Der Rastatter Gesandtenmord

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Autor: Karl Theodor von Heigel
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Titel: Der Rastatter Gesandtenmord
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 144, 146-147
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[144]

Der Rastatter Gesandtenmord.

Von Professor Dr. Karl Theodor Heigel.

In der Geschichte giebt es Räthsel, denen sich die Forschung, von einer gewissen Jagdfreude angefeuert, immer wieder zuwendet, obwohl wenigstens dem einen und andern nicht einmal sonderliche Wichtigkeit zukommt. Welche Bedeutung hat Kaspar Hauser zu beanspruchen, nachdem wenigstens das Eine festgestellt ist, daß die Sage von seiner fürstlichen Abkunft auf eitel Klatsch beruht, und doch erscheinen immer wieder „neue“ Enthüllungen über das mysteriöse Findelkind, von deren jeder behauptet wird, daß sie den langen Streit zu schlichten im Stande sei. Auch heute ist noch nicht festgestellt, wer der in der Bastille schmachtende Mann mit der eisernen Maske war. Noch immer suchen die Forscher das „entscheidende Dokument“, welches Schuld oder Unschuld Wallenstein’s endgültig feststellen soll.

Zu diesen Räthseln der Geschichte gehört auch der Rastatter Gesandtenmord. Wie viele Forscher haben sich mit Aufspürung und Kritik der Quellen über dieses sensationelle Ereigniß beschäftigt; dennoch ist ein abschließendes Urtheil über Ursachen und Urheber der blutigen Katastrophe auch heute noch nicht zu fällen.

Immerhin sind wir in jüngster Zeit der Wahrheit näher gerückt, als es vor Auffindung einiger maßgebender Aktenstücke möglich gewesen war, und deßhalb dürfte eine kurze Belehrung über die cause célèbre an der Wende des 18. Jahrhunderts und den heutigen Stand der Forschung vielleicht willkommen sein.

Werfen wir zunächst einen Blick aus den tatsächlichen Verlauf.

Der am 17. Oktober zu Campo Formio unterzeichnete Friedensvertrag setzte dem zweiten Krieg der gegen die französische Republik verbündeten Mächte ein Ende; doch sollten die deutschen Angelegenheiten erst aus einem nach Rastatt berufenen Kongreß geordnet werden.

Am 9. December 1797 begann in dem badischen Festungsstädtchen jenes unwürdige Schauspiel, das von der Auflösung des Reiches wie von der politischen Moral der Fürsten, die sich in die Fetzen des altehrwürdigen Purpurs zu theilen trachteten, das traurigste Bild gewährte. Noch nie waren Selbstsucht, Bestechlichkeit, Arglist der Reichsstände so schamlos, so häßlich zu Tage getreten. „Lauter betrogene Betrüger,“ sagt Häusser, „vom Kaiser bis zu den Duodezfürsten herab!“

Weit entfernt, eine Gemeinschaft der Interessen und Ziele zu erkennen oder gar anzuerkennen, ging Jeder nur darauf aus, dem Nachbarn in der Gunst der Franzosen den Rang abzulaufen und nicht selten durch Mittel von zweideutigstem Charakter den eigenen Antheil am drohenden Verlust so klein, am erhofften Gewinn so groß wie möglich zu gestalten. Es handelte sich hauptsächlich um Entschädigung derjenigen Fürsten, die ihren Besitz auf dem linken Rheinufer verlieren sollten; denn die Anerkennung der „natürlichen Grenze“ Frankreichs, die Abtretung des gesammten [146] linken Rheinufers an die Republik war von vornherein zugestanden worden. Die Franzosen hatten auch das Zaubermittel gefunden, welches die Mehrzahl der deutschen Fürsten erwünschten, Gewinn hoffen ließ und dadurch zu allen Opfern und Plänen bereitwillig machte, das Wort: Säkularisation. Preußen war ohnehin seit dem Baseler Frieden im Schlepptau Frankreichs, das Kabinett Haugwitz gab sich zwar hier und da den Anschein, als wolle es sich aufraffen und die übrigen Reichsstände zu kräftiger Opposition um sich sammeln, sank aber bald in die gewohnte Unthätigkeit zurück. „Der König von Preußen,“ schrieb damals Sieyes aus Berlin an das Direktorium in Paris, „faßt die schlechteste aller Entschließungen, die, sich für keine zu entschließen.“

Treffend charakterisirt ein fliegendes Blatt, „Die Leidensgeschichte des Friedenskongresses“, den jämmerlichen Zustand des Reichs. „Da versammelten sich die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer, daß sie das römische Reich mit List griffen. Das römische Reich spricht: ‚meine Seele ist betrübt bis in den Tod.‘ Aus dem Kreise der geistlichen Kurfürsten hört man den Ruf: ‚Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, einer unter Euch ist’s, der es verrathen wird!‘ Bonaparte verfügt: ‚Wir haben nur Ein Gesetz, nach dem muß es sterben!‘ ‚Was wollt Ihr mir geben,‘ fragt Preußen, ‚daß ich es Euch verrathe?‘ Und vom Kaiser heißt es: ‚Er ließ es geißeln und übergab es, daß es gekreuziget würde.‘ Auch die Reichsarmee wird nicht vergessen: ‚Sie schlugen an ihre Brust und kehrten wieder um.‘“

Dank den Erfolgen der französischen Waffen und der Zwietracht der deutschen Stände waren die Vertreter Frankreichs in Rastatt die Herren der Situation. Das Direktorium hatte drei Gesandte abgeordnet, Treilhard, der aber bald durch einen der radikalsten Jakobiner, Jean Debry, ersetzt wurde, einen früheren Edelmann Bonnier und einen ehemaligen Pfarrer Roberjot. Der Letztgenannte wird als stiller, bescheidener Mann geschildert; um so hochfahrender und brutaler traten seine Amtsgenossen auf, und je dreister sie sich gebärdeten, desto unterwürfiger suchten die deutschen Diplomaten die Gunst der im Grunde des Herzens so verabscheuten „Königsmörder“. Die Taktik der Franzosen war sehr einfach. Anfangs gingen sie mit den Vertretern Oesterreichs Hand in Hand und gaben sich den Anschein, als wollten sie auf alle in den vorausgegangenen geheimen Unterhandlungen kundgegebenen Wünsche des Kaisers eingehen; zugleich trachteten sie aber darnach, die mittleren und kleineren Staaten zu gewinnen, und sobald sie eine größere Klientel erworben hatten, traten sie brüsk gegen Oesterreich auf und verriethen sogar von den früheren Abmachungen Manches, was Den und Jenen an der Uneigennützigkeit des Reichsoberhauptes gründlich irre machte. Noch einmal suchte der kaiserliche Minister Cobenzl Annäherung an die Republik; in Selz wurden von österreichischen und französischen Bevollmächtigten Zwischenverhandlungen eingeleitet, auf welche man in Rastatt mit wachsender Besorgniß blickte, allein die Weigerung Frankreichs, zur Einverleibung Bayerns in die habsburgisch-lothringische Monarchie seine Zustimmung zu geben, ließ auch die neue Freundschaft scheitern. Fortan fahndete das Wiener Kabinett nach anderen Bundesgenossen und gewann solche um so leichter, da der gefürchtete Bonaparte in Folge der verfehlten Expedition nach Aegypten als ein „todter Mann“ angesehen wurde. Eine neue europäische Koalition bildete sich, während in Rastatt noch immer das „lebhafte Verlangen nach Frieden“ in jedem Protokoll figurirte.

Die inneren Zustände der Republik hatten sich während Bonaparte’s Abwesenheit so verschlimmert, die Stellung des Direktoriums war so gefährdet, daß den Regierungskreisen ein neuer Krieg gar nicht unerwünscht war. Als Zar Paul, verletzt durch die Weigerung, Malta dem Johanniterorden zurückzugeben, zu den Feinden Frankreichs übertrat, brach der Kampf los, im italienischen Alpengebiet blieben die Franzosen Sieger; in Schwaben gewann Erzherzog Karl die Oberhand.

Noch wurde in Rastatt debattirt, als österreichische Patrouillen in der Umgegend anlangten. Am 23. April 1799 ließ der Kommandant der österreichischen Vorposten, Oberst Barbaczy, den Gesandten eine Erklärung zugehen, er könne für ihre Sicherheit nicht mehr bürgen und die Neutralität des Kongreßortes nicht länger anerkennen.

Nun machte sich Alles reisefertig. Die französische Gesandtschaft suchte um freies Geleit nach, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Am 28. April wurde Rastatt von Szeckler Husaren besetzt. Die Franzosen erhielten Weisung, binnen vierundzwanzig Stunden abzureisen; als sie aber das Thor passiren wollten, wurde ihnen der Durchzug verweigert, und erst nachdem über neuen Verhandlungen die Nacht hereingebrochen war, durften die acht Kutschen der drei Gesandten und ihrer Dienerschaft durch das Rheinauer Thor die Fahrt antreten.

Um die neunte Nachtstunde waren gerade noch mehrere Diplomaten im Kasino anwesend, als plötzlich die Meldung kam: die französischen Gesandten sind überfallen und ermordet worden!

Was da in fliegender Hast berichtet wurde, klang unglaublich!

Kaum waren die Wagen ein paar hundert Schritte von der Stadt entfernt, hielten ungarische Husaren die erste Kutsche, in welcher Jean Debry fuhr, an. Der Gesandte wurde herausgerissen und durch mehrere Säbelhiebe zu Boden gestreckt; eben so wurden die beiden Kollegen, als sie auf die Frage: „Es-tu Bonnier? le ministre Roberjot?“ bejahend antworteten von den Säbeln der Reiter so übel zugerichtet, daß schon nach wenigen Augenblicken der Tod die Armen von ihren Qualen erlöste. Dagegen war Debry noch im Stande, sich aus dem Straßengraben, wohin ihn die Räuber geworfen hatten, ins nahe Gehölz zu schleppen und so, von der Dunkelheit, dem gräulichen Unwetter und der lärmenden Verwirrung begünstigt, der Verfolgung zu entrinnen. Nach vollbrachter That plünderten die Szeckler die Wagen und führten dieselben nach Rastatt zurück. Hier nahm der Rittmeister Burckard, der sich inzwischen der mit Klagen und Vorwürfen auf ihn einstürmenden Diplomaten kaum hatte erwehren können, die Gesandtschaftspapiere in Empfang und ließ dieselben an den Oberstkommandirenden, Erzherzog Karl, weiter befördern.

Am Morgen des nächsten Tages kam Debry, jämmerlich am ganzen Leibe zugerichtet, im Gewand eines Handwerkers, dem er sein Leid geklagt hatte, in das Haus des preußischen Botschafters Grafen Görtz und erzählte weinend und wehklagend eine kleine Odyssee, wie es ihm möglich geworden war, sich zu retten. Nun drangen die deutschen Gesandten aufs Neue in den österreichischen Befehlshaber, es möchten doch wenigstens jetzt die geretteten, zur französischen Gesandtschaft gehörigen Personen unter genügender Bedeckung auf französischen Boden in Sicherheit gebracht werden. Endlich ward der Bitte entsprochen, wie denn auch der Oberst des Szecklerregiments, Barbaczy, sein Bedauern über die „schreckliche That“ aussprechen ließ und kategorische Bestrafung der Verbrecher, „die unter seinem Kommando gehabt zu haben er zeitlebens mit innigster Wehmuth fühlen müsse“, in Aussicht stellte. Debry und die Angehörigen der ermordeten Gesandten wurden nun von Husaren nach Plittersdorf eskortirt, wo sie über den Rhein setzten. Das wonnige Gefühl der Rettung überwog, wie es scheint, vorerst alle anderen Gedanken. Debry versicherte seinen Begleitern, er werde diesen Dienst nie vergessen und, wenn je Einer in französische Gefangenschaft gerathen sollte, seinen Dank bethätigen. Sobald er sich aber in Straßburg auf sicherem Boden wußte, berichtete er an den Minister des Auswärtigen, Talleyrand, in anderem Tone über die Vorgänge der Schreckensnacht.

Nach seiner Rückkehr nach Paris entwarf er eine noch ausführlichere Schilderung, die im „Moniteux“ und anderen Blättern veröffentlicht wurde. In den beiden überaus phrasenreichen Erzählungen bezeichnete er nicht bloß österreichische Husaren als die Thäter, sondern gab auch mit aller Bestimmtheit seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß die That auf Kommando von Officieren, also mittelbar auf Befehl der kaiserlichen Regierung vollzogen worden sei. „Für meine Lebenszeit werde ich dies Zeugniß der österreichischen Verruchtheit bewahren; ich werde es meinen Kindern als Vermächtniß hinterlassen; sie werden ihre Pflicht eingegraben finden in der einzigen Zeile: Segnet die Vorsehung und fluchet Oesterreich!“

Das „Verbrechen des Wiener Hofes“ rief denn auch unerhörte Aufregung in Paris und ganz Frankreich hervor. Zumal das Direktorium beutete die günstige Gelegenheit, dem Unwillen des Volkes eine andere Richtung zu geben, nach Kräften aus; im Rath der Alten, wie in der Versammlung der Fünfhundert erschall der Ruf: „Rache für eine Schandthat, vor welcher die Menschheit zurückschaudert! Rache am Haus Oesterreich!“

Allenthalben wurden Trauergottesdienste für die Gemordeten veranstaltet, allenhalben auch weltliche Todtenfeierlichkeiten, Aufzüge [147] mit Fahnen, Thränenkrügen und Cypressenzweigen. Bei der Todtenfeier auf dem Marsfeld wurden die geretteten Frauen und Kinder der Ermordeten dem Volke vorgestellt, die zerfetzten Kleider Debry’s gezeigt und aufreizende Reden gehalten, bis die ganze versammelte Menge in wüthendes Geschrei ausbracht: „Rache an Oesterreich!“

Auch den zurückgebliebenen Diplomaten war es nach der Abreise Debry’s in Rastatt nicht mehr geheuer, sie verließen noch am nämlichen Tage die Kongreßstadt und begaben sich zunächst nach Karlsruhe. Hier unterzeichneten sie einen „gemeinschaftlichen Bericht“ über die Katastrophe, den der preußische Gesandte Dohm aus den Erzählungen Debry’s und der übrigen vom Ueberfall Betroffenen, aus den Aeußerungen der österreichischen Officiere etc. zusammengestellt hatte. Der Bericht ist im Ganzen objektiv gehalten, läßt aber – ein paar verdächtige Redensarten des Rittmeisters Burkard sind in den Originalen unterstrichen – die Ansicht durchblicken, daß man nicht an eine zufällige That einer übermüthigen, räuberischen Soldateska glauben könne, sondern die kaiserlichen Officiere als Mitwissende, demnach als Mitschuldige anzusehen habe. Das officielle Schriftstück wurde bald darauf auch dem Publikum bekannt gemacht, und zwar mit einigen Zusätzen, unter welchen einer besonders gravirend auftrat. „Ein glaubhafter Mann“ habe dem Herausgeber – als solcher ist der dänische Legationsrath Eggers, der selbst in Rastatt anwesend war, konstatirt – mit allen Einzelheiten erzählt, er habe in der Wirtschaft „Zum Engel“ in Rastatt am Tage des Begräbnisses den Mörder des armen Roberjot gesehen und gesprochen. Der Husar habe „mit vielen Thränen und unter Händeringen“ versichert, es sei „auf Befehl eines Officiers“ geschehen, der ihm, als er zauderte, den Kopf zu spalten gedroht habe.

Auch die französische Regierung ließ die vor Gericht deponirten Aussagen der nach Frankreich zurückgekommenen Frauen und Diener verdeutlichen. Deßgleichen wurde als belastendes Zeugniß gegen die Kaiserlichen die Aussage eines Schiffers Jean Zabern aus Straßburg gedruckt. Dieser, bei einer Fahrt den Rhein herauf von österreichischen Husaren zur Landung gezwungen, glaubte während seines unfreiwilligen Aufenthalts bei der feindlichen Truppe deutlich von einem Befehl vernommen zu haben, die französischen Gesandten zu ermorden; einer von den Soldaten habe geäußert, er selbst sei bei dem Gespräch mit den französischen Ministern anwesend gewesen und habe gethan, was er thun mußte …

Wie benahm sich nun solchem Verdacht, solchen offenen Anschuldigungen gegenüber das kaiserliche Kommando? Auf den Bericht des Husarenobersten über das Attentat „einiger raubsüchtiger Gemeinen“ verfügte Erzherzog Karl strenge Untersuchung und gab davon dem französischen Obergeneral Massena amtliche Nachricht. Der Husarenoberst und der Kommandant der in Rastatt eingezogenen Husaren blieben zwei Jahre lang in Untersuchungshaft; dann wurden sie freigegeben, befördert, darauf wieder Knall und Fall in Ruhestand versetzt; ein gerichtliches Urtheil wurde aber nicht bekannt gemacht, als ob es sich nicht der Mühe lohnte, sich um die öffentliche Meinung zu kümmern. Nur gelegentlich drang eine Aeußerung des Erzherzogs ins Publikum, der Ueberfall sei vielleicht gar nicht von wirklichen Husaren, sondern von verkleideten französischen Emigranten ausgegangen.

Ein paar Jahre später schien man sich in Wien zu offenerem Handeln aufraffen zu wollen. Auf Vorschlag des Ministers Thugut erging an die Reichsversammlung zu Regensburg ein Dekret, sie möchte einige Deputirte zu Theilnahme an der Untersuchung „eines so unerhörten und verabscheuungswürdigen Vorfalls“ abordnen, damit selbst der mögliche Verdacht irgend einer Konnivenz entfernt werde. Der lahme Reichstag begnügte sich aber, die ganze Angelegenheit dem „reichsoberhauptlichen Justiz-Eifer“ zu überlassen, und dieser trieb nicht mehr dazu an, ein Ergebniß der Untersuchung zu veröffentlichen.

Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, daß der Verdacht, das Attentat sei nicht nur durch kaiserliche Soldaten, sondern auch in kaiserlichem Auftrag vollzogen worden, in weitesten Kreisen fest wurzelte. Dohm glaubte sogar den eigentlichen moralischen Urheber zu kennen, den Civilkommissär im Hauptquartier, Graf Lehrbach, jenen geriebenen Intriguanten, der viele Jahre hindurch am Münchener Hofe in österreichischem Interesse die zweideutigsten Künste entfaltet hatte. Wenn von ihm das Verbrechen ausging, war auch die Absicht leicht zu errathen. Schon der Umstand, daß die Gesandtschaftspapiere aus den Wagen entnommen, in das Hauptquartier geschickt und erst nach längerer Zeit an die französischen Behörden zurückgegeben wurden, schien zu beweisen, daß es auf Wegnahme der Papiere abgesehen war.

Mochte aber auch diese Annahme, wie sich insbesondere aus den Berichten der Diplomaten aus Rastatt und Karlsruhe an ihre Hofe ersehen läßt, weit verbreitet gewesen sein, so fehlte es doch nicht an anderen Vermuthungen. In besonnenen Politikern mußte so unwillkürlich die Frage auftauchen: aus welchem Grunde hätte die kaiserliche Regierung eine so schwere Blutschuld auf sich laden sollen? Wenn es ihr um die Dokumente zu thun war: die Franzosen würden so wohl, wenn ihnen mit Säbel und Pistolen auch nur gedroht worden wäre, die Papiere herausgegeben haben; warum die Wehrlosen niederhauen lassen? warum durch grauenhaften Mord in der ganzen gebildeten Welt Aufregung und Entrüstung wachrufen?

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Autor: Karl Theodor von Heigel
Titel: Der Rastatter Gesandtenmord
aus: Die Gartenlaube 1887, Heft 10, S. 152, 154-155
Schluß

[152] Auch in Frankreich stieß die von Debry verkündete und von den Direktoren eifrig verbreitete Erklärung der Katastrophe auf Ungläubige. Die theatralischen Trauer- und Rachefeierlichkeiten, welche von der Regierung in Scene gesetzt wurden, riefen in manchen Kreisen Spott und Hohn hervor. Ja, ein junger Deutscher, kein Geringerer als Ernst Moritz Arndt, der den Sommer vor Napoleon’s Rückkehr aus Aegypten in Paris zubrachte, empfing von dem Auftreten Debry’s in der Nationalversammlung nur den Eindruck eines „belustigenden Possenspiels“ und wurde durch die romantische Erzählung von den Rastatter Vorfällen an „Falstaff’s nächtliche Heldenthaten“ erinnert. Auch Pariser glossirten, wie der preußische Diplomat Baron Sandry nach Berlin berichtete, die oratorischen Leistungen Debry’s und seiner Gesinnungsgenossen wenig respektirlich und erzählten sich auf offener Straße ärgerliche Anekdoten aus dem Leben der ermordeten Gesandten. Es ging sogar das Gerücht, die Wittwe des ermordeten Roberjot habe sich geweigert, an dem Theatercoup der Trauerfeier Theil zu nehmen, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil sie in den Direktoren die Urheber des Mordes, der ihren politischen Zwecken dienen sollte, und in Jean Debry das Werkzeug der ruchlosen Intrigue erblickte.

Die gleiche Ansicht suchte bald nach der Katastrophe der bekannte Gentz, die politische Wetterfahne der Revolutions- und Restaurationsepoche, in dem von ihm redigirten historischen Journal zu begründen, indem er den Satz aufstellte: Is fecit, cui prodest. (Derjenige ist der Thäter, dem die That zum Vortheil gereicht.)

Noch andere Beschuldigungen tauchten schon damals auf. Lafayette verwies auf die Königin Karoline von Sicilien, die so bei allen Intriguen und Schandthaten die Hand im Spiel habe. Den englischen Minister Pitt zieh Quinette, der französische Minister des Innern, öffentlich des Mordes, und dem britischen König rief er zu: „Empfange den Titel eines Mörderfürsten!“ Der in österreichischen Kreisen lautgewordene Verdacht, es hätten Emigranten an den „Königsmördern“ Debry, Bonnier und Roberjot Rache nehmen wollen und sich zu diesem Behuf in Husarenuniformen gesteckt, wurde schon erwähnt, auch ein Gutachten, das der Reichsvicekanzler Fürst Colloredo dem Kaiser erstattete, sprach sich in diesem Sinne aus.

Für alle diese Hypothesen fanden sich nun auch in der Folgezeit Anwälte. Vorwiegend wurde jedoch immer Lehrbach als der eigentliche Anstifter angesehen, die meisten Historiker, auch noch Schlosser und Häusser, hielten an dem Argwohn gegen den „Mephisto des Wiener Kabinetts“ fest. Es entstanden aber auch neue Hypothesen, wie z. B. diejenige von Böthlink, dem Biographen des jungen Napoleon. Böthlink schiebt die Schuld auf die französische Kriegspartei und ihr moralisches Oberhaupt Bonaparte. Während der General am Nil siegte, sollte das Direktorium in Italien und am Rhein Niederlagen erleiden; deßhalb sollte um jeden Preis der Friede verhindert und die Verbindung zwischen Frankreich und Oesterreich gesprengt werden, und wie hätte dies wirksamer erreicht werden können, als durch eine so furchtbare Anklage gegen die nämlichen Männer, die bisher immer für die Gemeinsamkeit der französischen und österreichischen Interessen eingetreten waren. Und das Werkzeug des Dämons Bonaparte, plaidirte Böthlink weiter, war kein Anderer als Debry, der angeblich mit Noth der Mörderhand entronnene Kollege der Ermordeten, der nur, um seine Aussage glaubhafter zu machen, gleich Kaspar Hauser sich selbst ein paar Wunden beibrachte. „Debry’s Haltung in der fraglichen Nacht erinnert nicht nur an Falstaff, sondern auch an Macbeth, der wahnwitzige Prahler scheint einen zitternden Mörder zu bergen.“ Der Führer der Friedenspartei, Roberjot, wurde durch verkleidete Meuchelmörder erschlagen und dadurch die französische Nation zu Rache an den vermeintlichen Urhebern aufgestachelt. So war die ganze Katastrophe nur ein Schachzug Napoleon’s, um sich während des [154] unvermeidlich gewordenen neuen Krieges der diktatorischen Gewalt und mittels dieser des Scepters zu bemächtigen.

Es würde zu weit führen, wollten wir näher erörtern, in welchen Einzelheiten des Quellenmaterials Böthlink Beweise für seine überraschende Annahme zu finden glaubte. Diese Erörterung ist um so überflüssiger, da die Marotte durch Schirren und Wegele gründlich widerlegt ist.

So wäre denn die sensationelle Streitfrage noch heute fast im nämlichen Stadium wie vor nahezu neun Jahrzehnten, da sie zum ersten Male die Gemüther bewegte, wenn nicht durch Sybel einige Schriftstücke theils neu aufgefunden, theils durch scharfe und besonnene Kritik ins rechte Licht gesetzt worden wären, wodurch wenigstens die Hauptsache als aufgeklärt gelten kann.

Früher erblickte auch Sybel im Rastatter Ereigniß einen politischen Mord und in den österreichischen Staatsmännern, namentlich in Lehrbach, die Urheber. Freilich nur mittelbar die Urheber des Mordes, denn die Husaren seien einfach angewiesen worden, die Papiere der Gesandtschaft aufzuheben und etwa den frechen Jakobiner Bonnier ein Bischen zu „zaufen“, dieser Befehl sei von den Soldaten allzu gröblich vollzogen worden. Sybel berief sich schon für diese Auffassung auf ein mysteriöses Aktenstück, auf welches zuerst der Franzose Arnault in seinen „Souvenirs d’un sexagénaire“ („Erinnerungen eines Sechszigjährigen“) aufmerksam gemacht hatte. Arnault erzählte nämlich, er habe durch einen hohen Beamten in München vom Inhalte eines Protokolls eines pfalz-zweibrückenschen Gesandtschaftsattachés Grafen A… Kenntniß erhalten. Dieser habe in den kritischen Tagen nach dem Rastatter Attentat im Gasthof „Zum goldenen Hirschen“ zu München gewohnt und zwar zufällig in einem Zimmer neben demjenigen das Graf Lehrbach innehatte. Nächtlicher Weile habe er nun ein Gespräch des Grafen mit seinem Sekretär belauscht und, da er vernahm, daß es sich um das vielbesprochen Tagesereigniß handle, die Aeußerungen aufgeschrieben. Da habe er unter Anderem deutlich vernommen, daß die Husaren das Gesandtschaftsarchiv hatten erbeuten und Bonnier durchprügeln (houspiller) sollen, zum Verdrusse Lehrbach’s habe aber das Geraufe den bekannten blutigen Ausgang genommen.

Man kann Helfert, der gleichfalls die Frage erörterte, nicht ganz Unrecht geben, wenn er sagt, die ganze Behorchungsgeschichte leide an Unwahrscheinlichkeiten, wie man sie komischer kaum ersinnen könne. Obwohl er sich deßhalb geneigt fühlte, das lächerliche Zeugniß gänzlich von der Hand zu weisen, hielt er sich doch für verpflichtet, in München nachzufragen, ob man von einem solchen Dokumente etwas wisse. Wie überrascht war er, als das Vorhandensein bestätigt, zugleich jedoch die Herausgabe verweigert wurde! Helfert mußte sich also darauf beschränken, durch Aufdeckung von Widersprüchen in den Arnault’schen Mittheilungen unter einander und mit anderen beglaubigten Thatsachen „das Märchen vom Gasthofe ,Zum goldenen Hirschen‘ in seiner ganzen widersinnigen Richtigkeit darzustellen“.

Ehe noch dieses Räthsel seine Lösung fand, gelang es Sybel, ein paar Notizen im Wiener Kriegsarchiv aufzuspüren, welche an sich ziemlich dürftigen Eindruck machten, aber als werthvolle Glieder in die Kette der Untersuchungen über das Rastatter Trauerspiel sich einfügen ließen.

In den sogenannten Protokollbüchern, welche kurze Inhaltsverzeichnisse aller officiellen militärischen Schriftstücke enthalten, fanden sich allerlei Meldungen von Generalen und Officieren aus den letzten Tagen des April 1799, welche sich offenbar nur auf den Rastatter Ueberfall beziehen können. Unter Anderem wird rapportirt, die Anstalten seien jetzt so getroffen, „daß, wenn die Szeckler Husaren das Nest nicht leer finden, die Sache wohl nicht fehlen wird; hätte man nur ein paar Tage früher diesen Wunsch geäußert.“ Oberst Barbaczy berichtet, „was er in Folge eines geheimen Auftrags hinsichtlich der zur Abreise sich anschickenden französischen Gesandten bereits eingeleitet hat und noch ferner veranlassen wird“, zugleich fragt er an, „ob die aus badischen Truppen bestehende Eskorte dieser Gesandten feindlich zu behandeln sei.“ General Merveldt meldet, „daß dem Obersten Barbaczy die Beobachtung aller Vorsicht aufgetragen worden.“ Barbaczy „meldet die nahe Abreise der Franzosen“; er berichtet über eine unglückliche Begebenheit, die sich mit den französischen Gesandten zugetragen.“ „Befehl des Erzherzogs auf strengste Untersuchung.“

Aus diesen Briefauszügen ist im Zusammenhalt mit den übrigen bekannten Daten wenigstens die Thatsache mit absoluter Bestimmtheit abzuleiten: das österreichische Kommando hat ein Attentat auf die französischen Gesandten mehrere Tage vorher planmäßig vorbereitet, und österreichische Soldaten haben das Attentat in Scene gesetzt.

Daß nicht die Ermordung der Franzosen geplant war, scheint – abgesehen davon, daß so grobe Verletzung des Völkerrechts überhaupt kaum beabsichtigt sein konnte, – der Ausdruck Barbaczy’s „unglückliche Begebenheit, die sich mit den französischen Gesandten zugetragen,“ zu beweisen.

Glücklicherweise wurde in München an der Geheimhaltung jenes in der älteren Registratur des Ministeriums des Aeußeren verwahrten Schriftstücks nicht festgehalten. Von dem richtigen Grundsatz ausgehend, daß solche Geheimnißkrämerei unter allen Umständen dem Interesse eines Staates schaden müsse, überließ das Ministerium Herrn von Sybel eine Abschrift des Protokolls und Sybel veröffentlichte dieselbe in seiner „Historischen Zeitschrift“. Damit ist der Beweis geliefert, daß man es nicht mit einem „dummen Märchen“, wie Helfert die Münchener Protokollgeschichte nannte, zu thun habe, sondern mit einer zwar wunderlichen, immerhin aber beglaubigten Thatsache.

An der Echtheit und Authenticität des Schriftstückes, das heute einem Miscellaneenband des geheimen Staatsarchivs angehört, ist nicht zu zweifeln; auch der Inhalt bietet Details, die damals nur dem in alle diplomatischen Händel und Kriegspläne eingeweihten Lehrbach bekannt sein konnten. Helfert glaubte sich zu seinem abfälligen Urtheil über das „Fraubasengeschwätz“ hauptsächlich dadurch berechtigt, daß in einem der Protokolle Erwähnung geschehe einer von den Horchern angewandten Vorsicht, das Licht in ein Nebenzimmer bringen zu lassen, damit das ihre als ein dunkles und unbesetztes erscheine. „Dabei,“ spottete Helfert, „wurde nur vergessen, zu erklären, wie die Spione, jeder für sich, im Finstern ihre Aufzeichnungen machen konnten, die sie danach gegen einander verglichen und vervollständigten.“ Nun findet sich aber diese Bemerkung in den Originalprotokollen nicht, sie wurde vom Gewährsmann Arnault’s vielleicht nur eingefügt, um die Sache noch pikanter, den Vorgang nach seiner Ansicht noch glaubwürdiger zu machen. Der von Helfert gegen die „Behorchungsgeschichte“ erhobene Haupteinwand fällt also weg. Auch über die Ursache, welche die Nachbarn Lehrbach’s zum Horchen bewogen, war Arnault falsch berichtet. Aus den Protokollen erhellt, daß es sich so zu sagen um officielle Spionage handelte, es sollte ermittelt werden, ob Lehrbach in Wien zu Zeit so großen Einfluß genieße, daß es sich verlohne, ihn ins bayerische Interesse zu ziehen. „Es ist also keine bloß skandalsüchtige Neugier, um die es sich handelt, sondern eine politische Aktion, allerdings, wie etwa ein Maler sagen würde, mehr Genre als große Historie, immer aber scheint die Zuverlässigkeit der Aufzeichnung in diesem Zusammenhange nur zu gewinnen.“

In günstigem Licht erscheint nun freilich in dem „Wortgetreuen Bericht einer Unterredung, welche Graf Lehrbach und Herr R. R. in dem Hause Stürzer am 29. April 1799 zwischen 10 und 11 Uhr abhielten“, der Belauschte nicht. Da er nur den vertrauten Sekretär vor sich hat, giebt er sich, wie er ist, und er ist „scherzhaft, roh und konfus“, seine Ausdrucksweise erinnert stark an die Damen der Halle. Sehr wenig staatsmännisch muthet es an, daß er über ein paar Schriftstücke, sobald er nur die ersten Zeilen gelesen hat, sofort urtheilt und vor Freude oder Aerger schon außer sich geräth, ehe er noch weiß, ob auch der übrige Inhalt der Depesche mit dem Anfang übereinstimmt. Andererseits muß auf das Entschiedenste betont werden, daß gerade in diesen intimen Herzensergüssen kein Wort enthalten ist, aus welchem auf eine Anstiftung oder Mitwissenschaft geschlossen werden könnte, daß damit die Thatsache erwiesen ist: Lehrbach trägt keine Schuld an der Rastatter Mordthat.

Sechs Nächte lang belauscht ein Ungenannter das Zwiegespräch des Diplomaten mit seinem Sekretär, das sich vorzugsweise um das Vorgehen gegen die noch in Rastatt verweilenden Gesandten der deutschen Reichsstände und fremder Mächte dreht. In der ersten Nacht vom 29. April hat Lehrbach eine Nachricht erhalten, die ihm sofort einen Freudenschrei entlockt: der Erzherzog wird durch Barbaczy alle Minister aus einander jagen lassen! Diese Blamage gönnt Lehrbach seinen Kollegen von Herzen, insbesondere [155] den französischen „Schuften“ und „Spitzbuben“. „Recht gern,“ ruft er aus, „würde ich einem Husarenkorporal ein Trinkgeld geben, wenn dem Mainzischen Gesandten Albini, dem Hausnarren, fünfzig Stockprügel aufgemessen würden, und das Gleiche wollte ich geben, wenn auch die französischen Minister ihr Theil bekämen.“ Im Uebrigen handelt die Konversation vom Frieden von Campo Formio, daß Thugut immer von Affenstreichen Bonaparte’s gesprochen und „der Esel Metternich“ ins nämliche Horn geblasen habe etc.

In der zweiten Unterredung unterhält sich Lehrbach in eben so ungezwungener Weise über den Kaiser von Rußland, über Albini, der es immer mit den Franzosen halte, über Barbaczy, der noch einen Brief nach Rastatt schickte, statt die Gesandten sofort herausjagen zu lassen, und schließlich wird der Hoffnung Raum gegeben, daß trotzdem die Husaren noch ankommen würden, ehe Herr Bonnier und Genossen abgefahren wären. „Der Kongreß,“ spottet der Sekretär, „hat angefangen mit Bonaparte und hört auf mit Barbaczy! Hi, hi, hi!“

Auch in der dritten Nacht giebt es nur nichtssagende Schimpfereien über den und jenen General und Beamten zu hören.

Am 3. Mai aber ist die Situation ganz verändert. Lehrbach hat inzwischen die verhängnisvolle Nachricht erhalten. Er ist außer sich darüber. Leider spricht er in seinem Ingrimm so unverständlich, daß der Horcher an der Wand nicht genau nachschreiben kann, deßhalb erhalten wir nur verworrene Kunde von einem Briefe des Erzherzogs, der, wie es scheint, mißverstanden wurde und vielleicht den Anlaß zur blutigen Ermordung gab. Nur eine kurze Probe von dem Kauderwälsch!

Hoppe. „Warum sind die Franzosen, die Hasen, auch bei Nacht abgereist!“

Lehrbach. „Vielleicht waren die 24 Stunden bei der Nacht aus; ich wäre durchaus nicht ohne Eskorte gereist, und wenn die Zeit bei der Nacht aus war, so ist es vom Officier gefehlt. Der Barbabzy ist ein Esel. Ich habe heut’ einen Durst, den ich nicht löschen kann (trinkt ein Glas Wein nach dem andern), so hat mich das Ding angegriffen; wenn man einmal einen fröhlichen Tag hat, so wird er einem sogleich wieder verbittert.“

Hoppe.C’est une mauvaise affaire, sie bringt unserer Nation Schande.“

(Sie suchten Alles hervor, um sie zu beschönigen.)

Hoppe. „Sie haben vielleicht Pistolen gezeigt, und dann haben die Husaren Recht gehabt – allein sie konnten nichts finden.“

Lehrbach. „Daran ist der Albini, der verfluchte Kerl, schuld. Hätte der Spitzbube seine Schuldigkeit gethan, und wäre er fortgegangen, wie man es ihm geheißen hat, so wäre der Kongreß weggewesen.“

Lehrbach fährt fort. „Sie waren alle Drei Bösewichte, Königsmörder! Die Vorsehung, hol’ mich der Teufel! straft alle die Kerle. Daß die preußischen Gesandten noch da waren! Jakobi wollte fortgehen, mais Goertz s’est conduit comme une vieille femme (aber Görtz hat sich wie ein altes Weib benommen), Haugwitz ist ein Spitzbube! Wie der Officier mir das dicke Packet brachte und ich den Brief las, so hat er mich angestarret, denn ich war comme stupéfait, ich habe nur gelesen, daß die französischen Minister todtgestochen wären, es wieder zugemacht und dem dummen Seilern zugeschickt.“

In solchem Tone geht es fort. Der Mund des Zornigen strömt über von Vorwürfen und Klagen über alle Betheiligten, über die „verfluchten Szekler“ – „es bleibt nichts Anderes übrig, als sie todtschießen zu lassen!“ – wie über den „dummen Kerl“ Barbaczy, der seinen Bericht mit den tollen Worten anfängt: „Nun ist Alles vollendet!“ Das Ergebniß der Unterredung faßt der Spion folgendermaßen zusammen: „Aus dieser Geschichte geht hervor, daß man den französischen Ministern eine Tracht Prügel zugedacht hatte und die damit betrauten Husaren ihre Weisung überschritten haben. Es ist nicht zu beschreiben, welche Unruhe die zwei Herren quälte, mehr als eine Viertelstunde haben sie nach Gründen, welche den Mord entschuldigen könnten umhergesucht, aber nichts gefunden, man kann nicht alle Dummheiten anführen die sie zu diesem Behuf aufs Tapet brachten.“

Im fünften Protokoll ist hauptsächlich von der Aufnahme der Rastatter Nachricht am Münchener Hofe die Rede, im sechsten das nochmals von den Rastatter Vorgängen selbst handelt, findet sich ein bedeutsames Wort, das wieder auf jenes Mißverständniß anzuspielen scheint. Lehrbach sagt: „Es ist erstaunlich, daß der Herzog (Erzherzog) nicht mehr Vorsicht gebraucht hat; so geht’s, wenn die großen Herren Befehle unterschreiben ohne sie zu lesen; die Sache war doch wichtig genug.“

Was soll damit gesagt sein?

Wir kennen den Entwurf einer Antwort, welche Erzherzog Karl auf Vorstellungen und Beschwerden des Mainzischen Ministers Albini gab und am 25. April dem Obersten Barbaczy überschickte: darin heißt es, er könne auf solche Vorstellungen nicht mehr Rücksicht nehmen, „da die von französischer Seite eröffneten Feindseligkeiten in vollem Gange sind und hierdurch der Zustand der Dinge zwischen Frankreich und Deutschland wieder auf dem Fuße hergestellt ist, wie er vor den Friedensunterhandlungen war.“

Daß eine solche Erklärung, wie Sybel annimmt, durch einen übereifrigen Officier irrthümlich als eine Weisung, gegen Alles, was französischen Namen trug, nach Kriegsbrauch einzuschreiten gedeutet wurde, daß also in diesem Mißverständniß der Ursprung des Ereignisses zu suchen wäre, ist nicht unwahrscheinlich. Auf eine andere Fährte könnte eine ebenfalls von Lehrbach gemachte Aeußerung leiten: „Jesus, Jesus, keine Eskorte zu geben, das ist ein angelegter Spitzbubenstreich, die Leute haben Geld bekommen!“ Darauf bemerkt der Sekretär: „Der Burkard war gewiß auch dabei, sie werden ihm einige tausend Louisd’or gegeben haben!“

Von wem sollte aber solche Bestechung ausgehen? Mit dieser Frage sind wir wieder im Bereich der Muthmaßungen angelangt, womit gerade bei Erklärung der Rastatter Episode zum Ueberdruß operirt wurde.

Begnügen wir uns also, bis vielleicht doch eine glückliche Hand die verschollenen Untersuchungsakten aus einem österreichischen Archiv zu Tage fördert, mit dem, was heute als sicheres Ergebniß der Forschung bezeichnet werden kann.

Das Ereigniß ist als eine militärische Angelegenheit aufzufassen. Das österreichische Kommando erließ Befehl, die Gesandten anzuhalten und ihre Papiere wegzunehmen. Dabei wurde für die Sicherung der Gesandten nicht genugsam Sorge getragen, und so konnte – vermuthlich in Folge eines mißverstandenen Befehls – die blutige Katastrophe erfolgen.

Daß noch geheime Triebfedern wirksam waren, unterliegt keinem Zweifel; sonst wäre nicht zu erklären, wie ein Mann, der am besten in das Ergebniß der Untersuchung eingeweiht war, ein Mann, der keiner Lüge fähig, Erzherzog Karl, noch zwanzig Jahre später, da er die Geschichte des Feldzugs von 1799 schrieb, vom Rastatter Gesandtenmord hätte sagen können: „Mir ist die Sache ein Räthsel! Vielleicht ist späteren Geschlechtern die Lösung vorbehalten!“