BLKÖ:Szécsen von Temerin, Anton Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Széchy, Maria
Band: 41 (1880), ab Seite: 293. (Quelle)
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Szécsen von Temerin, Anton Graf (Staatsmann, geb. 17. October 1819). Der Sproß einer ursprünglich croatischen Familie. Sein Vater Nicolaus war Obersthofmeister bei der Erzherzogin Sophie, die Mutter Francisca eine geborene Gräfin Forgách. Wir begegnen dem Grafen bereits im ungarischen Landtage 1843/44, in welchem er zur conservativen Partei gehörte. Bald darauf trat er in Dienste bei der ungarischen Hofkanzlei, aus der er zum Administrator des Poseganer Comitates berufen wurde. Nachdem Baron Joseph Jelačić, der nachmalige Croatenführer, zum Ban von Croatien ernannt worden war, trat der Graf von seinem Amte zurück und hielt sich die nächstfolgende Zeit von allen öffentlichen Geschäften fern. Gleich anderen seiner Landsleute näherte er sich im Spätsommer 1848 wieder dem Hofe, an dem er wohl nicht als Parteiorgan angesehen, aber doch über einzelne Fragen und Schritte ins Vertrauen gezogen wurde. So ist unter Anderem der Entwurf zu dem Schönbrunner Manifeste vom 22. September 1848, das, ohne den Bestand der neuen ungarischen Gesetze in Frage zu stellen, nur der Ausbeutung derselben im Geiste der Revolution und des Separatismus mit ernster Entschiedenheit in den Weg trat, aus der Feder Szécsen’s geflossen. Später finden wir den Grafen unter den Unterzeichnern des Memorandums der ungarischen Alt-Conservativen, welches sozusagen das politische Glaubensbekenntniß [294] dieser Partei ist. Albert Hugo brachte dieses hochinteressante Document, als dessen Verfasser eben Graf Szécsen damals bezeichnet wurde, in dem von ihm redigirten „Pesther Morgenblatt“ 1850, Beilage zu Nr. 68; auch ist es in dem Werke von Eugen von Friedenfels: „Joseph Bedeus von Scharberg“ (Wien 1877, gr. 8°.) Band II, S. 433 aufgenommen. Während der Kriegskatastrophe in Ungarn hielt der Graf sich außer Landes auf. Im Jahre 1850 unternahm er eine längere Reise nach Frankreich und England. Als der Monarch mit Patent vom 5. März 1860 die Verstärkung des Reichsrathes durch außerordentliche Reichsräthe angeordnet hatte, wurde nebst Johann Grafen Barkóczy, Georg von Majláth, Eugen Toperczer Bürgermeister von Großwardein, Georg Grafen Andrássy, Anton Korizmics Bischof von Bács, auch Anton Graf Szécsen zum zeitlichen Reichsrath für das Königreich Ungarn ernannt. In dieser Stellung spielte er eine hervorragende Rolle. Er sprach in allen wichtigen Angelegenheiten, welche in jener Versammlung zur Verhandlung gelangten; so unter Anderem aus Anlaß der Berathung der Grundbuchsordnung und der Administrativjustiz, über die Stellung der Confessionen, über Administrativreformen, über die Presse und Zulassung von Berichterstattern, in Sachen der Justizreformen, des Grundsteuerkatasters, der Nationalbank, über das Concordat, die Protestanten in Ungarn, über das Deficit und schließlich als Berichterstatter des Majoritätsantrages, natürlich für denselben. Zum Verständniß der Sachlage, sowie zur Vermeidung von Wiederholungen sei auf die Biographie des ehemaligen Bürgermeisters von Troppau Franz Hein [Bd. VIII, S. 215] verwiesen, welcher gleichfalls Mitglied des verstärkten Reichsrathes war. Der Graf bewährte sich in den Debatten dieser für Oesterreichs politische Gestaltung so einflußreichen Versammlung als glänzender Redner und bedeutendes parlamentarisches Talent. In allen Sätteln gerecht, erwog er mit Ruhe und Sachkenntniß jede zur Verhandlung kommende Frage und war neben Clam-Martinitz einer der Haupthandelnden. Im parlamentarischen Leben Ungarns großgezogen, als Diplomat mit den Verhältnissen nach innen und außen vertraut, sprach er fest, besonnen, aber stets in ergreifender und zündender, meist um so wirksamerer Rede, als er auch immer zur Sache sprach. Ein Publicist jener Tage bezeichnete den Grafen treffend als das „parlamentarische Schwert der Ungarn“. Seine vielseitige Bildung, die Kraft seiner Logik, das Fließende seiner geistvollen Argumentationen, Alles befähigte ihn sozusagen zu der Führerstelle, die er in dieser außerordentlichen Versammlung stillschweigend übernommen hatte. Er war es, der in die damals noch unklare ungarische Bewegung Licht zu bringen suchte. Von ihm stammt das geflügelte Wort: „Historisch-politische Individualität“, mit welchem nachmals in der parlamentarischen Arena, wie in der Presse solcher Mißbrauch getrieben wurde. Eines großen Anhangs sich erfreuend, war er stets schlagfertig, einen Gegner zu bekämpfen und die Fehler seiner Partei wieder durch kühne Wendungen der Ideen gut zu machen. Er ging nicht immer mit der Regierung, sondern trat ihr, wenn ihm ihr Vorgehen mißfiel, mit aller Entschiedenheit entgegen, doch war er wieder ihr rücksichtsvoller [295] Alliirter, welcher auch verwandtschaftlichen Gefühlen Rechnung trug. Er hatte das Majoritätsvotum verfaßt, es mit dem ganzen Einfluß seiner gewandten Beredtsamkeit vertheidigt und auch zum Siege gebracht. Zum Lohne dafür erhielt er beim Erscheinen des kaiserlichen Diploms vom 20. October wohl kein Portefeuille, aber einen Ministerstuhl und die geheime Rathswürde. Im Reichstage des Jahres 1861 war der Graf nicht erschienen. Dagegen finden wir ihn auf dem Landtage 1866 in der Magnatentafel, in welcher namentlich seine Reden vom 16. und 18. April bemerkenswerth erscheinen, weil er in Folge seiner früheren Stellung im Ministerium Schmerling in der Lage war, über die Entstehung des Februar-Patentes interessante authentische Enthüllungen zu machen, zu deren Veröffentlichung er die specielle Erlaubniß Seiner Majestät des Kaisers hatte einholen müssen. Auch im Jahre 1870, als Preußen gegen Frankreich zu Felde zog, sahen wir den Grafen im Landtage, und hielt er in demselben über die Neutralität Oesterreich-Ungarns die beachtenswerthe Rede, welche in folgender Stelle gipfelte: „Ich habe die schwärmerischen deutschen Sympathien niemals getheilt; die Frankfurter Gesandtschaft (1848, Szalay) habe ich meinerseits nie gebilligt; trotzdem meine ich, wäre es eine große und verhängnisvolle Täuschung, zu glauben, daß eine solche Organisation den Frieden Europas in Zukunft sichern könnte, welche den berechtigten nationalen Interessen und historischen Erinnerungen der im Herzen Europas wohnenden deutschen Nation nicht zu entsprechen wüßte“. Indem er ferner von dem damaligen Kriege nicht erwartet, daß durch die Consequenzen desselben die Organisation Mittel-Europas den Anforderungen des Friedens, der Ruhe und Stetigkeit entsprechend entwickelt werden könne, hält er es nicht für im Interesse der Monarchie gelegen, an diesem Kriege theilzunehmen. Dabei verwahrt er sich gegen das laut gewordene Axiom, die Politik der Neutralität sei die Politik der Schwäche. Nachdem er noch die Verhältnisse der Monarchie zu den Nachbarmächten einer flüchtigen Prüfung unterzogen hatte, schloß er: „Es ist ein unglückliches Vorgehen, aus Besorgniß, Ungeduld, der Combination fernliegender möglicher Kämpfe sich in unmittelbare Kämpfe zu stürzen und gewissermaßen das Beispiel eines Menschen nachzuahmen, der, um möglicher Gefahr in seinem Hause zu entgehen, kein besseres Mittel weiß, als durchs Fenster zu springen“. Graf Anton ist auch als Publicist thätig. Im Jahre 1851 trat er mit der Schrift auf: „Politische Fragen der Gegenwart; besprochen von Anton Grafen Szécsen“ (Wien 1851, Jasper, Hügel und Manz, gr. 8°., 150 S.). Allgemeinere Theilnahme aber erweckten seine „Acht Essays“ (Wien 1879, C. Gerold, 8°., 270 S.), welche er ursprünglich in ungarischer Sprache herausgab, dann in deutscher Uebersetzung erscheinen ließ. Diese Essays sind theils politischen, theils literarischen Charakters, obwohl er auch in jenen letzterer Art immer ein politisches Moment in die Darstellung hineinzuweben versteht. Er behandelt in ihnen unter Anderen den „eisernen Herzog“, unter welchem Namen Wellington in England fortlebt, den Historiker Tacitus, die Dichter Shakespeare und Dante, in Ersterem den Zusammenhang schildernd zwischen dem Poeten und der großen Epoche seines Vaterlandes, in Letzterem den politischen [296] Zug des großen Florentiners besonders betonend, und den Memoirenschreiber Valentin Eszterházy, in welchem Essay er in knappem, aber scharfem Umriß das Hereinbrechen der Katastrophe über das Haus Bourbon und die leisen Vorboten des großen Weltgerichtes vom Jahre 1789 in meisterhafter Weise darstellt. [Ausführlicher behandelt diesen Letzteren der militärische Geschichtsschreiber Oesterreichs Andreas Graf Thürheim in seinem jüngsten Werke „Von den Pyrenäen bis zur Newa“.] Der Referent in der allgemeinen Zeitung H. V.(ambéry ?) schließt die eingehende Besprechung dieser Essays des Grafen Szécsen mit den Worten: „Nicht dem Bedürfnisse des Tages verdanken sie ihre Existenz, sondern dem Bedürfnisse des Mannes, der als Politiker und Staatsmann in gleicher Weise Erholung und Nahrung in den Werken der größten Genien aller Zeiten und in den Blättern der „Lehrerin der Menschheit“, der Geschichte, sucht und findet“. Von späteren Arbeiten des Grafen sind dem Herausgeber nur dessen Aufsätze in Alex. Szilágyi’s „Századunk“, d. i. Unser Jahrhundert, bekannt, und zwar: „Ueber die Memoiren Valentin Eszterházy’s“ [1877, 8. Heft], und „Ueber Vörösmarty’s Leben, von Ipolyi“ [ebd., 9. Heft]. Graf Anton, zur Zeit Mitglied des dirigirenden Senates der königlich ungarischen Akademie der Wissenschaften, wurde am 31. Jänner 1877 zum Mitgliede der Kisfaludy-Gesellschaft gewählt. Im Mai 1871 ward er von Seiner Majestät mit dem Commandeurkreuze des St. Stephan-Ordens ausgezeichnet. Der Graf ist seit 8. Juni 1850 mit Ernestine geborenen Gräfin Lamberg (geb. 23. April 1829), Palastdame Ihrer Majestät der Kaiserin, vermält, welcher Ehe vier Töchter und ein Sohn Nicolaus entstammen.

Neue preußische (Kreuz)-Zeitung (Berlin, gr. Fol.) 1860, Beilage zu Nr. 230: „Reichsrathsstudien“. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1861, S. 3537; 1879, S. 226 und 227. – Von Haus zu Haus (Prag, Kober, 4°.) 1861, Nr. 1: „Die Chefs der ungarischen Nation“. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) Bd. XXXV, S. 228; 1879,. Bd. LXXIII, S. 71. – Wiener Lloyd, 1564, Nr. 348, im Feuilleton: „Baron Vay und Graf Szécsen“. – Neue Freie Presse, 1866, Nr. 600, im Feuilleton: „Ungarische Landtagsglossen. II.“ – Der Wanderer (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 132, im Feuilleton: „Szécsen und Barkóczy“. – Hugo (Albert), Ungarische Tabletten aus der Mappe eines Independenten (Leipzig 1844. Hirschfeld) S. 175. – Presse, 1860, Nr. 269, in der „Kleinen Chronik“. – Dieselbe, 1866, Nr. 114: „Die Reden des Grafen Szécsen“. – Dieselbe, 1870, Nr. 213: „Graf Anton Szécsen über die Neutralität von Oesterreich-Ungarn“. – Vasárnapi ujság, d. i. Sonntagsblatt (Pesth, gr. 4°.) 15. Juli 1860, Nr. 29: „Gróf Szécsen Antal“.
Porträte. 1) Unterschrift: „Gróf Szécsen Antal“. E. Riewel sc. Holzschnitt in „Vasárnapi ujság“, 15. Juli 1860, Nr. 29. – 2) Facsimile des Namenszuges „Szécsen“. Dauthage (lith.) 1860. Gedruckt bei Jos. Stoufs. Wien (Verlag von Jos. Bermann, Fol.). – 3) Holzschnitt in der „Illustrirten Zeitung“ 1879, S. 71.