BLKÖ:Smetana, Augustin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Smegkal, Joseph
Nächster>>>
Smetana, Friedrich
Band: 35 (1877), ab Seite: 165. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
in der Wikipedia
Augustin Smetana in Wikidata
GND-Eintrag: 123009928, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Smetana, Augustin|35|165|}}

Smetana, Augustin (Kreuzherr mit dem rothen Sterne und philosophischer Schriftsteller, geb. zu Prag 15. Juni 1814, gest. im Kirchenbanne ebenda 30., n. A. schon am 29. Jänner 1851). Sohn armer Eltern – sein Vater war Kirchendiener bei St. Heinrich – besuchte er das Piaristen-Gymnasium in der Prager Neustadt und später die Prager Hochschule, bis er in seinem 18. Jahre Aufnahme in das Kloster des Kreuzherren-Ordens mit dem rothen Sterne fand. So war der Lieblingswunsch seiner Mutter, einer alten Frau, die in der Kirche Wachslichter verkaufte, und deren Ideal es immer war, ihren schwächlichen Sohn dereinst als Priester zu sehen, erfüllt. Ob dieser aber Beruf zu dem ihm eingeredeten Stande hatte, das kam nicht in Frage. Jedenfalls war ihm von Kindheit an die Richtung dazu gegeben und ihm nie Zeit gelassen worden, über dessen Bedeutung nachzudenken. Nur in der Wahl, welche Art Geistlicher er werden sollte, schien ihm volle Freiheit geblieben zu sein, denn daß er gerade den Kreuzherrenorden wählte, darauf machte ebenso das Ansehen und die Achtung, in welcher der Orden stand, als das schmucke Aussehen der Ordensbrüder, welche in ihren kleidsamen faltigen Talaren mit den rothen Kreuzen vorn an der Brust ganz staatlich aussahen, Einfluß gehabt haben. Er selbst erzählt, kurz vor seinem Eintritte in das Kloster, täglich in dessen Nähe geweilt zu haben, „um nur einen oder den anderen seiner künftigen Brüder mit dem Auge berühren zu dürfen“. So war er denn vollkommen mit sich und seinem Stande einig, von den Versuchungen der Welt noch unberührt, von den Foltern des Zweifels noch ungequält, in das Kloster getreten, in welchem erst nach und nach das Studium der neueren philosophischen und theologischen Werke und eigene Erlebnisse in sein Inneres jenen Gährstoff werfen sollten, welche den Zwiespalt seiner Seele fertig brachten und so widrig in die Gestaltung seines Lebens eingriffen. Er hatte die theologischen Studien begonnen. Aber schon während derselben waren jene Kämpfe eingetreten, die später sein Inneres vollends zerrissen. Das Studium der theologischen Schriften, die vorgeschrieben waren, hatte zuerst seinen Zweifel wachgerufen. Das, was ihm ursprünglich reine Herzenssache, eine unaufgeklärte Schwärmerei seines Gemüthes war, sollte er nun durch die scharfen Schlüsse des Verstandes, durch [166] die Beweise der trockenen Logik begreifen lernen. Ja, wenn es noch diese gewesen wären! Aber welcher Verstand, welche Art Beweisführung traten ihm entgegen? „Sein frommer Sinn“, schreibt einer seiner Biographen, dessen Schilderungen auf Smetana’s eigenen Aufzeichnungen und mündlichen Mittheilungen fußen, „zitterte zusammen vor der Frivolität, mit welcher er die wichtigsten Glaubenswahrheiten behandelt sah; seine Vernunft empörte sich gegen den Schlendrian des mechanischen Auswendiglernens, welcher, wie in anderen geistlichen Seminarien, auch in jenem Prags heimisch war, und woran mit um so größerer Zähigkeit festgehalten wurde, als man dadurch den besten Damm gegen Selbstdenken und Selbstforschen aufgerichtet zu haben vermeinte“. Dazu kam noch, daß er durch die sklavische Unterwürfigkeit, welche er gegen seine Vorgesetzten zu beobachten hatte, in seinem natürlichen Zartgefühle tief verletzt wurde. Als er die oberwähnten[WS 1] Zweifel und Bekümmernisse seiner Seele eines Tages einem seiner Lehrer vertrauensvoll mittheilte, fand dieser darin einen Anlaß, ihm als Grund seines Grübelns und Zweifelns eine – Liebschaft und in Folge dessen die Absicht zu unterschieben, mit seinem Stande zu brechen und das Kloster zu verlassen. Smetana, der sich von Allem frei wußte, nur nicht von seinem Streben nach wirklicher Erkenntniß, wollte beweisen, daß es nicht sinnliche Motive waren, die ihn bestimmten, und legte im Alter von 21 Jahren (am 29. November 1835) das feierliche Ordensgelübde ab. Er war nun Mönch. Noch ein Jahr dauerten seine Studien, aber da er zum Empfang der Priesterweihe noch zu jung war, mußte er noch über ein Jahr warten und erst am 6. August 1837 wurde er zum Priester geweiht. Diese Frist, wie schon früher alle ihm nach Erfüllung seiner geistlichen Pflichten und Uebungen übrig bleibende Zeit benützte er zum Studium philosophischer, aber auch der neuesten naturwissenschaftlichen Werke. In seinen Bedürfnissen, von früher Kindheit an Entbehrungen gewöhnt, höchst genügsam, verwendete er, was er besaß, zum Ankauf von Werken, in denen er die Quellen des Wissens, Aufschlüsse über die Zweifel seiner Seele suchte, und so kam es, daß die Bücherschränke des jungen Kreuzherrn sich allmälig mit Werken füllten, welche sich in denselben genug absonderlich ausnahmen, wie: Feuerbach, „Wesen des Christenthums“; Strauß, „Dogmatik“; Hegel, „Phänomenologie des Geistes“; Ruge und Echtermayer[WS 2], „Hallesche Jahrbücher“ u. dgl. m. Daß ihm nun nach aus solchen Werken gewordener Erkenntniß seine Standeswahl bald mehr als eine dem damals geistig Unmündigen aufgedrungene, denn freiwillige erscheinen mußte, bedarf weiter keines Beweises, wie denn seine Vorliebe für ernste Studien, um sich mit der Unverträglichkeit seiner Lage zurecht zu finden, sich bald erklärt. Um sich aus dem Labyrinth, in das er gerathen, so weit als es möglich zu retten, beschloß er, dem Lehrfache sich zuzuwenden. Aber nicht was er wollte und plante, sondern was seine Ordensobern befahlen, mußte geschehen. Den Ordensregeln gemäß mußte der junge Priester zunächst in die Seelsorge treten. So wurde er vorerst Caplan an der Stiftskirche zu Prag, erhielt aber, wie einer seiner Biographen berichtet, plötzlich die Weisung, in derselben Eigenschaft nach Dobrichowic, einem kleinen, in der Nähe von Karlstein gelegenen, dem Sprengel seines Ordens gehörigen Dorfe zu gehen. Die [167] praktische Wirkungssphäre des Landgeistlichen hatte sich S., wie einige Jahre zuvor den geistlichen Beruf überhaupt mit den lockendsten Farben ausgemalt: Armenpflege, Aufklärung der Erwachsenen in der Kirche, Unterricht den Kleinen in der Schule – dieß dünkten ihm die wichtigsten Aufgaben in seiner neuen Stellung. Als er bald eine genauere Einsicht in das Innere seines Dienstes gewonnen und, nachdem ihn der Pfarrer ob seiner Aufklärungsversuche auf das ernsteste verwarnt, da waren die humanistischen Träume, welche seine Seele erfüllten, bald verwischt, seine Stellung als Landgeistlicher ihm bald verleidet und er über alle Maßen froh, als er in das „Prager Mutterhaus“ zurückberufen wurde. Nun begann er sich für die Rigorosen des philosophischen Doctorats vorzubereiten und hatte kaum das zweite abgelegt, als er abermals als Caplan nach Eger geschickt wurde. Ein Zerwürfniß mit seinem Ordensvorstande war die Ursache dieser neuen Entfernung gewesen. Auch an seinem neuen Aufenthaltsorte sollte er bald in widrige Conflicte gerathen. Angriffe, wie sein Biograph im „Deutschen Museum“ berichtet, die er sich von der Kanzel herab gegen das Missionswesen erlaubte, brachten alle Jesuiten und alten Weiber der Gemeinde gegen ihn auf. Es kam zu Klagen, Einschüchterungsadressen, anonymen Drohungen, Gegenprotesten u. s. w. Aus all diesem Wirrsal, in welches ihn der Versuch praktisch vernünftiger Thätigkeit gebracht, riß ihn die auf sein dringendes Ersuchen erfolgte Rückberufung nach Prag. Dort verwaltete er – der philosophische Denker und Zweifler – zunächst das Amt eines Klosterkellermeisters, das ihm doch Zeit genug übrig ließ, sein philosophisches Doctor-Examen abzulegen, und so wurde er denn am 4. August 1841 zum Doctor promovirt. Zu Anfang des J. 1842 gelang es seinem unaufhörlichen Drängen und seinen Vorstellungen, daß ihm die Adjunctenstelle der philosophischen Lehrkanzel an der Prager Hochschule verliehen wurde. Vier Jahre hindurch versah S. an des Professors Exner [Bd. IV, S. 115] Seite diese Stelle; als nun im Jahre 1845 Exner zur Ausarbeitung und Berathung des neuen in Angriff genommenen Studienplanes nach Wien berufen wurde, trug S. an dessen Stelle in den Jahren 1846 und 1847 Philosophie in seinem Geiste, so weit ihm dieß in den damaligen Verhältnissen möglich war, vor. Ueber die Art und Weise seines philosophischen Standpunctes bemerkt nun Dr. A. Springer, daß S. in der Einsamkeit der Seelsorge in der philosophischen Gelehrsamkeit noch weit zurück, von dem wissenschaftlichen Treiben der Gegenwart nur dunkel unterrichtet, die Grundzüge seiner philosophischen Anschauung festgestellt, und noch ehe er die modernen Gedankensysteme kannte, sein eigenes in den allgemeinsten Umrissen entworfen und vollendet hatte. Gegenüber den gemachten Lehren unserer philosophischen Epigonen „konnte er auf das Urwüchsige, Ursprüngliche seiner Ansichten pochen, aber freilich hatte sich auch durch diese Genesis eine Dunkelheit in der Form, ein rhapsodisches Element in sein System eingeschlichen, von welchem er es später nimmermehr zu reinigen vermochte. [Nun aber sind die „gemachten“ Lehren unserer philosophischen Epigonen oft auch nicht lichter als die urwüchsigen, ursprünglichen Smetana’s.] Auf einer Reise, welche S. bereits im Herbste 1843 nach Norddeutschland unternommen hatte, war er mit den hervorragendsten Männern seines [168] Faches in nähere Verbindung getreten, auch hatte er von dem wissenschaftlichen Treiben außerhalb Oesterreich durch eigene Anschauung Kenntniß gewonnen, dasselbe sofort auf österreichischen Boden zu verpflanzen, dazu reichten S.’s Stellung und Einfluß nicht aus, wohl aber konnte er mit einem kleinen Kreise von Berufs- und Meinungsgenossen sich berathen, die Ansichten austauschen und so den Boden für die spätere Arbeit vorbereiten. So wurde seine katholische Klosterzelle alsbald der Vereinigungsort für philosophische und politische Discussionen. In denselben wurden die Hauptwerke der neueren deutschen Philosophen und mit besonderem Fleiße die Hegel’schen Schriften durchgenommen, alles dahin Einschlägige gelesen, besprochen, aber auch die politischen Zeitverhältnisse, deren Gährung keinem aufmerksamen Auge entging, in Betracht gezogen. Die Idee einer literarischen Zeitung wurde gefaßt, aber die Polizei, die schon dafür sorgte, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen, hatte einfach die Bewilligung verweigert. Unter solchen inneren und äußeren Kämpfen kamen das Jahr 1848 und die Märztage heran. Mit Enthusiasmus schloß er sich den Ereignissen an, ohne jedoch persönlich an der Bewegung sich zu betheiligen; nur als die Prager Studenten den Wiener März-Opfern eine Todtenfeier veranstalteten, hielt er die Kanzelrede und als Mitglied des National-Comités hatte er einigen Sitzungen desselben beigewohnt. Im Uebrigen blieben seine Verhältnisse ungeändert, er hörte Beichte, las Messe, mußte im Chore das Brevier mitbeten, daheim aber arbeitete er an einer systematischen Darstellung seiner Ansichten, während er sich selbst in das Studium der Philosophie vertiefte. Aber seine Stellung im Kloster selbst, durch die Conflicte der früheren Zeit schon erschüttert, wurde nicht besser, und sein ganzes Dichten und Trachten war darauf gerichtet, aus diesen unerquicklichen, ihn in seiner Geistesarbeit lähmenden Verhältnissen herauszukommen. Mit Freuden nahm er demnach im Herbst 1848 eine provisorische Lehrerstelle mit einer Remuneration von 300 Gulden an dem neu errichteten Neustädter Gymnasium in Prag an. Er vertauschte nun das Kloster mit einer Privatwohnung und erblickte schon in dieser Aenderung seines bisherigen Verhältnisses eine Besserung seiner Lage. Aber das sollte nicht lange dauern, das Gymnasium kam an die Piaristen und S. mußte sein Lehramt aufgeben. Einer seiner Biographen will jedoch wissen, daß ihm wegen seiner mißliebigen politischen Gesinnung diese Stelle entzogen wurde. Es kann sich auch so verhalten haben, da bald darauf ihm seine Vorträge aus der Geschichte der Philosophie an der Universität, die er als Supplent zu hallen berechtigt war, untersagt wurden. Der Aufforderung, in seine Klosterzelle zurückzukehren, Folge zu leisten, weigerte er sich, und bestand darauf, in seiner Studirstube außerhalb des Klosters wohnen zu dürfen. Da ihm alle Subsistenzmittel waren entzogen und die Möglichkeit, im Lehramte zu wirken, war benommen worden: nahm er einen ihm im Herbste 1849 gestellten Antrag der Redaction eines politischen Blattes, der „Union“, an. Einige Zeit schien es, als sollte er unbehelligt bleiben, da kam mit einem Male von Seite des Klosters an ihn die Aufforderung, in dasselbe zurückzukehren. Anfänglich glaubte S. mit einer einfachen Ablehnung genug zu thun, als aber mit der beginnenden Reaction im ganzen Staatsleben auch die durch die 1848ger Ereignisse eingeschüchterte [169] Kirche freier zu athmen und ihr bis dahin gelähmter Einfluß zu erstarken begann, in Folge dessen die Mahnbriefe seiner Kirchenoberen immer dringender und drohender wurden, ihm endlich ein Freund die verbürgte Nachricht überbrachte, daß die Geistlichkeit entschlossen sei, sich der weltlichen Obrigkeit zu bedienen, um den abtrünnigen Sohn der Kirche mit Gewalt in’s Kloster zurückzubringen, da wurde S. zur Entscheidung gedrängt. S.’s Besorgniß wuchs, Versetzung in eine entfernte Provinz, so wenig angenehm, wäre nicht das schlimmste gewesen, was ihn bedrohte, er besorgte eine Internirung, ja wohl gar Haft im weißen Thurme auf dem Hradschin, dem geistlichen Correctionshause. Um das ihn bedrohende Unheil mit einem Schlage zu pariren, gab er am 23. März 1850 sofort in dem von ihm redigirten Blatte die öffentliche Erklärung ab, daß er „in Folge seiner Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit des katholischen Lehrbegriffs aufgehört habe, Priester und Mitglied des Kreuzherrenordens zu sein“. Das Aufsehen, welches diese Erklärung allgemein hervorrief, war sehr bedeutend, Alles wollte die Zeitungsnummer, welche dieses interessante Actenstück enthielt, besitzen. Die Folgen brachen auch ungesäumt über ihn herein, und von jener Seite zuerst, von welcher S. einen solchen Schritt am wenigsten erwartet hatte, das Redactions-Comité der Zeitung, an welcher S. bisher gearbeitet, schickte ihm seine Entlassung. Während ihn Freidenkende einen Märtyrer priesen, hielten sich Bekannte und selbst Freunde unter dem damaligen Drucke von ihm fern und mißbilligten diesen Schritt. Aber auch die Excommunication ließ nicht lange auf sich warten: am 23. April 1850 wurde der Kirchenbann über ihn feierlich ausgesprochen. Hatte S. dieß auch vorausgesehen, ja voraussehen müssen, so war bei den obwaltenden Verhältnissen dieses Ereigniß von schwerster Bedeutung. Smetana’s beide Eltern waren noch am Leben. Der Vater, ein ergrauter Kirchendiener, muß das Blatt, das seines eigenen Kindes kirchlichen Fluch enthielt, austheilen; und die Mutter, eine alte gebrochene Frau, ein „Lichtelweib“, muß hören, daß ihr liebster Sohn, ihr Stolz, ihre Seelenfreude, als ein Ketzer, als ein Abtrünniger von der Kirche verdammt wird. Smetana selbst aber, von Jugend auf durch jahrelange Entbehrungen, Nachtwachen und Kummer über die Tücken des Schicksals, die ihn zu verfolgen nie nachgelassen hatten, seit Jahren schwächlich, ja leidend, fühlte nun erst recht die Anzeichen eines rasch fortschreitenden Brustleidens, das die Aerzte für unheilbar erkannten und nur durch eine Luftveränderung in seinem zerstörenden Fortgange einigermaßen aufgehalten werden könnte. Dieser sichtbare Verfall des Körpers diente aber fanatischen Clericalen dazu, Smetana als warnendes Beispiel hinzustellen, wie schon hier auf Erden dem Abfalle von der Mutterkirche die Strafe auf dem Fuße folge. So wurde S. der Gegenstand eines pathologischen Processes, das Mene tekel upharsim orthodoxen Fanatismus. Wenn nicht das Leben des stillen bescheidenen Forschers ohne Makel gewesen wäre, es wäre um ihn geschehen gewesen, so aber waren es nur seine Schriften und Artikel, an die man sich klammerte, die ihn als einen vom Teufel Besessenen kennzeichneten. Unter solchen Umständen war Smetana’s längeres Verweilen in Prag undenkbar, und so nahm er mit Freuden den Vorschlag einer edlen deutschen Frau an, die ihm in ihrem Familienkreise in [170] Altona eine Zufluchtstätte anbot. War das ein Lichtstrahl in seine Seele, so sollte ihm von anderer Seite eine unter solchen Verhältnissen doppelt fühlbare Enttäuschung nicht erspart werden. Ein Werk, sein Hauptwerk, so zu sagen, sein Vermächtniß an die Nachwelt, welches um diese Zeit bei Hoffmann und Comp. in Hamburg herausgekommen war, hatte kaum die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Kreise auf sich gezogen. Lag es in der etwas eigenthümlichen Behandlung des Gegenstandes, lag es in den Verhältnissen der von den Wehen einer beispiellosen Aufregung noch nachzitternden, damals fast apathischen Zeit, es ist nicht zu sagen. Smetana, der anderes erwartet hatte, sah sich bitter enttäuscht – der körperlich Gebrochene war es nun auch geistig. Noth und Armuth waren über ihn hereingebrochen. „Es hatte ihn“, schreibt Meißner, „aus dem Kloster, wo er gemächlich hätte leben können, aus dem Hause mit der schönen Aussicht auf den Strom, wo der Humpen nie leer ward, hinausgetrieben und nun sah er die hohlwangige Sorge Tag um Tag in seiner engen Studirkammer sitzen. Mußte er nicht oft die rothberockten Pfleglinge beneiden, die in den Mauern des alten Hospitalitenhauses behäbig umhergingen? Warum war er nicht bei bequemer Versorgung geblieben? Wie viele Glaubenslose – man denke nur an das jetzige Italien – tragen die Clerica und verkünden die Wunder, an die sie nicht glauben!“ Auf diese Fragen gibt es nur eine Antwort. Es hat auch einen Christus, einen Sokrates, einen Giordano Bruno, einen Servet und noch Andere gegeben, welche für die innerste Ueberzeugung ihrer Seele nicht nur die Freuden des Lebens, sondern ihr Leben selbst zum Opfer gebracht haben. Am 17. October 1850 war S. nach Altona gereist, um dort Zuflucht gegen die Verfolgungen zu suchen. Es litt ihn nicht lange dort. Schon am am 31. December desselben Jahres war er nach Prag zurückgekehrt, um dort zu – sterben. Gebrochen hatte er die Moldaustadt verlassen, ein Schatten, war er, in sie zurückgekehrt. Bald konnte er nicht mehr das Bett verlassen. Nun aber wurde es in seiner Krankenstube nie leer. „Hatte man ihn früher nicht ruhig leben lassen, so ließ man ihn jetzt nicht ruhig sterben“, schreibt Meißner. Unablässig drängte man ihn zum Widerruf; zuletzt war als oberster Seelenhirt der Cardinal-Erzbischof selbst zu ihm gekommen, um ihn zur Rückkehr in den Schooß der Kirche zu bewegen. „Wenn Sie sich bekehren“, sagte der Kirchenfürst, „so ist es gar wohl möglich, daß Ihnen Gott Ihre verlorene Gesundheit zurückerstattet“. Zu solchen Mitteln glaubte man einem Erleuchteten gegenüber, wie es der Sterbende war, greifen zu müssen. Smetana wußte, daß eine zerstörte Lunge nicht wieder athmungsfähig zu machen sei, und bat nur mit gebrochener Stimme – ihn ruhig sterben zu lassen. Aber so gut sollte es ihm noch nicht werden. Die geistlichen Besuche mehrten sich derart, daß der Sterbende besorgte, man könnte nach seinem Tode, der jeden Augenblick eintreten konnte, das Gerücht von seiner Buße und seinem Widerrufe in Umlauf setzen. das aber durfte nicht geschehen, und so bat er einige Freunde, abwechselnd bei Tag und Nacht sein Krankenbett zu umgeben, was auch geschah. So schlief er am 30. Jänner ruhig ein, um nicht mehr zu erwachen. Die Nachricht von seinem Ableben hatte sich mit Blitzesschnelle verbreitet. Am 1. Febr. fand die Beerdigung Statt. War schon unter den geschilderten [171] Umständen eine ungewöhnliche Betheiligung des Publikums zu erwarten, so überstieg doch die Wirklichkeit jede Voraussetzung. Zahllos war die Menschenmenge, welche sich auf dem oberen Theile des Roßmarktes, wo das Haus stand, in welchem Smetana gestorben war, in dichten, unabsehbaren Haufen zusammengedrängt befand. Man hatte revolutionäre Demonstrationen besorgt, „wenigstens hatte jene Partei, welcher Smetana’s Beständigkeit das Heft aus den Händen gewunden, zu verbreiten gewußt: das Volk würde aus Wuth gegen den im Unglauben Geschiedenen seinen Sarg beschimpfen, wohl gar seine Leiche entehren. Nichts von all dem war geschehen. Als die Fackelträger ausblieben, die sonst gewöhnlich den Sarg hinabtragen, wuchs die Verlegenheit. Da machte die Geistesgegenwart der ganzen Situation ein Ende. Ein ehemaliges Mitglied des Reichsrathes rief einigen ihn umstehenden Freunden zu: „Greifen wir selbst zu, an uns ist nichts zu verderben“. Die ringsum herrschende Stille wurde dann plötzlich durch eine tiefe, ernste Stimme unterbrochen, welche ausrief: „Hut ab“. Und wie mit einer einzigen Handbewegung entblößten sich lautlos die Häupter der tausend und tausend Menschen, die da versammelt waren. Nun ließ sich die Stimme eines Polizei-Commissärs vernehmen, welche laut rief: „Im Namen der Regierung! Ich befehle, daß der Leichenzug seinen Weg nicht durch die Marien- und Basteigasse, sondern direct durch das Roßthor nehme.“ Und man trug die Leiche direct durch das Roßthor – ohne Glockengeläute, ohne Priester, ohne Fahnen. Auf dem schwarzen Wagen, welcher den Sarg trug, befand sich auch nicht das schwarzumflorte Kreuz. So gelangte der durch den Befehl des Polizei-Commissärs: „schneller! schneller!“ in scharfen Trapp gesetzte Leichenwagen auf den evangelischen Friedhof, wo der im Leben Gehetzte seine Ruhe fand. Smetana war 37 Jahre alt geworden. Es erübrigt noch, einen Blick auf seine schriftstellerische Thätigkeit zu werfen. Dieselbe umfaßt nur wenige, aber wissenschaftlich schwer wiegende Werke. Die Titel derselben sind: „Die Bestimmung unseres Vaterlandes Böhmen. Vom allgemeinen Standpuncte aufgefasst“ (148); S. legte darin, so zu sagen, sein politisches Glaubensbekenntniß nieder, das durch die eigenthümliche Gestaltung der Revolution in Böhmen in nicht geringen Zwiespalt gerathen war. Er selbst hing mit allen Fasern seines Denkens und Fühlens an der deutschen wissenschaftlichen Cultur, aus der er alle Säfte seines geistigen Schaffens gesogen. Als Denker war er also durch und durch deutsch. Anders war es mit seiner politischen Stellung, in welcher er entschiedener Demokrat war, und als solcher sich nur jenen Männern anschloß, welche im Widerstande gegen die großösterreichischen, somit deutschen Tendenzen eine deutschfeindliche Haltung beobachteten. In diesem Zwiespalte sich zurecht zu finden, konnte nur einer so stillen, zurückgezogenen, in sich selbst versunkenen Persönlichkeit, wie es S. war, möglich werden; – „Die Bedeutung unseres Zeitalters“ (1848), eine Art Programm seiner historisch-philosophischen Lehre, wenngleich wegen der Form wenig anregend, so doch voll tiefer und origineller Gedanken; – „Die Katastrophe und der Ausgang der Geschichte der Philosophie“ (Hamburg 1850, Hoffmann und Comp.); das oben in seiner Lebensskizze erwähnte Hauptwerk S.’s, welches wenige Monate vor seinem Ableben erschien, aber wegen der theilweise dunklen, schwer verständlichen Sprache nicht jene [172] Verbreitung fand, welche S. selbst gehofft hatte. – Wenige Jahre aber nach seinem Ableben erschien, aus seinem Nachlasse herausgegeben: „Der Geist, sein Entstehen und Vergehen“ (Prag 1865) [vergl. darüber Zarncke’s „Literarisches Central-Blatt“ 1865, Sp. 828]. Vielleicht läßt sich Wesen und Bedeutung dieses Werkes kennzeichnen, wenn daraus ein Axiom herausgehoben wird, welches den Selbstmord betrifft, worüber Smetana den Ausspruch fällt: „Die Selbsttödtung ist des Mannes einzig würdige Todesart (Catonis nobile letum)“. Sonst noch fanden sich unter seinen nachgelassenen Papieren Aufzeichnungen zu Denkwürdigkeiten seines Lebens, woraus Alfred Meißner „Die Geschichte eines Excommunicirten (Leipzig 1863) herausgab, welche von V. Bambas unter dem Titel: „Zapisky z cirkve vyobcovaného kneze Dr. Aug. Smetany“ (Prag 1863) in’s Čechische übersetzt wurde. In Betreff des literarischen Nachlasses erzählte der „Hlas“ seiner Zeit folgende Geschichte. Bald nach dem Tode S.’s, im Jahre 1851, hörte dessen Mutter in der Nacht einen Lärm an der Hausthüre. Als sie dieselbe öffnete, stürzte ein Haufe Bewaffneter in das Haus, deren Anführer erklärte, daß er den Auftrag habe, alle Bücher und Handschriften des Verstorbenen mit Beschlag zu belegen. Diese nahmen denn nun alles, was sie fanden und auch das in Handschrift befindliche Werk: „Der Geist, sein Entstehen und Vergehen“ mit, das auf das sorgfältigste zu verwahren, Smetana kurz vor seinem Tode die Mutter gebeten hatte. Dreizehn Jahre später, im Jahre 1864, erhielt die Mutter das Werk ihres Sohnes zurück, das nunmehr in Druck gelegt wurde. Im Jahre 1869 theilte die Zeitschrift „Der Sprudel“ mit, daß der Dechant von Karlsbad eine Schrift über Smetana herauszugeben beabsichtige. Kaum war diese Nachricht in die Oeffentlichkeit gedrungen, als von Seite des Kreuzherren-Generals Schritte gegen dieses Vorhaben des Karlsbader Dechants geschahen. Es war nämlich eine Mittelsperson aus Prag bei dem Dechant in Karlsbad eingetroffen, welche diesen zur Ablieferung des Manuscriptes und zugleich zur Erklärung aufforderte, daß er nie daran gedacht habe, eine Schrift über Smetana zu veröffentlichen. Ob der Dechant dieser Aufforderung nachgekommen, ist dem Herausgeber dieses Lexikons nicht bekannt. Zum Schlusse sei als einer literarischen Reliquie eines wohl längst vergessenen, weil in einem nie viel verbreiteten und nun wohl auch verschollenen Zeitschrift abgedruckten Aufsatzes gedacht. Derselbe ist eine ausführliche Anzeige des Werkes: „Anthologie aus Schelling’s Werken. Von Wilhelm Zermes“ (Berlin 1844), welche im vierten Quartal 1844 der „Oesterreichischen Blätter für Literatur und Kunst“. Herausgegeben von Dr. Adolph Schmidl, Nr. 62, 63, 64, 65 und 68 enthalten ist. Sein Biograph A. Springer meint über Smetana, daß, während er der großen Menge, wonach er am wenigsten gegeizt, als ein kühner Protestant gegen die katholische Hierarchie und das zähe katholische Dogma gelte, die Nachwelt in ihm den ernst gediegenen philosophischen Forscher achten und aus seinen Schriften erkennen werde, wie eine slavische Natur, ein ursprünglich katholisches Gemüth, den Befreiungsproceß der Menschheit auffasse, die Vergangenheit erkläre und die Zukunft ahne.

Presse (Wiener polit. Blatt) 1862, Nr. 109, im Feuilleton „Unter’m Kirchenbann“. Von Alfred Meißner. – Fremden-Blatt. [173] Herausg. von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1864, Nr. 326 [eine dem „Hlas“ entnommene Notiz über die Art und Weise, wie Smetana’s Bücher und Manuscripte mit Beschlag belegt wurden, deren Richtigkeit diesem nationalen Hetzblatte überlassen bleiben muß]. – Geschichte eines Excommunicirten. Herausgegeben von Alfred Meißner (Leipzig 1863, 8°.) [ist die Selbstbiographie Smetana’s]. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) 1863, S. 644. – Bohemia (Prager polit. und belletr. Blatt, 4°.) 1864, Nr. 302, S. 1863. – Süddeutsche Zeitung 1863, Nr. 128, im Feuilleton: „Die Memoiren eines Abtrünnigen“ – Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität (Frankfurt a. M., 4°.) 1862, Nr. 114 und 115: „Unter’m Kirchenbann“. – Deutsche allgemeine Zeitung (Leipzig, 4°.) 1851, Nr. 69 [nach diesem gest. 29. Jänner 1851]. – Katholische Blätter aus Tirol. Redigirt von M. Huber (Innsbruck, Wagner, 8°.), 1864, Nr. 36, S. 875: „Ein moderner Philosoph über den Selbstmord“ [nach diesen Blättern wäre Smetana am 2. Jänner 1851 gestorben, was ganz unrichtig ist, da S. am 30. Jänner starb].
Porträte. 1) Mit folgender facsimilirter Unterschrift: „Wse, co se neděje z přeswědčení, jest hříchem | Pawel k Řimanum. K. 14 V. 23 | D. Aug. Smetana“. Lechleitner (sc. 8°.); – 2) Holzschnitt, auf einem Tableau čechischer Berühmtheiten. Herausgegeben von Heinrich Fuchs in Prag.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: oberwähn-.
  2. Echtermeyer, Theodor (ADB).