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BLKÖ:Unzelmann, Bertha

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Unverricht, Karl
Band: 49 (1884), ab Seite: 110. (Quelle)
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Unzelmann, später Wagner-Unzelmann, Bertha (k. k. Hofschauspielerin, geb. zu Berlin am 29. December 1822, gest. am 7. März 1858). Ihr Vater August (gest. 1833) war ein Sohn Karl Wilhelm Ferdinand Unzelmann’s, Mitgliedes des königlichen Theaters zu Berlin, und Friederikens geborenen Flittner, welche nach Scheidung von ihrem Gatten sich mit dem Schauspieler Bethmann vermälte. Berthas Mutter, Wilhelmine geborene Franz, trennte sich 1829 von ihrem Gatten Unzelmann und heiratete 1835 den königlichen Ministerialsecretär Werner. Bertha genoß eine sorgfältige Erziehung. Kaum 14 Jahre alt, sprach sie, wie einer ihrer Biographen schreibt, mit einer fast dämonischen Entschiedenheit den Entschluß aus, Schauspielerin zu werden. Ihre Eltern waren davon nicht sonderlich erbaut, und ihr Stiefvater Werner fügte sich diesem Entschlusse nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß seine Stieftochter sich vorher ernsten wissenschaftlichen Studien, und zwar aus der Aesthetik, Mimik, Geschichte und Literatur, sowie der Exegese dramatischer Meisterwerke unterwerfe. Nachdem sie die vorgeschriebenen Leistungen bestanden hatte, begannen die praktischen Uebungen, und so studirte sie, [111] allein, ohne sonstige Beihilfe, Rollen ein, in welchen sie dann auf einem in ihrem Elternhause errichteten kleinen Theater vor einem Kreise wissenschaftlich gebildeter geistvoller Männer auftrat, welche die Darstellung stets einer strengen Kritik unterzogen. Unter solchen Umständen reifte ihre künstlerische Begabung heran. Am 7. März 1842, gerade zwanzig Jahre alt, betrat sie in Stettin zum ersten Male öffentlich die Bühne, und zwar als Luise in Schiller’sKabale und Liebe“. Der Erfolg war über alle Erwartung günstig, ebenso in den folgenden Rollen, unter denen wir Hedwig von Gilden, Emilia Galotti, Julie in „Romeo und Julie“ hervorheben. Der Generalintendant des Hoftheaters in Berlin, Graf von Redern, machte nun der jungen Künstlerin das Anerbieten, auch an der königlichen Bühne Proben ihres Talentes abzulegen. Und am 10. April 1842 – es war ein Gedächtnißtag ihrer Familie, da an demselben 21 Jahre früher ihr Großvater, der berühmte Komiker Unzelmann sein fünfzigjähriges Jubiläum als Schauspieler gefeiert hatte –debutirte dann die Enkelin in der Rolle der Walpurgis. Auch hier war der Erfolg ein günstiger. Noch im September wurde sie am Berliner Königsstädter Theater engagirt, welches sie aber, da ihr die Verhältnisse an demselben wenig zusagten, schon nach einem Jahre wieder verließ. Während der Wintermonate 1843/44 spielte sie auf der Hofbühne zu Neu-Strelitz und nahm, nachdem sie in Hannover und Dresden Gastrollen gegeben, im September 1844 eine feste Stellung am Stadttheater in Bremen an. 1848 folgte sie einer Einladung des Schauspieldirectors Dr. Schmidt nach Leipzig, und schon nach ihrer ersten Antrittsrolle, als Julie in „Romeo und Julie“, schloß sie einen Vertrag auf zwei Jahre ab. Die Verhältnisse auf der Leipziger Bühne ließen nichts zu wünschen übrig; aber in ihrem Streben nach einem größeren Wirkungskreise gab sie doch, nachdem der zweijährige Contract abgelaufen war, ihre Stellung in Leipzig auf und übersiedelte nach Berlin. Im Sommer 1846 gab sie ein Gastspiel an der königlichen Hofbühne, und sofort erhielt sie durch den General-Intendanten von Küstner festes Engagement, welches von Mai 1847 bis Mitte 1849 dauerte. In der Zwischenzeit, 1848, wurde der Schauspieler Joseph Wagner für die Berliner Hofbühne gewonnen, und im October 1849 vermälte sich Bertha mit dem damals und später von der Frauenwelt vergötterten Künstler. Als derselbe 1850 wiederholt ein Engagement am Burgtheater in Wien angetragen erhielt, folgte er noch im nämlichen Jahre zugleich mit seiner Frau diesem Rufe. An einem Abende betraten Beide, als Hamlet und Ophelia, die Bühne. Sie gefiel in ihrer Rolle, aber durchschlagend wirkte sie doch erst als Gretchen in Goethe’sFaust“. Ein Kritiker schreibt hierüber: im „Faust“ verdankte sie ihren Erfolg dem Umstande, daß sie das erste Gretchen war, da das Goethe’sche Meisterwerk damals zuerst als Ganzes vorgeführt wurde. Schreiber dieses bemerkt hiezu: er hat im Leben mehr als zwei Dutzend Künstlerinen und Schauspielerinen in der Rolle des Gretchen gesehen; keine kam der Unzelmann nahe, sie war das geborene Gretchen in Gestalt, Miene, Gang, Geberde, so lieblich, so seelenvoll, so echt deutsch, wie sie der Dichter geschaffen, man vergaß über dieser Erscheinung und diesem naturwahren Spiele selbst die Eigenthümlichkeit des Organs, dessen mäßiger Metallgehalt [112] an einen anderen Künstler, an den allbewunderten Seydelmann erinnerte, mit dem sie diesen Mangel theilte. Und eben er war es, der den Eltern Berthas im Jahre 1842 zu dem glänzenden ersten Erfolge des Stettiner Gastspiels glückwünschte. Als nun diese über das nicht gerade vorzügliche Organ der jungen Dilettantin klagten, that Seydelmann die zutreffende Aeußerung: „daß ihr dann freilich nur der trostlose Ausweg bleibe, eine große Künstlerin zu werden“. Nach einer mehr als vierjährigen Thätigkeit erschien sie zum letzten Male, am 21. November 1854, in der Rolle der Titania im „Sommernachtstraum“ auf der Bühne. Noch im folgenden Monate kam das Brustübel, dessen Keime in ihr geschlummert, mit einem heftigen Blutsturz zum Ausbruch. Nun wiederholten sich diese Anfälle öfter. Unter solchen Umständen sah sich Bertha gezwungen, ihren Antrag auf Pensionirung einzureichen. Wohl wurde ihr die sorgfältigste Pflege zutheil, aber diese vermochte das Uebel nicht zu bannen, dem sie nach einiger Zeit im Alter von 35 Jahren erlag, ihrem Gatten ein sechsjähriges Mädchen hinterlassend. Während ihrer zwölfjährigen Bühnenthätigkeit trat sie 848 Male auf, und zwar in 175 theils dem tragischen, theils dem Lustspiel-Fache angehörenden Rollen. Ihre bedeutendsten Leistungen waren: Ophelia in „Hamlet“, Julia in „Romeo und Julia“, Emilia Galotti, Recha in „Nathan der Weise“, Beatrice in „Die Braut von Messina“, Thekla in „Wallenstein“, Lady Milfort in „Cabale und Liebe“, Prinzessin Eboli und Königin Elisabeth in „Don Carlos“, Klärchen in Goethe’s „Egmont“, Marie in dessen „Clavigo“, Elmire in „Tartüffe“, Clara in Hebbel’s „Maria Magdalena“, Julie in Gutzkow’s „Herz und Welt“, Armande in dessen „Das Urbild des Tartüffe“, Judith in dessen „Uriel Acosta“, Prinzessin Wilhelmine in dessen „Zopf und Schwert“, Königin Mathilde in Laube’s „Struensee“, Frau Gottsched in dessen „Gottsched und Gellert“, Gräfin Francisca von Hohenheim in dessen „Die Karlsschüler“, Jolanthe in „König René’s Tochter“, Leonore in Holtei’s gleichnamigem Drama, Marion in der „Marquise von Villette“ u. a. Ist dies ein todtes Verzeichniß so erwacht es doch gewiß vor den Augen dessen zum Leben, der einmal Zeuge war, wenn die Künstlerin der einen oder der anderen der genannten Gestalten Dasein von ihrem Dasein, Geist von ihrem Geiste verlieh. Wer aber ihr Gretchen in „Faust“, ihre Francisca in „Götz von Berlichingen“, ihre Professorin in „Die Hochzeitreise“, Leopoldine in „Der beste Ton“, Frau Bürger in Mosenthal’s „Ein deutsches Dichterleben“, Karoline in „Ich bleibe ledig“ und endlich ihre Valentine in Freitag’s gleichnamigem Lustspiele, Rollen, die sie geschaffen, sah, der wird sich ohne Uebertreibung sagen, daß er in diesen Rollen keine Künstlerin mehr gesehen, die ihr darin gleich gekommen wäre. Wie vorstehende Uebersicht darthut, war ihre Leistungsfähigkeit, ungeachtet ihr Organ keine allzu große Kraft und keinen ganz vollen Metallgehalt des Tones besaß, ein Umstand, der mit ihrer zarten Körperconstitution im Zusammenhange stand, doch eine ungewöhnlich große. Mit den Vorzügen einer Bildung, welche in ihrer Art selten zu finden, vereinte sie ein tief poetisches und genial schöpferisches Naturell, überhaupt ein Talent, wie es als [113] Grundbedingung jeder höheren Leistung nothwendig ist. In der Hervorhebung einer zu einem Gesammtbilde sich concentrirenden durchgearbeiteten Charakteristik sah sie zunächst ihre künstlerische Aufgabe, und in ihrem Spiele trat der innere Organismus einer Gestalt in seiner Besonderheit ebenso bestimmt hervor, wie sie es verstand, die Anlagen ihrer Natur, Vortrag, Mimik, Plastik harmonisch zu entwickeln und zu möglichst vollendeten Ausdrucksweisen menschlicher Wesensäußerung heranzubilden. Geschah es dann, daß Gestalten, die sie spielte, ihrem ganzen Wesen nahe lagen, wie eben Gretchen oder Valentine, dann schuf sie ein Kunstgebilde, über welchem man selbst die mangelnde Klangfülle des Organs vergaß, weil sie ja sonst alles Andere in seltener Vollendung bot. Wie auf der Bühne, so war sie auch im Kreise gesellschaftlichen und häuslichen Lebens eine hervorragende seltene Erscheinung. Wer ihr entgegentrat, fühlte sofort, er stehe einer Frau gegenüber, wie sie nicht schockweise durchs Leben wandern; jener zweifelhafte Bühnenduft, der den Verkehr mit den Damen der Bretter nicht immer zu höherem Behagen reifen läßt, lag nicht auf ihr, sie fesselte Jeden durch den sichtbaren Ausdruck innerer Klarheit, durch edle Anmuth und liebenswürdige Bescheidenheit. Wie sie meisterhaft die deutsche Frau, das deutsche Mädchen auf der Bühne darstellte, so war sie im gesellschaftlichen Leben das herrliche deutsche Weib in seinem ganzen Liebreiz.

Album des königlichen Schauspiels und der königlichen Oper zu Berlin unter der Leitung von Aug. Wilh. Iffland, Karl Grafen von Brühl, Wilhelm Grafen von Redern und Karl Theodor von Küstner. Für die Zeit von 1796 bis 1851 (Berlin 1858, Gustav Schöner, 4°.) S. 122. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) 1845, Nr. 113, S. 144: „Bertha Unzelmann“. – Abendblatt der Wiener Zeitung 1859, Nr. 59 im Feuilleton. – Theater-Zeitung. Redigirt von Adolph Bäuerle (Wien, kl. Fol.) 1858, Nr. 56, S. 223: „Bertha Wagner“. – National-Zeitung (Berlin, gr. Fol.) 1858, Nr. 143 im Feuilleton: „Bertha Wagner-Unzelmann. Nekrolog“. Von Titus Ulrich. – Monatschrift für Theater und Musik. Herausgegeben von Jos. Klemm (richtiger von den beiden Fürsten Alex. und Constantin Czartoryski) (Wien, 4°.) IV. Jahrg., 1858, S. 227 [mit der unrichtigen Angabe des 13. März als ihres Todestages, da sie schon am 7. März gestorben].
Porträte. 1) Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen in der „Illustrirten Zeitung“ 1845, S. 144. – 2) Unterschrift: Bertha Unzelmann | Mitglied des Hoftheaters in Berlin. Verlag der Englischen Kunstanstalt von A. H. Payne in Leipzig. Stahlstich ohne Angabe des Zeichners und Stechers (4°.). – 3) Unterschrift: „Bertha Wagner geb. Unzelmann“. Lithographie ohne Angabe des Zeichners und Lithographen (4°.) im oben erwähnten Berliner „Album“. – 4) Stahlstich von Hüssener (Leipzig, Baumgärtner gr. 4°.).