Die Gartenlaube (1861)/Heft 8
Das Leben einer Frau.
Welly sah von seinem Fenster aus Emiliens leichte Gestalt über die steinerne Brücke schweben und dann den abschüssigen Fußweg einschlagen, der von der Mühle aus in eine enge Thalschlucht hinabführte. Von abenteuerlichen Gruppirungen des Sandsteinfelsens eingefaßt, mit einem Teppich von üppigem Grün bekleidet, schien diese Stätte so still, so heimlich und entfernt von aller Welt, daß man dort die Nähe menschlicher Wohnungen kaum vermuthet hätte. Mit einem raschen Entschluß sprang Eduard auf und verließ das Haus. Mit der Gegend durch seine häufigen Streifereien genau bekannt, gelang es ihm leicht, einen Spaziergang, den er vom Schlößchen aus in entgegengesetzter Richtung einschlug, durch Umwege nach der Mühle zu wenden, und bald hatte er Emiliens Asyl aufgefunden.
Als er sie zuerst erblickte, bannten mächtige Empfindungen seinen Fuß für einen Augenblick, und mit klopfendem Herzen richtete er seinen Blick auf sie.
Die junge Frau kniete mehr, als sie saß, auf einer leichten, mit Moos überkleideten Erhöhung des Bodens. Dicht vor ihr öffnete sich in einem natürlichen, durch zwei ineinander zweigende Bäume gebildeten Rahmen ein herrliches Panorama der fernen Ebene mit ihren farbenreichen Bildern und freundlichen Ortschaften.
Aber obgleich die aufgeschlagene Mappe auf Emiliens Knieen und der Griffel in ihrer Hand ruhte, war doch ihr Auge dem reichen Bilde, das sich vor ihr ausbreitete, nicht zugewendet. Sie sah lieblicher aus als je. Ihr Kleid von blaßblauem Mousselin hob die schlanken graziösen Formen ihrer Gestalt weich hervor und harmonirte mit der frischen Weiße ihres Teints und ihren glänzend schwarzen Haaren. Ihr Strohhut lag neben ihr, der wellige Scheitel beschattete ihr Gesicht nicht so sehr, um die träumerische Schwermuth der zarten Züge zu verdecken, die dort zu lesen war.
Das Bewußtsein, daß dieses holde Wesen ihm seine Liebe geschenkt hatte, überfluthete in diesem Augenblick Welly’s Herz mit einem solchen Triumph, daß er sich in den Himmel erhoben fühlte.
Rasch eilte er vorwärts. Das Geräusch seiner Schritte weckte sie aus ihrer Träumerei, sie wandte den Kopf und hohe Röthe übergoß ihr schönes Gesicht. Ihre erste Bewegung war, sich zu entfernen, plötzlich aber hielt sie an und erwartete Welly, während die Gluth ihrer Wangen einer tiefen Blässe Platz machte. Er trat zu ihr, faßte ihre beide Hände in die seinigen und sagte mit bebender Stimme: „Nein, Emilie, jetzt dürfen Sie nicht mehr vor mir fliehen! Ich komme zu Ihnen mit einem Vertrauen, das Sie nicht täuschen werden. Das Glück, das Sie mir gestern gegeben, bedarf keiner Bestätigung mehr. Ich weiß, ich fühle es, Sie werden nicht widerrufen. Du mein Engel,“ fuhr er mit ausbrechender Gluth fort, sprich es aus, daß Du mein bist, daß Dein Leben mir gehört, wie diese Stunde!“
Emilie sah ihm lange schweigend in’s Auge, endlich sagte sie zitternd, aber mit fester Stimme: „Nein, ich widerrufe nicht! Meine Liebe ist eine Wahrheit, die ich nie wieder verleugnen werde. Ich habe mit Allem abgeschlossen, was mir bis hierher lieb und theuer war, habe alle Besitzthümer meines Lebens von mir abgestreift, um mir zu sagen, daß Ihre Liebe mir höher steht als Alles; deshalb giebt es auch nun für mich nichts mehr auf der Welt als diese Liebe. Nicht wahr, Eduard, Sie verstehen mich,“ fuhr sie fort, indem sie ihre feine Hand auf seinen Arm legte, „nicht wahr, Sie begreifen, daß ich ihn verlassen, daß ich frei werden muß? Und wenn dann auch das Leben immer trennend zwischen uns stehen sollte, so kann ich dennoch ganz und ungetheilt Ihnen angehören, jeder Gedanke für Sie, jede Thräne für Sie, nichts, nicht einmal meine Gegenwart für einen Andern!“
„So viel Liebe mein!“ flüsterte Welly. „Alles willst Du hingeben, mein Engel, um nur mir zu gehören! Aber sei getrost – mein Leben hat fortan nur einen Zweck, Deiner werth zu sein, Dich einst mein zu nennen vor Gott und der Welt. Du willst um meinetwillen einen schweren Weg gehen; was Du schon gelitten hast, was Du noch leiden wirst, kann meine Begeisterung für Dich nicht erhöhen, aber Deine Thränen sollen sich Dir einst in tausend Blumen des Glücks verwandeln, baue nur fest auf meine Liebe, meine Treue.“
„Wenn ich daran nicht glaubte wie an Gottes Verheißungen, so wäre ich verloren!“ sagte Emilie erbleichend. „Sie wissen nicht, was in mir vorgegangen ist bis gestern – seit gestern. Die Erinnerung an diese Stunde mag mein Beistand sein, wenn ich erbebe unter der Aufgabe, die mich erwartet. Gott erbarme sich meiner, wenn ich ihm sagen werde – aber es muß bald geschehen! Ich verlasse Sie jetzt, mein Freund; wenn wir uns wiedersehen, ist meine Zukunft entschieden, mein Urtheil gesprochen. Hüllen Sie mich ein mit Gedanken Ihrer Liebe, sie ist meine einzige Stütze.“
Sie schieden. Als Emilie zurückgekehrt war, schloß sie sich unter dem Vorwande eines Unwohlseins vor Jedermann ein. Ihr Entschluß stand fest, noch diesen Abend die Entscheidung über ihr Schicksal herbeizuführen, denn sie ertrug den Gedanken, nach der heutigen Zusammenkunft mit Welly ihrem Manne unter die Augen zu treten, nur dann, wenn sie sich gelobte, daß er Alles wissen sollte. Die Abendstunde nahte. Jeden Augenblick war Herr von [114] Werner von einer Jagdpartie zurück zu erwarten, die er mit einigen Herren unternommen hatte. Emilie saß in ihrem Zimmer, in brütendem Nachsinnen über das, was kommen sollte, versunken.
Mit jeder Minute stieg die Todesangst der unglücklichen Frau, ihr Muth begann zu schwinden. Sie wollte Trost und Kraft im Gebet suchen, aber so wie sie an ihren Mann dachte, diesen edlen, liebevollen Menschen, der sie stets auf den Händen getragen hatte, und dem sie einen unheilbaren Schmerz zuzufügen im Begriff stand, so wagte sie nicht mehr zu beten. Gott war fern von ihr in dieser verhängnisvollen Stunde, denn sie fürchtete sich davor ihn zu finden. Furchtbare Zweifel bemächtigten sich in diesem Augenblick der Entscheidung ihrer Seele – ach, die trügerischen Bilder, die ihre Leidenschaft ihr vorgegaukelt hatte, schwanden vor der siegenden Macht des Rechtes und der Wahrheit! Sie sagte sich nicht länger, daß ihr Entschluß schuldlos wäre, sie fühlte nur zu tief, daß nichts auf Erden im Stande sei, sie von der Verantwortung all der Schmerzen freizusprechen, die sie auf den Mann häufen wollte, dessen Namen sie trug, der ihr nie Ursache zur leisesten Klage gegeben hatte, dem sie Treue und Ergebung bis zum Tode gelobt hatte. Aber ihr Loos war geworfen – sie widerrief nicht mehr.
Seit sie mit Einstimmung ihres Willens, mit glühendem Durst die Liebesworte Welly’s angehört hatte, war ihr Gefühl für ihn zu einer Stärke angewachsen, die kein Hinderniß mehr gelten ließ. Um seinetwillen glaubte sie sogar das Bewußtsein der Schuld ertragen zu können. Der Gedanke, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn zur Verzweiflung zu treiben, erschien ihr so wahnsinnig, so unmöglich, daß jede andere Rücksicht vor dieser schwieg. Selbst der tiefe Schmerz, den sie erst gestern bei seinen bittern Worten empfunden hatte, war eine Fessel mehr für ihr Herz, – wie, nachdem sie seinen bloßen Zweifel in ihrer Liebe so schwer empfunden hatte, wie sollte sie es ertragen, diesen Zweifel in seinen Augen zu rechtfertigen? Immer glühender wandte sich bei diesem Gedanken ihr Herz dem geliebten Manne zu, und ihre Seele verlor sich in leidenschaftliche Träumereien, aus denen sie endlich der Eintritt ihres Mannes jäh emporschreckte.
Sie fuhr hastig empor und erbleichte so sehr, daß Herr von Werner besorgt hinzueilte sie zu unterstützen. Zum ersten Male gab er den Besorgnissen Worte, die sie ihm seit längerer Zeit einflößte. „Was ist Dir, Emilie? mein liebes, gutes Kind?“ sagte er mit dem Ton der innigsten Theilnahme. „Willst Du mir nicht endlich vertrauen, was Dich seit längerer Zeit so sichtlich niederdrückt? Warum dies Schweigen mir gegenüber, der keinen anderen Wunsch hat, als Dich froh und zufrieden zu sehen?“
„Nein! ich kann, ich darf nicht länger schweigen,“ flüsterte die junge Frau, indem sie ihr in Thränen gebadetes Gesicht von seiner Brust erhob. „Aber wie, mit welchen Worten soll ich Dir sagen, welche Schmerzen mein Innerstes zerreißen? Habe Erbarmen mit mir, mein Freund,“ fuhr sie fort, indem sie an ihm niederglitt, „komm mir zu Hülfe, errathe meine Verzweiflung, meine Schuld! – ja, meine Schuld, denn ich habe Dir die Treue gebrochen, und mein Herz und mein Schwur gehört einem Andern!“
Unfähig weiter zu sprechen, begrub Emilie ihr zuckendes Gesicht in beide Hände. Werner hob sie auf und zog sie an sein Herz. Stumm beugte er sich über sie, und langsame, glühende Tropfen fielen über sein erbleichtes Gesicht auf ihre geschlossenen Augenlider. Endlich sagte er mühsam: „Wer?“
„Eduard Welly,“ war die tonlose Antwort.
Er sah sie lange an und sagte tief bewegt: „Armes Kind, so hat all meine Liebe Dich doch nicht schützen können! Aber Dein Vertrauen spricht Dich heilig vor mir, es sagt mir, daß Du Muth hast, daß Du den Kampf bestehen wirst. Die Hülfe, die Du bei mir suchst, soll Dir werden! Du sollst nicht vergehen an verheimlichten Thränen, ich werde Dich weit hinwegführen, werde Dich mit der Zärtlichkeit eines Vaters behüten; Du wirst leiden, aber nicht allein und nicht ohne Trost!“
„Nein,“ unterbrach ihn Emilie, „nein, nicht diese Zukunft für mich, für uns Beide. Hast Du nicht gehört, nicht verstanden, daß ihm nicht allein mein Herz gehört, sondern auch mein Wort und meine Zukunft? Du bist gut gegen mich wie ein Engel Gottes, darum verdamme mich nicht, wenn ich Unerhörtes von Dir fordere – gieb mich frei! Ich kann Dir nichts mehr sein, kann Dir Deine unerschütterliche Zärtlichkeit nur mit Schmerzen lohnen, ich habe ja gerungen gegen diese fürchterliche Liebe mit allen Kräften meiner Seele, umsonst, umsonst! Laß mich frei, oder Du richtest mich zu Grunde!“
„Nein, Emilie, nein!“ erwiderte Werner erschüttert, aber mit tiefem Ernst. „Nicht um meinetwillen beschwöre ich Dich, von dieser Forderung abzulassen – für mich hat das Leben nun doch keine Blüthen mehr. Aber Du! Unterliege diesem Sturm nicht, wenn er Dich auch noch so tief beugt, rette Dir Deine Zukunft! Ich sage Dir nichts über Welly, Du liebst ihn, es würde unnütz sein. Aber wenn er Dich überwachte, wie eine Mutter ihr Kind, so kann doch Niemand auf Erden Dich vor dem Urtheil der Welt, und ach! verzeihe was ich Dir sagen muß, vor den Vorwürfen Deines eigenen Herzens erretten. Du, so stolz, so rein, wie würdest Du es tragen, alle Welt mit spöttischen Worten über das Heiligthum Deines Herzens verhandeln zu sehen, und allein zu stehen jeder Verleumdung gegenüber? denn es wird lange dauern, bis er ein Recht erhält Dich zu beschützen. Um Deine Zukunft zu retten, will ich gern auf Alles verzichten, Du sollst die Freiheit, die Du suchst, bei mir, an meiner Seite finden. Du kannst von mir keinen Vorwurf fürchten, verzichte nur auf ihn, auf diese Hoffnung, die Dir jetzt ein Ersatz für alle Schmerzen scheint, die aber tausend neue in ihrem Schooße trägt. Bleibe bei mir, meine Emilie, mein Kind! Denke, ich sei Dein Vater, dessen einziger Gedanke, dessen einziger Wunsch Dein Glück ist. Um Deines besseren Selbst willen glaube mir, höre mich, bleibe bei mir!“
Emilie weinte heftig. „Schone mich!“ rief sie außer sich, „ich kann, ich darf nicht. Wie Du an mich denkst, so denke ich an ihn! Die Schmerzen, die Du für mich fürchtest, die fürchte ich tausendfach für ihn – o treibe mich nicht dazu, daß ich Dir sage, was es heißt, meine Liebe zu Welly, daß ich Dir sage, wie Dein Edelmuth mir zum Fluch wird, wenn Du mein Flehen nicht erhörst! Merke wohl auf!“ fuhr sie fort, indem sie ganz nahe zu Werner trat und ihre glühende Hand auf die seinige legte, „höre mich und begreife, daß ich bis zum letzten Hauche meines Lebens nicht anders fühlen werde als in dieser Stunde. Ich habe sechs Tage lang Tag und Nacht mit meinem Herzen gerungen, habe ihn, den ich liebe, mit erheuchelter Kälte zur Verzweiflung gebracht. Ich habe gebetet und geweint, und Alles hat nur immer neue Gluth in meinem Herzen aufgehäuft, und als eines Tages mein Gefühl stärker war als mein Wille, und er erfuhr, wie es in mir stand, – selbst da noch wollte ich die Hoffnung festhalten, mich von dieser Liebe zu befreien.
Aber jetzt ist es vorüber. Seitdem habe ich ihn angehört, und wenn seine Worte Gift waren, so haben sie mich zum Leben getroffen – ich kann nicht mehr vergessen! Wenn Du mich nicht frei geben willst, so sei Dein die Verantwortung, Dein die Schuld! Wenn ich leben könnte, ohne Tag und Nacht an ihn zu denken: glaubst Du, ich wäre zu Dir gekommen, um alle Wunden meines Herzens in das Deinige zu drücken? Glaubst Du, ich fühle es nicht, welches Verbrechen es ist, Dir zu sagen, was ich Dir gesagt, von Dir zu begehren, was ich begehrt habe? Bei aller Liebe, die Du mir bewiesen, bei Allem, was Dir heilig ist, beschwöre ich Dich: laß mich frei!“
„Nun denn – es sei!“ rief Werner, kaum seiner selbst mehr mächtig, „und Gott erbarme sich Deiner!“
Emilie machte einen Schritt gegen ihn hin, als sie aber das Auge zu seinem veränderten, verstörten Gesicht erhob, entrang sich ihrer Brust ein dumpfer Schrei, sie wandte sich um und floh in ihr Schlafzimmer.
Am nächsten Morgen verließen Herr und Frau von Werner das Landgut ihrer gastfreundlichen Wirthin. Emilie war körperlich so angegriffen, daß Werner alle seine Sorgfalt aufbot, um jede neue Aufregung von ihr fern zu halten, und während der Reise mit keinem Wort auf das Vorgefallene hindeutete. Seine Besorgnisse waren auch nicht ungegründet; kaum langten sie in Berlin an, so warf ein heftiges Gehirnfieber Emilie auf das Krankenlager und brachte sie dem Tode nahe.
Unter tausend widerstreitenden Qualen saß der unglückliche Mann am Bette seiner Frau und horchte auf die wilden Fieberphantasien, die regellos diesem schönen Munde entflohen – ach! einen Zusammenhang hatten sie doch, Welly’s Name kehrte immer und immer in den Bildern wieder, die ihr aus den Fugen gerüttelter Geist ihr vormalte.
Einmal hatte Welly, von unerträglicher Angst getrieben, einen Versuch gemacht, bis zu Werner vorzudringen, um zu erfahren, wie es um die Kranke stehe. Die Aufregung, die Emiliens Gatten erfaßte, [115] als er zum ersten Male seit ihrem Geständniß den Mann wiedersah, der das Unglück seines Lebens und Emiliens jetzige Gefahr herbeigeführt hatte, war aber zu mächtig, um beherrscht zu werden. Stammelnd und zitternd forderte er Welly auf, sich sogleich zu entfernen, indem er ihm zu verstehen gab, daß er nun Alles wisse. Wenn er auch ihr vergeben konnte, die einige Jahre hindurch die Freude seines Lebens gewesen war, die er immer nur fromm und unschuldig gekannt hatte, so vermochte er doch nicht dem Fluche zu gebieten, den sein Herz über den Urheber ihres Treubruchs heraufbeschwor.
Mit schwerer Sorge dachte er daran, was aus Emilien werden würde, wenn der Tod an ihr vorüberginge. Er kannte ihren Charakter zu wohl, um hoffen zu können, sie von ihrem Vorsatze zurückzubringen. Trotz allem Schmerz, den ihr Verlangen einer Trennung ihm bereitete, dachte er doch weit mehr daran, wie elend sie durch die Gewährung desselben werden würde, als an das Unrecht, das ihm dadurch geschah. Die ernste Richtung, die sein Charakter überhaupt hatte, die vorgerückten Jahre, in denen er Emilie kennen lernte, hatten ihn eine tiefe, ruhige Zärtlichkeit, nicht aber die feurige Leidenschaft eines Jünglings zu ihr fassen lassen. Er begriff ihre Liebe und deßhalb hoffte er auch nichts mehr, denn er fühlte, daß gerade die Unschuld und Aufrichtigkeit ihres Wesens eine eben so mächtige Triebfeder für ihren Entschluß war, als ihre Liebe. Er kannte Emiliens Gefühl für das Rechte, ihre Frömmigkeit und sagte sich, daß Alles, was er ihr vorstellen könnte, ohnmächtig sein würde, wo diese mächtigen Hebel den Sieg nicht hatten erringen können. Während er sein Auge auf der holden, leidenden Gestalt ruhen liest, gelobte der großmüthige Mann sich heilig, sich selbst zu verleugnen und sie auf dem dornenvollen Wege zu stützen, den sie gehen wollte.
Nach langen Leiden kehrte Emilie endlich zum Bewußtsein des Lebens zurück. Der erste ungewisse Blick fiel auf ihren Mann, der mit abgehärmtem Gesicht vor ihr stand und ihr, sobald er in ihren arbeitenden Zügen die wiederkehrende Erinnerung las, mit der Bitte, ihm zu vertrauen, die Lippen schloß.
Nur langsam erholte sich die junge Frau; der zehrende Wurm in ihrem Innern, die Unmöglichkeit Welly zu sehen, ein brennendes Verlangen, die Entwicklung ihrer Verhältnisse herbeigeführt zu sehen, und der Mangel an Muth, dieselbe zu veranlassen – Alles dies erschwerte es ihrer Jugend, den letzten Sieg über die Krankheit davon zu tragen. Werner’s Zartgefühl sagte ihm bald, daß es besser sei, das Siegel zu brechen, das auf ihrem gemeinschaftlichen Elend lag, und er theilte ihr auf die schonendste Weise die Vorschläge mit, die er sich zur Herbeiführung ihrer Scheidung überlegt hatte.
Der edle Mann wollte nicht, daß sie die Trennung begehren und ihm dadurch die Möglichkeit rauben sollte, ihre äußere Zukunft einigermaßen sicher zu stellen. Er schlug vor, sie möchte auf längere Zeit zu ihren Eltern reisen, worauf er dann in einigen Monaten unter der Klage, daß sie sich weigere in sein Haus zurückzukehren, auf Scheidung antragen wolle. Auf diese Weise hoffte er ihren bis jetzt noch völlig unangetasteten Ruf zu retten und Mangel und Entbehrung von ihr fern zu halten.
Emilie war von der Großmuth ihres Manneü in einem Grade erschüttert, daß in dieser Stunde die Vorwürfe, die sie sich machte, über alles Andere den Sieg davon trugen. Hätte Werner sie jetzt angefleht zu bleiben, sie würde in der Stärke ihrer Dankbarkeit nicht den Muth gehabt haben, noch einmal Nein zu sagen.
Aber er schwieg. Gerade in dieser Stunde, wo er die gewaltige Aufregung ihres Innern sah, wo sie, durch körperliche und geistige Leiden geschwächt, unter der Last ihrer eigenen Vorwürfe sich beugte, schien es ihm unedel, ein Opfer zu fordern, das er vielleicht erhalten, aber nicht einem freien Entschlusse, sondern der Uebermacht ihrer Aufregung zu verdanken gehabt haben würde. Er war jetzt der Gewährende, sie trotz all seiner Schonung doch die Gedemüthigte, und nimmer wollte er von dieser Lage Vortheil ziehen. So ging der einzige Augenblick vorüber, der diese beiden Menschen, die einander werth, deren Hände einst für das Leben vereinigt worden waren, davor hätte bewahren können, sich unwiderruflich von einander zu scheiden.
Nach diesem letzten peinlichen Gespräch geschah Alles, wie es verabredet worden war. Emilie reiste unter dem Vorwande, ihre noch wankende Gesundheit zu befestigen, nach B. zu ihren Eltern. Werner hatte schon vor ihr Wien verlassen, unter der Angabe, eine Geschäftsreise machen zu wollen. Er ging, ohne von Emilie Abschied zu nehmen, die Aufgabe schien ihm zu schwer für sie Beide. Ehe die junge Frau schied, hatte sie noch eine lange Unterredung mit Welly. Sie war jedoch in einer so schweren Stimmung, Alles, was zwischen ihr und ihrem Mann vorgefallen war, drückte sie so ganz und gar darnieder, daß er kaum wagte, ihr von der Zukunft zu sprechen. In der Schwermnth, womit er die tiefen Spuren des Leidens in ihrem Antlitz betrachtete, in dem Feuer, womit er die Unendlichkeit seiner Liebe betheuerte, lag aber eine Fülle von Verheißungen, woran sie sich bemühte ihren Muth aufzurichten.
Körperlich und geistig gebrochen langte die junge Frau in ihrem elterlichen Hause an, wo sie die ganze Familie ihrethalben in der größten Aufregung fand. Werner hatte es ihr ersparen wollen, ihren Eltern die Mittheilung ihrer Entschlüsse selbst machen zu müssen, und hatte deshalb dieselben schriftlich mit der Katastrophe bekannt gemacht, die seine häusliche Existenz betroffen hatte. Mit dem ganzen Adel seines Charakters betheuerte er, daß Emilie keinen Vorwurf verdiene, und forderte ernst und bestimmt, man möge sie in einem Entschluß nicht beunruhigen, in den er selbst zwar mit Schmerz, aber mit ungeschwächter Achtung für seine Frau gewilligt habe.
Emiliens Eltern waren aber nicht fähig, sich zu der Höhe dieses Charakters zu erheben. Daß Emilie ihre Lebensstellung aufgeben wolle, ohne sich durch einen tiefen Fall derselben unwürdig gemacht zu haben, schien ihnen ebenso unglaublich, als daß der besonnene Werner sich einer Leidenschaft, die kindisch oder verbrecherisch sein mußte, geduldig fügen und freiwillig auf sein Recht verzichten würde. Da sie den Glauben an ihr Kind so schnell nicht verlieren konnten, wälzten sie einen schweren Vorwurf auf Werner und beschuldigten ihn, irgend eine Unvorsichtigkeit Emiliens zu einem tadelnswerthen Zweck zu benutzen.
In dieser Stimmung fand Emilie die Ihrigen, und als sie aus allen sie bestürmenden Fragen die Beschuldigungen herausfand, die man auf ihren Gatten warf, bekannte sie in der Wärme ihrer Bestürzung Alles, was sie verschuldet, was sie gefordert und er so großmüthig gewährt hatte.
Nun aber wendete sich die Anklage mit doppelter Gewalt gegen sie. Ihre Mutter, die auf ein tadelloses Leben zurückblicken konnte, nannte sie in der ersten Aufwallung ein verlorenes Geschöpf; ihr Vater war außer sich darüber, daß sie ihrer schönen, gesicherten Stellung entsagen wollte, um in zweideutiger Lage einer tadelnswerthen Zukunft entgegen zu gehen. Ihre Liebe, die sie wie ein Heiligthum im Herzen trug, wurde ihr zum Verbrechen gemacht, ihr Entschluß zur Scheidung wie ein Entschluß zur Entehrung betrachtet.
Zu Boden gedrückt unter diesen Vorwürfen, von denen einer sie mit immer neuem Gewichte traf – der, ihren Mann elend zu machen, fand Emilie kaum Kraft genug zu betheuern, daß ihre Zukunft nicht entweiht werden solle. Als man sah, daß Vorwürfe und Heftigkeit nichts über sie vermochten, begann man sie mit Bitten und Thränen zu bestürmen. Ihr Leben war ein fürchterliches. Stumpf ließ sie endlich Alles über sich ergehen und antwortete nur immer Nein auf jeden Versuch, sie von ihrem Vorsatz zurück zu bringen. Erst hier begriff sie die Seelengröße ihres Mannes in ihrem vollen Umfange. Er, der Gekränkte, hatte Worte der Liebe und des Erbarmens für sie gehabt, er hatte in seinem Glauben an sie nicht gewankt, während die Ihrigen sie verurtheilten. Noch in anderer Beziehung hatte sie Schweres zu tragen. Ihr Vater gerieth in den heftigsten Zorn, wenn nur Welly’s Name erwähnt wurde, und verbot ihr geradezu Briefe von ihm anzunehmen. Um nicht noch heftigere Scenen zu veranlassen, gab sie die geforderte Zusage und schrieb im Jammer ihres Herzens an Eduard, dem sie ihre Lage schilderte und ihn beschwor, für jetzt selbst auf einen Briefwechsel zu verzichten. Auf’s Neue gelobte sie ihm Treue und Standhaftigkeit.
So vergingen drei Monate, nach deren Ablauf Emilie einen Brief von Herrn von Werner erhielt, der ihr mittheilte, daß er die Scheidungsklage eingereicht habe. Von dieser Zeit an schwiegen die Vorwürfe und Bitten ihrer Eltern. Sie gaben die Hoffnung auf, das alte Verhältniß zurückzuführen, aber Emiliens Lage verbesserte sich darum nicht. Sie lebte wie eine Geächtete in ihres Vaters Hause, man ging an ihr vorüber, als wäre sie nicht da. Manchmal, wenn ihr in dieser Einsamkeit das Herz brechen wollte, [116] machte sie einen schüchternen Versuch, im Herzen ihrer Mutter ein weiches Gefühl für sich zu wecken – aber ach, sie mußte jedesmal von Neuem begreifen, daß ihre Mutter sie aufgegeben hatte.
Während der Dauer des Scheidungsprocesses wurde die Lethargie ihrer Existenz zweimal durch die qualvolle Nothwendigkeit unterbrochen, mit ihrem Mann vor Gericht zusammen zu treffen. Da die Gründe, die dem Verlangen der Scheidung untergelegt waren, ungenügend erschienen, wurden viele Schwierigkeiten erhoben. Nach langen Zögerungen entschied sich endlich der Proceß, die Scheidung wurde ausgesprochen.
Noch ein Mal traf Emilie nach diesem Richterspruch mit ihrem Gatten zusammen. Wortlos, halb ohnmächtig vor Bewegung beugte sie ihr Haupt vor ihm, sie wagte es nicht den Blick auf jenes Gesicht zu erheben, dessen tiefe Falten von viel schmerzlichen Stunden erzählten. Werner legte seine Hand wie zum Segen auf ihren Scheitel, auch er blieb stumm, aber in seinen milden Augen lag Güte und Verzeihung.
Tieck’s Vorlese-Abende in Dresden.
Als Ludwig Tieck seine Vorlesungen in Dresden begann, die eine gewisse Berühmtheit erlangten, war er bereits über den Gipfelpunkt seines literarischen Ruhms hinaus; er hatte schon seine Meisterwerke geschrieben, seinen Octavian, seine Genovefa, seine köstlichen unnachahmlichen Märchen, er war zu der kritischen Periode gelangt, die sich in einer Unzahl seiner mit glatter, anmuthiger Feder geschriebener „Novellen“ kund gab, die von seinen Freunden und Bewunderern als ein seinen dichterischen Theil überragender Grad der Produktion betrachtet, und als solcher besonders hochgestellt wurden. Wir wollen uns hier nicht auf Beurtheilung und Schätzung seiner Thätigkeit einlassen, sondern haben es einzig mit jenen Abenden zu thun, wo er einen Theil von Dresden, besonders aber durchreisende Fremde um seinen Vorlesetisch versammelte.
Das Vorlesen dichterischer Werke war den Deutschen bisher noch ein ziemlich unbekannter Genuß. Man kannte es zwar schon, daß Dichter ihre eignen Werke einem kleinen Kreise von Freunden vorlasen, aber sie lasen fast immer schlecht, und die Kunst des Vorlesens als solche wurde durch derlei Versuche nicht gefördert, höchstens die Eitelkeit der Vorleser. Hier sah man nun einen Dichter, der zugleich Schauspieler war, nämlich was die Mittel der Stimme und des kunstgeübten Vortrags betraf, seine eigenen sowohl, als fremde Dramen und Erzählungen mit jener Virtuosität vortragen, die den Vortrag zu einer besondern Kunst machte und ihn für sich bestehen ließ. Man konnte, wenn man die Augen schloß, dreist behaupten, man hörte drei oder vier Personen sprechen, wenn das Stück aus so vielen bestand, so scharf abgesondert, so in Dialekt und Stimmweise verschieden erklangen die einzelnen Stimmen; auch wurden sie nicht genannt, der Zuhörer mußte sie selbst herausfinden, und er konnte es auch leicht durch die Kunst des Vorlesens. Bei heiteren komischen Sachen machte sich diese Art vortrefflich.
Die poetische Begabung war die Hauptsache bei Tieck, sie wurde jedoch durch zwei wesentliche Dinge unterstützt, durch ein belebtes sprechendes Auge, und durch eine volle biegsame Stimme. Kein Schauspieler besaß diese Mittel der Wirkung in einem vorzüglicheren Grade, er unterstützte sie nur durch sehr sparsam und vorsichtig angewandte Gesticulation mit der rechten Hand. Dem Auge ließ er fast freie Wirkung, indem er das Meiste, was er las, so kannte, daß er es nicht mühsam abzulesen brauchte, sondern es freisprechend vor sich hin sagte. Die Stimme ließ er bei tragischen Stellen in ihrer ganzen Stärke hindonnern, so daß sie eine mächtige Wirkung zu äußern nicht verfehlte. Ueberhaupt las er lieber die tragischen Stücke, namentlich von Shakespeare, als die komischen, obgleich er auch diese unübertrefflich gut vortrug.
Da eine Vorlesung, wenn sie ein Shakespeare’sches Drama betraf, leicht mehrere Stunden anhielt, so war während dieser Dauer die größtmöglichste Stille zum Gesetz gemacht: es durfte bei dem Drama keinerlei Handarbeit unternommen werden; Stricken war streng untersagt; nur die kurzen Pausen bei jedem Actschluß waren der Erholung geweiht und wurden zum Gespräch, zum Hin- und Wiedergehen, zum Theetrinken benutzt; so wie wieder Tieck’s Stimme ertönte, mußte vollkommene Stille herrschen. Es war vorgekommen, daß, wenn dieses Gebot nicht gehalten wurde, oder eine schwatzende Stimme die Pause überschritt, der Vorleser seinen Vortrag plötzlich unterbrach und still schwieg. Dies war jedoch die strengste polizeiliche Maßregel; ehe es so weit kam, sorgte schon die Gräfin, die in dieser Beziehung eine wichtige Rolle im Vorlesezimmer spielte, daß kein gar zu auffallendes Störungszeichen sich laut machte.
Die Erwähnung der „Gräfin“ führt uns auf das Publicum. Dies war öfters ein sehr gemischtes. Fremde, durchreisende Engländer verschafften sich in ihren Hotels Karten und erschienen bei Tieck zur Vorlesung. Diese frei heranströmenden Gäste mußten nun überwacht werden. Die Gräfin Finkenstein, Tieck’s alte Jugendfreundin, die ihn später nie verließ, alle seine Reisen mit ihm machte, gab sich dazu her, die Hauspolizei bei den Abenden darzustellen. Die ankommenden Fremden mußten ihr vorgestellt werden, sie vermittelte alsdann die Bekanntschaft mit Tieck, wenn sie diesem völlig unbekannt waren, und somit hatte der Besuch sein Recht, den Abend dort zuzubringen. Waren die Gäste, wie es fast immer stattfand, Tieck schon von früher bekannt, so brachte er sie zur Gräfin und stellte sie dieser vor. Die Gräfin äußerte dann in der Form des Gesprächs die bei der Vorlesung waltenden Gesetze, und wenn dagegen gehandelt wurde, winkte sie, hustete auch wohl und gab sonstige Zeichen, daß Stille und Ruhe herrschten. Wenn die Ordnung hergestellt war, so pflegte die Gräfin einzuschlummern, denn ihr waren die vorgetragenen Stücke längst etwas Bekanntes; dennoch, eine so große Gewalt übt die Gewohnheit, sah man sie im Schlafe öfters den Kopf bewegen, hörte sie einige Worte des Beifalls murmeln, wo sie diesen zu spenden seit Jahren gewohnt war.
Von der Gräfin abgesondert saß Frau Tieck, wenig beachtet. Es wurde ihr keiner der Fremden vorgestellt, man nahm an, daß sie dieses nicht wünschte und begehrte. Es war eine corpulente Dame mit einem unbedeutenden kränklichen Gesichtsausdruck; ihr Platz war gewöhnlich im Schatten, zur Seite des Sopha’s. Sie war in ihrer Zurückgezogenheit der Gegenstand der steten Aufmerksamkeit und Beachtung ihrer geistvollen Tochter Dorothea, die, Opposition gegen die Gräfin bildend, sich vorzugsweise mit ihrer Mutter beschäftigte, weil sie fand, daß die Gesellschaft gegen diese Dame ungerecht war und sie vernachlässigte. Darum nahm sie auch ihren Platz, wenn der Thee, den sie zu besorgen hatte, herumgereicht war, besonders gern dicht neben der Mutter und kam aus dem Winkel selten hervor. Zu diesem Grunde kam noch eine eigenthümliche Schüchternheit, die sie von der Gesellschaft unbeachtet sein ließ; ihre gewonnenen Freunde waren um so entzückter von ihrem Umgang, je freier sie sich dort bewegte. Später kamen ihre religiösen Skrupel hinzu, die ihr des Vaters ganzes Thun und Treiben, besonders aber sein Vorlesen, als sündlich und thöricht erscheinen ließen. Eine andere Tochter Tieck’s, nicht so geistig bevorzugt wie Dorothea, war gleichfalls bei den Vorlese-Abenden zugegen.
Als der Schreiber dieses den Abend bei Tieck zum ersten Male besuchte, es war im Sommer 1821, fand sich in der Gesellschaft so manche interessante Persönlichkeit. Es sind ihm nur folgende Personen erinnerlich geblieben. Auf dem Sopha, neben der mit einem Augenschirm versehenen Gräfin Finkenstein saß eine Fürstin Reuß, eine bucklige Anstandsdame, zur Seite des Sopha’s nahm Frau Hofräthin Tieck ihren Platz, neben ihr ihre Tochter Dorothee. Dann folgten Damen und Herren, die dem Schreiber dieses Aufsatzes nicht bekannt wurden, bis ganz im Vordergrunde Fräulein Bauer, die berühmte Schauspielerin, in dem Costüm der Rolle, die sie an diesem Abende im Theater zu geben hatte, ihre Stelle findet. Man sieht, das Publicum benutzt gerade einen Augenblick des festeren Schlafes der Gräfin, um hier und da zu plaudern; auch kommt ein später Gast, der Hofrath Winkler, unter dem Namen Theodor Hell, noch heran und verlangt Einlaß. Unter der Herrenreihe am Fenster und an der Wand hinter dem Sopha findet sich gleichfalls mancher Bekannter. Der bucklige Mann an der Wand, der sich etwas in’s Ohr raunen läßt, ist der Dichter Maltitz, der Pfefferkörner Maltitz, wie er genannt wurde. Am Fenster steht ein bekannter Banquier aus Leipzig, neben ihm Sternberg, der alte vertraute Freund des Dichters, etwas weiter zurück Herr
[117]von Bülau und Baron Stackelberg, der die interessanten Forschungen in Griechenland unternahm und herausgab, Rumohr u. A. Ganz vorn in einem Lehnstuhl saß ein bekannter Engländer, ein großer Verehrer Shakespeares und Tieck’s, der, wenn er in Dresden war, nie einen Abend verfehlte bei dem Letztern dem Vorlesen zuzuhören, obgleich er äußerst schwer hörte und nur mit Mühe der vorgetragenen Pièce folgen konnte. Das Haus, wo Tieck damals wohnte, lag an der Ecke des Altmarkts, später zog er in das Haus des Major Serre, von dort kam er nach Berlin.
Der Ruf, den die Abende gewannen, war ein außerordentlicher. Nach Amerika drang ihr Ruhm, später war es ganz unmöglich, in Dresden gewesen zu sein, ohne bei Tieck einen Vorlese-Abend genossen zu haben; man riß sich um die Einlaßkarten, und eine große Anzahl, die hingekommen waren, um Tieck zu hören, mußten abreisen, weil sich kein Abend für sie fand. Viele wußten nicht, wer der Mann war, den sie hörten, noch was er geschrieben hatte; sie verwechselten ihn mit Tiedge und priesen laut mit vielen Lobeserhebungen die Urania in seiner Gegenwart. Uebrigens war der Cirkel, wo Tiedge herrschte, ganz abgesondert von unseren Vorlese-Abenden. Tiedge befand sich bei der Frau von der Recke, und was hier geduldet wurde, war gänzlich verschieden von dem, was im Tieck’schen Hause Sitte war: bei Tiedge galt eine altväterische Frömmigkeit, die bei Tieck gänzlich außer der Acht gelassen wurde; man konnte nicht zwei der Literatur dienende Geister sehen, die mehr von einander abwichen, als Tieck und Tiedge.
Später hat der Aufzeichner dieser Skizze Tieck auch in Berlin gesehen, ebenfalls vorlesend, doch wie ganz verschieden von seinen Vorträgen in Dresden! Hier gab es kein so großes Publicum, und dieses Publicum war nicht einzig und allein wegen Tieck da, sehr Viele gingen hin, weil sie wußten, daß sie dadurch dem Könige schmeichelten. Auch war Tieck’s Kraft im Abnehmen. Er las oft nur, wie er selbst eingestand, aus Gesundheitsrücksichten, weil ihm dadurch die fehlende Bewegung ersetzt wurde. Der Schreiber dieses fand ihn manchmal ganz allein mit der schlafenden Gräfin, wie er laut donnernd eines seiner Lieblingsdramen vorlas.
Tieck als Vorleser wird immer eine höchst beachtenswerthe Erscheinung bleiben, wenn wir auch nichts Anderes an ihm schätzten. Es ist sehr zu bezweifeln, ob sich Aehnliches je wieder finden wird. Es wird etwas Anderes, nicht dasselbe sein; schon Tieck’s eigenthümlicher Körperbau trieb ihn dazu, diese Virtuosität soweit als möglich auszubilden.
Die Anwendung der Folter in den Gefängnissen von Neapel und Sicilien.
Ich komme nun zur Anwendung der Folter, der Torturwerkzeuge, der Peitsche und des Stockes bei politischen Gefangenen. Nochmals schicke ich, um mich klar und bestimmt auszudrücken, und damit alle Verdrehungen und Verfälschungen meiner Mittheilungen abzuweisen, ein für allemal die Bemerkung voraus: Die politischen Gefangenen, von denen ich spreche und welche ich namentlich aufführen werde, befanden sich, während sie diese Martern erduldeten, nicht in den Händen der Gerichtshöfe. Sie befanden sich in Voruntersuchung in den Händen der Polizei, welche sie auf Verdacht nach eigenem Belieben verhaftet hatte, in den Gefängnissen der Polizeicommissariate. Die Documente, welche ich vorlege, habe ich aus den officiellen Zeitungen der frühern Regierung des Königreichs beider Sicilien entnommen. Die Thatsachen, bei denen ich mich auf das Zeugniß des französischen Schriftstellers Mr. Charles de la Varenne stütze, der sich durch seine Feder und durch seinen Degen um die Freiheit des neuen Italiens hochverdient gemacht hat, sind auf Veranlassung der englischen Regierung einer genauen Recherche Seitens der englischen Consularagenten auf Sicilien unterzogen worden, und die amtliche Antwort dieser Beamten lautet dahin, daß sämmtliche von Mr. Charles de la Varenne behaupteten Thatsachen wahr und genau angegeben worden sind, daß derselbe sogar seiner allgemeinen Darstellung noch eine zu matte Färbung gegeben habe.
Das in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch publicirte processualische Strafverfahren ist den bessern europäischen Strafprozessen zuzuzählen. Es giebt in seinen processualischen Formen, besonders in der Vertheidigungsinstanz, dem Angeschuldigten jede Garantie, sein Recht zu wahren und alle Mittel seiner Vertheidigung zur vollkommenen Geltung zu bringen. Die Formen des neapolitanischen Strafprocesses wurden indeß nur dem gewöhnlichen Verbrecher, dem Mörder, dem Räuber und dem Diebe gegenüber aufrecht erhalten; der Polizei gegenüber – oder, wenn man will, den beiden letzten Königen gegenüber – waren sie vollständig illusorisch. Signor Morelli, Präsident eines Criminalgerichtshofes in Neapel, erhielt das Actenstück eines politischen Processes, der auf die ungerechteste und unhaltbarste Anklage von der Welt gegründet war, mit der Randbemerkung des Polizeiministers zurück: „Seine Majestät wünscht eine schwere Verurtheilung.“ Signor Morelli war ein anständiger Mann; er schrieb darunter: „Ich wünsche meinen Abschied,“ und nahm diesen Abschied. Aber Signor Morelli war eine Ausnahme eines neapolitanischen Beamten, welche der preußische Consul in Neapel, Herr Nolte, der – nebenbei gesagt – noch ein Vertheidiger der bourbonischen Regierung ist, mir mit den kurzen Worten charakterisirte: „Zu bestechen und zu kaufen waren sie Alle; Alle nahmen.“ Und wenn sich auch mehrere solche Ausnahmen gefunden haben – der hohe Gerichtshof von Catanea hat einmal in einer entsetzlichen Sache, welche ich weiter unten näher erzählen werde, ein glänzendes Beispiel richterlicher Unabhängigkeit und Rechtschaffenheit gegeben –, was half das der ungeheueren Machtvollkommenheit der neapolitanischen Polizei gegenüber, welche über allen Behörden des Landes stand? Die Polizei hielt die Gefangenen, deren Freilassung von den Gerichtshöfen angeordnet war, in den Gefängnissen fest; sie blieben, wie der Geschäftsausdruck war, „con empara di polizia.“ Die Polizei modificirte und verlängerte die von den Gerichtshöfen erkannten Strafen. Strafen, welche durch die Gesetzbücher und durch die beschworene Constitution des Jahres 1848 – diese Constitution ist niemals durch ein Gesetz in Neapel aufgehoben worden – abgeschafft waren, wie die Tortur und die Ruthenhiebe, wurden durch amtliche, in den officiellen Regierungsblättern öffentlich publicirten Verfügungen der Polizeiminister wieder eingeführt. Am 1. Februar 1860 wurde für das ganze Königreich beider Sicilien an alle Polizeipräfecten Seitens des Polizeiministers Ajossa folgende Verfügung erlassen:
- Herr Präfect!
- Seine Majestät der König, unser gnädigster Herr, hat befohlen, daß für die Dauer des ganzen laufenden Jahres die Commissionen, welche eingesetzt sind, um bei „den Störern der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ und bei den Dieben die Prügelstrafe anwenden zu lassen, fortbestehen sollen.
- Ich bringe diesen Willen Seiner Majestät zu Ihrer Kenntniß, damit Sie dafür sorgen, daß er in seinem ganzen Umfange in’s Werk gesetzt werde. Der Minister der Polizei.
- Neapel, den 1. Februar 1860. Ajossa.
Diese Ministerialverfügung bezieht sich auf eine frühere Verfügung des entsetzlichen Polizeiministers Generals del Carretto, des blutbefleckten Henkers des sicilianischen Volkes, aus dem Jahre 1843, in der dieselben Personen „die Störer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ genannt werden, und welche folgendermaßen lautet:
- Das Publicum wird benachrichtigt, daß das frühere System eines summarischen Ausnahmsverfahrens, welches gegen „die Störer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch Verfügung vom 5. August 1822 eingeführt worden ist, und durch regelmäßig jährlich immer aufeinander folgende ministerielle Verordnungen für jedes laufende Jahr verlängert worden ist, sich auch heute noch in voller Gültigkeit befindet.
- Das Publicum möge außerdem wissen, daß die außerordentliche und wohlbekannte Strafe[1], welche die Polizei sofort, selbst vor dem ausgesprochenen Urtheil des kompetenten Gerichtshofes, anzuwenden berechtigt ist, in einem stärkeren Maße angewendet wird, wenn es nach dem bösartigen Charakter des Delinquenten nöthig zu sein scheint, und daß sie ohne irgend eine Rücksicht angewendet werden soll, weß Ranges, Standes und Geschlecht der Gefangene auch sein möge; denn es handelt sich um die heiligen Rechte der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit. Der Polizeiminister
- Neapel, den 11. Juli 1843. General del Carretto.
Aus diesen Verordnungen geht sowohl die ganz exclusive Stellung der Polizei, welche über allen Behörden stand, als auch die Thatsache hervor, daß seit dem Jahre 1822 die Peitschenhiebe und Stockschläge, trotzdem daß das neapolitanische Strafgesetzbuch und die Constitution des Jahres 1848 sie abgeschafft haben, immer als Torturmittel bei politischen Untersuchungsgefangenen durch die Polizeibehörden angewandt worden sind und daß die Polizeicommissäre und Polizeipräfecten sogar gesetzlich autorisirt waren – der ganzen übrigen Gesetzgebung zum Trotz – dieselben anzuwenden. Das nennt man doch eine Ausnahmsstellung der Polizei, gegen welche die reactionairen Versuche mancher deutschen Regierungen, ihren Polizeibehörden in der Regierungsmaschine eine Ausnahmsstellung zu schaffen, schwächliche Maßregeln genannt werden müssen!
Wie die neapolitanischen Polizeibehörden diese ihre Ausnahmsstellung und ungeheuere Gewalt ausgeübt, in welchem Umfange sie davon der Justiz und Verwaltung gegenüber Gebrauch gemacht haben, davon werde ich sogleich einige schlagende Beispiele, und zwar aus der neuesten Zeit, geben.
Baron Poerio war bekanntlich während einiger Monate Ministerpräsident der constitutionellen Regierung König Ferdinand des Zweiten. Nach dem reactionairen Staatsstreich des 15. Mai 1848 wurde der frühere Ministerpräsident verhaftet und in den Bagno von Nisida geführt. Dort hat er fast zehn Jahre zugebracht; er wurde in Ketten eingeschmiedet, kurz, wie ein zur lebenslänglichen Strafarbeit verurtheilter Sträfling behandelt. Während eines halben Jahres war der Galeerensträfling, mit dem er zusammengeschmiedet war, gefährlich krank. Der Baron Poerio konnte es nicht durchsetzen, während dieser Zeit losgeschmiedet zu werden. Poerio’s Märtyrerthum hat einen europäischen Ruhm erlangt. Ich führe dies Beispiel hier nur an, um zu zeigen, welche Stellung die Polizei in der neapolitanischen Regierung eingenommen hat; denn – und dies wenigstens möchte bis jetzt in Europa nicht bekannt geworden sein – Baron Poerio ist niemals weder zur Untersuchung gezogen noch von einem Gerichtshof verurtheilt worden: derselbe hat die zehn Jahre in dem schrecklichen [119] Bagno „con empara di polizia“ zur Disposition der Polizei zugebracht. Der berühmte Märtyrer, den ich in Turin kennen lernte, machte mir dort diese Mittheilung, welche mich doch einigermaßen staunen machte. Daß derselbe durch Verordnung des Polizeiministers vom 27. December 1858 mit neunzig andern Leidensgefährten nach Amerika deportirt wurde, ist bekannt, vielleicht aber nicht, daß die Deportation in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch abgeschafft worden ist, also auch hier auf einer Polizeiverordnung beruhte, welche in offenem Widerspruch mit der Gesetzgebung des Landes war.[2] Am 2. November 1859 brachte die officielle Zeitung des Königreichs beider Sicilien an ihrer Spitze einen Artikel, der im Namen des jungen Königs nach seinem ausdrücklichen Befehl die Beamten jedes Standes und jeder Kategorie aufforderte, die Landesgesetze auf das Strengste zu beobachten und diesen Landesgesetzen gemäß ihren Pflichten als Beamte nachzukommen. Es heißt in diesem officiellen Artikel wörtlich: … „Mitten in den so zahlreichen Sorgen der Regierung hört Seine Majestät nicht auf, allen Chefs der Verwaltung und der Justiz ausdrücklich anzubefehlen, daß die Gesetze auf das Genaueste und Sorgfältigste beobachtet werden.“
Der Intendant der Provinz Catanea in Sicilien schrieb in Folge dieser officiellen Kundmachung an den königlichen Statthalter der Insel folgenden Brief:
Excellenz!
In der Regierungszeitung von Sicilien vom 2. November findet sich folgende Kundmachung: (nun folgt der ebenerwähnte Artikel) In Anbetracht der officiellen Wichtigkeit dieser Kundmachung denke ich, daß es meine Schuldigkeit ist, mich an Ew. Excellenz mit der Frage zu wenden, ob die Beamten in den Provinzen Siciliens von nun an der discretionären Gewalt, mit der sie bekleidet sind, entsagen und sich streng an die Gesetze halten sollen? Der Intendant, Prinz v. Fitalia.
Es erfolgte auf dies Schreiben folgende Antwort:
- Mein Herr!
In Beantwortung Ihres Briefes vom 8. d. Mts. beeile ich mich Ihnen zu antworten, daß, wenn die Regierung es für nöthig hält, sich an ihre Beamten zu wenden, sie dies direct thut und auf ministeriellem Wege.
Sie werden also, wie früher, fortfahren, sich einzig und allein an die Befehle zu halten, welche von der Statthalterschaft ausgehen.der Generalpolizei-Director Maniscalco.
Palermo, den 16. November 1859.
Bedarf es, solchen Documenten gegenüber, wohl noch eines weiteren Wortes, um die allmächtige Stellung der Polizei in Neapel und Sicilien zu charakterisiren? Bedarf es daneben wohl noch irgend eines weiteren Beweises, um die Thatsache festzustellen, daß die Polizei in diesem unglücklichen Lande über allen Behörden stand, daß der Wille jeder andern Behörde neben ihrem Willen rein illusorisch war? Der Generalstatthalter von Sicilien war eine Null, eine Hofcharge, welche nicht so viel Macht hatte, in den Straßen von Palermo einen Pflasterstein auf einen andern Fleck zu legen. Der einzige allmächtige Regent von Sicilien, der Vicekönig der Insel, war Maniscalco, der Generalpolizeidirector, sowie der eigentliche Vicekönig von Neapel der Polizeipräsident Ajossa war. Beide correspondirten direct mit dem Könige, Beide erhielten direct ihre Befehle von ihm, Beide standen über dem Gesetz, über allen Beamten der Justiz und der Administration; Beide waren allmächtig; für sie gab es nur ein Gesetz: der Wille Seiner Majestät.
Und wer waren diese Subjecte? Ich will nur den Erstern, den Maniscalco schildern – denn dieser war der grausame Erfinder der Folterqualen, welche in Neapel und Sicilien angewandt worden sind –; man wird mir dann wohl die Schilderung des Andern ertlassen.
Maniscalco war der Sohn eines Lohnbedienten in Neapel. Noch sehr jung, wurde er Gensd’arm. Der Zufall brachte ihn mit dem wilden del Carretto in Verbindung, dem blutbefleckten Henker Siciliens, dessen Name auf ewig gebrandmarkt ist in der Geschichte aller civilisirten Völker, dieser wahren Vorsehung aller Hallunken und Spitzbuben. Die Talente Maniscalco’s gefielen seinem Chef. Er verwandte ihn zu mehreren schwierigen politischen Missionen. Er wurde provocateur in der Armee und mußte die nicht ganz zuverlässigen Officiere ausspioniren. Der Gensd’arm entledigte sich dieser Aufträge mit seltener Geschicklichkeit. Er wurde nun Sergeant – dann Officier. Carretto’s Sturz im Jahre 1848 unterbrach seine Carriere für einen Moment. Es war damals sogar die Rede davon, ihn für gewisse Unregelmäßigkeiten in der Ausübung seiner Pflichten, z. B. Diebstahl, Fälschungen, Räubereien u. s. w., auf die Galeeren zu schicken.
Der Staatsstreich des 15. Mai rettete auch ihn. Der König machte ihn, zur Entschädigung für die ausgestandene Angst, zum Capitain und empfahl ihn Filangieri, der ihn nach und nach zum Chef der Polizei von Palermo machte. Er zeichnete sich in dieser Stellung durch seine nichtswürdigen Streiche so aus, daß der König mit ihm in directe Verbindung trat und ihn zum Generaldirektor der Polizei und im Ministerium des Innern ernannte.
Als solcher herrschte er durch seine Directoren, Commissarien und Inspectoren despotisch im ganzen Lande; vor seinen allmächtigen Befehlen beugten sich alle Präfecten, alle Civil- und Criminalgerichtshöfe; er stand über Allen und war nur dem Könige verantwortlich.
In Sicilien stand Maniscalco trotz seiner hohen amtlichen Stellung in größter Verachtung. Die alte Prinzessin von Montevago, die einzige Dame, welche in Palermo zu den neapolitanischen Behörden noch einige Beziehungen hatte, gab Ende des Carnevals 1859 einen Kinderball. Die ganze vornehme Gesellschaft von Palermo war in ihren Sälen versammelt. Da erschien plötzlich Maniscalco, der seine Kinder begleitete. Der Unwille und die Erbitterung war allgemein. Den Ball plötzlich zu verlassen, war schwierig. Was that man? Nicht ein Kind wollte mit den Kindern Maniscalco’s tanzen. Niemand sprach mit ihm selbst ein Wort. Wollte er mit Jemandem eine Conversation anknüpfen, wurde ihm sofort, ohne alle Antwort, der Rücken gedreht. Wuth im Herzen, verließ der Chef der Polizei den Saal.
Man muß die Exclusion und allmächtige Stellung der Polizei in Neapel und die Persönlichkeiten kennen, durch welche dieselbe ausgeübt worden ist; sonst ist es nicht möglich das zu begreifen, was ich schildern werde. Es sind so unmenschliche und entsetzliche Dinge, daß das Menschenherz zu seinem Troste sich immer wieder von Neuem sagt: Es ist nicht wahr; diese Entsetzlichkeiten können im Jahrhundert der Civilisation und der Humanität in Europa nicht stattgefunden haben. Und doch sind sie wahr! In Neapel, in Palermo, in Catanea, in Messina kann man sie sich auf jeder Straße erzählen lassen.
Während der letzten zehn Jahre ist die Tortur in Neapel und Sicilien von jedem Polizeicommissar in den Polizeigefängnissen selbstständig angewendet worden. Von der Anwendung des Stockes und der Peitsche spreche ich hier gar nicht, sondern nur von bestimmten Torturwerkzeugen. Als solche sind angewendet worden: Knotenstricke, welche, um den Kopf des Gefangenen herumgeschlungen, vermittelst eines Stockes so fest zusammen gedreht wurden, daß sie die Haut zerschnitten und den Unglücklichen die Augen aus den Augenhöhlen traten; ferner eiserne Stühle mit durchbrochenen Böden, unter denen sich Kohlenbecken mit glühenden Kohlen befanden, welche sich vermittelst eines Mechanismus auf und ab bewegten; sodann eiserne, spitze Nägel, welche im Feuer glühend gemacht und zwischen Fleisch und Nägel der Finger getrieben wurden. Einer von den Handlangern Maniscalco’s, der Kerkermeister Bruno, wandte alle diese Mittel gar nicht an. Er ließ den Gefangenen gänzlich entkleiden, und band ihm dann den Kopf zwischen die Beine. Ein Verwandter Maniscalco’s, Ludovico Maniscalco, gebrauchte als Torturmittel eiserne Ringe, welche vermittelst einer Feder sich immer enger zusammenschraubten und die Glieder des Gefangenen zusammenpreßten. In manchen Polizeigefängnissen von Neapel, Palermo und solchen Städten, welche am Meere lagen, wurde der Gefangene in einen [120] Sack gethan und in einer Barke auf das Meer gebracht. Dann tauchte man ihn in diesem Sacke so lange unter, bis er beinahe erstickt war. Das Experiment wurde so lange wiederholt, bis der Gefangene das Geständniß machte, welches man haben wollte.
In einigen Polizeigefängnissen von Catanea war es Brauch, die Geschlechtstheile des Gefangenen mittelst zweier Breter zusammenzupressen, welche sich durch einen Mechanismus näherten und dann wieder von einander entfernten. In dem Gefängniß des Polizeicommissars Carrega in Messina diente folgende Behandlung als Torturmittel: Der Verhaftete wurde mit den Händen an einen Pfeiler gebunden, mit den Füßen an einen andern, so daß er mit dem Körper freischwebend in der Luft hing. Ein Sbirre stieg dann auf ihn, und trampelte ihm mit den Füßen auf dem Leibe herum. „Singe“, sprach der daneben stehende Carrega, „singe.“
„Singe“ heißt soviel als „Gestehe“. Das Experiment wurde so oft wiederholt, bis der Unglückliche gestand. Die Nichtswürdigkeit lag hierbei besonders darin, daß Carrega nie bestimmte Fragen stellte. „Singe“ hieß soviel, als: Erzähle dein ganzes Leben, erzähle Alles, was du weißt, beschuldige deine Familie, deine Freunde, deine Nachbarn, beschuldige Menschen, die du nur dem Namen nach kennst; beschuldige sie so lange und so viel, wie der Scherge das Wort „Singe“ wiederholt. In den Zwischenpausen dieser entsetzlichen Marter erhielt der Unglückliche Stockschläge und Peitschenhiebe.
Ich werde nun eine Reihe von Thatsachen erzählen, in welcher Art und Weise die Torturmittel angewendet worden sind. Ich will, obschon mir eine Menge der verschiedensten Thatsachen zu Gebote stehen, nur diejenigen veröffentlichen, welche ich den Mittheilungen des Mr. Charles de la Varenne entnehme, weil, wie ich schon bemerkte, diese bereits Gegenstand einer durch die englische Regierung veranlaßten amtlichen Untersuchung gewesen sind und bei dieser eine amtliche Bestätigung gefunden haben.
Der Intendant der Gräfin von San Marco, Namens Salvatore la Licata wurde durch die Polizei seiner patriotischen Gesinnungen wegen verfolgt, und verbarg sich in dem Hause eines zuverlässigen Freundes im Städtchen Bagheria. Die Sbirren erhielten von seinem Aufenthalte Kenntniß, umzingelten das Haus und durchsuchten alle Räume desselben auf das Genaueste. Die Haussuchung blieb ohne Resultate. La Licata wurde in seinem Verstecke nicht entdeckt. Peitschenhiebe, Brutalitäten jeglicher Art konnten dem Eigenthümer des Hauses kein Geständniß entreißen. Da kam einer von den Sbirren, ein früherer begnadigter Meuchelmörder, auf eine teuflische Idee.
Man führte den Eigenthümer des Hauses, in dem la Licata versteckt sein sollte, auf die Straße. Dort, in Gegenwart des Mannes, fing man an, seine schöne und junge Frau zu entkleiden, und kündigte ihr an, daß sie so lange nackt auf der Straße stehen sollte, bis sie gestanden habe, wo La Licata sei. Die Scham, der Schrecken, die Erbitterung, welche sie auf dem Gesichte ihres Mannes las, je weiter die Sbirren sie entkleideten, bewog sie zu dem Geständniß. La Licata wurde dem Polizeicommissar überliefert!
Er wurde in das Polizeigefängniß geführt und in entsetzlicher Weise gemartert und gefoltert. In der Stadt verbreitete sich das Gerücht, er sei todt. Da begab sich der Generalprocurator Pasciuta, auf das Flehen seiner Verwandten, nach dem Gefängniß.
Man verweigert ihm den Eintritt, weil la Licata Gefangener der Polizei und nicht Gefangener der Justiz sei. Endlich gelingt es ihm dennoch, zu dem Gefangenen geführt zu werden. Derselbe lag auf einem Bette, erzählte ihm die Qualen, die er erduldet hatte, und zeigte ihm die Wunden, mit denen sein Körper an allen Stellen bedeckt war. Zwei Aerzte, welche hinzugezogen wurden, erklärten seinen Zustand für lebensgefährlich. Die Erbitterung führt den Generalprocurator über die Grenzen der Klugheit hinaus. Er nimmt ein Protokoll über den Zustand des Unglücklichen auf; aber die Polizei zwingt ihn, dasselbe wieder zu zerreißen.[3] Manisalco hatte einen Gensd’armerieofficier in seinen Diensten, einen gewissen Chininci, Sohn eines Bauern, früher Dieb von Profession. Diesen Chininci schickte er nach der Stadt Nicosia, um die Mörder eines gewissen Gorgone aufzuspüren, welcher, als Polizeibeamter in dieser Gegend stationirt, seiner entsetzlichen und wilden Excesse wegen von den Einwohnern getödtet worden war.
Chininci ließ auf die vagesten Verdachtsgründe hin dreißig Einwohner von Nicosia verhaften. Von diesen Dreißig wählte er zwei aus, Rosario Chimera und Pizzolo, und unterwarf sie der grausamsten Behandlung. Alle Torturwerkzeuge, Stockprügel, Peitschenhiebe, Hunger, Durst, Entziehung der Luft wurden bei ihnen in Anwendung gebracht. Sie konnten nichts gestehen, weil sie nichts wußten. Ein teuflischer Gedanke stieg in dem Kopfe des Polizisten auf. Chimera hatte eine schöne junge Frau von zweiundzwanzig Jahren. Sie wurde verhaftet, halb todt geprügelt, entkleidet, dann nackt auf eine Bank gebunden und so der Brutalität der Sbirren überliefert. In diesem Zustande blieb sie ohne jede Nahrung drei Tage. Endlich gestand sie, bereits halb todt, daß ihr Mann einmal gesagt habe, er habe die Absicht, den Gorgone zu tödten.
Jetzt begab sich Chininci wieder in das Gefängniß, wo Chimera und Pizzolo saßen. Er hielt ihnen das Geständniß der Frau vor. Trotzdem beharrten sie in ihrem Leugnen. Da wurde eine Art von Tortur bei ihnen angewandt, welche so obscön und scheußlich ist, daß ich sie nicht beschreiben kann. Endlich gestanden die Unglücklichen Alles, was das Ungeheuer haben wollte. Nun wurden sie nach Catanea vor den hohen Gerichtshof geführt. Dort leugneten sie und erzählten die furchtbaren Martern, welche ihnen ihr erstes Geständniß abgepreßt hatten. Eine Commission von Aerzten wurde eingesetzt, welche die traurige Wahrheit alles dessen bestätigte, was die Gefangenen angegeben hatten. Der Gerichtshof erklärte ihr erstes Geständniß für ungültig, ordnete eine neue Untersuchung an, welche er selbst führte, sprach sie frei und befahl, sie in Freiheit zu setzen. Trotzdem blieben die Unglücklichen im Gefängniß, auf ausdrücklichen Befehl Maniscalco’s, „con empara di polizia“ Das Erkenntniß des Gerichtshofes wurde am 20. December 1859 gesprochen. Beide Gefangene sind so lange im Gefängnisse geblieben, bis nach der Landung Garibaldi’s auf Sicilien die neapolitanischen Truppen Catanea verließen. Es war am 12. Juni 1860.[4]
Maniscalco wollte in Palermo einen gewissen Casimir Cusirnano verhaften, der wegen seines Patriotismus verdächtig war. Er entfloh. Darauf verhaftete man seine alte Mutter, seine Frau, seine Söhne und seine Töchter. Sie wurden in entsetzliche Gefängnisse gebracht, und bei allen ohne Ausnahme die Folter angewandt.
In Mezzo Morreata, einer Vorstadt Palermo’s, sollten verschiedene Personen verhaftet werden. Sie waren sämmtlich entflohen. Was that die Polizei? Um sie dadurch zu zwingen, sich selbst zu stellen, jagte sie ihre Familien aus den Häusern, welche sie bewohnten, verschloß die Häuser, ließ die Schlüssel auf das Bureau des Polizeicommissars bringen, und die Unglücklichen, Frauen, Kinder, Greise, blieben viele Tage und Nächte auf dem Pflaster liegen.
Im Villabate, nahe bei Palermo, entzog sich gleicherweise eine Anzahl von Grundbesitzern der Verhaftung durch die Flucht. Da legte die Polizei Sbirren und Gensd’armen bei ihnen ein, mit dem Befehl, zu thun, was ihnen beliebe. Die Gewaltthaten und Excesse, welche sie ausübten, nahmen bald derartig überhand, daß die Entflohenen sich selbst stellten, um die ihrigen der infamsten Behandlung zu entziehen.[5]
Zum Schluß der Mittheilung dieser entsetzlichen Details, welche ich, wenn ich wollte, noch auf mehrere Bogen ausdehnen könnte, will ich mich noch auf das Zeugniß mehrerer der ersten und achtungswerthesten Schriftsteller Italiens beziehen. Sie gehören sämmtlich der gemäßigt-constitutionellen Partei an. Nach diesen Zeugnissen wird mich Niemand mehr der Uebertreibung in der Darstellung beschuldigen.
Michael Amari schildert die Anwendung der Folter mit folgenden Worten: „Die willkürlichen Verhaftungen, welche ganz und gar dem Belieben eines Polizeicommissars oder eines Sbirren überlassen wurden, die Haussuchungen, die persönlichen Gewaltthätigkeiten, die Beschimpfungen, welche sich die niedrigsten und verächtlichsten Sbirren erlaubten, was sind alle diese Verbrechen im Vergleich mit den Stockprügeln, mit den Peitschenhieben und mit der Tortur! – Auf den Polizeicommissariaten, in den Gensd’armeriecasernen schlug man den Gefangenen, der nur irgend Miene machte zu leugnen, oder der den geringsten Widerstand wagte, mit der Peitsche; man hing ihn an den Armen auf, man preßte ihm den [121] Kopf mit Knotenstricken zusammen, und öfter noch wandte man die Tortur in einer entsetzlichen Weise an. Das Tragen von Waffen wurde durch öffentliche Stockschläge von der Hand des Henkers bestraft. Die Polizeicommissarien wandten diese Strafen ganz nach ihrem Gutdünken an. Endlich der heimliche Meuchelmord! Auf dem Polizeicommissariat von San Domenico fand man in den ersten Tagen der Revolution Skelette, Hirnschädel und Reste von Leichnamen, welche bereits in Verwesung übergegangen waren.“ –
„Die Verhaftungen fanden mit der größten Willkür statt, ebenso wie die Verurtheilungen mit der offenbarsten Ungerechtigkeit geschahen. Die Verhafteten wurden Monate und Jahre lang in schrecklichen Gefängnissen und in mörderischen Kerkern gefangen gehalten, und nur, wenn es der Polizei gefiel, wurden sie provisorisch in Freiheit gesetzt oder ohne irgend ein richterlichen Urtheil in die Bagno’s und in die Strafarbeitshäuser gesteckt, um dort in langsamer und schrecklicher Weise den Tod zu finden. Die Polizei stand über jedem Tribunal; keine Behörde konnte und durfte sich ihren Befehlen widersetzen, keine von ihr für ihre Handlungen der Willkür und Grausamkeit Rechenschaft verlangen. So respectirte die Regierung König Ferdinands das Leben und die Freiheit der Bürger. Um ähnliche Zustände zu finden, müßte man über das Mittelalter hinaus bis in die Zeiten eines Nero oder Tiberius zurückgehen.“[6]
Solchen Thatsachen und solchen Beweisen gegenüber kann man doch nicht von Uebertreibung sprechen, wenn das mehrmals von mir erwähnte Manifest der Völker Siciliens mit den Worten schließt: „Wenn wir gezwungen sind, nur noch wenige Jahre unter dieser Regierung weiter zu existiren, so wird das Königreich Neapel eine Wildniß werden, in welcher nicht Bürger, sondern Wilde leben, und Reisende werden weit herkommen, um sie anzustaunen, wie eine seltene Merkwürdigkeit.“ Gust. Rasch.
Die Stadt, welche mit der Schillerfeier in Deutschland vorangegangen ist, hat jetzt auch das erste Beispiel eines regelmäßig wiederkehrenden Jahresfestes am Geburtstage Lessing’s, des großen Bewegers von Deutschland, aufgestellt.
Dieses Beispiel fordert zur Nachahmung auf. Möge es an derselben nicht fehlen! Lessing’s Wirken, seine Gestalt und seine Werke, seinen erhabenen Charakter, seinen freudigen Kampfesmuth, seine begeisterte Wahrheitsliebe und Wahrheitsforschung, sein unerschütterliches Ausharren im Kampfe um die höchsten geistigen Güter der Menschheit unserm Volke, das diesen seinen Helden noch weit nicht genugsam kennt, immer näher und näher zu bringen, dazu sind solche Erinnerungsfeste ein unschätzbares Mittel. Mögen sich alljährlich einmal in allen Städten deutschen Landes Männer und Frauen versammeln am Geburtstage des Dichters, der uns den Nathan gedichtet, um sich und andere daran zu erinnern was wir alle diesem Helden des Lichtes und der Wahrheit verdanken. Denn Lessing vor allen muß jetzt unser Führer und Vorbild sein in dem neuentbrannten Kampfe des Lichts wider seine Verdunkler von heute. Und in seinem Zeichen werden wir siegen!
- Hochverehrte Versammlung!
Als wenige Monate nach der verhängnißvollen Schlacht von Jena der große Historiker Johannes Müller in der Hauptstadt des niedergeworfenen und gedemüthigten Preußenlandes die Gedächtnißfeierrede auf Friedrich den Großen, auf den einzigen Mann hielt, an dessen Erinnerung sich der Muth der Schwergebeugten wieder aufzurichten hoffen konnte, da pries er die Sitte, jährlich das Andenken unsrer großen Männer zu erneuern, mit folgenden Worten: „Wenn, mit jedem Jahre neuer Prüfung unterworfen, der Glanz ihres Verdienstes durch keinen äußeren Wechsel, nicht durch den Ablauf mehrerer Jahrhunderte gemindert wird; wenn ihr Name hinreicht, ihrem Volke einen Rang unter den Nationen zu behaupten; wenn immer neu, niemals zum Ueberdruß eine solche Lobrede keiner Künste bedarf, um die Theilnahme großer Seelen zu wecken und die Schwachen tröstend aufrecht zu halten, die im Begriffe sind sich selbst aufzugeben: dann ist die Weihe vollbracht! Ein solcher Mann gehört dann – nicht mehr einem gewissen Lande, einem einzelnen Volke, – er gehört der ganzen Menschheit an, die so edler Vorbilder bedarf, um ihre Würde aufrecht zu erhalten.“
Diese Worte, – auf wen können sie mit größerem Rechte angewendet werden, als auf den großen Deutschen, dessen Erinnerungsfest wir heute an seinem Geburtstage begehen? Von wem können sie mit vollerer Wahrheit gesagt werden, als von dem Manne, dessen Name in der That schon hinreicht, unsrem Volke seinen Rang unter Europa’s Culturnationen zu behaupten? Von dem Manne, dessen Lobredner in Wahrheit keiner Künste bedarf, um die Theilnahme starker, großempfindender Seelen zu erwecken, und die Schwachen und Verzagenden von heute tröstend aufzurichten durch den Hinweis auf sein kampferfülltes, mit Ruhm und Dornen gleichmäßig gekröntes Heldenleben? Von dem Manne endlich, der schon lange nicht mehr blos seinem Volke, sondern der ganzen Menschheit angehört, von Gotthold Ephraim Lessing, der da vor uns steht als –
Das echte Abbild von der Menschheit Adel,
Der treuste Ritter aller Geisteswahrheit,
Ihr Spiegelbild Er Selbst in Sonnenklarheit,
Der Freiheitskämpfer ohne Furcht und Tadel!
Jene Sitte, das Andenken großer Männer durch Jahresfeste zu erneuern, ist jetzt in unserem Volke von den irdischen Königen auch, und mit vollstem Rechte, ausgedehnt worden auf unsere Könige im Reiche des Geistes, auf die großen deutschen Geistesfürsten des achtzehnten Jahrhunderts, diese wahren und echten „Herrscher von Gottes Gnaden.“ Mehr und mehr fühlt sich unsere Zeit von einem tiefen, halb unbewußten Drange getrieben, das berüchtigte Wort von der „Umkehr“ des Geistes und der Wissenschaft auch ihrerseits anzuwenden und zu einer Wahrheit zu machen, das heißt: um und zurückzukehren zu den erhabenen und leuchtenden Gestalten unsrer großen Geisteshelden des verflossenen Jahrhunderts, und aus der vertieftern Erkenntniß ihres Lebens und Strebens, aus dem erfrischenden Born ihrer unsterblichen Freiheitsgedanken Erhebung und Stärkung in schwüler, dumpfer Gegenwart, Vertrauen auf den Genius unserer Nation und Hoffnung auf den endlichen Sieg der Idee, auf den Sieg der Humanität, der Freiheit, Schönheit und Wahrheit zu schöpfen. Solch eine „Umkehr“, die ein Fortschritt zugleich ist, ist auch die Umkehr zu Lessing!
Jemehr ein anderer Hang und Zug unserer Zeit unwidersprechlich als ein Hang zu rohem Materialismus bezeichnet werden muß, je mehr die sich am meisten auf die Oberfläche des Zeitstroms drängende Thätigkeit und das vorwiegende Interesse einer großen Anzahl unserer Zeitgenossen – unbekümmert um die edelsten Güter der Menschheit, auf das Sinnliche und Materielle, auf Gewinn, Vergnügen und eitlen Glanz gerichtet erscheint: um so nothwendiger bedarf unsere Zeit „zur Aufrechthaltung ihrer Würde“ des immer erneuten Hinweises auf jene erhabenen Vorbilder, bedarf sie der Katharsis, der sittlichen Reinigung ihrer niedern Leidenschaften und Triebe durch die immer erneute Aufstellung jener edlen und erhabenen Menschheitsziele, für welche die großen deutschen Geisteshelden des achtzehnten Jahrhunderts, deren verpflichtete Epigonen wir sind, gekämpft und gelitten haben. Denn diese Helden sind es, welche Ernst gemacht haben mit jenem heiligen [122] Gebote, das da lautet: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das Andere Alles zu Theil werden!“ – Dieses „Reich Gottes“ aber ist kein anderes als das Reich der Humanitätsidee, der Bildung zu Freiheit, Schönheit und Wahrheit. Und ein Prophet, ein sieghafter König und Mehrer dieses Reichs Gottes auf Erden, ist uns der Mann, der heute vor hundertzweiunddreißig Jahren unserem Volke und der ganzen Menschheit geboren ward, ist Gotthold Ephraim Lessing, dessen Geburtsfest wir heute in der Stadt, welche die ersten Blüthen seines Geistes sich erschließen sah, in feierlicher Bewegung festlich begehen.
Ja, feierlich bewegt im innersten Herzen muß sich jeder Deutsche empfinden, der heute zurückblickt auf das, was Deutschland und die deutsche Cultur waren in der Zeit, als in der ärmsten der Sechsstädte jener kleinen Provinz, an die für ewig der unsterbliche Name Lessing’s geknüpft ist, in dem armseligen Pfarrhause zu Camenz der Erneuerer des deutschen Geisteslebens geboren ward!
Der Beginn des achtzehnten Jahrhunderts fand in Deutschland ein Volk vor, dem seine große geschichtliche Vergangenheit und das Bewußtsein nationalen Zusammenhangs fremd geworden, dem jede Kraft eines starken Gemeingefühls abhanden gekommen, dem jeder Zusammenhang mit seiner früheren selbstständigen Cultur und damit jedes selbstbewußte Gefühl des eignen Werthes verloren gegangen war. Durch einen dreißigjährigen Religionskrieg waren Wohlstand und Bildung um Jahrhunderte zurückgeworfen worden. Getheilt in unzählige Territorien, belastet von dem Joche eines despotischen Fürsten- und Beamtenregiments, dessen Unkraut auf der wüsten Kriegesbrandstätte wuchernd aufgeschossen war, erscheint das deutsche Volk jener Zeit – verlustig seines einstigen großen historischen Charakters und seiner alten Kernhaftigkeit, verlustig seiner früheren eigenartigen Cultur und Literatur – als ein Volk von Philistern, beschränkt in seinem Leben, verknöchert in seinen Ansichten und Begriffen, verkommen in seiner Literatur wie in seinem ganzen Dasein, auf geistigem Gebiete ebensowenig wie auf dem politischen mitzählend unter den Culturnationen Europas. Spielball und Affe zugleich des Auslandes, ward es gering geachtet, ja verachtet selbst von denjenigen, die es als seine Muster und Vorbilder blind bewunderte und verehrte. Ob ein Deutscher Geist haben könne? war eine Frage, die jenseit des Rheins noch mit entschiedenem Nein! beantwortet wurde, als Lessing bereits in Leipzig seine ersten Flügelschläge versuchte. Der größte König des Jahrhunderts, Preußens Friedrich II., fand keine Literatur in seiner Nation vor, an der sich seine geniale Jugend hätte erwärmen mögen. Denn was konnte ihm eine Literatur bieten, in welcher die „Dichtungen“ eines Gottsched und seiner Jünger als Meisterwerke galten, und eine Sprache, die in ihrer kanzleitrocknen Steifheit und Pedanterie, lächerlich aufgeschnörkelt mit lateinischen und französischen Brocken, nur ein Bild der Verzerrung und des Ungeschmacks darbot? War es zu verwundern, daß seine Jugend sich abwandte von dieser Literatur und dieser Sprache, den Erzeugnissen eines verkommenen und in sich verknöcherten Daseins, in welchem alles ursprünglich eigne Leben erstorben war, wo auf allen Lebensgebieten hergebrachte, theils veraltete, theils fremde Formen despotisch herrschten, jeden lebendigen Trieb und Keim in der Geburt erstickend und dem ganzen Dasein der Nation das uniforme Gepräge eines langweiligen, bezopften und bepuderten Philisterthums aufdrückend?
Und nun – blicken wir aus jenen Tagen, wo der Studiosus Lessing in den Mauern dieser Stadt weilte, nur fünfzig[WS 1] Jahre vorwärts, und wir sehen diese klägliche Gestalt des deutschen Geisteslebens wie mit einem Zauberschlage geändert. Eine Revolution war vollbracht worden in diesem deutschen Geistesleben, wie die Welt kaum eine zweite gesehen, und beispiellos wie sein Fall war auch die Erhebung des deutschen Geistes. Noch war das letzte Jahr des achtzehnten Jahrhunderts nicht abgelaufen, da zählte das verachtete Deutschland bereits wieder geistig mit unter den Culturnationen Europa’s; da hatte es die Fesseln der geistigen Fremdherrschaft zerbrochen, hatte es aus ureignem Geiste eine neue Nationalliteratur und in den Werken derselben eine Sprache geschaffen, welche, an Adel und Würde und Vielseitigkeit des Ausdrucks keiner andern nachstehend, an Bildungsfähigkeit und Schmiegsamkeit im Wiedergeben fremder Geisteserzeugnisse allen voran stand; hatte es endlich seine gesammte Denkart emporgehoben zu den Idealen freier und schöner Humanität und im Gebiete des Gedankens mit kühnem Fluge eine Höhe der Freiheit erreicht, zu der noch heute die andern Nationen verehrend emporblicken.
Ja, eine Revolution war vollbracht worden in dem deutschen Geistesleben, und an der Spitze dieser glorreichsten aller Revolutionen steht Lessing da, Lessing, „das Revolutionsgenie“, wie ihn der Geschichtsschreiber der deutschen Nationalliteratur genannt hat; Lessing, der Pfadfinder des Geistes, der durch das wuchernde Gestrüpp und Schlingkraut dessen, was damals deutsche Literatur und Dichtung hieß, mit scharfer Sichel nach allen Seiten freie Pfade öffnete und die Merk- und Richtsteine setzte für die nach ihm Kommenden; der den Despotismus der französischen Geschmacksregel niederwarf und die ewigen Gesetze der Natur und Wahrheit an ihre Stelle setzte; der den Deutschen das Alterthum und Shakespeare erschloß und ihnen die Wissenschaft vom Schönen – die Aesthetik – und die Wissenschaft der Erkenntniß des Wahren und Falschen – die Kritik – neu erschuf, und beide durch Schöpfungen erläuterte und bewährte, die noch heute die Freude Aller und der Stolz unserer Literatur sind; der endlich, wie durch Wort und Schrift, so durch Leben und Beispiel alle Pedanterie und unfruchtbare Schulgelehrtheit, alle Engherzigkeit und Philisterei, alle Unfreiheit und knechtische Gesinnung, alle religiöse Unduldsamkeit und theologischen Zelotismus, so wie alle Halbheit liberaler Vermittlung mit dem siegreichen Schwerte seines Geistes bekämpfte, und so auf allen Gebieten die Deutschen mit seiner starken Hand emporriß aus ihrer Schlaftrunkenheit und schlaffen Selbstgefälligkeit zum Bewußtsein ihrer schlummernden Kräfte und ihrer geschichtlichen Aufgabe. –
So steht Lessing an der Spitze der Epoche unserer geistigen Wiedergeburt, und sein Name ist es, nach dem sie für immer genannt werden wird. Und wenn das alte hellenische Wort wahr ist, das den schweren Anfang die Hälfte und mehr als die Hälfte des Ganzen nennt, so wird keine Geschichtsschreibung unseres nationalen Lebens Lessing jene Ehre versagen können. Wohl strahlen Goethe’s und Schiller’s Namen mit hellerem Glanze in der Geschichte des deutschen Geistes und der deutschen Literatur. Aber ohne Lessing, als dessen siegreiche Epigonen sie dastehen, – welche Kräfte hätten sie verschwenden müssen, um nur die Stätte zu gewinnen, die Lessing ihnen mit seiner Arbeit bereitet hatte! Sie waren die Glücklicheren, denen es beschieden war, in die noch frischen Furchen, die er mit scharfem Pfluge in dem verwilderten Boden aufgerissen hatte, die goldene Saat ihres Wirkens und Schaffens säen zu können! Daß aber diesen Heroen ein glückliches Geschick einen Lessing als Vorläufer sendete, der die Nation emporhob aus ihrer mehr als hundertjährigen Verdumpfung und Versunkenheit, das war zugleich das größte Glück, welches unserem Volke seit langen Zeiten widerfahren war. –
Der große Beweger seines Volkes hatte keinen ihm ebenbürtigen Bundes- und Arbeitsgenossen unter den literarischen Männern seiner Zeit, und es gab Stunden, wo das Bewußtsein seiner Vereinsamung schwer auf dem Starken lastete. Wohl aber hatte er einen solchen an dem großen Herrscher, dessen Name bisher in der Schilderung von Lessing’s Lebensgange und Schicksalen nur mit Schmerz von dem Biographen genannt worden ist, mit Schmerz darüber, daß der große preußische Friedrich den einzigen Mann nicht beachtete, nicht erkannte, der unter seinen Augen gleich große, ja größere Thaten vollführte, als er selbst auf der Höhe seines Thrones und an der Spitze seiner Heere; daß er es verschmähte, den Mann zu dem Seinen zu machen, den er allein von allen Herrschern Europa’s den Seinen zu nennen würdig gewesen wäre. Aber dennoch war Friedrich II., wenn auch ohne es zu wissen, ein geistiger Bundesgenosse und Mithelfer Lessing’s an dem Werke der Erweckung und Erhebung des deutschen Geistes. Lassen Sie mich bei dieser Betrachtung einige Augenblicke verweilen.
Die Männer, welche Ihrer Stadt diese Lessingfeier geschaffen haben – welche in allen Städten unseres Vaterlandes Nachahmung zu finden verdiente, haben mir, indem sie mich würdig achteten, bei dieser Feier den Manen des Unsterblichen die schwache Huldigung meines Wortes darzubringen, die höchste Ehre erzeigt, welche freie Männer allein einem freien Manne erweisen können; denn Ehre kommt jedem nur von Seinesgleichen. Und indem sie an mich, den preußischen Deutschen, diese Ehrenaufforderung ergehen ließen, schienen sie mir zugleich Anlaß und Berechtigung zu geben, den Namen des größten Preußenkönigs zusammenzurücken mit dem Namen des größten sächsischen Geisteshelden. Gestatten [123] Sie mir daher, anzudeuten, wie der große Sohn Preußens mit dem größeren Sohne Sachsens geistig Hand in Hand gegangen und ihm unbewußt ein Helfer geworden ist an seinem Lebenswerke.
Man faßt den großen Preußenkönig nicht nach seiner vollen Bedeutung auf, wenn man ihn nur als den Begründer der preußischen Staatsmacht und ihrer politischen Weltstellung, und daneben als einen aufgeklärten Regenten betrachtet. – Viel bedeutender steht er zunächst in der Geschichte unseres deutschen Volkes da, als Wiedererwecker der ersten Regungen deutschen Nationalbewußtseins, als die erste große Persönlichkeit, im Hinblick auf welche der Deutsche als solcher seit lange wieder einmal jenen edlen Stolz empfinden konnte, den Lessing in seinem Volke zu erwecken so unablässig beflissen gewesen ist.
Wir wissen aus Goethe’s biographischen Jugendbekenntnissen, wie „der Enthusiasmus für den offenbar über alle seine Zeitgenossen erhabenen Mann, der täglich bewies und darthat, was er vermöge,“ sich durch ganz Deutschland und selbst in den stillen, abgeschlossenen Kreisen des Frankfurter Lebens geltend machte, und wie in der alten Krönungsstadt der deutschen Kaiser die Begeisterung für diesen Empörer gegen Kaiser und Reich selbst Familien und Befreundete zu erbitterter Parteinahme auseinanderriß. So waren der Knabe Goethe und die nächsten Seinen, wie er in „Dichtung und Wahrheit“ sagt, „Fritzisch gesinnt“; „Fritzisch“, fährt Goethe fort, „nicht preußisch! denn was ging uns Preußen an? Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüther wirkte.“ – Und wie der Knabe Goethe die fliegenden Blätter der Siegeslieder auf die Thaten des großen Königs und die Spottlieder auf seine Feinde und Gegner eifrig abschrieb, so stand auch dem in Leipzig studirenden Jünglinge Goethe Friedrich II. noch immer über allen vorzüglichen Männern des Jahrhunderts. Selbst das Elend und die Gräuel, mit welchen der langjährige Krieg einen Theil Deutschlands so schwer heimsuchte, konnten diese Begeisterung nicht mindern. „Die Siege, die Großthaten, die Unglücksfälle, die Wiederherstellungen folgten auf einander, verschlangen sich, schienen sich aufzuheben; immer aber schwebte die Gestalt Friedrich’s, sein Name, sein Ruhm in Kurzem wieder oben“.[7] War es doch seit Jahrhunderten das erste Mal, daß ein deutscher König über auswärtige Feinde Siege erfocht, die das deutsche Nationalgefühl erwecken konnten! Es war ein Großes für diese Erweckung des deutschen Selbstgefühls, daß Friedrich die prahlerischen Franzosen, die übermüthigen Verächter alles Deutschen, bei Roßbach zum Hohn und Spott der Welt machte – zehn Jahre bevor Lessing ihrer geistigen Despotie über Deutschland ihr Roßbach angedeihen ließ – und daß sächsische Bauern auf der Siegesstätte der Preußen ein Denkmal errichteten. Daß er die räuberischen Erbfeinde Deutschlands demüthigte, daß er die barbarischen Horden Rußlands niederwarf, daß er, er allein, einer Welt in Waffen sieben Jahre lang, ungebeugt und letztlich siegreich, Trotz bot: das ließ viele Deutsche vergessen, was der Krieg Schreckliches über sie brachte. Das war es, was sie in dem Empörer wider Kaiser und Reich vielmehr nur den muthigen, aufstrebenden Helden sehen ließ, der über die niedergeworfenen Schranken des Hergebrachten hinweg dem instinctiven Drange seines Geistes nach freier Entfaltung seiner Kraft und eigener Gestaltung und Erfüllung seines Lebens und seiner Lebensaufgabe mit kühnem, auf sich selbst allein gestellten Muthe folgte. Das war es, was die Gemüther der Menschen jener Zeit unwillkürlich auf Friedrichs Seite zog; das war es, was die Tellheims, wie Lessing sie schildert, unter seine Fahnen trieb, und was den Sachsen Lessing hinzog zu dem Verwüster seines Vaterlandes. Das endlich war es, was einen Goethe aussprechen ließ: daß durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges der erste wahre und höhere, eigentliche Lebensgehalt in die deutsche Poesie und mit ihr in die lebendige Seele der Nation gekommen sei, und daß dadurch das protestantische Deutschland für seine Literatur einen Schatz gewonnen habe, welcher der Gegenpartei fehlte. Neben solchem Verdienste um die Erweckung des deutschen Nationalgefühles sind es weiter besonders zwei Gedanken, welche den großen Preußenkönig als den Vorläufer und Mitstreiter Lessing’s bezeichnen.
- „Ein Mensch, der die Wahrheit sucht und sie liebt, muß unter aller menschlichen Gesellschaft werth gehalten werden!“
Mit diesem herrlichen Ausspruche hatte Friedrich wie mit einem strahlenden Sonnenaufgange seinen Regierungsantritt und seine erste Regierungshandlung, die Zurückberufung des von seinem Regierungsvorgänger schimpflich vertriebenen Philosophen Wolf begleitet. Diese Werte enthalten den innersten Lebenskern des Princips der freien Selbstthätigkeit und der souveränen Berechtigung des nach Erkenntniß der Wahrheit strebenden Menschengeistes über die Welt des Gegebenen um ihn her.
Der zweite berühmte Ausspruch des großen Herrschers ist nur eine nothwendige Consequenz jenes ersten. Er lautete:
- „Alle Religionen müssen tolerirt und ein jeder muß nach seiner Façon selig werden.“
Mit diesen beiden Sätzen, die seine Macht in seinem Staate aufrecht erhielt, so lange sein klares Auge über Preußen wachte, tritt Friedrich ebenbürtig hin neben seinen größten Zeitgenossen, als dessen Vorläufer er damit auf dem Gebiete der Geistesfreiheit erscheint. Das Wort Friedrichs von der höchsten Werthachtung, welche unter aller menschlichen Gesellschaft dem muthigen Wahrheitforscher gebühre, dieses herrliche Wort, das unsere Zeit noch lange nicht eingelöst hat, ist es nicht gleichsam das Motto der Lessingschen Schriften zur Vertheidigung des Verfassers der Wolfenbüttelschen Fragmente gegen die Götze von damals, deren Saat eben jetzt wieder so wuchernd emporschießt? Und jenes andere Wort des großen Königs – ist es nicht, in unscheinbarer Form, der Grundgedanke des Nathan, des erhabensten Werkes, das Lessing seinem Volke und der Menschheit hinterlassen hat?
Es wird eine Zeit kommen, und sie ist nicht mehr allzuferne, in welcher man von Friedrich nur noch das wissen und preisen wird, was er im Sinne des größten deutschen Geistes seiner Zeit, als Lessing’s dienender Helfer gethan und gewirkt hat. Es wird eine Zeit kommen, wo all der blutige Ruhm der Schlachten und Kampfthaten des siebenjährigen von Bruderblut befleckten Krieges in dämmernden Schatten gehüllt und nur noch etwa einem Specialhistoriker bekannt sein wird. Aber die Heldenthaten des Geistes, welche Lessing, der Tapferste der Tapfern, für die Befreiung des menschlichen Geistes aus den Fesseln des Irrthums und der Intoleranz vollbracht hat, – sie werden nimmer vergessen werden. Nein! dieser Thaten Ruhm wird vielmehr nur immer höher steigen unter den Geschlechtern der redenden Menschen, in je weiteren Kreisen unseres Volkes diese Thaten gekannt und nach ihrem Werthe erkannt werden. Und ist es nicht jetzt schon die höchste Huldigung, welche dem Genius dargebracht werden kann, wenn schon heute gesagt werden darf, daß der höchste Ruhm des größten Königs seines Jahrhunderts darin besteht, daß er zu seinem Theile ein Mitstreiter Lessing’s gewesen ist? Fürwahr! es wird hinfort kein deutscher König mehr im Herzen und in der Geschichte des deutschen Volkes fortleben, der nicht sich würdig macht, daß dereinst von ihm gesagt werden könne, er habe sich und sein Thun erfüllt mit einem Hauche Lessingschen Geistes! –
Gleiches zieht das Gleiche an. War es ein Wunder, daß Lessing sich angezogen fühlte von Friedrich? Daß Er, der immer auf sich selbst Gestellte, Er, der Charakter im Vollsinn des Wortes, die Größe der charaktervollen Persönlichkeit des auf sich selbst gestellten Königs empfand? Aber auch Lessing, der Sachse, war, wie Goethe, der Frankfurter Patriziersohn, eben nur „Fritzisch“ gesinnt, nicht preußisch. Er, der keine Ader von Localpatriotismus besaß und anerkannte, wohl aber deutschen Patriotismus hegte, sich als Deutscher empfand in einer Zeit, wo deutscher Patriotismus seinen meisten Volksgenossen ein vollständig fremder Begriff war, – er, dessen Geburtsland der Krieg verwüstete, er trug sich während dieses Krieges hier in Leipzig mit dem Erfolge einer Ode auf den großen Preußenkönig. Er, der in Leipzig als Preußenfreund verdächtigt wurde, während er in Berlin als eingefleischter Sachse angesehen ward, – er sehnte sich von Leipzig fort nach Berlin, wo er (wie er seinem Freunde Gleim schrieb) „nicht länger nöthig haben werde, es seinen Bekannten ins Ohr zu sagen, daß der König von Preußen dennoch ein großer König sei.“ Er wußte wohl, warum er so fühlte und empfand. Er schrieb in sein Tagebuch: „Ich beneide alle jetzt regierenden Könige, den einzigen König von Preußen ausgenommen, der es einzig mit der That beweist: Königswürde sei eine glorreiche Sclaverei.“ Schon als Jüngling hatte er in Berlin den großen Regenten besungen, aber als einen solchen, „dem es ein Glück sein würde, wenn sein Volk [124] seiner schon werth wäre“. Das heißt mit andern Worten: wenn selbst ein so erleuchteter Despotismus für dasselbe entbehrlich wäre. Wem fällt nicht als Commentar hierzu das schwermüthige Bekenntniß des sterbenden Königs ein: „Ich bin es müde über Sclaven zu herrschen!“
So urtheilte Lessing über Friedrich, über den König, der ihn nicht kannte, nicht beachtete, und dessen Schwächen und Mängel er selbst schärfer als die meisten andern Zeitgenossen durchschaute, er, der mit seinem persönlichen Interesse das Opfer dieser Schwächen und Mängel wurde. Aber Lessing sah und ehrte in ihm den Helden und den Charakter, weil er selbst Beides, ein Held und ein Charakter, war.
Friedrich und Lessing, die Großen, waren groß, eben weil sie Charaktere waren. Denn der Charakter ist es, der den Menschen groß macht. Charakter nennen wir jenen Inbegriff von Grundsätzen des Handelns, der, durch immer neue Anwendung „im Strome der Welt“ ausgebildet und gewählt, stark genug ist, dem Wollen und Handeln des Menschen in jedem einzelnen Falle und siegreich gegen jeden Widerstand seine unerschütterlich feste Richtung zu geben. Durch den Charakter erst gewinnt der Mensch die innere Freiheit, gewinnt er die Würde des Bewußtseins, welche „Männerstolz vor Königsthronen“ verleiht, oder, wie Lessing es ausdrückt, die Würde, welche den freien Mann berechtigt, zu einem Könige zu sprechen: „Wenn auch mächtiger als ich, darfst du dich darum doch nicht besser dünken.“ Der Charakter ist die Basis und Voraussetzung aller Freiheit, auch der politischen. Das meinte Lessing, als er am Schlusse seiner Dramaturgie bitter klagend ausrief: „Ueber den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu schaffen, da wir Deutschen noch keine Nation sind! Ich rede nicht (fährt er fort) von der politischen Verfassung, sondern blos von dem sittlichen Charakter.“ Jenes kleine Wörtchen „blos“ ist bedeutungsvoll. Denn dies eine Wort drückt aus, daß der sittliche Charakter eben die Vorbedingung und Grundlage der wahrhaften Nationalität und ihres Ausdrucks in einheitlicher und freier nationaler Verfassung und Selbstständigkeit ist.
Zu dieser Vorbedingung aber, uns Deutsche zu erziehen, ist Keiner so geeignet als derjenige Mann, der vor allen Deutschen, nicht blos seines Jahrhunderts, dasteht als das unübertroffene, ja unerreichte Musterbild eines Charakters. „Ein Charakter wie Lessing thäte uns noth“, – klagte der greise Goethe am Abende seines Lebens im Hinblick auf die von der romantischen Reaction niedergedrückte Nation; „aber wo ist jetzt noch ein solcher Charakter!“ Sagen wir Alles in Allem: Lessing ist der deutsche Charakter, wie er sein soll, und darum war er und ist er uns in einer sclavischen Zeit der Freiste der Freien. Darum war er in einer Zeit, wo es ein Deutschland noch nicht gab, – selbst ein literarisches noch nicht, das er erst schaffen sollte – ein Deutscher, würdig des Deutschlands und der Zeiten, die auch uns erst noch kommen sollen, und die da sicherlich kommen werden, wenn die Saaten, die Lessing gestreut hat, voll und ganz aufgegangen sein werden in den Herzen aller deutschen Volksgenossen!
In Lessing’s Charakter liegt das Geheimniß der Macht seines Wirkens, dessen Umfang ich hier nicht weiter zu schildern brauche, weil ihn an dieser Stätte die beiden Festredner des vorigen Jahres mit meisterhaften Zügen dargelegt haben[8]. Der Charakter ist es, der Lessing immer noch größer erscheinen läßt, als jedes, auch das größte seiner Werke. Sein Genie, seine Thaten sind uns unerreichbar. Aber seinem Charakter können und sollen wir nachstreben; seine erhabenen, in keinem Augenblicke seines Lebens verleugneten Grundsätze des Wollens und Handelns, seine feurige Wahrheitsliebe, seinen unerschütterlichen Wahrheitsmuth, seinen Muth nicht der kupplerischen halben, sondern der ganzen Wahrheit, die können und sollen wir uns zu eigen machen!
Man hat unsere Zeit wohl geringschätzend „eine Zeit der Epigonen“ genannt. Nehmen wir diese Bezeichnung an, aber erinnern wir uns, woher dieser Name stammt. Er bezeichnete einst in den hellenischen Heroenzeiten die Nachkommen der im rühmlichen Kampfe vor Theben gefallenen Helden, er bezeichnete jene tapferen Söhne, die sich an dem Heldenthume ihrer Väter zur Wiederaufnahme und Vollendung des Werks begeisterten, das ihre Väter unvollendet gelassen. Und diese „Epigonen“ waren es, welche die feste Burg des Kadmos eroberten. Wohlan denn! Unsere glorreichen Vorfahren, Lessing voran, haben uns die Rüstung und Waffen geschmiedet, mit denen allein die festen Burgen der Geistesknechtschaft, der Inhumanität und Intoleranz bezwungen werden können. Brauchen wir diese Rüstung, diese Waffen! Sammeln wir uns Alle, – alle Söhne Deutschlands – unter dem Paniere des Kampfes für die Geistesfreiheit, das uns Lessing’s unsterbliche Gestalt vorträgt! Und weil wir denn Epigonen sind, lassen Sie uns streben gleich jenen alten, werth unsrer Väter – siegreiche Epigonen zu sein! –
Unter den wesentlich verkannten und vorzugsweise mit Unrecht verfolgten Säugethieren stehen die Insectenfresser oben an. Meist kleine Säugethiere von unschönem, ja selbst häßlichem Aeußeren führen die in unseren Gegenden vorkommenden alle ein nächtliches, verborgenes Leben und erregen somit gegen sich alle jene Vorurtheile, welche Nachtthiere überhaupt erregen. Man sieht hieran so recht die Wahrheit des alten Sprüchwortes, daß die Nacht keines Menschen Freund sei. Was nur irgend in der Dunkelheit fleugt und kreucht, wird von dem Volksgefühle schon ohne weitere Untersuchung gehaßt und verabscheut, und es hält außerordentlich schwer, der Allgemeinheit die Ueberzeugung beizubringen, daß die Späher und Häscher, welche dem im Dunkeln schleichenden Verderber auf die Spur kommen wollen, auch den Gängen desselben nachspüren müssen und nicht am hellen Tageslichte ihrer Verfolgung obliegen können.
Fledermaus, Igel, Spitzmaus und Maulwurf sind die vier verschiedenen Gestalten, welche die Insectenfresser in unserer Zone repräsentiren. Ein Blick in den geöffneten Rachen eines dieser Thiere überzeugt uns unmittelbar, daß diese Thiere nur Fleischfresser sein können, noch fleischfressender, wenn man sich so ausdrücken darf, als Katzen und Hunde, die das System vorzugsweise Fleischfresser nennt. Die beiden Kiefer starren von Spitzen und geschärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne, bald weiter hinten über das Niveau der Kronzacken hervor; scharfe Pyramiden, den Spitzen einer aus zwei Reihen doppelt geschärften Säge ähnlich, wechseln mit Zahnformen, welche den Klingen der englischen Taschenmesser nicht unähnlich sind. Die ganze Einrichtung weist darauf hin, daß diese Zähne dazu bestimmt sind, selbst hartschalige Insecten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Diese Charaktere können nicht trügen; denn wie Brillat-Savarin, der berühmte französische Gastronom, den Satz aufstellen konnte: „Sage mir, was Du ißt, und ich sage Dir, was Du bist;“ so kann man auch von den Säugethieren sagen: „Zeige mir Deine Zähne, und ich, sage Dir, was Du ißt.“ Der Insectenfresser kaut und mahlt nicht mit seinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen werden nicht von oben her abgerieben, sondern nur geschärft durch das seitliche Ineinandergreifen der Zacken des Gebisses. Man nehme sich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer Ratte, mit demjenigen einer Fledermaus oder eines Maulwurfes zu vergleichen, und der unterscheidende Charakter Beider wird mit größter Bestimmtheit in die Augen springen. Das Gebiß einer Hufeisennase, zu den Maßen desjenigen eines [125] Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft schauderhaftes Zerstörungswerkzeug darstellen.
Die Gefräßigkeit aller dieser Thiere übertrifft meistens noch diejenigen der eigentlichen Fleischfresser, und man behauptet wenigstens von vielen derselben, daß sie täglich so viel Nahrung verzehren, als ihr eigenes Gewicht beträgt, was mir einigermaßen übertrieben vorkommt. Aber sie sind klein, unscheinbar und müssen ihre Beute meistens in denjenigen Thierkreisen suchen, wo des Menschen Feinde überwiegen. Kein Zweifel, daß es ihnen zuweilen gelingt, eine größere Beute zu erhaschen, daß der Maulwurf zuweilen einen Frosch unter die Erde hinabzieht oder der Igel ein auf dem Boden angebrachtes Nest mit jungen Vögeln aushebt. Allein das sind doch nur Ausnahmen, außerordentliche Feste, und im gewöhnlichen Leben müssen sie durch rastlose, unermüdliche Jagd nach Insecten, Schnecken und anderem Gewürm den Forderungen ihres unersättlichen Magens Genüge thun.
Die Fledermäuse stehen in der ersten Reihe. Was hat man nicht aus den unschuldigen Flatterern gemacht, die dem jüdischen Gesetzgeber schon für eine unreine und verfluchte Bestie galten und welchen die Griechen die Flügel ihrer Harpyien, die Christen diejenigen des Teufels entlehnten! Ein allgemeiner Schreck bemächtigt sich jeder Gesellschaft, in deren Nähe solch’ ein armes Thier sich verirrt, vielleicht angezogen durch den Lichtschimmer, bei welchem man in der Abendfrische eines heißen Sommerabends tafelt. Die Nähe schon gilt den Abergläubischen für ein böses Anzeichen, und die muthigen unter den Damen entschuldigen ihren Schreck mit der Behauptung, das Thier könne ihnen leicht in die Haare gerathen – freilich wohl ist das zu fürchten, wenn Insecten darin zu suchen sind.
Es ist wahr, sie sind weder schön, noch liebenswürdig, diese Flatterer der Nacht. Die nackten, schwärzlichen, dünnen Flügelhäute, die zwischen den verlängerten Fingern ausgespannt sind, wie der Taffet eines Regenschirmes zwischen seinen Stäben; die häßlichen Krallen an den Hinterfüßen; die mausfahle Farbe des Leibes; die nackten Anhänge, womit Nasen und Ohren oft auf die bizarreste Weise verunstaltet sind; das unheimliche Huschen und Flattern ohne bestimmte Richtung um Büsche und Bäume; das geräuschlose Erscheinen und Verschwinden in der Stille der Nacht, und selbst der scharfe, quiekende Schrei, den nicht alle Ohren vernehmen können, so bedeutend ist die Höhe des Tones – alle diese Eigenschaften sind nicht dazu angethan, die Liebe des Menschen dem Gethier zu erwerben.
Aber nicht umsonst haben wir eine Menge Arten dieser fliegenden Säugethiere in unserer Gegend; Arten, deren jede ihre eigene Lebens- und Flugweise hat. Die einen, wie die Hufeisennasen, die empfänglich gegen die Kälte sind, erscheinen spät und fliegen langsam und niedrig bei trockenem und heißem Weiter, während sie gerne in Höhlen und Ruinen den Tag verbringen; – die andern, wie die großohrige Fledermaus, ziehen Bäume, Wälder und Gebüsche vor; – die Bartfledermaus verfolgt lieber die Insecten, welche über den Gewässern schweben, während die Zwergfledermaus einer Schwalbe gleich die Lüfte durchschneidet und, wie die Speckmaus, die Wohnungen der Menschen und namentlich die warmen, schützenden Kamine allen übrigen Aufenthaltsorten vorzieht. Es scheint sogar, als ob aus ziemlicher Ferne her die Speckmäuse sich an gewissen Lieblingsorten sammelten, um dort klumpenweise an den Hinterfüßen, den Kopf nach unten hängend, ihren Winterschlaf durchzumachen. Vor einer Reihe von Jahren schon wurde im Schlosse Lucens bei Morges in dem Kamine eines Zimmers Feuer gemacht, das man seit Jahren nicht benutzt hatte. Das Feuer wollte nicht ziehen; die aus dürren Reisern und Sägespanen gemachte Flamme schlug mit dem Rauche zurück in das Zimmer. In dem Kamine erscholl seltsames feines Quieken, sonderbares Rascheln; einige Fledermäuse fielen halbverbrannt in die Lohe, andere flatterten ängstlich im Zimmer umher; draußen aber erhob sich aus dem Kamine endlich eine wahre Wolke von Fledermäusen, die in der Kälte ängstlich nach einem Zufluchtsorte suchten und so zahlreich waren, daß es schien, als hätten sich alle Fledermäuse des Cantons Waadt in dem Kamine von Lucens zu gemeinschaftlichem Winterschlafe Rendezvous gegeben.
Nur deshalb, weil sie zum Lieblingsaufenthalte Kamine wählt, trägt diese Art den Namen Speckmaus und den irrigen Ruf, als fresse sie dem Bauer den Speck und die Würste im Rauchkamine. Im Winter, wo Speck und Salzfleisch im Rauche hängen, hängt das im Winterschlafe erstarrte Thier friedlich daneben und fühlt weder Hunger, noch Durst. Mit den scharfen Hakenkrallen der Hinterfüße hat es sich irgendwo angeklammert, Kopf und Leib in den weiten Mantel der Flügel gehüllt, und so harrt es, vollkommen erstarrt und bewegungslos, der erwärmenden Sonne des Frühlings entgegen, die auch die Insectenwelt wieder zum Leben erweckt. Dann sucht es seine Nahrung, und ein Dutzend wohlgenährter Maikäfer ist nicht zu viel für eine Speckmaus oder 60 bis 70 Stubenfliegen für eine Ohrfledermaus zu einer einzigen Abendmahlzeit. Lasse man sie also ruhig gewähren, denn selbst in der Gefangenschaft nehmen sie nur lebende Insecten und höchstens ein Bischen Milch, und wer seine Stube oder Küche von Fliegen reinigen will, kann nicht besser thun, als Tags über ein Rothkehlchen und Nachts über eine Fledermaus zu halten. Im Freien aber sind die Fledermäuse die unersättlichen Kammerjäger, die sich mit Vertilgung der Mai- und Mistkäfer und namentlich jener schädlichen Nachtfalter beschäftigen, die als Spinner, Spanner, Wickler und Motten uns so empfindlichen Schaden zufügen. Der Ringelspinner, der Goldschwanz, die Obstglucke, deren Raupen unsere Bäume verwüsten und schon so manche reiche Obsternte vernichtet haben, sind Leckerbissen für diese harmlosen Thiere, die unseren Feinden nachstellen, während wir im süßen Schlummer von den Aepfeln und Birnen träumen können, deren Erhaltung sie uns sichern. Lasse man sich also nicht irre machen durch Erzählungen von Vampyren und ähnlichen gespenstischen Spukgestalten – in südlichen Gegenden mag es Fledermäuse geben, die Blut saugen und Vieh und Menschen bis zur Entkräftung abzapfen – wir leben aber nicht unter den Wendekreisen, und unsere einheimischen Arten dürsten nur nach dem kalten weißen Blute schwirrender Insecten, nicht nach dem warmen rothen Blute lebender Menschen. Auch saugen die Fledermäuse keine Milch aus den Eutern der Kühe und Ziegen, noch bringen sie, wie man an manchen Orten glaubt, den Kindern Läuse oder den Erwachsenen Krätze – sie werden freilich von eigenthümlichen Schmarotzerinsecten, sogenannten Lausfliegen, geplagt, die aber eben so wenig auf den Menschen übergehen, als die Tauben- oder Hühnerläuse, von welchen die Ställe dieser Vögel wimmeln.
Sowie die Fledermäuse unermüdliche Jäger über der Erde, so sind die Maulwürfe unermüdlich unter der Erde hinter Regenwürmern, Werren und Engerlingen drein. Das Thier ist zum Wühlen gebaut; der dicke, walzige Körper mit dem glatt anliegenden feinen Pelze; die spitz kegelförmige Schnauze mit dem langen, äußerst empfindlichen Rüssel, der durch einen Knochen besonders gestützt ist; die breiten, schaufelförmigen Grabfüße; das außerordentlich kleine, von Borsten umstellte und geschützte Auge und der Mangel eines äußeren Ohres – all’ diese Charaktere sind eben so viele Hülfen zum beständigen Leben und Graben unter der Erde. Aber es giebt auch Grabmäuse, die nicht minder gewaltig die Erde durchfurchen und die sich hauptsächlich von Wurzeln nähren. Besehen wir also das Zahnsystem. Vierundvierzig Zähne im Ganzen, alle schneidend und scharfspitzig, Eckzähne wie Dolchklingen, Backzähne wie Mauerkronen oder Sägeränder – sieht so das Gebiß eines Pflanzenfressers aus? Aber die fast allgemeine Ansicht der Gärtner und Landwirthe ist doch, daß der Maulwurf Wurzeln fresse, wenn es uns auch schwer begreiflich scheint, wie er mit seinen spitzigen, nur zum Reißen geeigneten Zähnen die Pflanzenfasern zermalmen soll. Volkesstimme – Gottesstimme; vielleicht frißt der Maulwurf doch Wurzeln trotz seines Fleischfresser-Gebisses; vielleicht bildet er allein eine Ausnahme in der Säugethierwelt? Was er gefressen hat, muß er im Magen haben. Sehen wir also im Magen nach. Halbverdaute Stücke von Regenwürmern; braune Hornstücke, die wir ohne Mühe für Kopfplatten, Kneipzangen und Beine von Engerlingen erkennen; Flügeldecken, Ringe, Füße und ähnliche unverdauliche Horntheile des Hautpanzers von Käfern, Werren, Tausendfüßen und Larven finden sich in dem Speisebrei; aber keine Pflanzenfaser, kein Blattgrün, kein Stückchen Rinde oder Holz, keine Spur von vegetabilischem Gewebe. Selbst mit dem Mikroskope gelingt es nur schwer, hie und da eine vegetabilische Zelle zu entdecken, die aus dem Darme der gefressenen Thiere stammt, deren Reste der Mageninhalt aufweist. Ich habe Dutzende von Maulwürfen secirt und niemals Pflanzenreste im Magen oder Darme gefunden.
Die Beobachtungen an gefangenen sind nicht minder überzeugend. Flourens, der jetzige Secretair der Akademie der Wissenschaften [126] in Paris, hatte behufs physiologischer Versuche zwei lebende Maulwürfe in ein Gefäß zusammengesperrt und ihnen in der Meinung, daß sie Pflanzenfresser seien, einige Wurzeln und Rüben zur Nahrung beigegeben. Des anderen Tages fand er von dem einen Maulwurfe nur den umgestülpten Balg; alles Uebrige war verzehrt, die Wurzeln dagegen nicht angerührt, obgleich der überlebende Maulwurf offenbar sehr unruhig und hungrig aussah. Flourens that einen lebenden Sperling mit ausgerupften Schwungfedern dazu. Der Maulwurf schnoberte an ihm herum, bekam einige Schnabelhiebe und wich 2–3mal zurück, stürzte sich dann blindlings auf den Vogel, riß ihm den Unterleib auf, erweiterte die Oeffnung mit den Tatzen und hatte in kurzer Zeit die Hälfte unter der Haut mit einer Art Wuth aufgefressen. Flourens stellte sodann ein Glas Wasser hinein, welches auswendig naß war; als es der Maulwurf bemerkte, stellte er sich aufrecht an das Glas, hielt sich mit den Vordertatzen an dem Rand und soff sehr viel mit großer Begierde; dann fraß er noch etwas vom Sperling, und war sodann völlig gesättigt. Es wurde ihm nun Fleisch und Wasser weggenommen; nach 6 Stunden war er aber schon wieder hungerig, höchst unruhig und schwach; der Rüssel schnüffelte beständig herum. Kaum kam ein neuer lebendiger Sperling hinein, so fuhr er auf ihn los und biß ihm wieder den Bauch auf, um zuerst zu den Eingeweiden zu kommen. Als er die Hälfte gefressen und gierig gesoffen hatte, so sah er wieder strotzend aus und war vollkommen ruhig. Den anderen Tag war das Uebrige aufgefressen bis auf den umgestülpten Balg, der Maulwurf aber schon wieder hungerig. Er fraß sogleich einen Frosch auf, und fing immer mit den Eingeweiden an. Als er des Nachmittags schon wieder hungerig war, bekam er eine Kröte. Sobald er an sie stieß, blähte sie sich auf, und er wendete wiederholt die Schnauze ab, als wenn er einen unüberwindlichen Ekel empfände; dann bekam er in der Nacht nichts als Wurzeln von Möhren, Kohl und Salat. Den andern Tag war er Hungers gestorben, ohne etwas angerührt zu haben. Wenn er mithin den Pflanzenwurzeln schädlich ist, so geschieht es, weil er Würmer, Insecten, besonders Larven daran, oder darin findet. Darauf wurden wieder drei Maulwürfe bloß zu Wurzeln und Blättern gesperrt; sie starben alle drei vor Hunger; mehrere dagegen, welche mit lebendigen Sperlingen und Fröschen, oder mit Rindfleisch, Regenwürmern, Kellerasseln, die sie besonders lieben, genährt wurden, lebten sehr lange.
„Ich habe ein Vierteljahr lang,“ fügt Oken diesem Auszuge aus Flourens’ Aufsatz bei, „einen Maulwurf in einer Kiste mit Sand gehabt, durch welchen er sich fast so schnell wühlte, wie ein Fisch durchs Wasser, die Schnauze voran, dann die Tatzen den Sand zur Seite werfend, die Hinterfüße nachschiebend. Ich stellte ihm auf Tellerchen Wasser und geschnittenes Fleisch hin, bald rohes, bald gekochtes, wie es zur Hand war. Er zeigte aber keineswegs eine besondere Gefräßigkeit. Brod und Pflanzenstoffe rührte er nicht an. Uebrigens befand er sich immer wohl, und schlüpfte fast unaufhörlich durch seinen Sand. Endlich bekam ich einen zweiten, den ich zu ihm setzte. Kaum bemerkten sie einander, so gingen sie auf einander los, packten sich mit den Kiefern und zerbissen sich Minuten lang mit einander. Darauf fing der Neuling an zu fliehen; der alte suchte ihn überall, indem er blitzschnell durch den Sand fuhr. Ich machte nun dem Neuling eine Art Nest zurecht in einem Zuckerglas, und stellte es während der Nacht in den Kasten. Den andern Morgen lag er todt im Sande, aber unversehrt. Er muß also von selbst aus dem Zuckerglas gekommen, und von dem andern todt gebissen worden sein, aber offenbar nicht aus Hunger, sondern aus bösartigem Naturell. Der schwache Unterkiefer war entzwei gebissen. Am andern Tag war auch der alte todt, nicht an einer Verwundung, sondern, wie es schien, an Ereiferung und Erschöpfung im Kampfe.“
So haben wir denn auf alle Weise die Bestätigung, daß der Maulwurf ein rein fleischfressendes Thier ist; daß er höchstens durch die Haufen, die er aufwirft, den Pflanzungen und namentlich den Wiesen schädlich werden kann; daß er ein unersättlicher Feind aller jener unterirdischen Thiere ist, die, wie z. B. Werren, Engerlinge und Würmer, die Wurzeln unserer Nutzpflanzen schädigen. Der Maulwurf ist ein grausames, bissiges, unverträgliches Thier, das mit allen lebenden Wesen, die ihm in den Weg kommen, und wären es seines Gleichen, auf Tod und Leben kämpft und das ganze Jahr hindurch in Thätigkeit auf seiner Jagd sich findet.
Die feste Burg, die der Maulwurf bewohnt, ist ein höchst eigenthümlicher kunstvoller Bau, der gewöhnlich an einem geschützten Orte unter einer Hecke, einer Mauer oder zwischen den Wurzeln eines Baumes ein bis drei Fuß unter dem Boden angelegt wird. In der Mitte befindet sich eine innen wohl geglättete Kammer von Flaschenform, die mit Moos und feinen Grashalmen ausgepolstert ist, welche der Maulwurf nächtlicher Weile an der Oberfläche holt. Die Kammer hat verschiedene Ausgänge; einen heberförmig gebogenen nach unten, der später horizontal wird und die gemeinschaftliche Laufröhre bildet, und drei kurze Röhren nach oben, welche in einen kreisförmigen Gang münden, der einige Zoll über der Kammerdecke ausgehöhlt ist. Aus diesem oberen Kreisgange führen 5 bis 6 schiefe Röhren in einen zweiten größeren Kreisgang, welcher die Kammer etwa in gleichem Niveau umgiebt. Aus dem größeren unteren Kreisgange strahlt nun manchmal ein Dutzend Röhren nach allen Seiten aus, die indessen nach kurzem Verlaufe umbiegen und alle in die gemeinschaftliche Laufröhre einmünden. So hat denn der Maulwurf in seiner Kammer Ausgänge nach allen Seiten, die ihm gestatten, nach jeder Richtung hin zu entfliehen, sobald irgendwo eine Gefahr droht. Die Laufröhre selbst ist ein weiter Gang, innen hart geschlagen und geglättet, der manchmal 100 bis 150 Schritte weit in horizontaler Richtung fortführt und an dessen Ende erst das eigentliche Jagdrevier des Maulwurfs beginnt, das sich durch die aufgeworfenen Haufen kennzeichnet. In der unmittelbaren Umgebung seines Nestes jagt der Maulwurf nie; dort hält er seine Ruhe nach beendigter Jagd und Mahlzeit. Wenigstens dreimal im Tage rennt er nach Beute aus, und wenn man einmal die Laufröhre selbst kennt, die sich meist durch gelindes Gelbwerden des Grases an der Oberfläche kenntlich macht, so kann man leicht das Ein- und Ausziehen des Maulwurfes und die große Geschwindigkeit, mit welcher er sich innerhalb der Laufröhre bewegt, auf die Weise beobachten, daß man dünne Strohhälmchen mit Fähnlein an den Enden in die Laufröhre hineinsticht, die dann durch ihre Bewegung das Fortschreiten des Maulwurfes kund thuen. Wehe der unglücklichen Maus oder Spitzmaus, die sich in eine solche Laufröhre verirrt – sie ist unrettbar verloren; wehe auch dem schwächeren Maulwurfe, dem der Herr des Ganges auf seinem Wege begegnet: er wird zur Bethätigung der Nächstenliebe nach hartem Kampfe gespeist, und wenn es das eigene Kind wäre.
An dem Ende der Laufröhre beginnt das Jagdrevier, aus unregelmäßigen Gängen bestehend, die während der Jagd selbst ausgehöhlt werden, indem der Maulwurf die Erde vor sich her stößt und von Zeit zu Zeit zu einem Haufen aufwirft. Bei jeder Jagd werden neue Gänge gegraben, neue Haufen aufgeworfen, und selten nur läßt sich ein Maulwurf zum zweiten Male in einem Jagdgange betreten. Die erfahrenen Maulwurfsfänger wissen dies sehr wohl und stellen deshalb ihre Fallen stets in der Laufröhre auf, durch welche der Maulwurf wenigstens sechs Mal im Tage auf seinen Jagdgängen hin und her passirt, freilich zur großen Verwunderung der Laien, welche die Fallen an Orten stehen sehen, in deren Nähe gar keine Haufen sich finden.
Die Familienbande fesseln den Maulwurf wenig – nichts desto weniger ist er ein wahrer Blaubart in Beziehung auf Eifersucht. Im Frühjahre streift er umher, ein Weibchen zu suchen, und bemächtigt sich seiner mit Gewalt. Naht ein Nebenbuhler, so wird das Weibchen schnell in einigen Gängen eingeschlossen, aus denen es nicht entweichen kann, und dann dem Störenfried muthig entgegen gegangen. Sobald sich die beiden Nebenbuhler treffen, entspinnt sich unter der Erde in einem schnell ausgewühlten Raume ein hitziger Kampf, der mit dem Tode oder der Flucht des Schwächeren endet. Aber treu dem leider so oft vernachlässigten Grundsatze, daß nur die Todten nicht wiederkehren, frißt auch der Sieger den Unterliegenden erst auf, bevor er zu dem harrenden Weibchen zurückkehrt. Nun wird an einem geschützten Orte ein warmes wohlgefüttertes Nest mit sternförmig ausstrahlenden Gängen angelegt, in welchem die Gatten sehr treu und friedlich mit einander hausen; die eheliche Zärtlichkeit soll sogar während des Honigmondes der Liebe so bedeutend sein, daß man Maulwurfsmännchen gefunden haben will, die in der Nähe des Ortes, wo das Weibchen gefangen wurde, an gebrochenem Herzen zu Grunde gegangen waren. Allzu heftige Leidenschaft dauert gewöhnlich nicht allzu lange. Sobald die nackten, unbeholfenen Jungen, die erst nach zwei Monaten etwa das Nest verlassen, geboren sind, scheint den Papa das Gequieke derselben [127] zu beunruhigen, so daß er bald die Familie verläßt und sein Hagestolzleben von neuem beginnt, bis im nächsten Frühjahre wieder die allmächtige Liebe ihn in die Arme einer anderen Gattin treibt.
Und nun, wo wir die Lebens- und Nahrungsweise des Maulwurfs kennen, ziemt es sich nun nicht zu untersuchen, ob dies Thier denn wirklich so schädlich sei, als man behauptet hat und als man nach den unaufhörlichen Nachstellungen, denen es ausgesetzt ist, glauben sollte? Es ist wahr, die Haufen, die der unermüdliche Wühler namentlich in den Wiesen aufwirft, entwurzeln einige Grashälmchen, die sich indessen schnell wieder in der feinzertheilten Erde festsetzen, und hindern, wenn man zugiebt, daß sie sich bewachsen, in sehr auffälligem und ärgerlichem Maße das Mähen der Wiesen. Auch in den Gärten sind die Haufen keine angenehme Erscheinung, und manches Pflänzchen wird in die Höhe gehoben und verdorrt, wenn der Gärtner nicht bei Zeiten da ist, um die Haufen niederzudrücken. Stehen aber diese Unannehmlichkeiten in irgend welchem Verhältnisse zu dem Schaden, welchen Engerlinge und Werren anzurichten im Stande sind? Sieht man nicht ganze Grasstrecken vollkommen verdorren und veröden, weil die Engerlinge sämmtliche Wurzeln des Rasens zerbissen haben, und liegt man nicht in verschiedenen Gärten in beständigem Kampfe mit diesen gefräßigen Feinden, die sogar Baumschulen und Rosenbeete verwüsten, indem sie fingerdicke Wurzeln vollständig zernagen? Eine geringe Ueberlegung zeigt uns, daß ein Maulwurf, der im Durchschnitte die Hälfte seines Gewichtes täglich an solchen Larven verzehrt, um seinen Hunger zu stillen, eine unendliche Menge dieses Gewürmes vertilgen muß, mehr als wir jemals vertilgen könnten. So gut als die englischen Gärtner den Widerwillen gegen die Kröten in Berücksichtigung des ungemeinen Nutzens dieser Thiere besiegt haben und sie jetzt als Jäger zur Vertilgung der Schnecken anstellen, so gut könnten wir auch die Maulwürfe als Kammerjäger anstellen und durch sie, die sich leicht wieder wegfangen lassen, während einiger Zeit im Frühjahre unsere Gärten und Wiesen von dem unterirdischen Geschmeiße reinigen lassen, das uns so vielen Schaden zufügt. Ich kenne Landwirthe, welche dieses Verfahren befolgt und sich dabei sehr wohl befunden haben, die gerne einige Groschen für einen lebenden Maulwurf zahlten, um ihn in ein Stück Land zu setzen, wo Werren oder Engerlinge ihnen Schaden zufügten, und sich die Mühe nicht verdrießen ließen, alltäglich seinen Haufen nachzugehen, sie niederzutreten oder auseinander zu rechen, und endlich den Maulwurf wieder herausfingen, sobald er seine Schuldigkeit gethan hatte. Ich kenne freilich zum Gegensatz auch noch ganze Länder, wo man von Amtswegen ein kleines Fanggeld für jeden gefangenen Maulwurf zahlt, und ich habe sogar von einem Gutsbesitzer gehört, der eine Art fanatische Wuth gegen die Maulwürfe entwickelte und eine unendliche Menge zusammenfangen ließ, aus deren Fellen er dann seinem Könige einen Pelz machen ließ, den er der Majestät verehrte in der festen Ueberzeugung, einen Verdienstorden für seine edlen Bestrebungen um die Landwirthschaft sich erworben zu haben. Kühler Dank für den die Haare lassenden Pelz und ein alles Maß überschreitender Engerlingfraß waren sein Lohn!
Die Spitzmäuse sind nahe Verwandte der Maulwürfe, nur nicht so exclusiv unterirdisch wie diese, aber eben so kühn, zänkisch, bissig und fleischfressend, eben so unermüdliche Jäger von Larven, Insecten, Würmern und jungen Mäusen, die sie mit unsäglichem Appetite vertilgen. Ihre unglückliche Ähnlichkeit mit den eigentlichen Mäusen, von denen sie sich durch die spitze Schnauze, das scharfe Gebiß, den nackten, kaum behaarten Schwanz und den durch eine seitliche Drüse bedingten Moschusgeruch auszeichnen, zieht ihnen leider dieselben Feinde zu, wie den Mäusen, obgleich einige derselben und namentlich die Katzen sie nur todt beißen, ohne sie zu fressen. Die Hausspitzmaus allein greift auch trockenes Fleisch und Milchspeisen an; alle übrigen jagen in Feld und Wald, in Gärten und Gebüschen, Ställen und Scheunen, die Wasserspitzmaus sogar im Wasser nach Krebsen, Fröschen und Fischen, vor allen aber nach Insecten und Würmern. Ueber eine Beute zanken sie sich oft mit grimmigen Bissen, was ich mehrmals beobachtet habe, verdienen aber gewiß Schonung und Pflege, da sie unmittelbar auf dem Boden und in der oberflächlichen Kruste dieselben Dienste leisten, wie der Maulwurf in größerer Tiefe.
Ihr Bisamgeruch ist wahrscheinlich schuld daran, daß der Volksaberglaube sie empfindlich verleumdet. Ihr Biß soll nicht allein den Menschen giftig sein, sondern auch den Pferden unheilbare Geschwüre an den Fesseln verursachen – lieber Himmel! ihre Zähne sind kaum stark genug, um die Haut eines Pferdes oder eines Menschen empfindlich zu verletzen. Ja selbst ihre Berührung soll giftig sein und die Hand mit dem Arme aufschwellen machen. Wenn dies wahr wäre, so müßte wahrlich mancher Naturforscher schon seinen Arm in der Schlinge getragen und Gift genug auf diese Weise eingesogen haben, um sich von allen Gegnern und Nebenbuhlern befreien zu können.
Auch den Igel erlaube ich mir noch ganz speciell Ihrer Fürsorge zu empfehlen, denn er ist ein harmloses, ruhiges und nützliches Thier, dem freilich unsere deutsche Legende in der bekannten Geschichte von dem Wettlaufe mit dem Hasen mehr List zuschreibt, als es wirklich besitzt. Sonderbarer Weise ist es den Naturforschern noch nicht gelungen, die Unterschiede, welche der deutsche Bauer bei dem Igel bemerkt haben will, und die er mit den Namen Schweinsigel und Hundsigel bezeichnet, in gehöriger Weise zu constatiren. Der Schweinsigel, der einen breiten Rüssel, etwa wie ein Schwein habe, sei eßbar, der Hundsigel dagegen nicht. Ich erinnere mich noch sehr wohl, daß mir die Bauern in der Wetterau in dem Geburtsdorfe meines Vaters, wo wir gewöhnlich die Ferien zubrachten, mit Abscheu von den Franzosen erzählten, sie hätten sogar Hundsigel am Spieße gebraten und mit großer Befriedigung verzehrt. Wir suchten damals alle Igel zusammen, deren wir habhaft werden konnten, um den Unterschied kennen zu lernen; der alte Bauer aber, der unser Orakel war, erklärte sie insgesammt für uneßbare Hundsigel und fügte endlich mit malitiösem Lächeln hinzu, daß die Schweinsigel wohl viel eher an anderen Orten, als im Felde, zu finden seien. Vielleicht, daß die Unterschiede sich nur auf das Alter oder das Geschlecht beziehen.
Ich nannte den Igel ein harmloses Thier, das Winters über in einem warmen Lager von Blättern und Moos unter Hecken oder Steinen schläft, im Sommer aber besonders gerne in Hecken und Zäunen, sonnigen Halden und Waldesrändern langsam nach Nahrung umherschleicht und vorzugsweise bei Nachtzeit auf seinen Raub ausgeht, während des Tages aber zusammengekugelt schläft. So sehr diese Eigenschaft des Zusammenkugelns, die durch einen großen Hautmuskel bedingt wird, den Igel vor seinen Feinden schützt, indem er ihnen überall die Stacheln entgegen kehrt, so sehr reizt sie Buben und Erwachsene, an ihm ihren Muthwillen zu üben. Man wirft ihn ins Wasser, kitzelt ihn mit Halmen und Dornen, um ihn zum Aufrollen zu bewegen, und tödtet ihn endlich, meist im Aerger über die Vergeblichkeit dieser Ursache. Um dann diese Grausamkeiten zu entschuldigen, hat man ihm eine Menge abenteuerlicher Dinge aufgebürdet, zu welchen er meist sogar gänzlich unfähig ist. Es ist wahr, daß er weniger exclusiv fleischfressend ist, als Fledermaus und Maulwurf, und daß er auch zuweilen Früchte nascht, die von den Bäumen herunterfallen, oder in einem Milchkeller Butter und Käse sich schmecken läßt. Aber daß er auf Obstbäume hinaufklettere, sie schüttele, dann sich in den Früchten wälze und sie, auf die Stacheln gespießt, seinen Jungen nach Hause schleppe, ist eine Fabel, wie so viele andere. Der Igel kann weder klettern, noch seine Stacheln anders benutzen, als zur passiven Vertheidigung, indem er sie emporsträubt.
Seine Hauptnahrung sind Insecten, Ackerschnecken, Käfer, Engerlinge, die er schnoppernd aufspürt und mit Nase und Krallen aus der Erde hervorgräbt, alle Arten von Gewürm, ganz besonders aber Mäuse. Hätte der Igel nicht einen so unangenehmen Geruch und wäre seine Jagd nicht so geräuschvoll, tolpatschig, so daß er damit die übrigen Hausbewohner im Schlafe weckt, so würde man ihn gewiß den Katzen als Kammerjäger vorziehen. Denn was ihm an Gewandtheit und Schnelligkeit abgeht, ersetzt er durch List und Geduld, und sein geräuschvolles Umherklappern verscheucht noch viel mehr Mäuse, als von ihm vertilgt werden. In Scheunen und Ställen, wo man seine Unannehmlichkeiten nicht zu fürchten braucht, wird er deshalb stets ein nützliches Hausthier sein.
Vor allen Dingen aber empfehle ich Ihnen den Igel als ein thierischen Giften gegenüber gewissermaßen gefeites Thier. Ich behaupte dieses nicht der Volkssage nach, sondern nach Beobachtungen und Untersuchungen bekannter Naturforscher. Pallas, ein wohlbekannter Zoolog, der uns namentlich die Thiere des russischen Reiches kennen lehrte, wie keiner vor oder nach ihm, Pallas sah einen Igel ganze Mahlzeiten nur von spanischen [128] Fliegen halten, die wir bekanntlich zur Anfertigung unserer Blasenpflaster benutzen und die eben dieser ätzenden Eigenschaft wegen von keinem anderen Thiere gefressen werden. Lenz in Schnepfenthal stellte Versuche über sein Verhalten zu den giftigen Vipern an, von welchen ich einen aushebe.
Lenz hatte in einer großen Kiste ein Igelweibchen, das seine Jungen säugte. Er that eine große, kräftige Kreuzotter hinzu, welche sich in der entgegengesetzten Ecke zusammenknäuelte. Der Igel näherte sich langsam, beschnüffelte die Schlange, fuhr aber anfangs zurück, als diese sich aufrichtete und gegen ihn züngelte. Als er sich abermals unbedachtsam näherte, erhielt er einen Biß in die Schnauze, der ein Tröpfchen Blut hervorlockte, er wich zurück, beleckie sich die Wunde, drang wieder vor, erhielt einen zweiten Biß in die Zunge, ließ sich aber nicht irre machen und rückte der Schlange auf den Leib. Beide Gegner wurden nun zornig; der Igel pfauchte, schüttelte sich, die Schlange ihrerseits schleuderte Biß auf Biß und verwundete ebensowohl mehrfach den Igel, als sich selbst an seinen Stacheln. Plötzlich packte der Igel ihren Kopf, zermalmte ihn und verzehrte sodann ohne weitere Gemüthsbewegung die vordere Hälfte der Schlange, worauf er ruhig zu seinen Jungen zurückkehrte, um dieselben zu säugen, und am anderen Morgen den Rest der Schlange verzehrte. Dieselben Versuche wurden mehrfach mit demselben Erfolge wiederholt: weder der Igel, noch die Jungen kränkelten einen Augenblick. Ein neuerer Beobachter, Linck in Blaubeuren, drückt sich folgendermaßen aus: „Es ist in der That überraschend, mit welcher Gleichgültigkeit der Igel in der Hitze des Kampfes die Bisse der Kreuzotter hinnimmt, die er, ihm zum leckern Mahle, abzuschlachten bemüht ist. Daß er übrigens von den Bissen gar nicht litte, kann ich nicht bestätigen. Von einer frisch gefangenen Kreuzotter zweimal blutwund gebissen, kränkelte mir ein sehr kräftiges Thier dieser Art mehrere Tage lang. Ich bin jedoch überzeugt, daß ein Hund, vielleicht sogar ein Mensch, den beiden Wunden erlegen wäre.“
Ob indessen diese Giftfestigkeit soweit geht, daß ein Igel, wie Oken behauptet, ungestraft Blausäure, Arsenik, Opium und Sublimat fressen könne, wollen wir einstweilen noch dahin gestellt sein lassen und uns begnügen, die Physiologen aufzufordern, herüber Versuche anzustellen. Bedenken wir aber, daß der Igel sich gerne namentlich an solchen Orten aufhält, wo auch die Kreuzottern sich gefallen, so dürften schon die bis jetzt wohl constatirten Eigenschaften hinreichen, zu seiner Schonung und Pflege dringlichst aufzufordern und ihm ein Plätzchen unter denjenigen Thieren einzuräumen, die Jedermann, wie die Hausschwalbe, achtet und schützt.
New-Yorker Lehren. Die folgende Stelle aus dem Briefe eines jungen Mannes, auf dessen Wahrheitsliebe ich vertrauen darf, verdient vielleicht in weiteren Kreisen bekannt zu werden, da sie eine vortreffliche Lehre für alle die Tausende enthält, welche in Nordamerika eine neue Heimath gründen wollen. Es sei nur noch bemerkt, daß der Schreiber ein junger Mann von ungewöhnlich angenehmem Aeußeren war.
„Ich kam nach einer glücklichen Fahrt im Hafen von New-York an. Auf dem Schiffe hatte ich unter den Mitreisenden manche angenehme Bekanntschaft gemacht, aber seit wir das Land zu Gesicht bekommen, war Jeder mit den Anstalten zur Ausschiffung so vollständig beschäftigt, daß an ein gegenseitiges Antheilnehmen nicht mehr zu denken, und der Einzelne ganz auf sich angewiesen war. Zum ersten Male fühlte ich mich unter der großen Menschenzahl sehr einsam, aber ich folgte dem Beispiele der Andern, ließ mir mein Gepäck aushändigen, stellte es zusammen und mich als Wächter daneben.
Endlich waren wir an dem Landungsplatze angelangt, und der Menschenstrom ergoß sich über die Brücke auf den festen Boden. Auch ich ließ mich mit fortschieben und stand nun mutterseelenallein in dem fremden Lande, in einem Gewühl von lauter fremden Menschen, die nur gleichgültige, flüchtige Blicke auf mich warfen. Fürwahr, ich glaube, in menschenleerer Wüste wäre ich mir nicht so einsam vorgekommen! – Aber was sollte ich dem unangenehmen Gefühle nachhängen? Die nächste Sorge war, ein Unterkommen zu finden; ein Hotel am Broadway war mir zwar durch R. empfohlen, aber wie mich dahin finden? Ich sah mich nach einem Führer und Träger meiner Sachen um, und zufällig fielen meine Blicke auf einen müßig dastehenden Mann, der mich mit einiger Theilnahme zu betrachten schien und dessen Aussehen mein Vertrauen erweckte. „Wollen Sie meine Sachen nach –Hotel tragen?“ fragte ich ihn. – „Gern!“ war die Antwort. Er hob meinen nicht gar schweren Reisekoffer auf die Schulter, nahm den Reisesack in die Hand und ging voraus. Unterwegs fragte er, aus welcher Gegend von Deutschland ich komme, wie lange ich in New-York zu bleiben gedenke, und ob ich schon einen Plan für meine Zukunft entworfen habe. Es that mir wohl, ihm über Alles ausführlich Bericht zu geben, und auch meinen Namen nannte ich ihm. So war ich ihm herzlich gut geworden für seine Theilnahme, als wir in dem Hotel ankamen; er trug meine Sachen bis auf das angewiesene Zimmer, und ich drückte ihm eine Belohnung in die Hand, die ihm seinen Dienst, wie ich glaube, mehr als hinreichend vergalt. Er besah das Geldstück und sagte dann mit einer Unverschämtheit, deren ich ihn vor einer Secunde noch gar nicht fähig gehalten hätte: „Mein Herr, Sie werden mir fünf Dollars für meine Mühe geben.“ Als ich ihn ganz verdutzt ansah, fuhr er fort: „Wir sind nicht vorher über das Trägerlohn einig geworden, und nun darf ich es so hoch stellen, als ich will.“ – „Aber fünf Dollars sind doch eine ganz unverschämte Forderung!“ – „Einerlei; fragen Sie meinetwegen den Wirth; er wird Ihnen sagen, daß Sie zahlen müssen, was ich verlange.“ – Um ihn loszuwerden, gab ich ihm, was er forderte. Aber als er sich sehr artig verabschiedete, konnte ich mich nicht überwinden, ihm Adieu zu sagen. Ich gestehe, daß mein erstes Abenteuer in der neuen Welt mich nicht in die allerbeste Laune versetzt hatte. Aber ich kleidete mich schnell um, erquickte mich und hatte vor den vielen neuen Eindrücken, die mir von allen Seiten kamen, bald die ganze verdrießliche Geschichte vergessen.
Am nächsten Sonntag saß ich lesend auf meinem Zimmer, als mir von einem einfach, aber elegant gekleideten Bedienten eine Karte überreicht wurde, welche eine Einladung zum Abendessen auf heute enthielt. Mein vollständiger Name F. W. stand auf der Karte; dennoch sah ich den Ueberbringer erstaunt an, denn der Name des Einladenden war mir gänzlich fremd, und ich sagte daher, es müsse hier ein Irrthum obwalten und ein Namensgenosse gemeint sein. Als aber der Bediente fragte, ob ich nicht am letzten Dienstag mit dem Dampfboote angekommen sei, ob ich nicht von Anfang an dies selbe Zimmer, Nr …, bewohnt habe, konnte ich freilich nicht mehr zweifeln, daß ich gemeint sei, und sagte schon aus Neugier, zu erfahren, wie sich das Räthsel lösen würde, zu. Aber ich zerbrach mir bis zum Abend den Kopf, wie Jemand, dessen Name allerdings deutsch klang, mir dem ich aber sicher nie in Verbindung gekommen war, zu einer Einladung könnte bewegen worden sein.
Zur bestimmten Stunde ließ ich mich nach dem auf der Karte bezeichneten Hause führen. Schon das Aeußere ließ einen wohlhabenden Besitzer vermuthen, mehr aber noch die Eleganz, die ich schon auf dem Vorplatze bemerkte. Der Diener von heute Morgen führte mich durch ein mit allen Komforts reichlich ausgestattetes Zimmer in ein größeres Gemach, wo ich einige Herren schon versammelt fand; Einer von ihnen trat mir mit ausgestreckter Hand begrüßend entgegen, es war – mein Kofferträger! „Sein Sie willkommen, Herr W.!“ rief er mir auf Deutsch zu; „ich sehe, Sie sind überrascht, gerade mich wiederzusehen, aber ich mußte doch den üblen Eindruck, den mein neuliches Benehmen auf Sie gemacht haben muß, wieder auszutilgen und zugleich einem gebildeten jungen Landsmann, dessen ganzes Wesen gleich einen angenehmen Eindruck auf mich machte, nützlich zu werden suchen.“ Nun stellte er mich den Herren vor und zog mich dann in eine Fensternische. „Ich sehe Ihnen an,“ sagte er, „daß Sie nach einer Aufklärung begierig sind. Ich war neulich, nicht eben sorgfältig gekleidet, in Geschäften ausgegangen. Ich bin noch nicht ganz veryankeet und nehme noch immer besondern Antheil an meinen Landsleuten; deshalb ging ich zum Landungsplatze, als das Dampfboot ankam. Sie standen, wie es mir schien, nicht in der angenehmsten Gemüthsverfassung, da; ich hatte Sie schon länger betrachtet, ehe Ihr Blick auf mich fiel, und als Sie mich zum Tragen Ihres Gepäcks aufforderten, nahm ich mir vor, Ihnen gleich die auf amerikanischem Boden überaus wichtige Lehre zu geben: daß man zu Allem, was man selbst thun kann, nie fremde Hülfe in Anspruch nehmen und sich keiner Arbeit schämen muß. Sehen Sie, ich kam vor 20 Jahren blutarm hier an; der Befolgung des eben ausgesprochenen Grundsatzes glaube ich, nächst Gottes Segen, es zu verdanken, daß ich jetzt ein wohlhabender Mann bin.“ – In diesem Augenblick wurden wir in das Eßzimmer gerufen. Herr N. wies mir den Platz neben dem seinigen an. Als ich die Serviette vom Teller nahm, lag eine Banknote von 5 Dollars darauf, die der Wirth mich lächelnd bat, wieder in meine Börse zu stecken, obgleich er glaube behaupten zu können, daß ich künftig finden würde, der Preis sei für die Lection nicht zu hoch gewesen.
An jenem Abende habe ich nicht nur die ersten glücklichen Stunden in der neuen Welt an der heitern Tafel des Herrn N. verlebt, sondern auch an ihm einen Freund gewonnen, der mir zu meinem ersten Unterkommen, wie ich schon gemeldet habe, behülflich gewesen ist, und dem ich habe versprechen müssen, ihm alle meine freien Stunden zu schenken.“
Von Gerstäcker sind wieder Briefe eingelaufen. Er schreibt uns
(unterm 18. December) aus Lima, der Hauptstadt Peru’s, daß er wohl
und munter sei, das Reisen aber bereits herzlich satt habe. Er gedenkt
von dort aus nach der deutschen Colonie am Pozuzu zu gehen und
zwar über die Cordilleren, – jetzt bei der Regenzeit eine bitterböse Reise,
die viel Geld und Zeit kosten werde. Seine neuesten Erlebnisse schildert
er in einem längeren Briefe: „Der neue Weg nach Quito und das Innere von Ecuador“, den wir in der nächsten Nummer unsers Blattes
zum Abdruck bringen.[WS 2]
- ↑ Die „wohlbekannte Strafe“ sind selbstverständlich die Stockprügel und Peitschenhiebe. Den schamlosen, blutbefleckten Henker des sicilianischen Volkes muß ein sonderbares Gefühl von Scham angewandelt haben, diese Strafe in seiner Verordnung nicht bei Namen zu nennen. G. R.
- ↑ Siehe Manifest der Völker des Königreichs beider Sicilien, welches im Februar d. J. allen europäischen Cabineten mitgetheilt worden ist. Es heißt darin an der betreffenden Stelle: „Durch Decret vom 27. December deportirte man nach Amerika (und die Deportation existirt nicht mehr in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch) 91 Personen. Aber indem man das Leben der Menschen für nichts rechnete, waren in diesem Deportationsdecret 14 Todte mit inbegiffen, und unter den 60, welche wirklich eingeschifft wurden, waren 5, welche ihre Strafe beinahe verbüßt hatten.
- ↑ Ch. de la Varenne. La Torture en Sicile, pag. 7.
- ↑ Ch. de la Varenne. La Torture en Sicile, pag. 16.
- ↑ Ebendas. pag. 12 u. 13.
- ↑ Memoire, pour la reconnaissance des droits de la Sicile comme Etat indépendant, par le baron Ventura.
- ↑ Goethe: Werke XXIV., 112.
- ↑ Man s. „Die erste Lessingfeier in Leipzig“. Herausgegeben vom Schillervereine.