Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1883)/Heft 10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1883
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[153]

No. 10.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Es klang hart und kalt, dieses „Ja“. Raimund verstand es, und der matte verschleierte Ton, in dem er bisher gesprochen hatte, gewann eine herbe Beimischung, als er fortfuhr:

„Du brauchst mich nicht an die Kluft zu erinnern, die uns trennt. Ich kenne sie hinreichend, aber es giebt Andere, die Hoffnungen darauf bauen, daß Du wieder frei geworden bist. Vielleicht stößest Du den nächsten Herrn von Werdenfels nicht zurück, wenn er Dir Herz und Hand bietet. Seine Hand ist ja rein, und ich –“ seine Lippen zuckten – „ich darf vielleicht den Freiwerber meines Neffen bei Dir machen.“

In dem Antlitze der jungen Frau gab sich eine peinliche Ueberraschung kund.

„Deines Neffen? Du meinst wohl den jungen Baron von Werdenfels?“

„Gewiß, er hat Dich in Italien kennen gelernt. Solltest Du wirklich seine Huldigungen nicht bemerkt haben?“

„Ich habe nicht das mindeste Gewicht darauf gelegt. Solch eine flüchtige Jugendschwärmerei ist schwerlich ernst zu nehmen.“

„Du täuschest Dich; Paul nimmt es so ernst mit seiner Liebe, daß er sich nicht einen Augenblick bedachte, zwischen Dir und dem Besitze von Werdenfels zu wählen. Ich bin überzeugt, er wird schon in den nächsten Tagen mit seiner Werbung vor Dich hintreten.“

„Das ahnte ich nicht,“ sagte Anna gepreßt. „Ich hoffte, es würde mir erspart bleiben, ihm wehe zu thun.“

„Du liebst ihn also nicht?“

„Ich – Paul Werdenfels?“

Das mitleidige Erstaunen, das in der Frage lag, sprach dem armen Paul das Urtheil. Man sah es deutlich: er hatte nie auch nur die geringste Regung in dem Herzen der jungen Frau erweckt. Auch Raimund sah das, und unwillkürlich entrang sich ein tiefer Athemzug seiner Brust.

„So verzeih’ die Frage!“ sagte er leise. „Ich glaubte es einen Augenblick lang.“

Emir war inzwischen sehr unruhig geworden. Dem feurigen Thiere behagte das lange Stillstehen nicht, und es gab deutlich sein Mißfallen darüber zu erkennen; es schnaubte und stampfte ungeduldig den Schnee. Raimund trat zu ihm und strich mit flüchtiger Liebkosung über den schlanken Hals, während er die Zügel um den Arm schlang. Das Pferd wurde augenblicklich ruhig unter der Hand seines Herrn, den es sehr zu lieben schien, aber es wendete den Kopf und blickte mit seinen klugen Augen zu der jungen Frau hinüber, die dort unter den Tannen stand und jetzt schweigend in die Ferne hinaussah.

Die Bergwiese lag ziemlich hoch am freien Abhange und bot einen weiten Ausblick über das schneebedeckte Gebirg. Die Eisjungfrau hatte ringsum ihre weißen Schleier gebreitet; in jenem wilden Schneesturme, mit dem sich der Winter ankündigte, war sie in das Thal herabgestiegen, und unter ihrem eisigen Hauche erstarrte das Leben, das sich noch in den Spätherbst hinüber gerettet hatte. Aber auf ihren Wink war eine neue Welt voll märchenhafter Schönheit erstanden, eins jener Zauberreiche aus funkelndem Krystalle, von dem die Sagen erzählen. In geisterhafter Schönheit ragten die weißen Berggipfel empor in das kalte klare Blau des Himmels, und scharfe tiefblaue Schatten lagerten in den Schluchten und Klüften, wohin die Sonne nicht drang. Die Wasserfälle, die sonst brausend in das Thal niederschäumten, hingen erstarrt an den Felswänden. Im Sturze hatte sie der Frost aufgefangen und seltsam zackige Gebilde daraus geschaffen, die wie blinkende Geschmeide an dem Schneegewande niederhingen. Auch die schroffen Klippen, die dunklen Wälder standen in krystallener Pracht da, und überall funkelte und glänzte es, als hätten unsichtbare Hände all die Sagenschätze des Gebirges darüber ausgestreut.

Ueber dem allem aber thronte die sagenhafte Geisterspitze so klar, daß man deutlich ihre Schneefelder und das bläuliche Eis ihres Gipfels unterscheiden konnte; sie schien förmlich zu schwimmen im Sonnenlicht.

Aber es war eine kalte Wintersonne, und sie leuchtete einer erstorbenen Welt. Kein Rauschen und Flüstern wehte mehr aus dem Walde; die Tannen standen unbeweglich, und ihre Zweige senkten sich schwer unter der Schneelast, die sie trugen. Keine Quellen rieselten mehr über den Boden; der helle Strahl war versiegt, gefangen. Es herrschte eine gespenstige Oede in dieser funkelnden Märchenwelt; alles Leben darin schien gebannt zu sein – ringsum nur Todesruhe und Todesschweigen.

Da strich ein Windhauch über die verschneite Bergwiese und trug wie aus weiter Ferne einen Ton herüber. Es war ein Wallen und Rauschen, das aus der Tiefe emporzusteigen schien, das jetzt halb verwehte und dann wieder deutlicher heraufklang. Dort unten, wo das Thal sich schloß, brach aus Höhlen und Klüften, die noch keines Menschen Fuß je betreten hatte, der Bergstrom hervor, diese mächtige Lebensader des Gebirges, die allein nicht zu ertödten war. Bis in die geheimnißvollen Tiefen, wo [154] seine Quellen ruhten, drang nicht die Macht der Eisjungfrau, die sonst alles niederzwang. Sie versuchte es vergebens, seinen Lauf zu hemmen, ihn mit ihren eisigen Armen festzuhalten und zu ersticken. Er rang sich immer wieder empor zum Lichte, entwand sich immer wieder den Banden, welche ihn bedrohten, und durch eisumstarrte Schluchten, über schneebedecktes Felsgeröll eilte er nur stürmischer dahin – das einzige unbezwungene Leben in dieser todten Natur.

Das Rauschen drang nur dumpf zu der einsamen Bergeshöhe empor, wo die Beiden standen, die sich jetzt so fern waren und sich doch einst so nahe gestanden hatten, aber es klang etwas darin, wie eine Erinnerung an das todte Frühlingsleben, das auch ihnen geblüht hatte und nun versunken war auf Nimmerwiederkehr.

So leise und träumerisch wallte das Meer, damals als sie zum ersten Male einander begegneten. Ein Zufall hatte die deutschen Landsleute am Lido zusammengeführt, und jetzt trug sie das Schiff gemeinsam zurück nach Venedig. Die Fluth erglänzte in purpurnem Abendschein; fern und still zogen die Segel der Fischerboote dahin, roth angestrahlt von dem sinkenden Lichte, und dort drüben lag die alte Meeresstadt mit ihren marmornen Palästen und Kirchen, wie verklärt in der Gluth und Glorie des Sonnenunterganges.

Aber der junge Fremde sah nichts von alledem; sein Auge haftete unverwandt auf dem schönen ernsten Mädchen, das ihm gegenüber an der Seite der alten Dame saß; er konnte den Blick nicht losreißen von diesem Antlitz.

Dann kam jene Mondnacht, wo der Dampfer die Reisenden wieder zurückführte nach den deutschen Küsten, wo die Marmorstadt wie eine leuchtende Fata Morgana weiter und weiter zurückwich und endlich wie ein großer flammender Stern in den Wogen versank, aber es war kein Stern des Glückes gewesen. Und dann nahte jener Frühlingstag in den heimischen Bergen, der endlich das ersehnte Alleinsein brachte, und mit ihm das Geständniß, das die Lippen bisher noch nicht ausgesprochen. Da strömte die Empfindung voll und heiß aus der Brust des Mannes, und der Ernst des jungen Mädchens schmolz in weiche glückselige Hingebung. Damals blühte und duftete alles ringsum; die Wälder rauschten im Frühlingswinde; die Bäche schäumten von den Felsen; das Gebirg lag in Duft und Sonnengold, und die Beiden, deren Herzen sich gefunden, hatten sich gelobt, an einander fest zu halten in allen Lebensstürmen.

Der Sturm war gekommen und hatte jenen Schwur zerbrochen und vernichtet, als er die Beiden aus einander riß. Den Einen trieb er in die öde, weltverlorene Einsamkeit, wo es keine Liebe und kein Glück mehr gab, und die Andere führte er mitten hinein in das glänzende Treiben der Welt und des Lebens, das ihr vielleicht ebenso öde war. Jetzt, nach Jahren, standen sie zum ersten Male wieder bei einander – und zwischen ihnen starrte Schnee und Eis!

Anna’s Augen ruhten wieder forschend auf den Zügen des Freiherrn, als wolle sie enträthseln, was in jenen tiefen Linien geschrieben stand, und sie mußte wohl Schweres darin lesen; denn sie brach das minutenlange Schweigen.

„Raimund!“

Er wandte sich um, einen Moment lang zog ein flüchtiges Aufleuchten über sein Antlitz, als er seinen Namen von diesen Lippen hörte, dann aber legte sich wieder die alte Starrheit über die bleichen Züge. Er trat zu ihr, und das Pferd, dessen Zügel er noch immer hielt, folgte ihm geduldig; es zeigte keine Spur seiner sonstigen Wildheit; es senkte schmeichelnd den schönen Kopf zu seinem Herrn nieder und ließ ein leises Wiehern hören.

„Das Thier scheint Dich sehr zu lieben,“ sagte Anna.

„Ja, ich sehe meinen Emir auch täglich, so selten ich ihn reite. Er ist das Einzige auf der Welt, was mich noch liebt.“

„Und wohl auch das Einzige, was Du liebst! Du fliehst ja Welt und Menschen und zeigst ihnen deutlich genug, daß Du sie verachtest.“

„Glaubst Du, daß es die Liebe der Menschen gewesen ist, die mich hinaufgetrieben hat in meine Einsamkeit?“ fragte Raimund mit schwerer Betonung. „Frage Dienen Vetter Vilmut danach! Er kann Dir Auskunft geben; denn er hat den Riß, der mich von denen dort unten im Thal trennte, zur endlosen Kluft erweitert.“

„Gregor hat Dir den Weg zur Versöhnung gezeigt – Du wolltest ihn nicht gehen.“

„Nein! Ich weiß, was ich der Vergangenheit abzutragen habe – vor dem Hochmuth des Priesters, der mich und den Namen meines Geschlechtes in den Staub ziehen will, beuge ich mich nicht.“

Es lag eine ungewohnte Energie in den Worten; auch der jungen Frau schien das aufzufallen; denn sie streifte den Sprechenden mit einem halb verwunderten Blick, dann aber sagte sie ernst:

„Gregor ist nicht hochmüthig. Was er auch thun und fordern mag, er hat immer nur seine Priesterpflicht vor Augen, aber er kann erbarmungslos sein im Dienste dieser Pflicht.“

„Das habe ich erfahren! Er hat mich in den Bann gethan, und seine getreue Heerde folgte dem Befehl ihres Hirten. Ich bin geächtet auf meinem eigenen Grund und Boden.“

„Und wer trägt die Schuld daran? Gregor oder Deine seltsame Art zu leben, die weit und breit das Märchen der Gegend ist? Da läßt Du in öder Felseneinsamkeit ein Schloß voll fürstlicher Pracht entstehen und vergräbst Dich darin vor jedem menschlichen Auge. Du wirfst Unsummen hin für Werdenfels und seine Gärten und läßt sie veröden, ohne daß sie der Fuß eines Fremden auch nur betreten darf. Du ziehst einen Bannkreis um Deine Person, den Niemand überschreiten, Niemand durchbrechen darf, und nährst mit eigener Hand alle jene unheimlichen Gerüchte über Dich. Du hast keinen Blick, keinen Gedanken für die Menschen, die dort auf Deinen Gütern arbeiten und darben und Tag für Tag mit der Noth des Lebens ringen. Was fragst Du denn auch nach ihrem Elend oder ihrem Glücke? Du stehst unzugänglich und unnahbar auf Deiner Felsenhöhle!“

„Am Abgrund!“ ergänzte Werdenfels. „Du weißt nicht, was für Tage und Stunden ich da oben verlebt habe; Du kennst nicht die Versuchungen des Abgrundes. Er hat mich mehr als einmal gelockt, in seiner Tiefe Vergessenheit zu suchen, und mit der Vergangenheit auch den alten Fluch zu begraben.“

Ein tiefes Erschrecken zeigte sich in dem Antlitz der jungen Frau, dann aber nahm es den Ausdruck jener unbeugsamen Härte an, der ihr bisweilen eigen war, und dieselbe Härte klang aus ihrer Stimme, als sie antwortete:

„Das ist die letzte Zuflucht der Schwäche – Männer sühnen ihre Schuld!“

Raimund richtete sich empor; in seinem Auge begann etwas aufzuglühen, wie Funken unter der Asche, aber noch verschleierte sich die Tiefe dieses Blickes.

„Also bin ich nur ein Schwächling in Deinen Augen?“

„Ein Träumer bist Du, der es nicht wagt, in den hellen Sonnenschein zu schauen, weil er ihm weh thut nach der langen Nacht, weil er nicht ungestört darin weiter träumen kann. Wach’ auf, Raimund! Entreiß’ Dich diesem Hinbrüten, das Deine letzte Kraft verzehrt! Ich habe nicht geglaubt, daß unsere Trennung das aus Dir machen würde.“

Raimund ließ mit einer heftigen Bewegung die Zügel fallen. Man sah es, wie der halb verächtliche Ton ihn verwundete, und hörte es, wie seine Stimme mehr und mehr die dumpfe Ruhe verlor.

„Nicht solche Worte, Anna!“ sagte er finster. „Haß kann ich ertragen, und ich habe viel davon erfahren mein Leben lang. Verachtung trage ich nicht.“

„So zeige, daß Du sie nicht verdienst!“ sagte Anna in steigender Erregung. „Es ist viel in Deine Hände gegeben, und die Menschen dort unten haben ein Leben von Dir zu fordern. Du bist es ihnen schuldig. Versuche es, tritt mitten unter sie und wirb um Versöhnung und Du wirst sie finden!“

„Meinst Du?“ fragte Werdenfels schneidend. „Es wäre nicht das erste Mal, daß ich es versuchte! Ich habe es damals nach dem Tode meines Vaters gethan. Weißt Du, wie der alte Eckfried mir antwortete, als ich in seine Hütte trat? Er riß den Stutzen von der Wand und drohte, mich niederzuschießen, wenn ich noch einmal den Fuß über seine Schwelle setzte. Und so ging es weiter; wohin ich mich auch wandte, überall trat mir der alte Haß, die alte Feindschaft entgegen. Sie stießen mich Alle zurück, Alle – sogar meine Braut!“

Das stolze zürnende Auge der jungen Frau senkte sich; sie hatte keine Erwiderung auf den letzten Vorwurf.

[155] „Von dem Augenblicke an, wo Vilmut das Geheimniß unserer Liebe entdeckte, war ihr Urtheil gesprochen,“ fuhr Raimund fort. „Du folgtest ihm blindlings, und ich wurde ungehört verdammt.“

„Ungehört? Ich hätte keinem anderen Zeugniß auf der Welt geglaubt, als Deinem eigenen. Ich selbst habe Dich in das Pfarrhaus gerufen, wo unsere letzte Unterredung stattfand.“

„In Vilmut’s Gegenwart! Er stand zwischen uns mit seinem Eisesblick und wehrte jede Verständigung. Wäre ich nur eine Minute lang mit Dir allein gewesen, ich hätte den Weg zu Deinem Herzen gefunden, trotz alledem, was geschehen war. Aber Du verweigertest mir das Alleinsein.“

„Weil es nutzlos gewesen wäre. Ich hatte nur eine einzige Frage an Dich, und ein einziges ‚Nein‘ aus Deinem Munde hätte alles wieder gut gemacht. Du hast dieses Nein nicht gesprochen; Du schlugst das Auge zu Boden. Dein Schweigen war es, was uns trennte, nicht eine fremde Macht.“

„Und was hätte ich Dir denn sagen sollen?“ fragte Raimund langsam. „Ich wußte ja, es war alles vergebens, so lange dieser Priester an Deiner Seite stand, der nur verurtheilen und verdammen kann, dem das Wort Verzeihung fremd ist. Ich habe es ja noch einmal versucht, Dir zu schreiben, trotz Deines Verbotes, und Dir rückhaltlos alles enthüllt. Nach drei Tagen kam die Antwort, aber sie war von der Hand Deines Vetters und lautete: ‚Anna Vilmut ist seit gestern die Braut des Präsidenten Hertenstein!‘ – Bis dahin hatte ich all dem Haß noch Stand gehalten; jetzt gab ich den Kampf auf – für immer – und floh in die Einsamkeit.“

Es folgte eine lange schwere Pause, die junge Frau stand unbeweglich da, aber sie war sehr bleich geworden, und es schien, als ringe sie nach Athem.

„Was – was stand in jenem Briefe?“ fragte sie endlich leise.

Raimund richtete das Auge voll und finster auf sie; wieder zeigte sich jener seltsame Funke darin, jene Gluth unter der Asche.

„Das weißt Du ja,“ erwiderte er; „oder – hast Du den Brief nicht gelesen?“

„Nein.“

„Er wurde aber doch in Deine eigenen Hände gelegt. Ich weiß, daß es geschah, und Du hast ihn nicht gelesen?“

Das Drohende, das in dieser Frage lag, rief Anna’s Trotz wach. „Nein,“ wiederholte sie. „Ich hatte bereits dem Präsidenten mein Wort gegeben, als ich jenes Schreiben empfing, und damit war das Loos über mein Schicksal geworfen – der Brief wurde uneröffnet verbrannt.“

Werdenfels fuhr auf; seine Hand ballte sich, und in seinem Auge loderte wieder jene Flamme empor, die wie ein zuckender Blitz die dunklen Tiefen enthüllte. Ein stürmisches leidenschaftliches Wort schien sich auf seine Lippen zu drängen, aber er bezwang sich.

„Verzeih!“ sagte er nach einer secundenlangen Pause mit erzwungener Kälte. „Dann allerdings hatte ich mich an eine falsche Adresse gewandt.“

„Was stand in dem Briefe?“ fragte Anna noch einmal unruhig und dringend.

„Was Du auch verworfen hättest; denn es war ja ein Schuldbekenntniß!“ brach Raimund in grenzenloser Bitterkeit aus. „Ich wandte mich an die Liebe der Frau, die mir gelobt hatte, die Meine zu werden. Die Liebe verzeiht ja Alles, und sie hätte verziehen; Du aber, die Du meine letzte verzweifelnde Bitte ungelesen den Flammen preisgabst, Du hast mich nie geliebt. Gregor Vilmut und Du, Ihr seid einander gleich; Ihr steht so fest und sicher auf Eurer Tugendhöhe und blickt mitleidslos herab auf den Träumer, den Schuldigen. Ihr wißt ja nicht, was es heißt, wenn auf ein junges Leben ein Fluch geworfen wird und das ganze fernere Dasein hinfort nur ein Kampf, ein Ringen mit diesem Fluche ist. Ich habe das erfahren – leb’ wohl!“

Er wandte sich von ihr, schwang sich in den Sattel und gab dem Pferde die Zügel, das, froh der endlich gewonnenen Freiheit, über die Wiese hinjagte. Es nahm einen mächtigen Anlauf und setzte wieder über die Schlucht. Zum zweiten Male wurde das Wagestück unternommen, und zum zweiten Male gelang es. Der Reiter hörte nicht den halb erstickten Angstruf, der ihm nachhallte; er wandte sich nicht um, sondern sprengte hinein in die Waldlichtung.

Anna stand allein unter den Tannen; ihre Lippen waren zusammengepreßt wie im Zorn oder Schmerz, aber ihr Auge hing noch immer an jener Lichtung. Starr und schwer senkten sich die Zweige des Baumes über ihr unter der Schneelast, und starr und weiß war Alles ringsum. Aber aus der Tiefe drang wieder jenes Hallen und Rauschen empor, fern und geheimnißvoll, als flüsterten darin all die Stimmen jenes tausendfachen Lebens, das in der eisigen Hülle gefangen lag. Es war gebannt und versunken – erstorben war es nicht.




Buchdorf, das Gut, welches der Freiherr seinem jungen Verwandten zum Geschenk gemacht hatte, lag nur einige Stunden von Werdenfels entfernt. Es war nicht so groß und prächtig als dieses, aber doch ein schönes Rittergut mit stattlichem Herrenhause und schattigem Park. Paul hatte in der That die Schenkungsurkunde mit der Unterschrift Raimund’s auf seinem Schreibtische gefunden und sein neues Eigenthum auch bereits in Augenschein genommen. Das Gut befand sich allerdings vorläufig noch in den Händen des Pächters, der es bisher bewirthschaftet hatte und mit seiner Familie sogar das Herrenhaus bewohnte. Der neue Gutsherr sah ein, daß er mit der Uebersiedelung bis zum Frühjahr warten müsse, wo der Pachtcontract ablief, und überdies fühlte er sich gerade jetzt verpflichtet, den Wünschen des Freiherrn nachzukommen und vorläufig in Felseneck zu bleiben.

Augenblicklich befand sich Paul in seinem Schlafzimmer und war mit der Toilette beschäftigt, die ihn heute sehr in Anspruch nahm. Er musterte sich wiederholt im Spiegel und schwankte minutenlang zwischen der Entscheidung, ob er eine dunkle oder eine helle Halsbinde wählen solle.

Arnold, der ihm beim Ankleiden half, verrieth gleichfalls ein gesteigertes Selbstgefühl; denn „wir wären ja nun Gutsherr“. Er hatte es natürlich durchgesetzt, daß sein junger Herr ihn mit nach Buchdorf nahm, hatte dort alles beaugenscheinigt und gefunden, daß ein Onkel, der so großartige Geschenke mache, des höchsten Respectes werth sei. Der Freiherr war überhaupt seit jener verunglückten Audienz sehr in der Hochachtung des alten Dieners gestiegen. Dieser hatte nicht allein die empfangene Lehre ganz ruhig hingenommen, sondern schien sogar eine Art Hochgefühl darüber zu empfinden, daß ihm endlich einmal Jemand imponirte. Er sprach seitdem nur in den Ausdrücken tiefster Bewunderung von dem Schloßherrn, und es fiel ihm nicht mehr ein, zu behaupten, daß dieser etwas verrückt sei. Werdenfels hatte ihm in nachdrücklichster Weise seine Vernünftigkeit klar gemacht.

„Die dunklen Handschuhe, Arnold!“ sagte Paul, was zur Folge hatte, daß Arnold ein Paar helle Handschuhe brachte und sie demonstrativ auf den Toilettentisch legte.

„Nehmen Sie diese, Herr Paul,“ sagte er. „Helle Handschuhe passen besser zu Ihrem Anzuge und sind überhaupt in der Ordnung, wenn man einen Antrag macht.“

Paul wandte sich um und sah ihn verwundert an.

„Ich? Woher weißt Du denn das? Ich habe Dir doch kein Wort davon gesagt.“

„Als ob man mir dergleichen zu sagen brauchte!“ meinte Arnold. „Sie nehmen ja das Ankleiden heute als eine Haupt- und Staatsaction. Sie haben den Wagen zur Fahrt nach Rosenberg bestellt, weil der lange Ritt Ihrem Anzuge schaden könnte; Sie sind überhaupt so merkwürdig aufgeregt – Ihnen sieht man es ja schon auf zehn Schritte an, daß Sie auf Freiersfüßen gehen.“

„So – das wußte ich nicht!“ sagte Paul etwas ärgerlich, aber ohne zu widersprechen, während der alte Diener fortfuhr:

„Ich habe die Geschichte kommen sehen von dem Augenblicke an, wo ich erfuhr, daß unsere Reisebekanntschaft aus Venedig hier in der Nachbarschaft wohnt. Sie waren ja ganz unglaublich verliebt, und ich bin auch im Ganzen dafür, daß Sie heirathen.“

„Wirklich, giebst Du mir die Erlaubniß dazu?“ rief der junge Mann lachend. „Ich hatte allerdings vergessen, Dich darnach zu fragen.“

Arnold zuckte die Achseln.

„Sie fragen mich ja leider niemals, aber Sie haben keinen schlechten Geschmack – das muß man sagen. Frau von Hertenstein ist eine sehr schöne Dame, und nach Allem, was man hört, auch eine sehr vernünftige Dame, und das können wir gebrauchen; denn [156] wenn wir jetzt auch Gutsherr von Buchdorf sind, vernünftig sind wir nach lange nicht.“

„Arnold, ich bitte mir jetzt ernstlich einen größeren Respect aus!“ fuhr Paul auf, der in seiner neuen Würde als Gutsherr das Unpassende dieser Predigten doppelt empfand, und da er sich der Scene bei seinem Onkel erinnerte, so nahm er gleichfalls eine vornehme Haltung an, wie dieser, und richtete einen niederschmetternden Blick auf seinen alten Vertrauten, aber da kam er bei diesem übel an.

„Blicken Sie nicht so, Herr Paul!“ sagte Arnold geringschätzig. „Sie können das dem gnädigen Onkel doch nicht nachmachen. Der blickt ganz anders; es wird Einem heiß und kalt dabei, wenn er auch kein Wort spricht, und man kann eigentlich gar nichts Anderes thun, als eine Verbeugung machen. Sie dagegen –“

„Ich verstehe das nicht, meinst Du?“ rief Paul hitzig. „Arnold, jetzt ist meine Geduld zu Ende! Ich werde in Zukunft mit Strenge darauf halten, daß Du in Deinen Schranken bleibst – merke Dir das! Und jetzt geh! Ich werde mich allein ankleiden!“

Anstatt zu gehorchen, stellte sich Arnold dicht vor seinen jungen Herrn hin und musterte dessen Anzug.

„Aergern Sie sich nicht, Herr Paul!“ sagte er wohlwollend. „Dann steigt Ihnen das Blut in das Gesicht, und dann sehen Sie gar nicht gut aus. – Warum haben Sie denn die dunkle Halsbinde genommen? Sie steht Ihnen nicht – die gnädige Frau wird das auch finden, und überdies sitzt die Schleife schief.“

Damit begann er ruhig die dunkle Halsbinde abzunehmen und durch eine helle zu ersetzen, und Paul hielt geduldig still. Der Gedanke, in Rosenberg zu mißfallen, hatte ihm einen heilsamen Schreck eingejagt.

„Meinst Du das?“ fragte er noch grollend, aber mit besorgter Miene.

„Jetzt sehen Sie einmal in den Spiegel!“ sagte Arnold triumphirend. „Die helle Seide giebt Ihrem Gesicht einen ganz anderen Schein. Ja, wenn Sie mich nicht hätten, Herr Paul!“

Paul warf einen Blick in den Spiegel und schien der gleichen Meinung zu sein; denn er nahm gehorsam die hellen Handschuhe, die Arnold ihm präsentirte. Da der letztere nun „im Ganzen“ mit der projectirten Heirath einverstanden war, so geruhte er seinem jungen Herrn auch noch Hut und Ueberzieher zu bringen und begleitete ihn sogar bis zur Treppe, wo die Beiden sich ganz freundschaftlich trennten.

Die zweistündige Fahrt nach Rosenberg kam dem jungen Manne trotz seiner Ungeduld nicht allzulang vor; denn er wiegte sich in goldenen Zukunftsträumen. Als Gutsherr von Buchdorf durfte er ohne jedes Bedenken vor die schöne Wittwe hintreten und ihre Hand erbitten. Er wußte freilich, daß er bei ihr ein altes Vorurtheil überwinden müsse, das sich an den Namen Werdenfels knüpfte, aber das war kein ernstliches Hinderniß in seinen Augen. So zurückhaltend die junge Frau ihm gegenüber auch gewesen war, ihr Blick, der so oft und so lange auf seinen Zügen weilte, sagte ihm doch, daß sie ein tieferes Interesse für ihn hegte. Paul ahnte ja nicht, daß dieser Blick in seinem Antlitz nur die Züge eines Anderen gesucht hatte, die den seinigen so sehr glichen.

In Rosenberg war inzwischen alles seinen gewohnten Gang gegangen. Frau von Hertenstein lebte nach wie vor in vollständiger Zurückgezogenheit zur großen Enttäuschung der Nachbarschaft, welche gehofft hatte, nach vollendetem Trauerjahr die schöne Wittwe wieder in ihren Cirkeln zu sehen. Da außer dem Justizrath Freising und dem Pfarrer Vilmut Niemand ihre näheren Verhältnisse kannte, so hielt man sie für reich und erwartete, sie werde früher oder später das glänzende Leben wieder aufnehmen, das sie an der Seite ihres Gatten geführt hatte. Einstweilen hatte Anna in der tiefen Trauer, die sie noch immer trug, einen hinreichenden Vorwand, alle Einladungen abzulehnen, was denn auch unbedingt geschah.

An demselben Vormittage, wo Paul Werdenfels sich auf dem Wege nach Rosenberg befand, fuhr auch der Justizrath dort vor. Er traf nur Fräulein Hofer in dem kleinen Salon an und war genöthigt, einstweilen mit ihrer Gesellschaft vorlieb zu nehmen. Die Beiden waren keine besonderen Freunde und standen gewöhnlich auf dem Kriegsfuße mit einander; das Fräulein nannte den rechtsgelehrten Herrn bisweilen einen trocknen Actenmenschen, dem jede Poesie abging, und er spottete bei jeder Gelegenheit über ihren Aberglauben. Fräulein Hofer war in der That ein echtes Kind ihrer Heimath, das trotz aller Erziehung und Aufklärung noch fest an den Sagen derselben hing. Sie machte auch kein Geheimniß daraus, und das gab Gelegenheit zu fortwährenden Plänkeleien zwischen ihr und dem Justizrath. Heute aber erschien der Letztere in einem besonders feierlichen Aufzuge; er war im Fracke, trug sehr enge Glacéhandschuhe und hatte ein sehr prachtvolles Bouquet in der Hand.

„O, die schönen Rosen!“ sagte Fräulein Hofer bewundernd. „Das ist ja eine Seltenheit in dieser Jahreszeit.“

„Frau von Hertenstein liebt die Rosen sehr,“ versetzte der Justizrath, indem er das Bouquet vorsichtig auf den Tisch legte, „ich hoffe ihr eine Freude damit zu machen.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Sträußchen gefällig?

Streift’ ein Sonnenstrahl, ein kecker,
Der in grüner Freiheit spielte,
Schelmisch eine alte, dunkle,
Lange, steife, würdevolle,
Weihrauchsatte Kirchensäule,
Und verdrießlich ward sie drob.

In dem Café nazionale
Saß er, saß der glaubensfeste
Hirt der Heerde von Mentana
Ungeschlacht mit breiten Beinen
Unter Kindern dieser Welt.
Von der Noth der Zeit durchdrungen,
Schlürft er stumm den caffè nero,[1]
Dann und wann ein schwarzer Schluck.
Sieh, da schlüpft es in die Kühle;
Schlank und leichtbeweglich biegsam,
Wie Lacerten um die Sitze
Windet sich die Fioraja,[2]
Unter jede Nase haltend,
Dick und dünne, schief’ und grade,
Ein verführend duftig Sträußchen,
Schäkernd, schnippisch – nun, man kennt sie.

Plötzlich stutzt sie; um die Lippen
Zuckt es lustig, und sie schleicht sich
In den Rücken des ehrwürd’gen
Braven Hirten von Mentana,
Und schon rühren seine Wangen
Blumenhauch und Mädchenathem:
„Kauft mir’s ab, Signor curato!“[3]
Zornig schielt er auf das Mädchen,
Und er hebt den endlos langen
Arm, als gält es, sich den Bösen
Kräftiglich vom Ohr zu scheuchen:
„Eh, diamine, va via!“[4]
Kichernd schlüpft die Kleine fort.

Streift’ ein Sonnenstrahl, ein kecker,
Der in grüner Freiheit spielte,
Schelmisch eine alte, dunkle,
Lange, steife, würdevolle,
Weihrauchsatte Kirchensäule,
Und verdrießlich ward sie drob.

 Victor Blüthgen.



[157]

Ein Sträußchen gefällig?
Nach dem Gemälde von W. Wider.

[158]

Ein Trinkspruch des Marschall Vorwärts.

Von Dr. Karl Braun-Wiesbaden.

Friedrich Gentz, ein Schriftsteller und Politiker von großer Kenntniß und noch größerer Begabung, hat bis zum Jahre 1815 in den Kriegen wider die französische Fremdherrschaft Großes und Verdienstliches geleistet, dann aber, der Genußsucht, Geldgier und politischen Gleichgültigkeit verfallen, seinen Geist und seine Feder dem österreichischen Reichskanzler Fürsten Metternich zur Verfügung gestellt, der Beides verwandte, um Europa zum Stillstand zu zwingen und in Deutschland den Culturfortschritt und den von diesem getragenen nationalen Gedanken zu bekämpfen. So wenig uns die Person des Gentz während der letzten Periode seines Lebens und Wirkens sympathisch sein kann, so lehrreich sind uns auch heute noch seine Schriften – nicht nur seine eigentlichen Bücher und Denkschriften, sondern auch seine übrige literarische Hinterlassenschaft, welche erst nach seinem Tode publicirt ward.

Ich will heute nur von seinen Tagebüchern reden, welche zum Theil von Varnhagen selbst, zum Theil von dessen nunmehr auch verstorbener Nichte Ludmilla Assing aus Varnhagen’s Nachlaß herausgegeben worden sind (siehe „Tagebücher von Friedrich von Gentz. Aus dem Nachlasse Varnhagen’s von Ense“. Vier starke Bände. Leipzig, 1872 bis 1874).

Dieses Tagebuch hat Gentz nur für sich selber geschrieben. Es ist daher frei von allen jenen Fehlern, woran die meisten Selbstbiographien leiden, die oft nur Denkmale der Eitelkeit ihrer Verfasser sind.· Als Beispiel einer solchen, ich möchte fast sagen: „als abschreckendes Exempel“ nenne ich die Erinnerungen des Berliner Komikers und Geheimen Hofrathes Louis Schneider.

Friedrich Gentz hat keine Ursache, sich selbst Etwas vorzumachen. Er schreibt mit der rücksichtslosesten cynischen Offenherzigkeit, auch z. B. über Geld- und Liebesaffairen. Was die ersteren anlangt, so figuriren auch darunter jene großen Summen, welche er von auswärtigen Potentaten bezog. Er nennt sie „Geschenke“. Wir würden sie, da er Staatsbeamter war, „Bestechungen“ nennen. Aber alle jene Summen vermochten die Finanzen des Herrn Gentz nicht aufzubessern. Er war wie ein Sieb mit tausend Löchern, das Alles wieder gleich durchließ, wie er selber sich denn auch in seinen Tagebüchern, die zum Theil in französischer Sprache abgefaßt sind – nicht ganz mit Unrecht; denn gewisse Dinge lassen sich auf Deutsch nicht so gut sagen – „un panier percé“ nennt, das ist ein durchlöcherter Korb, in welchem kein Geld hält.

Ich will jedoch dieses Thema nicht weiter ausspinnen, sondern von Gentz’ Aufenthalt in Karlsbad im Jahre 1818 berichten und daran eine Anekdote vom alten Marschall Vorwärts knüpfen, welche nur Wenigen bekannt ist.

Im Juli und August 1818 war dieses böhmische Bad wieder der Sammelplatz ausgezeichneter oder vornehmer Personen aus den verschiedensten Ländern Europas. Da waren Deutsche, Oesterreicher, Ungarn, Franzosen, Engländer, Italiener etc. Da waren Dichter, Schriftsteller, Magnaten, Grandseigneurs, Lordschaften, Feldherren, Staatsmänner, Diplomaten, Publicisten etc. Goethe, Fürst Lobkowitz, Graf Kolowrat, Fürst Blücher, Fürst Schwarzenberg, Fouché, die Herzogin von Sagan, Louis Rohan, Fürst Metternich, Adam Müller, Frau Catalani mögen beispielsweise genannt sein. Gentz, der auch da war, kennt sie Alle, „dejeunirt“, „dinirt“ und „soupirt“ bei Allen und berichtet über Alle. Von Fouché z. B. sagt er in seiner frivolen Weise:

„Bei Fouché, dem ‚Duc d’Otranto‘, mache ich um ein Uhr unter dem Namen eines Dejeuner à la fourchette ein köstliches Diner und sehe die sehr liebenswürdige Duchesse und schöne Tochter aus erster Ehe. Gefiel mir ‚bei den Königsmördern‘ sehr wohl.“

Lord Stewart führt den Gentz bei dem Fürsten Blücher ein, und als der Letztere dem Fürsten Schwarzenberg zu Ehren ein Diner giebt, befindet sich auch Gentz unter den Geladenen, die im Uebrigen dem Stande der Militärs und der Diplomaten angehören. Bei diesem Diner wurde „nichts als Deutsch“ gesprochen. Gentz hält es für nöthig, dies als etwas sehr Seltenes, oder, wie er sagt, als etwas „Merkwürdiges“ hervorzuheben und zu bezeichnen.

„Merkwürdiges Diner!“ schreibt er wörtlich, „es wird nichts als Deutsch gesprochen!“

Wenn bei einem Diner, welches der (damals ebenfalls in Karlsbad anwesende) Lord Stewart giebt, „nichts als Englisch“ gesprochen wird, so findet Ehren-Gentz das ganz natürlich. Wenn aber bei einem Diner, das der größte deutsche Feldherr an einem Orte, wo die deutsche Sprache herrscht, einer Anzahl von Gästen giebt, deren Muttersprache deutsch ist, nur deutsch gesprochen wird, so findet das Gentz „merkwürdig“, um nicht zu sagen „bedenklich“.

Jetzt stehen wir Deutschen auf einem anderen Standpunkte. Im Auslande sprechen wir die Sprache des Auslandes. In unserem eigenen Hause sprechen wir unsere eigene Sprache. Wir sind nicht mehr genöthigt, und noch viel weniger stolz darauf, die Kleider anderer Leute zu tragen.

Der Fürst Bismarck, der sich hierdurch und noch durch manche andere Dinge von dem Fürsten Metternich zu seinem Vortheil unterscheidet, hat die deutsche Sprache auch in dem diplomatischen schriftlichen Verkehr eingebürgert, und wenn er mit einem Ausländer dessen Sprache spricht,[5] so versteht er in den Fällen, wo es noth thut, dem Ausländer auch bemerklich zu machen, dies geschehe nur aus besonderer Gnade. Dafür ein Beispiel:

Als Fürst Bismarck 1871 in Versailles mit dem klugen alten französischen Diplomaten Adolphe Thiers unterhandelte, bedienten sie sich Beide der französischen Sprache; denn Thiers verstand kein Deutsch, wie die Mehrzahl der französischen Diplomaten. Eines Tages fiel es Thiers ein, den Reichskanzler mit einer wahren Sündfluth französischer Phrasen zu überschütten. Darauf antwortet Bismarck wiederholt deutsch. Thiers stutzt und versteht nicht. Er fragt ganz bestürzt (natürlich französisch):

„Aber was ist Das? Jch verstehe Das nicht – diese Sprache! Warum sprechen Sie denn nicht Französisch?“

„Weil ich dazu nicht verpflichtet bin. Ich habe es bisher nur aus Gefälligkeit gesprochen.“

„Aber warum fahren Sie nicht fort Französisch zu sprechen?“

„Weil Sie die Verhandlung von dem Gebiete der Thatsachen auf das Gebiet der Phrase hinüber gespielt haben. Auf diesem Gebiete bin ich Ihnen nicht gewachsen, wenn wir Französisch sprechen. Deshalb spreche ich von nun an Deutsch.“

Thiers sah sein Unrecht ein. Er enthielt sich von nun an aller Phrasen. Bismarck sprach wieder Französisch, und die Verhandlungen nahmen einen gedeihlichen Fortgang.

Das nur im Vorbeigehen.

Kehren wir zurück zu dem Festmahl, das Fürst Blücher im Sommer 1818 in Karlsbad gab! Der unzweifelhaft vornehmste seiner Gäste war also der österreichische Fürst Schwarzenberg. Er hatte bekanntlich während der Schlacht bei Leipzig, welche Blücher durch sein energisches Vorgehen zu Gunsten der Verbündeten entschied, das formelle Obercommando. Schwarzenberg hatte sich aller höchsten Titel, Orden, Ehren und Würden zu erfreuen, mit alleiniger Ausnahme des Titels „Marschall Vorwärts“. Diesen Titel hatte das „Volk in Waffen“ nur dem alten Blücher verliehen, aber nicht dem Fürsten Schwarzenberg. Vielleicht hatte es sowohl zur Verleihung, wie auch zur Versagung seine besonderen Gründe. Aber wir müssen uns bescheiden, dieselben nicht zu kennen; denn das Volk unterscheidet sich dadurch von den Gerichten, daß es seinen Urtheilen keine Entscheidungsgründe beigiebt. Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß deshalb seine Urtheile schlechter wären, als die der Gerichte.

Genug, bei diesem Festmahl, welches Fürst Blücher dem Fürsten Schwarzenberg und anderen mehr oder weniger ausgezeichneten Männern gab, ereignete sich Etwas, worüber Gentz schweigt, das uns aber von anderer Seite verbürgt ist, namentlich von dem preußischen General Ludwig Freiherrn von Wolzogen.

Bei Tafel herrschte von Anfang an eine gewisse Spannung. Man schien Etwas zu erwarten. Namentlich steckten die Diplomaten die Köpfe zusammen. Sie flüsterten unter einander. Das schickte sich eigentlich nicht an der Tafel eines Mannes, wie des Marschall Vorwärts. Aber dennoch, wenn man die Nachricht, [159] welche sie einander mittheilten, hätte verstehen können, würde man ihnen das Geflüster nicht allzusehr übel genommen haben.

Sie flüsterten nämlich einander ganz leise, heimlich verstohlener Weise in die Ohren, der Marschall Vorwärts werde die Tafelrunde mit einem Toast überraschen, und zwar mit einem Toast auf den Fürsten Schwarzenberg – und – das war noch das Interessanteste von Allem – sogar mit einem Toaste auf den Fürsten als Feldherrn. Das versetzte Alle in Spannung; denn der Marschall Vorwärts war zwar bekannt als glühender Patriot und als schneidiger Feldherr, als Mann von enormem Scharf- und Schnellblick und von unwiderstehlicher Thatkraft – Eigenschaften, die er bis in das höchste Alter hinein bethätigte, wo es Noth that, aber es war durchaus nicht seine Liebhaberei, dieselben in bloßen Worten kundzugeben. „Blücher als Redner“ – das gab’s nicht. Wenigstens wußte davon Keiner seiner Gäste. Sie wußten wohl, daß er es verstand, seine Armee mit kurzen kräftigen Worten zu packen und zusammen zu halten. Daneben wußten sie auch, daß er seinen Gedanken brieflichen und schriftlichen Ausdruck zu geben verstand, aber dieser Ausdruck war etwas eigenthümlich: Scharf, kurz, pikant, oft geradezu epigrammatisch, immer den Nagel auf den Kopf treffend, mit einem Worte oder mit ein paar Worten ein Ding oder einen Menschen genau charakterisirend. Aber zugegeben mußte andererseits wieder werden, daß seine schriftlichen Auslassungen aller und jeder Grammatik spotteten; daß sie nicht nur der Puttkamer’schen, sondern auch jeder andern Orthographie offenen Hohn entgegensetzten, und daß sie nur eine einzige Regel gelten ließen, nämlich die: „Schreibe wie Du sprichst!“

Um eine Probe zu geben, so schloß ein Brief, den Blücher kurz vor der Leipziger Schlacht schrieb, in dem er die Aussichten als günstig darstellte und den Eifer seiner Untergebenen lobte, mit der eigenthümlichen Wendung:

„Ob ich aber det misrabelig Faultir von enen franzeeschen Zigeiner rankriegen werde auf das Champ de Batalg – det weß ich nicht.“

Er meinte damit Bernadotte, den schwedischen Kronprinzen, mit dessen achselträgerischem Benehmen, Zögern und Ausweichen Blücher sehr unzufrieden war, und nicht Blücher allein.

Ueberhaupt pflegte der Marschall Vorwärts aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen und die Dinge bei dem Namen zu nennen, den er für den richtigen hielt, selbst auf die Gefahr hin, daß seine Ausdrücke nicht immer die feinsten und ausgewähltesten waren. Man pflegte das den „Blücher’schen Salonton“ zu nennen.

Auch über den Fürsten Schwarzenberg hatte Blücher oft ohne alle Umschweife und mit echt militärischem Freimuthe seine Meinung ausgesprochen, namentlich auch über die Fehler, die er bei Leipzig gemacht, wo er den größeren Theil der österreichischen Armee in das sumpfige Dreieck zwischen der Elster und der Pleiße postirt harte, von wo aus gar nichts zu machen war, und wo er Napoleon dem Ersten nach Lindenau zu ein Loch offen gelassen, durch das er denn auch richtig entwischt ist. Sonst wäre es da dem „Ersten“ ergangen, wie dem „Dritten“ bei Sedan.

Schwarzenberg war ein tüchtiger Mann, aber kein Feldherr. Es fehlten ihm die Eigenschaften Blücher’s. Er mußte sich zu sehr auf Andere verlassen und hatte keine glückliche Hand in der Auswahl seiner Vertrauensmänner. Auf der andern Seite muß man zu seiner Vertheidigung sagen: Seine Lage war außerordentlich schwierig. Er commandirte nicht ein einheitliches Heer, sondern einen aus einer Coalition zusammengesetzten kolossalen, aber gleichsam unorganischen Truppenkörper, der in Folge dieser seiner Schwäche sehr oft in Gefahr war, wieder in seine einzelnen Bestandtheile aus einander zu fallen. Hier aber, bei Leipzig, kam Alles auf richtiges Zusammentreffen und correctes Ineinandergreifen an. „Getrennt marschiren, vereint schlagen!“ Das war leicht gesagt, aber hier recht schwer auszuführen.

Zudem waren die Monarchen, aus deren Truppen die Armee zusammengesetzt, alle drei persönlich zugegen. Unzweifelhaft hatte Jeder von ihnen ein Recht auf das Ohr des obersten Commandanten, dem sie ihre Truppen anvertraut hatten.

Die drei Souveraine waren aber nur bis zu einem gewissen Punkte unter einander einig, in allen übrigen Dingen gingen sie weit aus einander. Rußland hatte bis jetzt nichts Großes geleistet; seine Armee hatte im Jahre 1812 beinahe ebenso sehr gelitten, wie die der Franzosen. Dagegen machte Kaiser Alexander Ansprüche auf ganz Polen und gedachte als der Agamemnon unter den verbündeten Herren zu glänzen.

Preußen wollte gründlich aufräumen in Deutschland und unter allen Umständen Napoleon stürzen. Daß dies allein helfen könne, darüber waren der überlegene, klare und höhere Blick eines Gneisenau und der glühende Haß, der richtige Instinct eines Blücher vollkommen einig. Auch Friedrich Wilhelm der Dritte wollte sein Land vollständig entschädigt wissen für die erduldeten entsetzlichen Leiden und unzweifelhaft sicher gestellt gegen die Wiederkehr derselben. Die Rheinbundstruppen hatten übel gehaust in seinen Landen, und vielleicht war es deshalb, daß er die Rheinbundsfürsten nicht allzu sehr liebte. Auch hatte sich Preußen, damals noch ein armes Land von nur fünftehalb Millionen Seelen, angestrengt, daß es solches spürte bis in das innerste Mark seiner Knochen; das wollte es nicht umsonst gethan haben.

Kaiser Franz und Metternich waren ganz anderer Meinung. Sie wollten die eigene Macht stärken und, so weit es zu diesem Zwecke nöthig war, die Macht Napoleons schmälern, aber bei Leibe nicht vernichten. Sie hätten ihm gern irgend einen Ausweg offen gelassen, sei es über Magdeburg oder über Erfurt. Sie wollten sich ihn zu Rathe halten, damit nicht die Preußen oder die Russen zu sehr in die Höhe wüchsen. Vor Allem aber fürchteten sie sich vor einem Nationalkrieg, wie ihn Preußen auffaßte. Sie wollten nur einen Cabinetskrieg. Der alte verderbliche Spruch: „Lieber zwei Provinzen verlieren, als an den deutschen Volksgeist appelliren“, galt hier noch immer. Man schwärmte für mittelalterliche Romantik oder für das, was man sich fälschlicher Weise darunter vorstellte. Man liebte die Rheinbundsstaaten, weil man sie unter habsburgischer Aegide gegen Preußen zu vereinigen dachte. Eine gleiche Stellung glaubte man in der italienischen Viel- und Kleinstaaterei einnehmen zu können. Man wollte die alte „Standesherrlichkeit“ wieder aufbauen, und haßte Preußen, obgleich es absolutistisch und weil es aufgeklärt und modern war.

So gingen in den Leipziger Tagen die Ansichten in den obersten Spitzen aus einander, und auch Jeder der Souveraine hatte wieder eine ganze Schaar von Vertrauensmännern und Rathgebern um sich, welche ebenfalls nicht einig unter einander waren. So war denn da eine Menge die Action lähmender, einander kreuzender und bekämpfender Einflüsse gewesen, unter welchen Niemand mehr gelitten, als der alte Marschall Vorwärts, der ohnedies stets einen bösen Zahn hatte auf die „Federfuchser“.

Es genügt, auf das Alles hinzudeuten, um es Sachkundigen begreiflich zu machen, wie man an der Tafelrunde in Karlsbad sehr neugierig war: erstens überhaupt eine Toastrede aus dem Munde des Marschall Vorwärts zu vernehmen – zweitens eine solche auf Schwarzenberg – und drittens eine auf Schwarzenberg als Feldherrn.

So saß man denn da in namenloser Spannung.

Nach dem Braten aber erhob sich der Fürst Blücher, und es gab eine feierliche, lange und bange Stille. Es war, als wenn ein Engel durch die Luft flöge.

„Meine Herren!“ sagte der Marschall Vorwärts, „trinken wir auf das Wohl eines Feldherrn, den wir die Ehre haben, in unserer Mitte zu sehen – eines Feldherrn, der drei Monarchen in seinem Hauptguartier hatte und dennoch den Feind schlug!“ –

Da war es denn kein Wunder, wenn Fritz Gentz der Meinung war, das sei ein „merkwürdiges“ Diner gewesen und es sei bei demselben „nichts als Deutsch“ gesprochen worden – – –

Ich habe keine verbürgten Nachrichten darüber, aber ich bin fest überzeugt, daß damals, 1818, in der Zeit der Denuncianten und „Demagogenfänger“, auch dem Fürsten Blücher sein Trinkspruch übel genommen wurde, und wenn er nicht der „Marschall Vorwärts“ gewesen wäre, dann hätte es ihm blühen können, von den „Kamptz- und Schmalzgesellen“ eingesteckt zu werden.

Wenn er aber einer nachträglichen Rechtfertigung bedurft hätte, so würde er sie in den Jahren 1870 und 1871 gefunden haben, wo an der Spitze der deutschen Armee, welche Napoleon den Dritten niederwarf, ein einheitlicher Wille stand. Statt der drei Adler von 1813, wovon verschiedene mehrere Köpfe besaßen, war es 1818 nur einer, und dieser eine Adler hatte nur einen [160] Kopf, und zwar einen sehr treuen und guten, und deshalb gelang das schwierige Werk 1870 schneller und besser, als 1813 und 1814.

Es wäre eine sehr dankenswerthe Aufgabe für einen Fachmann, eine Parallele zu ziehen zwischen 1813/14 und 1870/71, zwischen dem Kampf gegen Napoleon den Ersten und dem wider Napoleon den Dritten, eine Parallele zwischen dem, was wir mit den „hohen Verbündeten“, und dem, was wir Deutsche allein ausgeführt haben. Ich sage: ein solches Buch müßte geschrieben werden von einem militärischen Fachmann, aber doch für alle Nicht-Fachleute verständlich; denn an dem Ruhme unserer Waffen haben alle Deutsche den nämlichen Antheil.




Allegorien und Embleme.

Allegorien! Eine ganze Welt traumhafter Gestalten und Bilder steigt vor uns auf, wenn dieses Zauberwort an unser Ohr schlägt. Eine lange, schier endlose Reihe von Gruppen und Einzelerscheinungen, in welchen zarte, hehre Frauen mit grimmigen Fabelthieren, holdes, rührendes Kinderlächeln mit grausigen Darstellungen des Sensenmannes in bunter Folge abwechseln, zieht an unserem geistigen Auge vorüber, und hinter ihr taucht die Erinnerung an die köstliche Schulzeit auf, da vor der begeistert aufhorchenden Jugend zum ersten Male das geheimnißvolle Wort von der Kunst der Alten, der ernsten, strengen und doch ewig schönen Antike, ausgesprochen wurde.

Die Allegorie, diese bedeutungsvolle Form in der bildenden Kunst, ist heute nicht mehr so viel, ja überwiegend gebraucht wie in vergangenen und halbvergangenen Zeiten; Goethe’s:

„Bilde, Künstler! Rede nicht!
Nur ein Hauch sei dein Gedicht!“

wird von unseren Künstlern fast zu weitgehend und jedenfalls etwas zu einseitig befolgt; denn in gewissem Sinne ist und bleibt die Geschichte der Allegorie die Geschichte der Kunst selbst, zum Mindesten der Malerei und Bildhauerei.

Afrika.
Aus dem Prachtwerke „Allegorien und Embleme,
herausgegeben von Martin Gerlach“.

Allegorie bedeutet bekanntlich die sinnbildliche Darstellung eines Gegenstandes durch einen andern ihm gleichenden, wobei Gegenstand und Bild einander zwar decken müssen, aber nicht verdecken dürfen, sodaß beide zu gleichzeitiger und ungeschmälerter Geltung gelangen. Die dritte der sogenannten „bildenden“ Künste, die Baukunst, vermag eine solche Doppelbedeutung nicht zum Ausdrucke zu bringen; ihr bleibt also die Allegorie unerreichbar, welcher Malerei und Plastik dagegen niemals völlig entrathen können. Von den Uranfängen dieser Schwesterkünste, welche auf das Bedürfniß nach sichtbaren Bildern für Götterbegriffe zurückzuführen sind, also von den primitiven ersten Götterdarstellungen, den unbearbeiteten Klötzen und viereckigen Steinen der Araber und Amazonen, den Riesenwerken der ägyptischen Sculptur, wie von der ältesten Venus zu Paphos bis auf die modernsten Versuche einer Versinnbildlichung des Magnetismus und der Elektricität, hat die Allegorie treulich die Kunst begleitet, anfänglich als ihre Herrin, später als ihre Dienerin.

Giebt uns somit die Kunst, als letzte und höchste Blüthe menschlicher Cultur, in ihrer wechselvollen Entwickelung ein fortlaufendes Bild der sich bald erweiternden, bald auch wieder verengenden Begriffs- und Phantasiewelt der Menschen, so gilt dies nicht minder von der Allegorie, insoweit sich dieselbe nicht gewisser feststehender, in allen Zeiten beibehaltener Symbole bedient, wie etwa der Darstellung des Lammes als Bild der Sanftmuth, oder des Löwen als Bild der Kraft und Macht. Diese Symbole werden, den allegorischen Göttergestalten beigegeben, zu Attributen derselben, und aus ihnen entwickelten sich später, auf rein menschliche Beziehungen, insbesondere auf die verschiedenartige sociale Thätigkeit der Menschen angewendet, die Embleme.

Eine Vergleichung der uns bekannten und geläufigen allegorischen Darstellungen der Alten, sowie jener der späteren Kunstepochen mit den Allegorien, zu welchen unsere modernen Künstler greifen, insbesondere wo es sich um die Darstellung neuer Begriffe handelt, welche den Alten wie auch unseren unmittelbaren Vorfahren noch unbekannt waren, giebt eine ebenso interessante wie lehrreiche Anregung, dem Fachmanne zu weiterer Schlußfolgerung, jedem Gebildeten aber zu nachdenklicher Betrachtung. Eine solche Vergleichung wird nun in dankenswerther Weise ermöglicht durch ein ebenso originelles wie instructives Werk: „Allegorien und Embleme, herausgegeben von Martin Gerlach“,[6] welches zwar vornehmlich die mittelbare und unmittelbare Belehrung des Kunstgewerbes in’s Auge gefaßt hat, doch aber vermöge seiner künstlerischen Anordnung und erschöpfenden Reichhaltigkeit auch im vorgedachten Sinne von besonderer Bedeutung ist. Der bekannte, ausgezeichnete Kunstgelehrte, Herr Dr. Albert Ilg, Custos und provisorischer Director an den kunsthistorischen Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses in Wien, welcher den erläuternden Text zu dieser interessanten Publication verfaßt hat, bringt den angedeuteten Doppelzweck derselben in einer knappen, aber übersichtlichen Vorrede klar zum Ausdrucke.

Es werden hier die wichtigsten allegorischen Begriffe, welche seit Jahrhunderten die Künste beschäftigt haben, von den verschiedensten Künstlern frei nach ihrer ureigensten Auffassung dargestellt. Einen künstlerischen Decamerone nennt Dr. Ilg diese bunte Reihe, und hat damit wirklich die zutreffende Bezeichnung gefunden. Kunstrichtungen und Stilarten fast aller Epochen tauchen vor uns auf, wenn wir die vorliegenden einundvierzig Tafeln überblicken. Hier macht sich der noch lebhafte Einfluß der strengen Schulzeichnung nach der ernsten Antike geltend; dort glüht und leuchtet das farbensprühende Quattrocento; hier grüßt die nun zu hohen Ehren gekommene deutsche Renaissance; dort lächelt würdevoll und vornehm das Aschenpüttel der modernen Kunststile, einst eine vielgefeierte Schöne: die Baroke, und last not least macht auch das jüngste Kind unserer Kunstlaune, der moderne [161] „gesunde Realismus“ der Münchener Schule, seine Rechte geltend – eine Fülle von Sprachen, aber doch kein Babel; denn die leitende Hand des Ordners fehlt nicht. Von allgemeinen Begriffen, wie Zeit, Ewigkeit, Dauer und Vergänglichkeit ausgehend, führen uns die allegorischen Darstellungen durch das ganze Menschenleben, wie es sich in Jugend und Alter, in Eheglück und Wittwenstand, in Leben und Tod ausdrückt, durch die Jahreszeiten, Monate, Tage und Tagesstunden bis zu Licht und Finsterniß, zu den Elementen und den vom Menschen dienstbar gemachten Naturkräften, wie Elektricität und Magnetismus.

Sodann beginnt auf den weiteren 48 Tafeln desselben Bandes, welche insbesondere dem Kunstgewerbe eine hochwillkommene Gabe sein dürften, eine Reihe von gewerblichen Emblemen und Zunftwappen, theils wie sie alte Denkmäler, namentlich Grabstätten, aus der großen Blüthezeit des deutschen Zunftwesens, enthalten, theils neue Entwürfe, theils auch beide in künstlerisch empfundener Vereinigung. Die wenigen Proben aus dem Gerlach’schen Werke, welche wir vorführen, sind beiden obenerwähnten Theilen des bisher veröffentlichten ersten Bandes entnommen und sollen eben nur andeuten, was in denselben angestrebt wird.

Das Wappen der Flößer.
Aus dem Prachtwerke „Allegorien und Embleme, herausgegeben von Martin Gerlach“.

F. Simm in München entwirft in unseren Abbildungen zwei allegorische Darstellungen der Welttheile Afrika und Australien, während das Zunftwappen der Flößer (1882) ein moderner, aber höchst charakteristisch gehaltener Entwurf des begabten A. Seder ist. So ist in dieser Publication ein wahrer Schatz gehoben, ein stolzes Capitel deutscher Geschichte in deutlich sprechenden Bildern entrollt, wofür dem Herausgeber, welcher sich bereits durch die Publication des bekannten Werkes: „Das Gewerbe-Monogramm“ ein Verdienst um die Reformbestrebungen unseres Kunstgewerbes erworben hat, die Anerkennung nicht versagt werden darf.

Die nimmerfrohen Zweifler aber, die immerzu jammern und klagen, daß die Kunst rettungslos dahinsieche in unserer nüchternen Zeit des Dampfes und der Elektricität, wird ein Blick auf dieses Werk überzeugen, daß es mit dem Absterben noch seine guten Wege habe. Unsere Künstler sind eifrig bestrebt, die Brücke zu bauen, welche das Fabelreich des Schönen mit unserem modernen Leben, unseren Hoffnungen und Wünschen verbinden soll. Vielleicht ist die Allegorie ein erster Pfeiler zu dieser Brücke.

Karl Weiß.     




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.[7]

Von C. Michael.
Nr. 19. Ein Gruß.

Ein Gruß ist ein gar eigen Ding – so wenig ist er, und doch oft so viel! Er ist ein kleines Wort, eine flüchtige Geberde, ein Hauch, ein Blick, oft nur der Ton eines längst verklungenen Liedes, der Duft einer Blume, ein vergilbtes Blatt mit halb verlöschten Schriftzügen. Solche stumme Grüße erschüttern uns in tiefster Seele, wenn sie plötzlich hinein klingen in das Alltagsleben.

[162] Aber auch Grüße giebt es, die sich weich und heilend um das Herz legen und das Leid von Jahren auslöschen – oft ist es ja nur ein Wort, ein einziges Wort.

„Ein kleines Wörtchen,
Wie schwer man’s spricht!
Sie kann’s nicht finden;
Er sagt es nicht.

5
Sie sitzt und weinet,

Und er geht fort;
Sie litten ein Leben
Nur um ein Wort!“

Vielleicht wär’s gar nicht einmal nöthig gewesen, es zu sprechen, das schwere: „Vergieb!“; ein Blick, ein Händedruck hätte auch genügt, aber – – –

Da seht ihr, was ein Gruß vermag. „Sie litten ein Leben“, weil sie ihn versäumten, die beiden armen Verblendeten. O, es ist etwas gar Schönes und Wunderbares um das Grüßen!

Sehen wir es uns nun aber zuerst in seiner alltäglichen Form an! Vergeht doch kein Tag, an dem nicht Jedes von uns – Robinson auf seiner Insel etwa ausgenommen – Worte des Grußes zu sprechen hätte. Aber so verschieden wie wir Menschen geschaffen sind, so verschieden ist auch unser Grüßen; kaum Einer grüßt genau wie der Andere.

Gebt nur Acht, wo etwa in größerer Versammlung neue Ankömmlinge begrüßt werden! Hastig reißt da der Eine den Hut vom Kopf; der Andere lüftet ihn nur kaum merklich. Händeschüttelnd begrüßt man sich hier, und da drüben thut’s eine steife Verbeugung. Wollt ihr aber hinhorchen – die begleitenden Worte sind nicht weniger verschieden.

Und geht es nicht gerade ebenso mit dem Schreiben?

Gleichgültig, fast mechanisch setzen tausend Menschen das gewohnte „Besten Gruß!“ unter tausend Briefe, ein Anderer aber überlegt schon stundenlang die wichtigen Fragen: Ob ich „sie“ denn wohl grüßen lasse? Ob ich es wage? Und in welchen Ausdrücken thu ich es?

O, wage es nur immerhin, du schüchterner, bescheidener Jüngling! Ein Gruß kann unter Umständen unsäglich beglücken! – „Er grüßt mich! – Er denkt also mein – immer noch!“ – Wie oft schon sind solche Worte heimlich herausgequollen aus vereinsamten Herzen, und in manches Dasein haben sie das entflohene Sonnenlicht zurückgezaubert.

Dem Gruß eng verbunden ist der Kuß, und besonders wir Frauen sind oft nicht im Stande, den einen vom anderen zu trennen. Freilich – warum reimen sie auch so hübsch auf einander? Sie müssen doch wohl zusammen gehören!

Gewiß gehören sie zusammen, aber nur in Augenblicken überwallender Zärtlichkeit. Wer je ein geliebtes Wesen nach längerer Trennung oder nach überstandenen Gefahren wieder gesehen hat, der weiß, was es heißt, wenn uns die theuren Arme fest umschließen mit Gruß und Kuß! Aber jenes mechanische Küssen rechts und links, bei jeder Veranlassung, jenes theatralische Küssen, möchte ich sagen, bei dem sich die Lippen oft kaum berühren, nicht viel besser dünkt es mich als das stereotype „Küß d’ Hand“ der Wiener Bevölkerung. Nur muß man bei solchem Freundschaftskuß auch noch still halten und kann das Gesicht nicht ablehnend wegziehen wie die Hand. Man muß das Küssen geduldig über sich ergehen lassen, ein Dutzend Mal vielleicht, wenn man „Thee-Abend“ oder gar „Geburtstag“ hat.

Da muß ich schon gestehen, ein herzhafter Händedruck ist mir lieber. Dabei kann man sich so hübsch in die Augen sehen und die Freude oder den Schmerz des Grußes darin lesen. Ist aber unsere Begegnung gleichgültig oder frostig gewesen, dann bringt noch beim Scheiden die dargereichte Hand einen Anflug von Wärme in die Situation.

Die Temperatur-Scala des Gruß-Thermometers ist überhaupt eine überaus feine; ein einziger Grad herunter – und aus schönen Augen werden Thränen erpreßt! Oder gar ein „kalter“ Gruß von Seiner Excellenz dem Minister, von dem Herrn Rector, von der „Gnädigen“, welch ein Schrecken! Auch ein vergessener oder überhörter Gruß kann viel Unheil anrichten, nicht nur beim Militär, wo er geradezu ein Verbrechen ist.

Schwierig ist ferner oft die Frage, wer von zwei sich Begegnenden zuerst zu grüßen hat, und in der Art, wie sie gelöst wird, documentirt sich Herablassung oder Dünkel, Entgegenkommen oder Ablehnen, Grobheit oder Höflichkeit.

Man erzählt sich, daß der Bürgermeister von X. kürzlich folgendes vertrauliche Schreiben an den dortigen Amtmann richtete:

„Verehrtester! Wollen Sie wohl gütigst dahin wirken, daß Ihre Frau Gemahlin die meinige bei eventuellen Begegnungen zuerst grüßt, um unliebsame Auseinandersetzungen zu vermeiden, von welchen ich in meiner Häuslichkeit viel zu leiden habe. Ihr …“

Die Antwort lautete:

„Hochgeschätzter! Leider bin ich nicht in der Lage, Ihrem Wunsche zu entsprechen, da ich nicht weniger unter dem Pantoffel stehe als Sie!“

Gar interessante Studien über das Grüßen kann man auf Bahnhöfen machen, wenn man etwa dazu verurtheilt ist, mehrere Züge kommen und gehen zu sehen, ehe der „rechte“ eintrifft.

Hören wir ein wenig zu: „Leb wohl!“, „Gott mit Dir!“, „Reise glücklich!“ Hier küssen sich ein paar Freundinnen wieder und immer wieder; dort sehen wir ein zärtliches Ehepaar in unlöslicher Umarmung – gerade vor der Coupéthür, zur Verzweiflung des Schaffners, der umsonst versucht, sich durch höfliche Worte Bahn zu machen. Andere Gruppen eilen in lautem Gespräch an uns vorüber. Bekannte ziehen den Hut vor einander oder legen grüßend zwei Finger an die Krämpe; „Ade“ und „Willkommen“ fliegen herüber und hinüber; Taschentücher wehen aus dem forteilenden Zuge; ein höflicher Bureaudiener nimmt dem eben ankommenden Chef mit dem altmodischen „Schamster Diener“ die Reisetasche aus der Hand. „Hab’ die Ehre!“ grüßt das modische Herrchen dort drüben, läßt uns aber leider im Unklaren darüber, worin die Ehre besteht, die er „hat“.

„Ich empfehle mich“ oder kürzer „Pfehl’ mich“ hören wir in den verschiedensten Tonarten als Abschiedsgruß. Superhöfliche Commis gebrauchen dieses Wort häufig auch als Begrüßungsformel bei unserem Eintritt in den Laden, wo es dann einen recht komischen Eindruck macht.

Das „Grüß Dich Gott!“ klingt uns mit herzlichem Tone entgegen; es ist der ureigentliche Gruß Oesterreichs. Und „Pfitt Di God!“ macht der Bauersmann aus dem alten „Behüte Dich Gott!“.

Da, im fernsten Winkel des geräumigen Wartesaales, wird er auch gesprochen, dieser schönste aller Abschiedsgrüße. Eine ältere Frau sitzt dort neben dem blühenden Sohn, der von ihr ziehen soll, auf lange unbestimmte Zeit, in weite Ferne. Still hält sie die Hand des Jünglings zwischen ihren beiden, und sieht ihn unverwandt an, das liebe Bild fest, recht fest zu halten in der Erinnerung. Da ertönt das dritte Läuten. Schnell erhebt sie sich und spricht leise:

„Gott behüte Dich, mein Kind!“

Der junge Mann legt ihr das Tuch fester um die Schultern und beugt sich nieder zu einem letzten Kuß auf ihre bebenden Lippen:

„Gott behüte Dich, Mutter!“

Fort ist er, und ruhig schreitet die Frau durch die schwatzende, lärmende, nach Trägern oder Wagen rufende Menge. Keiner von allen diesen Menschen braucht es ja zu wissen, daß sie ihr Letztes auf der Welt hergegeben hat und nun allein ist, ganz allein; nur „Er“, in dessen Hut sie soeben das geliebte Kind empfohlen hat, nur „Er“ darf die Thränen sehen, die daheim im einsamen Stübchen fließen. Und auch das schmerzliche Zucken um des Sohnes Lippen, der jetzt so eifrig zum Wagenfenster hinausblickt und doch nichts gewahrt von den vorüberfliegenden Bildern, sieht nur Einer, der „dort Oben“. Befriedigt denken Mutter und Sohn daran, daß Jedes seinen Schmerz so gut zu verbergen gewußt hat vor dem Andern, obwohl es ein schmerzlich bewegtes war, dieses letzte „Gott behüte Dich!“

Vom Bahnhof laßt uns in den Gesellschafts- oder Ballsaal blicken! Wir sind zu allererst gekommen und können sie nach einander eintreten sehen, die tanzlustigen oder auch – tanzunlustigen Jünglinge, die geputzten Damen und Dämchen. Jeder und Jede grüßt, aber in wie verschiedener Weise thun sie es! Anders ist das herablassende Kopfneigen der gewiegten Ballschönheit, anders wieder das schüchterne Knixen des halbflüggen Backfischchens, und wie verschieden sind die Verbeugungen der Herren, wie verschieden ihre Begrüßungen unter einander! Wer Charakterstudien liebt, hat da ein weites Feld: er kann Stolz und Bescheidenheit, Haß und Liebe, Herzlichkeit und bittere Ironie, [163] Verehrung und Geringschätzung herauslesen aus der Art des Grüßens und kann ziemlich sichere Schlüsse ziehen über das Verhältniß, welches zwischen den einzelnen Menschen besteht, die sich da – anscheinend so harmlos! – gegen einander neigen und beugen. In nichts zeigt sich ja unser Charakter so deutlich, als im Lachen oder im Grüßen.

In vielen Gegenden Deutschlands herrscht noch der Brauch, sich vor und nach dem Essen zu begrüßen. Bürger und Bauer würden dort meinen, es sei Gift in der Schüssel, wenn nicht jeder Tischgast sein: „Gesegnete Mahlzeit!“ darüber gesprochen hätte. In höheren Kreisen läßt man wohl auch das erste, gerade das bedeutsamste, Wort hinweg und sagt nur: „Mahlzeit!“

„Wünsche wohl zu speisen!“ oder: „Wohl bekomm’s!“ hört man nur noch selten und dann blos scherzweise sagen.

„Prosit!“ sagt man sich jetzt fast nur noch beim Jahreswechsel und beim Trinken, seltener, wenn Jemand geniest hat.

Sehr floriren jetzt die Toaste oder Begrüßungsreden bei Festschmäusen. Sie haben etwas Ansteckendes, Berauschendes, wie jede gemeinsame Kundgebung einer größeren Menschenzahl. In noch erhöhterem Maße wirkt es begeisternd, wenn das Volk einem beliebten Redner Beifall jauchzt oder sein gekröntes Oberhaupt jubelnd begrüßt. Solch ein vieltausendstimmiges „Lebehoch!“, der Gruß eines ganzen Volkes, hat etwas unendlich Großartiges.

In Deutschland begrüßt man sich am häufigsten durch das Nennen der Tageszeit: „Guten Morgen!“, „Guten Tag!“ oder „Guten Abend!“. Als letzten dieser Grüße wünschen wir uns gegenseitig eine „Gute Nacht!“.

Von hübschen Grußworten fremder Völker sind die bekanntesten, das „Chaire!“ („Freue dich!“) der alten Griechen, das „Ave!“ und „Vale!“ der Römer, durch unsere studirende Jugend noch fleißig im Brauch erhalten; dann der türkische Gruß: „Selâm aleikum!“ („Friede sei mit euch!“), der mit über der Brust gekreuzten Händen gesprochen wird. Vornehme Araber umarmen sich bei der Begrüßung und küssen dann die eigene Hand. Geringere werfen sich vor höherstehenden Personen auf die Erde und küssen deren Kleider. „Até logo!“ („Bis nachher!“) heißt der brasilianische Abschiedsgruß, und „Aloha oë!“ („Ich liebe dich!“) grüßt man auf den Sandwichsinseln. „Tenakoe!“ („Da bist du!“) sagt der Maori auf Neuseeland, während er seine Nase an der des Freundes reibt, und „Baid el bela alik!“ („Jedes Uebel sei dir ferne!“) der Araber, der dir zum Abschied wünscht: „Möge dein Schatten nie kürzer werden!“ Sehr charakteristisch sind einige Grußformen der Afrikaner: „Saku bona!“ („Wir sahen dich!“) spricht der stolze kriegerische Zuluneger, und „Tumella!“ („Sei mein Freund!“) der weiche gutmüthige Betschuane; „Sa yandre!“ („Du wachst!“) lautet der Morgengruß der Fidschi-Insulaner.

Um aber nun wieder in unser liebes Vaterland heimzukehren, erwähnen wir noch, daß es auch besondere Grüße für einzelne Körperschaften oder Gewerke hat.

„Glück auf!“ grüßt der Bergmann, „Gut Heil!“ der Turner etc. Dem Jäger, dessen Gruß „Waidmannsheil!“ ist, giebt man, da man ihm, einem alten Aberglauben zufolge, bei seinem Aufbruche zur Jagd kein Heil wünschen soll, scherzweise auch den Gruß, „er möge Arme und Beine brechen“, mit auf den Weg.

Und zum Schluß – noch ein Gruß – ein launiger für den bevorstehenden Wohnungswechsel! Der Autor des Liedchens ist mir leider unbekannt; er mag also verzeihen, daß ich ihn nicht nenne!


Sei mir gegrüßt!

So viel Noth erlebt und Plage
Heut’ der Mensch am Umzugstage,
So viel Spiegel geh’n in Stücken,
So viel Spindenfüße knicken,

5
So viel Bilder, wie an allen

Wänden von den Nägeln fallen,
So viel Porcellan in Scherben,
So viel Sammtfauteuils verderben,
So viel „kürzere“ Gardinen,

10
Die noch gestern „passend“ schienen,

So viel Uhren, die nicht geh’n,
So viel Schränke, die nicht steh’n,
So viel Tücher, wie da wischen
An bestaubten Speisetischen,

15
So viel Säcke, die zerplatzt,

So viel Politur zerkratzt,
So viel Schnüre abgerissen
Von gestickten Sophakissen,
So viel feine Marmorplatten

20
Einen Sprung „schon vorher“ hatten,

So viel Körbe, wie „nicht reichen“,
So viel Kisten ganz desgleichen,
So viel Fenster nicht geputzt,
So viel Dielen eingeschmutzt,

25
So viel Menschen seufzend harren

Auf den ersten Möbelkarren,
So viel Zimmer nicht gemalt,
So viel Miethe nicht bezahlt,
So viel Schrauben eingerostet,

30
So viel Geld dies Alles kostet,

So viel Krimskram eingebüßt – –
So viel Mal sei mir gegrüßt!




Das Rechtsbewußtsein des Volkes und die Reichsjustiz.

Groß war die Freude und Genugthuung über die Durchführung der Reichsjustizgesetzgebung, welche mit der Abstimmung des Reichstages vom 21. December 1876 ihren vorläufigen Abschluß fand, bei allen Parteien, die es mit der inneren Festigung des deutschen Reiches ehrlich meinten; nichts konnte in dem von Alters her auch auf rechtlichem Gebiete auf’s Aergste zerstückelten Deutschland das Gefühl der inneren Zusammengehörigkeit energischer fördern und stärken, als das Bewußtsein und die Thatsache einer einheitlichen Gesetzgebung und Rechtspflege. Aber dennoch fanden namentlich die entschiedeneren Anhänger liberaler Grundsätze mehr als einen Tropfen Wermuth in dem Becher der Freude, und das Ganze erhielt schließlich einen so bitteren Beigeschmack, daß man sich entschloß, lieber den Trank völlig zu verschütten, als ihn mit Zusätzen entgegenzunehmen, denen man principiell widersprechen zu müssen glaubte.

Die Justizgesetze, wie man sie schlankweg bezeichnet, traten am 1. October 1879 in Kraft und die ehrliche Probe darauf konnte beginnen. Daß im Ganzen damit ein ungeheurer Fortschritt gegeben war, wurde von keiner Seite geleugnet; die Hoffnung auf einen Ausbau im liberalen Sinne, im Sinne des wahren Rechtsstaates, mußte auf bessere Zeit vertagt und nunmehr die Wirksamkeit und Arbeitsfähigkeit des neuen Apparates geprüft werden. Daß neue Gesetze wie überhaupt neue Einrichtungen im Allgemeinen von breiten Schichten des Volkes nicht günstig angesehen zu werden pflegen, ist bekannt; es geht dabei, wie bei einem Umzuge, wo unter schmerzlichen Gefühlen eine Menge alter Hausrath über Bord geworfen wird, der zwar längst in die Rumpelkammer gewandert war, von dem man sich aber doch nicht endgültig trennen mochte, und speciell Gesetz und Recht werden, wenn sie sich noch so sehr als fortgeerbte Krankheit erwiesen haben, doch immer in den Lobrednern der guten alten Zeit ihre Vertheidiger finden. Doch abgesehen von dieser in der Natur der Dinge begründeten Unzufriedenheit, ertönten bald nach Einführung der neuen Gesetze von allen Seiten her immer lautere und lautere Klagen, und es war gar nicht zu verkennen, daß diese auf wesentliche Mängel der neuen Gesetzgebung zurückzuführen seien. Wie immer in solchen Fällen, richteten sich diese Klagen natürlich zunächst gegen eine Schädigung materieller Interessen, wie man sie namentlich in der Handhabung der Zwangsvollstreckung seitens der Gerichtsvollzieher und in den übermäßig hohen Gerichtskosten erblicken zu müssen glaubte, deren Unerschwinglichkeit für den Aermeren als eine Art Rechtsverweigerung aufgefaßt zu werden drohte, und auf dem Gebiete der Strafproceßordnung namentlich gegen die Aufhebung der Appellinstanz gegen die Urtheile der Strafkammern. Dazu kamen neuerdings allgemein befremdliche Entscheidungen einzelner Gerichtshöfe, welche unter anscheinender Verleugnung bisher für unantastbar gehaltener Rechtsgrundsätze einem besonderen „Bürger“rechte ein besonderes „Beamten“recht gegenüber zu stellen schienen. Wenn es bisher als unbestritten angesehen worden, daß Unkenntniß der Gesetze nicht

[164]

Eisbären bei der Ausübung ihres Strandrechtes.
Originalzeichnung von Ludwig Beckmann.

[165] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [166] vor Strafe schütze, so stellten derartige Entscheidungen Beamten gegenüber, die sich eines offenkundigen Amtsvergehens schuldig gemacht hatten, Grundsätze auf, nach welchen bei einem Beamten, der sich über die Ausdehnung seiner Befugnisse nicht völlig klar sei, der „gute Glaube“ angenommen und deshalb die Sache in milderem Lichte aufgefaßt werden müsse.

Derartige Urtheile schlugen dem öffentlichen Rechtsbewußtsein geradezu in’s Gesicht; denn wenn schon vom einfachen Bürger verlangt wird, daß er in allen Lebensbeziehungen „diligentiam prästirt“, das heißt sich der Tragweite seiner Handlungen und seiner Verantwortlichkeit bewußt ist, um wie viel mehr ist dies vom Beamten in Ausübung seines Amtes zu verlangen, das ihm vom Staate, das heißt von der Gesammtheit der Staatsbürger zu ihrem Schutze und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung übertragen worden ist! Da sich solche Urtheile häuften – allgemein bekannte Einzelfälle will ich an dieser Stelle nicht anführen – namentlich wo es sich um die Klagen von Bürgern gegen Uebergriffe und Ausschreitungen untergeordneter Organe der Polizeigewalt handelt, so wurde die Mißstimmung eine immer allgemeinere, und es war nicht mehr zu leugnen, daß in allen Schichten der Bevölkerung ein Gefühl der Rechtsunsicherheit, Rechtsungleichheit und des mangelnden Rechtsschutzes Platz griff, das mit der Zeit einen bedeutenden Umfang anzunehmen drohte. Ja, die Sache hatte auch einen politischen Beigeschmack, da man einzelnen richterlichen Urtheilen eine gewisse Einseitigkeit in dieser Richtung auch durch die wohlwollendste Auslegungskunst nicht abzustreifen vermochte.

Diese verletzten Empfindungen drängten um so mehr zu einem Ausdrucke in der Oeffentlichkeit, als ja nicht mehr, wie zur Zeit des beschränkten Unterthanenverstandes, der Laie von der Theilnahme an der Rechtspflege ausgeschlossen, sondern im Schwur- und Schöffengericht zu lebendiger und einflußreicher Mitarbeit berufen ist. Eine je größere Ausdehnung diese Theilnahme des Laienelementes an der Rechtspflege gewonnen hat, um so größer wird in immer weiteren Volkskreisen das Interesse an den Fragen der Gesetzgebung, um so lebhafter der Trieb nach Belehrung, um so berechtigter, schärfer und sachlicher die Kritik sowohl der Einzelerscheinungen wie des Gesammtorganismus.

Also, was hier in der Seele des Volkes wogt und drängt, muß einen Abzugscanal finden, falls nicht das Gift im Innern weiter zehren und dem Staatsleben unheilbare Wunden schlagen soll; denn im Volke ist man nur zu leicht geneigt, einzelne schwer empfundene Uebelstände dem Ganzen zur Last zu legen, und man kann es häufig genug hören, wie bei einer Besprechung der oben angedeuteten Mißstände die Justizgesetzgebung in Bausch und Bogen verurtheilt wird.

Es versteht sich von selbst, daß in erster Linie die Presse die Aufgabe hat, in solchen Dingen helfend und vermittelnd aufzutreten. Aber die Presse wird nach so vielen Seiten hin in Anspruch genommen und muß ihre Thätigkeit so zersplittern, daß sie zwar allenfalls in der Lage ist, einzelne in den Vordergrund des öffentlichen Interesses geschobene Fälle speciell zu erörtern, daß es ihr aber an Zeit und Raum fehlt, die Entwickelung der einschlägigen Verhältnisse mit Aufmerksamkeit, Vollständigkeit und Consequenz zu verfolgen. Um dies zu erreichen, muß eine Stelle geschaffen werden, bei der jeder Einzelne zu Worte kommt, jeder Einzelne seine persönlichen Erfahrungen, Ansichten, Bedürfnisse, Wünsche zum Ausdruck bringen kann; denn dadurch allein lassen sich die Kernpunkte, gegen welche sich die allgemeine Unzufriedenheit richtet, erkennen und die Mittel zur Abhülfe einer unbefangenen Prüfung unterwerfen.

Der Presse hierin helfend und unterstützend zur Seite zu stehen, ist nun zweifellos Aufgabe des ja in Deutschland im Allgemeinen schon zu hoher Blüthe gediehenen Vereinswesens, und es geschah zum Theil in Verfolg der oben entwickelten Erwägungen, daß im September des vorigen Jahres ein Comité aus Vertretern aller Stände – Juristen, Schriftstellern, Kaufleuten, Handwerkern, Gewerbetreibenden, Industriellen etc. – zusammentrat und unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts Gustav Kauffmann, eines ebenso durch gediegene wissenschaftliche Bildung wie schneidige Energie ausgezeichneten jungen Berliner Juristen, einen „Verein für Rechtsschutz und Justizreform“ in’s Leben rief. Der Verein wandte sich mit einem knappen, klaren Aufruf an die Mitbürger aus sämmtlichen politischen Parteien und hatte schon nach Verlauf weniger Monate die Genugthuung, über 600 Mitglieder zu zählen, wie ihn auch zahlreiche Zuschriften aus allen Theilen des Reiches allseitiger Zustimmung zu seinen Tendenzen versicherten.

Die überaus zahlreichen Verehrer des formalen Rechtes in der Juristenwelt, die von irgend welchem Einflusse des Laienelementes auf die Ausbildung der juristischen Wissenschaft und Praxis nichts hören wollen, stehen natürlich der Gründung eines solchen Vereins mit theils spöttischem, theils verächtlichem Lächeln gegenüber. Doch sehr mit Unrecht! Die Rechtspflege wie das Recht überhaupt ist ein guter, vielleicht der wichtigste Theil unseres Volkslebens, und die Juristen sind keineswegs berufen, das Recht für sich allein zu ordnen. Die Rechtspflege insbesondere soll eine gute, eine schnelle und eine gerechte sein. Es sprechen viele wirthschaftliche und politische Gesichtspunkte mit, die nicht so ohne weiteres am grünen Tisch und in der Gelehrtenstube zu erledigen sind, und deshalb muß gerade dem Laienelement Gelegenheit gegeben werden, sich über seine Bedürfnisse und Bestrebungen zu äußern. Das ist aber gerade bei den neuen Gesetzen nicht zur Genüge in’s Auge gefaßt worden, wie schon aus der Zusammensetzung der Achtundzwanziger-Commission hervorgeht, welche am 18. Januar 1875 vom Reichstage zur Vorberatung der Justizgesetzentwürfe gewählt wurde. Sämmtliche Mitglieder waren Juristen, zum Theil Richter zweiter und dritter Instanz, die mit der Oeffentlichkeit keineswegs in lebendiger Wechselwirkung standen, und nur ein einziger Laie befand sich darunter – der Director der brandenburgischen Landesirrenanstalt in Neustadt-Eberswalde. Das klingt wie ein Witz – ist aber eine Thatsache, und es ist leicht begreiflich, daß eine so zusammengesetzte Commission dem Interesse des großen Publicums nicht Rechnung tragen konnte, ein Fehler, der sich natürlich bei dem noch viel complicirteren Mechanismus, mit dem der Reichstag arbeitet, nicht wieder gut machen ließ.

Doch auch das Zeugniß wissenschaftlicher Autoritäten spricht für die freiere Auffassung. Da ist zunächst der frühere preußische Appellationsgerichts-Vicepräsident von Kirchmann, der in seiner Schrift: „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ beklagt, daß die Rechtswissenschaft immer hundert Jahre hinter dem öffentlichen Rechtsbewußtsein einherhinke; da ist Beseler, der vor einem Jahrzehnt in seinem Werk: „Volksrecht und Juristenrecht“ gleichfalls den Gegensatz zwischen den gelehrten Richtern und dem Recht, das im Volke lebendig ist, betonte, wobei er allerdings in den Irrthum verfiel, allzusehr auf die alten, längst abgestorbenen germanischen Rechtsgewohnheiten zurückzugreifen; denn eine Reform unseres Rechtes darf nicht in die altersgraue Vorzeit ihre Blicke zurückwerfen, sondern muß das lebendige Interesse unseres modernen Volkslebens, unserer riesig entwickelten Verkehrsverhältnisse in’s Auge fassen. Ferner war es einer der hervorragendsten Juristen der Gegenwart, Jhering, der in seiner epochemachenden Schrift: „Der Kampf um’s Recht“ das ganze Volk dazu aufforderte, bei Rechtsverletzungen mit aller Energie um sein Recht zu kämpfen, und es als eine Feigheit bezeichnete, wenn man aus Scheu vor Kosten, Ungelegenheiten und Unbequemlichkeiten aller Art sein gutes Recht im Stiche ließe.

Dies also war die Veranlassung, welche zur Gründung des „Vereins für Rechtsschutz und Justizreform“ führte. Man sieht, daß er sich keine leichte Aufgabe gestellt hat; er beabsichtigt erstens, dem Publicum eine Stelle zu schaffen, an der Jedermann mit Sicherheit darauf rechnen kann, freies Gehör und im Nothfalle Unterstützung mit Rath und That zu finden. Ob letzteres möglich ist, hängt natürlich ganz vom Charakter des einzelnen Falles ab. Es ereignet sich nicht selten, daß Jemand nur deshalb verurteilt wird, weil er nicht für genügende Verteidigung gesorgt hat, oder daß ein Proceß, der sichere Aussicht auf Gewinn bietet, nicht angestrengt wird, weil es dem Kläger an Geldmitteln fehlt. In solchen Fällen wird der Verein mit Wort und Schrift, mit juristischem Beirat und, wenn es nötig und nach Maßgabe seiner vorläufig noch geringen Mittel möglich ist, auch mit materieller Unterstützung eingreifen.

Daran schließt sich die weitere Aufgabe, durch Vorträge und Besprechungen energisch auf die Beseitigung allgemeiner Mißstände hinzuwirken. Dies kann einmal dadurch geschehen, daß man die Nothwendigkeit ihrer Beseitigung dem öffentlichen Bewußtsein klar zu machen sucht, aus welchem heraus sie zuletzt ja doch ihren Weg [167] zu den für die Gesetzgebung maßgebenden Factoren findet, und zweitens durch directe, mit umfassendem Material belegte Petitionen an die gesetzgebenden Körperschaften, den Reichstag, respective die einzelnen Landtage.

Im Anschluß daran ergiebt sich die dritte Aufgabe, etwaige Fehlgänge und Irrthümer der öffentlichen Meinung, die ja nur allzu sehr geneigt ist, das Kind mit dem Bade auszuschütten, aufzuklären und in die richtigen Bahnen zu leiten, was durch ganz allgemein und populär gehaltene rechtsphilosophische Vorträge über das Wesen des Rechts u. dergl. m., durch historische Darlegungen unserer Rechtsentwickelung und der Ziele, auf welche sie hinaussteuert, geschehen kann, Vorträge, durch die im Einzelnen zugleich das Bewußtsein seiner staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten gefördert und lebendig erhalten werden soll.

Es fragt sich nun noch, in welchem Punkte die öffentliche Meinung am schärfsten auf eine Reform der Justizgesetzgebung hindrängt. Im Civilrecht ist es zunächst die übermäßige Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten, und daran schließen sich eine Abänderung im Zwangsvollstreckungs-Verfahren und die Beseitigung des Anwaltszwanges. Auf strafrechtlichem Gebiete hat die Erfüllung der alten liberalen Forderung auf Entschädigung unschuldig Verhafteter und Verurtheilter einen mächtigen Schritt nach vorwärts gethan, da der darauf bezügliche Antrag Philipps-Lenzmann am 5. December vom Reichstage einer Commission von vierzehn Mitgliedern überwiesen wurde.

Dieselbe wird ihn, wenn auch in wesentlicher Umarbeitung, zur Annahme empfehlen und der Reichstag ohne Zweifel sich in diesem Sinne aussprechen. Wenn auch der Vertreter des Bundesraths dem Antrage kühl bis an’s Herz hinan gegenüber trat, so ist doch die Zustimmung auch dieser Instanz um so weniger ausgeschlossen, als es sich hier schon längst nicht mehr um eine Forderung einer einseitigen politischen Parteirichtung handelt.

Unter allgemeiner Zustimmung sagte der Abgeordnete Reichensperger, daß dies eine der ernstesten Fragen für einen Rechtsstaat sei. Daran schloß er die Hoffnung, daß die Berufung in Strafkammersachen wieder hergestellt werde, und es ist auch wirklich zu erwarten, daß der gewaltige Druck der öffentlichen Meinung, die gern neunundneunzig resultatlose Berufungen in den Kauf nimmt, wenn nur ein Unschuldiger gerettet wird, auch diese mit der vorigen im unmittelbarsten Zusammenhange stehende Reform binnen Kurzem durchsetzen wird, trotz aller Opposition der Männer von Fach, die hauptsächlich doch nur mit dem fadenscheinigen Argumente kämpfen, daß der Richter erster Instanz besser informirt sei, als der zweiter Instanz. Der weitere Ausbau unserer Rechtsordnung erfordere ferner consequenter Weise die Heranziehung des Laienelementes zu den Strafkammern; wenn die Aussichten hier auch trüber sind, so läßt sich doch ein leiser Hoffnungsschimmer für eine Fortentwickelung in diesem Sinne erkennen.

Möge er indeß auch noch so schwach sein, der Kampf um diese Reform soll ebenso wenig aufhören, wie das Verlangen nach Abschaffung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft und des Zeugnißzwanges, nach Zuweisung der politischen wie Preßvergehen an die Schwurgerichte, nach Beseitigung der Militärgerichtsbarkeit oder zum mindesten Einführung der Oeffentlichkeit des Verfahrens, wie es in Baiern gehandhabt wird, und im Anschluß daran nach einer dem allgemeinen Rechtsbewußtsein mehr als jetzt entsprechenden Regelung der Competenzconflicte, welche sich bei der Frage, ob im Einzelfalle die ordentlichen oder die Verwaltungs- respective Militärgerichte zur Aburtheilung zuständig sind, erheben. Bekanntlich stehen in letzterer Beziehung die Dinge gegenwärtig so, daß unter gewissen Verhältnissen eine absolute Rechtsverweigerung eintritt, beispielsweise, wenn ein Bürger, der einen andern beleidigt hat, sich der bei den Civilgerichten anhängig gemachten Klage einfach dadurch entzieht, daß er sich in seiner zufälligen Eigenschaft etwa als Rittmeister der Landwehrcavallerie mit dem Rückzuge hinter die für ihn allein zuständigen Militärgerichte deckt. Welche Genugthuung der Beleidigte aber zu erwarten hat, wenn er sein Recht mit einer Klage bei den Militärgerichten sucht, ist aus einer Anzahl eclatanter Fälle aus den letzten Jahren, die dem Principe der Gleichheit vor dem Gesetze direct in’s Gesicht geschlagen haben, zur Genüge ersichtlich geworden.

Doch wir betreten mit den letzten Punkten das politische Gebiet; unsere Leser wissen, wie wenig unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf eine Erfüllung dieser Forderungen eines gesunden Liberalismus gerechnet werden kann. Trotzdem sollen sie immer und immer wieder betont werden, damit das Bewußtsein von der Nothwendigkeit ihrer Durchführung im Volke wach erhalten werde. Es liegt ja auf der Hand, daß der Verein für Rechtsschutz und Justizreform, weil seine Bestrebungen der Hauptsache nach auf liberale Forderungen hinauslaufen, auf der Gegenseite wenig Entgegenkommen zu erwarten hat. Doch dem sei wie ihm wolle – wir sind überzeugt, daß seine Thätigkeit nicht verloren ist für das Wohl unseres Volkes.

Wenn der Verein sich seiner Ausgaben und Ziele bewußt bleibt, und Presse und Publicum ihm die nothwendige Unterstützung nicht versagen, wird er dem Einzelnen Hülfe und Allen Aufklärung schaffen, wird er zur Beseitigung vorübergehender Uebelstände beitragen und durch Herbeischaffung eines sorgfältig gesichteten Materials an seinem Platze und nach seinen Kräften dazu mitwirken, daß künftig die Entwickelung unserer Gesetzgebung und dem öffentlichen Rechtsbewußtsein Hand in Hand gehe. Das ist gewiß ein hohes und schönes Ziel, des Schweißes der Edlen werth, und nach dem überaus glücklichen Anfange, den der junge Verein genommen hat, ist die Hoffnung auf sein fröhliches Leben, Blühen und Gedeihen gewiß berechtigt.Hermann Trescher.




Blätter und Blüthen.

Erklärung. Wegen unseres Artikels Ein Armenbegräbniß (Nr. 10 von 1882, „Blätter und Blüthen“) strengte die Armen-Direction zu Neustadt bei Magdeburg Klage an, und theilen wir im Nachstehenden das uns zum Abdrucke aufgegebene Urtheil mit:

„Im Namen des Königs!

In der Strafsache gegen den Redacteur Dr. phil. Theodor Christian Ernst Ziel in Leipzig wegen Beleidigung hat das königliche Schöffengericht zu Leipzig in der Sitzung vom 5. und 6. Juni 1882, an welcher Theil genommen haben: 1.) Amtsrichter Steche als Vorsitzender, 2) Parfümeriefabrikant Kunoth hier und 3) Kaufmann Sixtus in Schönefeld als Schöffen, Referendar von Einsiedel als Beamter der Staatsanwaltschaft, Referendar Menz als Gerichtsschreiber, für Recht erkannt: Es wird der Angeklagte Dr. phil. Theodor Christian Ernst Ziel in Leipzig der Beleidigung für schuldig erklärt und deshalb auf Grund von §§ 186 und 196 des R.-St.-Ges.-Buchs zu einer Geldstrafe von Zwei Hundert Mark, an deren Stelle im Uneinbringlichkeitsfalle Drei Wochen Gefängniß zu treten haben, sowie zur Bezahlung der Kosten des Verfahrens verurtheilt.

Auch wird dem Bürgermeister und Vorsitzenden der Armen-Direction zu Neustadt bei Magdeburg Bruno Schaumburg gemäß § 200 Straf-Gesetz-Buchs die Befugniß zugesprochen, den Eingang und den entscheidenden Theil des Urtheils binnen drei Wochen nach der Rechtskraft des letzteren in der in Leipzig erscheinenden Zeitschrift ‚Die Gartenlaube‘ und zwar in demselben Theile und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen, auf Kosten des Angeklagten bekannt zu machen.

     (L. S.)
Von Rechts Wegen!“




Erziehung der Kinder zum Gehorsam. Zu einer Zeit, wie die unsere, in welcher so viele Klagen über die Verwilderung des heranwachsenden Geschlechts laut werden, erscheint es mir wohl geeignet, einen Wink der Erfahrung über die Erziehung der Kinder in den ersten Lebensjahren, und namentlich über die Erziehung zum Gehorsam, an die Mütter gelangen zu lassen. Es ist nirgends gefährlicher, als in der Kinderstube, erst aus eigener Erfahrung klug werden zu wollen.

Seit 29 Jahren habe ich eigene Kinder, und das jüngste derselben ist im November 1882 fünf Jahre alt geworden. Habe ich schon dadurch reiche Gelegenheit gehabt, Erfahrungen über die Erziehung in mannigfacher Weise zu sammeln, so ist dieselbe noch wesentlich vermehrt worden durch meine Stellung als Leiter der orthopädischen Heilanstalt zu Leipzig, in deren Pensionat ich immer Kinder jeden Alters überwache und dadurch Anlaß habe, die Erziehungsresultate anderer Methoden kennen zu lernen. Somit glaube ich einigen Beruf zu haben, über Erziehung mitzureden.

Der größte Segen für das Kind ist ein heiteres Gemüth der Mutter, und wenn es ihr nicht gegeben ist, so möge sie streben, es sich anzueignen. Die Kinder sind ursprünglich für Heiterkeit und Humor besonders begabt, und wenn diese beglückendsten und liebenswürdigsten Gaben sich in ihnen nicht entwickeln, so liegt es nur allzu oft an der Mutter.

Vor allen Dingen darf schlechte Laune oder Verdrießlichkeit niemals an den Kindern ausgelassen werden, auch wenn sie selbst an derselben schuld sind. In diesem Falle mag man mit Strafen so lange warten, bis die Gemüthsstimmung wieder im Gleichgewicht ist. Jeder wird mir darin beistimmen; es hat aber nicht Jeder die Macht, sich zu beherrschen. Hier hat man Veranlassung, an sich selbst zu bessern, wie ja überhaupt richtige Kindererziehung immer auch einige Selbsterziehung im Gefolge hat.

[168] Die schwerste Aufsgabe für die Kinder ist aber am häufigsten der Gehorsam. In der Jugend ist man Augenblicksmensch: Rücksichten, Voraussicht, Berechnung existiren für uns in diesem Lebensalter nicht. Wenn die Kinder sich etwas vorgesetzt haben, so denken sie eben nur daran, und wenn ihnen die Ausführung ihres Vorhabens verboten wird, so empfinden sie nur das Störende in dem Verbote, welches ihrer Absicht zuwiderläuft. Einsicht und Selbstbeherrschung, welche erforderlich wären, um sie zur Aenderung ihres Planes zu bewegen, sind in diesem Alter nicht vorhanden: so ist gar kein Grund für sie zum Gehorsam da, wenn nicht äußerer Zwang oder wenigstens die Voraussicht eines solchen hizutritt. Hier ist es, wo die Heiterkeit der Mutter einzutreten hat, um den Kindern über das Unangenehme der Folgsamkeit hinwegzuhelfen. Wenn die Gedanken des Kindes von dem Vorgefaßten geschickt abgezogen und in eine neue Richtung gelenkt werden, so kommt das Unangenehme des Gehorsams ihm viel weniger zum Bewutßtsein.

Das Kind muß Gehorsam lernen. Die erste Bedingung dazu ist, daß man möglichst wenig von ihm verlangt, die zweite, daß man das Verlangte allemal durchsetzt. Wenn man zu dem Kinde fortwährend in befehlendem Tone spricht, so verdirbt man ihm die Lust zum Gehorsam, oft auch die Möglichkeit desselben. Daraus folgt dann wieder ein unaufhörliches Zanken; dadurch werden beide Theile mürrisch und verdrossen, das Kind mit der Zeit gleichgültig, schließlich störrisch. Man überlege es sich vorher, ehe man vom Kinde etwas verlangt! Dann erwäge man, ob man Gefälligkeiten beanspruchen oder dem Kinde einen Rath geben oder ihm etwas befehlen wolle! Nur im letzteren Falle ist Gehorsam zu verlangen, aber auch unter allen Umständen durchzusetzen. Bei kleineren Kindern ist ein gutes Mittel dazu das langsame Zählen: 1, 2, 3; sie werden dadurch aufmerksam und setzen voraus, daß nach 3 nöthigenfalls etwas eintreten wird, was für sie unangenehm ist. Das muß aber auch unbedingt geschehen und als letztes Mittel körperliche Strafe angewandt werden.

Wenn die Kinder wissen, daß man sich vor solcher nicht scheut, so wird man sie fast nie brauchen. Ich selbst habe sie seit Jahren kaum anzuwenden gehabt, während meine Frau zuweilen zu ihr greifen muß; eine Strafe, von ihr ertheilt, hat aber einen andern Charakter als die durch mich verhängte: sie ist milder.

Viel besser ist es, die Strafe als eine Folge der sträflichen Handlung eintreten zu lassen. Wer sein Bier aus Unachtsamkeit umschüttet, bekommt kein anderes; wer seine Schularbeit nicht rechtzeitig anfertigt, der muß sie zu einer Zeit machen, wo ihm dadurch ein Vergnügen entzogen wird; wer mit dem Anziehen zögert, muß allein zur Schule gehen, während er sonst in Gesellschaft gehen konnte u. dergl. m. Freilich hat man zuweilen nachzudenken, um eine in diesem Sinne sich gewissermaßen selbst ergebende Strafe aufzufinden, meist aber wird es nicht unmöglich sein.

Häufig genügt es, seine Ueberraschung, seine hohe Berwunderung auszusprechen, daß ein sonst folgsames Kind in dieser Weise den Gehorsam außer Acht gelassen oder die gute Sitte vernachlässigt oder Jemandem Nachtheil zugefügt oder sonstwie eine Strafe verdient habe, um es zum Nachdenken zu bringen und zu besserer Ausführung zu bewegen.

Es ist mir zweifelhaft, ob man nach einer Strafe auch allemal auf der Bitte um Vergebung und auf dem Versprechen künftiger Besserung bestehen soll – zweifelhaft deswegen, weil man, wie ich fürchte, dadurch das Kind leicht zu einer Art Scheinheiligkeit verleitet. Wenn ein Kind in allen Fällen dazu genöthigt wird, so wird es schließlich die Worte sprechen, ohne an deren Sinn zu denken, also ohne wirklich gute Vorsätze zu fassen. Nur Fremden gegenüber bestehe ich gern auf der Abbitte, weil in der Demüthigung, als welche das Kind gewöhnlich solche Bitte empfindet, die natürliche Folge des Vergehens liegt. Mir selbst gegenüber halte ich das Bewußtsein für wichtiger, daß auf eine Wiederholung des Vergehens eine gleiche oder härtere Strafe unfehlbar folgen wird.

Ganz verfehlt erscheinen mir dagegen die Versuche, das Kind durch Versprechungen zum Gehorsam zu bewegen. Dadurch wird es systematisch zur Werkheiligkeit erzogen; auf diese Weise wird es gewöhnt, nur das zu thun, wodurch ihm ein Vorteil erwächst. Und das ist noch der günstigere Fall, der dann eintritt, wenn das Versprochene hinterher auch wirklich zur That wurde. Noch schlimmer werden die Folgen dieser Erziehungsweise, wenn die Eltern sich des gegebenen Versprechens gar nicht mehr zu erinnern scheinen. Dann verliert das Kind das Vertrauen zu den Eltern und denkt nicht daran, sich durch solche Vorspiegelungen zum Gehorsam verlocken zu lassen. Dem Kinde muß die Folgsamkeit einfach als eine selbstverständliche Pflicht erscheinen.

Eltern, welche diese wenigen Regeln befolgen, werden ihre Kinder ohne große Mühe zum Gehorsam erziehen und sie in inniger Liebe an sich binden. Dr. Schildbach.     




Australien.
Aus dem Prachtwerke „Allegorien und Embleme, herausgegeben von Martin Gerlach“.


Die Eisbären. (Mit Abbildung S. 164 und 165.) Zur Naturgeschichte des Eisbären ist schon so viel geschrieben worden, daß wir, um den Lesern Bekanntes nicht zu wiederholen, uns im Nachfolgenden auf die kurze Mittheilung einiger Züge aus dem Leben dieses Bewohners der Polarwelt beschränken, einiger Züge, die zum Verständniß des unserer heutigen Nummer beigegebenen meisterhaften Bildes von L. Beckmann nothwendig sein dürften.

Der weiße Gevatter unseres braunen Meister Petz hat, was die Nahrungsfrage anbelangt, einen viel schwierigeren Stand, als man denken möchte. Die Thierwelt der Polargegenden ist überaus arm an Arten; man wandert im hohen Norden oft meilenweit, ohne ein lebendes Wesen zu erblicken. Die Jagd auf Landthiere ist daher für den Eisbären von untergeordneter Bedeutung; weist ihn als tüchtigen Schwimmer die Natur doch auch vornehmlich auf die Bewohner des Wassers hin. Unter diesen aber bilden Seehunde sein bevorzugtes Jagdwild. Bekanntlich sind diese Thiere äußerst klug, und ihr Fang ist daher mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Aber der Eisbär ist, was die Schlauheit anbetrifft, ein größerer Meister als sein Opfer. Er weiß wohl, daß die Robben auf festem Boden sehr unbeholfen sind. Erblickt er daher von fern einen Seehund am Strande, so taucht er still in’s Wasser, schwimmt an denselben ruhig heran und erhebt sich plötzlich vor dem erschrockenen Thiere, welches nun rettungslos verloren ist. Die Robben pflegen auch, wie Brehm erzählt, nahe an den Löchern zu liegen, welche ihren Weg nach dem Wasser vermitteln. Der Eisbär findet nun diese Löcher, unter dem Eise schwimmend, mit außerordentlicher Sicherheit auf, und plötzlich erscheint der Kopf des gefürchteten Feindes in dem einzigen Fluchtgange der Meereshunde, durch den sie sich möglicher Weise retten könnten. Man behauptet, daß die mehr oder weniger gelbe Färbung des Eisbärenpelzes durch den häufigen Genuß des tranreichen Fleisches der Seehunde und Walrosse hervorgerufen werde.

Auch Fische sind ihm willkommene Speise, und er versteht sie mit großer Geschicklichkeit zu fangen. Nur wenn der Hunger den Eisbären plagt, dann stellt er den wenigen Landthieren der Polarzone nach und würgt namentlich den weißen Reinecke jenes Himmelsstriches ab. Bei den Vogelnestern pflegt er sich dagegen mit gewisser Vorliebe während der Brutzeit einzustellen, um die Eier als Leckerbissen zu verspeisen.

Da der Eisbär Aas ebenso gern wie frisches Fleisch verzehrt, so patrouillirt er auch den Meeresstrand ab, um nach gestrandeten Walfischen oder Seehunden zu spähen. In dieser Hinsicht weiß er auch von der Cultur Nutzen zu ziehen; denn klug, wie er ist, folgt er den Flotten der Walroßfänger und Robbenschläger, um sich bei dem zurückgelassenen Aase einzufinden. Namentlich im Winter übt er sein Strandrecht mit aller Entschiedenheit aus, da er keinen Winterschlaf hält und, um sich leichter zu ernähren, auf dem Treibeise lebt.

Unser heutiges Bild stellt ein Eisbärenpaar dar, welches soeben ein gestrandetes Walroß auffindet; wegen ihrer vorzüglichen Ausführung wird diese Zeichnung ohne Zweifel den allgemeinsten Beifall unserer Leser ernten.




Kleiner Briefkasten.

L. A. in Königsberg. „Ueber das Bühnen-Repertoire der größten deutschen Theater“ finden Sie möglichst vollständige Angaben in der Zeitschrift der „Deutschen Bühnengenossenschaft“ (Berlin), ebenso in Joseph Kürschner’s Wochenschrift „Neue Zeit“, dem officiellen Organ der Genossenschaft dramatischer Autoren und Componisten (Leipzig).

S. S. in S. Zur Beurtheilung lyrischer Producte fehlt es uns an Zeit.

Martha F. in Berlin. Der Roman befindet sich unter der Feder.

R. B. 450. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über Ihr Manuscript!

Nr. 14 in Florenz. Originalberichte!

Herrn G. J. in Bukarest. Die der armen Wittwe des im vorigen Jahre verunglückten Maurers Hofmann in dem Dorfe Wind bei Pommersfelden in Baiern durch Ihre Güte bestimmten 10 Franken sind derselben überschickt worden, und wir sprechen Ihnen den Dank derselben aus.

Ein Verehrer der „Gartenlaube“ in Dresden. Wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage gütigst an den Künstler selbst! Adresse einfach: Düsseldorf.

Marion v. M. Wiesbaden!

J. R. aus Stockholm. Fügen Sie sich geduldig in Ihr Schicksal! Es giebt leider kein Mittel dagegen.

G. Sch. in Chemnitz. Schwindel!

Frl. M. H. in Zürich und Fr. M. G. B. in Frankfurt a. M. Dank für die freundlichen Mittheilungen, die jedoch leider nicht benutzt werden können.



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Schwarzer Kaffee.
  2. Blumenmädchen.
  3. Herr Pfarrer.
  4. Zum Henker, mach daß du fort kommst!
  5. Bekanntlich ist der Fürst Bismarck unter Anderem auch ein Sprachgenie. Ebenso der Dr. Stephan, der Staatssecretär der Reichstelegraphen und Posten.
  6. Originalentwürfe von den hervorragendsten Künstlern, sowie Nachbildungen alter Zunftzeichen und moderne Entwürfe von Zunftwappen im Charakter der Renaissance. Wien 1882, Gerlach und Schenk.
  7. Es freut uns, unseren Lesern mittheilen zu können, daß die in Deutschland mit so warmem Interesse aufgenommenen und in der Verlagshandlung der „Gartenlaube“ als Buch erschienen „Vernünftigen Gedanken einer Hausmutter“ nunmehr auch der englisch redenden Welt in einer gediegen ausgestatteten Uebersetzung dargeboten werden. Wir rufen den soeben zur Ausgabe gelangten „Practical Thoughts of a mother“ (New-York, Dood, Mead und Comp.) ein herzliches „Willkommen!“ und „Glück auf!“ zu.D. Red.