Denkmalpflege und Heimatschutz

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Autor: Carl Johannes Fuchs
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Titel: Denkmalpflege und Heimatschutz
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Fünfzehntes Hauptstück: Bildung, 84. Abschnitt, S. 159−164
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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84. Abschnitt.


Denkmalpflege und Heimatschutz.
Von
Dr. Carl Johannes Fuchs,
o. Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen.


Literatur:[Bearbeiten]

Bredt, F. W., Heimatschutzgesetzgebung. Düsseldorf 1912;
Conwentz, H., Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Denkschrift Berlin 1904;
Derselbe, Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Berlin 1910 ff.;
Fuchs, Carl Johannes, Heimatschutz und Volkswirtschaft, Halle a. S., 1905;
Gemeinsame Tagung für Denkmalspflege und Heimatschutz, Salzburg 14. und 15 September 1911, Stenographischer Bericht (Referate von Clemen, Dvorak, Schultze-Naumburg, Giannoni, Semetkowski, Fuchs und Conwentz);
Für Bauplatz und Werkstatt. Aus der Tätigkeit der Württembergischen Beratungsstelle für das Baugewerbe. Stuttgart 1912;
Giannoni, Karl, Heimatschutz, Wien und Leipzig 1911;
Heyer, K., Denkmalpflege und Heimatschutz im deutschen Recht. Berlin 1912;
(Kahr), Recht und Verwaltung des Heimatschutzes in Bayern. München 1912;
Lange, Konrad, Grundsätze der modernen Denkmalpflege 1906;
Oechelhäuser, Adolf von, Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege. Karlsruhe 1909;
Rudorff, Heimatschutz, 3. Auflage, München, Callwey;
Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten;
Derselbe, Die Entstellung unseres Landes. (Flugschrift des Bundes Heimatschutz);
„Heimatschutz“, Zeitschrift des Bundes Heimatschutz.

Die Denkmalpflege ist, wenn sie auch Vorläufer in der Renaissance, ja schon im Altertum hat, wesentlich ein Kind der Romantik, „ein moderner Begriff und eine moderne Kulturbetätigung“: in der Art, wie wir sie jetzt auffassen, hat es sie früher überhaupt nicht gegeben, sie ist vielmehr im wesentlichen erst im 19. Jahrhundert entstanden. Victor Hugo („Guerre aux démolisseurs“ 1825) und Graf Montalembert („Du vandalisme en France“) haben in Frankreich, die Schlegel, Tieck, Wackenroder in Deutschland an ihrer Wiege gestanden. Als erste ist hier allerdings schon eine Verordnung des Markgrafen Alexander von Bayreuth vom 10. April 1780 zur Erhaltung der alten Monumente anzuführen, und ähnliche vereinzelte Versuche wurden auch sonst, z. B. im Grossherzogtum Hessen, gemacht, aber eine „zielbewusste Denkmalpflege grösseren Stils“ beginnt doch erst in Preussen und knüpft an die Denkschriften des grossen Architekten Karl Friedrich Schinkel von 1815 und 1816 an; diese hatten eine Reihe von Kabinettsordres und ministeriellen Zirkularverfügungen zur Folge, welche die öffentlichen Gebäude und Denkmäler unter staatliche Oberaufsicht stellten, die Veräusserung alter Baudenkmäler, auch die Abtragung alter Stadtmauern und Tore verboten und deren Erhaltung anordneten. Eine solche Verfügung von 1837 wendete sich sogar auch schon aufs schärfste gegen Verunstaltung der Kunstdenkmäler durch ungeschickte Restaurierungen. Im übrigen war in dem preussischen Landrecht die rechtliche Grundlage gegeben. Aber eine wirklich erfolgreiche Spezialgesetzgebung ist zuerst ih dem klassischen Lande der Denkmalpflege, in Frankreich, geschaffen worden, wenn auch in Dänemark schon 1809 und 1810 eine Anzahl von Kunstdenkmälern in Listen aufgenommen und unter gesetzlichen Schutz gestellt worden war. Da hier aber keine wirksame Durchführung erfolgte, und das griechische Gesetz von 1834 hauptsächlich nur die antiken Denkmäler betraf, so war die Einsetzung der französischen Commission des monuments historiques doch praktisch der Ausgangspunkt einer allgemeinen gesetzlichen Regelung der Denkmalpflege. Sie hatte nämlich vor allem als Grundlage dafür ein Verzeichnis [160] der des staatlichen Schutzes würdigen und bedürftigen Denkmäler aufzustellen, und diese Klassierung („Classement“) haben alle wichtigeren späteren Denkmalschutzgesetze von Frankreich übernommen. Sie wurde 1881 auch auf die im Privatbesitz befindlichen Denkmäler, hier allerdings nur die unbeweglichen d. h. die Baudenkmäler (und 1906 durch das Verdienst der „Societé pour la protection des paysages de France“ auch auf „Naturdenkmäler“ und schöne Landschaften), ausgedehnt. Aber erst das Gesetz vom 30. März 1887 schuf die nötigen rechtlichen Grundlagen, nachdem auch die Einführung eines partiellen Enteignungsrechtes im Jahre 1841 keine grosse praktische Bedeutung gehabt hatte. Das Gesetz von 1887 bestimmt: ein klassiertes Denkmal, gleichviel ob beweglich oder unbeweglich, staatlich oder privat, darf ohne Genehmigung des französischen Unterrichtsministeriums weder zerstört, noch restauriert, erweitert oder verändert werden. Ohne staatliche Genehmigung ist es ferner verboten, bewegliche klassierte Denkmäler, sowohl öffentliche, als auch private, zu veräussern. Unter Umständen ist sogar ein unbewegliches Denkmal, ebenso wie der Grund und Boden, der ein klassiertes Denkmal enthält, zwangsweise zu enteignen. Die Ausführung allerdings blieb auch jetzt noch in ziemlich engen Grenzen, weil vor allem nur eine verhältnismässig geringe Zahl von Monumenten klassiert worden ist (bis heute erst wenig über 2000), um diesen einen wirklich erfolgreichen Schutz gewähren zu können, der durch die vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel beschränkt ist.

Inzwischen war auch in Preussen ein weiterer Schritt durch Einsetzen eines Konservators der Denkmäler im Jahre 1843 geschehen, und damit eine staatliche Instanz im Hauptamte für die Denkmalpflege geschaffen, deren Einwirkung auch auf die nicht im Besitz des Staates befindlichen kirchlichen, Gemeinde- oder privaten Kunstdenkmäler ausgedehnt wurde. Diesem Beispiel Preussens folgten die Regierungen der anderen Bundesstaaten mehr oder weniger bald. Ein eigentliches „Denkmalschutzgesetz“ aber ist in Deutschland nur in zwei Bundesstaaten: Hessen und Oldenburg, erlassen worden.

Wie in diesen beiden Gesetzen (s. u.) so ist das Prinzip des französischen Classement schor vorher auch in anderen Kulturstaaten zur Anwendung gekommen: zunächst in mehr beschränkten Weise in England, dagegen viel umfassender und strenger in dem von England beherrschten Indien und in Ägypten; ferner in Dänemark, Portugal, Rumänien und teilweise auch der Schweiz, endlich neuerdings in Italien (1902) und Österreich (Gesetz-Entwurf von 1911), während in Elsass-Lothringen das Classement aus der französischen Zeit her in Geltung geblieben ist.

Auch das erste deutsche Denkmalschutzgesetz, das hessische Gesetz vom 16. Juli 1902, beruht auf dem Prinzip der Klassierung oder „staatlichen Einwertung“, wie es hier genannt wird, d. h. der Eintragung in eine staatliche Denkmalliste, und zwar erfolgt die Einwertung der beweglichen und unbeweglichen Denkmäler im Staatsbesitz oder im Besitz juristischer Personen des öffentlichen Rechtes direkt durch die Kreisämter, die der im Besitz natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts befindlichen unbeweglichen Denkmäler – nur diese werden bei letzteren erfasst – durch eine vom Ministerium unabhängige, zum Teil mit Laien besetzte, ehrenamtliche Kommission, den sogenannten „Denkmalrat”, gegen dessen Entscheidung dem Besitzer ein Einspruch zusteht. Noch weiter geht das oldenburgische Denkmalschutzgesetz vom 18. Mai 1911, das überhaupt in vieler Beziehung vorbildlich und beachtenswert ist. Es erstreckt nämlich das Prinzip der Klassierung auf alle schutzbedürftigen Denkmäler – also auch die beweglichen im Privatbesitz – und nimmt ausdrücklich unter Berufung auf das Enteignungsgesetz die Möglichkeit der Enteignung von Denkmälern und der Umgebung von Denkmälern und von archäologisch wichtigem Boden in Aussicht. Eine sehr wesentliche Handhabe für die Denkmalpflege bieten ferner die modernen Landesbauordnungen in Sachsen, Baden und Württemberg und das neue „Baupflegegesetz“ von Hamburg. Bayern dagegen hat auf Grund seiner älteren Gemeindeordnungen und durch neuere Ministerialerlasse umfassende Fürsorge getroffen. Preussen endlich ist über mehrfache Entwürfe eines Denkmalschutzgesetzes nicht hinausgekommen und hat schliesslich an Stelle eines solchen das den [161] weiteren Rahmen des Heimatschutzes umspannende „Verunstaltungsgesetz“ (s. u.) geschaffen, in welches die Denkmalpflege mit eingeschlossen ist.

Die Ausübung der so gesetzlich geregelten Denkmalpflege durch die, Denkmälerorganisation ist innerhalb des Deutschen Reiches ebenfalls eine sehr vielgestaltige. In Preussen hat eine weitgehende Dezentralisation der Denkmalpflege den größeren Teil der Arbeit in die Provinzen verlegt, den „Provinzialkonservatoren“ übertragen. Das gleiche System besteht in Hessen, Oldenburg und Baden. Demgegenüber hat Bayern eine stark zentralistisch gebildete Organisation in seinem „Generalkonservatorium“, ähnlich Württemberg mit seinem „Landeskonservator“.

Innerhalb dieser äusserlichen Entwickelung der Denkmalpflege hat sich aber dabei in ihrem inneren Wesen in den letzten 25 Jahren eine tiefgreifende Wandlung vollzogen: nämlich die vollständige Abkehr von der namentlich in den 60er Jahren herrschenden Restaurierungssucht, einer Frucht des Historismus auf dem Gebiete der Kunst. Diese Wandlung verdanken alle Kulturländer in letzter Linie dem energischen Auftreten des temperamentvollen englischen Ästhetikers John Ruskin, der die „Society for the Protection of ancient buildings“ ins Leben rief, sie ist aber in Deutschland ganz besonders auch das Verdienst der freien wissenschaftlichen, aber vom Staate unterstützten Organisation, welche die Denkmalpflege hier – und zwar für ganz Deutschland – in dem jährlich abgehaltenen „Tag für Denkmalpflege“ seitdem Jahre 1898 gefunden hat, und aus welcher besonders jenes hessische Gesetz hervorgegangen ist. Schon auf dem ersten Denkmaltag erhob Cornelius Gurlitt die für die moderne Denkmalpflege charakteristische Forderung, dass auch in der Denkmalpflege, in der Arbeit an den Denkmälern, die lebendige Kunst das Hauptwort zu sprechen habe.

Auch in Ruskins Geiste ist aber gleichzeitig neuerdings eine grosse Ausdehnung der Denkmalpflege erfolgt: nämlich zunächst ihre Ausdehnung auf die sogenannten „Naturdenkmäler“, worin Preussen nach den Vorschlägen von Conwentz – die übrigens schon unter dem Einfluss des „Heimatschutzes“ standen – führend vorangegangen ist, indem es nach mancherlei Verordnungen schliesslich eine „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege“ geschaffen hat. Auch das hessische Denkmalschutzgesetz hat die Naturdenkmäler bereits mit einbegriffen, und auch in Frankreich ist diese Ausdehnung wie oben gezeigt neuerdings erfolgt. Dann aber hat sich der Denkmalschutz, wie vor allem in den Verhandlungen der letzten Denkmaltage hervortritt, auch bezüglich der Kunstdenkmäler immer mehr ausgeweitet, indem er von den hervorragenden Schöpfungen der grossen Kunst auch zu den weitverbreiteten alltäglichen Dingen, vom einzelnen Bauwerk zu seiner Umgebung und zum ganzen Stadtbild, von der Stadt zum Dorf und zur Pflege der „heimischen Bauweise“ fortschritt. Aber dies geschah erst in den letzten Jahren unter dem Einfluss und zunächst in Konkurrenz mit einer neuen umfassenderen Kulturbewegung: der des „Heimatschutzes.“

Der Heimatschutz ist im letzten Jahrzehnt als jüngerer Bruder, der die ältere Schwester jetzt schützend mitumfasst, neben die Denkmalpflege getreten. Das Wort wurde von dem Musiker Ernst Rudorff, Professor an der Königlichen Hochschule für Musik in Charlottenburg, mit seinen im Sommer 1897 in den „Grenzboten“ unter diesem Titel erschienenen Aufsätzen, welche dann erweitert in Buchform veröffentlicht wurden, geschaffen und hat seitdem wie die damit bezeichnete Bewegung einen Siegeszug durch die ganze Kulturwelt angetreten. Die wichtigsten Grundgedanken sind aber schon in einem älteren Aufsatz des Verfassers „Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur“ enthalten, welcher 1880 in den Preussischen Jahrbüchern erschienen ist.

Der „Heimatschutz“ in diesem Sinne bezweckt die Erhaltung der historischen und natürlichen Schönheit unserer Heimat. „Er erweitert den Denkmalbegriff auf die Werke der volkstümlichen Kunst. Er umfasst mehr noch als Einzelwirkungen die Gesamtwirkungen, die charakteristische Erscheinung der Heimat überhaupt, die er als Gesamtdenkmal auffasst, also das von der Natur geschaffene Landschaftsbild ebenso wie das vom Menschen geformte Ortsbild. Und da der Mensch selbst wie seine Wohnstätte und die Natur, die ihn umgibt, Einflüssen ausgesetzt ist, die seine bodenständige Eigenart verderben und verwischen, so ist die Volkspersönlichkeit selbst, die Erhaltung ihrer Eigenart in Hausrat, Brauch und Tracht, in Dichtung, Lied und Tanz, Gegenstand des Heimatschutzes. Vielverbreitet war seit langem die Wertschätzung des Altertümlichen, aber [162] sie bezog sich zunächst auf das Einzelobjekt, nicht auf Gesamtwirkungen, und ihr Ziel war womöglich die museale Verwahrung. Die Erhaltung der Kunst im Leben und für das Leben des Alltags, das war die neue Forderung des Heimatschutzes“ (Giannoni).

Es dauerte noch 7 Jahre, bis die Anregungen Rudorffs im Jahre 1904 zur Gründung des deutschen „Bundes Heimatschutz“ führten; inzwischen war die Sache schon seit Jahren besonders von Paul Schultze-Naumburg in seinen „Kulturarbeiten“, von Avenarius im „Kunstwart“ und „Dürerbund“, von Sohnrey in seiner ländlichen Wohlfahrtspflege und von lokalen Vereinen wie dem bayrischen „Verein für Volkskunde und Volkskunst“, dem Hannoverschen Verein „Niedersachsen“ u. a. theoretisch und praktisch betrieben worden. Die Arbeitsgebiete des Bundes Heimatschutz sind: „Denkmalpflege; Pflege der überlieferten ländlichen und bürgerlichen Bauweise; Schutz des Landschaftsbildes, einschliesslich der Ruinen; Rettung der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt, sowie der geologischen Eigentümlichkeiten; Volkskunst auf dem Gebiet der beweglichen Gegenstände; Sitten, Gebräuche, Feste und Trachten.“ Er ist heute eine mächtige Organisation mit vielen Einzelmitgliedern und 18 Landesvereinen (der grösste der württembergische mit 3300 Mitgliedern). Ausserhalb desselben stehen heute in Deutschland nur noch der genannte ältere bayrische Verein und der später begründete „Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz.“ Dagegen ist seine Organisation auch im Auslande, insbesondere in der Schweiz und in Österreich, nachgebildet worden, während in Frankreich die nur auf den Naturschutz sich erstreckende, schon genannte „Société pour la protection des paysages de France“ besteht, und in England der aus Ruskins Lehren hervorgegangene, schon 1894 gegründete „National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty“ die Sammlung von Geldmitteln zur Erwerbung solcher gefährdeter Objekte und ihre Verwandlung in Nationaleigentum zu seiner Hauptaufgabe gemacht und auf diesem Gebiete auch schon sehr bedeutende Erfolge erzielt hat. Im Jahre 1909 hat, von der genannten französischen Gesellschaft einberufen, auch schon ein erster Internationaler Kongress für Heimatschutz in Paris stattgefunden, ein zweiter, vom deutschen Bund Heimatschutz veranstaltet, ist 1912 in Stuttgart gefolgt, und im Jahre 1911 hat zum erstenmal eine „Gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz“ als gemeinschaftliche Veranstaltung des Denkmaltages und des Bundes Heimatschutz in Salzburg stattgefunden und wird in Zukunft alle zwei Jahre wiederholt werden. (Die 2. fand 1913 in Dresden statt.)

Diese so rasch angewachsene Kulturbewegung des Heimatschutzes ist auch von den deutschen Staatsregierungen zum Teil, so zuerst in Sachsen, eifrig aufgegriffen und unterstützt worden; in Bayern und Württemberg sind besondere staatliche oder halbstaatliche „Landesausschüsse für Naturschutz“ bezw. „Natur- und Heimatschutz“ (in Bayern als Ergänzung für den genannten Verein, welcher den Naturschutz nicht umfasst, in Württemberg in Konkurrenz mit dem Landesverein des deutschen Bundes) geschaffen und in Preussen (und Hohenzollern) die schon erwähnte aus dem Heimatschutz hervorgegangene „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege“ errichtet worden. Ferner aber ist es auch in Preussen und Sachsen bereits zu besonderen Heimatschutzgesetzen gekommen. Das preussische Gesetz vom 15. Juni 1907 „gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden“, eine Fortsetzung eines früheren Gesetzes von 1902, hat zunächst in Preussen wirksame Handhaben für die Ausübung des Heimatschutzes (einschliesslich der Denkmalpflege) geschaffen, aber allerdings den Schwerpunkt vielleicht zu sehr auf von den Gemeinden zu erlassende, aber nicht erzwingbare Ortsstatute gelegt. Auf seiner Grundlage beruht auch das sächsische „Gesetz gegen Verunstaltung von Stadt und Land“ vom 10. März 1909, aber es hat den Vorzug, dass es eine Erzwingung solcher Ortsstatute bezw. ihren Erlass durch das Ministerium des Innern vorsieht und den Landschaftsschutz auf das ganze Land, nicht nur auf einzelne landschaftlich hervorragende Gegenden ausdehnt. Damit ist in beiden Ländern auf diesem Gebiet (insbesondere also auch dem der Reklame) wenigstens den schlimmsten Missständen vorläufig gesteuert. In den anderen deutschen Staaten wird ein gleiches zum Teil durch die Polizeiordnungen oder durch Spezialverordnungen oder durch die erwähnten neuen Landesbauordnungen ermöglicht. In Frankreich hat man [163] neuerdings (1912), den Versuch gemacht, die Reklame durch eine Erdrosselungssteuer zu bekämpfen.

Für die bisherigen Erfolge und künftigen Aussichten der ganzen Heimatschutzbewegung, insbesondere auch für die Durchführung der schon geschaffenen oder noch zu schaffenden gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen ist aber zwischen den zwei grossen Aufgaben zu unterscheiden, welche der Heimatschutz – wie ihn die moderne deutsche Heimatschutzbewegung versteht – umfasst, und bei welchen die zu überwindenden Schwierigkeiten eine sehr verschieden grosses Mass aufweisen: einmal die wirkliche Erhaltung grosser einzigartiger Schönheitswerte der Natur oder der früheren Kultur, die in ihrer Art unersetzlich sind, und dann die Fürsorge dafür, dass an Stelle der hunderte und tausende von Schönheiten unserer deutschen Heimat, die nicht gross genug sind, um ihre Erhaltung mit wirtschaftlichen Opfern zu rechtfertigen, die – man mag es noch so sehr bedauern – der unaufhaltsam fortschreitenden Entwickelung zum Opfer fallen müssen, neue Schönheiten im alten Geiste treten: eine neue Kultur, die anknüpft an die vollständig preisgegebene alte Tradition, ein neuer eigen-, nicht fremdartiger heimatlicher Stil, der die alten Formen neuen Bedürfnissen anpasst – statt der geist- und charakterlosen, alles nivellierenden Hässlichkeit unserer jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. Diese zweite positive, moderne Seite des Heimatschutzes ist von grösster Bedeutung und beweist, dass er viel mehr als blosse Romantik ist. Er trifft hier zusammen mit dem Grundsatz der modernen Kunstbewegung: Wahrheit und Echtheit, und seine Forderungen sind wie diese im letzten Grund ethischer Natur.

Von diesen beiden Aufgaben ist nun aber die zweite unstreitig die sehr viel leichtere, und auf diesem Gebiete sind daher auch bis jetzt die meisten Erfolge erzielt worden. Es ist bereits durch zahlreiche Versuche erwiesen, dass den Grundsätzen des Heimatschutzes entsprechende Bauformen nicht höhere, sondern vielfach sogar niedrigere Kosten erfordern, als die weniger einfachen geschmacklosen, auf Anpassung an die Umgebung keine Rücksicht nehmenden Schöpfungen des gewöhnlichen, künstlerisch nicht gebildeten Bauunternehmers – also auch zugleich „wirtschaftlicher“ sind. So ist vor allem die Pflege der „heimischen Bauweise“ allerorten mit grossem Erfolge betrieben worden und wird besonders durch die „Bauberatungsstellen“ gefördert, welche teils der Staat, teils Heimatschutzvereine oder Kleinwohnungsverbände in den verschiedenen deutschen Ländern ins Leben gerufen haben.

Die grossen Schwierigkeiten und Konflikte ergeben sich für den Heimatschutz vielmehr auf dem ersten Gebiet: da, wo es sich um wirkliche Erhaltung handelt. Denn hier kommt er, nachdem die Zeit des gedankenlosen Zerstörens wohl so ziemlich vorüber, und auch die Gefährdung durch Restaurieren im Schwinden begriffen ist, vor allem in einen – wirklichen oder scheinbaren – Gegensatz zu der modernen wirtschaftlichen Entwickelung. Sehr oft ist es allerdings nur ein scheinbarer, der bei genauerer Prüfung und Abwägung der widerstreitenden Interessen hinfällig wird: so namentlich bei den besonders in Mittel- und Kleinstädten aus einer gewissen Grossstadtsucht heraus geborenen und so oft masslos übertriebenen Forderungen des „Verkehrs“. Hier wird eine ernste Prüfung der wirklichen sachlichen Notwendigkeit sehr oft zur Rettung einer gefährdeten natürlichen oder historischen Schönheit genügen. Aber auf einem anderen Gebiete, das in der jüngsten Gegenwart und in der kommenden Zukunft eine immer grössere Bedeutung beansprucht, besteht ein wirklicher offener Gegensatz der schwersten Art: nämlich bei der Ausnützung der Wasserkräfte für den Verkehr und vor allem die Industrie und der Gefährdung hervorragender landschaftlicher Schönheiten durch sie.

Zwar ist auch da von einer höheren Warte aus gesehen, ein dauernder Gegensatz zwischen den ästhetischen und den wirtschaftlichen Interessen nicht vorhanden: denn auch für die wirtschaftliche, besonders auch die industrielle Leistungsfähigkeit eines Volkes sind, wie uns wiederum Ruskin gelehrt hat, solche Schönheitswerte unentbehrlich und machen sich auf die Dauer sogar bezahlt. Es gibt also auch einen volkswirtschaftlichen Wert und eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit des Schönen und damit auch des Heimatschutzes. Aber für die einzelne Privatwirtschaft handelt es sich dabei zweifellos in der Regel um wirtschaftliche Opfer, die gebracht werden müssen, um eine Einschränkung der Erwerbsfreiheit, des modernen Kapitalismus, des [164] Strebens nach dem höchstmöglichen Gewinn. Solche Einschränkungen haben wir aus hygienischen und humanitären Gründen schon in grosser Zahl – es sei nur an Bau- und Feuerpolizei und Arbeiterschutzgesetzgebung erinnert –, und erst neuerdings und langsam kommt die Erkenntnis zum Durchbruch, dass sie auch aus ästhetischen Gründen im Gesamtinteresse notwendig sein können.

Allein es kann, wo es sich um die Schaffung neuer Industrien durch eine solche Ausnützung der Wasserkräfte handelt, unter Umständen sehr wohl nicht nur ein privatwirtschaftliches, sondern auch ein volkswirtschaftliches Interesse für diese Ausnützung sprechen und daher mit jener allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Heimatschutzes in Konflikt geraten. Hier kommt es dann durchaus auf eine Untersuchung und Abwägung von Fall zu Fall an, auf die Prüfung der Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser neuen Industrie, durch welche vielleicht schon bestehende andere ruiniert werden, in letzter Linie auf die ganze grosse Frage des „Industriestaats“ und seiner Bedeutung für die Menschheitskultur – lauter Fragen, die der Heimatschutz nicht lösen kann. Von seinem Standpunkt aus kann generell hier nur gesagt und verlangt werden, dass eine solche Prüfung in jedem Falle auf das gewissenhafteste erfolgen, und dass durchaus nicht immer und ausnahmslos der Heimatschutz vor der Industrie kapitulieren muss.

Es gibt in den Schönheiten unserer Heimat ideale Werte von solcher Grösse, dass kein Vorteil neuer industrieller Entwickelung ihre Vernichtung aufwiegen kann. In solchen Fällen muss daher vom Standpunkt des Heimatschutzes aus entweder ein Kompromiss gefordert werden, wie er mittelst eines Wettbewerbs von Technikern und Künstlern in den meisten Fällen geschaffen werden kann, wenn nur auf die volle Ausnützung der Naturkräfte verzichtet wird, oder aber, wenn dies nicht möglich ist, so muss die wirtschaftliche Entwickelung hier zurückweichen vor den immateriellen Interessen – oder vielmehr die Volkswirtschaft von heute vor der Volkswirtschaft der Zukunft.

So spitzt sich der Heimatschutz letzten Endes immermehr zu zu einem „Schutz gegen den Kapitalismus“[1]: der Schutz, welchen in der heutigen „sozialen“ Periode der Volkswirtschaft die Menschen – als Konsumenten und Arbeiter – schon in so weitgehendem und stets wachsendem Mass vor dem Kapitalismus gemessen, muss auch dem Land und der Heimat zu teil werden.





  1. Vgl. Sombart Gewerbewesen II S. 118 (Slg. Göschen).