Die Gartenlaube (1873)/Heft 2
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No. 2. | 1873. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Die Höhe herab, über die der Weg vom Dorfe hierher führte, kam oder flog vielmehr ein Wagen, dessen Pferde augenscheinlich im Durchgehen begriffen waren. Vermuthlich durch die Böllerschüsse scheu gemacht, stürmten sie in rasendem Laufe dahin, so daß der Wagen, auf dem unebenen Wege hin- und hergeschleudert, in größter Gefahr schwebte, entweder den jähen Abhang rechts hinabzustürzen, oder an den mächtigen Bäumen links zu zerschellen. Der Kutscher schien alle Geistesgegenwart verloren zu haben, er hatte die Zügel fahren lassen, und klammerte sich in Todesangst an seinen Sitz an, und vom Hügel drüben, wo man der Bäume wegen das Unglück, das man angerichtet, nicht wahrnehmen konnte, krachte noch immer Schuß auf Schuß, und spornte die entsetzten Thiere zu immer wilderem Jagen an. Das schreckliche Ende dieser rasenden Fahrt lag nur zu deutlich vor Augen; bei der Brücke unten kam unausbleiblich die Katastrophe.
Die am Hause Versammelten thaten, was eine größere Versammlung bei solcher Gelegenheit meist zu thun pflegt. Man schrie laut auf vor Schrecken, man lief rathlos und hülflos durcheinander, die so nothwendige Hülfe wirklich zu bringen, fiel Niemandem ein. Selbst von den Grubenarbeitern hatte im Moment, auf den doch hier Alles ankam, keiner den Muth oder die Geistesgegenwart, rasch einzuschreiten. Keiner außer Einem, der allein seine Besonnenheit nicht verlor. Die Gefahr in ihrer ganzen Größe mit einem Blicke überschauen, den Vater und die Cameraden zur Seite schleudern und hinausstürzen, war für Ulrich das Werk einer Minute. In drei Sprüngen hatte er die Brücke erreicht, ein Angstschrei Martha’s hallte ihm nach – zu spät, er hatte sich den Pferden bereits entgegen geworfen und fiel ihnen in die Zügel. Hochauf bäumten sich die erschreckten Thiere, aber anstatt inne zu halten, setzten sie zu neuem Laufe an und wollten ihn mit sich fortreißen. Jeder Andere wäre von ihnen geschleift und zertreten worden, aber Ulrich’s Riesenkraft gelang es, sie zu bändigen. Ein furchtbarer Ruck am Zügel, den er nicht losgelassen, zwang das eine der Rosse zum Sturze, es fiel und riß im Fallen auch das andere mit sich nieder – der Wagen stand.
Der junge Bergmann war an den Schlag getreten, in der sicheren Voraussetzung, die Insassen, zum Mindesten die Dame, in Ohnmacht zu finden. Seiner Auffassung nach war dies der gewöhnliche Zustand der Vornehmen, wenn ihnen irgend eine Gefahr nahe trat, aber nichts von alledem hier, wo, wenn irgendwo im Leben, doch wirklich einmal die Berechtigung zur Ohnmacht vorhanden war. Die junge Frau stand aufrecht im Wagen, sich mit beiden Händen krampfhaft an der Rücklehne festhaltend, ihre starren, weit geöffneten Augen waren noch auf den Abhang gerichtet, in dessen Tiefe die Fahrt wahrscheinlich in der nächsten Minute ein schreckliches Ende gefunden hätte, aber kein Laut, kein Angstschrei war über ihre festgeschlossenen Lippen gekommen. Bereit, wenn es zum Aeußersten kam, einen Sprung zu wagen, der ihr hier freilich unausbleiblichen Tod gebracht hätte, hatte sie dem Tode stumm und fest in’s Antlitz gesehen, und ihr Gesicht zeigte, daß sie es mit vollem Bewußtsein gethan.
Ulrich hatte sie rasch umfaßt und herausgehoben, denn die am Boden sich wild aufbäumenden und schlagenden Thiere brachten den Wagen immer noch in einige Gefahr. Es waren nur wenige Secunden, während er sie über die Brücke trug, aber während dieser Secunden hefteten sich die dunkeln Augen fest auf den Mann, der sich mit solcher Todesverachtung fast unter die Hufe ihrer Pferde geworfen, und sein Blick streifte das schöne blasse Antlitz, das der Gefahr so muthig Stand gehalten – vielleicht war es dem jungen Bergmann gar zu ungewohnt, auf einmal ein weiches schillerndes Seidengewand im Arme, und sich von dem weißen luftigen Schleier umweht zu fühlen, der über seiner Schulter flatterte, ein Ausdruck der Verwirrung glitt über seine Züge, und hastig, beinahe ungestüm, setzte er die Dame drüben nieder.
Eugenie zitterte noch leise, als ihre Lippen sich zu einem tiefen freien Athemzuge öffneten, das war aber auch das einzige Zeichen der überstandenen Angst.
„Ich – ich danke Ihnen! Sehen Sie nach Herrn Berkow!“
Ulrich, der bereits im Begriff stand, dies zu thun, hielt befremdet inne. „Sehen Sie nach Herrn Berkow“, sagte die junge Frau, in einem Momente, wo jede angstvoll den Namen ihres Mannes gerufen hätte, und sie sagte es sehr kühl, sehr ruhig; eine Ahnung von dem, was die Herren an der Terrasse vorhin so ausführlich besprochen, dämmerte in dem jungen Bergmanne auf, er wandte sich um und ging nach „Herrn Berkow“ zu sehen.
Dieser bedurfte indessen seines Beistandes nicht mehr; er war bereits allein ausgestiegen und herübergekommen. Arthur Berkow hatte auch bei dieser Katastrophe seine passiv gleichgültige Natur nicht verleugnet. Als die Gefahr so unvermuthet hereinbrach und seine junge Gattin Miene machte, aus dem Wagen zu springen, hatte er nur die Hand auf ihren Arm gelegt und leise gesagt: „Bleib’ sitzen, Eugenie! Du bist verloren, wenn Du den [22] Sprung wagst!“ Dann war kein Wort, keine Sylbe weiter zwischen ihnen gewechselt worden, aber während Eugenie aufrecht im Wagen stand, nach Hülfe ausblickend und entschlossen, im letzten Moment dennoch das Aeußerste zu wagen, verharrte Arthur unbeweglich auf seinem Platze; nur als man sich der Brücke näherte, hatte er einen Augenblick lang die Hand über die Augen gelegt, und hätte sich wahrscheinlich mit dem Gefährt zerschellen lassen, wäre nicht gerade im entscheidenden Moment die Hülfe gekommen.
Gegenwärtig stand er am Geländer der Brücke, vielleicht um einen Schein bleicher als gewöhnlich, aber ohne Zittern, ohne jede äußere Spur der Erregung; ob er sie überhaupt nicht empfunden hatte, ob er sie bereits beherrschte – Ulrich mußte sich gestehen, daß in dieser Apathie zum Mindesten etwas Ungewöhnliches liege. Der junge Erbe hatte eben noch dem Tode in’s Auge gesehen und jetzt sah er ihn an, als sei ihm dieser energische Retter aus der Todesgefahr eine unfaßbare Merkwürdigkeit.
Die jetzt ziemlich überflüssige Hülfe kam nun von allen Seiten herbei. Zwanzig Hände regten sich auf einmal, die gestürzten Pferde wieder aufzurichten und dem vor Schreck noch immer halb besinnungslosen Kutscher herabzuhelfen. Der ganze Schwall der Beamten drängte sich herbei und umgab das junge Ehepaar mit Bedauern, Theilnahme und Beileidsbezeigungen aller Art. Man erschöpfte sich in Fragen und Hülfsleistungen, man konnte gar nicht begreifen, wie das Unglück hatte geschehen können, und maß den Schüssen, dem Kutscher und den Pferden abwechselnd die Schuld bei. Arthur ließ das einige Minuten lang völlig passiv über sich ergehen, dann machte er eine abwehrende Bewegung.
„Nicht doch, meine Herren, ich bitte Sie! Sie sehen ja, daß wir Beide unverletzt sind. Lassen Sie uns nur vor allen Dingen nach dem Hause gelangen.“
Er wollte seiner Gattin den Arm reichen, um sie dorthin zu führen, Eugenie aber blieb stehen und blickte umher.
„Und unser Retter? Hoffentlich ist auch ihm nichts geschehen?“
„Ja so, das hätten wir beinahe vergessen!“ sagte der Director etwas beschämt. „Es war ja Hartmann, der die Pferde aufhielt! Hartmann, wo sind Sie?“
Der Gerufene antwortete nicht, aber Wilberg, der in seiner Bewunderung für die romantische That ganz seinen vorherigen Groll gegen den Thäter vergaß, rief eifrig: „Dort drüben steht er!“ und eilte hinüber zu dem jungen Bergmanne, der sofort zurückgetreten war, als die Herren sich herbeidrängten, und jetzt an einem der Bäume seitwärts lehnte.
„Hartmann, Sie sollen – mein Himmel, was ist Ihnen denn? Sie sind ja todtenblaß, und wo kommt denn das Blut her?“
Ulrich kämpfte augenscheinlich mit einem Anfalle von Bewußtlosigkeit, aber dennoch flog ein zorniges Aufleuchten über seine Züge, als der junge Beamte eine Bewegung machte, ihn zu stützen. Empört, daß man ihm so etwas wie eine Ohnmacht zutrauen könne, richtete er sich hastig auf und preßte die geballte Hand fester auf die blutende Stirn.
„Es ist gar nichts! Eine bloße Schramme! Wenn ich nur ein Tuch hätte.“
Wilberg war im Begriff das seinige hervorzuziehen, als plötzlich ein seidenes Gewand dicht neben ihm rauschte. Die junge Frau Berkow stand an seiner Seite und reichte, ohne ein Wort zu sprechen, ihr eigenes, mit kostbaren Spitzen besetztes Taschentuch hin.
Baroneß Windeg mochte wohl noch niemals in die Lage gekommen sein, bei Verwundungen praktische Hülfe zu leisten, sonst hätte sie sich sagen müssen, daß dies winzige, reich gestickte Battisttuch wenig geeignet war, das Blut zu stillen, das, bisher noch durch das dichte blonde Haar etwas zurückgehalten, jetzt mit voller Macht hervorbrach, und Ulrich mußte das besser als sie wissen, dennoch griff er wie unwillkürlich nach dem Dargebotenen.
„Danke, gnädige Frau, aber das nützt uns nicht viel,“ sagte der Schichtmeister, der bereits neben seinem Sohne stand und den Arm um dessen Schulter legte. „Halt’ still, Ulrich!“ damit zog er sein eigenes Taschentuch von derbem Leinen hervor und drückte es auf die dem Anscheine nach ziemlich tiefe Kopfwunde.
„Ist es denn gefährlich?“ fragte Arthur Berkow, der in Begleitung der übrigen Herren jetzt auch herbeikam, in schleppendem Tone.
Mit einem Rucke hatte sich Ulrich von seinem Vater losgemacht und in die Höhe gerichtet, die blauen Augen blickten finsterer als je, als er herb entgegnete:
„Ganz und gar nicht! Es braucht sich Niemand darum zu kümmern, ich helfe mir schon allein.“
Die Worte klangen ziemlich unehrerbietig; indessen der eben geleistete Dienst war doch zu groß, als daß man sie hätte rügen können. Uebrigens schien Herr Berkow froh zu sein, daß die Antwort ihn der Mühe überhob, sich noch weiter um die ganze Angelegenheit zu kümmern.
„Ich werde Ihnen den Arzt senden,“ sagte er in seiner matten gleichgültigen Weise, „und den Dank behalten wir uns noch vor. Für den Augenblick ist ja Hülfe genug da – darf ich bitten, Eugenie?“
Die junge Frau nahm den dargebotenen Arm, aber sie wandte den Kopf noch einmal zurück, wie um sich zu überzeugen, ob die nöthige Hülfe auch wirklich da sei. Es schien fast, als ob die Art, wie ihr Gemahl die Sache behandelte, nicht ihren Beifall habe.
„Unser ganzer Empfang ist verunglückt!“ sagte Wilberg, als er sich einige Minuten später den Herren anschloß, die den Sohn ihres Chefs und dessen Gattin nach dem Hause begleiteten, ganz niedergeschlagen zu dem Ober-Ingenieur.
„Und Ihr Gedicht dazu!“ spöttelte dieser. „Wer denkt jetzt noch an Verse und Blumen? Uebrigens für Jemand, der an Vorbedeutungen glaubt, war dieser erste Empfang in der neuen Heimath gerade nicht glückverheißend. Todesgefahr, Verwundung, Blut – aber das ist ja gerade eine Romantik in Ihrem Style, Wilberg. Sie können eine Ballade darüber dichten, nur müssen Sie diesmal nothgedrungen den Hartmann zum Helden nehmen.“
„Und er ist und bleibt dennoch ein Bär!“ rief Wilberg etwas gereizt. „Konnte er der gnädigen Frau nicht ein Wort des Dankes sagen, als sie ihm ihr eigenes Taschentuch anbot? und wie ungezogen war seine Antwort Herrn Berkow gegenüber! Aber eine Riesennatur hat dieser Mensch! Als ich ihn frage, weshalb um Gotteswillen er sich denn nicht eher verbunden hat, giebt er mir lakonisch zur Antwort, er hätte die Wunde anfangs gar nicht bemerkt. Ich bitte Sie! Empfängt da einen Schlag am Kopfe, der Jeden von uns ohnmächtig hingestreckt hätte, und der bändigt erst noch die Pferde, trägt die gnädige Frau aus dem Wagen und merkt es nicht eher, daß er verwundet ist, als bis ihm das Blut stromweis herabstürzt; das sollte ein Anderer aushalten!“
Die sämmtlichen Grubenarbeiter waren inzwischen bei ihrem Cameraden zurückgeblieben; die Art, wie der künftige Chef sich mit diesem und seinem Danke an ihn abgefunden, für den Augenblick wenigstens, schien sie arg verletzt zu haben. Man sah viel finstere Blicke, hörte manche bittere, schneidende Bemerkung, selbst der Schichtmeister zog die Stirne kraus und hatte heute ausnahmsweise kein Wort der Vertheidigung für den jungen Herrn. Er war noch immer bemüht, das Blut zu stillen, wobei ihm Martha thätige Hülfe leistete. Die Züge des Mädchens trugen einen Ausdruck so unverkennbarer Angst, daß er selbst Ulrich hätte auffallen müssen, wären seine Augen nicht nach einer ganz anderen Richtung hingewendet gewesen. Es war ein seltsam langer und finsterer Blick, mit dem er den Davonschreitenden nachschaute; er dachte augenscheinlich an etwas ganz Anderes, als an den Schmerz seiner Wunde.
Im Begriffe, einen vorläufigen Verband um die noch immer blutende Stirn zu legen, bemerkte der Schichtmeister, daß sein Sohn das Spitzentaschentuch noch in der Hand hielt.
„Das Spinngewebe,“ die Stimme des Alten klang ungewöhnlich bitter, „das gestickte Spinngewebe hätte uns auch was Rechtes genützt! Gieb es der Martha, Ulrich, sie kann es der gnädigen Frau wieder zurückbringen.“
Ulrich blickte auf das Tuch nieder, das weich und duftig wie ein Hauch zwischen seinen Fingern lag; als aber Martha die Hand danach ausstreckte, hob er es rasch empor und preßte es auf die Wunde, die zarten Spitzen färbten sich blutroth.
„Aber was machst Du denn!“ rief der Vater halb erstaunt, halb ärgerlich. „Willst Du etwa mit dem Dinge da das zolltiefe Loch im Kopfe verbinden? Ich dächte, wir hätten Tücher genug!“
„Ja so, ich dachte nicht daran!“ entgegnete Ulrich kurz. [23] „Laß nur, Martha, es ist ja nun doch einmal verdorben,“ damit schob er es ohne Weiteres in seine Blouse.
Die Hände des Mädchens, die sich eben noch so flink gerührt, sanken auf einmal nieder und unthätig sah sie zu, wie der Schichtmeister einen nothdürftigen Verband anlegte und das Tuch festband. Dabei hefteten sich ihre Augen fest auf Ulrich’s Gesicht. Weshalb beeilte er sich so das kostbare Tuch unbrauchbar zu machen, wollte er es vielleicht nicht zurückgeben?
Der junge Bergmann schien übrigens wenig Talent für die Krankenrolle zu haben. Er hatte sich schon sehr ungeduldig gezeigt bei all den reichlich angebotenen Hülfsleistungen, und es bedurfte der ganzen Autorität des Vaters, um ihn zu vermögen, daß er sie sich überhaupt gefallen ließ; jetzt aber stand er auf und erklärte entschieden, nun sei es genug, man möge ihn endlich einmal in Ruhe lassen.
„Laßt ihn, den Starrkopf!“ sagte der Schichtmeister. „Ihr wißt ja, es ist nichts mit ihm anzufangen; wir wollen hören, was der Doctor sagt. – Du bist mir der rechte Held, Ulrich! Bei der Ehrenpforte helfen, die für die neue Herrschaft gebaut wird, das geht beileibe nicht, das ist ‚entwürdigend‘, aber sich vor die Pferde werfen, die mit derselben Herrschaft durchgehen, und sich gar nicht darum kümmern, daß noch ein alter Vater da ist, der nur den einen Jungen hat auf der ganzen Welt, das kannst Du. Consequenz nennt man ja das wohl in Eurer neumodischen Sprache. Nun, Ihr Anderen, da Ihr doch einmal Euerm Herrn und Meister in allen Stücken folgt – es kann wirklich nicht schaden, wenn Ihr Euch auch diesmal ein Beispiel an ihm nehmt.“
Und mit diesen Worten, denen man trotz ihres erkünstelten Grolles nur zu deutlich den Stolz auf den Sohn und die Zärtlichkeit für ihn anhörte, ergriff er Ulrich’s Arm und zog ihn mit sich fort.
Es war gegen Abend. Die Festlichkeiten auf den Berkow’schen Gütern hatten, wenigstens soweit es die Theilnahme der Herrschaft daran betraf, ihr Ende erreicht. Man hatte, nachdem die gefährliche Katastrophe, welche beinahe das ganze Fest in Frage stellte, glücklich überwunden war, das ursprüngliche Programm gewissenhaft innegehalten. Jetzt endlich befand sich das junge Ehepaar, das den ganzen Nachmittag über von allen Seiten in Anspruch genommen worden war, allein in seiner Wohnung. Soeben hatte sich Herr Schäffer verabschiedet, der morgen nach der Residenz zu dem ältern Herrn Berkow zurückkehrte, und jetzt verließ auch der Diener, nachdem er den Theetisch in Ordnung gebracht, das Gemach.
Die auf dem Tische brennende Lampe warf ihr klares, mildes Licht auf die hellblauen Damasttapeten und die kostbar gearbeiteten Möbel des kleinen Salons, der, wie überhaupt sämmtliche Räume des Hauses, zum Empfange der jungen Frau ganz neu und höchst prachtvoll eingerichtet, zu den Zimmern der letztern gehörte. Die seidenen Vorhänge, dicht zugezogen, schienen das Gemach von der Außenwelt völlig abzuschließen; in den Vasen und Marmorschalen dufteten die Blumen, und auf dem Tische vor dem kleinen Ecksopha stand das silberne Theeservice bereit, es war mitten in all der Pracht doch ein Bild traulicher harmonischer Häuslichkeit.
Soweit es eben den Salon betraf – die Neuvermählten schienen vorläufig den Zauber dieser Häuslichkeit noch nicht zu empfinden. Die junge Frau stand, noch im vollen Gesellschaftsanzuge, auf dem Teppich inmitten des Zimmers und hielt das Bouquet in der Hand, das Wilberg an Stelle Martha’s nun selbst zu überreichen das Glück gehabt hatte. Der Duft der Orangenblüthen fesselte sie sehr, so sehr, daß sie nicht die mindeste Aufmerksamkeit für ihren Gatten übrig behielt, der eine solche Aufmerksamkeit auch in der That nicht beanspruchte, denn kaum hatte sich die Thür hinter dem Diener geschlossen, so sank er mit dem Ausdrucke der Erschöpfung in einen Fauteuil.
„Dieses ewige Repräsentirenmüssen ist wirklich tödtend! Findest Du nicht, Eugenie? Seit gestern Mittag hat man uns kaum eine Minute Erholung gegönnt! Erst die Trauung, dann das Diner, dann die höchst anstrengende Eisenbahn- und Extrapostfahrt, die ganze Nacht und den ganzen Vormittag hindurch, dann noch den tragischen Zwischenfall, hier wieder Empfang, Beamtenvorstellung, Diner – mein Papa scheint, als er das Programm dieser Festlichkeiten entwarf, gar nicht daran gedacht zu haben, daß wir so etwas wie Nerven besitzen. Die meinigen sind, ich gestehe es, völlig hin.“
Die junge Frau wendete den Kopf und ein sehr geringschätzender Blick glitt über den Mann hin, der bei diesem ersten traulichen Beisammensein ihr von seinen „Nerven“ sprach. Eugenie schien nun allerdings diesen Uebelstand nicht zu kennen; ihr schönes Gesicht verrieth auch nicht die leiseste Spur von Ermüdung.
„Hast Du Nachricht erhalten, ob die Wunde des jungen Hartmann gefährlich ist?“ fragte sie statt aller Antwort.
Arthur schien etwas befremdet, daß man von der ungewöhnlich langen Rede, zu der er sich ausnahmsweise einmal hatte fortreißen lassen, so gar keine Notiz nahm. „Schäffer sagt, es sei nicht von Bedeutung,“ entgegnete er gleichgültig. „Er hat, glaube ich, den Arzt gesprochen. Dabei fällt mir ein, man wird doch auf irgend eine Anerkennung für den jungen Menschen denken müssen. Ich werde den Director damit beauftragen.“
„Solltest Du die Sache nicht lieber persönlich in die Hand nehmen?“
„Ich? Nein, damit verschone mich! Wie ich nachträglich höre, ist es nicht einmal ein gewöhnlicher Arbeiter, der Sohn des Schichtmeisters, selbst Steiger oder so etwas; wie kann ich da wissen, ob hier Geld oder ein Geschenk oder sonst etwas am Platze ist! Der Director wird das ganz ausgezeichnet arrangiren.“
Er ließ den Kopf noch tiefer in die Polster zurücksinken. Eugenie erwiderte nichts; sie ließ sich auf das Sopha nieder und stützte das Haupt in die Hand. Nach einer Pause von etwa einer Minute schien es Herrn Arthur denn doch einzufallen, daß er seiner jungen Frau einige Aufmerksamkeit schuldig sei, und daß er füglich nicht während der ganzen Theestunde so stumm in seinem Fauteuil vergraben bleiben könne; es kostete ihn allerdings einige Anstrengung, aber er brachte das Opfer und erhob sich wirklich. An der Seite seiner Gattin Platz nehmend, erlaubte er sich, ihre Hand zu ergreifen, und ging sogar soweit, daß er versuchte, den Arm um ihre Schulter zu legen; aber es blieb bei dem Versuche. Mit einer raschen Bewegung zog Eugenie ihre Hand aus der seinigen und rückte seitwärts. Dabei traf auch ihn wieder jener Blick, der seinem Vater gestern in der Kirche die erste Umarmung der Schwiegertochter so gründlich verleidet hatte. Es war derselbe Ausdruck eisig stolzer Abwehr, der besser als Worte sagte: „Ich bin unnahbar für Dich und Deinesgleichen!“
Es schien nun freilich leichter, dem Vater mit dieser vornehmen Art zu imponiren als dem Sohne, vielleicht weil dieser sich überhaupt durch nichts mehr imponiren ließ. Er sah denn auch weder bestürzt noch eingeschüchtert aus bei dieser Bewegung eines nur zu deutlich kundgegebenen Widerwillens; nur etwas erstaunt schaute er auf.
„Ist Dir das unangenehm, Eugenie?“
„Ungewohnt zum Mindesten! Du pflegtest mich bisher damit zu verschonen.“
Der junge Mann war viel zu apathisch, um die tiefe Herbheit dieser Worte zu verstehen; er schien sie als eine Art von Vorwurf zu nehmen.
„Bisher? Ja, die Etiquette in Deinem Vaterhause wurde etwas streng gehandhabt. Während unseres zweimonatlichen Brautstandes hatte ich nicht ein einziges Mal das Glück, Dich allein zu sehen, und die stete Gegenwart Deines Vaters oder Deiner Brüder legte uns doch einen Zwang auf, der bei diesem ersten ungestörten Alleinsein ja wohl fallen darf.“
Eugenie wich noch weiter zurück. „Nun denn, so erkläre ich Dir bei diesem ersten Alleinsein, daß ich Zärtlichkeiten, mit denen man der Convenienz genügt, ohne daß das Herz Antheil daran hat, durchaus nicht liebe. Ich entbinde Dich ein für alle Male von der Verpflichtung dazu.“
Das Erstaunen von vorhin prägte sich diesmal etwas lebhafter in Arthur’s Zügen aus; bis zu einer wirklichen Erregung kam er immer noch nicht.
„Du scheinst heute in einer eigenthümlichen Laune zu sein! Convenienz! Herz! Wirklich, Eugenie, ich glaubte bei Dir gerade am wenigsten romantische Illusionen befürchten zu müssen.“
Ein Ausdruck tiefer Bitterkeit überflog die Züge der jungen Frau. „Ich habe mit meinen Illusionen vom Leben in dem Momente abgeschlossen, wo ich Dir meine Hand zusagte. Du [24] und Dein Vater, Ihr wolltet ja nun einmal um jeden Preis Euren Namen mit dem alten edlen der Windegs verbinden, wolltet Euch damit den Eingang zu Kreisen und Ehren erzwingen, die man Euch bisher immer noch verschlossen hielt. Nun wohl, Ihr habt Euren Zweck erreicht – ich heiße Eugenie Berkow!“
Sie legte einen unendlich verächtlichen Nachdruck auf das letzte Wort. Arthur war aufgestanden; er schien jetzt endlich zu begreifen, daß es sich hier um mehr handelte als um eine bloße Laune seiner jungen Frau, vielleicht durch seine Vernachlässigung während der Reise hervorgerufen.
„Du scheinst diesen Namen allerdings nicht sehr zu lieben! Ich glaubte bisher nicht, daß bei seiner Annahme ein Zwang von Seiten Deiner Familie vorgewaltet hätte; jetzt aber scheint es mir doch –“
„Mich hat Niemand gezwungen!“ unterbrach ihn Eugenie fest. „Niemand auch nur überredet. Was ich that, geschah freiwillig, mit dem vollen Bewußtsein Dessen, was ich auf mich nahm. Die Meinigen tragen es schwer genug, daß ich das Opfer für sie wurde!“
Arthur zuckte die Achseln; man sah es seinem Gesichte an, daß das Gespräch bereits anfing, ihn zu langweilen.
„Ich begreife nicht, wie Du eine einfache Familienübereinkunft so tragisch nehmen kannst. Wenn mein Vater dabei anderweitige Pläne verfolgte, so waren die Beweggründe des Barons wohl auch nicht romantischer Natur, nur daß die seinigen vermuthlich noch dringender zum Abschluß einer Verbindung mahnten, bei der er jedenfalls nicht der verlierende Theil war.“
Eugenie fuhr auf, ihre Augen flammten und eine heftige Bewegung ihres Armes warf das duftende Bouquet vom Tische auf den Fußboden nieder.
„Und das wagst Du mir zu sagen? Nach dem, was Deiner Bewerbung vorherging? Ich glaubte doch wenigstens, daß Du darüber erröthen müßtest, wenn Du dessen überhaupt noch fähig bist!“
Die müden, halb verschleierten Augen des jungen Mannes öffneten sich plötzlich groß und weit; es glimmte darin etwas wie ein Funken unter der Asche, aber seine Stimme behielt ihren matten gleichgültigen Ton.
„Ich muß Dich vor allen Dingen bitten, deutlicher zu sein, ich fühle mich außer Stande, diese völlig räthselhaften Worte zu verstehen.“
Eugenie kreuzte mit einer energischen Bewegung die Arme; ihre Brust hob und senkte sich stürmisch.
„Du weißt es so gut wie ich, daß wir am Ruin standen! Wer ihn verschuldet, darüber kann und mag ich nicht rechten. Es ist leicht, den Stein auf Den zu werfen, der mit dem Untergange ringt. Wenn man die Familiengüter verschuldet und überlastet ererbt, wenn man den Glanz eines alten Namens, eine Stellung in der Welt zu wahren, die Zukunft seiner Kinder zu sichern hat, da kann man nicht Geld auf Geld häufen, wie Ihr in Eurem bürgerlichen Erwerbe. Du hast das Gold von jeher mit vollen Händen weggeworfen, hast jeden Wunsch Dir erfüllt, jede Laune Dir gestattet; ich habe das ganze Elend eines Lebens durchgekostet, das der Welt gegenüber Glanz heuchelt, heucheln muß, während jeder Tag, jede Stunde es dem unabwendbaren Ruin näher bringt. Vielleicht wären wir ihm dennoch entronnen, wären wir nicht gerade in die Netze Berkow’s gefallen, der uns anfangs seine Hülfe förmlich aufdrang, so lange aufdrang, bis er Alles in Händen hatte, bis wir, gehetzt, umgarnt, verzweifelt, keinen Ausweg mehr wußten. Da kam er und forderte meine Hand für seinen Sohn, als einzigen Preis der Rettung. Mein Vater hätte eher das Aeußerste ertragen, als mich geopfert, aber ich wollte ihn nicht geopfert, seiner Laufbahn entrissen sehen, ich wollte die Zukunft meiner Brüder nicht vernichtet, unsern Namen nicht entehrt wissen; so gab ich denn mein Jawort. Was es mich kostete, hat keiner von den Meinen je erfahren, aber wenn ich mich verkaufte, so kann ich es verantworten vor Gott und vor mir selber; Du, der sich zum Werkzeuge der niedrigen Pläne seines Vaters hergab, Du hast kein Recht, es mir vorzuwerfen; meine Beweggründe waren zum Mindesten edler als die Deinigen!“
Sie schwieg, überwältigt von der Erregung. Ihr Gatte stand noch immer unbeweglich vor ihr, sein Antlitz zeigte wieder jene leichte Blässe, die es heute Mittag gehabt, als er soeben der Gefahr entgangen war, aber die Augen waren bereits wieder verschleiert.
„Ich bedaure, daß Du mir diese Eröffnungen nicht vor unserer Trauung gemacht hast,“ sagte er langsam.
„Weshalb?“
„Weil Du dann nicht der Erniedrigung theilhaftig geworden wärest, Eugenie Berkow zu heißen.“
Die junge Frau schwieg.
„Ich hatte in der That keine Ahnung von diesen – Manipulationen meines Vaters,“ fuhr Arthur fort, „wie ich denn seinem ganzen Geschäftskreise überhaupt fernzubleiben pflege. Er sagte mir eines Tages, daß, wenn ich bei dem Baron Windeg um die Hand seiner Tochter werben wolle, mein Antrag angenommen werden würde. Ich fügte mich dem Project, und darauf fand die Förmlichkeit meiner Vorstellung statt, der in wenig Tagen die Verlobung folgte. Das ist mein Antheil bei der Sache.“
Eugenie wandte sich zur Hälfte ab. „Ich hätte ein offenes Geständniß Deiner Mitwissenschaft diesem Märchen vorgezogen,“ erwiderte sie kalt.
Wieder öffneten sich die Augen des jungen Mannes und wieder glimmte der seltsame Funke darin, der aufsprühen zu wollen schien und den die Asche doch erstickte.
„Also so hoch stehe ich in der Achtung meiner Gemahlin, daß meine Worte nicht einmal Glauben bei ihr finden?“ sagte er, diesmal doch mit einem entschiedenen Anfluge von Bitterkeit.
Schach dem König.
Kapuziner, Kapuziner,
Bärt’ger Alter, gieb nicht nach!
Bist du nicht der Kirche Diener?
Ei, so biet’ dem König Schach!
„Schach dem König, Schach dem Kaiser!“
Also schreit das Söldnerheer
Sich des Papstes längst schon heiser
Von den Alpen bis zum Meer.
Und auch du, der Kirche Diener,
Standest nie den Brüdern nach –
Darum vorwärts, Kapuziner,
Biete flugs dem König Schach.
Doch du lächelst meinem Eifer
Und ich glaub’ dich zu versteh’n –:
„Laß in Zorn und Haß und Geifer
Nur die Andern untergeh’n.
„Friedlich sitzen wir im Keller
Und der Sonne Sommerlicht,
Wär’ es auch noch zehnmal greller,
Stört uns in der Tiefe nicht.
„An der Treppe lehnt der Bruder,
Der mein Herz sich längst gewann,
Seit schon manches schöne Fuder
Wein durch unsre Kehlen rann.
„Und die beiden andern Alten
Sind aus Strahow,[2] hörst du wohl?
Wackre, würdige Gestalten
Von dem Prager Capitol –
„Machen, sind sie ohne Fragen
Sonst gleich gar gelehrte Herr’n,
Doch an heißen Sommertagen
Auch ein kleines Spielchen gern.
„Und so sitzen manche Stunde
Wir am heimlich kühlen Ort –
Kaum, daß in der Spielerrunde
Fällt ein leicht erregtes Wort.
„Nur zuletzt klingt’s durch die Halle,
Schach dem König! künd’ ich an,
Und der Andre in der Falle
Merkt, es geht ihm an den Mann.
„Schach und Schach! Auf scharfer Lauer
Steh’ ich, dräng’ ich nach beim Sturm,
Und da fällt der letzte Bauer,
Und da fällt der letzte Thurm.
„Schach und matt! So ist’s geendet,
Harmlos, wie es auch begann – –
Wie das Spiel sich draußen wendet,
Freund, das ficht mich wenig an.
„Eine schöne fette Pfründe
Und ein Keller voll von Wein
Gilt mir mehr als alle Gründe,
Mehr, als was die Blätter schrei’n.
„Schach dem Kaiser, Schach dem König!
Ruft der Papst im Vatican;
Schach dem Kaiser, Schach dem König!
Rufen Bischof und Caplan.
„Schach dem König! stets vom Neuen
Ruf’ auch ich’s im Keller hier,
Und es soll mich wirklich freuen,
Glückt’s dem Papst so gut wie mir.“
Hermann Oelschläger.
[26]
Im ruhigen Thale pläschert der Dampfer, dichte Rauchsäulen mit mächtigem Zischen ausstoßend, durch die tiefblauen, von der Sonne vergoldeten Wogen des herrlichen Lemansees. Links zeigt sich das düstere, von tiefen Buchten zerrissene und im Hintergrunde zu zackigen Felsspitzen, den Vormauern der eisigen Alpen, aufstrebende Gestade Savoyens; rechts lachen die grünen Weingelände der Waadt, hinter denen sich die eintönige Höhe des Jura hinstreckt. Es ist eine prächtige Fahrt; der See wird enger und enger; endlich hat er nur noch die Breite eines mächtigen Stroms, und vor uns erheben sich am Ufer weite weiße Reihen imposanter Paläste, breite elegante Quais, lange kolossale Brücken und über Allem die erhabene Cité mit dem stolz thronenden, aber architektonisch verunglückten St. Petersdome. Wir sind in Genf; früher hieß es das protestantische Rom – jetzt das kleine Paris –, noch immer aber nennt man es mit Vorliebe „die Stadt Calvin’s“.
Man ist durch den Einfluß früherer tendenziöser Geschichtschreibung noch jetzt gewohnt, den Theologen Johann Calvin als den Reformator der französischen Schweiz, als den Wohlthäter der kleinen Republik Genf und als einen Mann des Lichtes zu betrachten. Eine solche Auffassung ist dreifach falsch, wie die neuesten Erhebungen aus den Archiven von Genf, namentlich durch die Verdienste des fleißigen Forschers Galiffe, bewiesen haben. Diese Entdeckungen sind aber in weiteren Kreisen so unbekannt geblieben, daß ihre Mittheilung in einem weitverbreiteten deutschen Blatte gerechtfertigt erscheint.
Die Wirksamkeit Calvin’s galt einmal nicht der Schweiz, sondern Frankreich; er benutzte blos einen freien Boden, um von demselben aus seine Minen zu legen. Dabei ist er ferner nicht der Wohlthäter, sondern der unerträgliche Tyrann Genfs geworden. Endlich war weder Licht noch Freiheit, sondern die Vertauschung der römischen Geistesknechtung mit einer calvinistischen sein Ziel. Wir wollen dies nachweisen.
Vor Allem müssen wir die Thatsache hervorheben, daß in Frankreich niemals eine religiöse Bewegung aus dem Volke hervorgegangen ist, wie in Deutschland durch Luther, in der deutschen Schweiz durch Zwingli. Die Nation hatte dort niemals religiöse Ueberzeugungen, sondern ließ sich die Religion als polizeiliche Staatsanstalt immer von oben herab octroyiren. Schon in den ältesten Zeiten waren die Druiden zugleich Priester und Regenten der Gallier. Nach der Eroberung des Landes durch die Römer wurden ohne Widerstand die römischen Götter verehrt. Nach Einführung des Christenthums galt der damals unter allen germanischen Völkern und im oströmischen Reiche herrschende Arianismus als Staatsreligion; Chlodowig verdrängte ihn durch den römischen Katholicismus. Als im Mittelalter die päpstliche Herrschsucht dem französischen Königthum unbequem wurde, entstand die gallikanische Kirche, welche mit Umgehung des Papstes im Namen der französischen Krone das katholische Dogma beschützte. Und wie das druidische, römische, päpstliche und gallikanische Frankreich dies von Staatswegen war, so wurden auch in späterer Zeit der jacobinische Cultus der Vernunft und Robespierre’s „höchstes Wesen“ Staatsgesetz – und ebenso wäre dies im sechszehnten Jahrhundert der Protestantismus mit gleicher Zwangsanwendung geworden, wenn er – gesiegt hätte. Dieser Sieg war aber das Ziel Calvin’s, welcher nur deshalb aus Genf ein protestantisches Frankreich im Kleinen machte, um einen Musterstaat für sein wahres Vaterland aufzustellen, um im letzteren seine theologischen Ansichten zur Herrschaft zu bringen.
Die düstere alte Cité am Ausflusse der Rhone aus dem Lemansee, damals noch nicht mit modernen Quais, Brücken und Hôtels geschmückt, sondern durch Mauern und enge Wasserthore vom prachtvollen Seespiegel abgeschnitten, war bereits, ehe sich Calvin dort blicken ließ, zum Glauben der Reformation bekehrt. Der Begründer dieses Werkes, Anton Fromment, hatte unter der Maske von Lese- und Schreibstunden gegen die Mißbräuche in der Kirche zu eifern begonnen und stand endlich neben seinen Freunden Farel und Viret an der Spitze einer mächtigen Partei dem katholischen Sorbonne-Doctor Guy Furbity gegenüber, welcher sich vernehmen ließ: die römischen Priester ständen über der Mutter Gottes; denn diese habe Christum nur einmal geboren, während jene ihn alle Tage „machen“. Mit Hülfe des mächtigen Bern gelangten die Reformirten dazu, die Bilder zu zerstören und Mönche und Nonnen zu vertreiben (1534), und die Hülfe der Eidgenossen, wie sich nach ihnen auch die fortschrittlich gesinnten Genfer nannten, gab den Anhängern der Reformation im französischen Sprachgebiet von da an den noch vielen Leuten räthselhaften Namen der Hugenotten, was nichts ist, als eine Corruption aus „Eidgenossen“ (französirt Euguenots).
Erst zwei Jahre später langte in Genf der Franzose Jean Cauvin oder Calvin an. In seinem Vaterlande verfolgt, obschon dessen König aus politischen Gründen mit auswärtigen Protestanten und sogar mit den Türken verbündet war, – wählte er Genf zum Schauplatze seiner Wirksamkeit für das von ihm als Grundlage der Religion erklärte Dogma der Gnadenwahl, nach welchem nur Wenige von Gott zur Seligkeit auserwählt, der Rest aber trotz aller Verdienste verdammt sein sollte. Diesen furchtbaren Wahn wollte er in allen französisch sprechenden Ländern zur Herrschaft bringen, erst in Genf und dann, woran ihm noch weit mehr lag, in Frankreich.
Dem echten lebenslustigen Genfer mußte die düstere Weltansicht Calvin’s, diese Entwürdigung des höchsten Wesens zu einem leidenschaftlichen, verdammungssüchtigen Menschenfeind, ein Gräuel sein. Vor Allem war es daher Calvin darum zu thun, diese lebenslustigen Genfer zu unterdrücken, und das hoffte er zu erreichen, indem er aus seinem Vaterlande alle um des Glaubens willen Verfolgte nach Genf kommen ließ, wo sie dem Landsmanne und Beschützer blind ergeben waren. Erst in kleineren, dann in größeren Mengen erschienen die Flüchtlinge, erwarben Niederlassung und Bürgerrecht und übertrafen nach einigen Jahren bereits die eingeborenen Genfer an Zahl, unter denen indessen Calvin ebenfalls Anhänger zu gewinnen wußte. So standen sich zwei Parteien gegenüber: die alten Genfer schweizerisch gesinnt, Anhänger Zwingli’s und Freunde des Lebens und einer anständigen Fröhlichkeit, auf der einen, die eingewanderten Franzosen und ihre Gönner, den Schweizern abgeneigt, Anhänger Calvin’s und einer düstern, freudelosen, dogmatischen Weltanschauung ergeben, auf der andern Seite. Um die Ersteren gründlich zu verderben, scheuten die Letzteren das Mittel nicht, sie als leichtfertige, sittenlose Lebemenschen zu verleumden und ihnen den Schimpfnamen der Libertiner anzuhängen, welcher ihnen bei den Bewunderern Calvin’s bis auf den heutigen Tag geblieben ist.
Noch einmal ermannten sich die Freunde der Freiheit, welchen es gelang, Calvin und einige seiner Anhänger zu verbannen; aber dieser Erfolg war leider nicht von Dauer. Die Calvinisten wußten es dahin zu bringen, daß einer ihrer bedeutendsten Gegner, der Syndicus Jean Philippe, unter falscher Anklage hingerichtet wurde, und sofort fand sich auch eine Mehrheit, welche den Verbannten zurückrief.
Von da an scheute Calvin kein Mittel mehr, sich in der Herrschaft über die Geister zu befestigen. Er erhielt eine reiche Besoldung[3] und den Auftrag, „Gesetze zur Beherrschung des Volkes zu verfassen.“ Sofort organisirte er ein förmliches Spionirsystem, mittels dessen er, wie Galiffe erzählt, „nicht nur die Thaten, Mienen und Worte, sondern selbst die Gedanken und Ansichten jedes Bewohners von Genf, ja sogar der Abwesenden täglich erfuhr.“ Wer ihn beleidigte, wurde als „Beleidiger Gottes“ angeklagt und mußte öffentlich auf drei Plätzen der Stadt, im bloßen Hemde und eine Fackel in der Hand, knieend um Gnade bitten und sein Unrecht bekennen. Dies widerfuhr u. A. dem Zeughausverwalter Pierre Ameaux und dem Buchdrucker Dubois.
Den Rath von Genf veranlaßte Calvin, ein Gesetz zu erlassen, daß alle in vergangener Zeit begangenen Fehler gegen die Keuschheit nachträglich bestraft werden sollten. Es ist nachgewiesen, daß dieses Gesetz gegen Anhänger Calvin’s keine Anwendung fand. Sein erstes Opfer war ein einflußreicher Gegner des „Reformators“, der Syndicus Franz Fèvre, dessen bezüglicher Fehltritt, über den aber die Richter nichts Bestimmtes wußten,
[27] sechszehn Jahre rückwärts datirte. Er mußte im Gefängnisse schmachten, und so auch seine Tochter, welche die Richter getadelt hatte, und der Gatte derselben, der sich durch ihre Behandlung zur Drohung mit Rache hatte hinreißen lassen. Sechs Familienväter, die nichts Anderes gethan, als daß sie den bewaffneten französischen Calvinisten, welche die Wahlen in ihres Herrn Interesse „leiten“ mußten, Widerstand geleistet, wurden enthauptet und zwei davon überdies geviertheilt, worauf noch weitere Hinrichtungen und zahllose Verbannungen der Gegner Calvin’s folgten.
In den fünf Jahren von 1541 bis 1546, da die ganze Regierung Genfs unter Calvin’s Einflusse stand, wurden sechsundsiebenzig Menschen verbannt, acht- bis neunhundert eingekerkert und achtundfünfzig hingerichtet. Bei achtunddreißig der letzteren mußte damals die beliebte „Hexerei“ den Vorwand abgeben. Achtundzwanzig der Hingerichteten waren Frauen, unter ihnen auch die eigene Mutter des Scharfrichters, welcher gezwungen wurde, ihr die Hand abzuhauen und dann den Leib zu verbrennen, der ihn geboren. Eine der Unglücklichen erhängte sich aus Verzweiflung im Kerker; eine Andere stürzte sich aus dem Fenster; lebend aufgehoben, wurde sie doch noch verbrannt. In das Privatleben mischte man sich auf jede Weise. Bei der Taufe durften die Kinder keine anderen Namen erhalten als solche, welche in der Bibel standen; Musik und Tanz wurden verpönte Genüsse, und während Calvin’s Lebenszeit durfte nie mehr Theater gespielt werden. Man versuchte sogar, die Wirthshäuser zu unterdrücken, erzweckte aber damit keine Erfolge. Die Unsittlichkeit wuchs von Jahr zu Jahr, und zwar namentlich in Folge des Benehmens der französischen Einwanderer, vor deren Angriffen nicht einmal die Frauen in der Kirche sicher waren. Dabei ist nachgewiesen, daß von den Sittengesetzen zu Gunsten der dem herrschenden Systeme ergebenen Personen zahlreiche Ausnahmen gemacht wurden. Ja Solchen, die ihre Frauen in Frankreich zurückgelassen, wurde sogar erlaubt, in Genf zu neuer Ehe zu schreiten.
Calvin selbst bediente sich in seinen Predigten der unanständigsten Ausdrücke; er nannte Diejenigen, welche ihn nicht anhörten, Thiere, Hunde, Wölfe; er predigte, man müsse zwei Galgen errichten und daran sieben- bis achthundert junge Genfer aufhängen; ja er benahm sich so, daß selbst der ihm ergebene Rath ihn ermahnen mußte, „auf der Kanzel nicht so zu schreien.“
Seine Anhänger ahmten ihn getreulich nach. Der Pfarrer Chauvet, ein Gascogner, rief in der Predigt seinen andächtigen Zuhörern zu: „Pest, Krieg und Hunger sollen über Euch kommen.“ Der Prediger Treppereaux redete seine Pfarrkinder an: „Ihr seid Alle Teufel! Glaubt Ihr, dies Land gehöre Euch? Nein, es gehört mir und meinen Genossen, und Ihr sollt durch uns Fremde beherrscht werden, und würdet Ihr auch mit den Zähnen knirschen.“ Wie bescheiden Calvin war, zeigt seine Aeußerung auf der Kanzel: was er predige, das komme nicht von ihm, sondern von Gott etc.
Weit schrecklicher indessen, als in der erwähnten kleinlichen und verkehrten Moral, war Calvin’s Regiment in Glaubenssachen. Die Zahl der bekannten Männer, welche zur Zeit desselben um ihres Glaubens willen bestraft wurden, beträgt dreiunddreißig. Jacques Gruet, welcher nur verdächtig war, ein Pamphlet gegen die französischen Prediger in Genf verfaßt zu haben, wurde enthauptet, Jerome Bolsec wegen abweichender Ansichten von denen Calvin’s lebenslänglich verbannt. Das meiste Aufsehen aber erregte der Justizmord an dem spanischen Arzte Michael Servet, welcher die Dreieinigkeit in seinen Schriften anders aufzufassen sich erlaubte, als die Theologen seiner Zeit.
Als Servet auf seinen Reisen zu Vienne in Frankreich sich aufhielt, trat er mit Calvin in Correspondenz, indem er sich einbildete, den starren Reformator für seine Ansichten gewinnen zu können. Calvin brach aber den Verkehr mit ihm ab und schrieb an Farel nach Neuenburg: „Wenn Servet nach Genf käme, würde ich nicht dulden, daß er am Leben bliebe.“ Als dann Servet ein neues Werk herausgab, in welchem er die katholische und protestantische Orthodoxie zugleich angriff, schrieb ein französischer Flüchtling in Genf an seinen Verwandten in Lyon, es sei sehr unpassend, in Frankreich die Protestanten so sehr zu verfolgen, während man in Vienne einen Ketzer dulde, der verbrannt zu werden verdiente. Der Verwandte klagte nun Servet bei der Inquisition in Vienne an. Die Beweise schienen derselben aber noch nicht genügend, und sie ließ sich von dem erwähnten Flüchtling Briefe Servet’s senden, welche derselbe von Niemandem sonst erhalten hatte als von Calvin, der ja mit dem Unglücklichen correspondirt hatte. So wurde Letzterer überführt, konnte jedoch dem Kerker entfliehen, worauf sein Bild und seine Werke auf Befehl der Inquisition verbrannt wurden.
Der arglose Ketzer aber hatte sich aus der päpstlichen Charybdis nur gerettet, um in den Schlund der calvinistischen Scylla zu fallen. Unglücklicher Weise führte das Geschick das Opfer zweier Inquisitionen nach Genf. In dem vermeintlichen Asyle verfolgter Glaubensmärtyrer sollte das ungeheuerliche Schauspiel einer protestantischen Ketzerverbrennung aufgeführt werden! – – –
Der Großinquisitor von Genf war damals eben in heftigem Kampfe mit den verhaßten „Libertinern“ begriffen und schien nahe daran, ihnen zu unterliegen. Da galt es denn für den wankenden Glaubensdictator, sich durch eine entschiedene That zu retten, welche seine Gegner erschrecken und einschüchtern würde. Vollbrachte er in diesem Augenblicke nichts Außerordentliches, Niederschmetterndes, so stand seine zweite Verbannung vor der Thür und alle seine hochfliegenden Plane wurden zu Wasser. –
In dieser kritischen Lage hielt Calvin einst eine Predigt. Da erblickte er in einer Ecke der Kirche einen in einen Mantel gehüllten Fremden, unter dessen buschigen Brauen zwei blitzende Augen auf ihn gerichtet waren und jedes Wort, das von seinen Lippen kam, gierig aufzufangen schienen. Das Blut stockte ihm beinahe – vor freudiger Ueberraschung. Er ließ nichts merken und predigte mit kalter Ruhe zu Ende. Als er aber den Tempel verließ, sandte er sogleich seine Ergebenen aus und ließ den Flüchtling von sicherer Hand ergreifen. Da indessen die damaligen Gesetze die Verhaftung des Anklägers gleich dem Angeklagten forderten, um gegen eine falsche Anklage Bürgschaft zu besitzen, der Reformator aber nicht gern sitzen mochte, mußte sein Schreiber statt seiner die Anklage einreichen und das Gefängniß beziehen. Das inquisitorische Machwerk beschuldigte den Angeklagten, die Dreieinigkeit, die Gottheit Christi, die Unsterblichkeit und die Kindertaufe geleugnet zu haben. Da es Calvin so wollte, wurde die Anklage bald begründet gefunden, der scheinbare Ankläger entlassen, und der Inquisitor nahm seine Maske ab. Die nun von ihm selbst verfaßte Anklageschrift befaßte sich nicht mit Dogmatik, sondern warf sich darauf, daß Servet ein für Staat und Kirche gemeingefährlicher Mensch, ein Rebell und Friedensstörer sei. Die Person des Angeklagten mußte moralisch vernichtet und sein Gegner durch diesen geistigen Mord erhoben werden. Ja, Servet erhielt nicht einmal einen Vertheidiger, und seine Rechtfertigungen wurden nicht berücksichtigt. Dagegen benutzte Calvin seine Stellung, um von der Kanzel herab gegen den Feind zu donnern und ihn als Gotteslästerer zu kennzeichnen. Der Proceß erregte Aufsehen; die katholische Inquisition zu Vienne verlangte von Genf ihren Flüchtling heraus; aber er wurde ihr verweigert: die protestantische Inquisition wollte ihn selbst morden!
Die beiden theologischen Streiter bekämpften sich nun heftig in gegenseitigen Schriften, welches Recht die „Libertiner“ dem Angeklagten erwirkt hatten. Servet nannte Calvin einen elenden Magier und seine Anklage ein Hundegebell. Letzterer beschuldigte dagegen Ersteren der Absicht, „das Licht auszulöschen, das wir im Worte Gottes haben, um alle Religion abzuschaffen“ (die nämliche Sprache, welche noch heute die Fanatiker des „Glaubens“ führen). Da sich aber gegen den beabsichtigten Ketzermord immer noch viele Opposition erhob, schlug Calvin dieselbe durch Gutachten, welche er bei auswärtigen Theologen einholte und welche ihm beistimmten, vollends nieder, und am 26. October 1553 verurtheilten fünfzehn gegen fünf Stimmen (fünf Gegner Calvin’s waren abwesend) den Unglücklichen zu dem Tode, welchem in seinem Vaterlande Spanien damals alle Genfer ohne Ausnahme preisgegeben worden wären! Calvin hatte gesiegt und die Reformation war mit einem unauslöschlichen Brandmale befleckt.
Um sich den Schein des Mitleidens mit seinem Opfer zu geben, beantragte der Dictator die Vertauschung des Feuertodes mit – der Enthauptung. Servet, dem noch ein vergeblicher Hoffnungsstrahl auf Freisprechung geleuchtet hatte, soll sich bei Ankündigung des Urtheils verzagt benommen und um Gnade [28] geschrieen haben. Einen Widerruf lehnte er jedoch beharrlich ab. Am Tage nach dem Urtheil prasselten auf der Anhöhe Charpel bei Genf die Flammen, welche einen alleinstehenden Forscher verzehrten, um, wie die Menschenverbrenner wähnten, der Welt zu beweisen, daß Drei gleich Eins und Eins gleich Drei sei. –
Calvin hatte durch seine inquisitorische Unthat wenigstens das erreicht, in Genf ungestört bis an sein Lebensende herrschen zu können und in seiner Eigenschaft als Papst der an die Gnadenwahl Glaubenden keinen Widerspruch zu erfahren. Er erlebte den Triumph, daß die Nachfolger Luther’s und Zwingli’s, Melanchthon und Bullinger, ihm zur Beseitigung des Ketzers Glück wünschten. Dagegen verurtheilten dessen Verbrennung mit scharfen Worten die unabhängigen Theologen Castellio, Socinus, Celsus und de Thou. Der Erstgenannte war selbst um seinem Grundsätze willen von Calvin als Rector des Collegiums zu Genf vertrieben worden.
Ueber ganz Europa spannte Calvin seine Netze, um Seelen für sein Dogma zu gewinnen. Der Reformator Schottlands, John Knox, wurde sein Schüler und verpflanzte seine Grundsätze nach dem Norden Britanniens, wo die presbyterianische Kirche eine Tochter der calvinischen wurde. Daher die auffallende Aehnlichkeit in dem fanatischen Treiben der englischen Rundköpfe mit demjenigen der Anhänger Calvin’s in Genf. Zu Frankfurt am Main vermittelte Letzterer persönlich zwischen den wegen ihrer Liturgie uneinigen englischen und französischen Flüchtlingen. Dänemark und Schweden suchte er, jedoch umsonst, von Luther’s Seite auf die seinige herüberzuziehen. Er trat auch in Verbindung mit den protestantisch Gesinnten Polens, deren Bestrebungen aber nach seinem Tode vollständig scheiterten. Das Meiste indessen that er in Bezug auf Frankreich. Er war der Leiter und Berather der Hugenotten und legte den Grund zu allen ihren Erfolgen; aber sein eigentlicher Plan, in Frankreich mit seiner Lehre den Katholicismus zu schlagen, mißglückte. Seine Wirksamkeit – und das ist die eigentliche Nemesis seines Treibens – führte zu nichts, als zu einem dreißigjährigen Bürgerkrieg, und nachdem er, der Schuldige, ruhig in seinem Bette gestorben, wurden, acht Jahre später, seine unschuldigen Anhänger zu Paris in der Bartholomäusnacht von den Jesuitenknechten niedergemacht.
Heute kann sein ganzes Wirken als völlig erfolglos betrachtet werden. Schwerlich glaubt mehr Jemand im Ernste an seinen Wahn der Gnadenwahl; in seinem Genf haben die verschiedensten Ansichten, vom äußersten Radicalismus und Nihilismus bis zum infallibeln Ultramontanismus eines Mermillod, ihre Anhänger, und die von ihm zum Zwecke der Pflege seiner Dogmatik gestiftete Akademie ist eine gefeierte Schule der Wissenschaft und eine Stätte der freiesten Forschung geworden. Nur Eines fehlte bisher noch: die allgemeine Anerkennung, daß Calvin mit einem Torquemada, Ximenes und den übrigen spanischen Großinquisitoren auf eine Stufe gesetzt werden muß, und das verdient sein fanatischer Glaubenseifer sowohl, als seine Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel zum Zwecke – während sowohl seinem Charakter, als demjenigen der genannten Spanier die Gerechtigkeit schuldig ist zuzugeben, daß er, abgesehen von Glaubenssachen, ein reiner und nach Wahrheit strebender, aber auf falsche Bahnen gerathener war.
Wenn der Landschaftsmaler durch Flur und Wald streift, um Motive für seinen Pinsel zu suchen, und wenn er solche endlich gefunden hat und dann Stunden lang auf einem lauschigen Plätzchen sitzt, um die Töne von Himmel und Erde, Wald und Flur zu studiren – wie oft tritt dann die Versuchung an ihn heran, Blicke in eine Welt zu thun, die mit seinem Studium zwar nur indirect zusammenhängt, aber es zu vertiefen und zu vervollkommnen in hohem Grade geeignet ist – in die Thierwelt. Gestatten Sie mir heute, Ihren Lesern einen solchen Blick in das Privatleben der Thierwelt zu eröffnen!
Es war an einem Sommerabende – die Sonne schickte sich an, glühend roth im Westen zu verschwinden –, ich warf mich nieder in’s Getreide und sog nach einem heißen Tage entzückt die süßen erfrischenden Düfte ein, welche Erdreich und Pflanzen ausströmten. Der blaue Himmel, mit rosigen Wölkchen durchzogen, hing hoch oben, und dicht über meinem Haupte bückten sich und nickten die goldenen Aehren, daß ich traumselig und wie im leichten Schwindel die Augen schloß und lange, lange regungslos dalag.
Durch ein huschendes, sich öfter wiederholendes Geräusch wurde mein Ohr wieder empfänglich für äußere Eindrücke. Ich wandte den Kopf. Welch niedlicher, drolliger Anblick! Durch einen Spalt im Getreide, welcher durch geknickte Aehren entstanden war, sah ich auf einer kleinen von Korn entblößten Stelle mitten im wogenden Halmenmeere eine Hamsterfamilie ihr Wesen treiben. Diese kleinen Gesellen hatten mich stets interessirt, ihr Muth hatte mir oft imponirt, wenn ich sie mit einem Stocke verfolgte, oder der kleine Affenpinscher, welcher mich häufig zu begleiten pflegt, sie angriff. Hat man einmal ihren Zorn gereizt, so ist ihnen die Größe ihres Gegners gleichgültig. Sie setzen sich muthig zur Wehr, heben sich auf ihre Hinterfüße und lassen die Vorderpfoten, welche kleinen rosigen Händen gleichen, herabhängen, indem sie ihren Feind starr mit den runden, glänzenden Augen betrachten. Doch zur Familienscene zurück!
Frau Hamster saß hart am Rande des Getreides und nährte ihre Jungen, welche schon recht groß waren, sich putzten, auch die mütterliche Nahrung zuweilen mit einem Körnchen vertauschten, welches sie, zierlich in den Vorderpfötchen haltend, verknabberten. Die Mama war, während sie ihre Mutterpflichten erfüllte, auch noch thätig für den Haushalt. Sie bog mit den Händchen die hohen Halme sehr geschickt nieder und biß mit den scharfen Zähnen die Aehren ab. Als sie eine Anzahl beisammen hatte, begann sie die Körner mit großer Schnelligkeit zu enthülsen und schlüpfte, als die Maultaschen voll waren, in die Wohnung. Bald kam sie indessen wieder hervor und zwar mit Papa Hamster, der ihr in der Arbeit half, aber auch manches Körnchen in komischer Hast verzehrte. – Man sagt, daß diese Gesellen vier bis fünf Metzen Getreide in einem Herbste sich aufspeichern, und wenn man bedenkt, daß es gerade bei uns im Harz und in Thüringen viele Tausende dieser Thiere giebt, so kann man leicht berechnen, daß der Schaden, den sie anrichten, ein bedeutender ist!
Plötzlich wurden die beobachteten Hamster unruhig, und husch! fuhr die ganze Sippe theils in die Schlupflöcher, theils in’s dichte Getreide. – Ich hob mich fast ärgerlich in die Höhe, um zu erspähen, was hier störend eingewirkt, und erblickte meinen Burschen, welcher angeschlendert kam, um meine Mal-Utensilien nach Hause zu tragen. Ich zeigte ihm den Hamsterbau und versprach ihm einige Thaler, wenn er mir die Familie einfinge. Der Bursche war, ob dieses silbernen Lohnes, gern zur bösen That bereit und erbat sich zu deren Ausführung nur ein Paar dicke wildlederne Handschuhe von mir. Der andere Morgen ward zur Ausführung bestimmt, und ich sagte ihm meine Betheiligung und Hülfe zu, da ich mir den Bau betrachten wollte. Nachdem wir vier Fuß tief gegraben, stießen wir auf eine Wohnung und zwei Getreide-Kammern. Während ich mir diese voll Interesse beschauete, setzte mein Bursche der Beute nach. Die Schlupflöcher hatte er mit Steinen verstopft, und wie verzweiflungsvolle Versuche auch Frau Hamster machte, sich einen neuen Weg zu bahnen, sie wurde mit ihren sieben Kindern, nach tapferer Gegenwehr, gefangen. – Die Wildledernen hatten nicht viel genützt; denn dem Burschen rieselte das Blut von den Händen.
Nachdem wir die Gesellschaft in einem großen Vogelbauer von Eisendraht untergebracht, durchstöberte ich nochmals die Wohnung meiner Gefangenen. Vater Hamster war nicht zu finden; er hatte das Weite gesucht, – aber diese kleine Häuslichkeit, wie war sie sauber und gemüthlich! Das Wohnzimmer war mit dem allerfeinsten Stroh und mit Hülsen so verschwenderisch ausgefüttert, daß man noch die runden Formen der kleinen Hamsterkörper darin entdecken konnte. Wie reichlich war schon das Getreide aufgespeichert, wie reinlich das Ganze gehalten! [29] Es kam fast wie Reue über mich, daß ich die keinen Geschöpfe aus ihrer selbstgeschaffenen Behaglichkeit aufgestört, und als die Alte mich wutschnaubend, die Kinder aber ganz starr anblickten, da versprach ich ihnen, auch bei Hamstern etwas Eitelkeit voraussetzend und so mein Gewissen beschwichtigend, ich wolle sie malen. Das habe ich denn auch gethan und führe in anliegendem Bildchen den geehrten Lesern der Gartenlaube diese possierlichen und wirklich in ihrem ganzen Wesen und Gebahren nicht uninteressanten Thierchen vor. – Manch’ sinnend Auge ruht vielleicht lächelnd auf der kleinen Gruppe.
Bemerkt sei noch, daß während der vierzehn Tage, welche ich an den Hamstern studirte, die Jungen sehr zahm wurden. –
Wenn ich sie zeichnete, ließ ich sie zu zwei und drei, von meinem Burschen bewacht, auf einem großen Tisch umherlaufen, dann knabberten sie an Getreide-Aehren, Mohrrüben oder Kartoffeln, und wenn ich mit den Fingern schmalzte, richteten sie sich empor und streckten die drolligen Pfötchen mit den vier rosa Fingern von sich. – Mama Hamster machte aber keine Freundschaft mit mir, sie zernagte alle Tücher, welche ich über das Bauer hing, bog die Stäbe, an welchen sie mit Verzweiflung arbeitete, ganz krumm, und magerte, trotzdem sie fraß, sichtbar ab. Als ich mein Bildchen vollendet, war ich in Verlegenheit: was mit der Sippschaft beginnen, da sie so viel Schaden macht? Tödten mochte ich sie nicht, nachdem ich mit den Kindern auf so freundschaftlichen Fuß gekommen, und auch die Alte hatte mir Modell gestanden. Mein Garten ist von Feld umgeben, das theilweise mein Eigenthum ist. Da schenkte ich ihnen eines Abends die Freiheit wieder. Ob sie sich nun für die erlittene Unbill bezahlt gemacht, auf meinem oder des Nachbarn Felde, ich weiß es nicht, aber ich denke, es ist nicht unrecht, selbst gegen das Thier Dankbarkeit zu üben für, wenn auch nur erzwungene, Dienste.
„Räthin, er lebt!“
Dieses Zurufswort sprach in froherregtem Großmutterton eine „schöne, hagere, immer weißgekleidete“ Greisin zu ihrer achtzehnjährigen Schwiegertochter, welche bleich und erschöpft in ihren Kissen ruhte, jetzt aber die dunkelbraunen Augen mutterfreudig aufschlug und ihrem neununddreißigjährigen Eheherrn, der gefaßt und „geradlinig“ wie ein richtiger Reichsstadtbürger, aber nicht theilnahmlos an ihrem Bette stand, die Hand drückte.
Das geschah am 28. August 1749 in der altfränkisch getäfelten Schlafstube eines alterthümlichen Bürgerhauses „im Hirschgraben“ zu Frankfurt am Main. Der Nachhall vom Mittagsstundenschlag der Domuhr zitterte noch in der Luft. Die Gestirne blickten günstig: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und Jupiter und Venus sahen freundlich auf sie.
Drei Tage und Nächte hatte die junge schöne Mutter in harten Wehen gerungen. Es galt aber auch einen Löwen zur Welt zu bringen, einen rechten Mannlöwen: den Johann Wolfgang Goethe. Als der Junge endlich erschien, gab er kein Lebenszeichen und war „ganz schwarz, wie aus Zorn, daß ihn die Noth aus dem eingeborenen Wohnort getrieben“. Da legte man den armen Wurm, aus welchem der größte Mann seiner Nation werden sollte, in einen sogenannten „Fleischnarden“ und [30] bähete ihm die Herzgrube mit warmem Wein. Das bekam ihm gut und ermunterte seine Lunge zum Athmen. Das Kind that die Augen auf – große, dunkelbraune, strahlende wie die mütterlichen – und wimmerte das Licht an wie der allergewöhnlichste neugeborene Sterbliche. Denn
„Wenn wir geboren werden, weinen wir,
Daß wir die große Narrenbühne Welt
Beschreiten müssen“ –
steht ja geschrieben beim menschengeschickekundigsten Seher. Aber die einundachtzigjährige Großmutter Cornelia trat an das Lager der Wöchnerin mit der frohen Botschaft: „Räthin, er lebt!“ und die Eltern freuten sich, jedes in seiner Art: der Vater, Johann Kaspar, würdevoll und stillvergnügt, wie es einem kaiserlichen Titular-Rath geziemte, und die Mutter Katharina Elisabeth hellauf in Begeisterung. Das ist ja das größte Wunder in dieser unserer wunderlichen Welt, daß Väter und Mütter immerfort und immerfort in Freude einander die Hände drücken, wenn ihnen gesagt wird: „der Junge lebt!“ oder „das Mädchen athmet!“ nicht bedenkend, daß dieses „lebt“ oder „athmet“ nur ein dunkles Räthsel ist, welches die Gegenwart der Zukunft aufgiebt und dessen Auflösung selten Glück, zumeist aber Leid, Schmerz, Enttäuschung, Ergebung oder Verzweiflung heißt.
Doch ob der Mittagsstunde jenes Augusttages standen, wie gesagt, glückverheißende Sterne. Es war, als wäre am Himmel Freude über das, was in dem alten Hause „im Hirschgraben“ in der alten Mainstadt vor sich ging. Auf Erden merkte man weiter nichts davon. Kein Zinkenist blies es vom Thurme, keine Glocke läutete es, keine Kanone donnerte es in das Land, daß ein Prinz, so recht ein kaiserlicher Kronprinz aus dem Reiche der Geister in’s irdische Dasein herabgeboren sei. Nur das innerhalb der Wände des niedrigen Zimmers verklingende großmütterliche Jubelwort: „Er lebt!“ weissagte unbewußt, daß Einer gekommen, der nie sterben würde, so lange es Menschenlippen gäbe, seinen Namen voll Ehrfurcht und Liebe zu nennen.
Der Genius wird nicht in Purpur geboren. Ein makedonischer Alexander und ein preußischer Fritz sind Ausnahmen, welche nur die Regel bestätigen. Einer der sinnvollsten Züge der christlichen Mythologie ist der, daß dem auf Golgatha gekreuzigten Propheten eine Stallkrippe zur Wiege gedient habe. Alles wahrhaft Große, Zukunftbereitende, am Räthselbau der Menschheit wirksam Schaffende hat seinen Ursprung im Volke. Von da unten steigen die eigentlichen Heldenrollenspieler auf die Bühne des ungeheuren Passionsspiels „Weltgeschichte“. Da unten mischen sich geheimnißvoll die Urstoffe und arbeiten die ewigen Kräfte, welche den Weltzusammenhang, von welchem kein Wissender etwas Rechtes weiß, bedingen und bestimmen. Aber freilich, Volk und Pöbel sind zweierlei, obwohl die Wahnpropheten unserer Tage beide mitsammen vermengen oder vielmehr jenes zu diesem verderben, herabwürdigen und vergemeinern möchten. Aus dem Pöbel ist noch nie und nirgends ein wirklich großer Mann hervorgegangen, aus dem Volke sind die größten alle gekommen. Der Pöbel ist die sociale Krankheit, das Volk die nationale Gesundheit. In irgend einem Bauernhause oder in irgend einer Werkstatt zeugt der elementare, gesunde, ewig frische Volksgeist einen embryonischen Genius, welcher Generationen hindurch in der Verborgenheit gezeitigt wird, bis er dann plötzlich hervortritt in vollendet schöner Erscheinungsform, um der Stolz seiner eigenen Zeit und die Freude und der Trost aller Zeiten zu sein, ein Halbgott, welchen sein irdischer Urahn, so er ihn sehen könnte, nur mit scheuem Staunen betrachten würde und nicht zu fassen, nicht zu begreifen vermöchte.
Wie hätte der Hans Christian Goethe, der so um 1655 herum zu Artern im Thüringerlande unter den Schlägen seines Hufschmiedhammers den Amboß dröhnen machte, wie hätte er es sich träumen lassen sollen, daß dermaleinst sein dunkler Name, von seinem Urenkel getragen, den Erdball umfliegen werde, daß vor diesem Namen alle gesitteten Völker vom Aufgang bis zum Niedergang huldigend sich neigen würden? Auch des thüringischen Hufschmieds Sohn Friedrich Georg konnte, als er um das Jahr 1684 mit Scheere und Bügeleisen im Felleisen durch das Bockenheimer Thor bescheidentlich in Frankfurt einging und die wegmüden Wanderburschenfüße über den Roßplatz schleppte, nicht ahnen, daß gerade da dereinst seinem Enkel ein Denkmal von Stein und Erz aufgerichtet werden würde. Ein fixer, gewitzter Schneidergesell übrigens, dieser Fritz Görge Goethe! Ein Mann von Welt so zu sagen. Hatte sie wenigstens gesehen, die „Welt“, und zwar mit offenen Augen und Ohren. War das dazumalen schon bedenklich wurmstichig gewordene heilige römische Reich deutscher Nation auf- und abgewandert, war auch „im Frankreich drein gewes’t“, jahrelang sogar. Aber als sein Bestes brachte er jedoch von seiner Wanderschaft die Gabe, die große Gabe mit, Mädchen- und Frauenaugen ein Wohlgefallen zu sein. Bringt das bekanntlich einen Mann vorwärts. Zunächst in der Gunst der muthmaßlich hübschen – die Frankfurterinnen, wie die Mainzerinnen sind so ziemlich alle hübsch, wenigstens hübsch: denn viele sind schön – Tochter seines Meisters Lutz, der ehr- und tugendsamen Jungfrau Anna Elisabeth, welche im Frühjahr von 1687 seine Ehefrau wurde und ihrem Gatten, welcher von der Stadt das Bürgerrecht und von der löblichen Schneiderzunft die Meisterschaft erlangt hatte, das „Geschäft“ ihres Vaters mit in den Haushalt brachte. Im Verlaufe der Zeit brachte sie ihm auch fünf Söhne, die uns aber weiter nichts angehen. Im Jahre 1700 starb sie und der Wittwer betrauerte sie nahezu fünf Jahre lang. Hätte er sie bis zu seinem eigenen Lebensende betrauert, so würde er seine Mission, der Großvater des größten deutschen Dichters zu werden, verfehlt haben, aus welcher Thatsache die Moral zu ziehen, daß es mitunter gut und rathsam, der Wittwertrauer Schranken zu setzen.
Der Meister von der Scheere und Nadel muß als ein nahezu Fünfziger noch immer ein liebenswürdiger Mann gewesen sein, und das fand die reiche, hübsche Wittwe Cornelia Schellhorn, Besitzerin des Gasthauses „zum Weidenhof“, auch heraus. Er hinwiederum, Friedrich Georg Goethe, nahm, nicht faul, das Heirathsglück zum zweiten Mal resolut beim Stirnhaar und hatte es nicht zu bereuen. Fünfundzwanzig Jahre hindurch lebte der vom Schneider zum Gastwirth Gewordene mit Frau Cornelia in glücklicher Ehe und hochbejahrt ist er 1730 gestorben. Seine Gattin hatte ihm drei Kinder geboren, von denen aber die beiden älteren noch vor dem Vater zu Grabe gegangen. Das dritte war der im Jahre 1710 zur Welt gekommene Johann Kaspar Goethe, der Erbe des mütterlichen Vermögens, wie er später beim Tode seines Halbbruders Hermann Jakob Goethe auch die Lutz’sche Hinterlassenschaft einheimsete.
Selber ein strebsamer Mann, hielt der Vater Friedrich Georg darauf, daß auch sein Sohn ein Strebender würde. Allein erst im Enkel sollte der Keim Goethe’scher Strebsamkeit vollschön aufgehen. Der gute Johann Kaspar – es ist erwähnenswerth, daß auch Schiller’s Vater gerade so geheißen hat – stand zwar, nachdem er ausgewachsen, sechs Fuß hoch in seinen Schnallenschuhen, reichte jedoch an Geist, Gaben und Charakter über das liebe Durchschnittsmittelmaß nicht hinweg. Er brachte es demzufolge allerdings nicht weiter als bis zum Bildungsphilister, wie er sein soll, war aber im Uebrigen ein vortrefflicher Mann und Familienvater. Er sollte ein „Studirter“ werden, empfing auf dem Gymnasium zu Coburg eine tüchtige humanistische Vorbildung, lag hierauf zu Leipzig dem Studium der Jurisprudenz ob, holte sich in Gießen den Doctortitel und that dann beim Reichskammergericht in Wetzlar Freiwilligendienst, um sich in die juristische Praxis einzuschießen. Er ließ diese jedoch links liegen, bildete mittelst Reisen in Holland, Frankreich und Italien seinen Kunstsinn aus, erwarb sich, um doch etwas zu heißen, den Titel eines kaiserlichen Raths, lebte fortan der Mehrung und Ordnung seiner Sammlungen von Kunstwerken und Raritäten, sowie allerhand gravitätisch-dilettantisch betriebenen Studien und wagte am 20. August 1748 den gescheitesten und glücklichsten Wurf seines Lebens, indem er am genannten Tage die siebenzehn und ein halbes Jahr junge Katharina Elisabeth Textor, des Schultheißen Johann Wolfgang Textor Töchterlein, als seine Räthin heimführte.
Durch diese Heirath war der Hufschmiedsenkel und Schneiderssohn in die ersten Kreise reichsstädtischen Bürgerthums eingeführt und er blieb sich all’ sein Lebenlang dieser seiner Stellung wohlbewußt. Ein stattlicher, steilaufgerichteter, rauchfleischtrockener, steifleinener Herr, aber eigentlich grundgut und durch und durch ehrenhaft. Von nicht gemeinem Wissen und voll Hochachtung vor Kunst und Kenntniß, liebte er in allen Sachen die Ordnung um ihrer selbst willen und behandelte Alles und Jedes mit jener zähen und, so zu sagen, sohlledernen Ernsthaftigkeit, welche, weil sie das Kleinste wie das Größte mit demselben Maßstabe mißt, leicht zur [31] Pedanterei wird. Seine Vorsorge für das Wohl seiner Kinder – es blieb ihm von drei Söhnen nur der erstgeborene und die 1750 zur Welt gekommene Tochter Cornelia – nahm er so ernst und gewissenhaft wie alles andere. Er hat ihren frühesten Unterricht selber besorgt, den späteren geleitet. Augenscheinlich war auch ihm jener pädagogische Tik angeflogen, welcher in der Zeit, wo die Rousseau, Basedow, Salzmann und Campe pädagogisirten und phantasierten, so vielen Zeitgenossen eigen gewesen ist. Er hatte aber zum Erzieher nicht das Zeug, obzwar es irrthümlich und unrecht ist, ihm vorzuwerfen, er sei zu streng oder gar zu hart gegen seine Kinder gewesen. Seines Sohnes Jugendgeschichte, wie dieser selbst sie erzählt hat, beweist ja schlagend das Gegentheil. Der Dichter gestand auch zu, daß er vom Vater nicht nur „die Statur“, sondern auch „des Lebens ernstes Führen“ habe; aber im Uebrigen hat er demselben keineswegs volle Gerechtigkeit, geschweige Billigkeit widerfahren lassen. Die Natur will und heischt, daß die Söhne mehr den Müttern anhangen. Die Väter sind bekanntlich für die Herren Söhne zumeist nur da, um das Geld zu beschaffen zum Studiren oder auch zum Nichtstudiren, zum Schulden bezahlen, zum Heirathen etc. Glücklich der Vater, dem die Liebe einer Tochter Trost bietet für das Leid, welches Söhne ihm anthun. Goethe’s Freunde haben dessen Vater höchst ungerecht beurtheilt, wie denn, nachdem der wackere Herr im Mai von 1782 gestorben, der Herzog Karl August in seinem burschikosen Kraftstil an Merck schrieb: „Der Alte ist ja nun abgestrichen und Goethe’s Mutter kann endlich Luft schöpfen.“
Die Mutter Goethe’s hat sich fürwahr das „Luftschöpfen“ auch bei Lebzeiten des „Alten“ keineswegs verleiden oder gar nehmen lassen. Aber das ist richtig, die Katharina Elisabeth, die Frau „Aja“, wie sie im Freundeskreise ihres Sohnes hieß – (nach der Schwester Karl’s des Großen, der Mutter der Haimonskinder; aja, provençalisch aya, gleichbedeutend mit dem althochdeutschen eiga, das ist Besitzerin?) – ja, die Frau Aja war eben so sehr Poesie wie ihr Eheherr Prosa. Diese, die Prosa, ist in einem Haushalt nicht nur auch nöthig, sondern sie ist unumgänglich. Sie ist das Fundament, auf welchem Hauswesen und Familie, als das sehr Wirkliche, Ernstliche und Sorgenschwere, was sie sind, sich ausbauen müssen. Aber Heil dem Manne, in dessen Haus und Heim die Poesie in Gestalt einer Frau, wie Goethe’s Mutter eine gewesen, heitere Anmuth und anmuthige Heiterkeit bringt! Das ist ein Sonnenstrahl, welcher häusliches Gewölle, das ja nirgends ausbleibt, siegreich zertheilt und verscheucht. Unzählige Ehen werden rein nur darum zu unglücklichen, weil den Augen und Lippen der Frau jenes Lächeln abgeht, das die Unmuthsfalten, welche das „feindliche Leben“ auf des Mannes Stirne ansammelt, wegzuwischen vermag. Frauen, welche die köstliche Gabe besitzen, frohes Behagen um sich zu verbreiten und das bischen Leben schön und lieb zu gestalten, mögen dieselbe sorgsamst pflegen; denn das ist mehr als ein Talent, es ist geradezu eine Tugend.
Die Frau Aja hat unzweifelhaft etwas Geniales an und in sich. Der wesentlich idealistische Hang und Drang des achtzehnten Jahrhunderts ist in ihr mächtig gewesen. Es war Lyrik, Goethe’sche Lyrik in ihr. Ein kräftiger Hauch auch von Humor umwittert ihre ganze Erscheinung. Sie besaß jene „Frohnatur“, welche mitsammt der „Lust zu fabuliren“ von ihr überkommen zu haben der Sohn dankbar bekannte. Aus einem Kinde fast übergangslos zur Mutter geworden, wurde sie mit ihrem Wolfgang wieder zum Kinde, zur Spielgenossin, zur Camerädin ihres Jungen. – („Ich und mein Wolfgang,“ hat sie später einmal geäußert, „haben halt immer verträglich zusammengehalten; das machte, weil wir beide jung und nicht gar soweit wie der Wolfgang und sein Vater auseinander gewesen sind“). Die junge Frau mit dem liebebedürftigen Herzen hatte jetzt etwas, was sie lieben konnte, und sie hat den Sohn grenzenlos geliebt von seinem ersten bis zu ihrem letzten Athemzug, geliebt mit einer selbstlosen, großsinnigen Liebe, welche den Neid und die Eifersucht nicht kannte, sondern dem Sohne den reichen Schatz von Liebe, welchen Mädchen und Frauen ihm entgegengetragen, von ganzem Herzen gönnte. Deutschland und die Welt haben vollauf Ursache, der Mutter Goethe’s ehrfurchtsvollen Dank zu zollen. Was sie dem Sohne gewesen und gegeben, ist unberechenbar. Ueberall in seinen besten Vollbringungen stößt man auf die Spur von seiner Mutter und von ihrer Liebe zu ihm.
Bei allem Phantasiereichthum war sie nichts weniger als eine Phantastin. Sie wußte das Leben geschickt zu fassen und praktisch zu führen. Eine kluge, wissende, thätige Hausfrau, wie man sie nur wünschen mag, und dabei doch offenen Sinnes für alles Höhere und Höchste, voll genialer Anschauung und mutterwitzigen Verständnisses, immer wohlaufgelegt, allzeit hülfebereit mit Rath und That. „Ich thu’ alles gleich frisch von der Hand weg“ – schrieb sie einmal – „das Unangenehme immer zuerst, und verschlucke den Teufel (nach dem weisen Rathe des Gevatters Wieland), ohne ihn erst lange zu begucken. Liegt dann alles wieder in den alten Falten, ist alles Unebene wieder glatt, dann biete ich dem Trotz, der mich in gutem Humor übertreffen wollte.“ Und ein andermal: „Fröhlichkeit ist die Mutter aller Tugenden. Wenn man zufrieden und froh ist, so wünscht man alle Menschen vergnügt und heiter zu sehen und trägt alles in seinem Wirkungskreise dazu bei.“ Wie sie sich hier ausließ, so zeigte sich auch ihre Leiblichkeit: die schlank aufgebaute Gestalt, voll Beweglichkeit und doch würdevoll im Auftreten, die schöngewölbte freie Stirne, die großen Braunaugen mit dem offenen Blick, das schalkhafte Mienenspiel um die Mundwinkel, der wohlwollend heitere Ausdruck des ganzen guten und lieben Gesichts. Ihr seelisches Portrait hat sie in einem Briefe vom Jahre 1785 also gezeichnet: „Ich habe die Gnade von Gott, daß noch keine Menschenseele mißvergnügt von mir weggegangen ist, weß Standes, Alters und Geschlechtes sie auch gewesen. Ich habe die Menschen sehr lieb und das fühlt Alt und Jung, gehe ohne Prätension durch die Welt und das behagt allen Erdensöhnen und -Töchtern, bemoralisire Niemanden, suche immer die gute Seite auszuspähen, überlasse die schlimmen dem, der die Menschen schuf und der es am besten versteht, die Ecken abzuschleifen, und bei dieser Methode befinde ich mich wohl, glücklich und vergnügt.“ Und so blieb sie, die Gebresten des Alters tapfer niederkämpfend, bis zuletzt, bis zu ihrem Todestag, dem 13. September von 1808. Nachdem der Arzt auf das bestimmte Verlangen der Kranken ihr die Scheidestunde zum voraus angezeigt hatte, ordnete sie für Bestattung alles mit größter Pünktlichkeit, bestimmte die Weinsorten, welche zum „Leichenschmause“ aufgestellt werden sollten, und schärfte der Köchin ein, ja nicht zu wenig Rosinen in die Kuchen zu thun. Sie habe das all ihr Lebtrag nicht leiden können und würde sich noch im Grabe darüber ärgern. Einer nicht unglaubhaften Legende zufolge hat ihr treuer Lebensbegleiter, Tröster Humor, sie auch im Sterben nicht verlassen. Am Morgen ihres Todestages lief von einer befreundeten Familie, welche die Krankheit der Frau Rath für unbedenklich und rasch vorübergehend halten mochte, eine Einladung ein, worauf die Sterbende als letzte Offenbarung ihrer „Frohnatur“ zurücksagen ließ: „die Frau Rath kann nit kommen, sie hat alleweile zu sterben“ …
So war Goethe’s Herkunft, so waren seine Eltern, so wurde er geboren. In glücklichen Verhältnissen, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, als der Sohn eines ehrenfesten und hablichen Hauses, in dessen Räumen die hagere Noth und die bleiche Sorge nicht umschlich, als das Kind eines sorgsamen Vaters und einer herzlichen Mutter, jeglichen Bildungsmittels gewiß, von frühauf der Erfüllung aller billigen Wünsche sicher. Wolfgang’s, des Einzigen, Jugend, Bildungsgang und Eintritt in die thätige Welt waren so von den Umständen begünstigt, daß man unschwer vermuthen könnte, sein großer Bruder im Geiste, Schiller, habe die Strophe:
„Wie leicht ward er dahingetragen
Was war dem Glücklichen zu schwer?
Wie tanzte um des Lebens Wagen
Die lustige Begleitung her!“
im unwillkürlich vergleichenden Hinblick auf den Contrast zwischen Goethe’s leichtem Emporfliegen und seinem eigenen mühseligen Emporklimmen gedacht und geschrieben. Ja, der Sohn der Frau Aja war ein glücklicher Mensch, war es bis zuletzt. Freilich hat er in einer trüben Stunde seiner alten Tage gesagt: „So ich alles von wirklichem und reinem Glück in meinem Leben zusammenrechne, kommen höchstens vier Wochen heraus.“ Aber vier Wochen wirklichen und reinen Glückes in einem Menschenleben sind viel, sehr viel! Es giebt wahrlich der Menschen genug, mehr als genug, welche, wenn sie Alles zusammenzählen, keine vier Tage, keine vier Stunden herausbringen.
Laßt uns nun zunächst zusehen, wie unser glückliches Augustkind von 1749 zum Knaben und Jüngling aufwuchs und wie der Genius in ihm zuerst leise die Fittige zu rühren anhob.
[32] [33]
„Klar zum Wenden! Steuer in Lee! Laßt das Focksegel los!“ so tönten die abgebrochenen Commandoworte des alten Andrus, an seinen Begleiter, den jungen Lars, gerichtet, laut über die von einer leichten Brise bewegte See. Er hatte mir gestattet, eine Ausfahrt zur Seehundsjagd mitzumachen, und rasch flog das scharfgebaute Boot, öfter ganz auf die Leeseite sich neigend, durch die schäumenden Wellen, deren Kämme, von der klar aufgehenden Sonne vergoldet, sich brandend an der steilen Küste der Felseninsel Odinsholm (vor der Nordwestküste von Esthland) brachen, zuweilen aber auch unbescheiden genug sich in unser ohnehin enges Fahrzeug drängten. Es galt noch vor Mittag das Festland zu erreichen, wo theils an dem sandigen Ufer, theils auf abgeplatteten Granitsteinen die Seehunde ihre Mittagsruhe zu halten pflegten.
„Nun, Vater Andrus,“ begann ich, als das Boot eine gerade und feste Fahrt angenommen hatte, „wie wäre es, wenn wir einen kleinen Gedankensammler uns zu Gemüthe führten?“ Der Alte schmunzelte, als ich ihm mein Fläschchen mit seinem Liqueur hinreichte, setzte es an den Mund und reichte es mir fast zur Hälfte geleert zurück, nur mit einem freundlichen Blicke dankend.
„Viel Zucker und wenig Sprit!“ sagte er endlich, „doch in der Morgenfrische fast so gut wie reiner Korn!“
Sich bequemer neben das Feuer streckend, zündete er sein Pfeifchen an und schaute mit scharfen Blicken, doch mit höchst gemüthlicher Ruhe auf das noch ferne Ziel unserer Fahrt, das Vorgebirge Spitham, dem wir uns nur durch wiederholte Schläge kreuzend nähern konnten. Diese Spitze des Festlandes bezeichnet den Anfang des finnischen Meerbusens und ist nach Norden und Westen hin mit unzähligen kleinen Sandbänken, Riffen und einzelnen erratischen Blöcken umsäumt, daher ein sehr beliebter Aufenthaltsort der Robben. Da die Strandbewohner selbst nur ausnahmsweise sich mit dem Seehundsfange beschäftigen, kommen seit langer Zeit jährlich von Runö, der mitten im Meerbusen von Riga liegenden Insel mit ihrer kühnen, noch immer schwedisch sprechenden Bewohnerschaft, einige Schützen hierher, wo sie auf den Inseln Worms, Nuckö und Odinsholm zum Theil eigene kleine Hütten bewohnen und von dem Ertrage des Fanges den Grundherren den Zehnten zahlen.
Andrus, der erst vor kurzer Zeit aus Runö gekommen war, galt für einen der gewandtesten und erfahrensten Seehundsjäger, und so wandte ich mich denn, nachdem er noch einen Schluck genommen, an ihn mit der Bitte, mir etwas über die Jagd und die Lebensweise der Robben mitzutheilen, da mich diese Thiere von Jugend auf interessirt hatten. Der Alte schüttelte lächelnd das Haupt, daß die langen hellblonden Haare, in die sich schon hin und wieder etwas Grau mischte, vom Winde über das wettergebräunte Gesicht mit den scharf markirten Zügen flatterten, strich dieselben etwas zurück und begann:
„Wenn Sie diese Thiere so stark interessirten, so haben Sie wahrscheinlich schon aus Büchern gelesen, daß die Robbe nicht blos bei uns im Norden lebt, sondern in allen Meeren ihr Daheim hat. Im Allgemeinen soll der Norden die meisten, der Süden die absonderlichsten Arten aufweisen. Die kleine schwarze Gattung zeichnet sich dadurch aus, daß bei ihr die Jungen etwa vier Wochen später geboren werden als bei den anderen. Im Februar sucht sich das Weibchen dieser Arten am Rande des Eises eine geschützte Stelle, die sich meistens leicht finden läßt, da durch Winde die Eisschollen zusammengetrieben und zum Theil aufgerichtet werden. Dadurch entstehen oft förmliche Häuser von vier Faden Höhe mit Stuben und Kammern, die, mit frischem Schnee ausgefüllt, den Thieren warme Wochenbetten gewähren. Die Mutter schwimmt, so lange ihr Junges noch nicht in’s Wasser sich wagen darf, in der Nähe umher, kommt aber täglich auf’s Eis, um ihr Kind zu säugen, indem sie es auf ihre Hinterfüße setzt und mit den Vorderfüßen fest an sich drückt. Bei jedem Besuche soll das Junge um sechs Pfund schwerer werden, so daß es schon nach drei Wochen an vierzig Pfund Speck angesetzt hat. In dieser Zeit verliert es das lange Haar, das es mit auf die Welt gebracht, und erhält den kurzen, glatten bräunlichen Pelz. Nun lernt es nach und nach schwimmen und, indem es sich nach der Entwöhnung mit der Fischkost vertraut gemacht, geht es selbst seiner Nahrung nach.
Wanderlustig sind die Robben fast alle, manche unternehmen sogar weitere Wanderungen; aber dennoch nimmt man an, daß, wo man im Meere auf Seehunde stößt, das Ufer höchstens dreißig Meilen entfernt ist. Am liebsten halten die nordischen Seehunde sich am Rande des festen Eises auf. Friert nun das Meer weiter hinaus zu, so daß der Zugang zu dem Neste, in welchem die Jungen liegen, gesperrt zu werden droht, so zerbrechen die Alten das noch dünne Eis durch einen Stoß mit der Schulter von unten und vergrößern das Loch mit den Vorderfüßen, so daß sie bequem hinaufkommen und in’s Wasser zurückkehren können. Einen solchen Aufschwung halten sie auch bei der strengsten Kälte eisfrei. Außerdem aber machen sie sich rings umher an verschiedenen Stellen mehrere (oft funfzig und mehr) kleine, cirkelrunde Löcher von kaum drei Zoll im Durchmesser, durch welche sie nur eben die Nase zum Athemholen stecken können, was wenigstens in jeder Viertelstunde einmal geschehen muß. In schneereichen Wintern legt die Robbe ihr Nest vollständig unter dem Schnee an, und macht sich von da aus lange Gänge, wie ein Maulwurf, so daß man von außen nichts bemerken kann. Auch die Oeffnungen zum Eintauchen und zum Athemholen sind von Schnee bedeckt, der gewöhnlich oben auf so hart gefroren ist, daß man, ohne etwas davon zu ahnen, über ihre Wohnungen hinwegschreitet. Im April löst sich das Eis und mit den Schollen entfernt sich auch der Seehund, doch bleibt er auch jetzt möglichst nahe an der Küste, weil die Fische, die seine Nahrung ausmachen, sich im Frühjahr in die kleinen Flüsse und Buchten des Meeres begeben, um darin ihren Laich abzulegen. Hat der Seehund einen größeren Fisch gefangen, so klettert er damit auf’s Eis oder auf einen Stein, um ihn in größerer Gemüthlichkeit zu verzehren.
Unsere Böte, von sechs oder acht Mann besetzt, verweilen fast den ganzen Sommer hier oder an nördlichen Küsten, wo wir unser Wild finden. Kommen wir mit Beute zurück, so wird der Speck nach der Zahl der Personen getheilt, doch vorher der Zehnte für den Pastor abgewogen. Das Fell gehört den Schützen. Außer dem wenigen, woraus wir für eigenen Bedarf[4] Thran ausschmelzen, verkaufen wir allen übrigen Speck nach Riga, um uns Pulver, Blei, Kleidungsstücke und Korn dafür wieder einzutauschen, und unsere Abgaben zu bezahlen. Das Fleisch, so viel von demselben nicht auf der Reise frisch verzehrt wird, pflegen wir zu räuchern und zur Nahrung für den Winter aufzubewahren.“
Meine weiteren Fragen wurden durch den leisen Ruf des Alten abgeschnitten: „Segel eingezogen!“ Das Boot wendete sich gegen den Wind, Lars beeilte sich dem Befehl zu gehorchen, und nach einigen Ruderschlägen stieß der Kiel auf den Grund einer Sandbank. Aufmerksam blickten die beiden Runöer auf ein naheliegendes Riff, auf dem auch ich Etwas sich bewegen sah, was ich anfangs für liegende Kühe hielt. Vorsichtig stieg der Alte aus und ich folgte ihm rasch. Wir mußten über eine kleine Insel und dann durch mehrere seichte Meeresarme mit lehmigem Grunde waten, in den man mit jedem Schritte einsank und schwer vorwärts kommen konnte. Hinter einem großen Granitblocke, der vielleicht hundertfünfzig Schritte von dem Riffe entfernt lag, machten wir Halt, um uns zu erholen, und überschauten die Gruppe. Es waren drei Thiere, eins etwas kleiner als die anderen, also sicher eine Familie, die sich im Gefühl vollkommenster Sicherheit behaglich ausgestreckt und sanfter Ruhe überlassen hatte. Andrus flüsterte mir zu, ich möge ihm bis zu einem ähnlichen Steine folgen. So krochen wir denn auf allen Vieren über die scharfen Steine der eisigen Sandbank durch einige Wasserpfützen hindurch bis zu einem ähnlichen Felsblocke, und hatten nun das werthvolle Wild ganz nahe vor uns. Der Anweisung meines Gefährten gemäß, legte ich auf den mir zunächst liegenden Seehund an, indem ich auf das Auge zielte, obgleich dieses mir nicht ganz zugewendet war. Fast in dem nämlichen Augenblicke mit Andrus drückte ich auch ab. Alle drei Thiere stürzten von [34] ihrer Ruhestätte hinunter, und als wir näher kamen, sahen wir einen großen Seehund, die Brust nach oben gekehrt und durch sein Fett getragen, im Wasser schwimmen. Dagegen war von einem zweiten Seehunde, so sicher ich ihn auf’s Korn genommen zu haben glaubte, nicht eine Spur zu sehen. Während ich etwas verlegen mich umsah, stand Andrus mit weniger stolzen als freudestrahlenden Blicken wie ein siegreicher Held neben dem erlegten Wilde und rief mit schallender Stimme seinem Gefährten zu: „Holla ho! Hierher!“ Dieser hatte sogleich, nachdem der Schuß gefallen war, das Boot flott gemacht, mußte aber einen weiten Umweg machen, um zu uns zu gelangen. Sobald er angelangt war, wurden die Messer in Bewegung gesetzt, der Kopf und die Eingeweide abgesondert und in’s Wasser geworfen, Fleisch und Speck aber sorgfältig in’s Boot gepackt. Es war ein großes Thier mit schön geflecktem Felle, und Andrus taxirte es auf etwa zehn Liespfund (zweihundert Pfund) Speck, so daß er ihn zu wenigstens zwanzig Rubeln zu verwerthen hoffte.
Wir zogen das Boot an’s Ufer, und da die Mittagszeit vorüber und unser Appetit lebhaft erwacht war, beschlossen wir uns am Strande ein Mahl zu bereiten. Ein Kessel und Holz wird bei solchen Ausfahrten immer mitgenommen, und bald war ein gutes Schulterstück des erlegten Seehundes mit Kartoffeln und Salz gahr gekocht, welches wir uns vortrefflich schmecken ließen. Der Alte war sehr aufgeräumt, gesprächig und munter, doch gab er nach genossener Mahlzeit den sehr willkommenen Rath, noch „ein Paar Augen voll Schlaf“ zu nehmen. Wir streckten uns zu einer kurzen Ruhe nieder, doch nach kaum einer halben Stunde sprang Andrus wieder auf und bereitete sich zur Heimfahrt. Mit fast vollem Winde, der deutend schwächer geworden war, glitt unser Boot so leicht und eben durch die Wellen, daß wir kaum eine Bewegung spürten. Nachdem der Alte sein Pfeifchen angezündet, bat ich ihn, mir von den Eisreisen der Runöer zu erzählen, und da dies sein Lieblingsthema war, ging er auch gleich auf meinen Wunsch ein.
„Es ist wohl jetzt im Wasser nicht gerade warm, aber wenn Ihr einmal im Winter, wie es mir geschehen ist, drei- oder viermal in’s Wasser eingesunken wäret, Euch mit Mühe gerettet und dann noch drei Meilen in nassen Kleidern, die gleich zu Eis erstarrten, einem scharfen kalten Winde entgegen hättet marschiren müssen, dann würdet Ihr die Seehundsjagd nicht für ein Vergnügen und Kinderspiel halten. Wir gehen auf diese Jagd gewöhnlich erst im März, doch auch häufig schon bald nach Neujahr und in dieser Zeit drohen uns Gefahren, von denen man auf dem festen Lande Nichts ahnt. Meilenweit vom Ufer ist Alles mit Eis und oft einer hohen wellenförmigen Schneeschicht bedeckt, fadenhoch aufgerichtete Eisschollen, oft zu Hunderten, bilden einen stundenlangen fast unübersteigbaren Wall, und solcher Eisrisse muß man zuweilen drei oder vier übersteigen, bis man zu den Wohnstätten der Seehunde gelangt. Wie manches Mal haben wir nach sechsstündiger Wanderung, ohne irgend eine Beute gesehen zu haben, wieder umkehren müssen!
Gefährlicher noch, doch meistens auch lohnender, sind die Wanderungen im April, wenn das Eis beginnt aufzuthauen und die Stürme des großen Meeres es in kleinere oder größere Schollen zertrümmern, die sich unter einander schieben oder hoch aufthürmen, auch oft größere Canäle bilden, die, leicht überfroren und dann mit Schnee bedeckt, schon Manchen in’s Verderben geführt haben. Wagt sich ein kühner Jäger, die lockende Beute in der Ferne erblickend, auf das lose Eis, wie leicht fällt da ein Sprung unglücklich aus, und wie schrecklich rächt sich ein Fehltritt auf ein zu kleines oder zu glattes Eisstückchen! Auch mit größeren Eisschollen droht Gefahr, wenn dieselben sich unerwartet schnell vom Landeise lösen und in’s hohe Meer hinausgetrieben werden. Allmählich wird das ungeheure Eisfeld zertrümmert, immer kleiner wird das zerbrechliche Boot, welches den unglücklichen Jäger tragen soll, bis es endlich in Splitter zersprengt wird und ihm sein Grab bereitet. Und ist dies nicht der Fall, so muß er, nachdem er seinen geringen Speisevorrath verzehrt, dem schrecklichsten Hungertode oder dem grimmigen Frost erliegen. Nur selten gelangt ein so Verschlagener an eine Küste oder Insel, wo er von menschenfreundlichen Strandbewohnern aufgenommen, gepflegt und später in die Heimath entlassen wird. So ging es vor längerer Zeit acht Männern von Nuckö und Worms, die nach etwa achttägiger Fahrt fast verschmachtet und erstarrt an die Küste von Finnland getrieben wurden und, nachdem man längst ihre Todtenfeier gehalten, unerwartet in der Heimat erschienen.
Befindet man sich auf dünnen Eisfeldern, so zersprengt oft ein Sturm die weite Fläche in kleine Schollen; springend muß der Jäger dem Lande sich nähern, da breitet sich plötzlich ein breiter Strom vor ihm aus; die Wellen überströmen den glatten Boden unter seinen Füßen, daß er kaum sich aufrecht zu halten vermag; der Strom wird zum Meere, auch jeder andere Ausweg ist gesperrt und keine Hoffnung auf Rettung! – Da ist menschliche Kraft und Kunst vergeblich; nur unerwartetes Zusammentreffen günstiger Umstände kann ihm das Leben retten.
Und doch treibt es den Runöer wie mit Gewalt zu diesem kühnen Wagniß hinaus; nicht sowohl der Gewinn, so sehr wir ihn schätzen und ihm nachzugehen durch die Lage unserer kornarmen Insel gezwungen sind, als gerade das Gefährliche derselben reizt uns, und allgemeine Verachtung trifft den, der, scheu von diesen Beschwerden zurückgeschreckt, lieber zu Hause bleiben wollte. Als ein Pastor einem seiner Knechte nicht erlauben wollte, mit auf’s Eis zu gehen, sagte dieser: ‚Und wenn sie mich mit eisernen Ketten anschmieden ließen, ich würde sie zerreißen und doch mit auf die Eisfahrt laufen!‘
Uebrigens gilt es bei uns, mit kühnem Muthe ruhige Besonnenheit zu verbinden und nicht muthwillig das Leben auf’s Spiel zu setzen. Um die Gefahren möglichst zu vermeiden, vereinigen sich meistens sechs Personen zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung. In der Nähe der Grenze zwischen dem festen und dem losen Eise macht man Halt und je zwei gehen zusammen auf die Erlegung von Seehunden aus, die an solchen Stellen am liebsten zu verweilen pflegen, ja oft in ganzen Schaaren auf dem Eisrande liegen und entweder sich dem Schlafe ergeben oder behaglich die Sonne sich auf den Leib scheinen lassen. Von Eisstücken verdeckt, oft auch kriechend und die Bewegungen und die Stimme der Thiere möglichst nachahmend, nähert der Jäger sich der sorglosen Schaar bis auf Schußweite und erlegt dann ziemlich sicher ein werthvolles Stück Wild. Freilich muß er sicher schießen; denn tödtet der Schuß nicht augenblicklich, so entgeht ihm nicht selten die Beute, indem sie sich in’s Meer stürzt und mit der letzten Kraft sich soweit entfernt, daß sie für ihn verloren ist. Trifft er aber eine Schaar schlafend – und er kann das Schnarchen derselben schon in der Ferne hören – so schleicht er sich lieber mit einer Keule näher und hat zuweilen schon drei oder vier getödtet, ehe die letzten vom Schlafe erwacht sind. Auch die Harpune wird in solchen Fällen angewendet, besonders wenn man die Athemlöcher oder die großen Oeffnungen zum Heraufsteigen trifft, an denen man zuweilen nur kurze Zeit warten muß, um einen Fang zu machen. Am Abende sammeln sich alle Jäger an der bestimmten Stelle und treten mit ihrer Beute den Rückweg an.
Unsere Tracht bei solchen Unternehmungen ist warm, anschließend und bequem aus wollenem Stoffe gefertigt und ein weicher Schafpelz schützt uns gegen die Kälte. Alle Kleider sind weiß, damit der scharfsichtige Seehund uns nicht zu leicht von dem Schnee unterscheiden könne. In dem weiten Busen des Kittels tragen wir Pulver und Blei, Brod und Fläschchen Branntwein, auch wo möglich einen Compaß und Feuerzeug. Außer der Büchse haben wir einen Jagdspieß von sieben Fuß Länge, unten mit einer eisernen Spitze und oben mit einem scharfen Eisen mit Widerhaken, ferner einen langen Strick, aus Pferdehaaren geflochten, der an das Eisen der Harpune befestigt werden kann. Das andere Ende hält der Jäger in der Hand, um einen getroffenen Seehund gleich herausziehen zu können. Man darf es nicht um den Leib binden, wie Einige thun, denn ein starker Seehund, der nicht tödtlich verwundet ist, reißt die Harpune mit solcher Gewalt fort, daß bei glattem Eise der Mensch an den Rand und in’s Wasser gezogen wird. Ist das Eis gut, so ist die Jagd nicht so schwierig, ist aber das Eis mürbe und der Stoß nicht sicher geführt, so fängt der Seehund eben so leicht den Kerl, wie der Kerl den Seehund.
Beginnt das Eis überall sich zu lösen, so daß man weiter hinaus in’s Meer sich wagen muß, so nehmen wir ein Boot mit Schlittensohlen mit, das wir auf dem Eise fortschieben und, wenn es Noth thut, auch in’s Meer lassen können. In demselben finden wir auch Platz, die gewonnene Beute leichter fortzubringen. Zu diesem Zwecke vereinigen sich gewöhnlich auch sechs oder sieben Mann zu einer Gesellschaft, die unter sich einen Hauptmann [35] bestimmt, der das Steuer lenkt und das Commando führt. Im Boote ist Schießbedarf und Proviant auf zwei bis drei Wochen, ferner hat man Pelze, Stroh, Holz zur Feuerung und zur Bereitung der Speisen einen Kessel oder Grapen (eisernen Topf). Abends wird das Boot auf’s Eis gezogen und umgekehrt gegen die Windseite gestellt, so daß wir, vom Feuer erwärmt, so gut im Stroh schlafen, als lägen wir in weichen Betten. Bei Tage lassen wir das Boot an einer sichern Stelle auf festem Eise und gehen dann einzeln oder paarweise aus auf den Fang. Abends müssen Alle wieder am Boote sein, weshalb sie sich genau die Richtung merken und nach dem Compaß den Rückgang antreten.“
An diese Erzählungen des Alten, der recht redselig geworden war, knüpften sich noch manche Berichte über erlebte Abenteuer, Anekdoten von kühnen Jägern und andere Wunderdinge, die häufig die Grenze des Glaubwürdigen etwas zu sehr überschritten. So kamen wir denn in sehr heiterer Stimmung auf unserer Felseninsel wieder an.
Später in Reval hatte ich Gelegenheit gehabt, mich nach dem Umfange und dem Ertrage der Seehundsjagd im östlichen Theile des baltischen Meeres zu erkundigen, obgleich genaue statistische Angaben wohl nicht zu erhalten sind, denn ein großer Theil der Beute wird zu eigenem Gebrauche verwendet, oder an die Strandbewohner in kleinen Partien verkauft oder gegen Korn und andere Lebensbedürfnisse vertauscht.
Aus dem Speck wird der Thran theils ausgekocht, theils ausgepreßt. Am geschätztesten ist die von selbst in der Sonne ausfließende Flüssigkeit, doch ist die Quantität derselben in unseren Gegenden nicht groß. Das Auskochen geschieht jetzt meistens in großen Kufen durch Dampf, und es braucht dann nur der klare Thran abgeschöpft und in Fässer gefüllt zu werden. Der Rest wird mit etwas Wasser in großen Kesseln stark gekocht und dann gepreßt, wodurch man eine bräunliche, theerartige Flüssigkeit gewinnt, die aber zu verschiedenen Industriezweigen noch ganz brauchbar ist, doch wenig in den Handel kommt. Im Herbste gewinnt man von einem Pud (vierzig Pfund) Speck gegen fünfunddreißig Pfund reinen Thrans, im Frühjahre und von jungen Thieren nur fünfundzwanzig bis dreißig Pfund. Ein großer Seehund kann daher etwa hundertundfünfzig Pfund Thran liefern.
Nach der Aussage unterrichteter Männer ist in Finnland der Ertrag der Seehundsjagd wenigstens noch einmal so groß als an den südöstlichen Küsten der Ostsee, so daß man daselbst etwa vierzigtausend, im weißen Meere über achtzigtausend und im kaspischen Meere gegen dreihundertsechszigtausend Pud Speck jährlichen Gewinns rechnen kann. Im Ganzen also würden die Bewohner Rußlands aus dieser Jagd etwa eine halbe Million Pud (zwanzig Millionen Pfund) Speck im Werthe von wenigstens einer Million Silberrubel gewinnen, eine Annahme, die eher zu gering als zu hoch angeschlagen ist. Zu diesem Zwecke müssen jährlich etwa fünfzigtausend erwachsene und hundertfünfzigtausend junge Seehunde von verschiedenen Arten ihr Leben lassen; dennoch ließe sich, namentlich im weißen Meere, der Ertrag der Jagd noch bedeutend steigern.
Der Verkauf der Felle, deren freilich viele für den eigenen Bedarf zurückbehalten werden, bringt ebenfalls den Jägern noch eine erhebliche Einnahme. Ein weißes weiches Fell, wie es die jungen Thiere bis zum Alter von vier Wochen haben, wird für fünfzig bis sechszig Kopeken (fünfzehn Groschen deutsch) verkauft, und sechs bis acht derselben reichen hin, um daraus einen warmen, glatten und weniger dem Mottenfraß ausgesetzten Pelz anzufertigen. Färbt man die Felle dunkelbraun, so haben sie Aehnlichkeit mit dem sehr geschätzten und werthvollen Seeotterfelle.
So ergiebt sich aus dieser Jagd, die, abgesehen von den Küsten Sibiriens, über welche keine speciellen Nachrichten gesammelt sind, vielleicht zehntausend Menschen mehrere Monate hindurch beschäftigt, ein bedeutender Zuwachs des Nationalreichthums, der durch die seit einigen Jahren gegebenen verständigen Anweisungen und Verordnungen für höhere Entwickelung dieser Industrie voraussichtlich noch gesteigert werden wird.
Das Ende der Homburger Spielbank. Zum letzten Male sollte nunmehr in den Spielsälen der Schlachtruf erschallen: „Messieurs, le jeu est fait, rien ne va plus!“, und so zog es denn auch uns vor einigen Tagen hierher in die prachtvollen Curhausräume; doch regten diesmal die altbekannten Dinge, auf welche wir den letzten Scheideblick warfen, bei unserm Eintritt ganz eigene neue Reflexionen in uns an.
Im Corridor starrte uns noch immer die Inschrift entgegen, wonach der Eintritt in die Säle „Personen von zweifelhaften Verhältnissen“ untersagt ist, obwohl uns die Mehrzahl der Besucher von jeher weder moralisch „reinlich, noch zweifelsohne“ zu sein schien. Und im Vorsaal hing noch immer die zur Reclame dienende Abbildung des Schlosses von Monaco und reizte uns zu Parallelen zwischen den alten, die Geld-, und Pfeffersäcke bedrohenden Ritterburgen und den heutigen industriellen Ausplünderungsinstituten, welche gerade nicht zum Vortheile der letzteren ausfielen.
In den Spielsälen trafen wir ein buntbewegtes Leben, und es hatte uns unsere Ahnung nicht betrogen, daß der herannahende Schlußmoment der Stadt noch eine beträchtliche Anzahl von Fremden zuführen würde, welche Alle die Lust anwandelte, „die letzten Tage von Pompeji“ mit zu feiern. Nur den Spiel-Crösus selber, Herrn Blanc, vermißten wir in den Sälen, obwohl er noch immer dahier verweilt. Die Stadt Homburg hegt zwar, beiläufig bemerkt, im Hinblick auf die vielen Chicanen, welche er ihr noch in der letzten Zeit zugefügt, nicht die Absicht, ihm, wie Baden-Baden Herrn Dupressoir, das Ehrenbürgerrecht zu verleihen; doch wird sie dem Vernehmen nach ihm zu Ehren vor seiner bevorstehenden Abreise ein Abschiedsfeuerwerk veranstalten, wobei sämmtliche Spieltische nebst Rateaux und sonstigem Zubehör in die Luft gesprengt werden sollen, und sie will – wie weiland Held Blücher, als er im Jahre 1815 zu Paris die Jena-Brücke sprengen wollte, an den Minister Talleyrand – in gleicher Weise an Herrn Blanc die Einladung ergehen lassen, sich vor der Explosion gütigst oben darauf zu setzen.
Im Uebrigen waren all’ die altgewohnten Gesichter vertreten und es war interessant zu sehen, mit welcher Begierde die Blicke der Spieler die Goldmassen verfolgten, welche so verlockend, aber auch fast so unerreichbar wie die köstlichen Früchte des Tantalus, vor ihren Augen blinkten. Namentlich fehlte auch nicht die edle Genossenschaft der „Piqueurs“, „Spielprofessoren“, und „Erbschaftsräthe“, welche letzteren die sogenannten „verlorenen Massen“, das heißt die von den großen Spielern übersehenen Gewinnste“ im Interesse der Ordnung und des ungestörten Fortgangs des Spiels einzuziehen und verschwinden zu lassen pflegen. Nur waren heute die Physiognomien dieser catilinarischen Existenzen sorgenvoller als sonst, in Folge der bangen Ungewißheit, ob sie denn Alle demnächst in den beiden „Zukunftsstädten“ Saxon und Monaco ihr sicheres Asyl finden würden – was wohl Gott, oder vielmehr Vitzliputzli selber kaum wissen mag.
Der Nestor der Croupiers, „Papa Duché“, welcher die unberechtigte Eigenthümlichkeit bewahrt hat, nur französisch zu sprechen, indem er als Stockfranzose trotz seines dreißigjährigen Hierseins auch nicht ein Wort der deutschen Sprache erlernte, überschaute wehmüthigen Blickes die beträchtliche Schaar der von ihm zum Dienst herangebildeten Jünger, als ob er fragen wollte:
Wer wird künftig unsre Kleinen lehren,
Kugeln werfen und die Beutel leeren,
Wenn der finstre Orcus uns verschlingt?
Und so manche Schöne unserer Demimonde blickte traurig ihren Geliebten an, dessen mit Rubeln gespickte Börse sie so oft hat erleichtern helfen, und seufzte als moderne Andromache:
Du wirst hingehn, wo der Tag nicht scheinet,
Wo die Wolga durch die Wüste weinet,
Deine Liebe an der Newa stirbt. –
Unsers Bleibens war indessen nicht lange in den Sälen, und wir brachen zeitig auf, um uns einem fröhlichen Freundeskreise zuzugesellen.
Als wir aber am andern Morgen, am 29. v. M., durch die Straßen der Stadt flanierten, starrte uns an allen Ecken ein Placat entgegen, durch welches die Curhausadministration bekannt machte, daß die Spielsäle, welche an dem laufenden Tage (Sonntag) feiern müßten, auch an den beiden nächstfolgenden Tagen geschlossen bleiben würden. Herr Blanc hatte es also für gut befunden, das Spiel schon zwei Tage vor dem gesetzlichen Schlusse ohne Sang und Klang zu Grabe zu tragen, und die Curgäste, welche sich für die letzten Tage noch manche vergnügte Stunde versprochen hatten, stritten sich darüber, ob das Motiv zu diesem Schritte darin zu finden sei, daß er zum Schlusse noch allerlei Unfug und tumultuarische Scenen befürchtet habe, oder ob er auf diese Weise nur seine Machtherrlichkeit habe beweisen wollen, wobei sie es an Verwünschungen über den Urheber dieses modernen Strikes nicht fehlen ließen.
Der gestrige Tag brachte uns aber eine neue Ueberraschung; denn plötzlich ließ Herr Blanc die Spielsäle wieder öffnen und die Tische herrichten. Um drei Uhr Nachmittags begann abermals das Spiel. Es hatten ihm nämlich, wie man hört, einige „sehr gelehrte“ Pariser Advocaten vorgestellt, daß er, wenn er bis zum letzten Moment fortspiele und nur dem Zwange weiche, bessere Chancen haben würde in dem Processe, welchen er gegen unseren Fiscus auf Schadloshaltung für die widerrechtliche Aufhebung seines mit dem vormaligen Landgrafenthum abgeschlossenen Vertrags anstrengen will, wonach er bis zum Jahre 1890 fortzuspielen berechtigt sei, und daß ihm in diesem Falle die begehrte Entschädigungssumme von nicht weniger als sechszig Millionen Franken sicher wäre (?).
Anfangs war zwar gestern das Spiel unbedeutend, da schon ein großer Theil der Fremden die Stadt grollend verlassen hatte. Es muß sich aber die Kunde von jener neuesten Action mit rapider Schnelligkeit verbreitet haben; denn die nächsten Bahnzüge brachten uns schon eine ansehnliche Zahl von Gästen, und gegen Abend waren die Säle gefüllt, wie immer, und das Spiel im belebtesten Gange.
Endlich nahte um elf Uhr Abends, nachdem das trente et quarante bereits vor einer Viertelstunde geschlossen, auch an dem letzten Roulettetisch der Moment des letzten Croups; der klagende Ruf des Croupiers erscholl: „Messieurs, à la dernière for ever!“ und mit fieberischer Hast wurde [36] noch einmal der grüne Tisch mit Gold und Silber bepflastert. Zum letzten Mal rollte die Kugel; der Croupier rief: „vingt, noir, pair, passe,“ indem er ruhig die Gold- und Silberhaufen einzog, und Alles sah sich mit einer Art staunender Bestürzung an, als ob Einer den Andern fragen wollte: ob denn nunmehr wirklich der entsetzliche Wendepunkt eingetreten und das Unmögliche „Ereigniß“ geworden sei; doch löste sich die allgemeine Spannung in einem einstimmig erhobenen kräftigen Hurrah! auf, und die Menschenmasse strömte fort, deren ansehnlichster Trupp den glänzend ausgestatteten Chevet’schen Restaurationssaal aufsuchte, woselbst Alles schon festlich hergerichtet war. Bald stand daselbst das Feinste und Auserlesenste aus Küche und Keller auf der Tafel, und natürlich bildete das Spiel bis zum frühen Morgen den allgemeinen Gegenstand der Unterhaltung.
Die Neujahrssonne leuchtete über einem gereinigten Homburg, und da auch die Pforten der Wiesbadener Hölle sich in derselben Nacht bereits geschlossen hatten, so ist das deutsche Reich nunmehr befreit von allen diesen Pestbeulen französischer Civilisation.
Homburg vor der Höhe, 1. Januar 1873.Ein Brief Kaulbach’s. Die Gartenlaube brachte im vorigen Jahrgang S. 180 mit dem Kaulbach’schen Bilde von Peter Arbues, der eine Ketzerfamilie zum Scheiterhaufen verurtheilt, die Erklärung, daß es sich hier um eine christliche Ketzerfamilie handle. In einer hiesigen Damengesellschaft, wo dieses Bild besprochen wurde, behauptete eine jüdische Dame, daß es sich dabei nur um eine jüdische Familie handeln könne, da Arbues hauptsächlich Verfolger der spanischen Juden gewesen sei. Indeß fanden diese Auseinandersetzungen der Dame keinen vollständigen Glauben, und ich, um Aufklärung befragt, wurde veranlaßt, die Entscheidung des Herrn von Kaulbach selbst anzurufen. Ich schrieb und erhielt nachstehende Antwort, die wegen des Freimuths der Gesinnung und der Auseinandersetzungen über die Entstehung und Bedeutung des Bildes allgemeines Interesse genug hat, um veröffentlicht zu werden. Der berühmte und liebenswürdige Schreiber war freundlich genug, mir dies zu gestatten. Der Brief lautet:
„Hochverehrter Herr! Entschuldigen Sie, daß ich nach so langer Zeit Ihre freundliche Zuschrift beantworte. Ich werde Ihnen mit wenigen Worten die Entstehungsgeschichte des Arbuesbildes mittheilen. Die Veranlassung dazu gab mir eine Reihe vortrefflicher Artikel in der Augsburger ‚Allgemeinen Zeitung‘ von unserm talentvollen Verfasser der bekannten Briefe aus Tirol, Dr. Ludwig Steub, worin eine der furchtbarsten Judenverfolgungen in Deggendorf, einer bayrischen Stadt, im 14. Jahrhundert geschildert wurde. Wie ich mich erinnere, ließ der hiesige Bischof eine in ihrer Art fulminante Gegenerklärung darauf erscheinen, aber Dr. Steub ließ es nun nicht dabei bewenden, sondern zeigte in einer weiteren Reihe von Aufsätzen mit schlagenden, documentirten Beweisen, wie grausam die ‚Religion der Liebe‘ in Gestalt der streitenden Kirche gegen Andersgläubige wüthete. Dazu kam die mit den Steub’schen Aufsätzen ungefähr in gleiche Zeit fallende Heiligsprechung des Arbues. – Indignation und Zorn trieb mich nun dazu, an die Wand meines Ateliers im Saale des früheren Jesuiten-Collegiums diesen heiligen Henkersknecht der Kirche zu brandmarken. So entstand in einigen Stunden dieses Bild, welches ich später, um es in eine dauerhafte Verfassung zu bringen, auf Leinwand übertrug.
Hieraus können Sie entnehmen, daß ich ursprünglich allerdings in diesen dargestellten Schlachtopfern eine Judenfamilie vor Augen hatte; ohne aber gerade besondern Nachdruck auf die geschichtliche Thatsache, daß das Ziel seiner Verfolgung zumeist Juden und Mauren war, zu legen, war es mehr meine Absicht, Repräsentanten eines vornehmen reichen Standes in diesen Opfern darzustellen. – Es schwebte mir die furchtbare Betrachtung dabei vor, wie die alleinseligmachende Kirche mit ihrer Inquisition die Blüthe und Intelligenz Spaniens ausrottete und dadurch dieses arme, unglückliche Land moralisch und physisch auf Jahrhunderte hin zu Grunde gerichtet hat.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster
München, den 1. December 1872Der Vorfall in Deggendorf, dessen Kaulbach erwähnt, wird bekanntlich heute noch alljährlich gefeiert und hatte seine Veranlassung in einer sogenannten blutigen Hostie, die von Judenhand geraubt und entweiht worden sein soll. Das Blut auf solchen Hostien hat die Wissenschaft als den rothen Pilz oder Schimmel nachgewiesen, wie er sich oft auf Mehlspeisen erzeugt, welche an feuchten Orten aufbewahrt werden. Steub hat in seinen „Altbairischen Culturbildern“ den Brief mitgetheilt, welchen damals selbst Benedict der Zwölfte von Avignon aus an den Herzog Albrecht von Oesterreich in der Deggendorfer Angelegenheit schrieb, woraus hervorgeht, daß ein Geistlicher in der Beichte bekannt hat, eine solche blutige, eigentlich schimmelige Hostie mit Absicht vor das Haus eines Juden gelegt zu haben, um Juden-Mord und -Plünderung zu veranlassen.
Alzey, 31. December 1872.Aus den Ostsee-Schrecknissen. (Mit Abbildung.) Die Zeitung berichtet es und die Kunst sucht es zu fassen, aber diesmal ist die Kunst härter, als die Zeitung, die uns den Trost gab, daß in der schrecklichen Scene die zurückschlagende Woge Erbarmen hatte und Mutter und Kind auf dem Trümmerwerk emporhob zu den rettenden Mannesarmen, die den Säugling bereits geborgen hatten. Unser Künstler hat es über sich vermocht, für unser Auge und Herz das Ende in die entsetzlichste Ungewißheit zu stellen. Geschehen sind Unglück und Rettung an der lang in’s Meer hineingestreckten Südspitze der dänischen Insel Falster, die jenem Nordoststurme in ihrer ganzen Ausdehnung ausgesetzt war. Das Boot eines großen vorübersegelnden Schiffes wagte die Fahrt zur Hülfe für die mit den Wellen Ringenden; wen und wie Viele von dem Kreise dieses Familienrestes die Fluth mitgenommen, wissen wir nicht. Die schwedische Zeitung berichtet nur über den Act der Rettung.
Für den Weihnachtsbaum unserer Ostsee-Deutschen
gingen ferner ein: Schule in Schreiersgrün durch Lehrer Schmiedeknecht 3 Thlr. 5 Ngr. 2 Pf.; Verloosung in Hanau 5 Thlr. 17 Ngr.; Schule in Woldegk durch Lehrer Krüger 3 Thlr. 3 Ngr. 5 Pf.; Lehrercollegium der ersten Schulabtheilung in Oelsnitz 20 Thlr. 5 Ngr.; Kegelkränzchen in Erfurt durch F. Traube 4 Thlr.; Frau Apotheker Paulack in Ruhland 5 Thlr. und Frau Apotheker Wesenberg daselbst 2 Thlr.; ein emeritirter Lehrer Wiesbaden 2 Thlr.; Schule in Oberfrohna durch die Lehrer Kuhnert und Näumann 17 Thlr.; A. W. in H. 1 Thlr.; Th. Abresch in Havre 9 Thlr. 18 Ngr. 7 Pf.; erste Schulclasse in Seifersdorf durch Lehrer Schmidt 1 Thlr. 20 Ngr.; Th. in Steegen 3 Thlr.; C. Schch. in München mit dem Motto „Eine alte Schuld“ getilgt 3 Thlr.; M. Beer in Pengenhammer 5 Thlr.; Kegelverein in Naumburg a. Qu. 12 Ngr. 5 Pf.; Gesangverein Eintracht in Ramsbeck durch Lehrer Schulte 10 Thlr.; v. F. in Dresden 1 Thlr.; J. C. L. 1 Thlr.; Schule in Dreibäume durch Lehrer Biermann 3 Thlr. 12½ Ngr.; Frau C. M. C. 2 Thlr.; dritte Knabenclasse in Zielenzig durch Lehrer Gräger 1 Thlr. 5 Ngr. 8 Pf.; Käsefabrik Villa Blumenau 14 Thlr.; Zahlmeister M. in L. (Frankreich) 4 Thlr.; fünfzehn Schüler der Quinta des Realgymnasiums in Karlsruhe 3 Thlr. 10 Ngr.; C. C. in Feldkirch 1 Thlr.; vom Donnerstags-Kegelclub bei Kropffs in Nordhausen 5 Thlr.; R. in S. 2 Thlr.; C. v., in Dresden 5 Thlr.; Wurzen 1 Thlr.; aus Ger..endorf 2 Thlr.; Papststein 1 Thlr.; Th. St. in Drd. 1 Thlr.; Mayer in Posen 2 Thlr.; die beiden ersten Classen in Lindau (Anhalt) durch Cantor Wendt 3 Thlr. 27½ Ngr.; Lindner in Wolframsdorf 2 Thlr.; Schulkinder in Treben 5 Thlr. 8 Ngr. 7 Pf.; durch Wächter in Poppenbüll ges. 3 Thlr. 18 Ngr.; Gewerbeverein in Dippoldiswalde 10 Thlr.; H. S. in Bendorf 1 Thlr.; Gröbler in Osterweddinge 1 Thlr.; Ernst Walther Gebhardt 3 Thlr.; Frau Lenz in Coelbe 1 Thlr.; S. in Reichenberg 2 Thlr.; Theatergesellschaft des Gewerbevereins in Brandis 10 Thlr.; Obermädchenclasse in Mkt.-Redwitz 2 Thlr. 19 Ngr.; Greifenberg 1 Thlr.; K. C. in Neustadt a. W. 2 Thlr.; T. K. in Mayen 1 Thlr.; Spgr. in Cöln 2 Thlr.; Eric und Edmond auf Burg Lahneck, den Inhalt ihrer Sparbüchse 10 Thlr. (Gewiß besuche ich die freundlichen Spender, wenn ich wieder nach dem schönen Rhein kommen sollte); Schlünkes in Cöln 2 Thlr.; Verloosung der Werktagsschüler H. D. in B. 2 Thlr. 25½ Ngr.; Marie Neumann mit 5 Geschwistern in Feldberg (Mecklenburg) 1 Thlr. 10 Ngr.; Sammlung durch Lehrer Ritter in Suhl 2 Thlr. 10 Ngr.; aus der Fabrik der Gebr. Gerland in Allendorf 3 Thlr. 10 Ngr.; Schüler und Lehrer der mittlern Schule in Lauter 4 Thlr.; beim Schoppenfest im Actienhôtel in Limbach 7 Thlr.; W. M. in Berlin 1 Thlr.; Mügge in Gittelde 2 Thlr.; N. N. in Langensalza 2 Thlr. (Wer ist der alte Bekannte?); Baudow in Ketzin 2 Thlr.; Agnes und Lina W. in Neustadt a. A. 2 Thlr.; höhere Bürgerschule mit Gymnasiumsclasse in Greiz 19 Thlr.; A. H. in München 3 Thlr.; Gesangverein in Camburg durch Fr. Salzmann 33 Thlr.; Emma F. in L. 5 Thlr.; H. in Bückebg. 1 Thlr.; L. S. in Kassel 5 Thlr.; Anna, Eduard und Lisbeth in Rantern 11 Thlr.; R. H. in M. 20 Thlr.; H. in Rochlitz 1 Thlr.; Schüler und Schülerinnen in Nossen, 3 Thlr. 7 Ngr.; aus der Sparbüchse der Geschwister W. in M. 2 Thlr.; C. Emmrich in Petterweis 1 Thlr. 12 Ngr. 8 Pf.; F. u. A. M. in Brw. 2 Thlr.; Ziegler in Eilenburg 2 Thlr.; Rest des Baarvermögens der Grünstädter Groschengesellschaft 4 Thlr.; Margaretha J. in Buesweiler (Elsaß), „obwohl sie die Preußen nicht liebt“, 5 Thlr 10 Ngr.; Liederkranz in Großschönau 11 Thlr.; die Former in Weißenfels 5 Thlr.; aus Gretchens Sparbüchse 1 Thlr.; aus Geithain 10 Thlr.; dreißig Schüler des Instituts Schultz in Sinzig durch Lehrer Hermann 15 Thlr.; Familie G. in Betzdorf 3 Thlr.; Kaempf in Flanheim 1 Thlr.; aus Vandsburg 1 Thlr.; Abonnent aus Lippehne 5 Thlr.; H. u. C. Sch. 2 fl. rh.; Anna in Straßnitz 1 fl. ö.; Stoltze in Vichtenstein 5 fl. ö.; E. Schall in Finne 3 fl. ö.; Elisabeth Eggers in Marseille 20 Franken; Hübner in Gablonz 5 fl. ö.; F. Fischer in Disco (Mähren) 5 fl. ö.; Georg Koch in Grömingen 10 fl. rh.; Kirsten in Wien 10 fl. ö.; Daskow in Mürzzuschlag 5 fl. ö.; aus Rußland 25 Rubel mit den Worten:
Vier deutsche Frauen im kalten Norden,
Sie sagen dir, du deutsches Land,
Daß sie dir untreu nicht geworden,
Und schicken dir ein Liebespfand.
Es ist nicht viel, doch kommt’s vom Herzen.
Du liebes Volk: Wir wünschen dir,
Daß du nach so viel bitt’ren Schmerzen
In Zukunft glücklich bist, wie wir.
- ↑ Dramatisirung und Uebersetzungsrecht sind vorbehalten. D. Red.
- ↑ Das berühmte Prämonstratenserstift auf dem Prager Hradschin.
- ↑ Die fünfhundert Genfergulden, welche er jährlich bezog, machen nach heutigem Gelde sechstausend Franken aus; dazu kam freie Wohnung nebst Mobiliar, freies Holz und vielerlei Lebensmittel, sowie Geschenke an Kleidungsstücken.
- ↑ Vorlage: „Bedraf“