BLKÖ:Rothschild, Nathan Maier von
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 27 (1874), ab Seite: 136. (Quelle) | |||
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Maier Anselm’s [s. d. Nr. 13]. Nachdem er mehrere Jahre im Geschäfte seines Vaters gearbeitet, kam er im Jahre 1800, nach Anderen schon 1798, nach England, wo er in Manchester ein Comptoir eröffnete und als Agent für die Waaren seines Vaters thätig war. Als sein Vater immer größere Geldoperationen unternahm, war ihm Nathan mit großem Scharfsinne theils in der Anlage, Unterbringung und Verwerthung der großen Capitalien, theils in Rathschlägen, welche ihm bei der genauen Kenntniß des englischen Geldmarktes möglich waren, in ersprießlichster Weise behilflich, und nachdem sein jüngster Bruder James in Paris sich niedergelassen, nahm Nathan in London seinen bleibenden Aufenthalt und erhob sein Bankhaus bald zum ersten im dreieinigen Königreiche. Eine Geschichte seiner großartigen Geschäfte schreiben, wäre für die Finanzgeschichte Europa’s, in welcher Nathan und seine Brüder ein halbes Jahrhundert hindurch unbestritten die erste Rolle spielen, eine wichtige, nützliche, aber auch sehr umfassende Arbeit, vorausgesetzt, daß sie volle Wahrheit enthielte; in diesem Lexikon können kaum Andeutungen gegeben und sich zunächst nur auf die Quellen bezogen werden, die, wenn auch kein erschöpfendes, so doch ein reiches Materiale darbieten und wohl auch Fingerzeige enthalten, wo noch weitere Nachweise zu finden wären. Nathan stand, was Unternehmungsgeist und Scharfsinn, insbesondere aber einen tief dringenden Blick in die politischen Verhältnisse und Complicationen seiner Zeit betrifft, über seinen Brüdern, die auch [137] seinem Urtheile bei allen ihren Unternehmungen vertrauten und ihn, seiner Superiorität sich fügend, als das bewegende Princip der großen Capitalmasse, welche sie repräsentirten, anerkannten. Nathan R. hat eigentlich der Erste fremde Anlehen in England, eingeführt, und wenn er dabei einige Male in nicht geringe Verlegenheiten gerieth, ja, ein paar Male ihm aus seinen Unternehmungen offenbare Nachtheile erwuchsen, so hatte er sich eben durch die reelle Weise, in welcher er unter allen Umständen seine Geschäfte abwickelte, jenen unbegrenzten Credit erworben, der ihn dann leicht in die Lage setzte, sich für seine Verluste zu entschädigen. Es geschah mehrere Male, daß die Dividenden, die er zu leisten hatte, nicht zu rechter Zeit einliefen. In solchem Falle nahm er seine eigenen Mittel in Anspruch, um die nöthigen Vorschüsse zu leisten. Großer Nachtheil erwuchs ihm aus der Lord Bexlay’s Anleihe, bei welcher er nicht weniger denn 300.000 Pfund Sterling verloren haben soll; auch bei den französischen Anlehen zur Zeit der französischen Invasion in Spanien im Jahre 1823, bei denen er stark engagirt war, half er sich nur durch seine eigenen Ressourcen, so daß sein ganzer Gewinn darin bestand, keinen eigentlichen Verlust erlitten zu haben. Dann bei der französischen vierpercentigen Anlehe, welche er kurz vor den Julitagen mit Herrn von Polignac abgeschlossen hatte, und welche nachher 20–30 Percent und noch tiefer sank, hatte er sich erst lange darnach einigermaßen erholt, aber von einem Nutzen war auch dabei keine Rede. Durch die feste Haltung aber in diesen verunglückten Geschäften wuchs eben das Ansehen seines Hauses derart, daß alle Staaten, welche Geld bedurften, gleichsam darnach geizten, seine Mitwirkung zu erlangen, und Nathan Rothschild war auch geneigt, mit Allen Geschäfte abzuschließen, nur nicht mit Spanien und jenen amerikanischen Staaten, welche vordem spanische Colonien gewesen. Seit dem Jahre 1820 war Nathan R. österreichischer Consul, wurde im Jahre 1822 General-Consul und im nämlichen Jahre von Kaiser Franz I., wie es im Diplome wörtlich steht: „in Rücksicht der sich um Meinen Staat erworbenen Verdienste“ in den Freiherrnstand erhoben. Ueber seinen Charakter als Mensch ist viel geschrieben worden, aber Alles stimmt darin, daß er „Kaufmann höheren Styles von reinstem Wasser“, ferner in der Anerkennung seines reellen Wesens und in der Würdigung seiner vielen vortrefflichen Eigenschaften überein. Im Jahre 1806 verheirathete sich Nathan mit Hannah, der dritten Tochter des Herrn Levi Barnett Cohen, und obgleich Nathan damals schon, was man zu sagen pflegt, ein gemachter Mann war, so stand der Vater der Braut doch an, sein Jawort zu dieser Verbindung zu geben. Und als Cohen in seiner Unschlüssigkeit beharrte, meinte einer seiner Freunde, er könne, wenn er noch so viele Töchter hätte und er bei seinem Schwiegersohne auf Geld und guten Charakter sähe, am Ende doch nichts Besseres thun, als alle an Nathan Maier Rothschild verheirathen. Dieser jocose Rath scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn Cohen machte weiter keine Einwendungen. Nathan litt seit Jahren an einem Leiden, von dem Alle, die darum wußten, besorgten, daß es ihn dahinraffen werde. Einmal unterwarf er sich einer sehr schmerzhaften Operation, welche er standhaft aushielt und welche der berühmte Chirurg Liston ausgeführt hatte. Nachdem die Operation zu Ende, sagte Nathan zu Dr. Liston: „Und Sie verlangen wohl gar, daß ich Sie für den Schmerz, den Sie mir verursacht, auch noch bezahle. Sie irren sich aber sehr. Ich geben Ihnen nur dieses kleine Andenken“, und mit diesen Worten warf er ihm die Nachtmütze zu. Liston, der die Spässe seines Patienten kannte, fing die Nachtmütze auf und steckte sie ein. Als er nach Hause kam und sie genauer besah, fand er eine Tausendpfundnote darin. Solcher gutmüthiger Züge erzählt man sich viele von Nathan. Aber die Kunst der Aerzte scheiterte an seinem Leiden. Als er im Sommer 1836 nach Frankfurt reiste, um der Hochzeit seines ältesten Sohnes Lionel mit Charlotte, der Tochter seines jüngeren Bruders Karl Maier, beizuwohnen, befiel ihn während der Dauer des Familiencongresses sein Leiden. Er sollte, wie er es geahnt, London nicht wieder sehen. Der berühmte Arzt Travers eilte aus England herbei, aber auch er konnte nicht helfen. Nathan starb in Frankfurt im Alter von 59 Jahren. Eine Brieftaube, die in Brighton geschossen wurde, hatte einen Zettel mit den Worten: „Il est mort“ bei sich, die sogleich verstanden wurden. Er war es eben, der sich der Taubenpost zu seinen Speculationen längst bediente. Als im Juli 1830 das englische Ministerium eine Störung des Weltfriedens gar nicht ahnte, erhielt [138] Nathan durch Brieftauben Nachricht vom Ausbruche der Pariser Revolution, traf an der Börse sofort seine Maßregeln und begab sich dann zu Lord Aberdeen, damaligen Minister des Auswärtigen, um ihm das Ereigniß, der Erste, bekannt zu geben. Seine Leiche wurde nach London überführt und am 8. August auf das Feierlichste bestattet. Sein Grab befindet sich auf dem der großen deutschen Synagoge auf Dukes Place gehörigen Friedhofe. Aus seiner Ehe mit Johanna Barnet Cohen hinterließ er vier Söhne und drei Töchter. Einen Auszug seines interessanten Testamentes brachte das „Frankfurter Konversationsblatt“ 1837, Nr. 170, 171 u. 172. Diese kurze Skizze möge mit Gutzkow’s anerkannter Charakteristik schließen: „Nathan in London repräsentirt vortrefflich Sitte, Gesinnung und Reichthum der City. Er packt seine Unternehmungen mit einer Riesenfaust. An ihm ist Alles kolossal. Ein Freund von mir sagte neulich über diesen Mann: „Geht er auf die Jagd, so müssen es wenigstens Elephanten sein, die er erlegt“. Kann man dem Bilde trauen, welches Fürst Pückler-Muskau in leisen Zügen von Nathan Rothschild entwirft, so ist er ein jovialer Mann, der im Stande ist, sich über seine Stellung zu erheben und eine Unbefangenheit zu äußern, welche sogar über sich selbst scherzt. Nur läßt es der sarkastische Fürst unentschieden, ob Nathan, wenn er sich etwas breit mit seinem Reichthume entfaltet, mehr der unbewußten naiven Freude über sein Glück sich ergibt, oder ob er sich, wie wohl große Männer und Genie’s thun, aus Bonhomie selbst wie ein wunderherrliches Object betrachtet. Schließlich sei noch bemerkt, daß Nathan im Bewußtsein, daß es genug sei Rothschild zu sein, nie von der ihm zugleich mit seinen Brüdern zu Theil gewordenen Standeserhebung Gebrauch gemacht und – ganz Engländer – nie einen der ihm verliehenen Orden getragen hat. – Von seinen vorerwähnten vier Söhnen sind besonders bemerkenswerth: Lionel [S. 131, Nr. 11] und Maier (geb. 29. Juni 1818, gest. 6. Februar 1874) vermält mit einer Nichte seiner Mutter, einer gebornen Cohen, die ihm nur eine Tochter Hannah gebar. Seit 1859 gehörte Maier dem Unterhause als Vertreter von Hythe an; als solcher stimmte er für Whigs. Er war zuletzt Chef des Londoner Hauses der Weltfirma Rothschild. Seine Leidenschaft übrigens war der Sport und zählte er zu den tonangebendsten Mitgliedern des Jokeyclubbs. Er hinterließ ein kolossales, meist von seinem Vater ererbtes Vermögen, über dessen Ursprung das „Neue Wiener Tagblatt“ 1874, Nr. 38, eine interessante. vielleicht doch etwas sensationsartige Mittheilung bringt. [The Annual Biography and Obituary (London, 8°.) Vol. XXI (1837) (enthält eine interessante Lebensskizze Nathan M. Rothschild’s, welche deutsch in die von Dr. F. Bran herausgegebenen „Miszellen aus der neuesten ausländischen Literatur“ erschienen ist). – Didaskalia (Frankfurter Unterhaltungsblatt, 4°.) 1861, Nr. 19: „Spohr und Rothschild“ (auch in der Breslauer Zeitung 1861, Nr. 23, u. in and. Blättern). – Ergänzungsblätter. Herausg. von Dr. Fr. Steger (Leipzig und Meißen, Lex. 8°.) Bd. VI, S. 693–696. – Frankfurter Konversationsblatt (4°.) 1837, Nr. 168 bis 173: „Nathan Maier Rothschild“. – Das Haus Rothschild. Seine Geschichte und seine Geschäfte u. s. w. (Prag und Leipzig 1857, I. L. Kober, 8°.) Bd. I, S. 206 bis 258: „Das Rothschild’sche Etablissement zu London“. – Neue freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 587, im Feuilleton: „Handelsfürsten vom Hause Israel“, von Julius Rodenberg. – Politik (Prager Parteiblatt) 1868, Nr. 64 u. f., im Feuilleton: „Die Dynastie Rothschild“ (behandelt vornehmlich Nathan M. Rothschild und ist oft nachgedruckt, z. B. in der Gratzer Tagespost 1868, Nr. 56, im Wiener Telegraf 1868, Nr. 59, u. a. Bl.). – Treskow (A.), Biographische Notizen über Nathan Maier Rothschild nebst seinem Testamente (Quedlinburg 1837, 8°.), – Die Waage. Ein Blatt für sociale Interessen (Prag, 8°.) 1850, Nr. 24 bis 28: „Züge aus dem Leben Nathan Maier Rothschild’s“. – Wiener Mittheilungen. Zeitschritt für israelitische Culturzustände. Herausgegeben von Dr. M. Letteris (4°.) 1855, Nr. 36–39: „Jüdische Finanziers in England“, von J. Heski. – Ferner enthalten die „Memoirs of Sir Thomas Fowell Buxton“ (Loudon 1848); die „Chronicles und Characters of the Stock Exchange“, by Francis, und die „Geschichte der Juden in England“, von Margoliouth, mehrere interessante Züge aus dem Leben Nathan Maier Rothschild’s. – Porträt. Holzschnitt von mit der Unterschrift: „Nathan Maier Rothschild Esq. (dritter Sohn des alten Maier Amschel R.), Gründer des Hauses R. [139] M. Rothschild in London. Noch einem englischen lithogr. Bildnisse aus den Zwanziger Jahren“, auf S. 575 des Werkes von Franz Otto: „Das Buch berühmter Kaufleute oder der Kaufmann zu allen Zeiten“ (Leipzig und Berlin, zweiter u. verm. Abdruck 1870, Otto Spamer, gr. 8°.) (ein origineller, ungemein charakteristischer Kopf, der eine Stelle in Lavater’s Physiognomik gefunden hätte, wenn er damals schon vorhanden gewesen wäre). – Medaille auf Nathan Maier Freih. v. Rothschild. Anläßlich seines am 28. Juli 1836 erfolgten Todes wurde auf Baron Nathan nachstehende Medaille geprägt. Die Aversseite zeigt den in Profil gestellten rechtsgekehrten – sehr ähnlichen – Kopf mit Halsabschnitt, an welchem sich die Buchstaben A und M befinden. Die Umschrift ist: Nathan Mayer Rothschild. Unter dem Kopfe liest man: Pub. By. Hyam. Hyams. Auf der Reversseite liest man: Nummis | Maximus | Reperitur | –*– | Ob. Jul. XXVIII. MDCCCXXXVI. Durchmesser 271/2 Linie. Eine Abbildung der Denkmünze befindet sich im „Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst“ (Frankfurt a. M., Schmerber, gr. 8°.) VII. Heft (1855), auf Tafel VI, Nr. 6.]
15. Nathan Maier von Rothschild (geb. zu Frankfurt a. M. 16. September 1777, gest. ebenda 28. Juli 1836). Der drittälteste Sohn