BLKÖ:Schütte, Anton
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 32 (1876), ab Seite: 127. (Quelle) | |||
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Mahler und seiner Collegen im „Freimüthigen“, die ihm in ihrem Blatte eine begeisterte Standrede hielten. In den meisten Clubs, denn er war überall, hatte er sich durch sein unbestreitbares Rednertalent bemerkbar, bei Allen aber, die ruhigen Blickes die sich überstürzenden Ereignisse verfolgten, verdächtig gemacht. Einige hielten ihn für einen verkappten Jesuiten, Andere für einen russischen Emissär, wieder Andere für einen vom hohen Adel bezahlten Revolutionär, endlich Einige für einen Agenten der Republik. Er hatte sich durch Gott weiß welche Künste in den damaligen Schriftsteller-Verein eingeschmuggelt, und Adolph Schmidl [s. d. Bd. XXX, S. 199], der den Kumpan bald durchgeblickt, beantragte seine Ausstoßung. Dieser Antrag, damals von einem Loyalen gestellt, genügte, um Schütte’s Mitgliedschaft im Schriftsteller-Verein erst recht zu sichern. Durch die unheilvollen Wirren des J. 1848 tauchte der Name des Dr. Schütte immer wieder auf. Galt es, ein Ministerium oder Personen zu stürzen, die eine hohe, wichtige Stelle bekleideten, wie Hoyos, Ficquelmont, Taaffe, da war es Dr. Schütte, der im ehemaligen Odeon Adressen vorschlug, welche diese Absetzung forderten; für die augenblickliche Einberufung des Reichstages hatte Dr. Schütte mit aller Kraft agitirt; bei der Aufwiegelung der Arbeiter, welche am 17. April zu einer allgemeinen, nach Tausenden zählenden Versammlung auf dem Josephstädter Glacis einberufen waren, hatte eben Dr. Schütte eine großartige Thätigkeit entwickelt. Ueberall war er dabei, überall nannte man seinen Namen; Grüner in seiner „Geschichte der October-Revolution“ (Leipzig 1849, Köhler, kl. 8°.) schreibt von Schütte: „er war bald da, bald dort zu sehen und schlüpfte wie ein Aal überall durch“. Um die Mitte der Apriltage, 17. oder 18. April, verlautete es, Schütte habe eine Vorladung zur Polizei erhalten, sei dahin gegangen und – seit dieser Zeit nicht gesehen worden. Nun ging es erst los. Sofort begab sich eine Deputation zu Pillersdorf, welche die Freigebung des Abenteurers verlangte. Er war aber bereits aus Wien ausgewiesen worden. Von Dresden aus sandte er eine vom 1. Juni datirte, seine Ausweisung betreffende Erklärung. Als die Wogen der Revolution höher gingen [128] und Jeder nach Wien kam und aus Wien ging, wie er wollte, ohne nach Paß oder sonst etwas gefragt zu werden, mußte Schütte neuerdings nach Wien zurückgekehrt sein, da seine Fluchtgeschichte, die allerdings sehr abenteuerlich klingt, zu jener Zeit vielfach erzählt und in den Journalen berichtet wurde. Nachdem am 1. November Wien von den kaiserlichen Truppen genommen war und nun die Suche nach den Aufwieglern begann, wurde auch auf Schütte auf das Schärfste gefahndet. Er entkam aber in genug abenteuerlicher Weise. Man hatte das Haus, wo er sich befand, vom Boden bis zum Keller durchsucht. Versteckt im Canapé, auf dem die Frau des Hauses saß, hörte er alle Fragen, die ihr vorgelegt wurden. Als man nichts fand und die Anzeige eintraf, daß er bestimmt in diesem Hause sich befinde, worauf eine neue Durchsuchung angeordnet wurde, war das Versteck nicht mehr haltbar. Es galt nun neue Flucht und ein anderes Asyl. Aber das war nicht leicht in einer Stadt, in welcher es von Soldaten wimmelte und die Angeber wie Pilze aus der Erde schossen. Niemand wußte Rath zu schaffen, da sagte Dr. Schütte: man solle ihm nur den Mantel und den Hut eines Croaten verschaffen und das Uebrige ihm überlassen. Aber Niemand getraut sich, diesen Auftrag auszuführen. Bei hellem Tage begibt sich nun Schütte selbst auf die Straße, nähert sich dem ersten Croaten, den er erblickt, und kauft ihm auf offener Straße seinen Mantel ab. Nun kehrt er in das Haus zurück, vollendet daselbst seine Verkleidung und geht so als Soldat des Banus durch die Stadt. Er gelangt glücklich in die Leopoldstadt, dort kehrt er ein und macht sich seinen weiteren Plan zurecht, denn in Wien war sein Bleiben unmöglich; aber wie aus der Stadt kommen? Er zieht die Croatenkleidung aus, verschafft sich andere Gewänder, geht nach Florisdorf und präsentirt sich dort als Reichstags-Deputirter. Man verlangt seinen Paß. Ich habe keinen Paß, ich bin der Reichstags-Deputirte Schützenberger und gehe nach Kremsier zum Reichstage. Man erhebt weiter keinen Anstand und der Train fährt ab. In Gänserndorf bleibt der Zug stehen und die Procedur des Ausfragens wiederholt sich. Nun wechselt Schütte seine Rolle, der frühere Reichstags-Deputirte ist nur mehr ein einfacher Ochsenhändler, der von Stammersdorf nach Ungarn geht, um sein Vieh zu verkaufen. So kommt Dr. Schütte bis Ratibor, von wo es ihm nicht schwer ward, nach Breslau und dann weiter zu gelangen. Es wurden Steckbriefe nach ihm erlassen, aber erst im Jahre 1853 wurde er am Rhein verhaftet und an Oesterreich ausgeliefert. Nach geschlossener Untersuchung ward er zu mehrjähriger Haft verurtheilt. Er schien fast verschollen, da berichtete die „Weser-Zeitung“ in einem Briefe ddo. Wien 24. Juli 1857 seine Flucht mit folgenden Worten: „Nicht geringes Aufsehen hatte hier die Nachricht von der Flucht Dr. Schütte’s und seiner Zellengenossen gemacht, und obwohl den hiesigen Blättern nicht gestattet war, darüber zu sprechen, so hat doch das Publicum aus anderen Quellen hinreichend darüber erfahren. Man erinnert sich hier sehr gut des gewandten Abenteurers, welcher seiner Zeit als politischer Commis voyageur Oesterreich und Deutschland bereiste, und überall, wo es ein besonderes Spectakel gab, sich daran amusirte und durch seine Zungenfertigkeit auch sich bemerkbar machte. Eine ernstliche Theilnahme hat Dr. Schütte wohl nie an den Ereignissen [129] genommen. Er suchte wohl Hauptsächlich Stoff zu Rodomontaden und romanhaften Aventuren. Selbst seine neueste Flucht scheint aus einem besonderen Wohlgefallen an solchen waghalsigen Späßen hervorgegangen zu sein. (Das ist denn doch eine eigenthümliche Auffassung der Umsturzversuche dieses Wühlers!) Bezeichnend genug ist es, daß Herr Schütte seinen Brief an den Festungscommandanten in copia bei sich führte, natürlich in der festen Voraussicht, damit zu geeigneter Zeit Lärm zu schlagen. Die von Herrn Schütte darin angeführten Thatsachen sind wohl ganz richtig. Aber noch mehr! Das Gnadengesuch, welches Herrn Schütte betraf, war seinen ordentlichen amtlichen Weg, und zwar in beschleunigter Weise gegangen. Dasselbe wurde vom höchsten Orte an die betreffenden Gerichtsbehörden zum Referate herabgegeben, und wie man aus verläßlicher Quelle vernimmt, hatte sich das Oberlandesgericht für die Begnadigung Schütte’s ausgesprochen. Warum hatte der Gefangene nicht die nahe bevorstehende Entscheidung abgewartet? So fragt man sich natürlich hier in den betreffenden unterrichteten Kreisen. Es scheint also, daß es Herrn Schütte wieder einmal um die Ausführung eines neuen „Geniestreiches“ zu thun war.“ Nach seiner Flucht gelang es S., glücklich nach Nordamerika zu entkommen, wo der eben ausgebrochene Unionskrieg Abenteurern seiner Art bald Gelegenheit gab, unterzukommen, und dieß um so eher, wenn sie ihre Betheiligung an den Revolutionen auf dem europäischen Festlande documentiren und sich sogar mit dem Martyrium einer längeren Haft brüsten konnten. So gelang es auch Schütte, bald einen ansehnlichen und ziemlich wichtigen Posten, nämlich den eines Quartiermeisters und Commissärs in der Division Blenker, zu erlangen. In derselben nahm der Abenteurer ein klägliches Ende. Er hatte sich nämlich Unterschleife zu Schulden kommen lassen, dieselben wurden entdeckt. Schütte verhaftet, in Untersuchung gezogen, und nachdem sein Verbrechen erwiesen war, das Urtheil gefällt, welchem zufolge er den Verlust zu ersetzen, seinen ganzen Gehalt verwirkt hatte und cassirt wurde. In der betreffenden, auf Befehl des Generals Mac Clellan ausgezeichneten Ordre heißt es: „Die Mißbräuche, die dieser Mann eingeführt hat, die ungeheuren Praktiken, von gemeinen Schwindeleien bis zu großartigen Diebstählen, in welche dieser Mann verwickelt ist, und das demoralisirends Beispiel, welches derselbe zum Ruine Anderer gegeben hat – Alles dieß vereinigt sich, um seine Ausstoßung aus dem Dienste zu einem erfreulichen Ereignisse zu machen“. Fünf Jahre später meldeten die amerikanischen Journale den zu New-York erfolgten Tod dieses Abenteurers. Schließlich sei noch bemerkt, daß S. eine Darstellung der October-Ereignisse unter dem Titel: „Die Wiener October-Revolution“ (Prag 1848, 8°.) herausgegeben hat. Der in der Lebensskizze erwähnte Vorgang im Schriftsteller-Verein ist aber Gegenstand einer besonderen Flugschrift, welche sich „Dr. Schütte vor dem Schriftsteller-Verein“ (Wien 1848, 8°.) betitelt.
Schütte, Anton (Abenteurer und Revolutionär, geboren etwa um 1813, Geburtsort unbekannt, gestorben zu New-York am 17. Mai 1867). Eines jener verlotterten Individuen, die, wo es ein Revolutiönchen gibt, sofort wie Sturmvögel um das von den Wellen umhergeworfene Schiff, im Lande erscheinen und das mit einem bischen gesundem Menschenverstande leicht zu erstickende Revolutiönchen zur completen Revolution aufwühlen. Schon wenige Wochen nach den Märztagen 1848 hatte sich Dr. Schütte – über den Ursprung dieses Doctortitels liegt kein Nachweis vor, aber so nannte man ihn damals allgemein – in Wien eingefunden. Wer er war, woher er kam, wußte Niemand, was er wollte, das war das Geheimniß des Herrn- Presse (Wiener polit. Blatt) 1862, Nr. 103, in der „Kleinen Chronik“. – Weser-Zeitung 1857 (Morgen-Ausgabe), Nr. 4242. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliogr. Institut, gr. 8°.) V. Suppl. Bd. S. 637. – Laube (Heinrich), Das erste deutsche Parlament (Leipzig 1849, Weidmann, kl. 8°.) Bd. I, S. 152. – Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution (Wien 1872, Waldheim, 8°.) Zweiter Band. Von [130] Moriz Smets. S. 71–83: „Ein Sturmvogel der Revolution“.