Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl I/Viertes Capitel

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Drittes Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band (1875)
von Charles Darwin
Fünftes Capitel


[125]
Viertes Capitel.
Vergleichung der Geisteskräfte des Menschen mit denen der niederen Thiere (Fortsetzung).
Das moralische Gefühl. – Fundamentalsatz. – Die Eigenschaften socialer Thiere. – Ursprung der Fähigkeit zum Geselligleben. – Kampf zwischen entgegengesetzten Instincten. – Der Mensch ein sociales Thier. – Die ausdauernderen socialen Instincte überwinden andere weniger beständige Instincte. – Sociale Tugenden von Wilden allein geachtet. – Tugenden, die das Individuum betreffen, erst auf späterer Entwickelungsstufe erlangt. – Bedeutung des Urtheils über das Benehmen von Mitgliedern derselben Gesellschaft. – Ueberlieferung moralischer Neigungen. – Zusammenfassung.

Ich unterschreibe vollständig die Meinung derjenigen Schriftsteller[1], welche behaupten, dass von allen Unterschieden zwischen dem Menschen und den niederen Thieren das moralische Gefühl oder das Gewissen weitaus der bedeutungsvollste ist. Dieses Gefühl, wie Mackintosh[2] bemerkt, „beherrscht rechtmässiger Weise jedes andere Princip menschlicher Thätigkeit“. Diese Gewalt wird in jenem kurzen, aber gebieterischen und so äusserst bezeichnenden Worte „soll“ zusammengefasst. Es ist das edelste aller Attribute des Menschen, welches ihn, ohne dass er sich einen Augenblick zu besinnen braucht, dazu führt, sein Leben für das eines Mitgeschöpfes zu wagen, oder ihn nach sorgfältiger Ueberlegung einfach durch das tiefe Gefühl des Rechts oder der Pflicht dazu treibt, sein Leben irgend einer grossen Sache zu opfern. Immanuel Kant ruft aus: „Pflicht, wunderbarer Gedanke, der du weder durch sanfte Ueberredung, Schmeichelei, noch durch irgendwelche Drohung, sondern nur dadurch wirkst, dass du dein nacktes Gesetz der Seele vorhältst und dir damit stets Ehrerbietung, wenn auch nicht immer [126] Gehorsam, erzwingst, vor dem alle Bestrebungen stumm sind, so verborgen sie sich auch auflehnen: woher stammst du?“[3]

Es haben diese Frage viele Schriftsteller von ausgezeichneter Befähigung[4] erörtert, und meine einzige Entschuldigung, sie hier nochmals zu berühren, ist sowohl die Unmöglichkeit, sie ganz zu übergehen, als auch der Umstand, dass, so weit es mir bekannt ist, ihr Niemand ausschliesslich von naturhistorischer Seite her näher getreten ist. Es besitzt diese Untersuchung auch einiges selbständige Interesse, nämlich als ein Versuch, zu sehen, wie weit das Studium der niederen Thiere Licht auf eine der höchsten psychischen Fähigkeiten des Menschen werfen kann.

Der folgende Satz scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, nämlich dass jedes Thier, welches es auch sein mag, wenn es nur mit scharf ausgesprochenen socialen Instincten (die elterliche und kindliche Zuneigung hier mit eingeschlossen) versehen ist,[5] unvermeidlich [127] ein moralisches Gefühl oder Gewissen erlangen würde, wenn sich seine intellectuellen Kräfte so weit oder nahezu so weit als beim Menschen entwickelt hätten. Denn erstens führen die socialen Instincte ein Thier dazu, Vergnügen an der Gesellschaft seiner Genossen zu haben, einen gewissen Grad von Sympathie mit ihnen zu fühlen und verschiedene Dienste für sie zu verrichten. Diese Dienste können von einer sehr bestimmten und offenbar instinctiven Natur sein; sie können aber auch ein blosser Wunsch oder, wie es bei den meisten der höheren socialen Thiere der Fall ist, eine Bereitwilligkeit sein, ihren Genossen in gewisser allgemeiner Weise zu helfen. Diese Gefühle und Dienste erstrecken sich aber durchaus nicht auf alle Individuen derselben Species, sondern nur auf die derselben Gemeinschaft. Zweitens: sobald die geistigen Fähigkeiten sich hoch entwickelt haben, durchziehen Bilder aller vergangenen Handlungen und Beweggründe unaufhörlich das Gehirn eines jeden Individuums, und jenes Gefühl des Unbefriedigtseins, welches, wie wir hernach sehen werden, unabänderlich die Folge irgend eines unbefriedigten Instincts ist, wird entstehen, so oft bemerkt wird, dass der andauernde und stets gegenwärtige sociale Instinct irgend einem anderen zu der Zeit stärkeren, aber weder seiner Natur nach dauernden, noch einen sehr lebhaften Eindruck zurücklassenden Instincte nachgegeben hat. Offenbar sind viele instinctive Begierden, wie die des Hungers, ihrer Natur nach nur von kurzer Dauer und werden, wenn sie einmal befriedigt sind, nicht leicht und nicht lebendig vor die Seele zurückgerufen. Drittens: nachdem die Fähigkeit der Sprache erlangt worden ist und die Wünsche der Mitglieder einer und derselben Gemeinschaft deutlich ausgedrückt werden können, wird die allgemeine Meinung darüber, wie ein jedes Mitglied zum allgemeinen Besten wirken soll, naturgemäss in einer grossen Ausdehnung das Bestimmende bei den Handlungen werden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass, ein wie grosses Gewicht wir auch der öffentlichen Meinung einräumen, unsre Rücksicht auf die Billigung oder Missbilligung unsrer Genossen doch auf Sympathie beruht, die, wie wir sehen werden, einen wesentlichen Theil des socialen Instincts ausmacht und geradezu sein Grundstein ist. Endlich wird auch die Gewohnheit beim Individuum eine sehr wichtige Rolle in Bezug auf die Bestimmung der Handlungsweise jedes Mitglieds spielen: denn die socialen Instincte und Impulse werden, wie alle anderen Instincte, durch die Gewohnheit bedeutend gekräftigt werden, wie es auch mit dem Gehorsam gegen die Wünsche und das Urtheil [128] der Gesellschaft geschieht. Diese verschiedenen subordinirten Sätze müssen nun erörtert werden und einige von ihnen in ziemlicher Ausführlichkeit.

Es dürfte zweckmässig sein, zunächst voranzuschicken, dass ich nicht behaupten will, dass jedes streng sociale Thier, wenn nur seine intellectuellen Fähigkeiten zu gleicher Thätigkeit und gleicher Höhe wie beim Menschen entwickelt wären, genau dasselbe moralische Gefühl wie der Mensch erhalten würde. In derselben Weise wie verschiedene Thiere ein gewisses Gefühl von Schönheit haben, trotzdem sie sehr verschiedene Gegenstände bewundern, können sie auch ein Gefühl von Recht und Unrecht haben, trotzdem sie durch dasselbe zu sehr verschiedenen Handlungsweisen veranlasst werden. Um einen extremen Fall anzuführen: wäre z. B. der Mensch unter genau denselben Zuständen erzogen wie die Stockbiene, so dürfte sich kaum zweifeln lassen, dass unsere unverheiratheten Weibchen es ebenso wie die Arbeiterbienen für eine heilige Pflicht halten würden, ihre Brüder zu tödten, und die Mütter würden suchen, ihre fruchtbaren Töchter zu vertilgen, und Niemand würde daran denken, dies zu verhindern.[6] Nichtsdestoweniger würde in unserem angenommenen Falle die Biene oder irgend ein anderes sociales Thier, wie es mir scheint, doch irgend ein Gefühl von Recht und Unrecht oder ein Gewissen erhalten. Denn jedes Individuum würde ein innerliches Gefühl von dem Besitze gewisser weniger starker und andauernder Instincte haben, so dass oft ein Kampf entstehen [129] würde, welchem Impuls zu folgen wäre; es würde daher Befriedigung und Unbefriedigtsein gefühlt werden, da vergangene Eindrücke während ihres beständigen Zuges durch die Seele mit einander verglichen werden würden. In diesem Falle würde ein innerer Warner dem Thiere sagen, dass es besser gewesen wäre, eher dem einen Impuls als dem anderen zu folgen. Dem einen Zug hätte gefolgt werden „sollen“, der eine würde „recht“ der andere „unrecht“ gewesen sein. Aber auf diese Ausdrücke werde ich sogleich zurückzukommen haben.

Neigung zur Geselligkeit, Sociabilität. — Thiere vieler Arten sind gesellig; wir finden selbst, dass verschiedene Species zusammenleben, so einige americanische Affen und die sich vereinigenden Schaaren von Raben, Dohlen und Staaren. Der Mensch zeigt dasselbe Gefühl in der starken Liebe zum Hunde, welche der Hund mit Interesse erwidert. Jedermann muss beobachtet haben, wie unglücklich sich Pferde, Hunde, Schafe u. s. w. fühlen, wenn sie von ihren Genossen getrennt sind, und welche Freude sie, wenigstens die erstgenannten Arten, bei ihrer Wiedervereinigung zeigen. Es ist interessant, über die Gefühle eines Hundes zu speculiren, welcher stundenlang in einem Zimmer mit seinem Herrn oder irgend Einem der Familie ruhig daliegt, ohne dass von ihm die geringste Notiz genommen wird; sobald er aber eine kurze Zeit allein gelassen wird, bellt oder heult er schrecklich. Wir wollen unsere Aufmerksamkeit auf die höheren socialen Thiere beschränken mit Ausschluss der Insecten, obgleich diese einander in vielen wichtigen Beziehungen helfen. Der gewöhnlichste Dienst, welchen sich höhere Thiere gegenseitig erweisen, ist, dass sie durch Hülfe der vereinigten Sinne Aller einander vor Gefahr warnen. Jeder Jäger weiss, wie Dr. Jäger bemerkt,[7] wie schwer es ist, Thieren in Heerden, oder Truppen nahe zu kommen. Wilde Pferde und Kinder geben, wie ich glaube, kein Warnungssignal, aber schon die Haltung eines Jeden, welches zuerst einen Feind wittert, warnt die Uebrigen. Kaninchen stampfen laut mit den Hinterfüssen auf den Boden als Signal; Schafe und Gemsen thun dasselbe, aber mit den Vorderfüssen, und stossen auch einen pfeifenden Ton aus. Viele Vögel und manche Säugethiere stellen Wachen aus, welches bei den Robben, wie man sagt,[8] gewöhnlich die [130] Weibchen sind. Der Anführer einer Truppe Affen dient als Wache und stösst Rufe aus, die sowohl Gefahr als Sicherheit verkünden.[9] Sociale Thiere verrichten einander manche kleine Dienste, Pferde zwicken einander und Kühe lecken einander an jeder Stelle, wo sie ein Stechen fühlen; Affen suchen einander äussere Schmarotzer ab, und Brehm führt an, dass, nachdem ein Trupp des Cercopithecus griseoviridis durch ein dorniges Gebüsch geschlüpft war, jeder Affe sich auf einem Zweig ausstreckte und ein anderer sich zu ihm setzte, „gewissenhaft“ seinen Pelz untersuchte und jeden Stachel auszog.

Thiere leisten sich auch noch wichtigere Dienste: so jagen Wölfe und andere Raubthiere in Truppen und helfen einander beim Angriff auf ihre Beute; Pelikane fischen in Gemeinschaft. Die Hamadryas-Paviane drehen Steine um, um Insecten zu suchen u. s. w., und wenn sie an einen grossen kommen, wenden ihn so viele als herankommen können zusammen um und theilen die Beute. Sociale Thiere vertheidigen sich gegenseitig; Bison-Bullen in Nord-America treiben bei Gefahren die Kühe und Kälber in die Mitte der Heerde, während sie den Rand vertheidigen. In einem späteren Capitel werde ich auch Fälle anführen, wo zwei junge wilde Bullen in Chillingham einen alten gemeinsam angriffen und wo zwei Hengste zusammen versuchten, einen dritten von einer Heerde Stuten wegzutreiben. Brehm begegnete in Abyssinien einer grossen Heerde von Pavianen, welche quer durch ein Thal zogen: einige hatten bereits den gegenüberliegenden Hügel erstiegen und einige waren noch im Thale. Die Letzteren wurden von den Hunden angegriffen, aber sofort eilten die alten Männchen von den Felsen herab und brüllten mit weitgeöffnetem Munde so fürchterlich, dass die Hunde sich bestürzt zurückzogen. Sie wurden von Neuem zum Angriff angefeuert, aber diesmal waren alle Paviane wieder auf die Höhen hinaufgestiegen mit Ausnahme eines jungen, ungefähr sechs Monate alten, welcher laut um Hülfe rufend einen Felsblock erkletterte und umringt wurde. Jetzt kam eines der grössten Männchen, ein wahrer Held, nochmals vom Hügel herab, gieng langsam zu dem jungen, [131] liebkoste ihn und führte ihn triumphirend weg; — die Hunde waren zu sehr erstaunt, um ihn anzugreifen. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, noch eine andere Scene mitzutheilen, welcher derselbe Naturforscher als Zeuge beiwohnte. Ein Adler ergriff einen jungen Cercopithecus, konnte ihn aber, da sich jener an einen Zweig klammerte, nicht sofort wegschleppen. Der Affe schrie laut um Hülfe, worauf die anderen Thiere der Truppe mit vielem Gebrüll zum Entsatz herbeieilten, den Adler umringten und ihm so viel Federn ausrissen, dass er nicht länger an seine Beute dachte, sondern nur daran, wie er wegkäme. Dieser Adler, bemerkt Brehm, wird sicher niemals wieder einen einzelnen Affen in einer Truppe angreifen.[10]

Es ist gewiss, dass in Gesellschaft lebende Thiere ein Gefühl der Liebe zu einander haben, welches erwachsene nicht sociale Thiere nicht fühlen. Wie weit sie in den meisten Fällen thatsächlich mit den Schmerzen und Freuden der Anderen sympathisiren, ist besonders mit Rücksicht auf die letzteren zweifelhafter. Doch gibt Mr. Buxton, welcher ausgezeichnete Gelegenheit zur Beobachtung hatte,[11] an, dass seine Macaws, welche in Norfolk frei lebten, ein „extravagantes Interesse“ an einem Paare mit einem Neste nahmen; so oft das Weibchen dasselbe verliess, wurde es von einer Schaar anderer umringt, welche „zu seiner Ehre ein fürchterliches Geschrei erhoben“. Es ist oft schwer zu entscheiden, ob Thiere Gefühl für die Leiden anderer haben. Aber wer kann sagen, was Kühe fühlen, wenn sie um einen sterbenden oder todten Genossen herumstehen und ihn anstarren? Allem Anschein nach fühlen sie indessen, wie Houzeau bemerkt, kein Mitleid. Dass Thiere zuweilen weit davon entfernt sind, irgendwelche Sympathie zu zeigen, ist nur zu sicher; denn sie treiben ein verwundetes Thier aus der Heerde oder stossen und plagen es zu Tode. Dies dürfte beinahe der schwärzeste Punkt in der Naturgeschichte sein, wenn nicht die dafür aufgestellte Erklärung richtig ist, wonach der Instinct oder Verstand der Thiere sie dazu antreibt, einen verwundeten Genossen auszustossen, [132] damit nicht Raubthiere, mit Einschluss des Menschen, versucht würden, der Heerde zu folgen. In diesem Falle ist ihr Betragen nicht viel schlimmer als das der nordamericanischen Indianer, welche ihre schwachen Kameraden in den Steppen umkommen lassen, oder der Feuerländer, welche, wenn ihre Eltern alt oder krank werden, sie lebendig begraben.[12]

Es sympathisiren indessen sicher viele Thiere mit dem Unglück oder der Gefahr ihrer Genossen. Dies ist selbst bei Vögeln der Fall; Capt. Stansbury[13] fand am Salzsee in Utah einen alten und vollständig blinden Pelican, welcher sehr fett war und von seinen Genossen lange Zeit, und zwar sehr gut, gefüttert worden sein musste. Mr. Blyth theilt mir mit, dass er sah, wie indische Krähen zwei oder drei ihrer Genossen, welche blind waren, fütterten; und ich habe von einem ähnlichen Falle bei unserem Haushuhne gehört. Wenn man will, kann man diese Handlungen instinctive nennen, doch sind derartige Fälle viel zu selten, um der Entwickelung irgend eines speciellen Instinctes zum Ausgangspunkte dienen zu können.[14] Ich selbst habe einen Hund gesehen, welcher niemals bei einem seiner grössten Freunde, nämlich einer Katze, welche krank in einem Korbe lag, vorübergieng, ohne sie ein paar Mal mit der Zunge zu belecken, das sicherste Zeichen von freundlicher Gesinnung bei einem Hunde.

Es muss Sympathie genannt werden, welche einen muthvollen Hund veranlasst, sich auf Jeden zu stürzen, der seinen Herrn schlägt, wie er es sicher thun wird. Ich sah, wie Jemand die Bewegung machte, als schlüge er eine Dame, die einen sehr furchtsamen kleinen Hund auf ihrem Schoosse hatte; auch war dieser Versuch noch nie zuvor gemacht worden. Das kleine Geschöpf sprang sofort auf und davon; sobald aber das vermeintliche Schlagen vorüber war, war es wirklich rührend zu sehen, wie unablässig es suchte, seiner Herrin Gesicht zu lecken und sie zu trösten. Brehm[15] führt an, dass, als ein Pavian in der Gefangenschaft [133] gehascht werden sollte, um gestraft zu werden, die anderen ihn zu beschützen suchten. In den oben angeführten Fällen muss es Sympathie gewesen sein, welche die Paviane und Cercopitheken veranlasste, ihre jungen Genossen gegen die Hunde und den Adler zu verteidigen. Ich will nur noch ein einziges weiteres Beispiel eines sympathischen und heroischen Betragens bei einem kleinen americanischen Affen anführen. Vor mehreren Jahren zeigte mir ein Wärter im zoologischen Garten ein paar tiefe und kaum geheilte Wunden in seinem Genick, die ihm, während er auf dem Boden kniete, ein wüthender Pavian beigebracht hatte. Der kleine americanische Affe, welcher ein warmer Freund dieses Wärters war, lebte in demselben grossen Behältniss und war schrecklich furchtsam vor dem grossen Pavian; sobald er aber seinen Freund, den Wärter, in Gefahr sah, stürzte er nichtsdestoweniger zum Entsatz herbei und zog durch Schreien und Beissen den Pavian so vollständig ab, dass der Mann im Stande war, sich zu entfernen, nachdem er, wie der ihn behandelnde Arzt später äusserte, in grosser Lebensgefahr gewesen war.

Ausser Liebe und Sympathie zeigen Thiere noch andere mit den socialen Instincten in Verbindung stehende Eigenschaften, welche man beim Menschen moralische nennen würde; und ich stimme mit Agassiz[16] überein, dass Hunde etwas dem Gewissen sehr Aehnliches besitzen.

Hunde besitzen sicherlich etwas Kraft der Selbstbeherrschung, und diese scheint nicht gänzlich Folge der Furcht zu sein. Wie Braubach bemerkt,[17] wird ein Hund sich des Stehlens von Nahrung in Abwesenheit seines Herrn enthalten. Hunde sind schon lange für den echten Typus der Treue und des Gehorsams genommen worden; aber auch der Elefant ist seinem Treiber oder Wärter sehr treu und betrachtet ihn als den Leiter der Heerde. Dr. Hooker erzählte mir, dass ein Elefant, den er in Indien ritt, so tief in sumpfigen Boden einsank, dass er bis zum andern Tag fest stecken blieb, wo er von Männern mit Hülfe von Stricken erlöst wurde. Unter solchen Umständen ergreifen Elefanten mit ihren Rüsseln alle Gegenstände, todt und lebendig, um sie unter ihre Kniee zu bringen und dadurch das tiefere Einsinken in den Schlamm zu verhindern. Der Treiber war nun schrecklich in Sorge, dass das Thier den Dr. Hooker ergreifen und ihn todt drücken möchte. Wie aber Dr. Hooker sagt, war der Treiber selbst durchaus nicht in Gefahr. [134] Diese Nachsicht mitten in einer für ein schweres Thier so fürchterlichen Lage ist ein wunderbarer Zug einer edlen Treue.[18]

Alle Thiere, welche in Massen zusammenleben und einander vertheidigen oder ihre Feinde gemeinsam angreifen, müssen in gewissem Grade einander treu sein, und Derjenige, welcher einem Anführer folgt, muss in einem gewissen Grade gehorsam sein. Wenn die Paviane in Abyssinien[19] einen Garten plündern, so folgen sie schweigend ihrem Anführer, und wenn ein unkluges junges Thier ein Geräusch macht, so bekommt es von den Anderen einen Klapps, um es Schweigen und Gehorsam zu lehren. Mr. Galton, der so ausgezeichnete Gelegenheit zur Beobachtung der halbwilden Rinder in Südafrica gehabt hat, sagt,[20] dass sie selbst eine momentane Trennung von der Heerde nicht ertragen können. Sie sind wesentlich sclavisch und nehmen ruhig die allgemeine Bestimmung hin, ohne ein bessres Loos zu suchen, als von einem Ochsen angeführt zu werden, der Selbstvertrauen genug besitzt, diese Stellung anzunehmen. Die Leute, welche diese Thiere für das Geschirr zähmen, achten sorgsam auf die, welche besonders grasen und dadurch Anlage zu Selbstvertrauen zeigen; diese spannen sie dann als Vorochsen ein. Mr. Galton fügt hinzu, dass solche Thiere selten und werthvoll sind; würden viele solche geboren, so würden sie bald eliminirt werden, da die Löwen beständig nach solchen Individuen auf der Lauer liegen, welche sich von der Heerde entfernen.

In Bezug auf den Impuls, welcher gewisse Thiere dazu führt, sich gesellig mit einander zu verbinden und einander auf viele Weisen zu helfen, kann man schliessen, dass sie in den meisten Fällen durch dasselbe Gefühl der Befriedigung oder des Vergnügens dazu getrieben werden, welches sie bei der Ausübung anderer instinctiver Handlungen an sich erfahren, oder durch dasselbe Gefühl des Nichtbefriedigtseins, wie in anderen Fällen verhinderter instinctiver Handlungen. Wir sehen dies in zahllosen Beispielen, und es wird in auffallender Weise durch die erworbenen Instincte unserer domesticirten Thiere erläutert. So ergötzt sich ein junger Schäferhund an dem Treiben der Schafe und dem rund um die Heerde Herumlaufen, aber nicht am Beissen; ein junger Fuchshund ergötzt sich am Jagen eines Fuchses, während manche andere [135] Hundearten, wie ich selbst erfahren habe, Füchse vollständig unbeachtet lassen. Welches starke Gefühl innerer Befriedigung muss einen Vogel, ein Thier von so viel innerem Leben, dazu treiben, Tag für Tag über seinen Eiern zu sitzen! Zugvögel sind unglücklich, wenn man sie am Wandern hindert, und vielleicht freuen sie sich der Abreise zu ihrem langen Fluge; es lässt sich aber kaum glauben, dass die arme flügellahme Gans, von der Audubon erzählt, welche rechtzeitig zu Fuss ihre lange Wanderung von wahrscheinlich mehr als tausend Meilen antrat, irgend eine Freude dabei empfunden habe. Einige Instincte werden nur durch schmerzliche Gefühle bestimmt, so durch die Furcht, welche zur Selbsterhaltung führt und sich in manchen Fällen auf specielle Feinde bezieht. Ich vermuthe, dass wohl Niemand die Empfindungen des Vergnügens oder des Schmerzes analysiren kann. Es ist indessen in vielen Fällen wahrscheinlich, dass Instincten durch die blose Kraft der Vererbung ohne das Reizmittel weder von Vergnügen noch Schmerz gefolgt wird. Ein junger Vorstehhund kann, wenn er zuerst Wild wittert, scheinbar nicht anders, als er muss stehen; ein Eichhorn in einem Käfig, welches die Nüsse, die es nicht essen kann, bekratzt als wenn es dieselben im Boden vergraben wollte, wird kaum so angesehen werden können, als handle es dabei entweder aus Vergnügen oder aus Schmerz. Die gewöhnliche Annahme, dass die Menschen zu jeder Handlung dadurch angetrieben werden müssten, dass sie irgend ein Vergnügen oder einen Schmerz dabei erfahren, dürfte daher irrig sein. Wird auch einer Gewohnheit blind und ohne weitere Ueberlegung und unabhängig von irgend einem im Augenblick gefühlten Vergnügen oder Schmerz nachgegeben, so wird doch, wenn sie zwangsweise und plötzlich aufgehalten werden würde, ein unbestimmtes Gefühl des Unbefriedigtseins allgemein empfunden werden.

Es ist oft angenommen worden, dass die Thiere an erster Stelle gesellig gemacht wurden, und dass sie als Folge hiervon sich ungemüthlich fühlten, wenn sie von einander getrennt wurden, und gemüthlich, so lange sie zusammen waren. Eine wahrscheinlichere Ansicht ist aber die, dass diese Empfindungen zuerst entwickelt wurden, damit diejenigen Thiere, welche durch das Leben in Gesellschaft Nutzen hätten, veranlasst würden, zusammen zu leben, in derselben Weise, wie das Gefühl des Hungers und das Vergnügen am Essen ohne Zweifel zuerst erlangt wurden, um die Thiere zum Essen zu veranlassen. Das Gefühl des Vergnügens an Gesellschaft ist wahrscheinlich eine Erweiterung der [136] elterlichen oder kindlichen Zuneigungen, da der sociale Instinct dadurch im Jungen entwickelt worden zu sein scheint, dass es lange Zeit bei seinen Eltern blieb; und diese Erweiterung dürfte hauptsächlich der natürlichen Zuchtwahl zuzuschreiben sein, zum Theil aber vielleicht blosser Gewohnheit. Bei denjenigen Thieren, welche durch das Leben in enger Gemeinschaft bevorzugt wurden, werden diejenigen Individuen, welche das grösste Vergnügen an der Gesellschaft empfanden, am besten verschiedenen Gefahren entgehen, während diejenigen, welche sich am wenigsten um ihre Kameraden kümmerten und einzeln lebten, in grösserer Anzahl untergehen werden. Was den Ursprung der elterlichen und kindlichen Zuneigungen betrifft, welche, wie es scheint, den socialen Neigungen zu Grunde liegen, so kennen wir die Stufen ihrer Entwickelung nicht; wir können aber annehmen, dass sie zum grossen Theil durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind. So ist dies fast sicher der Fall gewesen bei den ungewöhnlichen und entgegengesetzten Gefühlen des Hasses gegen die nächsten Verwandten, wie bei den Arbeiterbienen, welche ihre Drohnenbrüder tödten, und bei den Bienenköniginnen, welche ihre Tochterköniginnen tödten. Es ist nämlich hier der Trieb, ihre nächsten Verwandten zu zerstören, statt sie zu lieben, für die Gemeinschaft von Nutzen gewesen. Elterliche Liebe oder irgend ein dieselbe ersetzendes Gefühl hat sich bei gewissen, ausserordentlich tief stehenden Thieren entwickelt, z. B. bei Seesternen und Spinnen. Sie ist auch gelegentlich allein bei einigen wenigen Gliedern einer Thiergruppe vorhanden, so bei der Gattung Forficula, dem Ohrwurm.

Das überaus wichtige Gefühl der Sympathie ist verschieden von dem der Liebe. Eine Mutter kann ihr schlafendes und passiv da liegendes Kind leidenschaftlich lieben, aber man kann kaum sagen, dass sie dann Sympathie für dasselbe fühle. Die Liebe eines Menschen zu seinem Hunde ist verschieden von Sympathie; in ähnlicher Weise ist es die Liebe eines Hundes für seinen Herrn. Wie früher Adam Smith so hat neuerdings Mr. Bain behauptet, dass der Grund der Sympathie in der starken Nachwirkung liege, welche wir von früheren Zuständen des Leidens oder Vergnügens empfinden. In Folge dessen „erweckt der Anblick einer anderen Person, welche Hunger, Kälte, Ermüdung erduldet, in uns eine Erinnerung an dieselben Zustände, welche selbst in der Idee schmerzlich sind“. Wir werden auf diese Weise veranlasst, die Leiden eines Andern zu mildern, um zu gleicher Zeit auch unsere eigenen schmerzlichen Gefühle zu besänftigen. In gleicher Weise werden [137] wir veranlasst, an der Freude Anderer theilzunehmen.[21] Ich kann aber nicht einsehen, wie diese Ansicht jene Thatsache erklärt, dass Sympathie in einem unmessbar stärkeren Grade von einer geliebten Person als von einer indifferenten erregt wird. Der blosse Anblick des Leidens, ganz unabhängig von Liebe, würde ja schon hinreichen, lebhafte Erinnerungen und Associationen in uns zu erwecken. Die Erklärung dürfte in der Thatsache zu finden sein, dass bei allen Thieren Sympathie allein auf die Glieder einer und derselben Gemeinschaft, daher auf bekannte und mehr oder weniger geliebte Mitglieder, aber nicht auf alle Individuen einer und derselben Species sich bezieht. Diese Thatsache ist nicht überraschender, als die, dass die Furcht bei vielen Thieren sich nur auf gewisse Feinde bezieht. Arten, welche nicht gesellig leben, wie Löwen und Tiger, fühlen ohne Zweifel Sympathie mit dem Leiden ihrer Jungen, aber nicht mit dem irgend eines anderen Thieres. Beim Menschen verstärkt wahrscheinlich Selbstsucht, Erfahrung, Nachahmung, wie Mr. Bain gezeigt hat, die Kraft der Sympathie; denn die Hoffnung, in Erwiederung Gutes zu erfahren, treibt uns dazu, Handlungen sympathischer Freundlichkeit Andern zu erweisen; und dann wird das Gefühl der Sympathie sehr durch die Gewohnheit verstärkt. Wie complicirt auch die Weise sein mag, in welcher dieses Gefühl zuerst entstanden ist, da es eines der bedeutungsvollsten für alle diejenigen Thiere ist, welche einander helfen und vertheidigen, so wird es durch natürliche Zuchtwahl vergrössert worden sein; denn jene Gemeinschaften, welche die grösste Zahl der sympathischsten Mitglieder umfassen, werden am besten gedeihen und die grösste Anzahl von Nachkommen erzielen.

In vielen Fällen ist es indessen unmöglich, zu entscheiden, ob gewisse sociale Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind, oder ob sie das indirecte Resultat anderer Instincte und Fähigkeiten sind, wie der Sympathie, des Verstandes, der Erfahrung und einer [138] Neigung zur Nachahmung, oder ferner, ob sie einfach das Resultat lange fortgesetzter Gewohnheit sind. Ein so merkwürdiger Instinct wie der, Wachen aufzustellen, um die ganze Gemeinschaft vor Gefahr zu warnen, kann kaum das indirecte Resultat irgend einer jener Fähigkeiten gewesen sein; er muss daher direct erlangt worden sein. Auf der andern Seite mag die Gewohnheit, nach welcher die Männchen einiger socialen Thiere die Heerde zu vertheidigen und ihre Feinde oder ihre Beute gemeinsam anzugreifen pflegen, vielleicht aus gegenseitiger Sympathie entstanden sein; aber Muth, und in den meisten Fällen auch Kraft, muss schon vorher und wahrscheinlich durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sein.

Von den verschiedenen Instincten und Gewohnheiten sind einige viel stärker als andere, d. h. einige verursachen entweder mehr Vergnügen, wenn sie ausgeführt werden, und mehr Unbehagen, wenn sie verhindert werden als andere, oder, und dies ist wahrscheinlich völlig ebenso bedeutungsvoll, sie werden viel beständiger in Folge der Vererbung befolgt, ohne irgend ein specielles Gefühl der Freude oder des Schmerzes zu erregen. Wir selbst sind uns dessen wohl bewusst, dass manche Gewohnheiten viel schwerer zu heilen oder zu ändern sind, als andere. Man kann daher auch oft bei Thieren einen Kampf zwischen verschiedenen Instincten beobachten oder zwischen einem Instinct und einer gewohnheitsgemässen Neigung; so, wenn ein Hund auf einen Hasen losstürzt, gescholten wird, pausirt, zweifelt, wieder hinausjagt oder beschämt zu seinem Herrn zurückkehrt; oder wenn eine Hündin zwischen der Liebe zu ihren Jungen und zu ihrem Herrn kämpft, denn man sieht sie sich zu jenen wegschleichen, gewissermassen als schäme sie sich, nicht ihren Herrn zu begleiten. Das merkwürdigste mir bekannte Beispiel aber von einem Instinct, welcher einen andern bezwingt, ist der Wanderinstinct, welcher den mütterlichen überwindet. Der erstere ist wunderbar stark; ein gefangener Vogel schlägt zu der betreffenden Zeit seine Brust gegen den Draht seines Käfigs, bis sie nackt und blutig ist; er veranlasst junge Lachse, aus dem Süsswasser herauszuspringen, wo sie ruhig weiter leben könnten, und führt sie damit unabsichtlich zum Selbstmord. Jedermann weiss, wie stark der mütterliche Instinct ist, welcher selbst furchtsame Vögel ermuthigt, grösserer Gefahr sich auszusetzen, doch immer mit Zaudern und im Widerstreit mit dem Instincte der Selbsterhaltung. Nichtsdestoweniger ist der Wanderinstinct so mächtig, dass spät im Herbst Ufer- und Hausschwalben [139] häufig ihre zarten Jungen verlassen und sie elendiglich in ihren Nestern umkommen lassen.[22]

Wir können wohl sehen, dass ein instinctiver Antrieb, wenn er in irgendwelcher Weise einer Species vorteilhafter ist als irgend ein anderer oder entgegengesetzter Instinct, durch natürliche Zuchtwahl der kräftigere von beiden werden kann; denn diejenigen Individuen, welche ihn am stärksten entwickelt haben, werden in grösserer Zahl andere überleben. Ob dies aber der Fall ist mit dem Wanderinstinct in Vergleich mit dem mütterlichen, liesse sich wohl bezweifeln. Die grössere Beständigkeit und ausdauernde Wirkung des Ersteren zu gewissen Zeiten des Jahres und zwar während des ganzen Tags, dürften ihm eine Zeitlang eine überwiegende Kraft verleihen.

Der Mensch ein sociales Thier. — Die meisten Leute geben zu, dass der Mensch ein sociales Wesen ist. Wir sehen dies in seiner Abneigung gegen Einsamkeit und in seinem Wunsch nach Gesellschaft noch über die seiner eigenen Familie hinaus. Einzelnhaft ist eine der schärfsten Strafarten, welche über Jemand verhängt werden kann. Einige Schriftsteller vermuthen, dass der Mensch im Urzustande in einzelnen Familien lebte; wenn aber auch heutigen Tages einzelne Familien oder nur zwei oder drei die einsamen Gefilde irgend eines wilden Landes durchziehen, so stehen sie doch immer, soweit ich es nur ermitteln konnte, mit anderen, denselben Bezirk bewohnenden Familien in freundschaftlichem Verkehr. Derartige Familien treffen gelegentlich zu Berathschlagungen zusammen und vereinigen sich zur gemeinsamen Vertheidigung. Darin, dass die, benachbarte Bezirke bewohnenden Stämme [140] fast immer mit einander im Kriege sind, liegt kein Grund dagegen, dass der Mensch ein sociales Thier ist; denn sociale Instincte erstrecken sich niemals auf alle Individuen einer und derselben Art. Nach Analogie mit der grösseren Zahl der Quadrumanen zu schliessen, ist es wahrscheinlich, dass die frühen affenähnlichen Urerzeuger des Menschen gleichfalls social waren; dies ist aber für uns von keiner grossen Bedeutung. Obschon der Mensch, wie er jetzt existirt, wenig specielle Instincte hat und wohl alle, welche seine frühen Urerzeuger besessen haben mögen, verloren hat, so ist dies doch kein Grund, warum er nicht von einer äusserst entfernten Zeit her einen gewissen Grad instinctiver Liebe und Sympathie für seine Genossen behalten haben sollte. Wir sind uns in der That alle bewusst, dass wir derartige sympathische Gefühle besitzen;[23] unser Bewusstsein sagt uns aber nicht, ob dieselben instinctiv und vor langer Zeit in derselben Weise wie bei den niederen Thieren entstanden sind, oder ob sie von jedem Einzelnen von uns während unserer früheren Lebensjahre erlangt worden sind. Da der Mensch ein sociales Thier ist, so wird er auch wahrscheinlich eine Neigung, seinen Kameraden treu und dem Anführer seines Stammes gehorsam zu bleiben, vererben; denn diese Eigenschaft ist den meisten socialen Thieren gemein. Er wird folglich in gleicher Weise eine gewisse Fähigkeit der Selbstbeherrschung besitzen. Er wird auch in Folge einer angeerbten Neigung noch immer geneigt sein, gemeinsam mit Anderen seine Mitmenschen zu vertheidigen, und bereit, ihnen in allen Weisen zu helfen, welche nicht zu stark mit seiner eigenen Wohlfahrt oder seinen eigenen lebhaften Wünschen sich kreuzen.

Diejenigen socialen Thiere, welche am untern Ende der Stufenleiter stehen, werden fast ausschliesslich, und diejenigen, welche höher in der Reihenfolge stehen, in grossem Maasse bei der Hülfe, welche sie den Gliedern derselben Genossenschaft angedeihen lassen, durch specielle Instincte unterstützt. In gleicher Weise werden sie aber auch zum Theil durch gegenseitige Liebe und Sympathie dazu veranlasst werden, wobei sie, wie es wohl scheint, der Verstand in einem gewissen Grade unterstützt. [141] Obgleich der Mensch, wie eben bemerkt, keine speciellen Instincte hat, welche ihm sagen, wie er seinem Mitmenschen helfen soll, so fühlt er doch den Antrieb dazu, und bei seinen vervollkommneten intellectuellen Fähigkeiten wird er in dieser Hinsicht natürlich durch Nachdenken und Erfahrung geleitet werden. Auch wird ihn instinctive Sympathie veranlassen, die Billigung seiner Mitmenschen hoch anzuschlagen, denn die Empfänglichkeit für Lob und das starke Gefühl für Ruhm einer-, andererseits der noch stärkere Widerwille gegen Spott und Verachtung sind, wie Mr. Bain klar gezeigt hat,[24] Folgen der Sympathie. In Folge hiervon wird der Mensch durch die Wünsche, den Beifall und Tadel seiner Mitmenschen, wie diese durch deren Gesten und Sprache ausgedrückt werden, bedeutend beeinflusst. So geben die socialen Instincte, welche der Mensch in einem sehr rohen Zustand erlangt haben muss, und die vielleicht selbst von seinen früheren affenähnlichen Urerzeugern erlangt worden sind, noch immer den Anstoss zu vielen seiner besten Handlungen; seine Handlungen werden aber in einem höheren Grade durch die ausdrücklichen Wünsche und das Urtheil seiner Mitmenschen und unglücklicherweise sehr oft durch seine eigenen starken selbstischen Begierden bestimmt. In dem Maasse aber, als die Gefühle der Liebe und Sympathie und die Kraft der Selbstbeherrschung durch die Gewohnheit verstärkt werden und als das Vermögen des Nachdenkens klarer wird, so dass der Mensch die Gerechtigkeit der Urtheile seiner Mitmenschen würdigen kann, wird er sich unabhängig von irgend einem Gefühl der Freude oder des Schmerzes, das er in dem Augenblick fühlen könnte, zu einer gewissen Richtung seines Benehmens getrieben fühlen. Dann — und kein Barbar oder uncultivirter Mensch könnte so denken, — kann er sagen: ich bin der oberste Richter meines eigenen Betragens; oder mit den Worten Kant’s: „ich will in meiner eigenen Person nicht die Würde der Menschheit verletzen“.

Die beständigeren socialen Instincte überwinden die weniger beständigen. — Wir haben indessen bis jetzt den wichtigsten Punkt, um welchen sich die ganze Frage des moralischen Gefühls dreht, noch nicht betrachtet: wie kommt es, dass ein Mensch fühlt, dass er der einen instinctiven Begierde eher gehorchen soll als der andern? Warum bereut er es bitterlich, wenn er dem starken Gefühl der Selbsterhaltung [142] nachgegeben und sein Leben nicht gewagt hat, um das eines Mitgeschöpfes zu retten, oder warum bereut er es, in Folge peinlichen Hungers Nahrung gestohlen zu haben?

An erster Stelle ist es offenbar, dass beim Menschen die instinctiven Impulse verschiedene Grade der Mächtigkeit besitzen. Ein Wilder wird sein Leben wagen, um das eines Mitgliedes seiner Genossenschaft zu retten, wird aber in Bezug auf einen Fremden völlig indifferent bleiben; eine junge furchtsame Mutter wird vom mütterlichen Instinct getrieben, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, sich der grössten Gefahr um ihres Kindes willen auszusetzen, aber nicht um eines blossen Mitgeschöpfes willen. Trotzdem hat schon mancher Mann oder selbst Knabe, welcher noch niemals zuvor sein Leben für ein anderes wagte, in dem aber Muth und Sympathie schön entwickelt waren, mit Hintansetzung des Instincts der Selbsterhaltung sich augenblicklich in den Strom gestürzt, um einen dem Ertrinken nahen Mitmenschen, wenn es auch ein Fremder war, zu retten. In diesem Falle wird der Mensch durch dasselbe instinctive Motiv getrieben, welches den kleinen heroischen americanischen Affen, den ich früher erwähnte, veranlasste, den grossen und von ihm gefürchteten Pavian anzugreifen, um seinen Wärter zu retten. Derartige Handlungen, wie die ebengenannten, scheinen das einfache Resultat davon zu sein, dass die socialen oder mütterlichen Instincte stärker sind als irgend welche andere Instincte oder Motive; denn um Folge einer Ueberlegung oder Folge eines Gefühls von Freude oder Schmerz sein zu können, werden sie zu augenblicklich ausgeübt, wennschon die Nichtausübung ein Unbehagen veranlassen würde. Andererseits kann aber wohl in einem furchtsamen Menschen der Instinct der Selbsterhaltung so stark sein, dass er unfähig wäre, sich dahin zu bringen, irgend eine solche Gefahr zu laufen, vielleicht selbst dann nicht, wenn es das Leben seines eigenen Kindes gilt.

Ich weiss wohl, dass manche Personen behaupten, Handlungen, welche durch einen plötzlichen Antrieb zur Ausführung gelangen, wie in den obenerwähnten Fällen, gehörten nicht in den Bereich des moralischen Gefühls und könnten daher nicht moralisch genannt werden. Dieselben beschränken diesen Ausdruck auf Handlungen, welche mit Ueberlegung und nach einem siegreichen Wettstreit über entgegenstehende Begierden ausgeführt werden, oder auf Handlungen, welche Folgen irgend eines edlen Motivs sind. Es scheint indessen kaum möglich zu sein, eine scharfe Unterscheidungslinie dieser Art zu [143] ziehen.[25] Was erhabene Motive betrifft, so sind viele Beispiele von Barbaren mitgetheilt worden, welche jeden Gefühls eines allgemeinen Wohlwollens gegen die Menschheit bar und nicht durch irgendwelches religiöse Motiv geleitet mit völliger Ueberlegung in der Gefangenschaft eher ihr Leben opferten,[26] als ihre Kameraden verriethen; und sicherlich ist ihr Benehmen als ein moralisches zu betrachten. Was die Ueberlegung und den Sieg über entgegenstehende Motive betrifft, so lässt sich auch beobachten, dass Thiere in Bezug auf einander entgegenstehende Instincte zweifeln: so, wenn es sich darum handelt, ihren Nachkommen oder ihren Kameraden in Gefahr zu helfen; und doch werden ihre Handlungen, trotzdem sie zum Besten Anderer ausgeführt werden, nicht moralische genannt. Ueberdies wird eine von uns sehr oft ausgeführte Handlung zuletzt ohne Ueberlegung oder Zaudern verrichtet werden, und doch wird sicherlich Niemand behaupten, dass eine in dieser Weise verrichtete Handlung aufhört, moralisch zu sein; im Gegentheil fühlen wir alle, dass eine Handlung nicht als vollkommen oder als in der edelsten Weise ausgeführt angesehen werden kann, wenn sie nicht in Folge eines augenblicklichen Impulses ohne Ueberlegung oder Anstrengung und in derselben Weise ausgeführt wird, wie sie ein Mensch thun würde, bei dem die nöthigen Eigenschaften angeboren sind. Indessen verdient Derjenige, welcher erst seine Furcht oder seinen Mangel an Sympathie überwinden muss, ehe er zur Handlung schreitet, nach einer Seite hin noch mehr Anerkennung als Derjenige, dessen angeborene Disposition ihn zu einer guten Handlung ohne weitere Anstrengung führt. Da wir zwischen den Beweggründen nicht weiter unterscheiden können, so bezeichnen wir alle Handlungen einer gewissen Classe als moralisch, wenn sie von einem moralischen Wesen ausgeführt werden. Ein moralisches Wesen ist ein solches, welches im Stande ist, seine vergangenen und zukünftigen Handlungen oder Beweggründe mit einander zu vergleichen und sie zu billigen oder zu [144] misbilligen. Zu der Annahme, dass irgend eines der niederen Thiere diese Fähigkeit habe, haben wir keinen Grund. Wenn daher ein Neufundländer Hund ein Kind aus dem Wasser holt, oder wenn ein Affe sich in Gefahr begibt, um seinen Kameraden zu erretten, oder einen verwaisten Affen in sorgsame Pflege nimmt, so nennen wir dieses Benehmen nicht moralisch; beim Menschen dagegen, welcher allein mit Sicherheit als moralisches Wesen bezeichnet werden kann, werden Handlungen einer gewissen Classe moralische genannt, mögen sie mit Ueberlegung nach einem Kampf mit entgegenstehenden Beweggründen oder in Folge eines augenblicklichen Impulses durch den Instinct oder in Folge der Nachwirkung einer nach und nach erlangten Gewohnheit ausgeführt werden.

Doch kehren wir zu unserem zunächst vorliegenden Gegenstand zurück. Obgleich manche Instincte kräftiger sind als andere und damit zu entsprechenden Handlungen führen, so kann doch nicht behauptet werden, dass die socialen Instincte beim Menschen (mit Einschluss der Ruhmliebe und der Furcht vor Tadel) gewöhnlich stärker sind oder durch langandauernde Gewohnheit stärker geworden sind, als z. B. die Instincte der Selbsterhaltung, des Hungers, der Lust, der Rache u. s. w. Warum bereut der Mensch, – selbst wenn er sich Mühe gibt, jedes solche Gefühl der Reue zu verbannen –, dass er mehr dem einen natürlichen Impuls gefolgt ist als dem andern, und ferner, warum fühlt er, dass er sein Betragen bereuen sollte? In dieser Beziehung weicht der Mensch völlig von den niederen Thieren ab, doch können wir, wie ich glaube, die Ursache dieser Verschiedenheit mit einem ziemlichen Grade von Deutlichkeit erkennen.

In Folge der Lebendigkeit seiner geistigen Fähigkeiten kann der Mensch es nicht vermeiden zu reflectiren: vergangene Eindrücke und Bilder durchziehen unaufhörlich mit Deutlichkeit seine Seele. Bei denjenigen Thieren nun, welche beständig in Massen vereinigt leben, sind die socialen Instincte fortwährend gegenwärtig und ausdauernd. Derartige Thiere sind immer bereit, das Warnungssignal auszustossen, die Genossenschaft zu vertheidigen und ihren Genossen in Uebereinstimmung mit ihren Gewohnheiten zu helfen; sie fühlen zu allen Zeiten, ohne den Antrieb einer speciellen Leidenschaft oder Begierde, einen gewissen Grad von Liebe und Sympathie für sie; sie sind unglücklich, wenn sie lange von ihnen getrennt sind, und wieder in ihrer Gesellschaft immer glücklich. Dasselbe gilt auch für uns selbst. Selbst wenn wir [145] ganz allein sind, wie oft denken wir mit Vergnügen oder mit Kummer daran, was Andere von uns denken – an deren vermeintliche Billigung oder Misbilligung; und dies Alles ist Folge der Sympathie, eines Fundamentalelements der socialen Instincte. Ein Mensch, welcher keine Spur derartiger Instincte besässe, würde ein unnatürliches Monstrum sein. Auf der andern Seite ist die Begierde, den Hunger oder irgend eine Leidenschaft, wie die der Rache, zu befriedigen, ihrer Natur nach temporär und kann zeitweise vollständig befriedigt werden. Es ist auch nicht leicht, vielleicht kaum möglich, mit vollständiger Lebendigkeit z. B. das Gefühl des Hungers sich zurückzurufen und, wie oft bemerkt worden ist, nicht einmal das Gefühl irgendwelchen Leidens. Der Instinct der Selbsterhaltung wird nicht gefühlt, ausgenommen in Gegenwart einer drohenden Gefahr, und mancher Feigling hat sich für tapfer gehalten, bis er seinem Feinde Auge in Auge gegenüber gestanden hat. Der Wunsch nach dem Besitzthum eines anderen Menschen ist vielleicht ein so beständiger wie irgend einer, der angeführt werden kann; aber selbst in diesem Falle ist das befriedigende Gefühl wirklichen Besitzes meist ein schwächeres Gefühl als der Wunsch darnach. Schon mancher Dieb, wenn er kein gewohnheitsgemässer war, hat sich nach glücklichem Erfolg gewundert, warum er Dies oder Jenes gestohlen hat.[27]

[146] Der Mensch kann es nicht vermeiden, dass alte Eindrücke beständig wieder durch seine Seele ziehen; hierdurch wird er gezwungen, die Eindrücke, z. B. vergangenen Hungers oder befriedigter Rache oder auf Kosten anderer Menschen vermiedener Gefahr, mit dem fast stets gegenwärtigen Instincte der Sympathie und mit seiner früheren Kenntniss von dem, was Andere für preiswürdig oder für tadelnswerth halten, zu vergleichen. Diese Kenntniss kann er nicht aus seiner Seele verbannen und sie wird in Folge der instinctiven Sympathie als von grosser Bedeutung angesehen. Er wird dann das Gefühl haben, dass er schwach gewesen sei, als er einem auftauchenden Instincte oder einer Gewohnheit nachgegeben habe, und dies verursacht bei allen Thieren das Gefühl des Unbefriedigtseins oder selbst des Elends.

Der vorhin mitgetheilte Fall der Schwalbe bietet eine Erläuterung, wenn auch in umgekehrter Weise, eines nur zeitweise, aber doch für diese Zeit stark vorherrschenden Instincts dar, welcher einen andern, welcher gewöhnlich alle übrigen beherrscht, überwindet. Zu der betreffenden Zeit des Jahres scheinen diese Vögel den ganzen Tag lang nur die eine Begierde zu kennen, zu wandern. Ihre Gewohnheiten ändern sich, sie werden rastlos, lärmend und versammeln sich in Haufen. So lange der mütterliche Vogel seine Nestlinge ernährt oder über ihnen sitzt, ist der mütterliche Instinct wahrscheinlich stärker als der Wanderinstinct; aber derjenige, welcher der andauernde ist, erhält den Sieg, und zuletzt fliegt der Vogel in einem Augenblick, wo seine Jungen nicht in Sicht sind, auf und davon und verlässt sie. Ist er am Ende seiner langen Reise und hat der Wanderinstinct zu wirken aufgehört, welch’ schmerzliche Gewissensbisse würde der Vogel fühlen, wenn er, mit grosser geistiger Lebendigkeit ausgerüstet, sich dem nicht entziehen könnte, dass das Bild seiner Jungen, welche in dem rauhen Norden vor Kälte und Hunger umkommen mussten, beständig durch seine Seele zöge.

In dem Momente der Handlung wird der Mensch ohne Zweifel geneigt sein, dem stärkeren Antriebe zu folgen, und obschon ihn dies gelegentlich zu den edelsten Thaten führen kann, so wird es doch bei Weitem häufiger ihn dazu bringen, seine eigenen Begierden auf Kosten anderer Menschen zu befriedigen. Nach deren Befriedigung aber, wenn die vergangenen und schwächeren Eindrücke mit den immer vorhandenen [147] socialen Instincten verglichen werden, und bei seiner hohen Achtung vor der guten Meinung seiner Mitmenschen wird sicherlich Reue eintreten; der Mensch wird dann Gewissensbisse, Reue, Bedauern oder Scham empfinden; doch bezieht sich das letztere Gefühl fast ausschliesslich auf das Urtheil Andrer. Er wird in Folge dessen sich entschliessen, mit mehr oder weniger Kraft, in Zukunft anders zu handeln. Dies ist das Gewissen; denn das Gewissen schaut rückwärts und dient uns als Führer für die Zukunft.

Die Natur und Stärke der Empfindungen, welche wir Bedauern, Scham, Reue oder Gewissensbisse nennen, hängen dem Anschein nach nicht allein von der Stärke des verletzten Instincts, sondern auch zum Theil von der Stärke der Versuchung und häufig noch mehr von dem Urtheil unsrer Mitmenschen ab. In wie weit jeder Mensch die Anerkennung Andrer würdigt, hängt von der Stärke seines angebornen oder erlangten Gefühls der Sympathie ab, auch von seiner eignen Fähigkeit, die entfernteren Folgen seiner Handlungen sich zu überlegen. Ein anderes Element ist äusserst bedeutungsvoll, wennschon nicht nothwendig, die Ehrfurcht oder Furcht vor Gott oder den Geistern, an die jeder Mensch glaubt; dies gilt vorzüglich für die Fälle, wo Gewissensbisse empfunden werden. Mehrere Kritiker haben mir eingehalten, dass, wenn auch ein geringer Grad von Bedauern oder Reue durch die in diesem Capitel vertheidigte Ansicht erklärt werden könne, es doch unmöglich sei, in dieser Weise das seelenerschütternde Gefühl der Gewissensbisse zu erklären. Ich kann diesem Einwurf nur wenig Gewicht beilegen. Meine Kritiker definiren nicht, was sie unter Gewissensbissen meinen, und ich kann keine Definition finden, die mehr enthielte als ein überwältigendes Gefühl der Reue. Gewissensbisse scheinen in demselben Verhältniss zur Reue zu stehen, wie Wuth zu Aerger, oder Todesangst zu Schmerz. Es ist durchaus nicht befremdend, dass ein so starker und so allgemein bewunderter Instinct wie Mutterliebe, wenn ihm nicht gehorcht wird, zum tiefsten Elend führt, sobald der Eindruck der vorübergegangenen Veranlassung zum Nichtgehorchen abgeschwächt ist. Selbst wenn eine Handlung keinem speciellen Instincte entgegengesetzt ist: einfach zu wissen, dass unsere Freunde und Gleichstehenden uns verachten, ist hinreichend, uns sehr unglücklich zu machen. Wer kann daran zweifeln, dass die Verweigerung eines Duells aus Furcht manchem Manne die allerbitterste Scham verursacht hat? So mancher Hindu ist, wie man sagt, bis auf den Grund seiner Seele [148] erschüttert worden, weil er an unreiner Nahrung Theil genommen hat. Das folgende ist ein fernerer Fall von Gewissensbissen, wie man es meiner Meinung nach wohl nennen muss. Dr. Landor fungirte als Magistratsperson in Westaustralien und erzählt,[28] dass ein Eingeborner auf seiner Farm nach dem Verluste einer seiner Frauen in Folge von Krankheit zu ihm gekommen sei und gesagt habe, „dass er im Begriffe sei, zu einem entfernten Stamme zu gehen, um zur Befriedigung seines Gefühls von Pflicht gegen seine Frau ein andres Weib mit dem Speere zu tödten. Ich sagte ihm, dass, wenn er es thäte, ich ihn zeitlebens in’s Gefängniss bringen würde. Er blieb ein paar Monate auf der Farm, wurde aber ausserordentlich mager und klagte, dass er nicht ruhen und nicht essen könne, dass der Geist seiner Frau ihn heimsuche, weil er nicht ein andres Leben für ihres genommen habe. Ich blieb unerbittlich und versicherte ihm, dass ihn nichts retten würde, wenn er es thäte“. Nichtsdestoweniger verschwand der Mann für länger als ein Jahr und kehrte dann in gehobener Stimmung zurück. Seine andere Frau erzählte dann Dr. Landor, dass ihr Mann einem zu einem entfernten Stamme gehörenden Weibe das Leben genommen habe; es war aber unmöglich, legale Zeugnisse für die Handlung beizubringen. Die Verletzung einer vom Stamme heilig gehaltenen Regel lässt hiernach, wie es scheint, die tiefsten Gefühle entstehen, – und zwar völlig getrennt von den socialen Instincten, ausgenommen in so fern die Regel auf das Urtheil der Genossenschaft gegründet ist. Wie so viele fremdartige Formen des Aberglaubens auf der ganzen Erde entstanden sind, wissen wir nicht; auch können wir nicht angeben, woher es kommt, dass einige wirkliche und schwere Verbrechen, wie z. B. Incest, selbst von den niedersten Wilden verabscheut werden (doch ist dies allerdings nicht ganz allgemein). Es ist selbst zweifelhaft, ob bei manchen Stämmen Incest mit grösserem Abscheu betrachtet werden würde, als die Heirath eines Mannes mit einer Frau, die denselben Namen führt, auch wenn es keine Verwandte ist. „Dies Gesetz zu verletzen ist ein Verbrechen, welches die Australier in höchstem Maasse verabscheuen, worin sie vollständig mit gewissen Stämmen in Nordamerica übereinstimmen. Wenn in beiden Theilen der Erde die Frage aufgestellt wird: ist es schlechter, ein Mädchen eines fremden Stammes zu tödten, oder ein Mädchen des eignen Stammes zu heirathen, so würde eine [149] Antwort ohne Zögern gegeben werden, die unsrer Beantwortungsweise genau entgegengesetzt ist“.[29] Den neuerdings von einigen Schriftstellern betonten Glauben, dass das Verabscheuen des Incestes Folge davon ist, dass wir ein specielles von Gott eingepflanztes Gewissen besitzen, dürften wir daher verwerfen. Im Ganzen ist es wohl verständlich, wie ein von einem so mächtigen Gefühle wie Gewissensbissen angetriebener Mensch (auch wenn dasselbe so entstanden ist, wie es oben erklärt wurde) dazu gebracht werden kann, in einer Art und Weise zu handeln, von welcher ihm zu glauben gelehrt worden ist, dass sie als Vergeltung dient, z.B. wenn er sich selbst der Gerechtigkeit überliefert.

Von seinem Gewissen beeinflusst wird der Mensch durch lange Gewohnheit eine so vollkommene Selbstbeherrschung erlangen, dass seine Begierden und Leidenschaften zuletzt augenblicklich und ohne Kampf seinen socialen Sympathien und Instincten, mit Einschluss seines Gefühls für das Urtheil seiner Mitmenschen, nachgeben. Der noch immer hungrige oder noch immer rachsüchtige Mensch wird nicht daran denken, Nahrung zu stehlen oder seine Rache auszuführen. Es ist möglich, oder wie wir später sehen werden, selbst wahrscheinlich, dass die Gewohnheit der Selbstbeherrschung wie andre Gewohnheiten vererbt wird. So kommt selbst der Mensch dazu, in Folge erlangter und vielleicht ererbter Gewohnheit zu fühlen, dass es das Beste für ihn ist, seinen dauernderen Impulsen zu folgen. Das gebieterische Wort „soll“ scheint nur das Bewusstsein von der Existenz einer Regel des Betragens zu enthalten, wie immer diese auch entstanden sein mag. Früher muss das Drängen, dass ein beleidigter Herr ein Duell auskämpfen solle, oft heftig gewesen sein. Wir sagen selbst, dass ein Vorstehehund stellen soll und ein Apportirhund apportiren. Thun sie es nicht, so erfüllen sie ihre Pflicht nicht und handeln unrecht.

Wenn irgend eine Begierde oder ein Instinct, welcher zu einer dem Besten Anderer entgegenstehenden Handlung führt, einem Menschen, wenn dieser sich ihn vor die Seele ruft, noch immer als eben so stark oder noch stärker als sein socialer Instinct erscheint, so wird er kein heftiges Bedauern fühlen, ihm gefolgt zu sein; er wird sich aber dessen bewusst sein, dass, wenn sein Betragen seinen Mitmenschen bekannt würde, er von ihnen Misbilligung erfahren würde, und nur Wenige sind so völlig der Sympathie bar, um nicht Misbehagen zu empfinden, [150] wenn dies eintritt. Hat er keine solche Sympathie und sind seine Begierden, die ihn zu schlechten Handlungen leiten, zu der Zeit stark und werden sie, vor die Seele zurückgerufen, nicht von den persistenteren socialen Instincten und der Beurtheilung Andrer bekämpft, dann ist er seinem Wesen nach ein schlechter Mensch,[30] und das einzige ihn zurückhaltende Motiv ist die Furcht vor der Strafe und die Ueberzeugung, dass es auf die Dauer für seine eigenen selbstischen Interessen am besten sein würde, mehr das Beste der Andern, als sein eigenes in’s Auge zu fassen.

Offenbar kann Jeder mit einem weiten Gewissen seine eigenen Begierden befriedigen, wenn sie nicht mit seinen socialen Instincten sich kreuzen, d. h. mit dem Besten Anderer; aber um völlig vor eigenen Vorwürfen sicher zu sein oder wenigstens vor Unbehagen, ist es beinahe nothwendig, die Misbilligung seiner Mitmenschen, mag sie gerechtfertigt sein oder nicht, zu vermeiden. Auch darf der Mensch nicht die feststehenden Gewohnheiten seines Lebens, besonders wenn dieselben verständige sind, durchbrechen; denn wenn er dies thut, wird er zuverlässig ein Unbefriedigtsein empfinden; auch muss er gleichzeitig den Tadel des einen Gottes oder der Götter vermeiden, an welchen oder an welche er je nach seiner Kenntniss oder nach seinem Aberglauben glauben mag. In diesem Falle tritt aber oft noch die weitere Furcht vor göttlicher Strafe hinzu.

Die eigentlichen socialen Tugenden zuerst allein beachtet. – Die oben gegebene Ansicht von dem ersten Ursprung und der Natur des moralischen Gefühls, welches uns sagt was wir thun sollen, und des Gewissens, welches uns tadelt, wenn wir jenem nicht gehorcht, stimmt ganz gut mit dem überein, was wir von dem früheren unentwickelten Zustand dieser Fähigkeit beim Menschen kennen. Die Tugenden, welche wenigstens im Allgemeinen von rohen Menschen ausgeübt werden müssen, um es zu ermöglichen, dass sie in einer Gemeinsamkeit verbunden leben können, sind diejenigen, welche noch immer als die wichtigsten anerkannt werden. Sie werden aber fast ausschliesslich nur in Bezug auf Menschen desselben Stammes ausgeübt; und die ihnen entgegengesetzten Handlungen werden, sobald sie in Bezug auf [151] Menschen anderer Stämme ausgeübt werden, nicht als Verbrechen betrachtet. Kein Stamm würde zusammenhalten können, bei welchem Mord, Räuberei, Verrätherei u. s. w. gewöhnlich wären; in Folge dessen werden solche Verbrechen innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes „mit ewiger Schmach gebrandmarkt“,[31] erregen aber jenseits dieser Grenzen keine derartigen Empfindungen. Ein nordamericanischer Indianer ist mit sich selbst wohl zufrieden und wird von anderen geehrt, wenn er einen Menschen eines andern Stammes scalpirt, und ein Dyak schneidet einer ganz friedlichen Person den Kopf ab und trocknet ihn als Trophäe. Der Kindesmord hat im grössten Maassstab in der ganzen Welt geherrscht[32] und hat keinen Tadel gefunden; es ist im Gegentheil die Ermordung von Kindern, besonders von Mädchen, als etwas Gutes für den Stamm oder wenigstens nicht als schädlich für denselben angesehen worden. In früheren Zeiten wurde der Selbstmord nicht allgemein als Verbrechen betrachtet,[33] sondern wegen des dabei bewiesenen Muths eher als ehrenvolle Handlung; und er wird noch immer von einigen halbcivilisirten und wilden Nationen ausgeübt, ohne für tadelnswerth zu gelten, denn er berührt nicht augenscheinlich Andere desselben Stammes. Man hat berichtet, dass ein indischer Thug es in seinem Gewissen bedauerte, nicht ebensoviel Reisende strangulirt und beraubt zu haben, als sein Vater vor ihm gethan hatte. Auf einem niedrigen Zustand der Civilisation wird allerdings die Beraubung von Fremden meist für ehrenvoll gehalten.

Sclaverei ist, wenngleich sie in alten Zeiten in mancher Weise wohlthätig war, ein grosses Verbrechen;[34] doch wurde sie bis ganz [152] neuerdings selbst von den civilisirtesten Nationen nicht dafür angesehen. Dies war besonders deshalb der Fall, weil die Sclaven meist einer von der ihrer Herren verschiedenen Rasse angehörten. Da Barbaren auf die Meinung ihrer Frauen gar nichts geben, werden die Weiber gewöhnlich wie Sclaven behandelt. Die meisten Wilden sind für die Leiden Fremder völlig indifferent oder ergötzen sich selbst an ihnen, wenn sie dieselben sehen. Es ist bekannt, dass die Frauen und Kinder der nordamericanischen Indianer bei den Martern ihrer Feinde mithelfen. Einige Wilde haben schaudererregende Freude an der Grausamkeit mit Thieren[35] und menschliches Rühren mit diesen ist eine bei ihnen unbekannte Tugend. Nichtsdestoweniger finden sich Gefühle des Wohlwollens, besonders während Krankheiten, zwischen den Gliedern eines und desselben Stammes gewöhnlich und erstrecken sich zuweilen auch über die Grenzen des Stammes hinaus. Mungo Park’s rührende Erzählung von der Freundlichkeit einer Negerin aus dem Innern Africa’s gegen ihn ist bekannt. Es liessen sich viele Fälle edler Treue von Wilden gegen einander, aber nicht gegen Fremde anführen; die gewöhnliche Erfahrung rechtfertigt den Grundsatz des Spaniers: „Traue niemals, niemals einem Indianer“. Treue kann nicht ohne Wahrheit bestehen, und diese fundamentale Tugend ist nicht selten bei den Gliedern eines Stammes unter einander zu finden: so hörte Mungo Park, dass die Negerin ihre Kinder lehrte, die Wahrheit zu lieben. Dies ist ferner eine von den Tugenden, welche so tief in die Seele sich einwurzeln, dass sie zuweilen von Wilden gegen Fremde, selbst unter grossen Gefahren, ausgeübt werden; aber den Feind zu belügen, ist selten für eine Sünde gehalten worden, wie die Geschichte der modernen Diplomatik nur zu deutlich zeigt. Sobald ein Stamm einen anerkannten Führer hat, wird Ungehorsam zum Verbrechen, und selbst kriechendes Unterordnen wird als geheiligte Tugend angesehen.

Wie in Zeiten der Rohheit kein Mensch ohne Muth seinem Stamme nützlich sein oder treu bleiben kann, so ist auch diese Eigenschaft früher allgemein im höchsten Ansehen gehalten worden; und obgleich in civilisirten Ländern ein guter, aber furchtsamer Mensch der Gesellschaft viel nützlicher sein kann, als ein tapferer, so können wir uns doch des instinctiven Gefühls nicht erwehren, den Letzteren höher als den Feigling zu schätzen, mag Letzterer auch ein noch so wohlwollender [153] Mensch sein. Auf der andern Seite ist Klugheit, welche die Wohlfahrt Anderer nicht berührt, wenn sie auch an sich eine sehr nützliche Tugend ist, niemals sehr hoch geschätzt worden. Da Niemand die für die Wohlfahrt des Stammes notwendigen Tugenden ohne Selbstaufopferung, Selbstbeherrschung und die Kraft der Ausdauer üben kann, so sind diese Eigenschaften zu allen Zeiten, und zwar äusserst gerechter Weise, hochgeschätzt worden. Der americanische Wilde unterwirft sich freiwillig ohne Murren den schrecklichsten Qualen, um seine Tapferkeit und seinen Muth zu beweisen und zu kräftigen; und wir müssen ihn unwillkürlich bewundern, wie selbst einen indischen Fakir, welcher in Folge eines närrischen religiösen Motivs an einem in sein Fleisch gestossenen Haken in der Luft hängt.

Die andern auf das Individuum selbst Bezug habenden Tugenden, welche nicht augenfällig die Wohlfahrt des Stammes berühren, wenn sie es auch in der That wohl thun können, sind von Wilden nie geschätzt worden, trotzdem sie jetzt von civilisirten Nationen hoch anerkannt werden. Die grösste Unmässigkeit ist für Wilde kein Vorwurf; ungeheure Zügellosigkeit und unnatürliche Verbrechen herrschen bei ihnen in staunenerregender Weise.[36] Sobald indess die Ehe, mag sie Polygamie oder Monogamie sein, gebräuchlich wird, führt die Eifersucht auch zur Einprägung der weiblichen Tugend, und da diese dann geehrt wird, trägt sie auch dazu bei, sich auf unverheirathete Frauen zu verbreiten. Wie langsam es geschieht, bis sie sich auch auf das männliche Geschlecht verbreitet, sehen wir bis auf den heutigen Tag. Keuschheit erfordert vor allen Dingen Selbstbeherrschung; sie ist daher schon seit einer sehr frühen Zeit in der moralischen Geschichte civilisirter Völker geehrt worden. Als eine Folge hiervon ist der sinnlose Gebrauch des Cölibats seit einer sehr frühen Zeit als Tugend betrachtet worden.[37] Die Verabscheuung der Unzüchtigkeit, welche uns so natürlich erscheint, dass man diesen Abscheu für angeboren halten könnte, und welcher eine so wirksame Hülfe zur Keuschheit ist, ist eine moderne Tugend, welche ausschliesslich, wie Sir G. Staunton bemerkt,[38] dem civilisirten Leben angehört. Dies wird durch die religiösen Gebräuche verschiedener Nationen des Alterthums, durch die [154] Pompejanischen Wandgemälde und durch die Gebräuche vieler Wilden bewiesen.

Wir haben nun gesehen, dass Handlungen von Wilden für gut oder schlecht gehalten werden und wahrscheinlich auch von dem Urmenschen so betrachtet wurden, nur insofern sie in einer auffallenden Weise die Wohlfahrt des Stammes, nicht die der Art, ebensowenig wie die des Menschen als eines individuellen Mitglieds des Stammes betreffen. Diese Folgerung stimmt sehr gut mit dem Glauben überein, dass das sogenannte moralische Gefühl ursprünglich den socialen Instincten entstammte; denn beide beziehen sich zunächst ausschliesslich auf die Gesellschaft. Die hauptsächlichsten Ursachen der niedrigeren Moralität Wilder, wenn sie nach unserem Maassstab beurtheilt wird, sind erstens die Beschränkung der Sympathie auf denselben Stamm; zweitens unzureichendes Vermögen des Nachdenkens, so dass die Beziehungen vieler Tugenden, besonders der das Individuum betreffenden, zu der allgemeinen Wohlfahrt des Stammes nicht erkannt werden. So erkennen z. B. Wilde die mannichfachen Uebel nicht, welche einem Mangel an Keuschheit, Mässigung u. s. w. folgen. Und drittens ist als Ursache der niederen Moralität Wilder die schwache Entwickelung der Selbstbeherrschung zu nennen; denn dieses Vermögen ist noch nicht durch lange fortgesetzte, vielleicht vererbte Gewohnheit, durch Unterricht und Religion gekräftigt worden.

Ich bin auf die eben erwähnten Einzelnheiten in Bezug auf die Immoralität der Wilden[39] eingegangen, weil einige Schriftsteller neuerer Zeit eine sehr hohe Meinung von der moralischen Natur derselben geäussert oder die meisten ihrer Verbrechen einem misverstandenen Wohlwollen zugeschrieben haben.[40] Diese Schriftsteller scheinen ihre Folgerungen darauf zu gründen, dass die Wilden diejenigen Tugenden besitzen, welche für die Existenz einer Familie und einer Stammesgemeinschaft von Nutzen oder selbst nothwendig sind, – Eigenschaften, welche sie unzweifelhaft und zwar oft in einem sehr hohen Grade besitzen.

Schlussbemerkungen. – Die Philosophen der derivativen[41] [155] Schule der Moralisten nahmen früher an, dass der Grund der Moralität in einer Art von Selbstsucht läge, neuerdings aber ist das „Princip des grössten Glücks“ besonders in den Vordergrund gebracht worden. Es ist indess richtiger von diesem letztern Princip als von dem Maassstabe zu sprechen, als dasselbe als das Motiv des Betragens zu bezeichnen. Nichtsdestoweniger äussern sich alle Schriftsteller, deren Werke ich consultirt habe, mit einigen wenigen Ausnahmen,[42] so, als müsste für jede Handlung ein bestimmtes Motiv existiren, und dass dies mit einem gewissen Behagen oder Unbehagen verbunden sein müsse. Der Mensch scheint aber häufig impulsiv zu handeln, d. h. einem Instinct oder alter Gewohnheit folgend, ohne irgend sich eines Vergnügens bewusst zu werden, in derselben Weise wie wahrscheinlich eine Biene oder Ameise handelt, wenn sie blindlings ihren Instincten folgt. In Fällen äusserster Gefahr, so wenn ein Mensch während eines Feuers ein Mitgeschöpf, ohne einen Augenblick zu zögern, zu retten unternimmt, kann er kaum ein Vergnügen empfinden; und noch weniger hat er Zeit, darüber nachzudenken, was für ein Unbefriedigtsein er später empfinden würde, wenn er nicht jenen Versuch machte. Sollte er nachher über sein Benehmen nachdenken, so würde er fühlen, dass in ihm noch eine impulsive Kraft liegt, welche von der Sucht nach Vergnügen oder Glück weit verschieden ist; und dies scheint der tief eingewurzelte sociale Instinct zu sein.

Was die niedern Thiere betrifft, so scheint es viel passender, von [156] ihren socialen Instincten als von solchen zu sprechen, welche sich mehr zum allgemeinen Besten als zum allgemeinen Glück der Species entwickelt haben. Der Ausdruck „allgemeines Beste“ kann definirt werden als die Bezeichnung für die Erziehung der grösstmöglichen Zahl von Individuen in voller Kraft und Gesundheit und mit allen Fähigkeiten in vollkommner Ausbildung, und zwar unter den Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Da ohne Zweifel die socialen Instincte Beider, sowohl des Menschen als der niedern Thiere in nahezu derselben Reihe entwickelt worden sind, so würde es, wenn es ausführbar wäre, wohl rathsam sein, in beiden Fällen dieselbe Definition zu benutzen und als Maassstab für die Moral eher das allgemeine Beste oder die Wohlfahrt der Gemeinde als das allgemeine Glück anzunehmen; doch würde diese Definition vielleicht eine Einschränkung wegen der politischen Moral erfordern.

Wenn ein Mensch sein Leben wagt, um das eines Mitgeschöpfes zu retten, so scheint es richtiger, hier zu sagen, dass er für das allgemeine Beste oder die allgemeine Wohlfahrt handelt, als zu sagen, dass er es für das allgemeine Glück der Menschheit thue. Ohne Zweifel fallen die Wohlfahrt und das Glück des Individuums gewöhnlich zusammen, und ein zufriedener glücklicher Stamm wird besser gedeihen als einer, welcher unzufrieden und unglücklich ist. Wir haben gesehen, dass selbst auf einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit die ausgesprochenen Wünsche der Gesellschaft nothwendig in hohem Grade das Benehmen jedes einzelnen Mitglieds beeinflusst haben werden; und da alle nach Glück streben, so wird „das Princip des grössten Glücks“ ein sehr bedeutungsvoller secundärer Führer und ein wichtiges Ziel geworden sein; denn als primärer Antrieb und Führer werden immer die socialen Instincte mit Einschluss der Sympathie (welche uns zur Beachtung der Billigung und Misbilligung Andrer führt) gedient haben. Hierdurch wird der Vorwurf, dass man den Grund des edelsten Theils unserer Natur in das niedere Princip der Selbstsucht legt, beseitigt; man müsste denn in der That die Genugthuung, welche jedes Thier fühlt, wenn es seinen richtigen Instincten folgt und das Unbefriedigtsein, welches dasselbe fühlt, sobald es daran gehindert wird, selbstisch nennen.

Der Ausdruck der Wünsche und des Urtheils der Glieder einer und derselben Gemeinschaft, anfangs mündlich, später durch Schriftsprache, bildet entweder die einzige Richtschnur unseres Benehmens, [157] oder kräftigt in hohem Maasse die socialen Instincte; doch haben derartige Meinungen zuweilen eine direct in Opposition zu diesen Instincten stehende Tendenz. Diese letztere Thatsache wird durch das Gesetz der Ehre sehr wohl erläutert, d. h. das Gesetz der Meinung von Unseresgleichen und nicht aller unserer Landsleute. Ein Verstoss gegen dieses Gesetz, – selbst wenn anerkannt werden muss, dass der Verstoss in strenger Uebereinstimmung mit der wirklichen Moral ist –, hat manchem Mann mehr Gewissensbisse verursacht, als ein wirkliches Verbrechen. Wir erkennen denselben Einfluss wieder in dem brennenden Gefühl der Scham, welches die meisten von uns selbst nach Verlauf von Jahren gefühlt haben, wenn sie irgend einen zufälligen Verstoss gegen eine unbedeutende, wenn nur einmal feststehende Regel der Etikette sich in’s Gedächtniss zurückrufen. Das Urtheil der ganzen Gemeinschaft wird durch eine gewisse rohe Erfahrung von Dem bestimmt werden, was auf die Länge der Zeit für alle Mitglieder das Beste ist. Dies Urtheil wird aber nicht selten in Folge von Ungewissheit oder von einem schwachen Vermögen des Nachdenkens fehlen. Daher sind die merkwürdigsten Gebräuche und Formen des Aberglaubens im vollen Gegensatz zur wahren Wohlfahrt und Glückseligkeit der Menschheit durch die ganze Welt so übermächtig geworden. Wir sehen dies in dem Entsetzen, welches ein Hindu fühlt, der seine Kaste verlässt, und in unzähligen anderen Beispielen. Es dürfte schwer sein, zwischen den Gewissensbissen, die ein Hindu fühlt, der der Versuchung nachgegeben hat, unreine Nahrung zu geniessen, und denjenigen zu unterscheiden, welche nach dem Begehen eines Diebstahls gefühlt werden; die ersteren dürften aber wahrscheinlich die härteren sein.

Auf welche Weise so viele absurde Gesetze des Benehmens, ebenso wie so viele absurde religiöse Glaubensansichten entstanden sind, wissen wir nicht, ebensowenig woher es kommt, dass sie in allen Theilen der Welt sich dem menschlichen Geist so tief eingeprägt haben. Es ist aber der Bemerkung werth, dass ein beständig während der früheren Lebensjahre eingeprägter Glaube, und zwar so lange das Gehirn Eindrücken leicht zugänglich ist, fast die Natur eines Instincts anzunehmen scheint: und das eigentliche Wesen eines Instincts liegt ja darin, das man ihm unabhängig vom Nachdenken folgt. Ebensowenig können wir sagen, warum gewisse bewundernswerthe Tugenden, wie die Wahrheitsliebe, von einigen wilden Stämmen viel höher anerkannt werden [158] als von andern,[43] und ferner warum ähnliche Verschiedenheiten selbst unter civilisirten Nationen bestehen. Da wir wissen, wie stark viele fremdartige Gebräuche und Aberglauben fixirt worden sind, brauchen wir uns darüber nicht zu verwundern, dass die auf das Individuum Bezug habenden Tugenden uns jetzt in einem Grade natürlich erscheinen (da sie in der That auf Nachdenken beruhen), dass man sie für eingeboren halten möchte, trotzdem sie vom Menschen in seinem frühesten Zustand nicht geschätzt wurden.

Trotz vieler Zweifelsquellen kann der Mensch meistens und zwar leicht, zwischen den höheren und niederen moralischen Regeln unterscheiden. Die höheren gründen sich auf die socialen Instincte und beziehen sich auf die Wohlfahrt Anderer; sie beruhen auf der Billigung unserer Mitmenschen und auf Nachdenken. Die niederen Regeln, trotzdem manche von ihnen, wenn sie Selbstaufopferung mit im Gefolge haben, kaum den Namen niederer verdienen, beziehen sich hauptsächlich auf das eigene Selbst und verdanken ihren Ursprung der öffentlichen Meinung, sobald diese durch Erfahrung und Cultur gereift ist; denn sie werden von rohen Stämmen nicht befolgt.

Wenn der Mensch in der Cultur fortschreitet und kleinere Stämme zu grösseren Gemeinschaften vereinigt werden, so wird das einfachste Nachdenken jedem Individuum sagen, dass es seine socialen Instincte und Sympathien auf alle Glieder derselben Nation auszudehnen hat, selbst wenn sie ihm persönlich unbekannt sind. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so besteht dann nur noch eine künstliche Grenze, welche ihn abhält, seine Sympathien auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen. In der That, wenn gewisse Menschen durch grosse Verschiedenheiten im Aeussern oder in der Lebensweise von ihm getrennt sind, so dauert es, wie uns unglücklicherweise die Erfahrung lehrt, lange, ehe er sie als seine Mitgeschöpfe betrachtet. Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus, d. h. Humanität gegen die niederen Thiere scheint eine der spätesten moralischen Erwerbungen zu sein. Wilde besitzen dieses Gefühl, wie es scheint, nicht, mit Ausnahme der Humanität gegen ihre Schoossthiere. Wie wenig die alten Römer dasselbe kannten, zeigt sich in ihren abstossenden Gladiatorenkämpfen. Die blosse Idee der Humanität war, soviel ich beobachten [159] konnte, den meisten Gauchos der Pampas neu. Diese Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen ist, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, dass unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiel auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.

Die höchste Stufe der moralischen Cultur, zu der wir gelangen können, ist die, wenn wir erkennen, dass wir unsere Gedanken controliren sollen und „selbst in unsern innersten Gedanken nicht noch einmal die Sünden nachdenken dürfen, welche uns die Vergangenheit so angenehm machten“.[44] Was nur immer irgend eine schlechte Handlung der Seele vertraut macht, macht auch ihre Ausführung um so vieles leichter. So hat Marc Aurel schon vor langer Zeit gesagt: „so wie deine gewöhnlichen Gedanken sind, wird auch der Character deiner Seele sein; denn die Seele ist von den Gedanken gefärbt“.[45]

Unser grosser Philosoph Herbert Spencer hat vor Kurzem seine Ansichten über das moralische Gefühl ausgesprochen. Er sagt:[46] „ich glaube, dass die Erfahrungen der Nützlichkeit, welche durch alle vergangenen Generationen in der menschlichen Rasse organisirt und befestigt worden sind, entsprechende Modifikationen hervorgebracht haben, welche in Folge fortgesetzter Ueberlieferung und Anhäufung zu gewissen Fähigkeiten moralischer Intuition in uns geworden sind, – gewisse Erregungen entsprechen dem rechten und unrechten Betragen, welche keine zu Tage tretende Grundlage in den individuellen Erfahrungen der Nützlichkeit haben“. Wie mir scheint, gibt es nicht die geringste in der Sache selbst liegende Unwahrscheinlichkeit für die Annahme, dass tugendhafte Neigungen mehr oder weniger stark vererbt werden; denn – um hier nicht die verschiedenen Dispositionen und Gewohnheiten zu erwähnen, welche von vielen unserer domesticirten Thiere ihren Nachkommen überliefert werden, – ich habe von authentischen Fällen gehört, in welchen eine Sucht zu stehlen und eine Neigung zu lügen durch Familien selbst höherer Stände hindurchgieng; [160] und da das Stehlen ein so seltenes Verbrechen in den wohlhabenden Classen ist, so können wir die in zwei oder drei Mitgliedern derselben Familie auftretende Neigung nicht durch eine zufällige Coincidenz erklären. Werden schlechte Neigungen überliefert, so ist es wahrscheinlich, dass auch gute in gleicher Weise vererbt werden. Dass der Zustand des Körpers mit seiner Einwirkung auf das Gehirn einen bedeutenden Einfluss auf die moralischen Neigungen hat, ist den meisten von denen bekannt, welche an chronischer Verdauungsstörung oder an der Leber gelitten haben. Dieselbe Thatsache zeigt sich auch darin, dass „die Verirrung oder Zerstörung des moralischen Gefühls oft eines der ersten Symptome beginnender geistiger Störung ist“;[47] und Geisteskrankheiten werden notorisch häufig vererbt. Ausgenommen durch das Princip der Vererbung moralischer Neigungen haben wir kein Mittel, die Verschiedenheiten zu erklären, welche, wie man annimmt, in dieser Beziehung zwischen den verschiedenen Menschenrassen existiren.

Selbst die theilweise Vererbung tugendhafter Neigungen würde eine unendliche Unterstützung für den primären Antrieb sein, welcher direct aus den socialen Instincten und indirect aus der Gutheissung unserer Mitmenschen entspringt. Nehmen wir für einen Augenblick an, dass tugendhafte Neigungen vererbt werden, so erscheint es wenigstens in solchen Fällen, wie Keuschheit, Mässigkeit, Humanität gegen Thiere u. s. w. wahrscheinlich, dass sie der geistigen Organisation sich zuerst durch Gewohnheit, Unterricht und Beispiel, mehrere Generationen hindurch in derselben Familie fortgesetzt, einprägten und nur in einem völlig untergeordneten Grade, wenn überhaupt, dadurch, dass diejenigen Individuen, welche solche Tugenden besassen, in dem Kampf um’s Dasein am besten fortkamen. Der hauptsächlichste Grund, welcher mich mit Rücksicht auf irgend eine derartige Vererbung zweifeln lässt, liegt in jenen sinnlosen Gebräuchen, abergläubischen Formen und Geschmacksrichtungen, wie das Entsetzen eines Hindu vor unreiner Nahrung, welche doch nach demselben Princip vererbt werden müssten. Obschon dies an sich vielleicht nicht weniger wahrscheinlich ist, als dass Thiere durch Vererbung den Geschmack für gewisse Arten von Nahrung oder die Furcht vor gewissen Feinden erlangen, so ist mir doch kein Zeugniss vorgekommen zur Unterstützung der Annahme, dass auch abergläubische Gebräuche und sinnlose Gewohnheiten vererbt würden.

[161] Endlich werden die socialen Instincte, welche ohne Zweifel vom Menschen ebenso wie von den niederen Thieren zum Besten der ganzen Gemeinschaft erlangt worden sind, von Anfang an den Wunsch, seinen Genossen zu helfen, und ein gewisses Gefühl der Sympathie in ihm angeregt, ihn aber auch dazu veranlasst haben, ihre Billigung und Misbilligung zu beachten. Derartige Antriebe werden ihm in einer sehr frühen Periode als eine rohe Regel für Recht und Unrecht gedient haben. Aber in dem Maasse, als der Mensch nach und nach an intellectueller Kraft zunahm und in den Stand gesetzt wurde, die weiter ab liegenden Folgen seiner Handlungen zu übersehen, als er hinreichende Kenntnisse erlangt hatte, verderbliche Gebräuche und Aberglauben zu verwerfen, als er, je länger desto mehr, nicht bloss die Wohlfahrt, sondern auch das Glück seiner Mitmenschen in’s Auge fassen lernte, als in Folge von Gewohnheit, einer Folge wohlthätiger Erfahrung, wohltätigen Unterrichts und Beispiels, seine Sympathien zarter und weiter ausgedehnt wurden, so dass sie sich auf alle Menschen aller Rassen, auf die schwachen, gebrechlichen und andern unnützen Glieder der Gesellschaft erstreckten, endlich sogar auf die niederen Thiere, – in dem Maasse wird auch der Maassstab seiner Moralität höher und höher gestiegen sein. Und die Moralisten der derivativen Schule und auch einige Intuitionisten geben zu, dass der Maassstab der Moralität seit einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit wirklich ein höherer geworden ist.[48]

Da man zuweilen sieht, dass zwischen verschiedenen Instincten bei niederen Thieren ein Kampf besteht, so ist es nicht überraschend, dass auch beim Menschen ein Kampf zwischen seinen socialen Instincten, mit den davon abgeleiteten Tugenden, und seinen niederen, wenn auch im Augenblick stärkeren, Antrieben und Begierden sich erhebt. Dies ist, wie Mr. Galton[49] bemerkt hat, um so weniger überraschend, als der Mensch sich aus dem Zustand der Barbarei innerhalb einer verhältnissmässig neueren Zeit erst erhoben hat. Haben wir irgend einer [162] Versuchung nachgegeben, so empfinden wir ein Gefühl des Unbefriedigtseins, der Scham, Reue und Gewissensbisse, analog dem, welches in Folge anderer starker nicht befriedigter oder unterdrückter Instincte empfunden wird, und in diesem Falle nennen wir es Gewissen: denn wir können nicht verhindern, dass vergangene Bilder und Eindrücke beständig durch unsere Seele ziehen. Wir vergleichen den abgeschwächten Eindruck einer vorübergegangenen Versuchung mit den beständig gegenwärtigen socialen Instincten oder mit Gewohnheiten, welche wir in früher Jugend erlangt und durch unser ganzes Leben gekräftigt haben, bis sie zuletzt fast so stark wie Instincte geworden sind. Wenn wir, die Versuchung immer vor unsern Augen, derselben nicht nachgegeben haben, so geschah dies, weil entweder der sociale Instinct oder irgend eine Gewohnheit in dem Augenblicke in uns vorherrschte, oder weil wir gelernt haben, dass diese uns später, wenn wir sie mit dem abgeschwächten Eindruck der Versuchung vergleichen, um so stärker erscheinen, und dass wir ihre Verletzung schmerzlich empfinden würden. Blicken wir auf spätere Generationen, so haben wir keine Ursache zu befürchten, dass die socialen Instincte schwächer werden würden; und wir können wohl erwarten, dass tugendhafte Gewohnheiten stärker und vielleicht durch Vererbung fixirt werden. In diesem Falle wird der Kampf zwischen unsern höheren und niederen Antrieben weniger hart sein und die Tugend wird triumphiren.

Zusammenfassung der letzten beiden Capitel. – Es lässt sich nicht zweifeln, dass die Verschiedenheit zwischen der Seele des niedrigsten Menschen und der des höchsten Thieres ungeheuer ist. Wenn ein anthropomorpher Affe leidenschaftslos seinen eigenen Zustand beurtheilen könnte, so würde er zugeben, dass, obgleich er einen kunstvollen Plan sich ausdenken konnte, einen Garten zu plündern, obgleich er Steine zum Kämpfen oder zum Aufbrechen von Nüssen benutzen könnte, doch der Gedanke, einen Stein zu einem Werkzeug umzuformen, völlig über seinen Horizont gienge. Er würde ferner zugeben, dass er noch weniger im Stande wäre, einem Gedankengange metaphysischer Betrachtungen zu folgen oder ein mathematisches Problem zu lösen, oder über Gott zu reflectiren, oder eine grosse Naturscene zu bewundern. Einige Affen würden indess wahrscheinlich erklären, dass sie die Schönheit der farbigen Haut und des Haarkleides ihrer Ehegenossen bewundern könnten und wirklich bewundern; sie würden zugeben, [163] dass ihnen, obschon sie den andern Affen durch Ausrufe einige ihrer Wahrnehmungen und einfacheren Bedürfnisse verständlich machen könnten, doch die Idee, bestimmte Gedanken durch bestimmte Laute auszudrücken, niemals in den Sinn gekommen sei. Sie können behaupten, dass sie bereit wären, ihren Genossen in derselben Heerde auf viele Weisen zu helfen, ihr Leben für sie zu wagen und für ihre Waisen zu sorgen; sie würden aber genöthigt sein, anzuerkennen, dass eine interesselose Liebe für alle lebenden Geschöpfe, dieses edelste Attribut des Menschen, völlig über ihre Fassungskraft hinausgienge.

So gross nun auch nichtsdestoweniger die Verschiedenheit an Geist zwischen dem Menschen und den höheren Thieren sein mag, sie ist doch sicher nur eine Verschiedenheit des Grads und nicht der Art. Wir haben gesehen, dass die Empfindungen und Eindrücke, die verschiedenen Erregungen und Fähigkeiten, wie Liebe, Gedächtniss, Aufmerksamkeit, Neugierde, Nachahmung, Verstand u. s. w., deren sich der Mensch rühmt, in einem beginnenden oder zuweilen selbst in einem gut entwickelten Zustand bei den niederen Thieren gefunden werden. Sie sind auch in einem gewissen Grade der erblichen Veredelung fähig, wie wir an dem domesticirten Hund im Vergleich mit dem Wolf oder Schakal sehen. Wenn bewiesen werden könnte, dass gewisse höhere geistige Fähigkeiten, wie Bildung allgemeiner Begriffe, Selbstbewusstsein u. s. w. dem Menschen absolut eigenthümlich wären, was äusserst zweifelhaft zu sein scheint, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieselben die begleitenden Resultate anderer weit fortgeschrittener intellectueller Fähigkeiten sind; und diese wiederum sind hauptsächlich das Resultat des fortgesetzten Gebrauchs einer höchst entwickelten Sprache. In welchem Alter entwickelt sich bei dem neugeborenen Kinde das Vermögen der Abstraction, in welchem Alter wird das Kind selbstbewusst und reflectirt über seine eigene Existenz? Wir können hierauf nicht antworten; ebensowenig wie wir die gleiche Frage mit Bezug auf die aufsteigende Reihe organischer Wesen beantworten können. Das halb Künstliche und halb Instinctive der Sprache trägt noch immer den Stempel ihrer allmählichen Entwickelung an sich. Der veredelnde Glaube an Gott ist den Menschen nicht allgemein eigen und der Glaube an thätige spirituelle Kräfte folgt naturgemäss aus seinen andern geistigen Kräften. Das moralische Gefühl bietet vielleicht die beste und höchste Unterscheidung zwischen dem Menschen und den niederen Thieren dar; doch brauche ich kaum etwas hierüber zu sagen, da ich erst vor kurzem zu [164] zeigen versucht habe, dass die socialen Instincte – die wichtigste Grundlage der moralischen Constitution des Menschen[50] – mit der Unterstützung der thätigen intellectuellen Kräfte und der Wirkungen der Gewohnheit naturgemäss zu der goldenen Regel führen: „was Ihr wollt, dass man Euch thue, das thut auch Andern“; und dies ist der Grundstein der Moralität.

In dem nächsten Capitel werde ich einige wenige Bemerkungen über die wahrscheinlichen Stufen und Mittel machen, durch welche die verschiedenen geistigen und moralischen Fähigkeiten des Menschen allmählich weiter entwickelt worden sind. Dass diese Entwickelung wenigstens möglich ist, sollte doch nicht geläugnet werden, wenn wir täglich, bei jedem Kinde, diese Fähigkeiten sich entwickeln sehn; auch können wir eine vollständige Stufenreihe von dem geistigen Zustand eines völligen Idioten, noch niedriger als der des niedrigsten Thieres, bis zu dem Geist eines Newton verfolgen.


  1. s. z.B. über diesen Gegenstand: Quatrefages, Unité de l’espèce humaine, 1861, p. 21 etc.
  2. Dissertation on Ethical philosophy 1837, p. 231 etc.
  3. Metaphysik der Sitten.
  4. Mr. Bain gibt (Mental and Moral Science, 1868, p. 543—725) eine Liste von sechsundzwanzig englischen Autoren, welche über diesen Gegenstand geschrieben haben und deren Namen hier allgemein bekannt sind; diesen lassen sich die Namen von Bain selbst, von Lecky, Shadworth Hodgson, Sir J. Lubbock und noch anderer beifügen.
  5. Sir B. Brodie bemerkt, dass der Mensch ein sociales Thier sei (Psychological Enquiries, 1854, p. 192) und stellt dann die bezeichnende Frage auf: „sollte dies nicht die streitige Frage über die Existenz eines moralischen Gefühls beilegen?“ Aehnliche Ideen sind wahrscheinlich Vielen schon gekommen, wie schon vor langer Zeit dem Marcus Aurelius. J. S. Mill spricht in seinem berühmten Buche über „Utilitarianism“ (1864, p. 46) von den socialen Gefühlen als einer „kraftvollen natürlichen Empfindung“ und als „dem natürlichen Grunde des Gefühls für utilitäre Moralität“. Ferner sagt er: „Gleich den andern erworbenen, oben erwähnten Fähigkeiten ist die moralische Kraft, wenn nicht ein Theil unsrer „Natur, so doch ein natürlicher Auswuchs aus ihr, wie jene fähig, in gewissem niedern Grade spontan hervorzutreten“. Im Gegensatz zu alle dem sagt er aber: „wenn nun, wie das meine eigene Ueberzeugung ist, die moralischen Gefühle nicht angeboren, sondern erlangt sind, so sind sie doch aus diesem Grunde nicht weniger natürlich“. Nur mit Zögern wage ich von einem so tiefen Denker abzuweichen; doch lässt sich kaum bestreiten, dass die socialen Gefühle bei den niederen Thieren instinctiv oder angeboren sind; und warum sollten sie dann beim Menschen es nicht ebenso sein? Mr. Bain (s. z. B. The Emotions and the Will. 1865, p. 481) und andere glauben, dass das moralische Gefühl von jedem Individuum während seiner Lebenszeit erlangt werde. Nach der allgemeinen Entwickelungstheorie ist dies mindestens äusserst unwahrscheinlich. Das Ignoriren aller überlieferter geistiger Eigenschaften wird, wie es mich dünkt, später als der ernsteste Tadel in Bezug auf die Werke J. S. Mill's angesehen werden.
  6. H. Sidgwick bemerkt in einer trefflichen Erörterung dieses Gegenstands (The Academy, 15. June, 1872, p. 231): „eine höher entwickelte Biene würde, wie wir überzeugt sein können, eine mildere Lösung der Bevölkerungsfrage anstreben“. Nach den Gewohnheiten vieler oder der meisten Wilden zu urtheilen, löst indessen der Mensch das Problem durch weiblichen Kindermord, Polyandrie und völlig freies Vermischen; es liesse sich daher wohl zweifeln, ob es eine mildere Methode sei. Miss Cobbe, welche über dasselbe Beispiel Erörterungen anstellt (Darwinism in Morals, in: Theological Review. Apr., 1872, p. 188—191) sagt, die Grundsätze der socialen Pflicht würden dadurch umgekehrt werden. Damit meint sie, wie ich vermuthe, dass die Erfüllung einer socialen Pflicht die Individuen zu schädigen streben würde; sie übersieht aber die Thatsache, welche sie ohne Zweifel zugeben wird, dass die Instincte der Biene zum Besten der Gemeinschaft erlangt worden sind. Sie geht so weit, dass sie sagt, wenn die in diesem Capitel vertheidigte Theorie der Moral jemals allgemein angenommen würde, „könne sie nicht umhin zu glauben, dass in der Stunde ihres Triumphs die Tugend der Menschheit zu Grabe geläutet wird!“ Es steht zu hoffen, dass der Glaube an die Dauer der Tugend auf dieser Erde nicht bei vielen Menschen an einem so schwachen Faden hängt.
  7. Die Darwin'sche Theorie, p. 101.
  8. R. Browne in: Proceed. Zoolog. Soc. 1868, p. 409.
  9. Brehm, Thierleben. Bd. 1. 1864. S. 52, 79. In Bezug auf die Affen, welche sich gegenseitig Dornen ausziehen, s. S. 54. In Bezug; auf die Hamadryas-Paviane, welche Steine umdrehen, wird die Thatsache nach dem Zeugniss von Alvarez gegeben (S. 76), dessen Beobachtungen Brehm für völlig glaubwürdig hält. Wegen der Fälle, wo die alten Pavianmännchen die Hunde angreifen, s. S. 79 und wegen des Adlers S. 56.
  10. Mr. Belt führt den Fall an, wo ein Affe, ein Ateles, in Nicaragua bald zwei Stunden lang in dem Walde schreien gehört wurde und man einen Adler dicht bei ihm auf dem Zweige sitzen fand. Der Vogel fürchtete offenbar ihn anzugreifen, solange er ihm Aug' in Auge da sass. Nach dem was Belt von der Lebensweise dieser Affen gesehen hat, glaubt er, dass sie sich gegen die Angriffe der Adler dadurch schützen, dass zwei oder drei zusammenhalten. The Naturalist in Nicaragua, 1874, p. 118.
  11. Annals and Magaz. of Natural History. 1868. Novbr. p. 382.
  12. Sir J. Lubbock, Prehistoric Times. 2. edit. p. 446.
  13. Wie L. H. Morgan in seiner Schrift: The American Beaver. 1868, p. 272 citirt. Capt. Stansbury gibt auch einen interessanten Bericht über die Art und Weise, wie ein sehr junger Pelican, welcher von einer starken Strömung fortgetrieben wurde, in seinen Versuchen das Ufer zu erreichen, von einem halben Dutzend alter Vögel geleitet und ermuthigt wurde.
  14. Wie Mr. Bain bemerkt: „wirksame Hülfe einem Leidenden gebracht entspringt wirklicher Sympathie“. Mental and Moral Science. 1868, p. 245.
  15. Thierleben. Bd. I. S. 85.
  16. De l’espèce et de la Classification. 1869, p. 97.
  17. Die Darwin’sche Art-Lehre. 1869, S. 54.
  18. s. auch Hooker’s Himalayan Journals, Vol. II. 1854, p. 333.
  19. Brehm, Thierleben. Bd. I. S. 76.
  20. s. seinen äusserst interessanten Aufsatz über Geselligkeit beim Rinde und Menschen in: Macmillan’s Magazine. Febr. 1871, p. 353.
  21. s. das erste wunderbare Capitel in Adam Smith, Theory of Moral Sentiments, auch Bain's Mental and Moral Science. 1868, p. 244 und 275—282. Mr. Bain führt an, dass „Sympathie indirect eine Quelle des Vergnügens für den sie empfindenden sei“; und erklärt dies als eine Folge der Reciprocität. Er bemerkt, dass „die Person, welche Wohlthaten empfieng, oder andere an ihrer Stelle, durch Sympathie oder gute Dienste für das Opfer sich erkenntlich zeigen können“. Wenn indessen Sympathie, wie es der Fall zu sein scheint, streng genommen ein Instinct ist, so würde ihre Ausübung direct Vergnügen machen, in derselben Weise wie die Ausübung fast jeden anderen Instinctes oben als solches dargestellt wurde.
  22. Diese Thatsache wurde nach der Angabe L. Jenyns’s (s. dessen Ausgabe von White’s Natural History of Selborne. 1853, p. 204) zuerst von dem berühmten Jenner berichtet in den Philos. Transact. für 1824, und ist seit jener Zeit von mehreren Beobachtern, besonders von Mr. Blackwall bestätigt worden. Der letztgenannte sorgfältige Beobachter untersuchte zwei Jahre hintereinander spät im Herbst sechsunddreissig Nester. Er fand, dass zwölf davon junge todte Vögel, fünf dem Ausschlüpfen nahe Eier und drei nur eine Zeitlang bebrütete Eier enthielten. Es werden auch viele Vögel, welche zu einem so langen Fluge noch nicht alt genug sind, gleichfalls aufgegeben und zurückgelassen, s. Blackwall, Researches in Zoology. 1834, p. 108, 118. Für weitere Beweise, deren kaum welche nöthig sind, s. Leroy, Lettres philos. 1802, p. 217. In Bezug auf Schwalben s. Gould’s Introduction to the Birds of Great Britain, 1823, p. 5. Aehnliche Fälle sind von Mr. Adams auch in Canada beobachtet worden; s. Popular Science Review, July, 1873. p. 283.
  23. Hume bemerkt (An Enquiry concerning The Principles of Moral; edit. 1751, p. 132): „es scheint das Bekenntniss nothwendig zu sein, dass das Glück und Unglück Anderer uns keine völlig indifferenten Schauspiele sind, dass im Gegentheil die Betrachtung des ersteren .... uns eine heimliche Freude bereitet, während das Auftreten des letzteren .... einen melancholischen Schatten über unsere Phantasie breitet“.
  24. Mental and moral Science. 1868, p. 254.
  25. Ich beziehe mich hier auf den Unterschied zwischen dem, was man materielle, und dem, was man formelle Moralität genannt hat. Ich freue mich zu sehn, dass Prof. Huxley (Critiques and Address, 1873, p. 287) dieselbe Ansicht hat. Mr. Leslie Stephen bemerkt (Essays on Free thinking and Plain Speaking, 1873, p. 83): „der metaphysische Unterschied zwischen materieller und formeller Moralität ist so irrelevant wie andere derartige Unterschiede“.
  26. Ich habe einen solchen Fall, den von drei Patagonischen Indianern, von denen sich einer nach dem andern erschiessen liess statt die Pläne ihrer Kriegskameraden zu verrathen, erzählt in Journal of Researches. 1845, p. 103.
  27. Feindschaft oder Hass scheint gleichfalls ein in hohem Maasse ausdauerndes Gefühl zu sein, vielleicht mehr als irgend ein andres, was etwa angeführt werden könnte. Neid wird definirt als Hass eines Andern wegen irgend eines Vorzugs oder Erfolgs. Bacon betont (Essay IX): „von allen andern Affecten ist Neid der ungelegenste und beständigste“. Bei Hunden kommt es leicht vor, dass sie sowohl fremde Menschen als fremde Hunde hassen, besonders wenn sie in der Nachbarschaft leben, aber nicht zu derselben Familie, zu demselben Stamm oder Gefolge gehören. Hiernach möchte das Gefühl eingeboren zu sein scheinen, und es ist sicherlich ein äusserst andauerndes. Es scheint das Complement und der Gegensatz des echten socialen Instincts zu sein. Nach dem was wir von den Wilden hören, gilt allem Anschein nach etwas dem Aehnliches auch für sie. Wenn dies der Fall ist, so wäre es nur ein kleiner Schritt, um bei Jedem solche Gefühle auf irgend ein Mitglied desselben Stammes zu übertragen, wenn ihm dies einen Schaden zugefügt hätte und sein Feind geworden wäre. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass das primitive Gewissen eines Menschen darüber Vorwürfe machen würde, dass er seinen Feind schädigt; es würde ihm eher vorwerfen, dass er sich nicht gerächt habe. Gutes zu thun in Erwiederung für Böses, den Feind zu lieben, ist eine Höhe der Moralität, von der wohl bezweifelt werden dürfte, ob die socialen Instincte für sich selbst uns dahin gebracht haben würden. Nothwendigerweise mussten diese Instincte, in Verbindung mit Sympathie, hoch cultivirt und mit Hülfe des Verstandes, des Unterrichts, der Liebe oder Furcht Gottes erweitert werden, ehe eine solche goldne Regel je hätte erdacht und befolgt werden können.
  28. Insanity in Relation to Law; Ontario, United States, 1871, p. 14
  29. E. B. Tylor. in: Contemporary Review, April, 1873, p. 707.
  30. Dr. Prosper Despine bringt in seiner „Psychologie naturelle“ 1863 (Tom. I, p. 243. Tom. II, p. 169) viele merkwürdige Fälle von den schlimmsten Verbrechern, welche dem Anscheine nach vollkommen eines Gewissens entbehrten.
  31. s. einen guten Aufsatz in der „North British Review“, 1867, p. 395. vgl. auch W. Bagehot’s Abhandlungen über die Bedeutung des Gehorsams und des Zusammenhaltens für den Urmenschen in „The Fortnightly Review“ 1867, p. 529 und 1868, p. 457 u. s. w.
  32. Die ausführlichste Erörterung dieses Punktes, welche ich gefunden habe, findet sich bei Gerland, Ueber das Aussterben der Naturvölker. 1868. Ich werde aber auf den Kindesmord in einem späteren Capitel zurückzukommen haben.
  33. s. die sehr interessante Discussion über den Selbstmord in Lecky’s History of European Morals. Vol. I. 1869, p. 223. In Bezug auf Wilde theilt mir Mr. Winwood Reade mit, dass die Neger in Westafrica häufig Selbstmord begehen. Es ist bekannt, wie verbreitet er unter den unglücklichen Eingebornen von Südamerica nach der Spanischen Eroberung war. In Bezug auf Neu-Seeland s. die Reise der Novara, und in Bezug auf die Aleuten s. Müller, den Houzeau citirt, Facultés Mentales etc. Tom. II, p. 136.
  34. s. Bagehot, Physics and Politics, 1872, p. 72.
  35. s. z. B. Hamilton’s Erzählung von den Kaffern: Anthropological Review, 1870, p. XV.
  36. Mr. M’Lennan hat eine gute Sammlung von Thatsachen über diesen Gegenstand gegeben in: Primitive Marriage, 1865, p. 176.
  37. Lecky, History of European Morals. Vol. I. 1869, p. 109.
  38. Embassy to China. Vol. II, p. 348.
  39. Zahlreiche Belege über denselben Gegenstand findet man im VIII. Capitel von Sir J. Lubbock’s Origin of Civilisation. 1870.
  40. z. B. Lecky, History of European Morals. Vol. I, p. 124.
  41. Dieser Ausdruck wird in einem guten Artikel in der Westminster Review, Oct. 1869, p. 498 gebraucht. Ueber das Princip des grössten Glücks s. J. S. Mill, Utilitarianism. p 17.
  42. Mill erkennt in der deutlichsten Weise an (System of Logic, Vol. II, p. 422), dass Handlungen aus Gewohnheit ohne vorherige Erwartung eines Vergnügens ausgeführt werden können. Auch H. Sidgwick bemerkt in seinem Aufsatze über Behagen und Begierde (The Contemporary Review, April, 1872, p. 671): „Um Alles zusammenzufassen, so würde ich in Widerspruch zu der Theorie, dass unsre bewussten thätigen Impulse immer auf die Erzeugung angenehmer Empfindungen in uns gerichtet sind, behaupten, dass wir überall im Bewusstsein einen besonders Acht habenden Impuls finden, der auf etwas, was nicht Vergnügen ist, gerichtet ist, und dass in vielen Fällen der Impuls in sofern mit dem Gedanken an das eigne Selbst unverträglich ist, als diese Zwei nicht leicht in demselben Momente des Bewusstseins gleichzeitig vorhanden sind“. Ein dunkles Gefühl, dass unsre Impulse durchaus nicht immer aus einem gleichzeitigen oder erwarteten Vergnügen entspringen, ist, wie ich nicht anders glauben kann, eine der Hauptursachen für die Annahme der intuitiven Theorie der Moral und für das Verwerfen der utilitarischen Theorie oder der des „grössten Glückes“. Was die letztere Theorie betrifft, so ist ohne Zweifel der Maassstab für das Betragen und das Motiv zu demselben häufig mit einander verwechselt worden; doch sind beide factisch in einem gewissen Grade verschmolzen.
  43. Gute Beispiele theilt Mr. Wallace mit in „Scientific Opinion“, Sep. 15. 1869, und ausführlicher in seinen Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 353.
  44. Tennyson, Idylls of the King, p. 244.
  45. Betrachtungen des Kaisers M. Aurelius Antonius. Englische Uebersetzung, 2. Ausg. 1869, p. 112. Marc Aurel war 121 geboren.
  46. Brief an Mill in Bain’s Mental and Moral Science. 1868, p. 722.
  47. Maudsley, Body and Mind. 1870, p. 60.
  48. Ein Schriftsteller, welcher der Bildung eines gesunden Urtheils wohl fähig ist, drückt sich in der North British Review, July 1869. p. 531 sehr entschieden in diesem Sinne aus. Mr. Lecky scheint (History of Morals. Vol. I. p. 143) in gewissem Maasse einzustimmen.
  49. s. sein merkwürdiges Buch „On Hereditary Genius“. 1869, p. 349. Der Herzog von Argyll gibt in seinem: Primeval Man. 1869. p. 188 einige gute Bemerkungen über den in der Natur des Menschen auftretenden Kampf zwischen Recht und Unrecht.
  50. Betrachtungen des Marc Aurel a. a. O. p. 139.
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