865, d. i. der Bote von Prag Kalender auf 1865, S. 72. – Porträte. 1) Dauthage lithogr. (Wien, Bermann, Fol.); – 2) Kaiser lith. (Wien, Neumann, Fol.); – 3) gestochen von Jacoby (Wien 1870); – 4) Holzschnitt von Ruzs in der Neuen illustrirten Zeitung. Herausgegeben von Johann Nordmann (Wien, Fol.) 1873, Nr. 37; – 5) Bildniß von C. v. Stur im Floh 1873, Nr. 58; – Bildnisse im Holzschnitt [295] enthalten auch die oben angeführten Nummern der Waldheim’schen „Illustrirten Zeitung“, der „Allgemeinen Familien-Zeitung“ und von „Ueber Land und Meer“. – Büste. Bildhauer Gasser hat Rokitansky’s Büste in Marmor ausgeführt. Dieselbe wurde im Jahre 1860 im October in der neuen pathologisch-anatomischen Anstalt in feierlicher Weise enthüllt.

Berichtigungen und Nachträge

  1. a b E Rokitansky, Karl [s. S. 288 dies. Bds.] Das in verschiedenen Quellen angegebene Geburtsdatum 11. Februar 1804 ist unrichtig. R. ist am 19. Februar 1804 geboren und begeht am 19. Februar 1874 seinen 70. Geburtstag, aus welchem Anlasse eine Rokitansky-Feier stattfinden soll. Ferner ist in einigen Exemplaren auf S. 289, I. Spalte, Zeile 13 von oben, die Jahreszahl 1843 in 1834 zu berichtigen. Im Uebrigen wird auf die anläßlich der Rokitansky-Feier erschienene Festschrift des Herausgebers dieses Lexikons gewiesen, welche den einfachen Titel Rokitansky führt und mehrere, namentlich seine wissenschaftliche Thätigkeit betreffende Ergänzungen enthält. Der Ertrag der Festschrift wurde zu einem Reisestipendium für einen Doctoranden der Medicin, den das Rokitansky-Festcomité präsentiren wird, bestimmt. [Band 26, S. 400]

Anmerkungen (Wikisource)