Die Gartenlaube (1870)/Heft 16
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No. 16. | 1870. |
(Fortsetzung.)
„Adelheid! Wo ist sie nur? Adelheid, komm schnell, Alfred ist krank!“ So tönte wieder der entsetzliche Ruf in einem verhängnißvollen Augenblick an Adelheid’s Ohr und schreckte sie, wie damals von dem Spiegel, von dem Geliebten auf – aber diesmal um vieles schuldiger, denn der lebendige Spiegel – und im Grunde war Egon ihrem Herzen nichts anderes mehr – war nicht kalt und theilnahmlos geblieben. Wie ein Brennspiegel die Lichtstrahlen, so hatte er die Strahlen ihrer Schönheit in sich gesammelt und so glühend zurückgeworfen, daß sie selbst davon versengt ward. Wieder wand sie wie damals die Haare auf und band den Strohhut darüber tief in’s Gesicht. Die Thür des Pavillons knarrte und ächzte, als sie öffnete, ein Nachtfalter schlug ihr aufgescheucht in’s Gesicht. Es fröstelte sie, als sie unter dem dunkeln Himmel dahinhuschte der Richtung nach, von wo ihr die Stimme zurief – es war auf einmal so kalt geworden. Sie stieß, ehe sie sich’s versah, auf Bella, die ihrer langen Beine wegen von Wika immer als Läufer benutzt wurde, wenn Jemand im Garten zu suchen war.
„Was ist denn schon wieder?“ fragte Adelheid ungeduldig, fast heftig.
„Er hat sich den ganzen Nachmittag herumgetrieben, kein Mensch weiß, wo. Und jetzt hängt er halb bewußtlos an seines Vaters Halse und gebehrdet sich, wie wenn der Böse in ihm wäre.“
Adelheid eilte schweigend neben Bella her. Der Frost schüttelte sie, sie war mehr verdrossen und unwillig über die Störung als erschrocken. Sie hatte in der letzten Zeit weniger Sorge um Alfred gehabt, sie dachte nicht, daß es etwas Besonderes sei.
„Wie leicht Du angezogen bist in dieser Abendluft!“ tadelte Bella, „das dünne Kleid!“ Und sie warf ihrer Schwägerin den gestrickten Reserveschaal, den sie stets außer dem umgebundenen für vorkommende Fälle bei sich trug, über die Schultern. Wenn Bella’s Angehörige bedacht hätten, wie unzählige Male sie ihnen schon das Leben gerettet, sie hätten sie ganz anders auf den Händen getragen! So aber mußte sie sich begnügen mit dem Bewußtsein, daß längst Alle unter dem Boden lägen, wenn sie nicht wäre.
Adelheid wäre gern noch auf ihr Zimmer gegangen, um sich die Haare zu ordnen, aber da – sie brach fast in die Kniee – trat ihr im Corridor Feldheim entgegen.
„Soeben wollte auch ich Sie suchen, gnädige Frau!“ sagte er und öffnete weit die Thür von Alfred’s Zimmer.
Sie mußte eintreten.
Der Freiherr saß auf dem Sopha, Alfred hing in convulsivischem Schluchzen an seinem Halse. Er hatte auf Niemanden gehört, hatte sich nicht zu Bette bringen lassen, und doch schlugen ihm die Zähne an einander und alle Glieder bebten wie in Krämpfen.
„Aber Alfred, was hast Du nur?“ rief Adelheid und bog sich über die Beiden.
Da fuhr Alfred auf wie ein angeschossenes Wild. „Du?!“ schrie er, daß es Allen durch Mark und Bein drang. „Du?!“ Und er floh von ihr zurück, wie vor etwas Gräßlichem. „Weg von mir – rühr’ mich nicht an! Du sollst mich nie wieder anrühren, mich nie wieder –“ er hielt inne, denn nochmals ward die Thür aufgerissen und Egon trat ein, hinter ihm Victor. Wie ein Rasender bäumte sich Alfred auf bei Egon’s Annäherung – „der auch, der auch! Vater, laß ihn mir nicht zu nahe kommen! Vater, schick’ ihn fort!“
„Großer Gott!“ schrie Adelheid auf „mein Sohn ist wahnsinnig!“
Die Dienstboten drängten sich, von dem Auftritt herbeigezogen, unter die Thür. Niemand beachtete sie. Aber der Candidat trieb sie fort, auch Victor und die Tanten gelang ihm zu entfernen, er ahnte etwas von furchtbaren Enthüllungen.
„Alfred,“ jammerte Adelheid, „Alfred – kennst Du uns denn nicht mehr?“
„Ja doch, ich kenne Euch – aber ich verabscheue Dich, Mutter, und Dich, Onkel Egon, und wenn ich erwachsen wäre, dann wollte ich Dir schon zeigen, wie sehr!“
Der Knabe hatte sich wieder an seinen Vater festgeklammert und es war, wie Bella sagte, als sei ein Dämon über ihn gekommen, oder als sei er selbst zum Dämon umgewandelt.
Adelheid fing plötzlich an zu begreifen, wie um Gnade flehend stürzte sie vor dem Sohne auf die Kniee und wollte ihn umschlingen und an sich ziehen, da stieß er mit dem Fuß nach ihr.
„Bube,“ schrie Egon, Alles vergessend, „das Deiner Mutter? – und Du Salten, leidest das?“
„Willst Du rechten mit einem Irrsinnigen?“ jammerte der Freiherr.
„Ich bin nicht irrsinnig, Vater, ich weiß, was ich thue!“ schrie Alfred und die Wuth riß alle Dämme in dem sonst so stillen Geschöpf nieder und das Gift, womit seine Kindlichkeit gemordet [242] worden war, ergoß sich unaufhaltsam über die Schuldigen. „Mutter,“ schrie er, „Du sollst nicht mehr meine Mutter sein, Du sollst nicht mehr beim Vater bleiben – bei diesem guten lieben Vater. Mutter, geh, geh – ich kann Dich nicht mehr lieb haben, ich kann Dich nicht mehr sehen –“
„Alfred,“ rief Egon, „schweig, oder –“
„Nein, ich schweige nicht – Du hast mir nicht zu befehlen, noch zu verbieten, das kommt nur meinem Vater zu – und Gott sei Dank, noch habe ich meinen Vater, meinen guten, eigenen Vater! Und das sage ich Dir, Onkel Egon, ehe ich Dich an seiner Statt annähme, eher erwürgte ich Dich!“
Ein erstickter Schrei entrang sich dem Knaben, Egon hielt ihm mit Gewalt den Mund zu, er mußte dem Sinnlosen jedes weitere Wort abschneiden, hier handelte es sich einfach um seine ganze Existenz. Aber auf’s Aeußerste gebracht, sprang der überreizte Knabe an Egon hinauf und umklammerte mit beiden Händen so fest dessen Kehle, daß ihm fast die Luft ausblieb. Die Wuth, das Fieber gaben dem Kranken übernatürliche Kräfte, er war nicht abzuschütteln, nicht loszureißen, bis er selbst, wie die Biene, wenn sie gestochen hat, halb todt zu Boden fiel.
Eine lautlose Stille trat jetzt ein. Da war nichts mehr zu reden.
Feldheim legte Alfred auf das Bett. Der Freiherr stand bleich und still dabei. Sein schönes Greisenantlitz leuchtete geisterhaft im Schimmer des Mondes, der das Gemach erhellte. Sein Auge ruhte auf seiner Frau, die wie vernichtet zu seinen Füßen lag. Da regte sich Alfred wieder und rief leise nach seinem Vater. Der alte Herr winkte Egon, Adelheid aufzuheben. „Ich bitte, verlaßt mein Kind!“ sagte er mit einer milden, aber königlichen Würde.
Dieses „Mein Kind“ traf Adelheid tief in’s Herz. Aber sie wagte keine Einsprache. Egon hob Adelheid auf. Als er sie bis zur Thür gebracht, riß sie sich los und kehrte noch einmal zu ihrem Gatten zurück. „Vergieb!“ rief sie in Verzweiflung.
Er schob sie sanft von sich: „Schone das Kind, es bedarf der Ruhe! Ich werde Dir heute Nacht schreiben.“ Er winkte nochmals mit der zitternden Hand, sie verließ schluchzend das Zimmer.
Als sich die Thür hinter Adelheid und Egon geschlossen, streckte der alte Mann die Arme aus. „Feldheim!“ Er wankte. Der Candidat stützte ihn, sich selbst kaum mehr haltend. „O Feldheim!“ sagte der Freiherr und aus den alten Augen brachen Thränen. Es schnitt Feldheim in’s Herz, denn er wußte, daß diese Thränen nichts mehr trocknen werde! So standen sie stumm an einander gelehnt, der alte und der junge Mann mit den gleichen Empfindungen, Beide hatten Schiffbruch gelitten, der eine so nahe dem Hafen der ewigen Ruhe, in die er eingehen sollte, der andere auf hoher See.
„Vater,“ sagte Alfred, „nicht wahr, Du und ich und Herr Feldheim, wir bleiben von nun an allein beisammen? Herr Candidat, schließen Sie die Thür ab, daß die Mutter – daß Niemand mehr hereinkommt.“
„Mein Sohn,“ begann der Freiherr und setzte sich zu Alfred. „Sag’ mir, was hast Du heute erlebt, das Dich so gegen Deine Mutter aufbrachte? Ich muß das wissen, denn es hängt viel davon ab!“
„Vater – das kann ich Dir nicht sagen!“
„Warum nicht?“
„Weil – weil – ach, frage mich nicht!“
„Doch, mein Sohn – ich muß Dich fragen – Du mußt antworten – Du weißt nicht, um was es sich handelt. Gieb mir klaren Bescheid. Wo sahst Du Deine Mutter zuletzt?“
„Im Pavillon.“
„Und Onkel Egon?“
Der Knabe warf sich mit dem Gesicht nach der Wand: „Auch dort!“
„Fragen Sie weiter,“ sagte der Freiherr zu Feldheim, „ich – kann nicht mehr!“
Feldheim hielt sich mit beiden Händen am Fußende des Bettes. Er mußte sich erst sammeln, dann frug er: „Wie kamst Du in den Pavillon?“
„Ich hatte mich dort versteckt, weil ich sie kommen hörte und nicht mit ihnen reden wollte.“
„Und da hörtest Du Alles mit an?“
„Ja!“
Die Bettpfosten ächzten unter dem Druck des schweren Mannes, so klammerte er sich daran fest. „Was sprachen sie?“
Alfred schwieg.
„Sprachen sie von Liebe?“
„Ja!“
„Und von – von einer späteren Vereinigung?“
„Ja – wenn der Vater todt sei. – O Vater – stirb nicht – o lieber, lieber Vater, verlaß mich nicht.“ Und auf’s Neue brach der wilde Schmerz in dem Kinde hervor um den greisen verrathenen Vater.
„Und – was – geschah dann? – gingen sie fort, nachdem sie das gesprochen?“ fragte der Candidat mit schwerer Zunge.
„Nein, sie blieben, ich sprang dann zum Fenster hinaus – o – laßt mich – ich sage nichts mehr!“
Alfred drückte das Gesicht in die Kissen und schwieg. Der Freiherr stand auf.
„Ich weiß genug!“ sprach er.
Feldheim bog sich über den Bettrand, immer tiefer, der Freiherr sah ihm befremdet zu und faßte ihn an der Schulter – da stürzte er zusammen, er war besinnungslos.
„Armer Mann!“ sagte der Greis und half dem Taumelnden auf. Sie verstanden sich einander.
Alfred fragte erschrocken, was es gebe.
Feldheim setzte sich still neben ihn, er hatte rasch die jahrelang geübte Selbstbeherrschung wiedergefunden.
Der Freiherr ließ ihn sich erholen, dann winkte er ihn zu sich in einige Entfernung von dem Bett. „Herr von Feldheim,“ sagte er leise und feierlich, er hatte ihn noch nie so genannt: „Herr von Feldheim – ich ersuche Sie, mein Secundant zu sein.“ Feldheim verneigte sich, aber es schnürte ihm den Hals zu, er brachte kein Wort heraus. „Ich bitte Sie, heute Nacht noch dem Grafen meine Forderung zu bringen, morgen früh muß das Duell stattfinden. Bleiben Sie einstweilen bei Alfred, bis er schläft, dann kommen Sie zu mir. Ich gehe einstweilen, denn ich habe noch viel zu thun, um bis morgen mein Haus zu bestellen.“ Er näherte sich dem Bett, Alfred lag mit geschlossenen Augen, er war eingeschlafen. Salten kämpfte einen Augenblick mit sich, ob er ihn wecken sollte zum Abschied – vielleicht zum letzten. Nein, der Kranke brauchte so nöthig die Ruhe – er brachte es nicht über’s Herz ihn zu stören – lange, lange hing sein Auge liebend und segnend an dem Kinde, dann schlich er leise vorüber, der Thür zu.
Da erwachte Alfred. „Vater,“ rief er ängstlich, „so willst Du fort von mir? Ohne einen Kuß zur Gutenacht?“
„Ich wollte Dich nicht wecken und wollte auch zur Ruhe gehen. Mein Kind, mein liebes Kind, daß Gott der Herr Dich segne und behüte“ – er konnte nicht weiter sprechen, er legte die Hand auf des Knaben Haupt und betete still. „Versuche nun fortzuschlafen – mir zu Liebe, nicht wahr?“ bat der Freiherr gefaßter.
„Ja, ich verspreche es Dir!“
„Nun denn – gute Nacht, mein Sohn!“
Alfred erhob sich im Bett auf seine Kniee, um den Vater besser umfangen zu können. „Vater, weinst Du?“
„Nein, ich bin nur müde. Schlaf wohl!“
„Vater, ich weiß nicht, warum mir auf einmal so weh wird,“ sagte Alfred und schlang seine Arme fest und fester um den Greis. „Vater, ich hab’ Dich so lieb! Bleib’ bei mir!“
„Wenn ich könnte“ – seufzte der Freiherr tief auf. „Ich kann ja nicht! Sei mein braves Kind – und gönne Deinem alten Vater die Ruhe –!“
„O ja, ich gönne sie Dir!“ sagte Alfred sich bezwingend. „Gute Nacht, lieber Vater!“
„Gute Nacht, Du treues Kind!“ und die verschlungenen Arme lösten sich und Herz riß sich vom Herzen.
Die Thür hatte sich hinter dem Freiherrn geschlossen, und Alfred lag in seinem Bett und weinte still. Der Candidat stand am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Ein Sturm hatte sich erhoben und strich sausend und wehklagend über den See her um das Haus. Und wie jede äußere unbestimmte Erscheinung so leicht mit unserer Seelenstimmung zusammenfließt, so war es Alfred in diesem trüben Augenblicke, als sängen die verworrenen Stimmen des Windes einen Choral, und er klang wie die Melodie des besten Liedes, das ihn seine Mutter gelehrt: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß [243] scheiden!“ Er mußte das Lied in Gedanken mitsingen immer und immerfort, und er begrub den Kopf in die Kissen, damit der Candidat ihn nicht weinen höre. Aber allmählich sang er sich doch unter Thränen und Schluchzen mit dem traurigen Wiegenliede ein, und es war ihm im Entschlummern, als kehre sein Schutzengel aus zartester Kindheit zu ihm zurück, neige sich mitleidig über ihn und wehe ihm mit sanftem Flügel Trost zu.
Der Candidat stand über ihn gebeugt und betrachtete ihn; er lächelte im Schlafe, die erschöpfte Natur machte ihr Recht geltend. Feldheim ging sachte zum Freiherrn hinein, dessen Zimmer an das Alfred’s stieß. Er lehnte vorsichtig die Thür an, um den Knaben hören zu können, wenn er erwachte.
„Schläft er?“ fragte Salten.
„Ja, Herr Baron.“
Der Freiherr saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm lag ein begonnener Entwurf zu einem Testament. Seine Wangen färbte eine ungewohnte Röthe. Seine erloschenen Augen blitzten in einem neuerwachten Feuer. „Geben Sie mir die Hand,“ sagte er zu Feldheim, „setzen Sie sich! Wie viel Uhr mag es sein?“
„Bald zehn Uhr!“
„So wollen wir nicht zögern, dem Grafen die Anforderung zuzustellen, bevor er zu Bett geht.“ Er stand auf und holte aus einem Schrank ein Holzkästchen hervor – er hatte selbst sein Wappen mit der siebenkugeligen Krone darauf geschnitzt, es war ein wahres Kunstwerk. Er öffnete es und nahm ein paar Pistolen heraus. „Das sind die, mit denen wir neulich nach der Scheibe schossen,“ sagte er. „Wer hätte das gedacht!“
„Herr Baron,“ begann Feldheim, „ich komme mit einer Bitte.“
„Sprechen Sie!“
„Herr Baron, ich bitte Sie, überlassen Sie den Grafen meiner Rache!“
Salten richtete einen fragenden Blick auf ihn. „Können Sie das im Ernst von mir verlangen?“
„Ich weiß wohl, ich habe dazu kein Recht, ich bin kein Verwandter Ihres Hauses, kein Gleichgestellter, ich bin nichts als ein Diener; wie kann ich mir anmaßen, Ihnen vorgreifen und ein Verbrechen, das an Ihnen begangen worden, züchtigen zu wollen?“
„So meinte ich es nicht, Feldheim. Ich habe Sie nie als Diener betrachtet, und hätte ich es je, die Treue und Ehrenhaftigkeit, die Sie uns bewährten, hätte Sie uns längst zu einem Ebenbürtigen gemacht. Sie haben ein Recht, diese Bitte an mich zu stellen, und zwar ein doppeltes, denn eine Verirrung, der wir selbst widerstanden, dürfen wir doppelt streng am Andern rächen – und ich weiß, Sie haben gekämpft und gelitten wie ein Held, während ein gewissenloser Bube das stahl, worauf Sie so schwer, so schmerzlich verzichteten.“
Der Candidat verbarg das Antlitz in den Händen, um nicht laut aufzuschreien.
Der Freiherr legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich bin ein alter einfacher Mann, ich habe mich nie in Ihr Vertrauen gedrängt, aber ich sah wohl, was in Ihnen vorging, und ich segne die Bosheit meiner Schwester, die mich zum Zeugen jenes Gesprächs zwischen Ihnen und meiner Frau machte – es ist das schönste Andenken, welches ich aus dieser Welt in das Jenseits nehmen konnte. Aber Angesichts des Todes habe ich auch ein Recht, mit Ihnen zu reden wie ein Sterbender mit dem andern, denn auch Sie, armer Mann, sind todeswund, das fühl’ ich wohl.“
„O Herr von Salten, – meine ganze Mannheit schmilzt dahin!“ rief Feldheim auf’s Tiefste erschüttert.
„Schämen Sie sich dessen nicht, das Eisen, mit dem Sie mich rächen werden, ist nicht weniger hart, weil es schmelzen mußte, bevor es zur Waffe wurde.“
Der Candidat hob den Kopf und sah dem Freiherrn voll in’s Auge – „Ah – jetzt verstehe ich Sie!“
„Ich glaube, daß ich fallen werde, denn meine Hand ist unsicher und mein Blick getrübt. Wer schützt dann mein Weib und mein Kind vor dem Elenden – wenn nicht Ihre unfehlbare Kugel? Dies, mein junger Freund, ist das Ehrenamt, welches ich für Sie aufgehoben habe.“
„Und muß es denn sein, daß Sie erst zum Opfer fallen? Muß erst Ihr armer Sohn den Vater verlieren, die einzige Stütze, bevor der Frevel seine Strafe findet? Lassen Sie mich an Ihre Stelle treten, theurer edler Herr! Nicht aus blutgieriger Eifersucht, die ihre Beute keinem Andern gönnt – aus Liebe für Sie und Ihr verlassenes Kind bitte ich sie darum. O Gott, ich halte aus, was ein Mann aushalten kann, aber die Waffe des Schurken auf Ihr greises wehrloses Haupt gerichtet zu sehen, das – nein – das ertrüge ich nicht!“
„Feldheim,“ rief der Freiherr, „ich vergebe Ihrer Liebe zu mir und Alfred dieses Wort – aber ich hoffe, Sie werden bei kälterer Ueberlegung einsehen, was Sie mir zumuthen, und mir abbitten, daß Sie es gethan! Glauben Sie, weil ich ein Greis bin, ich sei deshalb kein Mann mehr? Bin ich so altersschwach, daß mein Gefühl für die Schande abgestumpft wäre, daß ich nicht mehr wüßte, was ich meinem Namen schuldig bin? Nein, der soll nicht leben, der einem Salten nachsagen könnte, er sei als ein Feigling in’s Grab gestiegen und habe das Rächeramt für seine beleidigte Ehre einem Andern überlassen. Wahrlich! Wer mich so liebt, daß er sein Leben für mich gäbe – kann mich nicht im Ernste so verächtlich sehen wollen!“
Feldheim ergriff des Freiherrn Hand und ehe dieser es wehren konnte, hatte er sie an die Lippen gedrückt. „Sie haben mich tief beschämt, vergeben Sie mir!“
„Nun denn, Feldheim, so frage ich Sie nochmals, wollen Sie mir helfen, meine Pflicht zu thun?“
„Ja, ich will es, aber es ist fürchterlich!“ sagte Feldheim.
„Das ist es nicht, mein Freund. Wie lange hätte ich denn noch zu leben gehabt? was opfere ich? Vielleicht ein paar Jahre trüben Hindämmerns, langsamen Verlöschens, das ist Alles! Ich habe es diesen Abend gefühlt, daß ich bald heimgehe. Wohl dachte ich, daß es in Frieden sein werde – indessen wie viele meiner edeln Vorfahren sind auch nicht auf weichem Pfühl entschlafen! Mag eine Zeit des Friedens anbrechen, wo andere Begriffe herrschen und lindere Mittel, als Pulver und Blei, unlösbare Conflicte schlichten – ich sterbe treu den Begriffen meiner Zeit – und sehen Sie, – so sterbe ich wenigstens im Frieden mit mir selbst!“
Ruhig und klar schaute der Freiherr den jungen Freund an, der sich mit aller Kraft zusammennehmen mußte, um nicht hinter dieser einfachen Größe zurückzubleiben.
„Gehen Sie nun zu dem Grafen, lieber Feldheim, und bewahren Sie Fassung und Mäßigung. Bedenken Sie, daß ich Ihnen einen Eingriff in dieser Sache nie verzeihen würde!“
„Verlassen Sie sich auf mich. Welche Vorschläge habe ich dem Grafen zu machen?“
„Ich dächte, auf fünf Schritt Barrière!“
Feldheim erschrak. „So nahe?“
Der Freiherr trat mit gehobenem Haupte auf Feldheim zu. „Bedenken Sie, mein Lieber, daß ich entweder sterben oder tödten will – einen Mittelweg giebt es da nicht!“
„Sie haben Recht!“ sagte Feldheim und sein Gesicht bedeckte Leichenblässe, als er sich zu gehen wandte. „Ort und Stunde?“
„Um fünf Uhr in dem Kastanienwäldchen der Landzunge, wo ich Sie mit Adelheid traf. Ach Feldheim, hätte sie Ihnen ihr Herz geschenkt, wie ich es damals fürchtete, Alles wäre besser, denn ein Weib, das Sie liebt, wäre nicht so tief gesunken!“
Feldheim preßte die Hände auf das Herz, es wollte ihm zerspringen. „Ich danke Ihnen für dies Wort – ich will es Ihnen lohnen – an Ihrem Kinde mit Allem, was ich kann!“
Als er das Zimmer verlassen, kehrte der Freiherr zu dem Tische zurück und schrieb an dem Testament weiter: „Ich ernenne den Candidaten der Theologie etc. Constantin Freiherrn von Feldheim-Sternau, genannt Feldheim, zum alleinigen Vormund meines Sohnes Alfred, sowie zum Vollstrecker dieses meines letzten Willens“ etc.
Als das Testament vollendet und versiegelt war, horchte er an der Thür, ob Alfred noch ruhig sei; er schlief fest. „Gott sei Dank,“ sagte der Freiherr und setzte sich wieder zum Schreiben nieder.
„Armes Kind!“ schrieb er. „Wie ein treuloser Wächter verläßt Dich Dein Vater im Schlaf, und wenn Du erwachst, findest Du ihn vielleicht nicht mehr. Und dennoch darfst Du ihm vergeben, denn er geht, den schlechten Mann zu züchtigen, der Dir das Beste stahl, was Du hattest, Deine Mutter! Armes Kind, Du wirst mit der Mutter auch den Vater verlieren, das ist viel auf einmal und ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, Dir das anzuthun in diesem Augenblick, wenn ich Dich nicht in den [244] Händen eines Mannes wüßte, der Dir den Vater reich ersetzen wird, dem ich Dich vermache und empfehle an Kindesstatt – es ist Dein Lehrer Feldheim. An seinem starken Herzen wirst Du Trost finden für den ersten großen Schmerz, der über Dich kommt, armer Verlassener! Lebe, mein Sohn, lebe einem Namen zur Ehre, den Dein Vater heute mit seinem Blute reinwäscht, um ihn Dir so makellos zu vererben, wie er ihm selbst überliefert wurde. Feiere mein Andenken nicht mit Thränen, sondern mit Thaten. Wohl wirst und sollst Du weinen bei dem schrecklichen Erwachen, aber um der Qual willen, die mich erfaßt, wenn ich an Deinen Schmerz denke, bitte ich Dich, mäßige ihn, und ich weiß, Deine Liebe für mich wird Dir diese Bitte heiligen und aus Liebe für mich wirst Du stark sein!
Sei auch nicht hart gegen Deine Mutter. Wenn Du erwachsen bist und die Schwäche und Gebrechlichkeit des weiblichen Herzens kennen lernst, dann dürfte Dich jede Lieblosigkeit gegen sie reuen. Sie hat Dich mit ihrem Herzblut genährt, Du darfst sie nicht richten. Ist sie doch schwer genug gestraft, wenn sie das Auge zu Dir erheben muß! Lerne von Deinem sterbenden Vater, wie göttlich es ist, zu verzeihen! Steh’ ihr bei, denn die Reue wird über sie kommen und sie wird nichts haben als Dich.
Leb’ wohl und sei getrost! Wie Du jetzt im Schlummer Deinen Vater verlierst, so wirst Du ihn einst im Schlummer wiederfinden, im Todesschlummer! Das ist meine feste Zuversicht.
Noch einmal will ich an Dein Bett treten, noch einmal Deine lieben Züge mir einprägen!“ – –
„Ich habe einen stummen letzten Abschied von Dir genommen. Wenn Du mir grollst im ersten bittern Weh, daß ich Dich so verlassen konnte, so denke an den Schmerz eines Vaters, der weiß, daß er zum letzten Mal an seines Kindes Bett steht, denke, was es mich kostete, zu schweigen und Dich nicht zu wecken mit meinem Jammer – und Deine Thränen werden milder fließen, Du wirst versöhnt sein.
Lebe wohl, mein Sohn! Der Segen Deines Vaters geleitet Dich für und für.“
Der alte Herr faltete das Blatt zusammen und überschrieb es: „An meinen Sohn, den letzten Freiherrn von Salten-Hermersdorff.“ Er neigte das Haupt darauf nieder und verharrte lange so.
Da trat der Candidat ein. Salten richtete sich rasch auf. „Alles in Ordnung?“
„Ja! Der Graf hat sich zu jeder Art von Satisfaction bereit erklärt. Punkt fünf wird er auf dem Platze sein. Ich war auch bei dem Arzte!“
„Das ist gut. Wen bestellten Sie?“
„Ich wählte den besten Chirurgen, den Professor Zimmermann. Er wird kommen.“ Den Candidaten rüttelten Fieberschauer, aber seine Haltung hatte wieder die alte Starrheit gewonnen.
„Haben Sie ihm Namen genannt?“ fragte Salten.
„Nein, ich theilte ihm nur mit, daß er früh viereinhalb Uhr an einen Ort abgeholt werde, wo man seiner dringend bedürfe.“
„Ich danke Ihnen, Feldheim,“ sagte der Freiherr. „Hier lege ich mein Testament in Ihre Hände, Sie sind sein Vollstrecker.“
Feldheim verbeugte sich, ohne ein Wort hervorzubringen.
„Hier ist ein Brief an Alfred, den Sie ihm aber nicht eher übergeben, als bis ihm mein Tod nicht mehr zu verbergen ist. Ich hoffe, dies läßt sich so lange bewerkstelligen, bis Alfred sich von den furchtbaren Aufregungen des heutigen Tages erholen konnte, es wird sonst zu viel für ihn. Wenn ich falle, so bitte ich Sie daher, mich nicht in mein Zimmer bringen zu lassen, sonst würde er es hören. Man soll mich hinausschaffen in das Zimmer Adelheid’s, und sie mag sich eines hier unten nehmen. So ist es ihm wohl am sichersten zu verbergen. Nicht wahr, Sie besorgen das?“
„Verlassen Sie sich darauf.“
Die Stimme des Candidaten klang heiser vor innerer Bewegung.
Salten hörte es und reichte ihm tröstend die Hand. „Muth, junger Freund, der Tod ist ein Augenblick, der vorübergeht!“
- Mein lieber Keil!
Sie verlangen von mir eine Art von Biographie zu meinem eigenen Bild, aber das ist eine gefährliche Arbeit. Soll ich mich selber denunciren und eigenhändig bestätigen, daß ich ein Menschenalter hindurch einer der größten Herumtreiber gewesen bin, die es überhaupt giebt, und schon lange polizeilich eingesteckt sein würde, wenn ich mein „ungeordnetes“ Leben nur auf einen kleinen Kreis beschränkt hätte, während ich es, im Gegentheil, nach allen Kräften und Seiten ausgedehnt?
Sie werden mir allerdings einwerfen, daß ich mich ja selber schon in meinen Reisebeschreibungen verrathen habe – aber glauben Sie das nicht. Es giebt factisch noch verschiedene Menschen, die alles Ernstes wissen wollen, daß ich meine zahlreichen Reisen gar nicht wirklich gemacht, sondern sie nur beschrieben hätte. Herbert König behauptet sogar, ich wohne, in der Zeit meiner angeblichen Abwesenheit, bei einem Bäcker in Magdeburg im dritten Stock hinten heraus.
Doch was thut’s? Die Sache läßt sich weder mehr leugnen noch bemänteln – vielleicht nur in etwas entschuldigen.
Was mich so in die Welt hinausgetrieben? – Will ich aufrichtig sein, so war der, der den ersten Anstoß dazu gab, ein alter Bekannter von uns Allen, und zwar Niemand anders als Robinson Crusoe. Mit meinem achten Jahr schon faßte ich den Entschluß, ebenfalls eine unbewohnte Insel aufzusuchen, und wenn ich auch, herangewachsen, von der letzteren absah, blieb doch für mich, wie für tausend Andere, das Wort „Amerika“ eine gewisse Zauberformel, die mir die fremden Schätze des Erdballs erschließen sollte.
Ewig unvergeßlich bleibt mir dabei ein preußischer Landrath, ein Herr v. P., mit dessen Söhnen ich sehr befreundet war. Er betrachtete natürlich jeden Menschen der nach Amerika wollte, als einen mit den vortrefflichen deutschen Verhältnissen Unzufriedenen, und sprach sich entschieden mißbilligend über meine Absicht aus. Als ich aber trotzdem darauf bestand, redete er mich plötzlich französisch an. Die französische Sprache ist meine schwache Seite noch bis auf den heutigen Tag, wenn ich auch seitdem oft gezwungen war, darin zu verkehren. Die plötzliche Anrede brachte mich außerdem in Verlegenheit; ich antwortete nur stotternd, und der Landrath, auf’s Aeußerste indignirt, sagte verächtlich: „Und Sie wollen nach Amerika gehen und können nicht einmal Französisch?“
Ich ging trotzdem und führte nun dort drüben in den westlichen Staaten, nachdem mich freundliche Landsleute im Osten erst vorsichtig um Alles betrogen, was ich mitgebracht, ein allerdings genügend wildes und abenteuerliches Leben. Ich durchzog zuerst die ganzen Vereinigten Staaten quer durch von Canada bis Texas zu Fuß, arbeitete unterwegs, wo mir das Geld ausging, und blieb endlich in Arkansas, wo ich ganz und allein von der Jagd lebte, bis ich dort halb verwilderte. Ich weiß mich noch recht gut der Zeit zu erinnern, wo meine sämmtliche Wäsche in einem einzigen baumwollenen Hemd bestand, das ich mir selber wusch und bis zu dessen Trockenwerden ich so herumlief; nur dann und wann trieb mich die Sehnsucht wieder einmal in civilisirte Staaten zurück, aber auch nur auf so lange, bis ich mir mit schwerer Arbeit wieder etwas Geld verdient hatte, um dann, mit einer neuen Ausrüstung, mein altes Leben von Frischem zu beginnen.
Aber es war das doch nur ein zweckloses Umhertreiben, denn zu verdienen ist auf der Jagd Nichts. Wo es viel Wild giebt, hat es keinen Werth, und wo es Werth hat, ist es zu mühsam und zeitraubend, es zu erbeuten. Sechs und ein halbes Jahr hatte ich aber doch in solcher Art verbracht, bis mich das Heimweh nach dem Vaterlande packte, und ich beschloß dahin zurückzukehren. Was ich da wollte? – Nur meine Mutter und Geschwister einmal wiedersehen und dann in den Wald zurückkehren – was hätte
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ich auch in Deutschland gesollt? In ein geregeltes und besonders in ein abhängiges Leben paßte ich nicht mehr hinein, und daß ich einst Schriftsteller werden sollte oder könnte, wäre mir nicht im Traum einfallen.
Geschrieben hatte ich in Amerika natürlich Nichts, als Briefe an meine Mutter, und um diese in einem regelmäßigen Gang zu halten, eine Art von Tagebuch geführt. Wie ich mir nun erst in Louisiana das Geld zu meiner Heimreise verdient, nahm ich in New-Orleans Passage auf einem deutschen Schiff, erreichte Bremen und blieb nur einen Tag in Braunschweig, um dort, wo ich den größten Theil meiner Knabenjahre verlebt, alte Freunde zu besuchen. Dort wurde ich gefragt, ob ich der Gerstäcker sei, der seine Reise in den damals von Robert Heller redigirten „Rosen“ veröffentlicht habe. Ich verneinte das natürlich mit gutem Gewissen, [246] denn ich kam frisch aus dem Wald heraus und kannte weder „die Rosen“ noch irgend eine andere der neueren deutschen Zeitungen; aber die Leute, die jene Artikel gelesen hatten, erzählten mir jetzt Scenen aus meinem eigenen Leben, und setzten mich dadurch in nicht geringes Erstaunen, denn woher konnten sie das wissen?
In Leipzig erst, wo ich meine Mutter wiederfand, wurde mir das Räthsel gelöst. Sie hatte mein Tagebuch an Robert Heller gegeben, und dieser den größten Theil desselben in seinen „Rosen“ angenommen. So hat mich denn Robert Heller eigentlich zum Schriftsteller gemacht und trägt die ganze Schuld, denn in Dresden wurde ich später veranlaßt, diese einzelnen Skizzen zusammenzustellen und ein wirkliches – mein erstes Buch – zu schreiben.
Die schriftstellerische Thätigkeit sagte mir allerdings insofern zu, als ich dabei ein vollkommen unabhängiges Leben führen konnte, aber ich hatte selber kaum eine Idee, daß ich je etwas Selbstständiges schaffen könne – die einfache Erzählung meiner Erlebnisse ausgenommen. Ich war damals achtundzwanzig Jahre alt, wandte mich Uebersetzungen aus dem Englischen zu, und verdiente mir dadurch wenigstens meinen Lebensunterhalt. Allerdings kam mir manchmal bei der Uebertragung einzelner Erzählungen wohl der Gedanke, daß ich etwas Derartiges auch wohl selber schreiben könne, denn in den vielen Nächten am Lagerfeuer im Walde hatte ich derartige Dinge oft gehört und im Gedächtniß bewahrt, auch viele wunderliche Charaktere selber kennen gelernt. Meine ersten Versuche dahin erzielten aber nur einen sehr geringen Erfolg; ich mußte mit meinem Manuskript von Redaction zu Redaction laufen, und dann immer wieder das verwünschte Achselzucken.
Meine erste Erzählung druckte die Brockhaus’sche Buchhandlung im damaligen „Pfennig-Magazin“ ab, dann nahm die damalige „Wiener Zeitschrift“ eine größere Erzählung : „Die Silbermine in den Ozark-Gebirgen“ wie eine zweite: „Pantherjagd“ an und zahlte mir dafür ein Honorar von – fünf Gulden. Bäuerle von der „Theaterzeitung“ wollte dagegen eine andere, die er sich jedoch nicht einmal die Mühe nahm zu lesen, selbst nicht umsonst in sein Blatt aufnehmen, und mir lag doch damals hauptsächlich daran, nur bekannt zu werden. Es ist mir später die Genugthuung geworden, daß Herr Bäuerle diese nämliche Erzählung, die später in das Englische übersetzt wurde und von da in die „Indépendance belge“ überging, aus dem Französischen in das Deutsche zurückübersetzt (natürlich ohne meinen Namen) in sein Blatt aufnahm, und dann auch noch für die jetzt verstümmelte Erzählung jedenfalls Uebersetzungshonorar bezahlen mußte.
Im Jahre 1845 schrieb ich meinen ersten Roman: „Die Regulatoren“, der freundlich vom Publicum aufgenommen wurde, aber ich bekam, nachdem ihn ein paar Buchhandlungen abgelehnt (jetzt ist er stereotypirt worden), nur ein sehr geringes Honorar dafür, und das Jahr 1848 legte nachher fast jede belletristische Unternehmung lahm.
Ich hatte mich unter der Zeit verheirathet, fühlte auch, daß ich unter solchen Umständen, mit harter Arbeit, wohl meine kleine Familie ernähren könne – aber weiter Nichts, und lebenslang Uebersetzer bleiben? der Gedanke war mir entsetzlich. Ich fühlte jetzt die Kraft in mir, etwas zu schaffen, und faßte den allerdings etwas kecken Entschluß – denn ich war ohne alle Mittel und hatte Weib und Kind – die todte Zeit in Deutschland zu benutzen und – eine Reise um die Welt zu machen. Ich trat augenblicklich mit der Cotta’schen Buchhandlung in Unterhandlung, um Correspondenzen für das Beiblatt der Augsburger Zeitung zu liefern – die Herren gingen endlich darauf ein, mir vierhundert Thaler Vorschuß zu zahlen. Das damalige Reichsministerium bewilligte mir außerdem (und die Leute sagen, ich sei der Einzige, der damals etwas vom deutschen Reich gehabt) fünfhundert Thaler, um die verschiedenen deutschen Colonien im Ausland zu besuchen, und mit neunhundert Thalern trat ich guten Muths eine Reise, die neununddreißig Monate dauerte, an.
Indessen hatte ich einen Roman: „Pfarre und Schule“, beendet, für den ich von der Georg Wigand’schen Buchhandlung vierhundert Thaler (in Raten an meine Frau während meiner Abwesenheit zu zahlen) erhielt; für das Weitere verließ ich mich, wie schon oft im Leben, auf den lieben Gott und mein gutes Glück – und beide haben mich nicht im Stich gelassen. Daß ich von den neunhundert Thalern nicht die ganze Reise machen konnte, ist natürlich, aber wo mir auch das Geld ausging – und das geschah verschiedene Male – bekam ich, doch jedenfalls allein auf mein ehrlich Gesicht (von dem sich der Leser in dieser Nummer überzeugen kann), an allen fremden Plätzen von deutschen Kaufleuten die nöthige Summe auf Wechsel an die Cotta’sche Buchhandlung, der ich denn auch fleißig Berichte schickte, durch die ich der Sorge für meine Familie daheim enthoben ward. Erst in Australien fand ich wieder fünfhundert Thaler, die Kaufmann Schletter in Leipzig dort für mich deponirt hatte, und wenn ich auch in Java wieder eine frische Summe aufnehmen mußte, hatte ich doch von da an gewonnen.
Im Jahre 1852 kehrte ich nach Deutschland zurück und fand nicht allein die Meinen wieder, sondern auch die Verlagsbuchhändler (eine sehr wichtige Menschenclasse für einen jungen Schriftsteller) viel freundlicher, als sie sich mir je gezeigt. Ich selbst hatte durch diese Reise einen fast übermäßig reichen Hintergrund für meine Novellen und Romane gewonnen, und arbeitete jetzt acht Jahre unverdrossen fort, bis mich 1860, nicht etwa Mangel an Stoff – denn ich hatte damals schon genug, um für mein Leben auszureichen – doch neue Wanderlust und das Bedürfniß erfaßte, die schwächer werdenden Bilder jener fremden Welt auf’s Neue aufzufrischen. Ich machte eine achtzehnmonatliche Tour durch Südamerika, wobei ich mein Augenmerk besonders auf früher noch nicht besuchte oder neu entstandene Kolonien richtete, wie vorzüglich in Ecuador, Peru, Chile und Brasilien.
Im Jahre 1861 kehrte ich nach Europa zurück; ich hatte lange keine Briefe von daheim gehabt – meine Frau war krank geworden und – gestorben; es war eine trübe Wiederkehr. Es litt mich auch nicht lange in Deutschland. Schon im Frühjahr 1862 ging ich mit dem Herzog von Coburg nach Aegypten und Abyssinien, machte dann in den Jahren 1867 und 1868 meine letzte Reise nach Nordamerika, Mexico und Venezuela und bin jetzt scharf daran, meine Erinnerungen auszuarbeiten.
Was ich Alles geschrieben? ich will Ihren Raum hier nicht mit der Aufzählung meiner verschiedenen Schriften füllen – und wie ich es geschrieben? – Es ist mir von verschiedenen Seiten, und oft sehr vornehm, vorgehalten worden, daß ich ein rein praktischer Mensch wohl, aber kein Gelehrter sei – lieber Gott, es muß auch solche Käuze geben und ich räume das gern ein. Ich habe mich nie in rein wissenschaftlicher Art mit Pflanzen-, Stein- ober Thierkunde beschäftigt, meine Augen dagegen fest auf den Punkt gehalten, der von den meisten Naturforschern auf das Gründlichste vernachlässigt ist – auf die Menschen, und zwar auf die Völker, wie sie jetzt auf der Erde leben. Ebenso durchzog ich vorzugsweise die Länder, denen sich unsere deutsche Auswanderung zugewandt, und daß ich es nicht ganz nutzlos gethan, hat mir jetzt wieder so mancher warme Händedruck da draußen in fremden Ländern und an Stellen bewiesen, wo ich nicht einmal hoffen durfte, einen entfernten Bekannten zu treffen, und trotzdem überall warme Freunde fand.
„Und wollen Sie nicht wieder bald einmal auf Reisen gehen?“ werde ich von vielen Leuten, die mich als eine Art von Perpetuum mobile zu betrachten scheinen, gefragt. – Quien sabe! Ich bin allerdings, wie Sie wissen, noch in den „besten Jahren“ und gerade etwa vierundfünfzig, habe also noch „nichts versäumt“, will es aber doch jetzt noch eine Weile abwarten und nur erst den Stoff verarbeiten, der mir zunächst auf dem Herzen liegt, – was dann weiter wird? – es ist das Unglücklichste, was ein Mensch auf der Welt thun kann: Pläne auf Jahre hinaus zu machen, wo er nicht einmal Herr über den nächsten Tag ist. – Was kommen soll, kommt. Ich habe völlig Zeit, es ruhig abzuwarten, und die verfliegt mir außerdem rasch genug, denn ich lebe ja jetzt in meinen Erinnerungen.
So alt bin ich freilich geworden, daß ich das Leben, was ich geführt, nicht noch einmal von Anfang an durchkosten möchte, aber ich würde es auch gegen kein anderes der ganzen Welt eintauschen, denn bunt und mannigfaltig war es zur Genüge – ich habe Jahre lang in großen Städten, von Comfort umgeben, und ebenso im wilden Urwalde von Wildfleisch und zu Zeiten sogar von Sassafras-Blättern oder einem alten Kakadu gelebt – ich bin Gast von gekrönten Häuptern und Feuermann auf einem Mississippi-Dampfer wie Tagelöhner gewesen, aber ich war stets frei und unabhängig wie der Vogel in der Luft, und mit Lust und Liebe zu meinem Berufe, den ich mir nicht gewählt, sondern in den ich [247] eigentlich hineingewachsen bin, mit einer Fülle von Erinnerungen und noch genug Schaffenskraft, mich ihrer zu erfreuen, ja auch mit dem Bewußtsein, manches Gute gethan und manchem Menschen genützt zu haben, fühle ich mich hier an meinem Schreibtische genau so wohl, als ob ich da draußen auf flüchtigem Renner durch die Pampas hetzte oder unter einem Fruchtbaume am Meeresstrande der donnernden Brandung gegen die Korallenriffe lauschte.
Da haben Sie meine Lebensbeschreibung, lieber Keil. Ich bin, wie gesagt, kein Gelehrter, aber
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald, in Strom und Feld“;
und in diesem Sinne kann ich mich wirklich und wahr einen „Schriftsteller von Gottes Gnaden“ nennen, als der ich mich zeichne
Friedrich Gerstäcker.
Braunschweig, im März 1870.
Sie kennen, Madame, die Lieder von der Lorelei, von den Lotosblumen und Gazellen der heiligen Ganga; Sie kennen den am Clavier gesungenen Heinrich Heine; aber was sich von diesem Dichter in Noten setzen läßt, das ist nicht sein Eigenstes; es sind vielleicht seine schönsten Lieder; aber die spöttisch lächelnden oder schmerzlich zuckenden Lippen des Dichters, mit denen er sie gesungen hat, spiegeln sich nicht in diesen reinen Liederklängen. Und Heine war nicht blos ein Liederdichter; er war einer unserer witzigsten Prosaiker, unserer schärfsten Satiriker, unserer schlagfertigsten Kritiker und Publicisten. Haben Sie gehört von seiner Matratzengruft, von seinem Märtyrerthum? Das Gerücht davon ist auch bis in Ihre der modernen Literatur so fremde Einsamkeit gedrungen; aber die Eigenthümlichkeit dieser ganzen Erscheinung, dieses frivol spottenden Märtyrers, der mit dem Heldenmuth des souverainen Witzes einer schmerzhaften und unheilbaren Krankheit Trotz bietet, läßt sich nicht aus oberflächlichen Berichten erfassen.
Es war im November 1851, als ich den kranken Poeten in seiner „Matratzengruft“ der Rue d’Amsterdam aufsuchte. Und dieser November war so naßkalt-unheimlich; in der Luft lag bereits der Staatsstreich, der ihm auf dem Fuße folgte. Auf dem Marsfeld exercirten die Truppen in Feuer; auf der Brücke von Jena begegnete ich dem Cäsar, der ein paar Tage darauf den Rubicon überschreiten sollte. Wie eine wilde Jagd brauste sein Gefolge auf schnaubenden Rossen an mir vorüber; so trotzig, keck, unternehmungslustig blickten diese Gesichter; es schien mir ein Zug von Abenteurern zu sein; diese Marschälle zeigten etwas von der Bravour des Circus; ich dachte an das Abenteuer von Straßburg und Boulogne, aber nicht daran, daß es so bald sich blutiger und erfolgreich auf dem Macadam der Pariser Boulevards wiederholen würde.
Der kranke deutsche Dichter im Hinterhause der Rue d’Amsterdam, den nicht einmal das Geräusch der Fiaker in der unruhigen Weltstadt störte, vernahm nichts von dem militärischen Lärm des Marsfeldes, wie auch später das Echo von den Fusilladen der Boulevards nicht in seine Folterkammer drang. Seine Begeisterung für den ersten Napoleon hatte er nicht auf den Prinzpräsidenten übertragen, der überhaupt damals unterschätzt wurde; der gute König Louis Philippe mit dem Regenschirm und dem bürgerlichen Händedruck und seinem etwas steifleinenen Minister Guizot, der auch als Staatsmann den Professor nicht verleugnete, waren dem Dichter sehr ans Herz gewachsen; hatte er doch als deutscher Flüchtling von ihnen eine Pension erhalten. So durfte er die Februar-Revolution ein beklagenswerthes Ereigniß nennen!
Ich war bei meinem Besuch mit guten Empfehlungsbriefen ausgerüstet; denn bei einem Dichter kann man nicht besser empfohlen sein, als durch seinen Verleger, wenn er nämlich diesen selbst, was nicht immer der Fall sein soll, als den besten aller Verleger empfiehlt oder gar in unsterblichen Versen besingt:
Ich aß und trank mit gutem App’tit
und dachte in meinem Gemüthe:
„Der Campe ist wirklich ein großer Mann,
Ist aller Verleger Blüthe.
Ein and’rer Verleger hätte mich
Vielleicht verhungern lassen,
Der aber giebt mir zu trinken sogar,
Werde ihn niemals verlassen.
Ich danke dem Schöpfer in der Höh’,
Der diesen Saft der Reben
Erschuf, und zum Verleger mir
Den Julius Campe gegeben!“
Und ich brachte nicht blos einen Brief von diesem Veteranen des Buchhandels, mit welchem der Dichter so oft geschmollt, immer aber sich wieder verständigt hat; ich brachte auch die ersten Exemplare des „Romanzero“, und sie hatten noch dazu einen eleganten Umschlag und waren nicht so leintuchartig eingehüllt, wie das „Buch der Lieder“.
Ich fand den Dichter auf seinem Krankenbette; eine spanische Wand schützte dasselbe vor dem Licht des einzigen Fensters, welches das enge Stübchen aufzuweisen hatte. Kaum konnte man die Züge des Dichters erkennen; doch noch schwieriger wurde es diesem selbst, seine Besucher in’s Auge zu fassen; er mußte sich ein für alle mal mit einem flüchtigen „Aperçu“ begnügen; denn seine Augenlider waren geschlossen; er konnte sie nur gewaltsam mit Hülfe seiner Finger öffnen. So betrachtete er mich und dann sein neuestes Werk; es war ja das dichterische Evangelium dieser Krankenstube, das er in Händen hielt, ein Evangelium mit Lamentationen und Klageliedern, voll Noth und Jammer, aber auch voll witziger Ungezogenheiten und verzweifelter Cynismen und mit einer Eintheilung versehen, die das Conto des Poeten mit dem Himmel nach besten Kräften zu reguliren suchte; es war der „Romanzero“, diese Spottgeburt des freiesten Geistes und der gebundensten Materie, ein Werk oft dumpf und widerwärtig, oft genial und hinreißend, hier die Luft des Spitals, dort den Balsamhauch des olympischen Aethers athmend.
Und welcher Dichter freut sich nicht über sein neues Werk, wenn es druckfertig vor ihm liegt, eine vollbrachte That, eine geschlagene Schlacht auf dem Gebiet des Geistes? Es war ein wehmüthiges Lächeln, welches die Lippen des kranken Dichters umschwebte, nachdem er mit mühsam heraufgezogenen Lidern den „Romanzero“ in seiner Hand betrachtet hatte. Bald aber begann die wilde Witzjagd, wie immer bei wiederholten Besuchen nach den ersten Lamentationen über die schlummerlosen Nächte und die entsetzlichen körperlichen Leiden; die Lichter und Irrlichter des Esprit funkelten unheimlich in der düstern Krankenstube, und wie kleine wimmernde Kobolde, die mit knisternden Feuerruthen gepeitscht werden, taumelten diese Witze hin und her, von manchem Seufzer des Schmerzes unterbrochen, und hefteten ihre schonungslosen Pasquille auf den Rücken vielgenannter Männer und Frauen.
So oft ist der Pariser Aristophanes auf seinem Krankenbette geschildert worden – wer suchte nicht den Schlüssel zu dieser eigenartigen Erscheinung, ein Schlüssel, der doch nur in dem Wesen, in der ganzen Entwicklung des Dichters liegen konnte? Hierüber giebt eingehenden Aufschluß die Schrift von Adolf Strodtmann „Heinrich Heine’s Leben und Werke“ (Berlin 1869, zwei Bände), eine gründliche Biographie Heine’s, durchdrungen von der günstigsten Vormeinung, aber unbefangen genug, um auch dem entgegengesetzten Urtheil durch eine Menge wahrheitsgemäß berichteter Thatsachen Anhaltspunkte zu geben.
Heine’s Kindheit und Jugend, die Düsseldorfer Erinnerungen, die seinen Napoleoncultus bestimmten, die Bonner Universität und August Wilhelm von Schlegel, der Heine’s Phantasie mit Bildern [248] aus dem Lotosblumenlande befruchtete, Hamburg, die cynische Hammonia, mit den Reminiscenzen an eine erste sentimentale Jugendliebe und später ein Ziel pietätvoller Neigung, weil des Dichters alte Mutter dort lebte, Berlin mit Rahel und Varnhagen, Gans und den Romantikern, der schöne waldduftige Harz, Helgoland und die Nordsee mit ihren kecken Nomaden – das alles zieht in bunter Bilderfolge an unserem innern Sinn vorüber und überall erkennen wir die Fäden, an denen die Poesie des Dichters mit Menschen, Städten und Gegenden zusammenhängt. Immer aber bleibt Paris die Stadt, in welche man sich Heine am liebsten hineindenkt, in der er beinahe die Hälfte seines Lebens zugebracht hat, und wieder ist es die letzte Epoche seines Pariser Aufenthalts, für welche man die größte Theilnahme empfindet.
Alles, was die verschiedensten Weltfahrer über ihre Besuche in der Rue d’Amsterdam berichtet haben, sowie die Enthüllungen, welche Heine’s eigener Briefwechsel bietet, sind von Strodtmann sorgfältig zusammengestellt worden. Die interessanteste Erscheinung am Krankenbette des Dichters ist jedenfalls die geheimnißvolle „Mouche“, ein weibliches Wesen, in welches sich der todtkranke und sterbende Dichter „verliebte“. Welch ein Phänomen, diese Billets-doux, die bereits der moderduftige Tod contrasignirt hatte! Und aus dieser Mischung ohnmächtiger Liebeslust und gespenstiger Grabesgedanken ging jenes dämonische Gedicht hervor, welches zu den eigenthümlichsten und großartigsten Schöpfungen des Dichters gehört und für welches sich in der Literatur aller Zeiten kaum ein Gegenstück findet, jenes Gedicht „an die Mouche“. Der Poet sieht sich selbst als einen todten Mann im Grabe liegen; zu Häupten seiner Ruhestatt aber blüht die schwefelgelbe Blume der Passion, die sich plötzlich in ein Frauenbild verwandelt:
Du warst die Blume, du geliebtes Kind,
An deinen Küssen mußt’ ich dich erkennen.
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig keine Blumenthränen brennen!
Geschlossen war mein Aug’, doch angeblickt
Hat meine Seel’ beständig dein Gesichte;
Du sahst mich an, beseligt und verzückt,
Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.
Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
Was du verschwiegen dachtest im Gemüthe –
Das ausgesproch’ne Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüthe.
Und so geht durch die Sommernacht das lautlose Zwiegespräch, ein schöner Traum, „aus Lust und Schauder gewebt“:
Was wir gesprochen, frag’ es niemals, ach!
Den Glühwurm frag’, was er dem Grase glimmert,
Die Welle frage, was sie rauscht im Bach,
Den Westwind frage, was er weht und wimmert.
Frag’, was er strahlet, den Karfunkelstein,
Frag’, was sie duften, Nachtviol’ und Rosen –
Doch frage nie, wovon im Mondenschein
Die Marterblume und ihr Todter kosen.
Unsterbliche Verse, Madame! Kein Kritiker, der sie unter seine Lupe nimmt, kann Ihnen sagen, worin ihr Reiz und Zauber besteht. Das Genie ist eben ein Geheimniß, es läßt sich weder durch abstracte Formeln erklären, noch durch schimmernde Wendungen! Daraus mögen Sie die glänzende Blamage der Schulkritik erklären, welche zu allen Zeiten die Mittelmäßigkeit auf den Thron erhoben und den Genius verurtheilt hat; denn ihre Gewichte und Maßstäbe hören dort auf, wo das Unmeßbare und Unwägbare der dichterischen Ursprünglichkeit beginnt. „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen!“ ruft der Faust Ihres großen Dichters. –
Leider! sind jene schönen Verse unter dem Nachlaß Heine’s nur als verschüttete Edelsteine zu betrachten; in dem Gedicht selbst folgen weit mattere und poesielose Strophen, und was sonst aus seinen letzten Zeiten veröffentlicht wird, trägt bisweilen einen Cynismus zur Schau, der wie der Oelgeruch einer erlöschenden Nachtlampe widrig gemahnt. Außer den Gedichten, die in den siebenzehnten und achtzehnten Band der Volksausgabe der „Sämmtlichen Werke“ aufgenommen sind, hat Adolf Strodtmann „Heine’s letzte Gedichte und Gedanken“ (Hamburg 1870) in einem Supplementband zu jener Ausgabe erscheinen lassen. Diese letzten Gedichte setzen zum großen Theil die im „Romanzero“ angeschlagenen Tonweisen fort. Wir sehen den Dichter als armen „Lazarus“, krank, elend und abgemergelt; in einem Traum des Krankenbettes sieht er sich selbst wieder am Rhein, in Godesberg, unter dem Lindenbaum vor der alten Schenke sitzen:
Der Hals ist mir trocken, als hätt’ ich verschluckt
Die untergehende Sonne.
Und während er munter trinkt, sieht er sich wie zusammengekoppelt mit einem armen Schlucker, der ihm einreden will, sie beide zusammen wären ein einziger Mensch, der am Fieber leide; er prügelt sich mit seinem andern Ich:
Mir schwanden die Sinne und traumhaft hör’
Ich von Kataplasmen reden,
Auch von der Mixtur – ein Eßlöffel voll –
Zwölf Tropfen stündlich in jeden.
Er besingt den Blutegel, der ihm liebreich den „letzten Tropfen Rückgratschmalz“ aussaugt; er besingt noch so Unsägliches, Madame, daß die Grazien davor Reißaus nehmen, wenn auch die Musen aus alter Anhänglichkeit an ihren ungezogenen Liebling noch bei ihm ausharren. Ich würde Ihnen nicht rathen, Madame, diese Blätter in die Hand zu nehmen. Sie beginnen mit einem Spaziergang durch den frühlingsduftigen Wald; bald aber gerathen Sie in einen Sumpf und werden von widerwärtigen Insecten grausam zerstochen. In der That, die Insecten spielen in diesen nachgelassenen Gedichten eine große Rolle, und es sind nicht gerade die gaukelnden Schmetterlinge, denen der Dichter seine Liebe zugewendet hat; es sind jene Ungethüme, die unter dem Sonnenmikroskop wie vorsündfluthliche Weltwunder gemahnen, in ihrer schüchternen Lebensgröße aber keines Menschen Herz erfreuen. Man sieht sich bei der Lecture dieser Gedichte bisweilen nach persischem Insectenpulver um.
Oft scheint es uns, als wäre das Auge der Dichtung gelähmt wie das Auge des Dichters; dann aber begrüßt man auf einmal den Augenaufschlag echter Poesie. So ist das größere Gedicht „Bimini“ ebenso sinnreich, wie schön, wenn auch der vollaustönende Anfang nicht zu dem lakonischen Schluß passen will.
„Bimini“ spielt in der Zeit des Wunderglaubens:
Wunderglaube! blaue Blume,
Die verschollen jetzt, wie prachtvoll
Blühte sie im Menschenherzen
In der Zeit, von der wir singen.
Der Held der Geschichte ist Don Juan Ponce de Leon, der Entdecker Florida’s. Der mit Ehren überhäufte, altgewordene Gouverneur von Cuba hat nur eine Sehnsucht, die Sehnsucht nach seiner Jugend, nach ihrem Goldhaar, ihren Rosenwangen. Die Bäume erscheinen ihm glücklicher als die Menschen; es ist ein und derselbe Herbstwind, der sie ihres Blätterschmuckes entkleidet; kein junges Bäumchen verhöhnt mit grünem Laube die verwelkten Waldgenossen. Bei den Menschen aber ist es anders! Da ist Frühling bei dem Einen und Winter bei dem Anderen, und der Greis fühlt bei dem Anblick kräftiger Jugend doppelt schmerzlich seine Ohnmacht.
In einer Hängematte einschlummernd, läßt sich der Ritter von einer alten Indianerin schaukeln. Diese singt ihm eine märchenhafte Weise ihrer Heimath, von der Zauberinsel Bimini, wo die ewige Frühlingssonne blüht und wo aus einer Quelle das Wasser der Verjüngung strömt, welches ein verdorrtes Reis lieblich grünen macht und den Greis in einen Jüngling verwandelt. Da sehnt sich der alte Ritter nach dieser Zauberinsel Bimini; er rüstet eine große Flotte aus zur Entdeckungsfahrt. Und in köstlichen Trochäen von steifer Grandezza schildert der Dichter den Pomp der Schiffe, der Ritter und Damen, der Geistlichen, welche die Flotte einsegnen, mit so vorzüglich „wohlgefirnißten Couleuren“, wie sie das lebensgroße Conterfei der Donna Speranza zur Schau trägt, welche in stattlicher Figura das Hintertheil des Hauptschiffes schmückt. Und die sangeskundige Indianerin, geziert mit kostbarlichen Brüsseler Kanten und vielen Dutzend Perlenschnüren, welche ihre verwelkten Reize decken, mit einem Haarwulstkopfputz, der als „karaibischer Pompadour“ erscheint mit unzähligen, käfergroßen Vögelein von prächtigem Farbenschmelz, macht die Reise mit als
Großfliegenwedelmeist’rin,
Oberhamakschaukeldame,
Und Mundschenkin künft’ger Jugend
Auf der Insel Bimini.
Der Ritter selbst aber, zuversichtlich an die baldige Verjüngung glaubend, hat sich jugendlich herausgeputzt in der bunten Geckentracht [249] der Mode. Doch nun kommt das kurze, wehmüthige Ende des Gedichtes:
Während er die Jugend suchte,
Ward er täglich noch viel älter,
Und verrunzelt, abgemergelt
Kam er endlich in das Land,
In das stille Land, wo schaurig
Unter schattigen Cypressen
Fließt ein Flüßlein, dessen Wasser
Gleichfalls wunderthätig heilsam –
„Lethe“ heißt das gute Wasser!
Trink’ daraus und Du vergißt
All Dein Leiden – ja, vergessen
Wirst Du, was Du je gelitten.
Gutes Wasser! gutes Land!
Wer dort angelangt, verläßt es
Nimmermehr – denn dieses Land
Ist das wahre Bimini.
Rührende Kindermärchenklänge! Die Muse des Dichters hat ein kindliches Lächeln voll tiefsinniger Weisheit. Sie sind glücklich, Madame! Sie brauchen keine unsichere Fahrt nach der Zauberinsel Bimini anzutreten; denn Ihnen gehört noch die Jugend mit allen ihren Frühlingswonnen. Der Dichter selbst aber mußte noch unsägliche Schmerzen erdulden, ehe er in den Hafen des wahren Bimini einlaufen und aus dem Quell der Vergessenheit trinken durfte.
Mitgetheilt von Brehm.
Seit geraumer Zeit arbeite ich an einem Buche, welches den Titel „Gefangene Vögel“ führen und im Laufe dieses Jahres im Verlag der Winter’schen Buchhandlung zu Leipzig erscheinen wird. Es soll ein Handbuch für den Liebhaber werden und ihm verläßlichen Rath geben über alle Vögel, einheimische wie fremde, welche man gegenwärtig in und außer Europa in Käfigen, Gesellschaftsbauern, Parks und Thiergärten gefangen hält. Da nun aber die Aufgabe, wie ich mir sie gestellt, die Kraft des Einzelnen fast übersteigt, habe ich meine Berufsgenossen, welche sich für diesen Gegenstand interessiren, alle mir bekannten Liebhaber und alle namhaften Thierhändler Europas um Mithülfe ersucht, und ist mir solche auch freundlichst gewährt worden, Männer wie Bartlett, Bodinus, Cabanis, Cronau, Finsch, Geoffroy, Girtanner, Gräßner, A. von Homeyer, Adolf Müller, Karl Müller, F. Schlegel, Bekemans, Westermann und Andere sehen die Bogen durch, ehe sie die Presse verlassen, ändern, berichtigen, verbessern, vervollständigen; mir bekannte und bis dahin noch unbekannte Liebhaber liefern Beiträge, die Ergebnisse besonderer Erfahrungen etc., sodaß es möglich wird, etwas Zweckdienliches zu schaffen.
Einen der eingegangenen Beiträge möchte ich unendlich weiteren Kreisen vorlegen, als die „Gefangenen Vögel“ jemals erreichen können, weil ich glaube, daß derselbe Vielen erwünschten, vielleicht ungeahnten Aufschluß geben wird über den einzigen Stubenvogel, welcher sich Bürgerrecht erworben auf der Erde, soweit gesittete Menschen sie bewohnen – den goldenen Sänger der glücklichen Inseln, deren Namen er trägt: unseren allbekannten Canarienvogel. Ich verdanke die Mittheilung dem Weltgroßhändler in diesem Zweige, Herrn Reiche in Alfeld, welcher Geschäft und Geschäftskunde von seinen Vorfahren ererbt und den Handel mit Canarienvögeln auf eine Höhe erhoben hat, daß er gegenwärtig viele Tausende von blanken Thalern zurückrollt in die Gebirgsdörfer am Harz, Vogelsberg, der Rhön und anderen Bergen, und in gar viele arme Hütten seinen Segen trägt. Diesen meinen Gewährsmann lasse ich im Nachstehenden reden und gebe damit zugleich Bruchstücke meines Buches.
„Der Handel mit Canarienvögeln und abgerichteten Dompfaffen nach außerdeutschen Ländern besteht seit Ende des vorigen Jahrhunderts; ich weiß, daß schon mein Urgroßvater und Großvater damit sich beschäftigten. Beide hatten sich St. Petersburg zum Absatzorte erwählt und brachten in jedem Frühjahre größere Mengen dorthin. Im Herbste und Winter besuchten sie zu gleichem Zwecke Holland und England. Doch wurde das Geschäft damals überall nur in sehr geringer Ausdehnung betrieben, da bei den unentwickelten Verkehrsmitteln jener Zeit die Versendung äußerst lästig und kostspielig war, schon weil sie so langsam von Statten ging. Zudem glaubte man, daß den Vögeln das Fahren schädlich sei, und ließ sie deshalb bis Hamburg oder Lübeck auf dem Rücken tragen. Im Hafen mußte man nicht selten, widrigen Windes halber, wochenlang liegen bleiben, und wenn endlich die Weiterreise angetreten werden konnte, nahm sie andere Wochen in Anspruch, falls nicht besonders günstige Winde das Segelschiff über Erwartung förderten. Daß der Handel solchen Hindernissen gegenüber unmöglich gedeihen konnte, bedarf nicht der weiteren Auseinandersetzung.
Wie noch heute geschieht, wurden die von den Züchtern aufgekauften Vögel sogleich in kleine hölzerne Käfige, sogenannte ‚Harzer Bauer‘ gesteckt und diese auf das ‚Reff‘, ein leichtes Traggestell, gesetzt, bis die Ladung von einhundertsechszig oder einhundertsiebenzig Bauern zusammengebracht war. Dieselbe wurde alsdann kunstgerecht mit Leinwand verhüllt und nun konnte der Träger sich auf den Weg machen. Zu Hause begann zunächst das Sortiren der Vögel durch einen in alle Geheimnisse ihres Wesens und Seins eingeweihten Sachverständigen, und hierauf trat man die Reise an. Zu einer Anzahl von ungefähr tausend Vögeln gebrauchte man sechs starke Träger, und eine Reise vom Harz bis Lübeck nahm zwölf Tage in Anspruch, während ich jetzt die vierfache Anzahl in nur zwei Tagen mehr von derselben Stelle nach New-York befördere.
Damals brach man bereits eine Stunde vor dem Tagwerden auf, legte die erste Meile zurück, fütterte, ging die zweite Meile ab, fütterte wieder, und rückte, nachdem man die dritte Meile hinter sich gebracht, in die Nachtherberge ein; denn nicht allein die Last der ‚Trägte‘, sondern auch ihre räumliche Ausdehnung verlangsamte den Weg, namentlich bei ungünstigem Wetter, starkem Winde etc. Die Ladung hatte eine Höhe von fünf, eine Breite von zweieinhalb, eine Tiefe von zwei Fuß und ein Gewicht von mindestens hundert Pfund, beanspruchte also die volle Kraft eines Mannes: – in der Regel mußte von zehn zu zehn Minuten einige Zeitlang geruht werden.
Zum Füttern und Uebernachten hatte man auf allen Wegen seine bestimmten Haltepunkte und Einkehrorte. Traf man, um zu füttern, im Wirthshause ein, so wurden sämmtliche Vögel rasch vom Reffe genommen und hierauf mit Futter und Trinken versorgt, so gut dies eben gehen wollte. Je sieben Bauer waren durch einen leichten Holzstock, Spille genannt, derart an einander befestigt, daß die Futterkästchen auf der einen, die Trinknäpfchen auf der anderen Seite sich befanden. Eine solche Reihe nach der anderen nun nahm einer der Träger vom Reff und gab sie in die Hände des zweiten, welcher etwas Futter in das Kästchen schüttete, während der dritte mittelst einer zweckmäßig eingerichteten Kanne die Trinknäpfchen mit Wasser versah, und der vierte die Reihen übereinander an den Wänden aufstapelte, Letzteres geschah, um jedem Vogel Licht und Luft zu geben und doch alle leicht übersehen, erkrankte ausscheiden und besonderer Pflege theilhaftig machen zu können. Im Verlaufe einer Stunde hatte man so etwa tausend Vögel abgefertigt, ließ sie hierauf eine fernere Stunde ruhig stehen, erquickte sich selbst mit Speise und Trank, packte auf und trat die nächste Meile an. Je von drei zu drei Tagen wurden sämmtliche Käfige gereinigt, zu diesem Zwecke also auch die Reihen auseinander genommen und wieder zusammengesteckt – eine Arbeit, welche so viel Zeit wegnahm, daß an diesem Tage nur zwei Meilen zurückgelegt werden konnten. Das für die Reise nöthige Futter wurde von einem besonderen Träger mitgeführt, während man die für die Seefahrt bestimmte Nahrung der Vögel als Frachtgut vorausgesandt hatte.
So lästig diese Versendung aber auch war: die schwerbepackten Träger zogen heiter und vergnügt ihres Weges dahin, begleitet auf Schritt und Tritt von den schmetternden Liedern aus hundert Vogelkehlen. Herbeigelockt durch den weithin schallenden Gesang, erschienen zuweilen Schaaren von freilebenden Verwandten: Finken, Hänflinge, Stieglitze, Lerchen und dergleichen, umschwebten die in [250] das Ausland ziehende Karawanen und gaben ihr oft auf weite Strecken hin das Geleite. Sie schickten den Abziehenden ihre besten Grüße zu, freuten sich aber doch, zu den Glücklichen zu gehören, welche in den schönen Fluren und Wäldern der Heimath verbleiben durften. Allein die Heiterkeit der Abziehenden wurde dadurch nicht herabgestimmt. Fröhlich sangen sie zurück: ,Wohl entbehren wir die goldene Freiheit; aber dafür ziehen auch die Stürme des Herbstes, die bitterkalten Tage, des Winters machtlos an uns vorüber. Für unsere Nahrung und Bequemlichkeit wird gesorgt, und die zartesten Hände widmen sich unserer Pflege.‘ So wenigstens glaubte ich den gegenseitigen Vogelgesang deuten zu dürfen, als ich im Frühlinge des Jahres 1841 mit tausend nach St. Petersburg bestimmten Vögeln unterwegs war; und wenn auch diese Deutung wohl nicht ganz richtig war: sie gewährte mir Freude, erleichterte die Bürde und kürzte den Weg.
Im Jahre 1842 wagte ich den ersten Versuch, Canarien- und andere in Deutschland geborene Vögel in Nordamerika einzuführen. Es war das erste derartige Unternehmen überhaupt. Ich mußte mich eines Segelschiffes bedienen und gebrauchte Monate, bevor ich in Amerika ankam. Noch war nicht die Liebhaberei für ausländische, am wenigsten für deutsche Singvögel drüben erweckt worden, und es bedurfte der größten Anstrengungen, um im Laufe des Herbstes und Winters für meine tausend Vögel Abnehmer zu finden. Es fehlte an Allem: an Liebhabern, an Käfigen, an Futter, wie es die Vögel von der Heimath her gewohnt, an Kenntniß, sie zu behandeln, an Verständniß für ihre Leistungen. Doch schon nach wenigen Jahren war allen diesen Mängeln abgeholfen worden, und die Liebhaberei vermehrte und verbreitete sich von Jahr zu Jahr.
Bereits 1846 nahm ich meinen jüngeren Bruder in das überseeische Geschäft, und wir betrieben nunmehr unseren Handel regelrecht und in immer steigender Ausdehnung. Im Jahre 1853 hatten wir es zu einem Absatze von zehntausend, im Jahre 1860 von fünfzehntausend Canarienvögeln gebracht. Seit dieser Zeit versieht mein Bruder das Geschäft allein, während ich den Einkauf diesseits des Weltmeeres und die Versendung übernommen habe; denn nur durch diese Theilung der Arbeit sind wir im Stande, den Anforderungen unseres Handels zu genügen.
Im verflossenen Jahre habe ich sechsundzwanzigtausend männliche Canarien- und etwa fünfzehnhundert verschiedene andere Singvögel nach New-York abgesandt. Andere Händler haben denselben Markt ebenfalls ausgesucht und zusammen in dem genannten Jahre etwa sechszehntausend Vögel dorthin gebracht, weshalb man mit Bestimmtheit annehmen kann, daß in dem einen Jahre mindestens zweiundvierzigtausend, wahrscheinlich aber nicht unter fünfundvierzigtausend Stück Canarienvögel nach Nordamerika ausgeführt worden sind.
Wir verkaufen jetzt größtentheils dutzend- und hundertweise an Wiederverkäufer und stehen mit allen Städten der Vereinigten Staaten in Verbindung. Von New-York an bis Californien, von Canada bis Missisippi – allüberall hat sich in den wenigen Jahren der deutsche Canarienvögel Eingang, Liebhaber und Freunde verschafft; sein frischer, klangvoller und tonreicher Schlag füllt das Prachtzimmer der vornehmsten Frau und klingt wieder im einsamen Walde, welcher das neuerrichtete Blockhaus noch umgiebt. Vor Jahren waren wir in Verlegenheit, zu den Vögeln die Gebauer zu liefern: gegenwärtig beschäftigt Günther, ein Deutscher, in seiner mit Dampfmaschinen verschiedener Art ausgestatteten Fabrik gegen hundert Arbeiter einzig und allein mit Anfertigung von Vogelbauern, welche er aus Blech und Draht ebenso gut als zierlich herstellen läßt.
Aber nicht allein nach Nordamerika wendet sich unser Handel. Abgesehen von den Tausenden, welche im Vaterlande selbst vertrieben werden, finden sich immer ungefähr fünftausend Stück ihren Weg nach England und Rußland, und werden alljährlich mindestens ebensoviele nach Südamerika (Rio de Janeiro, Buenos Ayres, Valparaiso), nach Indien und Australien versandt. Es ist nicht zu viel, eher zu wenig gesagt, wenn man angiebt, daß jährlich sechszig- bis siebenzigtausend Canarienvögel von Deutschland ausgeführt und nach überseeischen Plätzen gebracht werden.
Die Ausfuhr beginnt im Monat August, wenn die Abkömmlinge der ersten Frühlingsbrut schlagtüchtig und somit versendungsfähig geworden sind; sie währt ziemlich ununterbrochen fort bis zum April: dann ist aller Vorrath vergriffen. Wir versenden in Massen von tausend Stück und darüber gegenwärtig an jedem Sonnabend eine Anzahl von mindestens tausend Stück allein von Bremen aus. Leute, welche jahrelang Vögel gepflegt haben und vollständig seefest geworden sind, besorgen unterwegs die Wartung. Die Verschiffung geschieht mit den ausgezeichneten Dampfern des norddeutschen Lloyd, auch wohl mit denen der Hamburger Gesellschaft. Da die Sendungen in New-York von unserem Hause sofort nach Ankunft des Schiffes in Empfang genommen werden, fahren die Ueberbringer schon mit dem nächsten Dampfer zurück und sind so zweiunddreißig Tage nach ihrer Abfahrt von Bremen wieder in Deutschland.
Durch diese Massenversendung und den regelmäßigen Verkehr haben wir es ermöglicht, daß der Liebhaber in Amerika für zwei bis drei Thaler sich einen Vogel verschaffen kann, welcher über tausend Meilen von seiner Heimath gezüchtet und von den besten Meistern seiner Art zu einem vorzüglichen Schläger ausgebildet worden ist. –
Regelmäßig gezüchtet wurde der Canarienvogel früher nur am Harz; seitdem aber der Bedarf in so hohem Maße gestiegen, hat sich dieser Erwerbszweig – denn einen solchen bildet die Zucht des Canarienvogels – viel weiter ausgebreitet. In Nordhausen und Umgegend, auf dem ganzen Eichsfelde, in Hannover und Braunschweig, Hessen etc. bestehen Züchtereien; in mehreren Städten, in Hannover, Hildesheim, Wolfenbüttel, Clausthal etc. haben sich Vereine gebildet, deren Zweck es ist, den Gesang zu veredeln und zu verbreiten.
Die Zucht beginnt, je nachdem man heizbare oder nicht heizbare Räume zur Verfügung hat, zwischen Februar und April. Man bildet fliegende Hecken in Zimmern und Fluggebauern, ausnahmsweise nur in kleineren Käfigen. Je nach der Größe des Raumes setzt man drei bis sechs Männchen mit ungefähr dreimal, mindestens doppelt sovielen Weibchen zusammen. Der Raum ist ausgerüstet mit hoch oder niedrig angebrachten Sprunghölzern und etwa doppelt so vielen Nistkästchen und Körbchen, als Weibchen vorhanden sind; letztere hat man an den Wänden und im den Winkeln befestigt. In der Mitte des Brutzimmers steht der Futtertisch; auf dem besandeten Boden liegen Moos, Grashalme, Hirsch- oder Kuhhaare, Leinenfasern und andere Baustoffe, aus denen die Vögel nach Belieben sich wählen können. Täglich wird frisches, gesundes und reines Futter verabreicht, zumeist Sommerrübsen und nur zuweilen Glanz und Canariensamen, später, wenn es schon Junge giebt, zwei- bis viermal im Laufe des Tages hartgesottenes und kleingeriebenes Ei, vermischt mit derselben Menge gestoßenen und angefeuchteten Zwiebackes oder altbackener Semmel – etwa ein Ei täglich auf zwanzig Vögel. An frischem reinem Wasser darf natürlich niemals Mangel sein.
In den ersten Tagen des Zusammenseins entstehen in der Regel heftige, nebenbuhlerische Kämpfe unter den Vögeln, welche nicht selten einem und dem anderen das Leben kosten. Dagegen läßt sich nichts machen. Ist erst die Paarung vorüber und hat sich jedes Männchen – nicht wie das freilebende eine Gattin – seine Weiber errungen, das stärkere mehrere, das schwächere wenigere, so kehren Friede und Eintracht wieder, und es beginnt nunmehr ein sehr reges Familienleben. Die Weibchen wählen sich nach längerem Suchen und Bedenken endlich die ihnen am meisten zusagende Niststelle und machen sich sodann eifrigst mit dem Auf- und Ausbau des Nestes zu schaffen, werden dabei auch unterstützt, so weit es angeht, von dem Männchen, welches außerdem für Unterhaltung der Weiber sorgen zu wollen scheint und fleißig singt.
An fortwährender Aufsicht darf es der Züchter nicht fehlen lassen. Jedes Nest erhält seine Nummer, und jedes gelegte Ei, namentlich aber der Beginn des Brütens, wird gebucht, damit man wisse, wann die dreizehn Tage, welche die Zeitigung der Eier erfordert, abgelaufen sind und eine andere Art der Beaufsichtigung sich nöthig macht. Gegen das Ende der Brutzeit wird jedes Nest tagtäglich untersucht, nicht minder nach dem Ausschlüpfen der Brut, damit man faule Eier oder abgestorbene Junge rechtzeitig entferne und der oft launenhaften Mutter die Brut nicht entfremde. Auch der Sicherheitsdienst muß geübt werden: es gilt zu erforschen, ob sich nicht etwa ein unverbesserlicher Streithahn oder sonstiger Taugenichts in der Hecke befinde. Es giebt solche, welche sich nicht paaren wollen, oder solche, welche fortdauernd Unheil anrichten, indem sie anderer Nester zerstören, die brütenden Weibchen belästigen und ärgern, ja selbst Eier vernichten und wehrlose Junge tödten. Solche Störenfriede müssen unter allen Umständen entfernt werden.
[251] Nachdem die Jungen erster Brut die Nester verlassen und sich selbstständig gemacht haben, das heißt nicht mehr verlangen, von den Eltern gefüttert zu werden, fängt man sie heraus und bringt sie in einen anderen Raum, damit die zweite Brut durch sie nicht gestört werde. Mit der zweiten Brut verfährt man genau ebenso, mit der dritten wird die Hecke geschlossen.
Von größter Wichtigkeit ist es, möglichst ausgezeichnete Schläger in die Hecke zu setzen; denn so wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen, und die Güte des Gesanges bestimmt den Werth des Vogels.
Der veredelte Gesang soll nur aus wohlklingenden Tönen bestehen. Am beliebtesten sind die Glocken- und Flötentöne, die ‚Hohl-, Pfeif-, Lach- und Bogenrollen‘ oder Triller. Sodann wird von dem wahren Liebhaber verlangt, daß der Schlag des ‚guten‘ Vogels nicht allein aus einer großen Mannigfaltigkeit lieblicher Töne bestehe, sondern diese auch in angenehmer Weise für das Ohr in einander übergehen, verschmelzen, an- und abgesetzt werden. Solch ein Gesang, solch staunenswerthes Kunstwerk, läßt sich nur durch unausgesetzte Mühe, Beharrlichkeit und Sorgfalt von einzelnen Züchtern, den Altmeistern des Gewerbes, erzielen.“
Zum Sammeln der Vögel verwendet Reiche mehrere Aufkäufer, erfahrene, bewährte Kenner im Wählen und Ausscheiden; denn es handelt sich nur um Männchen oder Hähne, und das sichere Unterscheiden der Geschlechter erfordert langjährige Uebung, das Bestimmen der Preise das feinste Ohr für alle Schattirungen des Schlages.
„Aus allen diesen Mittheilungen,“ so schließt mein Gewährsmann, „geht wohl zur Genüge hervor, daß die Zucht des Canarienvogels und der Handel mit ihm ein erwähnenswerther Erwerbszweig geworden ist, welchen zu befördern von Staatswegen noch nicht das Geringste geschah. Nicht einmal zu unbedeutenden Zugeständnissen hat man sich herbeigelassen, nicht einmal eine Erleichterung des Versendens auf den Eisenbahnen gewährt. Während die Taxe für andere Eilgüter etwa ¾ Silbergroschen für den Centner und die Meile beträgt, müssen wir für lebende Vögel in Käfigen oder für lebende Thiere überhaupt 2½ Silbergroschen für die Centnermeile bezahlen, und während unsere Sendungen doch vor sonstigen Eilgütern nicht den geringsten Vorzug genießen, müssen wir selbst alle Gewähr übernehmen, ohne daß uns erlaubt wird, mit Eilzügen zu versenden und unsere Verluste dadurch zu verringern. Jedes Zugeständniß, welches man uns machen wollte, würde aber nicht allein uns, sondern in höherem Grade noch den meist armen Züchtern zu Gute kommen.“
2. Der Seelsorger auf der Hochalpe.
Wenn man die breite fruchtbare Thalebene der Etsch am Ende des oberen Vintschgaues verläßt und, angezogen von dem imposanten Anblicke des Ortlevstockes, der weltberühmten Stilfserstraße entlang zieht, bieten sich dem Auge des Wanderers jene gewaltigen Naturbilder dar, welche eben nur in unmittelbarer Nähe der höchsten Gebirge in ihrer ganzen Großartigkeit sichtbar werden. Nach überraschenden Wendungen des wild in die Tiefe tosenden Gletscherbaches, welcher alljährlich mit unglaublichen Anstrengungen durch Dammarbeiten, Ableitungen etc. wieder und wieder gezähmt werden muß, eröffnet sich dem Blicke eine der schönsten Hochgebirgs-Idyllen.
Rund umgeben von den Gletschern des Ortlev und Madatsch, überragt von den schneeweißen Spitzen der ganzen Gruppe, liegt in der Höhe von fünftausend Fuß das aus wenigen Häusern bestehende Alpendorf Trafoi. Dieses stille, abgeschiedene Nestchen entstand vor vielen Jahren, als das Wunderwerk, die neuntausend Fuß über die Meeresfläche führende Kunststraße, erbaut und vollendet wurde; das Posthaus, die Vorspanns-Hauptstation und die Wohnungen der vielen Arbeiter bildeten hier den Centralpunkt, von wo aus alle den Verkehr betreffenden Verfügungen eingeleitet und in Ausführung gebracht wurden. Als frühere Reichs- und einzige Verbindungsstraße Oesterreichs mit der Lombardei, wurde dieses kühne Bauwerk auch während des Winters mit namenlosen Kosten und dem Aufgebote vieler Menschenkräfte für die wöchentlich zweimal verkehrende Post offen gehalten, und damals stand Trafoi in seiner Blüthe, es erbaute sich ein Kirchlein, stellte dem Geistlichen durch freiwillige Robot ein kleines Wohnhaus her, und da die Gemeinde in ihrer weiten Ausdehnung nach Hunderten zählte, gelang es der Mühe des Pfarrers, eine Schulfiliale zu begründen, so daß auch für den vorhandenen reichen Kindersegen gesorgt war.
Diese glückliche Zeit ist nun für Trafoi entschwunden, seit Oesterreich dem italienischen Besitze entsagte, und die Brennerbahn den ganzen Verkehr nach dem Süden an sich gezogen hat. Die Straße wird von der Regierung nur noch von der Veste Gomagoi am Eingange in das Suldenthal abwärts nothdürftig in Stand gesetzt; von da aufwärts aber, wo die schwierigen Herstellungsarbeiten beginnen, wo allein bis Trafoi fünf gewölbte Brücken die Gletscherbäche übersetzen und weiter die mit Millionen errichteten Gebäude, Cantonieren, Dämme und massiven Schutzgalerien eine Reihe jetzt noch von allen Reisenden angestaunter Objecte bilden, ist Alles dem Verfalle preisgegeben, was nicht schon bei wiederholten Kriegszeiten niedergebrannt oder gewaltsam zerstört wurde.
Die Gasthofbesitzer von Spontini, Prad, Trafoi, St. Maria und Bormio ermöglichen zwar im Hochsommer noch immer den gefahrlosen Verkehr für Wagen, da aber abgesehen von Vergnügungsreisenden, die Straße unbenützt bleibt, so zwingt die Noth die armen Bergbewohner, oft sehr weit entfernt von ihren Ansiedelungen um Taglohn oder mit Holzarbeit ihr Brod zu verdienen. Selten gewahrt daher der Wanderer abseits der Straße ein menschliches Wesen, und so überwältigend schön auch die Landschaft von Trafoi ist, ebenso melancholisch stimmt der Anblick der zerfallenen Hütten des Dorfes, welche von ihren Bewohnern verlassen und aufgegeben zu sein scheinen. Nur bei dem kleinen Pfarrhause, nächst der Kirche, begrüßt den Ankommenden das Gekläffe eines lahmen, vor der niedrigen Eingangsthüre postirten Spitzes, und wenn der Reisende, unbekümmert um diesen streitlustigen Wächter, näher tritt, kann er in dem kleinen Hausgarten die gebückte Gestalt des Pfarrers emsig arbeitend sehen, der einen freundlichen Gruß artig, aber kurz erwidert und, ohne weiter Notiz von seiner Anwesenheit zu nehmen, die ganze Aufmerksamkeit den kümmerlich gedeihenden Gemüse-Pflanzen zuwendet. In seltenen Fällen stört den, wie es scheint, menschenscheuen Einsiedler eine weitere Frage, und die Meisten vergessen wohl bald die Begegnung mit einem Manne, der nicht die geringste Lust zeigte, ein Gespräch anzuknüpfen. Und dennoch wäre dieser Mann eine kleine Ausdauer werth gewesen, der, vergessen von den mit reichen Pfründen bedachten Mitpriestern, treu ausharrend bei seiner nur noch sechsundachtzig Seelen zählenden Gemeinde geblieben ist, im Kriege muthig mit seinen Tirolerschützen die Höhen vertheidigte, und in der Zeit des Friedens, ferne von jedem unduldsamen Fanatismus, als echter Priester auf diesem verschollenen Posten wirkt.
Sein Einkommen ist mit dem Verfalle seines Kirchsprengels so geschmälert, daß viele Tage des Jahres Brod und Kartoffeln die einzige Nahrung im Pfarrhause bilden, aber dennoch findet jeder Arme ein Almosen bereit, und kein Unglücklicher verläßt ohne lindernden Trost die Schwelle. Ausgenommen den Verkehr mit seinen Pfarrkindern, liebt der Pfarrer die Einsamkeit und ist zur Sommer-Reisezeit fast nie zu bewegen, den Gasthof, mit dessen Besitzern er auf freundschaftlichstem Fuße steht, aufzusuchen; er verbirgt sich vor der Außenwelt, weil er es verschmäht zu klagen und mit seiner unbeschreiblichen Armuth nicht prunken mag. Wenn die Schule Ferien hält, die Krankenbesuche gemacht sind und der kleine Acker besorgt ist, wandert er am liebsten noch tiefer in die Berge und meist jenem eng umschlossenen Felsenkessel zu, wo versteckt unter Tannen und Kiefern die Wallfahrts-Capelle steht, neben welcher die reich sprudelnden Quellen der heiligen drei Brunnen entspringen.
Diese kleine Kirche auf den vorgeschobenen Moränen des Trafoier und Madatsch-Gletschers erbaut, hat für die Umgebung eine große Bedeutung. Zweimal des Jahres strömen von weit [252] und breit große Schaaren Andächtiger hin, um der feierlichen Procession des Gnadenbildes beizuwohnen, welches im Frühjahr, wenn Schnee und Eis geschmolzen sind, dahin gebracht und im Spätherbst von seiner abgeschiedenen Sommerresidenz wieder in die Kirche von Trafoi zurückgetragen wird.
Während meines Aufenthaltes wurden eben zu letzterer Festlichkeit die Vorbereitungen getroffen, und ich konnte von meinem nächst den drei Quellen gelegenen Studienplatze beobachten, mit welcher Sorgfalt der alte Pfarrer bemüht war, die in der feuchten Capelle befindlichen verblaßten Bilder und Schmuck-Gegenstände zu reinigen, wie er dann heimkehrte, um nach wenigen Stunden, beladen mit dem ganzen geringen Reichthum der Paramente und Gefäße seiner Kirche, über den schmalen schwankenden Steg wiederzukehren. Ueber die Achsel an seinem Rocke hängend, trug er vorsichtig das einzige sonntägliche Meßkleid von undefinirbarer Farbe, an dessen Verbrämung die einstigen Spuren eines Gold-Brocates schwer erkennbar waren; die kleine Monstranz mit einigen lebhaft glänzenden böhmischen Edelsteinen, den Kelch und das schwere Meßbuch hielt er in beiden Händen, während die kleineren Utensilien in einem blauen Tuche zusammengebunden an seinem Gürtel befestigt waren. Der Anblick des Greises mit den armseligen Kirchenschätzen und die damit verbundene milde Resignation rührender Einfachheit waren weit ergreifender als aller Pomp kirchlicher Pracht, und obwohl ich bis jetzt nur wenige Worte mit dem Manne gesprochen hatte, konnte ich mich nicht enthalten, ihm entgegen zu gehen und meinen Beistand anzubieten. Er nahm die Hülfe sichtlich erfreut an, und als wir bei der Capelle angekommen waren, breiteten wir die Sachen sorgfältig auf einem Felsblocke aus. Während dieser Beschäftigung verhehlte ich nicht mein Erstaunen, wie es komme, daß sich Niemand in Trafoi gefunden habe, die schwere Bürde hierher zu bringen.
„Lieber Herr,“ antwortete der Priester, indem er sich ermüdet auf einem Steine niederließ, „meine Bergler müssen die Stunden des Tages ausnützen, um sich ihr sauer erworbenes Brod zu erringen, und ich bin froh für uns Alle, wenn Keiner freie Zeit übrig hat, mir zu helfen.“
Bei dem regen Interesse, welches mir der schlichte Priester schon längst eingeflößt hatte, wollte ich das Gespräch nicht so rasch abbrechen, und nach einigen allgemeinen Phrasen fragte ich mit aufrichtigem Interesse, ob er denn nicht um ein einträglicheres Beneficium nachsuchen könnte.
Nach kurzer Pause antwortete er treuherzig: „Wohl – wohl ist’s hart, auf der Hochalpe das Amt des Seelsorgers echt und recht zu üben, noch härter ist’s, so vieler Kümmerniß hülflos gegenüber zu stehen, und thatenlos zusehen zu müssen, wie jedes Jahr trübseliger wird für die arme Gemeinde. Aber sehen Sie, mein ganzes Wirken ist so innig verwebt mit den Dorfleuten; ich habe sie fast alle getauft, in der Schule erzogen, getraut und leider schon so viele begraben, daß ich ausharren will, bis auch ich mein müdes Haupt zur Ruhe lege. Leider geht es mit meiner Kraft scharf bergab und sie zerbröckelt gerade so rasch wie der Straßenbau da oben,“ fügte er sinnend bei, als eben einige losgerissene Steine über das senkrecht abfallende Gerolle in die Tiefe kollerten.
„Einmal war dies anders mit mir,“ fuhr er lächelnd fort, „alle diese Gebirge, welche Sie hier herum sehen, habe ich bei Tag und Nacht rüstig überschritten, als Tröster der Kranken, in den Almenhütten einsprechend, zur Kriegszeit mit den Scharfschützen die Grenzwacht gegen die Wälschen hütend, und als noch zur Winterzeit die Post hinüber verkehrte, da gab’s manch harten Strauß am Stilfserjoch mit den Elementen auszukämpfen. Selbst Sie als Maler können sich mit der lebhaftesten Phantasie keine Vorstellung davon machen, was es heißt, Winterstürme auf diesen Höhen zu bestehen – das heult und stürmt durch die Luft, während der Wirbelwind die Schneemassen auf und nieder peitscht, dem kräftigsten Manne friert das Fett in den Knochen und der Athem scheint den Dienst auf immer zu versagen. Aber mit beispielloser Ausdauer haben die Trafoier jederzeit ihre Pflicht erfüllt, gar mancher hat sein Leben und viele haben ihre Gesundheit eingebüßt, und kurze Zeit bevor man die Straße veröden ließ, erlebte ich selbst ein Ereigniß, welches niemals aus meinem Gedächtniß entschwinden wird.
Es war im November, als ein solches Unwetter hereinbrach; schon vor dem Tage, an welchem man die italienische Post erwartete, wuchsen die Schneewehen an manchen Straßenwendungen thurmhoch an. Die Vorspannpferde waren glücklicherweise bereits einige Tage früher auf der Franzenshöhe eingestellt, und so hatten unsere Arbeiter nur sich selbst einen Weg hinauf zu bahnen. Sie zogen, der Postmeister an der Spitze, dreißig Mann stark mit den Werkzeugen versehen zeitig Morgens aus, und ich schloß mich, mit allen Vorräthen meiner kleinen Hausapotheke für Unfälle versehen, der gefährlichen Expedition aus freiem Antriebe an. Eine Strecke weit ging es besser, als wir gedacht hatten, und die mitgenommenem Kienfackeln erwiesen uns prächtige Dienste; doch je höher wir kamen, desto schwieriger wurde es, uns durchzuarbeiten, und trotz der Schneereife sanken wir immer wieder in den neuen Schnee ein. Was waren aber die Qualen dieses sechsstündigen Marsches gegen die Ereignisse, welche wir noch erleben sollten!
Die Franzenshöhe war erreicht. Wir fanden die gut erwärmte allgemeine Stube des Stationsgebäudes leer, denn seine Bewohner waren wohl längst ausgezogen, die Post von der höchstgelegenen Cantoniera herunter zu geleiten.
Nachdem wir Alle eine kräftig bereitete Weinsuppe genossen hatten, suchten die meisten Bursche in kurzem Schlafe Kraft zu neuen Strapazen, während der Postmeister und ich nach den Pferden sahen, ob man für sie ausreichend gesorgt habe. Das Wetter wurde immer ungestümer, und endlich, nach einer langen, erwartungsvollen Stunde, entdeckten wir in weiter Entfernung den Postwagen, welcher, von zahlreicher Hülfs-Escorte umgeben, langsam abwärts kam. Endlich hatte er die letzte Straßenwendung gewonnen, und ich alarmirte unsere Leute, die auch in wenigen Minuten bereit waren, die Ablösung der Ankommenden zu übernehmen.
Der schwere Wagen, von einem Theile der Vorschaufler gestützt und vorwärts geschoben, konnte nur Schritt für Schritt weiter bewegt werden, die Pferde ermattet, in Schweiß gebadet und von den die Haut zerschneidenden krystallisirten Eisflocken zu Tode gepeinigt, wurden vom Postillon mit Gewalt gezogen, und der einzige Passagier, ein Italiener, welcher Tags zuvor bei warmem Sonnenschein von Como leicht bekleidet abgereist war, hatte, trotz des Pelzes, den der menschenfreundliche Conducteur ihm gegeben, bei der Ankunft auf der Franzenshöhe das Bewußtsein bereits verloren. Wir öffneten gewaltsam die zugefrorene Wagenthür, trugen den erstarrten Körper in die Vorhalle, und nach langen Versuchen gelang es mir, den Mann wieder zum Bewußtsein zu bringen. Der Arme fühlte sich in dem warmen Zimmerraume, wohin er später gebracht wurde, recht leidlich wohl, als man daran denken mußte, die schreckliche Reise auf’s Neue zu beginnen.
Das Firmament verdüsterte sich mehr und mehr, der Sturm pfiff gellend über die eisumhüllte Landschaft, und die Gefahr, daß bei einbrechender Nacht keine menschliche Kraft im Stande wäre, den Kampf mit den wild empörten Elementen siegreich durchzuführen, drängte zum unverweilten Aufbruche. Ich stand rathlos dem bleichen Kranken gegenüber, der nochmals in die erstarrende Winterkälte gebracht werden sollte. Entschlossen bei ihm auszuharren, schlug ich vor, ihn hier zu pflegen, bis die nächsten Tage besseres Wetter bringen würden, doch er bat und flehte, lieber während der Reise sterben zu wollen, als in dieser schauerlichen Einöde lebendig begraben zu werden.
Da letzteres auf einer Höhe von siebentausend Fuß und bei rings einstürmenden Schneemassen nur zu leicht wahr werden konnte, so wurde denn rasch gehandelt, die Pferde vorgespannt, der Wagen im Innern mit Heu vollgestopft, und der Reisende, in Pelz und Kotzen gehüllt, bis zum Halse hineingesteckt. Der unheimliche Zug setzte sich langsam in Bewegung. Voraus eine Doppelreihe von kräftigen Schneeschauflern, die Pferde geführt von dem oft erprobten Trafoier Postmeister, ich selbst hart am Wagenschlage gehend, mit Labung zur Hand, so ging es die Straße hinunter. Noch waren wir nicht weit gekommen, als eine der vielen Rolllawinen wie ein schäumender Wasserfall hart vor uns niederging, und die zwei ersten Vorgeher in die unabsehbare Tiefe schleuderte – einem Momente erschütternden Stillstandes folgte ein kurzes Stoßgebet für die unrettbar Verlorenen; aber ‚vorwärts‘ war die Losung, wenn unser aller Rettung gelingen sollte, und mit übermenschlicher Anstrengung erreichten wir endlich die Niederung.“
„Und der Reisende?“ unterbrach ich den durch seine ergreifende Erzählung selbst hocherregten Priester.
„Der kam scheinbar recht wohl nach Trafoi, doch als er in Meran anlangte, war sein Geist umnachtet, und ich hörte später von seinem bald darauf erfolgten Tode.“
[253]
[254] Nach einer langen Pause sprach der würdige Mann mit unbeschreiblicher Milde: „Jetzt braust zur Winterszeit der Sturmwind da oben über die verlassene Straße ohne Gefahr für uns, aber wir sitzen ohne Arbeit, abgeschnitten von der Welt, arm und hungrig in unseren elenden Hütten, rücken noch näher als sonst zusammen, erzählen uns von den trüben und heiteren Tagen der Vergangenheit, vergessen darüber die Gegenwart, und wenn die neunte Abendstunde vorüber ist, sagen wir Gute Nacht, um bald darauf im Traume eine bessere Zukunft zu sehen.“
Er war bei diesen Worten aufgestanden und sagte mir, nachdem er die mitgebrachten Gegenstände in der kleinen Sacristei verschlossen hatte, herzlich Lebewohl.
Diese Begegnung übte einen unauslöschlichen Eindruck auf mich aus; als ich nach einigen Tagen die Gegend verlassen wollte, vergaß ich nicht den alten Pfarrer aufzusuchen, um Abschied von ihm zu nehmen. Er begleitete mich eine kurze Strecke, und an der Wegscheide angelangt, legte er seine Hand auf meine Achsel, indem er treuherzig sagte: „Wenn Ihre Reise wieder einmal nach Trafoi geht, so dürfen Sie am Pfarrhause nicht vorüber gehen ohne einzusprechen; sollte die Thür aber verschlossen sein, dann werden Sie wohl zu dem Friedhof von Stilfs hinaufsteigen müssen, um mir den letzten Besuch abstatten zu können.“
Ich schied mit wahrer Wehmuth von dem seltenen Manne, und der Gedanke an ihn begleitete mich nach Botzen und über den Brenner.
In Brixen, der vielthürmigen Bischofsstadt, mußte mein Wagen am Eingange in die Stadt lange Zeit halten, um eine mit märchenhafter Pracht in Scene gesetzte Bitt-Procession nicht zu stören. Die Glocken hallten harmonisch zusammen und die gläubige Heerde wurde von einer Armee geistlicher Ordenspriester aller Grade über blumenbestreute Wege geführt. Ich verglich die mit niedergeschlagenen Augen dahinschleichenden Mönchsgestalten, den farbenschillernden Firlefanz, mit dem Bilde des würdigen Priesters, der mit seinen armseligen Kirchengeräthen über den schwankenden Steg zu dem heiligen Brunnen geschritten kam. Wie unendlich erhebender stand die Erinnerung an diesen Moment vor meiner Seele!
(Fortsetzung.)
Am andern Mittag, er war hell und frisch, kamen Wagen und Reiter aus der Nachbarschaft, Männer und Frauen wurden bewillkommnet. Marie hatte es durchgesetzt, Louise hatte eine neue Frisur annehmen, auch ihre Lieblingsfarbe – das elegische Grau, wie Marie es nannte – ablegen und sich hellfarbig kleiden müssen. Die Nachbarn und Nachbarinnen sahen sie beim ersten Begegnen staunend und befremdet an. Marie freute sich dessen, denn sie wußte, daß Louise nunmehr viel jugendlicher und lebhafter aussah.
Als der benachbarte Gutsbesitzer und der junge Beamte Marie vorgestellt wurden, machte sie eine Verbeugung, wobei sie jedoch die Augen nicht niederschlug, sondern fast gewaltsam aufriß. Sie musterte Beide und fand, daß dem äußern Anscheine nach die Wahl allerdings schwer sei.
Marie hatte das Glück, daß der angesehenste Mann des Freundeskreises ein ehemaliger Camerad ihres Vaters gewesen. Sie trat dadurch sofort in eine bevorzugte Ehrenstellung, der ganze Kreis gruppirte sich um sie, und Louise that Alles, um sie zum Mittelpunkte des heutigen Tages zu machen.
Der junge Beamte, der sofort erkannte, daß Marie bei Louise von entscheidender Bedeutung war, zeigte sich überaus zuvorkommend gegen sie. Er wußte sich ihr zuzugesellen, als man noch einen Gang durch den Garten machte. Im Laufe des Gesprächs sagte er leichthin, daß er auch Landwehr-Officier sei; er durfte voraussetzen, daß dies bei Marien einen besonders günstigen Eindruck hervorbringe.
Marie fand Erscheinung und Benehmen des Mannes sehr ansprechend, aber – war es Wirklichkeit oder spielte er’s nur? – er that schmachtend, er war nicht kühn und selbstbewußt genug. Marie sagte sich innerlich, daß dies nicht der Rechte sei; denn wer Louisen gewinnen wollte, mußte sie eigentlich dahin bringen, daß sie nach ihm verlangte.
Der junge Beamte schien sich nicht nur auf die Bedeutung von Baumschlag und Vordergrund eingeübt zu haben, er sprach sogar sehr eifrig von dem Glücke des künstlerisch bewußten Schauens und wie die heutige Blüthe der Landschaftsmalerei dem naturforschenden Charakter unserer Zeit entspreche; er deutete auf eine Baumgruppe, auf den Himmel und pries das Glück, in der Wiedergabe von Licht und Luft schwelgen zu können. – Er setzte Alles dies Marien auseinander und gab es doch, wie man sagt, nur zur Post; Marie sollte es der Freundin berichten.
Marie lächelte vor sich hin: „Der ist abgethan. Laß sehen, was der spröde Gutsbesitzer für ein Menschenkind ist!“
Der Gutsbesitzer hielt sich vorzugsweise zu Vater Merz. „Gute Manier, und nicht übel gewählt,“ dachte Marie. „Er hat wahrscheinlich hohe Achtung vor dem Manne, oder aber er heuchelt sie in diesem hohen Grade. Immerhin! Das wirkt gut auf Louise, denn sie liebt ihren Vater schwärmerisch, und wer diese Liebe mit ihr theilt, hat viel gewonnen.“
Im Gegensatz zu dem jungen Beamten sah der Gutsbesitzer in Marien ein Hinderniß. Er war eine ernste, neben seinem Berufe vorzugsweise der Politik zugewandte Natur: Ein Wesen wie Marie, das er schnell erkannt hatte, lenkte den Sinn der Freundin auf das Leichte, Flatterhafte. Er glaubte sogar zu bemerken, daß in dem Benehmen Louisens gegen Marie etwas Gezwungenes sei, er wollte daher mit dieser nicht gemeinsame Sache machen. Ja, als ihn Louise fragte, wie Marie ihm gefalle, sagte er geradezu: „Sie gefällt mir wie Ihnen. Ich glaube, daß Sie nur zeitweise mit einem solchen gewaltsam moussirenden neckischen Wesen leben können.“
Louise suchte ihn in seinem Urtheile zu berichtigen, aber sie that es doch in einer Art, die ihm nicht ganz Unrecht gab, und zum ersten Male schien der Gutsbesitzer seine Hoffnungen für berechtigt halten zu dürfen.
Bei Tische ging es heiter her, der alte Herr von Beuthen, der Marie zu Tisch geführt, hatte das Vorrecht, rücksichtslos sein zu dürfen.
Man sprach von der Reise nach Italien, die Herr Merz und seine Tochter unternehmen wollten, und der alte Beuthen rief: „Sie haben ein Unrecht begangen! Warum bauten Sie für unsere liebe Louise ein Atelier? Eine Kinderstube wäre besser.“
Man lachte. Die Augen Mariens gingen funkelnd am Tische hin und her. Sie sah, wie der junge Beamte erröthete; der Gutsbesitzer aber lachte mit.
Aller Blicke waren auf Louise gerichtet. Diese aber sah drein, als ob der Scherz sie gar nichts anginge. Mit haltungsvoller, unbewegter Stimme sagte sie endlich – sie fühlte, daß sie etwas sagen müsse –: „Ich freue mich, daß ich Herrn von Beuthen zu einem so anmuthigen Scherz Veranlassung gab.“ Sie unterhielt sich sehr eifrig mit einem stattlichen Manne, der neben ihr saß, so daß dessen Frau, die der junge Beamte zu Tische geführt, immer röther im Gesicht wurde, und diese Röthe wurde nicht vermindert, da sie auf Zureden des Beamten von den verschiedenen starken Weinen trank, die nach einander auf den Tisch kamen.
Man stand endlich von Tische auf; die älteren Herren blieben auf der Terrasse bei der Cigarre sitzen und Herr von Beuthen sagte mit gewaltiger Stimme ganz laut: „Es ist eine Schande für das ganze ledige Männergeschlecht, daß Louise noch unverheirathet ist.“
Die jungen Leute erlustigten sich im Garten. Louise stand noch eine gute Weile bei ihrem Tischnachbar in eifrigem Gespräch, aber Marie rief immer dringlicher und sie gesellte sich endlich in den jugendlichen Kreis. Scherz und Munterkeit herrschte und [255] aus einem Dickicht hörte man helles Jodeln, wie von einem jungen Gebirgsbewohner.
Marie hatte es dahin gebracht, daß Louise, die nicht eigentlich singen konnte, aber eine besondere Meisterschaft im Jodeln hatte, diese ihre Kunst preisgab. Sie hatte dabei die Gewohnheit, daß man sie nicht ansehen durfte, sie wendete sich ab, legte die feine linke Hand an die Wange und jodelte mit einer Kraft, als ob der Widerhall von Felsenbergen zurücktönte.
Die Alten und die Jungen mischten sich unter einander und es herrschte Heiterkeit, bis der Abend hereinbrach und die Gäste davonfuhren.
Als Louise wieder mit der Freundin allein war, sagte sie – und ihr Angesicht wurde flammroth –: „Ach, Marie, es ist doch gräßlich, und ich begreife es nicht. Ich bin doch …“
„Was denn?“
„Nein, es ist besser, ich sag’s nicht!“
„Auch mir nicht? Sprich doch!“
„Sieh, da waren so tüchtige, gediegene Männer“ – sie nannte diesen und jenen – „aber die mir ein Gefallen erwecken und die ich gescheidt und anmuthend finde, sind …“
„Verheirathet,“ fiel Marie ein.
„Ja,“ bestätigte Louise und bedeckte das Gesicht mit der Hand, „warum gefallen mir nur solche? Warum kann ich nur zu ihnen frei reden?“
„Und das weißt Du nicht? Du, die Tochter des Parlaments? Freilich, es ist zu einfach. Du läßt Dich solchen gegenüber frei gehen und sie können auch zu Dir unbefangen sein. Bei einem Ledigen aber, da glaubst Du immer, er habe Absichten auf Dich und nun gar auf Deinen Reichthum; da kommst Du nun natürlich nie dazu, harmlos zu sein und Andere unbefangen kennen zu lernen!“
„O, wie recht hast Du, wie recht!“
Lange gingen die beiden Freundinnen still neben einander her, plötzlich trat ein schelmisch triumphirender Zug in die Mienen Mariens und sie sagte:
„Komm, setz’ Dich hier zu mir, ich will Dir auch mein Geheimniß sagen.“
Sie faßte die Hand Louisens, ihre Stimme stockte; Louise sah darin eine tiefe Herzensbewegung, aber es war doch etwas Anderes. Marie erzählte, ganz gegen ihre sonstige geläufige Redeweise öfter innehaltend, sie habe sich soviel als heimlich verlobt mit dem Rittmeister v. Birkenstock in der nahen Garnisonstadt, der, obgleich ein entfernter Verwandter von ihr, doch immer nur auf kurze Stunden und in Gesellschaft mit ihr zusammengewesen. Sie habe nun den Wunsch – denn es sei ihr wichtig, daß sie sich nun näher kennen lernten – Herr Merz möge den Rittmeister zu Besuch einladen, er könne auf dem nahen Gute bei dem Pächter wohnen; es sei ohnedies seine Absicht, den Abschied zu fordern und eine Gutspachtung zu übernehmen, denn er sei der Sohn eines Landwirthes.
Louise versprach das zu bewirken; Marie ging allein auf ihr Zimmer und bald brachte ihr Louise einen offenen Einladungsbrief ihres Vaters. Marie schrieb noch lange in der Nacht einen Brief, den ein Bote noch spät nach dem Bahnhofe trug.
Louise wollte ihre Freundin begleiten, die am zweiten Abend nach der Bahnstation fuhr, um den Rittmeister abzuholen. Louise nannte ihn den Verlobten, die Freundin bestritt diese Bezeichnung, denn sie sei noch keineswegs verlobt; da Louise aber bei dem Worte blieb, ließ sie es gelten.
Marie fuhr allein nach dem Bahnhofe, sie blieb aber nicht, wie wenige Tage vorher ihre Freundin, im Wagen sitzen; sie ging unruhig auf dem Perron und in den neuen, sich erst kümmerlich entfaltenden Gartenanlagen einher, sie sah oft nach der Uhr, die sie in den Gürtel gesteckt hatte.
Der Zug brauste heran, ein junger Mann winkte. Er hatte ein gedrungenes, frisches Antlitz, das durch den mächtigen, langgezogenen Schnurrbart noch etwas besonders Kenntliches hatte. Er stieg aus, er trug ein hellfarbiges, kleidsames Bürgergewand, aber schon auf den ersten Anblick ließ sich der Soldat erkennen. Mit behender Gewandtheit begrüßte er Marie und sagte: „Du sollst den Husarengeist nicht umsonst angerufen haben. Da bin ich! Ich folge Deinem geheimnißvollen Rufe. Ich habe genügenden Urlaub. Nun sprich: wo ist das Abenteuer? wo ist der Unhold, der Drache?“
Marie bat ihn, jetzt nichts zu fragen und überhaupt nicht deutsch zu sprechen. Sie gingen nach dem Wagen, sie setzten sich ein und der Rittmeister fragte: „Es werden mir doch nicht die Augen verbunden?“
Marie lächelte verneinend. Er fragte weiter, ob es ihm, als modernem Ritter, erlaubt sei zu rauchen. Es wurde gewährt.
„Was würdest Du dazu sagen,“ begann Marie endlich, „wenn dieser Wagen, diese Pferde, dazu ein schönes Rittergut und einige Hunderttausende im feuerfesten Schranke Dein Eigen würden?“
„Mit oder ohne Frau?“
„Mit.“
„Mit Dir?“
„Scherze nicht!“
Hastig athmend fuhr Marie fort: „Ach, wir sind doch alle Philister, ich auch. Warum wird mir jetzt auf einmal so bange?“
„Dir bange? Steht dies Wort auch in Deinem Wörterbuche?“
„Du hast Recht! Es ist doch eine so schöne und nützliche, ja sogar moralische Intrigue, die Du mit mir unternehmen sollst.“
„Du siehst mich als romantischen Märchenheld zu Allem gerüstet, vornehmlich mit der Tugend des schweigenden Gehorsams. Ich höre Dein Orakel so geduldig, wie Tamino in der Zauberflöte.“
„Es wird Dir bald Alles offenbar sein. Erinnerst Du Dich noch an Louise Merz?“
„Wer könnte sie vergessen! Soll ich sie heirathen?“
„Ja!“
„Ich bin sofort bereit. – Laß die Kirchenglocken läuten! Ich bin volljährig ... es ist Frühling ... und frische Handschuhe habe ich bei mir.“ ...
„Vetter, es ist Ernst.“
„Man lebt doch im Traume. Hat sie sich also meiner auch noch erinnert, wie ich damals beim Minister mit ihr tanzte? Erinnert sich der Vater meiner auch noch? Er hat eine besonders gute Eigenschaft – er raucht die beste Cigarre.“
„Albrecht, scherze nicht über den ehrenwerthen Mann. Schon um Louisen zu gewinnen, mußt Du ihn verehren.“
„Ich finde ihn bereits hochehrwürdig.“
„Albrecht, sage mir vor Allem, würdest Du Louisen auch heirathen, wenn sie nichts besäße?“
„Nein.“
„Das ist doch wenigstens ehrlich.“
„Bitte, liebe Cousine, laß mich meinen Satz vollenden. Ich könnte sie nicht heirathen, wenn sie arm wäre; aber wenn sie arm wäre und ich reich, dann –“
„Dann würdest Du sie heirathen?“
„Nein, dann würde ich Dich heirathen.“
Marie erröthete, verbot aber dem Vetter fernerhin jeden derartigen Scherz, sonst sei er nicht tauglich zu dem, was er unternehmen solle; denn er müsse eine Zeitlang als ihr Geliebter, ja als ihr Verlobter gelten. Louise verlange das.
„Ich verstehe nicht,“ lachte der Rittmeister.
„Etwas Binde um die Augen muß sich der Herr Rittmeister schon gefallen lassen,“ erwiderte Marie.
Sie gewann ihre heitere Laune wieder und sagte, daß Louise sich keinem Manne unbefangen nähere, der nicht bereits gebunden sei. Gegen Verheiratete und Verlobte zeige sie sich in ihrer ganzen liebenswürdigen Natur und erkenne auch die schönen Eigenschaften solcher Männer vollkommen. Darum solle der Vetter Rittmeister eine Zeitlang als ihr Verlobter gelten.
„Aber Marie, mit was spielst Du? Du weißt ja, daß Du mir –“
„Bitte, laß das. Du weißt ja –“
„Freilich, freilich,“ entgegnete der Rittmeister und machte mit der Hand eine Bewegung durch die Luft, wie wenn man einen Pinsel führt. Marie durchzuckte es, sie legte sich in den Wagen zurück, dann aber, sich rasch erhebend, rief sie wieder mit hellem Tone: „Mach’ mich nicht zur Pedantin! Ich erlaube Dir Aufmerksamkeiten, die Du ja schon als Vetter gegen mich haben darfst.“
„So bitte ich vor Allem um einen Kuß.“
[256] „Schäme Dich! Und Du verscherzest Dir Dein Glück. Wenn es denn durchaus sein muß, hier! küsse mir die Hand.“
„Bitte, zieh’ den Handschuh ab!“
„Nein. Und noch Eins, sei recht freundlich gegen Scheck. Wenn Du durchaus Zärtlichkeiten üben mußt, übertrage sie auf Scheck. Nicht wahr, Du spielst auch Schach?“
„Mein Ruhm ist groß! Wer ertrüge die Qualen der Vorwerkswachen ohne Tabak und Schach?“
„Und Du verstehst auch zu zeichnen?“
„Beleidige die Cadettenschule nicht!“
„Du verstehst also Landschaften aufzunehmen und über Schlagbaum – ich meine Baumschlag – und Perspective gut zu reden?“
„Mein gnädiges Fräulein! Betrachten Sie sich diesen Baum mit seinem melodischen Gezweige, diesen Rhythmus, diese Symphonie –“
„Schon gut!“
„Nein, es geht doch nicht,“ sagte der Rittmeister ernsthaft, „wir machen uns nur lächerlich und Deine Freundin zum Feind. Kann es die spröde Louise uns je vergeben, daß wir mit ihr gespielt haben?“
„So? Also das ist der frische Husarenmuth, der ein schönes Abenteuer welk spricht? Sei ohne Sorge. Nach einigen Tagen müssen wir in Streit gerathen und es muß sich einrichten, daß uns Louise unwillkürlich belauscht. Dann gebe ich Dir den Abschied und Du dankst mir – ich erlaube Dir sogar mir knieend den Dank auszusprechen – Du preisest mich hoch und bekennst ehrlich, daß Du Louisen – wie sagt man doch? – rasend, schwärmerisch, titanenhaft liebst. Und – glaube mir, Du wirst nicht zu lügen haben, es wird in Wirklichkeit so sein.“
Die Beiden sprachen lange nichts mehr. Der Rittmeister schien sich in seine Rolle zu finden. Aus langem Hinbrüten lächelte er auf, erhob sich und reichte dem Kutscher und dem Diener seine Cigarrentasche hin; sie nahmen dankend die Cigarren, sie waren beide Soldaten gewesen und wußten diese Höflichkeit eines Officiers zu schätzen.
Marie nickte triumphirend.
Der Rittmeister hatte von Jugend an eine gute Gewohnheit. Er führte in kurzen Sätzen regelmäßig ein Tagebuch. Das hatte er glücklicher Weise bei sich. Er fand die Zeit verzeichnet, da er Louisen begegnet war, und gute Anhaltspunkte, die seine Erinnerung auffrischten.
Marie fand Alles sehr einnehmend und sie konnte aus dem Gedächtniß noch Manches hinzufügen.
Man war wohlgerüstet, und mit froher Laune fuhr man in das Landgut ein.
Der adelige Club in Petersburg. Für Bühnenkünstlerinnen von Ruf kann es kein dankbareres Publicum geben als die Mitglieder des adeligen Clubs in der Newa-Stadt. Wie die Zeitungen berichten, hat Adelina Patti nach Beendigung ihres Gastspiels an der italienischen Oper daselbst von dem genannten Club eine mit einunddreißig Diamanten und einer birnengroßen (?) Perle geschmückte Broche, im Werthe von fünfundsiebenzigtausend Franken, erhalten. Beim Lesen dieser Notiz erinnerten wir uns eines noch kostbareren Geschenks von demselben Club, dessen Zustellung an die betreffende Künstlerin so interessante und pikante Momente aufzuweisen hatte, daß sie einer Mittheilung an dieser Stelle wohl werth erscheinen.
Vor fünf Jahren hatte Pauline Lucca ihr Gastspiel in Petersburg unter immensem Beifall beendet; sie trillerte bereits wieder seit Wochen im Berliner Hoftheater, wie eine einem Eiskäfig entflohene Nachtigall. Da meldeten sich eines Tages bei dem General-Intendanten der königlichen Schauspiele, Herrn von Hülsen, drei Männer aus St. Peter’s Metropole und stellten sich ihm vor als Geschenks-Deputation des adeligen Clubs in Petersburg. Der Sprecher erzählte, daß er und seine beiden Begleiter per Extrazug nach Berlin gesandt worden seien, um Fräulein Lucca, in Anerkennung ihrer Verdienste um die Erweiterung der Hochgenüsse der russischen Aristokratie – ein Sträußchen zu überbringen. Die Gesandtschaft richtete zugleich die Bitte an Herrn von Hülsen, gütigst Anweisung geben zu wollen, wie der delicate Auftrag am geeignetesten auszuführen sein möchte. Der Herr General-Intendant erklärte sich sofort bereit, die nöthigen Veranstaltungen treffen zu wollen, doch wünschte er, von sehr natürlicher Neugierde getrieben, das „Sträußchen“, zu dessen Transport und Uebergabe den Sendern drei Mann und vielleicht auch noch ein ganzer Extrazug nöthig erschienen waren, zuvor mit eigenen Augen zu sehen. Der Sprecher deutete durch ein Fenster auf die Straße; vor der Thür hielt ein Wagen und auf diesem stand ein eleganter runder Carton von bedeutenden Dimensionen, in welchem das Bouquet enthalten sein sollte. Herr von Hülsen ließ den Carton mit großer Vorsicht in sein Zimmer bringen, hier wurde der Deckel des Gehäuses abgenommen, und was entwickelte sich nun? – Ein Bouquet, drei Fuß im Durchmesser, von den schönsten weißen Camelien gebildet, – nebenbei bemerkt in strengster Winterzeit – die Garnirung bestand aus goldgesticktem weißem Atlas, der katholischen Frommgläubigkeit der Gefeierten war durch ein riesiges Kreuz von duftigen Veilchen, das im Grunde der Camelien, wie ein Kind im Schooß der Mutter, lag, Rechnung getragen. Als Mittelpunkt des Straußes, gewissermaßen als das Schwarze in der Scheibe, diente ein Krönchen von fünfzig großen Brillanten, die im Dunkeln förmlich Feuer sprühten. Den Stiel umschlangen zwei handbreite weiße Atlasbänder mit echten Goldfranzen, und in jedes Band war einer der Namen jener hocharistokratischen Clubmitglieder mit Gold kunstvoll eingestickt.
Herr von Hülsen war sichtlich überrascht von der Schönheit und Kostbarkeit des süßduftenden Blumenkunstwerks, und er erklärte der Deputation, daß die Uebergabe desselben jedenfalls keine gewöhnliche sein dürfe. Unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses wurden nun sofort die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Für den Abend des erwähnten Tages war die Nikolaische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ angesetzt, in welcher Pauline Lucca als „Frau Fluth“ excellirte. Der königliche Opernsänger, Bassist, Herr Eduard Bost, der als „Sir John Falstaff“ in dieser Oper die Lorbeeren der Lucca theilt, wurde mit ins Geheimniß gezogen. Der Carton mit dem Bouquet ward in „heimlicher Stunde“ nach dem Opernhause geschafft und in einem der Garderobezimmer einstweilen hinter Schloß und Riegel gehalten.
Am Schlusse der Oper hat „Frau Fluth“ zum „Fallstaff“ ungefähr die Worte zu sagen: „Sir John, es ist uns recht unglücklich gegangen, wir konnten nicht zusammen kommen. Zu meinem Cavalier will ich Euch nicht wieder machen, aber mein Thier sollt Ihr immer bleiben.“ Fallstaff erwidert: „Ich fange an zu merken, daß man einen Esel aus mir gemacht hat.“ Hier fügte er selbstständig ein: „Dennoch aber, liebe kleine Frau! trage ich Euch keinen Haß nach, und als Beweis, daß ich Euch noch immer gut bin, sollt Ihr von mir noch vor dem Nachhausegehen ein Sträußchen haben von Camelien und Veilchen, das ich trotz der rauhen Jahreszeit, für Euch direct aus Petersburg habe kommen lassen.“ Paulinchen sah den Sir John ob seines räthselhaften Extempores mit ihren großen Augen verwundert an; auch das Publicum wartete in Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Da gab Herr von Hülsen aus seiner Loge dem Dirigenten des Orchesters einen Wink; alsbald rauschten die ergreifenden Töne der russischen Volkshymne durch die Räume des dicht gefüllten Opernhauses; die drei Russen in ihrem Nationalcostüme traten aus der Coulisse auf die Bühne und überreichten nach der Landessitte knieend der Sängerin das kostbare, durch Schnüre vom Schnürboden herab mit getragene Bouquet. In den ersten darauf folgenden Secunden stand die gefeierte Primadonna einer Statue gleich, starr auf das dargereichte Blumen-Kunstwerk blickend, dann machte sich ihre freudige Rührung in einem reichen Thränenstrome Luft. Das Publicum hatte die Situation schnell begriffen und donnerartige Beifallsstürme brausten noch lange nach dem Fallen des Vorhanges durch das Haus.
Aus Hunger. Im hiesigen Polizeigericht kam gestern folgender Fall vor: Ein armes deutsches Mädchen hatte eine Kanne mit Milch vor der Privatwohnung eines reichen Amerikaners stehen sehen, wo ein Milchhändler dieselbe hingestellt. Hungrig wie sie war, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sich den köstlichen Trank zuzueignen. Der Milchhändler ertappte die Diebin aber auf der That, ließ sie arretiren und vor das Polizeigericht führen. Auf die Frage des Richters, was sie zu ihrer Vertheidigung vorbringen könnte, ließ ihm die vor Scham und Angst halb betäubte Unglückliche durch einen Dolmetscher sagen, sie hätte die Milch genommen, weil sie hungrig gewesen und keinen Cent Geld gehabt, sich welche zu kaufen. Als der Milchhändler dieses hörte, zog er sofort die Anklage zurück, und der Richter verurtheilte die Diebin zu ein viertel Dollar Strafe, der geringsten nach dem hiesigen Gesetz, welche einer der Anwesenden sofort bezahlte. Der Richter bemerkte darauf, daß man für die arme Fremde etwas tun müsse, und veranstaltete zu ihrem Besten eine Collecte, die er selbst mit einem Dollar begann. Binnen weniger Minuten wurden zwanzig Dollars in Gold unter den anwesenden Amerikanern zusammengebracht, welche Summe der Richter dem armen weinenden Mädchen einhändigte und sie ohne ein ferneres strenges Wort entließ.
Fremde Nationen und auch Deutsche zucken gern die Achseln über den hartherzigen, geldgierigen Yankee mit seinem „allmächtigen Dollar“. Wie aber möchte es dem armen Mädchen z. B. in Deutschland ergangen sein?
Wer hebt den ersten Stein auf gegen jenen amerikanischen Richter?
San Francisco, am 2. März 1870.
Ein deutsches Meer. Das Meer, welches sich von Holland bis Hamburg und von dort hinauf den schleswig-holsteinischen und jütischen Küsten entlang bis Norwegen erstreckt und westlich die lang hingestreckte Ostküste Englands und Schottlands bespült, mit Einem Worte: die Nordsee, wird schon von Alters her von den Engländern vorzugsweise der „German Ocean“ genannt. Sollte es nicht am Platze sein, auch in deutschen Schulen dafür die richtigere Bezeichnung des „deutschen Meeres“ einzuführen und dasselbe auf den Karten als solches zu bezeichnen? Sind es denn nicht vornehmlich teutonische Völker, die an seinen Küsten wohnen, und ist es nicht eine bittere Satire auf die deutsche Bescheidenheit, von den Engländern, deren Schriftsteller, Dichter, Naturforscher stets von dem „deutschen“ Meere sprechen, erst lernen zu müssen, was uns als dem Urstamm jener großen Völkerfamilie gebührt?! Wir wissen recht gut, daß einige deutsche Landkarten die Nordsee auch unter jenem richtigeren Namen aufführen, indeß erinnern wir uns aus unseren Schuljahren ebenso gut, daß „Nordsee“ stets die officielle Bezeichnung für dieses Meer war, und es wäre eine Nationalpflicht uns selbst gegenüber, von den Engländern das uns treu bewahrte Wort anzunehmen!