Das Mikroskop

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Titel: Das Mikroskop
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 222–223
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Mikroskop.

Wir haben wohl schon Manches von den hundertfachen Vergrößerungen der kleinsten Thierchen und Stäubchen gehört und gesehen, ohne uns recht um das Instrument zu bekümmern, durch welches mehr Geheimnisse der Natur offenbart, und dem menschlichen Geiste wie dem praktischen Leben mehr Vortheile und Genüsse zugänglich geworden sind, als durch ganze Hunderte anderer Erfindungen.

Auch der Sachverständige wird sich freuen, zusammengestellt und zu Gemüthe geführt zu finden, was dieser „Kleinseher,“ wie man das griechische Wort Mikroskop übersetzen müßte, schon Alles geleistet und welch ein gewaltiges Civilisations-Instrument er ist und erst werden mag, wenn des großen Naturkundigen, Sir Isaac Newton’s Prophezeihung, daß das Mikroskop auf dem Tische jedes gebildeten Menschen stehen werde, sich erfüllt haben wird.

Freilich wir sind noch lange nicht so weit, aber doch stark auf dem Wege. Der kleinste Bauer, die Hausfrau mit dem knapp zugemessenen Wirthschaftsgelde werden einmal einsehen, daß sie mit dem Mikroskop mehr Korn bauen und besser wirthschaften können als mit bloßen Augen.

Das Mikroskop kann in seiner Bedeutung getrost neben die Buchdruckerkunst, die Dampfkraft und die Elektricität gestellt werden. Wie Talleyrand einmal zu Napoleon sagte: „Sire, heut zu Tage ist die Buchdruckerpresse stärker als eine Armee,“ kann man beweisen, daß das Mikroskop in der Geschichte der Bildung stärker zieht, als 100 Dampfschiffe mit 10,000 Pferdekraft.

Aber freilich, um diese Kraft zu bekommen, muß es erst popularisirt und die Prophezeihung Newton’s im weitesten Sinne erfüllt werden. Es muß heraus aus der räthselhaften Studirstube des Physikers, Chemikers, Botanikers u. s. w. auf den breiten Markt des Lebens und eben so häufig gekauft und ausgebessert werden, als Taschenuhren. Man verkaufe zur Noth die Uhr und verschaffe sich dafür ein Mikroskop. Jeder Mensch kann uns jetzt sagen, welch’ Zeit es ist, aber Wenige wie man durch einen mikroskopischen Blick in die erhabene Unendlichkeit des wirklich Unsichtbaren der Zeit vorauseilen und dem Menschenwohle im Großen auf die Beine helfen kann. Das Mikroskop muß heraus vor die Augen der Menge, die bisher größtentheils vor den Geheimnissen der Natur stehen, und nachdem sie 50 Jahre lang Kartoffeln gegessen, noch nicht einmal wissen, was eine solche ist und enthält; sie müssen in’s Innere der Natur dringen und sich nicht mit dem großen Naturphilister Haller, der schon glücklich mit der äußern Schale war (sie ist übrigens nach Goethe ganz richtig, „weder Kern noch Schale, sondern Alles mit einem Male“), begnügen, sondern ihr Herz im Kleinsten pulsiren sehen und ihre zerlegten Gebilde verstehen lernen. Mancher sonst brave, gebildete Mann mag hier wohl sagen, ja, wo soll ich die Zeit zu solchen Kleinigkeiten hernehmen? Ist's nicht schon genug, wenn ich Zeitschriften halte, welche mir 600fach vergrößerte Abbildungen von Infusorien, Blutkügelchen, Mehlstäubchen u. s. w. bringen? Darauf ließe sich wohl zunächst mit einer andern Frage antworten: Wo nehmen Sie die Zeit her, um Abende über den Durst zu trinken und über den Appetit zu rauchen, über die Zeit auszubleiben und früh über die Zeit zu schlafen? Und im Ernste: „Wissen ist Macht,“ wie ein alter Philosoph (Bacon) sagt, und mikroskopisches Wissen gehört mit jedem Tage mehr zur allgemeinen Bildung und wird mit jedem Tage nützlicher, praktischer, unentbehrlicher in Industrie und Handel, und sei es nur, um die Frau, die von allen Seiten von verfälschten Artikeln umgeben ist, vor Betrug zu schützen. Das Mikroskop ist in vielen Fällen das einzige sichere Mittel, die schöne, echte Leinewand, der Stolz und die Freude jeder gebildeten Hausfrau, von den Geweben zu unterscheiden, die sich mit Baumwolle oft auf die versteckteste Weise gemein gemacht haben. Und wie oft muß der kostbare Lebensfaden des Seidenwurms, der in so eigenthümlich klangvoll rauschenden Gewändern die schöne Tochter bei feierlichen Gelegenheiten umwallen soll, sich zum Heiligenschein für das Produkt des wollhabenden Schafes hergeben? Der liebende Gatte, der hoffnungsvolle Anbeter bedenke, daß Seide mit Wolle oder Baumwolle die süßesten Hoffnungen vernichten kann, und das Echte gewöhnlich nur noch unter dem Mikroskop sich als unzweifelhaft ehrlich legitimiren kann. Ich erwähne noch die Milch und Sahne, welche letztere früher einmal aus verdünnter Milch mit zerquirltem Briefpapier (worin gewöhnlich etwa Arsenik ist) componirt wird. Nur unter dem Mikroskope noch lassen sich die unzähligen Verfälschungen von Lebensmitteln, Verbrauchs- und Luxusartikeln sicher erkennen. Man wird also leicht einsehen, daß das Mikroskop nicht nur sehr gesund ist, sondern auch viel Geld und Verdruß sparen, eben so die Leute zwingen kann, ehrlich zu handeln.

Ein Gelehrter von Fach in diesem Fache sollte sich die Mühe nehmen, die Kennzeichen des Echten und Unechten, wie sie sich unter dem Mikroskope darstellen, durch alle Grade und Pfiffe von Verfälschungen zu verfolgen, in Wort und Bild deutlich darzustellen und so das eigene Interesse der Menschen für das Mikroskop aufregen.

Mit der Zeit wird dann wohl auch der unendliche wissenschaftliche Werth dieses Instruments allgemein bekannt und anerkannt. Hier nur einige Andeutungen. Oken, der große Naturforscher, nennt das Mikroskop die Wurzel und Miene der Naturgeschichte, besonders der Physiologie, d. h. der Erkenntniß des Geheimnisses: Leben.

„Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält!“

Oken erkannte zuerst durch das Mikroskop die jetzt durch die ganze civilisirte Welt anerkannte Thatsache, daß alles organische Leben ursprünglich aus unendlich kleinen Zellen oder Bläschen bestehe, welche durch ihre Umdrehungen Wachsthum, Wärme, Gestalt und Farbe und Form bedingen und sich aus Luft, Licht, Wasser und elementaren Stoffen ernähren und vermehren. Daraus schloß und erschloß man weitere Geheimnisse des Lebens und gründete darauf die Physiologie, ohne welche es kein Wissen der Natur, keine Erkenntniß und Heilung von Krankheiten mehr giebt. Daraus ging eine vollständige Reform aller Naturwissenschaften und ein durch und durch tieferes Princip des Forschens, Erkennens und Wissens hervor. Ehrenberg entdeckte und classificirte durch das Mikroskop eine ganz neue Welt von Millionen und Billionen Wesen, die zum Theil an einem einzigen Sandkorn so viel haben, wie wir an unserer ganzen Erde. Der Leser kennt sie unter dem allgemeinen Namen Infusorien. Ganze Berge, Gegenden und halbe Länder stellten sich als Leichen von Infusorien (als deren Schildpanzer) dar. Roßmäßler’s „Blicke in den Bau der Pflanzen,“ Schleiden’s „Leben der Pflanzen,“ viele Werke von Klenike und Müller, Liebig’s „Chemische Briefe,“ Moschelett’s „Nahrungsmittel der Menschen,“ A. v. Humboldt’s „Kosmos,“ Burmeister’s und anderer Meisterwerke, besonders medicinische mit ihren Entdeckungen und Heilungen wären ohne das Mikroskop nicht möglich gewesen. Die Kartoffel-, die Traubenkrankheit, die Cholera, die Gicht und andere Würgengel unter Pflanzen und Menschen lassen sich blos unter dem Mikroskop enthüllen und so beherrschen und vertreiben. Gerade die Krankheiten der Pflanzen kommen wohl größtentheils von Infusorien, deren Lebensweise sich blos unter dem Mikroskope beobachten läßt, so daß man einen Vertilgungskrieg gegen sie ausfindig machen kann, wie ein Arzt es bereits gegen die Krätzmilben gethan. Die Menschheit verdankt es dem Mikroskope, daß eine der hartnäckigsten Krankheiten jetzt in zwei Tagen geheilt werden kann. Aehnliche Entdeckungen wird man vermittelst des Mikroskopes für Pflanzen und Getreide machen. Es ist deshalb nicht zu viel verlangt, daß der Bauer mit dem Mikroskop umgehen lerne, wie die Gärtner in England, besonders um London herum, wo jedes Stückchen Land so groß wie eine Goldmünze jedes Jahr so viel wachsen lassen muß, als die Goldmünze werth ist. Wahrscheinlich ist der vortreffliche Artikel „Household words“ über die Londoner Markt-Gärten schon übersetzt worden. Wir verweisen Jeden, der für ein Stückchen Erde zu sorgen hat, darauf, damit er sehe, wie man hier vermittelst der Wissenschaft und des rührigsten Fleißes mehr Gold aus der Erde zu treiben weiß, als die Goldgräber Australiens und Californiens. Daß die Natur-Erkenntniß in der Unendlichkeit des Kleinen eben so veredelnd und bildend, so erhebend und reinigend [223] auf den Menschen wirkt, wie die Unendlichkeit des Großen, der Meere und Berge, der Sterne und Sonnen, mag Jeder an sich selbst erfahren. Es ihm vorher beweisen zu wollen, ist deshalb nicht gerathen, weil sich auf den noch nicht erweckten Sinn nicht mit nachhaltigem Erfolg einwirken lassen soll.

Noch ein Wort über das Mikroskop in technischer Beziehung. Im Allgemeinen kennt es wohl Jeder. Holland und Italien streiten sich um dessen Erfindung. Allerdings hatte man schon im 13. Jahrhundert einfache Vergrößerungsgläser in Italien, und Roger Bacon soll Dinge darin gesehen haben, die das Volk blos dem Teufel zuschreiben konnte. Aber das eigentliche zusammengesetzte Mikroskop und dessen wissenschaftlicher Gebrauch läßt sich blos bis auf’s 17. Jahrhundert zurückführen, wo der Holländer Leuwenhoek berühmte physiologische Entdeckungen durch dasselbe begründete. In neuester Zeit hat es mit den Fortschritten in der Lehre vom Lichte einen Grad von Vollendung erreicht, die jeden Laien, der zum ersten Male hindurchsieht, in Erstaunen setzen wird.

Man kann bereits bis 7000mal vergrößern, so daß das dünnste Haar die Gestalt des dicksten Balkens annimmt und sein ganzes inneres Getriebe enthüllt. Das Mikroskop besteht aus wenigstens zwei Gläsern, dem Objectglas, das ein vergrößertes Bild des dicht unter ihm befindlichen Gegenstandes entweder direkt oder besser durch mehrere vergrößernde konvexe Gläser (Linsen) auf das Augenglas wirft, an welches sich das forschende möglichst dicht anschließen muß. Schlechte Mikroskope bestehen natürlich aus schlechten, d. h. unregelmäßig geschliffenen und Farben gebenden Gläsern. Ein gutes Mikroskop erkennt man besonders an achromatischen Gläsern, d. h. solchen, die blos klar vergrößern, ohne Farben zu erzeugen. Wer sich ein gutes Mikroskop verschaffen will, kaufe sich ein wohlfeiles, d. h. ein theures. Das wohlfeile taucht nämlich nichts, muß also weggeworfen und durch ein gutes ersetzt werden. Aeußerlich besteht das Mikroskop aus dem Ständer, der Objekt-Tafel, dem Leucht-Apparate und der Röhre mit den Gläsern. Der Ständer hält die Gläserröhre so, daß sie dem Gegenstande, der vergrößert werden soll, beliebig näher gebracht werden können. Die richtige Entfernung für die klarste Vergrößerung muß man sich suchen. Die Object-Tafel besteht am Einfachsten aus einem dunkeln Metallringe unter dem Objectglase, um den Gegenstand, den man untersuchen will, davon oder dazwischen zu befestigen. Der Leuchtapparat ist verschieden für dunkele und durchsichtige Körper. Für letztere besteht er aus einem concaven Spiegel, der sich in beliebige Winkel zu dem Objectglase stellen läßt und sein gesammeltes Licht in die Röhre werfen muß. Für durchsichtige Gegenstände wird statt des Spiegels eine Collectivlinse (convex) gebraucht, die so am Ständer befestigt ist, daß sie sich beliebig drehen läßt. Für den Gebrauch des Mikroskops nur noch einige Andeutungen. Man kann bei Sonnen- und künstlichem Lichte beobachten. Ersteres ist am Besten, wenn die Sonne klar am Himmel oder einer weißen Wolke gegenübersteht. Man hüte sich, das Sonnenlicht direct in den Leuchtapparat fallen zu lassen, weil dies ein colorirtes Bild giebt und die Augen verdirbt. Das beste künstliche Licht ist eine Flamme von reinem Oel. Der Tisch, auf dem das Mikroskop steht, darf nicht mit einer hellen Decke versehen und nicht polirt sein, weil dies viel Licht zerstreut und verbraucht. Die Gläser müssen natürlich (mit einem Stückchen alter Leinwand) rein gehalten und zuweilen erst mit einem Kameelhaarpinsel und dann mit Alkohol von der dünnen Haut, die sich aus der Atmosphäre mit der Zeit ansetzt, befreit werden. Da Augengläser oft mit Canada-Balsam überstrichen sind, muß man den Alkohol nur sehr vorsichtig anwenden und ein Leinenläppchen nur ein wenig damit anfeuchten. Mikroskope, die etwa 400mal ganz klar vergrößern, sind im Durchschnitt die besten.

Ueber eine 400fache Vergrößerung hinaus geben nur noch die genauesten (und deshalb sehr theuern) Instrumente noch klare Bilder. Alles Uebrige wird man von jedem guten Optiker, von dem man das Instrument kauft, erfahren, der auch die interessantesten Gegenstände, die sich besonders für das Mikroskop eignen, für unmittelbaren Gebrauch vorbereitet halten wird. Zubereitung kleiner Gegenstände für das Mikroskop ist Sache eigenen Witzes, eines zarten, scharfen Messers, einer feinen Scheere, von ein Paar Nähnädeln (an kleinen Schrauben befestigt), einer feinen Zange u. s. w. Einen Wassertropfen wird jeder an einer Spitze unter das Mikroskop bringen lernen, um zu sehen, wie sich darin eine Menge wunderliche Wesen ihres kurzen Lebens freuen, bis sie mit ihrer ganzen Erde im warmen Sonnenlichte vergehen, wie ein Hauch, um im nächsten Tropfen oder als ein Theil des Menschen, eines Thieres oder einer Pflanze wieder aufzuleben. Will man die todte Natur wirthschaften sehen, verdunste man unter dem Mikroskope einen Tropfen Salzwasser durch ein Spiritusflämmchen; man sieht, wie die Krystalle sich hitzig beeilen, zusammenzuschießen, um stark durch Vereinigung dem Spiritus des Todes zu trotzen.