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Clara Schumann

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Autor: La Mara
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Titel: Clara Schumann
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 604-608
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[604]

Clara Schumann.[1]

Von La Mara.


Wir sind im Gewandhaussaal zu Leipzig. Die berühmten classischen Musikräume prangen heute – wir schreiben den 24. October 1878 – in heiterem Festglanz. Grün- und Blumengewinde hangen hernieder; umkränzt stehen Claviersessel und Flügel, und die alte Inschrift zu Häupten des Orchesters, das „Res severa est verum gaudium“, (Eine ernste Sache ist eine wahre Freude) sieht einem festlich erregten Publicum in’s Angesicht. Wem wohl die seltene Feier gilt? Der Concertzettel, der heute auch ein Festgewand angelegt und neben dem lorbeergeschmückten Doppelmedaillon Robert und Clara Schumann’s die Jahreszahlen 1828 und 1878 nennt, giebt darauf Antwort: Clara Schumann’s goldenes Künstlerjubiläum begehen wir.

Da ist sie selber, die Gefeierte. Das Haupt mit dem milden, sinnenden Ausdruck ein wenig geneigt, das Haar vom ersten Reif des Lebenswinters schon gestreift, so grüßt sie ein tausendstimmiger Jubelruf, ein Blumenregen ohne Ende. In dieser Blumenspende, [605] diesem Jubelruf faßt das musikalische Leipzig seinen Dank für die Gaben eines halben Jahrhunderts zusammen. Nimmt es uns Wunder, wenn die Begeisterung jetzt zur hellen Flamme auflodert? Zählt die noch immer als Erste ihres Gleichen verehrte Künstlerin, von dem Doppelnimbus der hinterlassenen Gattin und Kunstgefährtin eines unserer geliebtesten Tondichter umflossen, nicht von je zu den bevorzugtesten Gästen im Gewandhaus? Und ist sie nicht obendrein nach Geburt und Erziehung ein Leipziger Kind? Hat die alte Musikstadt nicht ihre Kindheit und Jugend, ihr erstes Liebes- und Eheglück, wie die Entwickelung ihrer Künstlerschaft mit angesehen und erscheint dieselbe somit nicht als berufenste Zeugin ihrer künstlerischen Wesenheit und ihrer Triumphe?

Clara Schumann.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Noch jenseits der musikalischen Glanzperiode Leipzigs, die sie herankommen sehen, mit durchleben und schmücken helfen sollte, fiel allerdings Clara’s Geburt. Bescheidene Blüthen nur trieb das Musikleben daselbst, als sie am 13. September 1819 dem bekannten Clavierpädagogen Friedrich Wieck als erstes Kind in die Wiege gelegt ward. Der Vater selbst, der, seine Carrière als Hauslehrer beginnend, eine musikalische Instrumentenhandlung und Leihanstalt am Orte begründet hatte und überdem als Clavierlehrer thätig war, half an seinem Theile die musikalische Bildung in Leipzig fördern. Von ihm und seiner ersten Gattin, Marianne geborene Tromlitz, die als Clavierspielerin und Sängerin in den Gewandhausconcerten wiederholt und erfolgreich ihr Licht leuchten ließ – sie vermählte sich später, nach erfolgter Trennung vom ihm, mit dem Musiklehrer Bargiel in Berlin, dem Vater des [606] Componisten Waldemar Bargiel, während Wieck mit Clementine Fechner in Leipzig einen zweiten Ehebund schloß, dem die Pianistin Marie Wieck entstammt – erbte Clara auch die tonkünstlerische Begabung. Während ihrer allerersten Lebensjahre zeigte sie freilich keine sonderlichen Anlagen. Kaum aber verrieth sie, fünf Jahre alt, musikalisches Talent, als ihr Vater sie sofort in seine künstlerische Zucht nahm und nach der ihm eigenthümlichen zweckmäßigen Methode mit so glücklichem Erfolge auf dem Clavier unterrichtete, daß sie bereits nach vier Jahren Concerte von Mozart und Hummel auswendig mit Orchester zu spielen vermochte und den ersten Schritt in die Oeffentlichkeit wagen durfte.

In einem Concert der Pianisten Perthaler aus Graz am 20. October 1828 erschien die Neunjährige zum ersten Male in dem berühmten Musiksaal ihrer Vaterstadt, um mit Kalkbrenner’s vierhändigen Variationen über einen Marsch aus „Moses“ (Opus 94) zu debutiren. Sie trug dieselben in Gemeinschaft mit Emilie Reichold, einer Schülerin ihres Vaters, laut einem Bericht der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom November 1828 „mit allgemeinem und verdientem Beifall“ vor, und die Kritik äußerte an gleicher Stelle über jene erste Leistung: „Unter der Leitung ihres musikerfahrenen, die Kunst des Pianofortespiels wohl verstehenden und dafür mit Liebe sehr thätigen Vaters dürfen wir von ihr die größten Hoffnungen hegen.“

Um die Zeit ihrer Erstlingserfolge war es, als Robert Schumann – Musiker im Herzen, seines Zeichens aber dazumal noch Student der Rechte – zuerst in ihr Leben trat und, durch ihre virtuosen Leistungen befeuert, ihren Vater um seinen Unterricht bat. Zum ersten Mal begegneten sich ihre Schicksalssterne. Doch zunächst nur vorübergehend, da der Mutter Gebot, die Fortsetzung seiner juristischen Studien verlangend, Schumann im Frühjahr 1826 nach Heidelberg trieb. Anderthalb Jahr später aber, nachdem ihm inzwischen Wieck’s Autorität zum Erreichen seiner Wünsche und Erfassen des ersehnten Künstlerberufs verholfen, kehrte er, und diesmal dauernd, nach Leipzig zurück und nistete sich als sein Hausgenosse so nahe als möglich bei seinem Meister ein.[2] Er brachte jugendlich-frische Elemente und mit ihnen eine neue poetische Lebensströmung in das einem künstlerischen Verkehr gastlich offen stehende Haus – gewiß eine wohlthätige Anregung für Clara, die von der eisernen Hand des Vaters streng genug geführt ward. Die Anstrengungen der Arbeit lernte sie frühzeitig kennen. Sa lange ihre physischen Kräfte ausreichten, hielt man sie am Clavier fest. Zu Spielen und Erholungen, wie sie sonst das Kindesgemüth ergötzen, ließ man ihr so wenig Muße, daß sie, wie Liszt erzählt, die kurzen Augenblicke, wenn sie ihre Lieblinge, junge Kätzchen, einmal liebkoste, sich hinter des Vaters Rücken abstehlen mußte. „Durch vieles Spielen oder vielmehr trotz des vielen Spielens,“ fagt Liszt, „aber erwuchs ihr zuletzt statt Ueberdruß, wie man es wohl glauben möchte, das innere Verständniß dessen, was sie spielte. Von da an versuchte ihr Geist immer höher in die geheimen Regionen der Poesie aufwärts zu dringen.“

Zu improvisiren und componiren hatte Clara schon im zehnten Jahre angefangen. Compositionsunterricht beim Thomas-Cantor Weinlig und später bei Heinrich Dorn gab ihrem schöpferischen Trieb Nahrung und Regelung. Ein Thema von ihr liegt bereits einem der frühestens Werke Robert Schumann’s – den Impromptus Opus 5 – zu Grunde: das erste Zeichen seiner ideellen Hinneigung zu ihr, das nach außen drang.

„Da ich Leute kenne,“ schreibt er 1833 von ihr, „die sich schon auf das nächste Mal freuen, wenn sie eben Clara gehört hatten, so frag’ ich, was denn das Interesse für sie so lange nährt? Ist es das Wunderkind, über dessen Decimenspannungen man den Kopf schüttelt, obwohl verwundert? Sind es die schwierigsten Schwierigkeiten, die sie spielend als Blumenketten in’s Publicum zurückschlingt? Ist es vielleicht einiger Stolz, mit dem die Stadt auf die Eingeborene sieht? Ist es das, daß sie uns das Interessanteste der jüngsten Zeit vorführt in kürzester Zeit? – Ich weiß es nicht: ich meine aber einfach, es ist der Geist, der zwingt.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Sie zog frühzeitig den Isisschleier ab. Das Kind steht ruhig auf – der ältere Mensch würde vielleicht am Glanz erblinden.“

Doch nicht Schumann und Leipzig allein freuten sich an Clara’s aufblühender Künstlerschaft; Vater Wieck säumte nicht, seinem Kinde die Welt und der Welt sein Kind zu zeigen. Die Elfjährige schon führte er hinaus, und befriedigt berichtet er in die Heimath, „welches Aufsehen“ sie und er selbst, als ihr Bildner, in Dresden machen. „Aber ich bin ängstlich,“ fügt er hinzu, „daß die Ehren und Auszeichnungen auf Clara einen schlimmen Einfluß üben könnten. Merke ich etwas Nachtheiliges, so reise ich sogleich ab, damit sie wieder in bürgerliche Ordnung kommt; denn ich bin zu stolz auf ihre Anspruchslosigkeit und vertausche dieselbe um keine Ehre der Welt.“

Im nächsten Jahre (1831 bis 1832) geht es weiter nach Weimar, Kassel, Frankfurt am Main und Paris.

„Ich hoffe, Clara soll uns keine Schande in Paris machen,“ heißt es in einem uns vorliegenden ungedruckten Briefe Wieck’s an seinen dort lebenden Schwager, Maler Fechner. „Die Urtheile Spohr’s und vieler anderen edlen und unparteiischen Kenner, wo der fürchterliche Neid keine Rolle spielt, bringe ich alle mit, und wir wollen nun sehen, was Chopin, Pixis, Hunten, Kalkbrenner und Andere zu einer musikalischen Pianistin (ich habe nie eine gekannt außer der verstorbenen Sygmanowska in Petersburg) sagen werden, die in der großartigen Field’schen Schule ebenso von mir ausgebildet worden, als in der Wiener und neuesten französischen, die verhältnißsmäßig ebenso gut vom Blatt spielt, Partituren liest, phantasirt und componirt.“

In Weimar faßt Goethe – wie früher in Leipzig schon Paganini, der ihm eine glänzende Zukunft weissagt – ein tiefes Interesse für das wunderbare Kind. Zum Danke für die Freude, die ihm ihr Spiel bereitete, sendet er „der geistreichen Clara Wieck“ sein Bild. In Kassel lernt sie Spohr, in Paris, von wo sie die Cholera nur zu schnell vertreibt, Alexander van Humboldt, Mendelssohn, Meyerbeer, Kalkbrenner und der eben dort concertirende Chopin kennen. Für des Letzteren Compositionen faßte Wieck van Anbeginn ein so lebhaftes Interesse, daß er in verschiedenen musikalischen Zeitschriften eine Kritik oder, wie er selbst sagt, eine ästhetische Rhapsodie über Opus 2 veröffentlichte. Dieses Variationenwerk und andere Schöpfungen des polnischen Romantikers machte Clara zuerst in weiteren Kreisen bekannt. Auch Beethoven’s Sonaten, Bach und Mendelssohn nimmt sie nun in ihr Concertrepertoire auf, das sich bisher im Wesentlichen auf Bravourstücke von Herz, Kalkbrenner und Moschekes beschränkt hatte. –

Um bei Mieksch Gesang, bei Capellmeifter Reißiger Instrumentation zu treiben, nahm sie 1833 einen halbjährigen Aufenthalt in Dresden, wo sie unter Anderem die Bekanntschaft mit der sie in hohem Maße begeisternden Schröder-Devrient erneute, die schon in ihrem Concerte in Paris mitgewirkt hatte. Dann ließ sie sich in ihrer Vaterstadt mit Beriot und Pauline Garcia gemeinsam hören. Den Ersten und Größten in ihrer Kunst durfte sie, die Jugendliche, sich schon gesellen. Bald pflückte sie sich in Berlin unter Spontini’s Gönnerschaft, bald in Paris, bald in Prag und Wien neue Lorbeeren. Meinte Rellstab, der allmächtige Kritiker der preußischen Hauptstadt, auch bedauernd: „Schade, daß sie in den Händen eines Vaters liegt, der solchen Unsinn von Chopin spielen läßt,“ das bedeutende Talent der Spielerin mußte er doch anerkennen. Auch Fétis bestätigt, welch lebhafte Sensation sie an der Seine erregte, und an der Donau vollends feierte sie Siege über Siege. Die Kaiserin von Oesterreich ernannte sie zu ihrer Kammervirtuosin – eine Ehre, die bis dahin noch keiner Ausländerin widerfahren war – die Aristokratie zog sie begierig in ihre Kreise.

„Die Poeten,“ bezeugt Liszt, der sie hörte, „erkannten in dieser anmuthigen Erscheinung eine Tochter ihres Vaterlandes. Sie streuten Perlen und Gesänge vor sie hin und feierten diesen Benjamin ihres Stammes, der, mit schweifendem geistvollem Blicke umherschauend, mit seltsamen Lächeln einer Najade glich, die im Lande der Prosa sich unheimlich fühlte.“

So besang Grillparzer sie und ihren Vortrag von Beethoven’s F-moll-Sonate:

„Ein Wundermann, der Welt, des Lebens satt,
Schloss seine Zauber grollend ein
Im festverwahrten, diamantenen Schrein
Und war den Schlüssel in das Meer und starb.
Die Menschlein mühen sich geschäftig ab,
Umsonst! kein Sperrzeug löst das harte Schloß

[607]

Und seine Zauber schlafen wie ihr Meister.
Ein Schäferkind, am Strand des Meeres spielend,
Sieht zu der heftig unberufenen Jagd;
Sinnlos, gedankenlos, wie Mädchen sind,
Senkt sie die weißen Finger in die Fluth
Und faßt und hebt und hat’s. – Es ist der Schlüssel.
Auf springt sie, auf, mit höh’ren Herzensschlägen;
Der Schrein blickt wie aus Augen ihr entgegen.
Der Schlüssel paßt; der Deckel fliegt. Die Geister,
Sie steigen auf und senken dienend sich
Der anmuthreichen, unschuldsvollen Herrin,
Die sie mit weißen Fingern spielend lenkt.“

Das war Clara Wieck’s letzte Mädchenreise. Unwiderstehlich, übermächtig war die seit Langem geheim gehaltene Liebe zwischen ihr und Robert Schumann mittlerweile an’s Tageslicht getreten. Daß er in ihr seine Muse gefunden, das verriethen schon die „Schwärmbriefe an Chiarina“[WS 1] in der von ihm gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“; die Davidsbündlertänze“, der „Carneval“, die Fis-moll-Sonate, die „Kreisleriana“, die Humoreske“, die „Novelletten“ und „Nachtstücke“ gaben es tönend vor aller Welt kund und erzählten es Jedem, der zu hören verstand und der „inneren Stimme“ lauschte. Und Clara hatte dem stillen Mann mit dem tief gegründeten Dichtergemüth ihr Herz geschenkt; sie war sein trotz des heftigen Einspruchs des Vaters, der sein Kleinod mit eifersüchtigen Blicken hütete und von einer Verbindung Beider, da er ihre Zukunft nicht genügend gesichert glaubte, nur unter der Bedingung eines längeren Aufschubs etwas hören wollte. Wie konnte gleichwohl sein Wille trennen und aus einander halten, was sich doch unaufhaltsam zu einigen trachtete, was die Natur selber für einander bestimmt und geschaffen hatte? Schmerzliche Kämpfe konnte er den Beiden wohl bereiten, seinen Segen konnte er der Wahl seines Kindes verweigern, aber er konnte nicht hindern daß sie endlich, dank dem Beistand der Gerichte, erreichten, was er selber ihnen hartnäckig vorenthielt: daß sie ohne seinen Segen zum Altare traten. In der Kirche zu Schönefeld bei Leipzig, am 12. September des Jahres 1840 empfing ihr Bund die Weihe von oben. Und der Segen des Himmels fehlte ihrer Ehe nicht.

„Ihre Geschicke,“ sagt Liszt, „erfüllten sich in dieser unter dem Segensstrahl der Kunst erblühten gegenseitigen Liebe, und fortan lebte er dichtend und sie dichtete lebend. Es war keine glücklichere, keine harmonischere Vereinigung in der Kunstwelt denkbar, als die des erfindenden Mannes mit der ausführenden Gattin, des die Idee repräsentirenden Componisten mit der ihre Verwirklichung vertretenden Virtuosin. Beide übten die Kunst in verschiedenen Richtungen von gleicher Bedeutsamkeit aus. Interpreten desselben poetischen Gefühls, schauten und verkündeten sie dasselbe Vorbild des Schönen, waren sie von demselben Abscheu gegen Triviales in der Kunst, von derselben Ehrfurcht für gleiche Eigenschaften erfüllt. Hand in Hand gehend, trugen sie gleiche Kränze und gleiche Palmen, ward Beiden gleicher Beifall; denn Ihn bewundern heißt Sie bewundern, die in verschiedenen Zungen, aber im herrlichsten Einklang sangen. Die Annalen der Kunst werden Beider Gedächtniß in keiner Beziehung trennen; die Nachwelt kann Beider Namen nicht vereinzelt nennen; sie wird mit einem goldnen Schein beide Häupter umweben, über beiden Stirnen nur einen Stern erglänzen lassen, wie von einem berühmten Bildner unsrer Zeit[3] die Profile des unsterblichen Paares schon in einem Medaillon vereinigt sind.“

Bald gaben sie von dem nach langen Kämpfen errungenen Glück dankbar auch nach außen Kunde. Hatte er ihr kurz zuvor schon seine ersten Lieder, die „Myrten“, als köstlichste Brautgabe dargebracht, so sangen sie nun vereint die „zwölf Gesänge“ aus Rückert’s Liebesfrühling (Opus 37); die ersten beredten Zeugen ihres jungen Eheglücks, die ihnen der Dichter selber mit dem poetischen Dankesgruß lohnte:

„Lang ist’s, lang,
Seit ich meinen Liebesfrühling sang;
Aus Herzensdrang,
Wie er entsprang,

5
Verklang in Einsamkeit der Klang.


Zwanzig Jahr
Wurden’s, da hört ich hier und dar
Der Vogelschaar
Einen, der klar

10
Pfiff einen Ton, der dorther war.


Und nun gar
Kommt im einundzwanzigsten Jahr
Ein Vogelpaar,
Macht erst mir klar,

15
Daß nicht ein Ton verloren war.


Meine Lieder
Singt Ihr wieder;
Mein Empfinden
Klingt Ihr wieder;

20
Mein Gefühl

Beschwingt Ihr wieder;
Meinen Frühling
Bringt ihr wieder;
Mich, wie schön,

25
Veriüngt Ihr wieder.

Nehmt meinen Dank, wenn auch die Welt,
Wie mir einst, ihren vorenthält!“

An eigenen Compositionen – meist für Clavier und Gesang, doch darunter auch ein Concert mit Orchester, ein Trio und Romanzen für Pianoforte und Geige – veröffentlichte Clara im Laufe der Zeit 23 opera und einiges ohne Opuszahl Erschienene. Aber auch das, was ihr Gatte schuf, durchlebte sie treulich mit ihm, und an seinem Streben nach dem Höchsten nahm sie theil.

„Er war ihr“ – wie Ferdinand Hiller in bewegter Rede am Grabe Robert Schumann’s bezeugte – „wie der Tochter der Vater, wie der Braut der Bräutigam, wie dem Jünger der Meister, wie dem Gläubigen der Heilige.“

Als liebevolle Vermittlerin stand sie zwischen dem in seine Traum- und Gedankenwelt vertieften, schweigsamen Manne und dem praktischen Leben, der Außenwelt. Von der stillen Heimstätte, die sie sich als Mittelpunkt harmonischsten häuslichen Glückes zunächst in Leipzig, dann in Dresden (von 1844 bis 1850) und zuletzt in Düsseldorf gegründet, zog sie ihn auch zeitweilig mit in’s Weite hinaus, in Rußland wie in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, Oesterreichs und der Niederlande Triumphe mit ihm feiernd. Durch seinen Genius empfing der ihre seine eigentlichste höchste Weihe. Weit über das, was Clara Wieck einst war, wuchs Clara Schumann hinaus. Aus der „lieblichen Musenspielgenossin ward eine weihevolle, treu pflichtige und strenge Priesterin“.

Sie offenbarte der Welt, was in seiner Seele erklungen und rastete nicht, bis sie seinen tiefsinnigen Clavierdichtungen ein immer allgemeineres Verständniß erschlossen. So war die Ehe dieser beiden Muesenkinder ein gegenseitiges seliges Geben und Nehmen; so war ihre Größe sein, seine Anerkennung ihr Verdienst. Konnte es im Jahre 1846, als Beide Wien besuchten, wie Hanslick erzählt, noch geschehen, daß man von ihm nur als von dem „Mann der Clara Wieck“ sprach, und bei einem Hofconcert sich eine hohe Person nach Clara’s Production mit der huldvollen Frage an ihren Gatten wandte: „Sind Sie auch musikalisch?“ so lernte die Welt dank den Bemühungen der treuen Gattin allmählich erkennen, was sie in ihm besaß.

Und dem erwählten Berufe blieb Clara treu in guten wie in bösen Tagen. Als wenige Jahre, nachdem Robert Schumann sein bisheriges vorwiegend freies Künstlerleben gegen eine amtliche Wirksamkeit in Düsseldorf vertauscht hatte, sich im Februar 1854 an ihm das furchtbarste Geschick erfüllte, als Krankheit des Leibes und der Seele den reichen Geist in Fesseln schlug, bis nach zwei trauriger Jahre Frist der mitleidige Tod das umnachtete Dasein endete, da erhob sich die Schmerzgebeugte „mit der Willensstärke der Mutter, mit der Begeisterung der Künstlerin, mit der ungebrochenen Liebe zu dem Dahingeschiedenen“, um das Priesterthum seiner Kunst in seinem Sinne zu vollenden. Als seine Wittwe, die ihr Heim von Düsseldorf wechselnd nach Berlin (von 1857 bis 1861), nach Baden-Baden (bis 1873), sodann wieder nach Berlin (bis 1878) und endlich nach Frankfurt am Main verlegte, wo sie noch gegenwärtig an der Hoch’schen Hochschule für Musik unterrichtet, trat sie von neuem in die Welt.

„Wenn sie den Dreifuß des Tempels bestieg“ – so hören wir Liszt sie schildern – „spricht nicht mehr das Weib zu uns; sie unterhält uns weder als Dichterin von irdischer Leidenschaft, vom stürmischen Kampf menschlicher Geschicke, noch überzeugt sie uns durch die Kühnheit ihrer Anreden; noch weniger bewirbt sie sich um Sympathien. Eine unterwürfige, glauben- und ehrfurchtsvolle Geweihte des Delphischen Gottes begeht sie mit schauernder Gewissenstreue seinen Cultus. Zitternd, auch nur ein Jota des [608] zu kündenden Spruches zu vermissen, eine Silbe falsch zu betonen, bezähmt sie ihr eigenes Gefühl, um nicht zur schuldigen, trügerischen Interpretin zu werden. Sie entsagt den eigenen Eingebungen, um als unbestechliche Vermittlerin, als treue Auslegerin die Orakel zu verkünden. Und so ist sie von Andacht beherrscht, daß das bewegliche menschlichere Element vor dieser objectiven Interpretation der Kunst fast gänzlich zurücktritt. Dagegen wird Niemand in der ergreifenden Wahrheit ihr den Vorrang abgewinnen, mit welcher sie die durch volles Verständniß geheiligten Meister vorträgt. – Selten wird wieder, wie sie, eine Frau ihr ganzes inneres Leben in die Kunst übertragen, um nur noch in ihrem Gebiet zu fühlen und zu genießen. Eine vorwurfsfreie Vollendung charakterisirt jeden Ton dieser sanften leidenden Sibylle, die, Himmelsdüfte athmend, mit der Erde nur noch durch ihre Thränen verbunden bleibt.“

Und an anderer Stelle sagt er: „Es ist öfters bemerkt worden, wie genau gewissenhaft Frau Schumann’s Vorbereitungen zum öffentlichen Auftreten sind, wie sie die Tastatur durchspürt und jeden Ton prüft, dessen wenn auch richtiger Klang die gewollte Resonanz und Färbung nicht vollständig hergiebt, wie sie sorgt, daß ihr Sitz nicht um das Geringste zu hoch oder zu niedrig sei, wie sie nicht allein lange Stunden auf dem Piano übt, was sie spielen soll, um alle seine Feinheiten, Schwächen und Vorzüge kennen zu lernen, sondern womöglich in dem betreffenden Saale selbst, um abzulauschen, wie in dessen Akustik jeder Accord, jedes Arpeggio, jedes Anschwellen und Abnehmen der Tonfluthen sich ausnehmen wird. Wir können darin nur eine Nothwendigkeit ihres Wesens sehen, eine Consequenz ihrer Verfahrungsweise, ihrer Auffassung von Kunst, Berufstreue und Schwierigkeit der künstlerischen Lebensaufgabe, die ihr nicht erlaubt, ihrer von der Gunst des Augenblicks und der Stimmung abhängigen persönlichen Begeisterung zu vertrauen, sie vielmehr überzeugt, daß, um der Würde der Kunst treu zu bleiben, man zu jedem ihrer Feste mit demselben Ernste, derselben Weihe schreiten muß. In jeder Hinsicht makellos, ist sie durch andauernde Sorgfalt, Energie des Willens und ascetische Hingebung zu einer Meisterschaft gelangt, die sie gewissermaßen als unfehlbar stempelt.“

„Andere dichten – sie ist eine Dichtung,“ schreibt Schumann von Clara, der Hiller mit Recht nachrühmt, daß sie inmitten aller Triumphe stets das „einfachste, wahrhaftigste, echteste Weib, die aufopferndste Mutter, die getreue Freundin“ bleibt. Berlioz nennt sie „die Erste und Einzige“, und Liszt fügt hinzu: „Wenn auch Viele mehr Lärm machen, Wenige geben so viel Musik.“

Nahezu zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit Liszt jene Worte schrieb; aber sie haben ihnen nichts von ihrer vollen Geltung geraubt. Als die berufenste Vermittlerin der unter ihren Augen entstandenen, vielfach für sie selber gedachten und durch sie allmählich populär gewordene Schöpfungen ihres Gatten wie der classischen Meisterwerke bewundern wir sie noch heute und ehren und lieben in ihr mit Hans von Bülow’s Worten die „noch immer unentthronte Königin der Clavierspielerinnen“.

Anmerkungen (Wikisource)


  1. Aus dem gegenwärtig unter der Presse befindlichen fünften Bande von La Mara’s Werke „Musikalische Studien- und Charakterköpfe“: „Die Frauen im Tonleben der Gegenwart“ (Leipzig, Breitkopf und Härtel). Wir empfehlen diesen neuesten Band des vortrefflichen Werkes der allgemeinsten Beachtung unserer Leser.
    D. Red.     
  2. Eine ausgeführtere Lebensskizze Robert Schumann’s siehe: „La Mara, Musikalische Studienköpfe“. 1. Band, 5. Auflage. Leipzig, Schmidt und Günther.
  3. Rietschel.