Die Gartenlaube (1886)/Heft 31
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No. 31. | 1886. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Sankt Michael.
Sankt Michael war eine der höchstgelegenen Ortschaften des
Gebirges. Das kleine, stille Alpendorf wäre ganz abgeschieden
gewesen, wenn es nicht als Wallfahrtsort eine gewisse Bedeutung
gehabt hätte. Die einzelnen Gehöfte lagen zerstreut auf den Matten
und am Bergesrand, in der Mitte die Dorfkirche und das Pfarrhaus: Alles
klein, schmucklos und dürftig; nur die eigentliche Wallfahrtskirche,
die eine Strecke vom Dorfe entfernt, auf freier Höhe stand, hatte ein
stattliches Ansehen. Es war eine Stiftung der Grafen von
Steinrück, die an Stelle der uralten Sankt Michael’s Kapelle,
die einst hier gestanden, das nun auch schon altersgraue
Gotteshaus erbaut und ihm seitdem oftmals Schenkungen
und Vermächtnisse zugewendet hatten bis in die neueste Zeit.
Galt doch Sankt Michael als Schutzpatron des Geschlechtes,
wie er dessen Namenspatron war. Der Ahnherr hatte so
geheißen, und seitdem hatte der Name von Geschlecht
zu Geschlecht sich fortgeerbt. Selbst die protestantische
Linie des Hauses, die längst die heimische Stammburg verlassen
hatte und nach Norddeutschland ausgewandert war, hielt an dieser Tradition
fest, wenn sie ihr auch keine religiöse Bedeutung mehr beilegte, sondern
nur noch eine historische. Auch das jetzige Haupt des Hauses
war ein Graf Michael, und Sohn und Enkel waren nach
ihm getauft, wenn auch ihr Rufname anders lautete. – Das Innere
der Wallfahrtskirche bot nicht viel Bemerkenswerthes, den gewöhnlichen
Schmuck von Bildern und buntbemalten Statuen der Heiligen,
in oft sehr mangelhafter Ausführung. Nur der Hochaltar machte
eine Ausnahme davon, er war im reichsten, kunstvollen
Schnitzwerk ausgeführt, und die Engelsgestalten zu beiden
Seiten der Stufen, die mit ausgebreiteten Flügeln und
betend erhobenen Händen den heiligen Ort zu hüten schienen,
gehörten zu den besten Werken der Holzbildnerei. Es
war ein Geschenk der gräflich Steinrück’schen Familie, ebenso
wie die drei gothischen Fenster in der Altarnische,
deren kostbare Glasmalereien eine glühende Farbenpracht
zeigten. Dagegen entstammte das Altarbild, ein ziemlich
umfangreiches Gemälde, der naiven Auffassung einer
längstvergangenen Zeit. Es war dunkel geworden vor
Alter, hier und da beschädigt, aber doch noch deutlich
erkennbar in seinen Einzelheiten.
Sankt Michael, in langem blauen Gewande und wallendem
rothen Mantel, den Heiligenschein über dem Haupte,
war nur durch ein kurzes Panzerhemd als der streitbare
Engel gekennzeichnet, sah aber sonst nicht sehr kriegerisch
aus. Das Flammenschwert in der Rechten, die Wage in
der Linken, thronte er auf einer Wolke, zu seinen Füßen
krümmte sich der Satan, ein
[538] gehörntes Ungethüm, mit qualverzerrten Zügen, dessen Körper in einem Schlangenleibe endigte. Dazu zuckten blutrothe Flammen aus der Tiefe empor und von oben schaute eine Glorie von Engelsköpfen herab. Das Ganze war ohne jeden künstlerischen Werth.
„Das soll nun Sieg und Kampf bedeuten!“ sagte Hans Wehlau, der vor dem Bilde stand und es betrachtete. „Sankt Michael steht so feierlich gemüthlich auf seiner Wolke, als ob ihn der Gottseibeiuns da unten gar nichts anginge, und wenn der gescheit ist, so greift er zu und packt das Schwert, das gerade über seiner Nasenspitze schwebt; so hält man doch keine Waffe! Wie ein Adler müßte er aus der Höhe niederstoßen, und wie ein Sturmwind müßte er den Satan packen und vernichten, aber in den langen Gewändern soll er das Fliegen wohl bleiben lassen, und den Flügeln da glaubt man es überhaupt nicht, daß sie ihn tragen, sie sind viel zu schwach.“
„Du hast eine höchst respektlose Art, die Heiligenbilder zu kritisiren!“ sagte Michael, der neben ihm stand. „In dem Punkte bist Du wirklich der Sohn Deines Vaters.“
„Es käme darauf an! Weißt Du, daß ich Lust hätte, selbst ein solches Bild zu malen? Sankt Michael und der Satan – der Kampf des Lichtes mit der Finsterniß! Aus dem Stoff ließe sich etwas machen, wenn man ihn energisch angreift, und das Modell dazu habe ich ganz in der Nähe.“
Er wandte sich plötzlich um und sah seinem Freunde voll ins Gesicht, der den Blick mit einigem Befremden zurückgab.
„Was fällt Dir ein? Ich habe doch sicher –“
„Nichts Engelhaftes! Nein, wahrhaftig nicht, und unter den himmlischen Heerscharen, die in weißen Kleidern mit Palmenzweigen im Aether herumschweben, würdest Du eine sehr komische Figur spielen. Aber so mit dem Flammenschwerte auf den Feind losgehen und ihn niederwerfen, wie Dein heiliger Namensvetter, das ist ganz Dein Fall. Natürlich müßte man sehr idealisiren, denn hübsch bist Du gar nicht, Michael, aber was man zu solcher Gestalt braucht, das hast Du, besonders wenn Du wüthend bist. Jedenfalls würdest Du einen weit besseren Erzengel abgeben, als der da oben!“
„Thorheit!“ sagte Michael, indem er sich zum Gehen wandte.
„Uebrigens mußt Du jetzt aufbrechen, Hans, wenn Du zu Fuß nach Tannberg zurück willst. Du hast vier Stunden bis dahin.“
„Auf der langweiligen Fahrstraße, die ich natürlich nicht benutze; ich gehe mitten durch den Bergwald, das ist näher.“
„Und dabei verirrst Du Dich gründlich! Du kennst ja die Gegend nicht so genau wie ich.“
„Ich werde mich schon zurechtfinden,“ sagte Hans, während sie die Kirche verließen und ins Freie traten. „Wenigstens werde ich in Tannberg nicht mehr mit einem grimmigen Gesicht empfangen. Ich bin froh, daß der Papa fort ist, und ich glaube, das ganze Haus hat mit mir aufgeathmet. Er hing ja zuletzt wie eine Donnerwolke über uns Allen, man mußte fortwährend auf Blitz und Schlag gefaßt sein.“
„Es war schließlich das Beste, daß er den Aufenthalt abkürzte und nach Hause zurückkehrte,“ entgegnete Michael ernst. „Bei seiner fortwährenden Gereiztheit und Erbitterung wäre es noch zum offenen Bruche gekommen. Ich wollte das um jeden Preis verhüten und redete ihm daher selbst zu, abzureisen.“
„Ja, Du hast mich nach Kräften gedeckt. Du und die Tante, Ihr standet wie zwei Friedensengel an meiner Seite und schirmtet mich mit Euren Flügeln, aber viel hat das auch nicht geholfen, der Papa war gar zu grimmig. Du warst noch der Einzige, der mit ihm auskam.“
„Und deßhalb schickst Du mich regelmäßig zuerst ins Feuer, wenn es etwas durchzusetzen gilt.“
„Natürlich, denn Du riskirst gar nichts dabei. Papa behandelt Dich immer äußerst respektvoll, selbst wenn Ihr verschiedener Meinung seid. Merkwürdig – vor mir hat er nie Respekt gehabt!“
„Hans, sei vernünftig und treibe nicht schon wieder Possen,“ sagte Michael verweisend. „Ich dächte, Du hättest allen Grund, ernsthaft zu sein.“
„Mein Gott, was soll ich denn thun! Ich habe nun einmal kein Talent zu der Rolle des zerknirschten Sünders. Wenigstens hast Du mir die allerhöchste Erlaubniß ausgewirkt, in Tannberg zu bleiben, so lange Dein Urlaub währt, und wenn wir nach Hause zurückkehren, wird sich der Sturm wohl einigermaßen gelegt haben. Doch da ist der Weg! Bringe dem Onkel Valentin noch einen Gruß von mir. Ich habe ihn wieder einmal ,kompromittirt‘ durch meinen Besuch, als Sohn meines Vaters, aber er hat es ja selbst gewollt. Auf Wiedersehen, Michael!“
Er winkte seinem Freunde noch einmal zu und schlug dann einen Seitenweg ein, der bergabwärts führte. Michael sah ihm nach, bis er zwischen den Tannen verschwand; dann trat er gleichfalls den Rückweg nach dem Dorfe an.
Er befand sich seit einigen Tagen in Sankt Michael, und gestern hatte auch Hans dort einen kurzen Besuch abgestattet. Es war ein seltener und langersehnter Besuch für den Pfarrer, der es schmerzlich genug empfand, daß seine nächsten Angehörigen ihm für gewöhnlich fern blieben und bleiben mußten. Man machte ihm jeden Verkehr mit dem Bruder zum Vorwurfe, der allerdings der religiösen Richtung als erklärter Gegner gegenüberstand. Sie sahen sich nur in den Zwischenräumen von Jahren, wenn der Professor einmal bei den Verwandten in Tannberg war. Daß es aber dennoch bisweilen geschah, und daß sie in Briefwechsel standen, erklärte es vielleicht, wie Valentin Wehlau in dem einsamen Alpendorfe gelassen und – vergessen werden konnte.
Michael dagegen war in den letzten Jahren öfter bei seinem alten Freunde und Lehrer gewesen, aber der Lieutenant Rodenberg war eine völlig neue Erscheinung für die Bewohner von Sankt Michael, die sich kaum noch des blöden, scheuen Buben aus der Försterei erinnerten, den sie ja überhaupt nur äußerst selten zu Gesicht bekamen. Er hatte ihnen stets als ein Verwandter Wolfram’s gegolten, der auch dessen Namen führte, und die Bergförsterei war längst in anderen Händen. Graf Steinrück hatte seinem ehemaligen Jäger eine bessere Stellung mit reicherem Gehalte auf einem der Güter seines Mündels zugewendet, vielleicht als Belohnung für die geleisteten Dienste, vielleicht auch, weil er durch Nichts mehr an die Vergangenheit erinnert sein wollte, wenn er nach dem ihm jetzt gehörigen Schlosse kam. Jedenfalls hatte Wolfram schon vor zehn Jahren die Gegend verlassen und war nach seinem neuen Wohnorte übergesiedelt.
Als Michael in das Pfarrhaus zurückkehrte, das er vor einer halben Stunde in gewohnter Stille und Einsamkeit verlassen hatte, fand er dort eine seltsame Aufregung. In der Küche hantirte die alte Magd voll Eifer und Geschäftigkeit mit Töpfen und Pfannen, als gelte es ein Gastmahl zu rüsten. Sie hatte sich jedenfalls Hilfe aus den benachbarten Gehöften herbeigeholt, denn zwei junge Bauermädchen liefen treppauf, treppab, in den Giebelzimmern wurde geräumt und gelüftet, das ganze sonst so friedliche Hauswesen schien auf dem Kopfe zu stehen, und der Meßner verabschiedete sich soeben eilfertig und mit höchst wichtiger Miene, als Rodenberg in das Studirzimmer des Pfarrers trat.
In dem kleinen Raume hatte sich nichts verändert, es war noch die alte Einrichtung mit ihrer klösterlichen Einfachheit: die weißgetünchten Wände, der mächtige Kachelofen, das geschnitzte Krucifix in der Ecke, und auch noch die alten Möbel von schlichtem Tannenholz; die Zeit war an dem Allem spurlos vorüber gegangen, nur an dem Bewohner nicht.
Der Pfarrer hatte recht gealtert. Während sein Bruder, der allerdings um mehrere Jahre jünger war, sich noch die Kraft und Frische des Mannesalters bewahrt hatte, machte er bereits den Eindruck eines Greises. Die Gestalt war gebeugt, das Gesicht tief durchfurcht, das Haar weiß geworden, nur die Augen strahlten noch in dem alten milden Glanze und täuschten bisweilen hinweg über das Müde, Gebrochene der ganzen Erscheinung.
„Was giebt es denn, Hochwürden?“ fragte Michael etwas verwundert. „Das ganze Haus ist ja auf einmal in Unruhe und Aufregung, und die alte Katrin hat so vollständig den Kopf verloren, daß sie davonlief, ohne mir Rede zu stehen.“
„Uns ist ganz unerwartet ein Besuch angekündigt worden,“ entgegnete Valentin, „ein vornehmer Besuch, der schon einige Umstände beansprucht. Kaum warst Du mit Hans fort, so kam ein Bote mit einem Briefe der Gräfin Steinrück, sie wird in zwei Stunden hier sein.“
Der junge Mann, der eben im Begriff war, sich niederzusetzen, hielt betroffen inne.
„Gräfin Steinrück? Was will sie denn hier in Sankt Michael?“
„Den Wallfahrtsort besuchen. Die Gräfin ist eine sehr fromme Frau und versäumt das niemals, wenn sie im Schlosse ist. [539] Ueberdies ist unsere Kirche eine Stiftung ihrer Familie und verdankt ihr persönlich manche Zuwendung. Sie besucht fast alljährlich die Ruhestätte ihres Gemahls und kommt dann regelmäßig auch hierher.“
„Und kommt sie allein?“ Die Frage hatte etwas Athemloses, Gepreßtes, um so ruhiger klang die Erwiderung des Pfarrers.
„Nein, mit ihrer Tochter und mit der nöthigen Bedienung. Du wirst für heute das Gastzimmer räumen müssen, Michael, die doppelte Bergfahrt ist an einem Tage zu anstrengend für die Damen, sie bleiben stets über Nacht und nehmen alsdann mit der einfachen Gastfreundschaft des Pfarrhauses vorlieb. Ich habe Deinetwegen schon mit dem Meßner gesprochen, der Dir bis morgen Unterkunft gewähren wird.“
Michael erwiderte keine Silbe, er trat an das Fenster und blickte mit verschränkten Armen hinaus. Endlich, nach einer ganzen Weile, sagte er halblaut:
„Ich wollte, ich wäre mit Hans gegangen!“
„Weßhalb? Vielleicht weil die Damen den Namen Steinrück führen, und weil Du nun einmal Alles in Acht und Bann gethan hast, was diesen Namen trägt? Wie oft schon habe ich Dich ermahnt und gebeten, Dich von diesem unchristlichen Hasse los zu machen!“
„Von meinem Hasse?“ wiederholte der junge Mann mit eigenthümlich erzitternder Stimme.
„Nun, was ist es denn sonst? Als Du mir neulich von dem Zusammentreffen mit Deinem Großvater berichtetest, habe ich gesehen, wie starr und unversöhnlich Du noch immer daran festhältst, und jetzt überträgst Du das sogar auf die ganz unbetheiligten Verwandten des Grafen, von denen Du nur Freundlichkeit empfängst. Du hast mir allerdings nichts von der Bekanntschaft erzählt, aber Hans that es um so ausführlicher. Er scheint ja ganz begeistert zu sein von der jungen Gräfin.“
„So lange er sie vor Augen hat! Und sobald wir wieder in der Stadt sind, hat er sie vergessen – ihm wird das leicht genug.“
Die Worte sollten spöttisch sein und klangen so bitter, daß Valentin befremdet den Kopf schüttelte.
„Das ist in diesem Falle ein Glück,“ erwiderte er. „Es wäre traurig, wenn Hans die Sache ernst nähme, denn ganz abgesehen von dem Standesunterschiede, ist die Hand der Gräfin Hertha längst versagt.“
„Versagt – an wen?“ fragte Michael jäh und heftig, indem er sich umwandte.
„An den Grafen Raoul Steinrück, ihren Verwandten. In jenen Kreisen werden die Verbindungen meist durch Familienbeschluß geregelt, und das ist auch hier geschehen, schon vor Jahren. Eine Verlobung hat allerdings noch nicht stattgefunden, weil die Gräfin sich noch nicht zur Trennung von ihrer Tochter entschließen konnte, die Sache steht aber nahe bevor.“
Der Pfarrer, der als ehemaliger Beichtiger der Gräfin noch jetzt ihr ganzes Vertrauen besaß, war in den Verhältnissen ihrer Familie genau bewandert, er erörterte sie jetzt in voller Ruhe und mit einiger Umständlichkeit, und darüber entging es ihm, daß sein Zuhörer so völlig verstummt war. Michael hatte sich wieder dem Fenster zugewendet, er preßte die Stirn gegen die Scheiben und verharrte noch in dieser Stellung, als die Erzählung längst zu Ende war.
„Sie werden heute viel Unruhe im Hause haben, Hochwürden,“ sagte er endlich, „und ich möchte auch dem Meßner keine Umstände machen. Es wäre Wohl das Beste – ich ginge nach der Försterei und bliebe dort bis morgen.“
„Was fällt Dir ein!“ rief Valentin unwillig. „Ich begreife Deine Zurückhaltung, die Dir Hans zum Vorwurf macht, aber das geht denn doch zu weit.“
„Die Gräfin weiß nichts von meinem Hiersein, und wenn Sie es ihr verschweigen –“
„So erfährt sie es durch Katrin oder den Meßner. Ein Gast ist eine Seltenheit in meinem einsamen Pfarrhause, die Leute reden jedenfalls davon, und wie soll ich dann der Gräfin gegenüber Deine Flucht entschuldigen?“
„Flucht?“ fuhr der junge Officier auf.
„Nun, dafür muß sie es doch halten, da sie Deine Beziehungen zu ihrer Familie nicht kennt.“
„Sie haben Recht,“ sagte Michael mit einem tiefen Athemzuge. „Es wäre Flucht und Feigheit – ich werde bleiben!“
„Ja, vernünftigen Vorstellungen bist Du nicht zugänglich,“ meinte Valentin mit einem flüchtigen Lächeln, „aber sobald man vom Fliehen spricht, regt sich der Soldat in Dir und zwingt Dich, Stand zu halten. – Doch ich muß jetzt sehen, was Katrin schafft; sie scheint wirklich den Kopf verloren zu haben, ich werde ihr wohl mit Rath und That beistehen müssen.“
Michael blieb allein zurück. Er hatte ja fort gewollt, man zwang ihn ja, zu bleiben, und doch wandten sich seine Augen aufleuchtend der Fahrstraße zu, die sich dort drüben aus dem Thale emporwand. Flucht! Der junge Krieger war so empört aufgefahren bei dem Worte, und er war doch seit Wochen auf der Flucht vor einer Macht, der er sich nicht beugen wollte, und die ihn trotz alledem zu erreichen wußte. Als sei sie mit einem Dämon im Bunde, so nahte sie ihm immer wieder, dort unten in dem glänzenden Wogen und Treiben der Gesellschaft und hier in dem einsamen Alpendorfe; gerade dann, wenn er sie am fernsten wähnte, tauchte sie urplötzlich vor ihm auf. Jetzt hieß es wieder einmal ihr Auge in Auge gegenüberstehen, und Michael wußte, was das für ihn bedeutete, aber als er sich jetzt emporrichtete, finster, entschlossen, kampfbereit, da sah er nicht aus, als ob er unterliegen werde.
Die erwarteten Gäste waren zur festgesetzten Zeit eingetroffen, die Gräfin in einem kleinen, eigens für solche Fahrten bestimmten Bergwagen, während ihre Tochter es vorgezogen hatte, den Weg zu Pferde zurückzulegen. Eine Kammerfrau, die mit im Wagen fuhr, und ein gleichfalls berittener Diener begleiteten die Damen, denen sich die Gräfin Hortense ursprünglich hatte anschließen wollen, aber sie litt noch an den Folgen eines Nervenanfalles, der ihr die anstrengende Bergfahrt verbot.
Die Damen hatten gleich nach der Ankunft ihre Andacht in der Kirche verrichtet, und die feierliche Messe fand erst morgen früh statt. Jetzt war es Nachmittag geworden, und der Pfarrer schritt, in Begleitung seiner beiden jüngeren Gäste, langsam durch das Dorf. Die Gräfin, die sich ermüdet fühlte, war im Pfarrhause zurückgeblieben, Michael dagegen hatte sich dem Spaziergange angeschlossen oder vielmehr anschließen müssen, denn Gräfin Hertha, die es gewohnt war, sehr souverain über ihre ganze Umgebung zu verfügen, hatte ihn in einer Weise dazu aufgefordert, die keinen Widerspruch duldete.
Man befand sich bereits in der Mitte des September, aber der Tag war ungewöhnlich heiß gewesen. Das machte sich selbst in dieser Höhe fühlbar, es herrschte eine schwüle, drückende Temperatur. Die Matte, auf der Sankt Michael zerstreut lag, stand allerdings noch im hellen Sonnenschein und der Himmel war noch klar, aber die Nebel zogen unruhig an der Bergwand hin, und um die Gipfel, die sich bald verschleierten, bald wieder lichteten, begann sich dunkles Gewölk zu sammeln.
„Ich fürchte, wir werden heut Abend ein Wetter bekommen,“ sagte Valentin. „Es war ja auch ein Tag wie mitten im Hochsommer.“
„Ja, das haben wir auf unserer Bergfahrt empfunden,“ stimmte Hertha bei. „Glauben Sie, daß wir an den Rückweg denken müssen?“
„Nein,“ erklärte Michael mit einem prüfenden Blick nach den Bergen. „Wenn das Gewölk sich dort drüben an der Adlerwand sammelt, wie eben jetzt, hängt es meist stundenlang an den Felsen, ehe es wirklich losbricht, und geht auch gewöhnlich in die Thäler nieder, ohne uns zu berühren. Ein Wetter wird es allerdings geben – da blitzt schon Sankt Michael’s Flammenschwert auf!“
Er wies hinüber nach der Adlerwand, wo es in der That aufblitzte, noch matt und fern, aber doch deutlich wahrnehmbar.
„Sankt Michael’s Flammenschwert?“ wiederholte Hertha fragend.
„Gewiß, kennen Sie nicht den alten Volksglauben, der überall in den Bergen verbreitet ist?“
„Nein, ich bin ja immer nur auf kurze Zeit hier gewesen und kaum jemals mit dem Volke in Berührung gekommen.“
„Nun, jener Glaube sieht in den Blitzen das Schwert des zürnenden Erzengels, das aus den Wolken hervorzuckt, und die Gewitter, die ja oft genug in den Thälern Unheil anrichten, gelten für sein Strafgericht.“
[540] „Sankt Michael liebt den Sturm und die Flammen,“ sagte Hertha lächelnd. „Ich bin immer sehr stolz darauf gewesen, daß gerade der Heerführer des Himmels, der mächtige Kriegs- und Schlachtenengel, der Schutzpatron unseres Hauses ist. Sie führen ja auch seinen Namen, gerade wie mein Onkel Steinrück.“
Valentin warf einen raschen, etwas besorgten Blick auf seinen ehemaligen Zögling, aber das Gesicht desselben blieb unbewegt, und er erwiderte mit voller Gelassenheit:
„Jawohl – zufälligerweise!“
„Der Tag des Heiligen steht ja nahe bevor,“ wandte sich die junge Gräfin an den Pfarrer. „Der Wallfahrtsort ist dann wohl zahlreich besucht, nicht wahr, Hochwürden?“
„Die Bewohner der benachbarten Dörfer pflegen dann allerdings zu kommen, aber das eigentliche hohe Kirchenfest unseres Wallfahrtsortes fällt in den Mai, auf den Tag, der Michael’s Erscheinung kündet. Da strömt das ganze Gebirgsvolk herbei, von den fernsten Höhen und aus den entlegensten Thälern, so daß Kirche und Dorf gewöhnlich nicht die dichtgedrängte Menge zu fassen vermögen. Die Legende läßt den Erzengel an jenem Tage noch immer unsichtbar von der Adlerwand niedersteigen und mit seinem leuchtenden Schwert die Erde furchen, wie es sichtbarlich vor Jahrhunderten geschah, als das Heiligthum gegründet wurde.“
Sie waren bei den letzten Worten stehen geblieben, an einem Krucifix, das sich hier einsam auf grüner Matte erhob und grade nach der Adlerwand hinüberblickte. Ein Wildrosenstrauch rankte sich an dem Stamme des Kreuzes empor, das er fast überwucherte. Die dichten, grünen Zweige überschatteten und umspannen das heilige Bild, wie ein lebendiger Rahmen, dessen Blüthenpracht freilich längst dahin war. Dennoch hatten die warmen sonnigen Herbsttage noch einige späte Knospen erschlossen, nicht duftend und farbenreich, wie ihre Schwestern drunten in der Ebene, blasse, wilde Gebirgsrosen, die, heute erblüht, morgen vom Sturme entblättert werden, und doch schimmerten sie rosig in dem dunklen Grün, wie ein letzter Gruß des scheidenden Sommers.
Ein junger Bauer näherte sich jetzt mit abgezogenem Hute und etwas schüchtern der Gruppe, er hatte eine Anliegen an den Herrn Pfarrer, den er schon im Dorfe gesucht hatte. Die Mutter sei wieder recht krank und begehre dringend den Zuspruch Seiner Hochwürden; das Häuschen liege ja ganz nahe, kaum zweihundert Schritte weit, und wenn Hochwürden nur auf einige Minuten kommen wolle, so werde die Kranke schon erfreut und getröstet sein.
„Da werde ich wohl mit dem Hies gehen müssen,“ sagte Valentin. „Ich lasse die Gräfin unter Deinem Schutze, Michael, wenn sie in das Pfarrhaus zurückehren will –“
„Nein, Hochwürden, wir erwarten Sie hier;“ fiel Hertha ein. „Der Blick auf die Adlerwand ist ja prachtvoll!“
„Ich komme auch bald zurück,“ versicherte der Pfarrer, indem er mit freundlichem Gruße das Haupt neigte und dann in Begleitung des Hies nach dem nahen Häuschen schritt, in dessen Thür sie beide verschwanden.
Das unerwartete Alleinsein, das erste, seit sie sich überhaupt kannten, schien die beiden Zurückgebliebenen in Verlegenheit zu setzen, denn das eben noch so lebhafte Gespräch verstummte plötzlich.
Ausstellungs-Briefe.
Darf ich Ihnen heute noch einmal etwas von der Jubiläums-Ausstellung vorplaudern? Diesmal will ich von dem Künstlerfeste berichten, dem ‚griechischen Feste‘, welches uns in so wundervoller Pracht das Leben und Treiben des kriegstüchtigen und zugleich kunstfrohen Hellas auf wenige Stunden vorzauberte. – Als ich am Abend des 25. Juni den Ausstellungspark betrat – waren sämmtliche Tribünen bereits besetzt. Was sich in Berlin zur „Intelligenz“ rechnete und das Geld lose in der Tasche fühlte – zwischen zehn und dreißig Mark schwankten die Preise für die Eintrittsbillets – hatte sich eingefunden.
Schon gegen halb sechs Uhr waren alle Sitze vergeben, und selbst der Oberbürgermeister von Berlin, Herr von Forckenbeck, mußte sich mit einem Stehplatze an der Treppe des Pergamenischen Tempels begnügen.
Freilich befand sich hier der Beschauer in unmittelbarster Nähe alles Dessen, was sich in den folgenden Stunden abspielen sollte; denn der Zug, von dem Ausgangspunkt – der Stadtbahn – beginnend, erreichte auf dem Platze vor dem Tempel sein Endziel.
Eine allgemeine Bewegung machte sich bemerkbar, als mit dem Schlage sechs Uhr das kronprinzliche Paar mit seiner Begleitung eintraf.
Der Kronprinz war in blauer Dragoneruniform erschienen und ragte mit seiner Gestalt hoch unter den Mitgliedern des ihn bewillkommnenden Festausschusses hervor.
Nun säuberten die angestellten Beamten den großen Platz um den Obelisken, und der Aufzug begann.
Vorher erschien auf dem Altarplatz des Tempels der Herold. (Professor Hertel) und theilte mit laut vernehmbarer Stimme dem Publikum das Programm mit:
„Posaunen erwecken die alte Zeit,
Lebendig wird Längstvergangenes heut.
Zweitausend Jahre denket zurück,
Ihr Schaut die Tage von Pergamons Glück.
Barbaren bedrohten Reich und Land,
Der König schlug sie mit starker Hand.
Nun kehrt er heim, mit dem Siege geschmückt,
Die Seinen umjauchzen ihn hochentzückt. –
Zu opfern nahet dem Altar
Held Attalos mit Heeresschar.“
Tubenstöße verkündigten alsdann das Herannahen des Herrschers. Ein Zug von etwa 1500 Menschen setzte sich in Bewegung. In feierlichem Schritt erschien zunächst der Areopag, und hinter ihm scharten sich die Musiker mit bronzenen Riesentuben und antiken Pauken. Sodann wälzte sich ein etwa 100 Personen umfassender Volkshaufe, Männer, Frauen, Jungfrauen und Kinder heran, dem ein Treffen von Kriegern folgte.
Diesen reihten sich in einem nicht enden wollenden Zuge die Gefangenen: Parther, Indier, Syrier, sowie auch das nubische Kriegsvolk in einem wunderbar wirkenden Farbengemisch der Kostüme an. Hinter ihnen die Trophäenträger, Flötenbläser, Wagen mit Kostbarkeiten und Beute, umringt von rufendem, schreiendem und musicirendem Volk. Dann Mauerbrecher, Steinschleuderer in großen Haufen, abermals Wagen, nochmals Trophäen, Opferthiere, Schafe, Esel, Kamele begleitendes Kriegsvolk, gefangene Fürsten, Leibwache, Priesterinnen und Tänzerinnen, Knaben und Mädchen mit vergoldeten Körben und Blumen, Fackelträger, Wettkämpfer, gefangene Königinnen auf Pferden und Kamelen, auch ein antiker Wagen aus Cypressenholz, von Ochsen gezogen, und abermals Volk.
Und mitten unter diesem Gewirr von Thieren und Menschen, letztere in glitzernden Harnischen und rautenverzierten Helmen, in phantastischen Kostümen mit Lanzen, Waffen, Tigerfellen, Decken, Panther- und Wolfspelzen – mitten in diesem farbenprächtigen und lebendigen Wirrwarr – der von vier weißen, prächtig
[541][542] geschirrten Schlachtrossen gezogene, durch die goldene Siegesgöttin beschirmte Triumphwagen des Königs Attalos, in dem er selbst, hochaufgerichtet, das ihn umjubelude Volk begrüßte. Auf seiner Brust strahlte eine goldene Sonne, ein goldgestickter Purpurmantel wallte von seinen Schultern herab. Beim Herannahen des Zuges schritten weißgekleidete Priester die Tempelstufen herab – voran Knaben; dann, von dem Oberpriester geführt, die Priester, die Priesterinnen und der Chor der Sänger. Diese stellten sich an dem vor dem Obeliskenplatze errichteten Triumphbogen auf, empfingen den Herrscher mit Gesang, segneten ihn und schlossen sich dann dem Zuge wieder an. Fanfaren ertönten, und Evoë-Geschrei erhob sich im Volke, als der König die Stufen des Tempels emporstieg.
Nun nahm der Areopag oberhalb des Altars neben der Athene-Gruppe Aufstellung. Auf diesem selbst wurden die Feuer entzündet, und der Herrscher trat vor denselben.
Inzwischen hatten sich sämmtliche Mitglieder des Zuges in malerischen Stellungen auf die Freitreppe gelagert. Ein wundervoller Anblick!
Zunächst sprach der Oberpriester (Fingerling) in gebundener Rede. Sanfte Flötenmusik erscholl. Dann ergriff dieser noch einmal das Wort, und wieder erklang der Instrumente eigenthümlich eintönige Weise. Nun erfolgte das eigentliche Opfer, welches von Männerchorgesang und Orchestermusik begleitet ward.
Das große Standbild der Pallas Athene ward herbeigetragen und nach feierlichem Umzug hinter dem Opferort aufgerichtet.
Endlich sprach auch der König (Professor Paulsen) mit lauttönender Stimme zu dem Volke. Nach ihm hielt die Priesterin (Fräulein Geßner vom Deutschen Theater) eine Ansprache, und unter den Klängen des von Professor Joachim komponirten Hymnus begann jetzt die Opferhandlung. Priester und kerzenschwingende Priesterinnen umkreisten den Altar. Als der Oberpriester seine heilige Handlung verrichtet, begann der Reigentanz der Priesterinnen, die mit anmuthiger Bewegung Blumenkränze schwangen, um sie endlich auf den Altar niederzulegen. Und jetzt ein brausendes Evoë-Rufen des Volkes, da die Gefangenen vom König freigegeben worden waren. Abermals Musik und abermals Chorgesang und ein bewegtes Treiben auf und ab und hin und her unter den zahlreichen Menschen. Damit hatte das eigentliche Opferfest sein Ende erreicht und es folgten die Kampfbelustigungen auf dem freien Raum vor dem Tempel: Athletenspiele, Schwertertänze, Wettläufe, Ring- und Faustkämpfe, Lanzenwerfen, Wettlaufen mit Fackeln, Turniere der berittenen Fürsten und die Verleihung des Siegerkranzes durch den König Attalos. Den größten Beifall fand der Reiterkampf, welchen unser Künstler in seiner untenstehenden Illustration wiedergegeben hat. Einem der Reiter wurde das Schwert aus der Hand geschlagen, aber er verlor keineswegs die Geistesgegenwart; kurz entschlossen, umschlang er den Gegner und hob ihn aus dem Sattel.
Endlich gelangte noch auf der Freitreppe eine von Dr. Emil Jacobson, Dr. Stinde und Bildhauer Neumann erdachte und geleitete Pantomime „Der Bildhauer von Tanagra“ zur Darstellung, welche, von frischem Humor durchweht, die kleinen Nöthen und den Triumph des Künstlers der Gegenwart unter glücklich gewählter antiker Maske wiedergab.
Nach Beendigung dieses Schlußspiels verließ Fürst Attalos mit seinem bunten Gefolge den Tempel, und das großartige Volksfest, eingeleitet durch ein von Musik und Männerchor begleitetes Opfer am Dionysostempel vor dem Eingang des Platzes, nahm seinen Anfang.
Bei diesem Abzug ward den Zuschauern die erste Gelegenheit geboten, alle Einzelheiten in der überaus großen Mannigfaltigkeit der Anzüge näher in Augenschein zu nehmen. Viele der jüngeren Künstler haben wochenlang studirt, um aufs Peinlichste ihr Kostüm der vergangenen Zeit anzupassen. Die Führer der einzelnen Züge mußten zum Theil monatelang ihre sonstige Thätigkeit einstellen, um ihrer verantwortlichen Aufgabe gerecht zu werden. Schmuck: Ringe, Ohrringe, Armreifen, Taschen, Stäbe, Kopfbedeckungen, Sandalen, Schwerter, Kostüme etc. wurden mit Fleiß herbeigeschafft, und in Allem machte sich eine Treue und Gediegenheit bemerkbar, welche auch bei Tageslicht [543] Stand hielt. Kurz vor Beendigung des Opferfestes wandte ich einmal den Blick zurück und überschaute das ganze Bild. Gerade tauchte die Abendsonne den Platz und seine Umgebung in unnachahmliche Farben. Hell flimmerte das Haupt der Siegesgöttin vom Triumphwagen des Königs. Von den Epauletten der Officiere, dem Schmuck der Damen, aus den Gläsern und Opernguckern blitzten tausend kleine goldene Fünkchen, und das Grün der Bäume und Gebüsche war von dem Gold des Himmels durchgluthet. Und ringsum in den Fenstern, auf den Dächern der anliegenden Straßen Tausende von Zuschauern, die auf das Schauspiel herabsahen.
Von der Physiognomie des in immer wieder wechselnden Farben auftauchenden Parkes mit seinem Gewühl und Treiben und allen Sehenswürdigkeiten eine erschöpfende Beschreibung zu geben, ist schwer.
Denken Sie sich den großen Garten mit seinen herrlichen von elektrischem Licht umflossenen Springbrunnen, seinem von tausend glitzernden Lichtern umgebenen See, die großen Tempel, eingetaucht bald in rothes, bald in grünes magisches Licht, aus den Gebüschen hervorlugende schneeweiße Statuen, Götterbilder, Nachbildungen der Kunst, bald ernst, bald launig, Altäre, kleine Tempel, daneben Verkaufsbuden, phantastisch aufgeputzt, bemalt und beschrieben mit griechischen Inschriften, in ihren Räumen buntgekleidete Nubier, Perser und Griechen, Tausende von kleinen Flammen in bunten Gläsern, die entweder ein kleines Theater oder eine Schaubude umrahmen – teppichbelegte und mit vielfarbigen Stoffen umhüllte Tribünen mit singenden, auf griechischen Instrumenten musicirenden Menschen im Kostüm des Alterthums. Ausrufer und Anpreisende, geschmückt mit Perlen, Federn und Pelzen, herumziehende Kapellen, dann Lager für die Krieger mit Zelten und Waffenplätzen, wieder Schaubühnen, dekorirt mit persischen und indischen Stoffen. Ueberall Rufen, Schreien, Singen, Musiciren, Tanzen! In den Wegen alle die Tausende, unter ihnen die Künstler und deren Frauen: griechische Krieger, Priesterinnen, rosengeschmückte Jungfrauen, behelmte ergraute Feldherren! Und aus den Restaurants, aus dem Café das Schwirren, Summen und Lachen der Menge, das Hin und Her der Dienenden, die Musik, das Treiben, das Auf- und Abwogen aller dieser der fröhlichsten Lust sich hingebenden, zahlreichen Menschen. Das für Eindrücke empfänglichste Auge war kaum im Stande, das Alles aufzunehmen. Eine solche Fülle von Licht, Farben, Tönen, ungewohnten Bildern und ungewohnten Erscheinungen war sinnverwirrend. Das Publikum zog von einem Schautempel zum anderen. Unterwegs hielten Inhaber der Verkaufsbuden Vorübergehende auf. Ueberall erscholl das Angebot: Schmuck! Schmuck! Pergamenische Postkarten! Oliven! Oliven! Kauft Blumen! Wegweiser durch das pergamenische Gedränge! Vasen, Perlen, Broschen, Armbänder hier, griechische Getränke dort. –
Das trojanische Pferd, die Menagerie, das griechische Tingel-Tangel, die Osteria mit ihrer märchenhaften Umgebung, der große Restaurantsaal mit seinen essenden, trinkenden, schwatzenden, rauchenden Menschen: überall, wohin man sah, ausgelassenstes Leben! Selbst das Reich der stummen Geister, der dunkle Hades, wurde von frohen Scharen bestürmt. Man hatte einen der kleinen Teiche des Parks durch hohe „Felswände“ von Pappe in den Styx umgewandelt. Charon hielt mit seinem Nachen am Ufer, verhüllte Jedem, der nach der Unterwelt begehrte, das Haupt mit einem fahlgrauen Mantel und fuhr ihn für zwanzig Pfennig hinüber. Drüben spie ein dreiköpfiger Cerberus den Ankommenden Feuer und Qualm entgegen. An diesem aus Thon gefertigten Ungeheuer vorbei führte der Weg in eine enge Felsenhöhle, von der aus man durch Spalten unabsehbare Scharen der Abgeschiedenen einherschweben sah. Nach kurzer Wanderung im Stockfinstern gelangte man endlich in eine kleine Grotte, wo zwei mitleidige jungfräuliche „Schatten“ den durstigen Seelen in [544] antiken Krügelchen „Lethe“ reichten – den Trank der Vergessenheit. Doch wer von diesem Lethestrom, der wie ein trefflicher Wein mundete, gekostet hatte, dem entschwand keineswegs die Erinnerung für das herrliche Fest der Künstler, welches allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben wird. – Tausende haben geholfen, das Fest zu Stande zu bringen, ungeheure Summen hat es gekostet – und beispiellos war das Gelingen! Berlin wird sich desselben noch in spätester Zeit erinnern – in einer Zeit, wo hoffentlich nicht minder die Verhältnisse gestatten, sich an den Werken des Friedens, der Kunst und Schönheit zu erfreuen.
Was will das werden?
Mit schweren Gedanken machte ich mich spät am Abend auf den weiten Weg zu Adele. Der Graf hatte zu einer wichtigen Besprechung mit seinen Freunden gemußt. So schienen denn in der niedrigen Mansarde die holden Stunden traulichen Beisammenseins wiedergekehrt, die ich einst mit ihr verlebt hatte in der sonnebeglänzten Villa und dem schattigen Wäldchen auf ihrem und meinem Lieblingsplätzchen, über dem aus der Linden und Kastanien dichtem Gezweig die Vögel in unser Plaudern hineinsangen. Und hier galt es keinen Schein: sie waren wiedergekehrt, nur holder noch, als sie damals sein konnten bei dem bangen Klopfen meines thörichten Herzens, in dem es jetzt so still und zugleich so bewegt war, wenn sie – wie damals – ihre Hand in der meinen ruhen ließ, oder gar mich küßte, wie sie es damals nicht gedurft hatte.
„Ich weiß nicht, wie ich es fertig gebracht habe, der Versuchung, die manchmal schier allmächtig war, widerstehen zu können,“ sagte sie lachend.
„Und Du hast ihr ja auch nicht immer widerstanden,“ erwiderte ich. „Denkst Du des Abends, als Du von dem Herzog kamst, der taub gegen Dein Bitten und Flehen gewesen war, und bei mir Trost suchtest? Im Wäldchen – erinnerst Du Dich? Es muß nach meiner Berechnung derselbe Abend gewesen sein, an welchem der Graf von Petersburg eintraf und Ihr, da mit Güte und Geduld und Harren nichts mehr auszurichten war, Eure entscheidenden Entschlüsse für die Zukunft faßtet.“
„Freilich erinnere ich mich,“ sagte Adele, „und daß ich es nachher bitter bereute, Dir damals nicht Alles, trotz des strengen Verbotes des Herzogs, gesagt zu haben. Es wäre dann vielleicht Alles anders gekommen.“
„Wie das, liebe Adele?“
„Glaubst Du nicht, Du würdest geblieben sein, hättest Du von mir erfahren, daß ich Deine Schwester war, und wir hätten Alles, ruhig mit einander besprechen können, statt es hernach wie ein Ungewitter über Dich Armen hereinbrechen zu lassen?“
„Soll ich offen sein?“ erwiderte ich. „Nein, Adele, ich glaube, vielmehr ich weiß, ich wäre auch dann nicht geblieben, obgleich ich zugeben will, daß ich so der traurigen Katastrophe hätte aus dem Wege gehen können. Aber frei machen mußte ich mich von dem Herzoge, genau so, wie ich überzeugt bin, daß Dein Gatte früher oder später den Herrendienst verlassen und sich zum Nihilismus bekennen mußte, auch wenn es keine Adele zu erringen gegolten hätte.“
„Ja, aber,“ sagte Adele – und jetzt war ihr Blick wieder ganz der alte, über ein eingefallenes Kartenhaus kindlich erschrockene – „bist Du denn auch ein so schrecklicher Revolutionär?“
„Ein schrecklicher keinesfalls,“ erwiderte ich lächelnd; „aber, beste Adele, bist Du denn von unserer Ueberzeugung nicht durchdrungen?“
„Ich?“ stammelte sie; „ich verstehe ja von diesen Dingen ganz und gar nichts. Vielmehr – Dir darf ich es ja sagen, Du mußt es aber um Himmelswillen Alexei nicht wiedersagen: was ich davon verstehe – ich meine, was Ihr wollt, das scheint mir ganz unmöglich, ganz unausführbar, als wenn Ihr Alle träumtet, daß Ihr fliegen könntet oder dergleichen, und es natürlich glaubt, weil Ihr eben träumt. Es hört sich ja auch ganz spaßig und oft ganz prächtig an, wenn man so dabei sitzt und Euch Eure Träume erzählen hört. Manchmal freilich wird mir angst und bange, und ich möchte rufen: aber so wacht doch auf! nur daß ich vor Alexei so großen Respekt habe und seine Augen nie schöner leuchten, als wenn er so träumt. Da bringe ich es nicht übers Herz.“
„Weißt Du, Adele,“ sagte ich; „eigentlich dürfte ein Mann gar nicht sitzend mit Dir sprechen, sondern müßte vor Dir auf den Knieen liegen und es als eine unverdiente Gnade ansehen, wenn er Dir die Füße küssen darf.“
„Du bist verrückt,“ sagte Adele.
„Nein,“ rief ich, „ich spreche nur aus, was ich empfinde und Jeder, der ein Mann ist, an meiner Stelle empfinden würde. Wie? Du theilst Deines Gatten Ueberzeugungen nicht: er ist Dir ein Träumer, ein Phantast, und ist es Dir jedenfalls auch schon gewesen, als er zuerst um Deine Liebe warb. Und Du verläßt Deine Welt, die Dir, wie Du nun einmal denkst, die beste der Welten ist und sein muß, um ihm in seine Traumwelt zu folgen, das heißt: in das Eis Sibiriens, in die tausend Gefahren einer abenteuerlichen Flucht, in das Elend der Verbannung – aus dem dolce far niente Deines Villalebens in die arbeitsame Misère dieser Mansardenexistenz – Alles, Alles, weil Du Deinen Alexei liebst! Und wir sollten nicht anbetend niedersinken vor der Hoheit einer Liebe, die wir mit den Gedanken nicht erreichen, geschweige denn nachempfinden können in unserem brutalen, egoistischen Männerherzen!“
Aus Adele’s Kehle kam das unvergessene, lang entbehrte, kindlich frohe, silberhelle Lachen. Und lachend hüpfte sie von ihrem Stuhle auf, setzte sich mir auf die Kniee und rief, mich bei den Ohren fassend: „Wenn Du Dich noch einmal brutal und egoistisch nennst, reiße ich Dir diese beiden hübschen Ohren ab.“ Und dann, sich auf meine Schulter beugend, dicht an meinem Ohre, leise: „Gesteh’ es nur: Du liebst noch immer die schöne Ellinor und denkst, daß sie Dir verloren ist. Und das läßt Dich so desperat sprechen – gestern von den Vogtriz, als auf Deine Verwandtschaft mit ihnen die Rede kam – und eben wieder von Dir, als ob Du schlecht wärest und nicht lieben könntest – Du, und nicht lieben können! – Gestehe es mir, daß es so ist! Gestehe es Deiner Schwester, Du lieber – dummer Junge!“
Es war eine alte Wunde, und ich glaubte sie längst, längst vernarbt. Und doch, als jetzt die liebste, lindeste Hand sie so berührte, durchzuckte mich ein jäher Schmerz, als stünde ich wieder am Fenster unsers Zimmers zu Nonnendorf und starrte nach der Stelle im Park, wo ich sie zuerst gesehen, von der sich in jener Stunde mein blutend Herz losriß für immer – losreißen wollte.
„Ich fürchte, Du hast Recht,“ flüsterte ich.
„Ob ich Recht habe!“ sagte Adele. „Dazu brauche ich Dir doch nur in die feuchten Augen zu sehen. Und nun laß uns einmal vernünftig sprechen!“
Sie war von meinen Knieen herabgeglitten und hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt, den sie dicht zu mir heranzog, so daß sie meine Hand fassen konnte.
„Also zuerst: das mit der Tischlerei mußt Du aufgeben. Alexei meint das auch, obgleich er, als ein Russe, sich doch eigentlich für den Unsinn begeistern müßte. In Rußland nämlich, da gehen die Herren Studenten und Studentinnen mit Vorliebe ins Volk, wie sie’s da nennen, und werden Dorfschneider und Volkslehrer – die Mädchen oft in Männerkleidern – und was dergleichen Tollheiten mehr sind. Das mag dort wohl noch eine Spur von Sinn haben und meinetwegen auch ganz gut und ehrenwerth sein; bei uns aber, wo ein Tischler ein Tischler und ein Gentleman ein Gentleman ist, wird das, meine ich, eine Komödie, und Du sagst ja selbst, zum Komödienspiel taugst Du nicht. Dein Bruder – der ja, Gott sei Dank, nicht Dein Bruder ist – muß sehen, wie er ohne Dich fertig wird. Versteht sich, daß Du ihn auch weiter unterstützest, wie Du es immer gethan, und wenn Du [545] kein Geld hast, wird Alexei es Dir schaffen. Er kann immer Geld haben – zu Parteizwecken, wie sie es nennen. Nun, und Du gehörst ja zur Partei, sagst Du selbst; folglich bleibt es in der Partei, und Du giebst es ihm wieder, sobald Du – nun paß’ aber auf, denn jetzt kommt die Hauptsache! – sobald Du Dich mit Deiner Mutter ausgesöhnt hast. Ich wußte es ja, daß Du auffahren und mir ein gräuliches Gesicht machen würdest, worüber Du Dich schämen solltest; aber daran darf man sich bei Euch Männern nicht kehren. Du sollst auch zu dem Zweck nicht den Demüthigen spielen, obgleich das einer Mutter gegenüber noch nicht so schlimm wäre; Du sollst überhaupt nichts thun, als mir erlauben, Deine Mutter zu bitten, daß sie Dich wieder sieht. Thut sie das – und ich bin überzeugt, daß sie es thun wird, wenn ich ihr schreibe – für das Uebrige lasse ich den lieben Gott sorgen. Er hat mir meinen herzigen Bruder nicht umsonst so gemacht, daß – vorausgesetzt, er ist artig und zieht die Stirn nicht wie jetzt in so häßliche Falten – ihm ein Frauenherz so leicht nicht widerstehen kann, am wenigsten das Herz einer Mutter.“
Die Liebe hatte sich so in Eifer geredet, sie mußte erst einmal wieder frischen Athem schöpfen. Ich wußte ja, daß jetzt sie es war, die da unmögliche Dinge träumte; aber es klang Alles so treu und gut – ich hatte nicht das Herz, sie aus ihrem Traum zu wecken.
„Und dann,“ fuhr sie fort, „wenn wir mit der Mama fertig sind – nein, fürchte nichts: ich sehe wohl, daß es mit Dir und dem Herzog nicht geht, obgleich es jammer-jammerschade ist – Ihr gleicht einander in so vieler Beziehung, und ich glaube, das ganze Unglück kommt daher, daß Ihr Euch zu ähnlich seid – also: wenn wir die Mama für uns haben und Du in der Gesellschaft die Stellung einnimmst, die Dir von Gottes– und Rechtswegen gebührt, dann gehen wir muthig auf das Hauptziel los. Mein Gott, sie ist ja dann schon so etwas wie Deine Kousine und ihr Vater, den Du so vergötterst, eine Art von Onkel. Da kann man ja ohne Weiteres wieder anknüpfen, ja muß es, wenn man nicht geradezu ungezogen sein will. Im Uebrigen verlasse ich mich wieder auf ein gewisses Paar blauer Augen, die, seitdem ich sie nicht gesehen, noch viel blauer und schöner geworden sind – die echten Vogtriz’schen Augen – die Vogtriz sollen ja, habe ich mir sagen lassen, Alle so schöne Augen haben, Fräulein Ellinor selbstverständlich die schönsten.“
„Aber nun bist Du doch mit Deinem Programm zu Ende?“ sagte ich mit einem Lächeln, das mir nicht von Herzen kam.
„Vollständig,“ sagte sie, ihr Schürzchen glatt streichend (ich glaube, es war ein russisches, mit einem weißen Grunde, über und über in einem wunderlichen Muster roth und blau benäht); „nun kannst Du reden, aber vernünftig, wenn ich bitten darf.“
„Also vernünftig,“ sagte ich. „Nehmen wir also an: Dein souveräner Wille ist geschehen: ich bin kein armer Tischler mehr, sondern flanire unter den Linden und klappere mit dem Golde in meinen Taschen. Dann –“
„Dann heirathest Du Ellinor, ganz richtig.“
„Die vielleicht, oder wahrscheinlich, oder ganz bestimmt seit Jahr und Tag verheirathet ist.“
„Fällt ihr gar nicht ein,“ rief Adele lachend.
Ein freudiger Schrecken durchzuckte mich, dessen ich mich doch im nächsten Augenblick schämte. Was ging es mich an!
„Ich weiß es von Fräulein von Werin,“ sprach Adele eifrig weiter. „Du mußt nämlich wissen, daß, seitdem wir vor drei Monaten hierher kamen – Alexei hatte schon vorher mit Deinem Freunde in Verbindung gestanden – sie stehen ja alle mit einander in Verbindung – mir ist es schleierhaft, wie sie in dem Menschenocean einander finden – ich auch die Bekanntschaft der Damen Werin gemacht habe und wenigstens mit Maria befreundet bin. Wir sehen uns nicht oft, aber wir sehen uns doch. Durch sie weiß ich von den Vogtriz, mit denen sie allerdings eigentlich in keiner Verbindung mehr steht, nur daß Ellinor sie ab und zu doch noch besucht. Verheirathet ist Ellinor nicht, so viel steht fest. Das Nähere kann Dir freilich nur Maria sagen, die Du ja doch jetzt sobald als möglich aufsuchen wirst. Da ist Alexei! Wo kommst Du denn schon so früh her?“
„So früh?“ sagte der Graf lachend, Adele auf die Stirn küssend und mir die Hand reichend. „Ei, meine Liebe, das könnte mich eifersüchtig machen, selbst auf einen sonst hochverehrten Schwager.“
Des Grafen Liebenswürdigkeit konnte doch den Zauber nicht wieder herstellen, den sein Kommen gebrochen hatte. Ich blieb noch eine kleine Weile, während er von den politischen Tagesereignissen einen Bericht gab, dem Adele und ich nur ein halbes Gehör schenkten. Nur einmal horchte ich auf, als er sagte, daß sich das Gerücht von der Ungnade, in welche der Oberst von Vogtriz gefallen, zu bestätigen scheine. Man gehe sogar so weit, ihm eine gewisse militärische Broschüre zuzuschreiben, die heute ausgegeben sei und mit ihrer scharfen Polemik gegen das herrschende System viel Staub aufwirbele. Adele unterdrückte nur mit Mühe ein leises Gähnen; auch ich empfand plötzlich schwer die Müdigkeit, welche ich bereits mitgebracht hatte. Wir schieden, nachdem mir Adele das Versprechen abverlangt, welches ich denn auch, halb schon träumend, gab, daß ich den Besuch der Damen Werin nicht länger als unumgänglich hinausschieben wolle.
Der neue, von Weißfisch herbeigeschaffte Geselle hatte sich am frühen Morgen versprochenermaßen eingefunden und erwies sich als ein fleißiger, bescheidener Mensch, der den Socialdemokraten, wenn er einer war, glücklicher Weise nicht herauskehrte. Leider aber war es noch ein Anfänger und von Natur wenig anstellig, so daß ich, ihm unsere Art und Weise der Arbeit beizubringen, meine liebe Noth mit ihm hatte. Dennoch durfte ich hoffen, unsere Lieferung für den Kunze’schen Neubau in der Königsstadt rechtzeitig fertig zu stellen, vorausgesetzt, daß mich mein Arm nicht in Stich ließ, dem ich jetzt mehr als sonst schon zumuthen mußte und der mir manchmal, besonders am Abend nach gethaner Arbeit und fast regelmäßig des Nachts, stundenlang die empfindlichsten Schmerzen verursachte. Ich fragte auch den Arzt, der zu den kranken Kindern kam; aber er schüttelte den Kopf und meinte, das sei ein Fall für einen Specialisten. Einen solchen aufzusuchen, hatte ich weder Zeit noch Geld. Das Letztere besonders war sehr knapp, nachdem ich meinen letzten Sparpfennig hergegeben hatte, so knapp, daß ich die Klingel an der Hausthür nicht mehr ohne Herzklopfen hören konnte, in der Furcht, es könnte einer der Gläubiger kommen, die wir noch immer hatten, oder gar Herr Kunze uns seinen Kredit kündigen. Glücklicher Weise war der Trau-schau-wem-Mann auf einer Geschäftsreise, von der er erst nächsten Mittwoch zurückerwartet wurde. Bis dahin mußte unsere Lieferung fertig sein, und dann würde uns nach Abrechnung des Vorschusses, den uns Herr Kunze gemacht, doch noch eine, wenn auch kleine Summe übrig bleiben.
Ueber meinen geschäftlichen und häuslichen Sorgen und Mühen vergingen mehrere Tage, ohne daß ich daran denken konnte, Adele wieder zu sehen, geschweige denn den versprochenen Besuch bei den Damen Werin zu machen. Seltsamer Weise war es ein Brief von Schlagododro, der mich schließlich wenigstens zu dem letzteren bestimmte.
Dieser Brief war die Antwort auf einen von mir – ich hatte mir seine augenblickliche Adresse von Christinen verschafft – in welchem ich ihm in trockner, geschäftsmäßiger Kürze die im Leben des Mädchens vorgegangene Veränderung mittheilte, und daß diese Veränderung wesentlich mein Werk sei. Ich hoffte von seiner Ehrenhaftigkeit, daß er keinerlei Versuch machen werde, sich meiner Schützlingin abermals zu nähern und ein Verhältniß wieder anzuknüpfen, unter welchem dieselbe bereits mehr als zu viel gelitten habe.
Seine Antwort lautete:
„Liebes Kind – denn das bist und bleibst Du mir, wie ich für Dich Schlagododro bleibe, wenn Du mich auch Sie und Ulrich schimpfst und überhaupt an mich schreibst, als wäre ich schon ein Dutzendmal vorbestraft und hätte neuerdings wieder silberne Löffel gestohlen. Und Alles das, weil ich ein hübsches und liebenswürdiges Mädchen hübsch und liebenswürdig gefunden, ihr das gesagt und durch diverse Küsse, die ich auf ihre reizenden Lippen gedrückt, und die sie mir, wenn ich nicht irre, zurückgegeben, besiegelt habe. Ist das ein Verbrechen, so muß ich mich freilich schuldig bekennen. Will auch gar nicht leugnen, daß es mir verteufelt schwer ankommt, nun Urfehde schwören zu sollen, oder aber in Bann und Acht gethan zu werden, wie Du mit einer Deutlichkeit androhst, die nichts zu wünschen übrig läßt. Na, Kind, weil Du es bist! Jeder Andere, der sich herausnähme, ,von meiner Ehrenhaftigkeit etwas zu hoffen', auf deutsch: an [546] meiner Ehrenhaftigkeit einen gelinden Zweifel zu hegen, der sollte die Worte – still, alter Korpsbursch!
Kind, ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich über Deinen hölzernen Brief gefreut habe. Wüßte ich noch nicht, wie gut ich Dir geblieben bin, ich wüßte es jetzt. Du glaubst ja in Deiner idealistischen Unschuld gar nicht, wie voll die Welt von Narren und Schurken ist, und kannst deßhalb nicht nachempfinden, wie unser einem, die wir in dieser realen, urgemeinen Welt zu leben verdammt sind, das Herz aufgeht, wenn so ein liebes ehrliches, enthusiastisches Gesicht, wie das Deine, nach so langen Jahren wieder auf der Bildfläche erscheint. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß Du Dich nur die Spur verändert hättest und etwa nicht mehr aus den großen blauen Augen schautest, in die man bis auf den tiefsten Grund sehen konnte, oder Dir Nasenflügel und Lippen nicht mehr zuckten, sobald Dich etwas lebhaft bewegt. Ich – nun, ich bin geworden, was so ein grobsinnlicher Klotz werden mußte, nachdem ihn die einzige Hand, in der er Wachs gewesen sein würde, verworfen hatte. Grüß’ mir meine todte Liebe, wenn Du sie das nächste Mal wieder siehst – ich nehme an, daß Ihr Euren alten Verkehr wieder aufgenommen habt.
Leider muß ich noch einige Tage in dem elenden Nest ausharren, um mich mit Anstand aus einer Affaire zu ziehen, auf die ich mich niemals hätte einlassen sollen. Ich will mich lieber in der Hölle habilitiren als hier in diesem Schafstall. Dann ist mein erster Weg zu Dir. Thu’ mir nur die einzige Liebe und wirf bis dahin den Hobel nicht weg! Ich muß Dich im Schurzfell sehen, damit ich in meiner Sterbestunde etwas habe, worüber ich mich todt lachen kann.
Ja, trotz alledem! Ich fühlte es tief, als ich diesen Brief gelesen, der mich zu gleicher Zeit gerührt und gekränkt, ergötzt und traurig gemacht hatte. Das Kränkende seines Zweifels an der Echtheit meiner Lebensführung, das Ergötzliche der derbkomischen Weise, in welcher er diesem Zweifel Ausdruck gegeben – das verflog bald; aber die Rührung und die Trauer blieben. Die Rührung über die Unverwüstlichkeit seiner Freundschaft zu mir; die Trauer, daß ein im Grunde so edler Geist, eine so groß angelegte Natur für die demokratische Sache verloren sein sollte, ohne im Kampfe für die entgegengesetzten Feldzeichen auch nur für sich selbst Ruhe und Befriedigung zu finden. So schreibt Niemand, der an seine Fahne glaubt. Dann aber brauchte meine, brauchte unsere Sache ihn ja auch noch nicht verloren zu geben; dann war er ja vielleicht doch noch zu gewinnen. Die edelgesinnten Menschen glauben schließlich doch alle an einen Gott. Und hatte sich dieser nur von dem alleinigen Gott abgewandt, weil ihn die Priesterin nicht hatte erhören wollen? Aber vielleicht kannte sie die Treue ihres Anbeters nicht; vielleicht rührte sie doch diese Treue; vielleicht war sie auch nicht mehr die Unnahbare, die sie gewesen, als sie in erster ungebrochener jungfräulich-herber Sprödigkeit ihren Tempeldienst begann.
Wie dem auch sein mochte – ich mußte Maria sehen und sprechen. Der Sonntag hatte mir um Mittag ein paar freie Stunden gebracht. In der Werkstatt hatten wir für heute Schicht gemacht; im Hause stand es so weit gut. Ich eilte, die seltene Muße zu dem Besuche zu benützen, der mir jetzt als eine Pflicht erschien, von der ich kaum begreifen konnte, wie ich sie so lange hatte verabsäumen mögen.
Mit fast schon winterlicher Helle schien die Mittagssonne vom unbewölkten Himmel, als ich meine Expedition nach dem fernsten Westen der Stadt antrat, in welchem, dem Adreßbuch zufolge, die „verwittwete Frau Hauptmann von Werin“ und „Fräulein M. von Werin, Gemeindeschullehrerin,“ wohnten. Ich gelangte denn auch nach einstündiger Wanderung in die bezeichnete Gegend, aber es bedurfte vielfachen Nachfragens und manches Irrganges, bis ich das betreffende Haus entdeckte an dem äußersten Ende einer Straße, welche sich unmittelbar in die Felder öffnete und auch sonst nur durch einige wenige, weitzerstreute, wegen der plötzlich eingetretenen Kälte ins Stocken gerathene Neubauten sich als Straße ausweisen konnte. Eigentlich war es nur ein Häuschen: weißgetüncht, einstöckig, mit je zwei Fenstern rechts und links, einem schmalen Vorgärtchen und einem größeren Hintergarten, das erstere mit einem bescheidenen Holzgatter, das letztere nur mit einer niedrigen Hecke umgeben und dadurch erkenntlich. Denn von einem Baum war nichts zu sehen, und die Büsche, welche sich wohl im Sommer stattlicher ausnehmen mochten, waren jetzt auf das kümmerlichste Maß von Besenreisern zurückgebracht.
Ich wußte durch Adele, daß Frau von Werin sich ganz der Pflege von verwaisten oder bei den Eltern verkommenden Kindern widmete, die sie in ihr Haus nahm und als ihre eigenen erzog, hatte mir aber von dieser Thätigkeit, in welcher die seltene und seltsame Frau ganz aufgehen sollte, kein rechtes Bild machen können. Nun, als ich das Vorgärtchen durchschritten und in dem kleinen Flur des offenen Hauses nach vergeblichem Pochen an zwei Thüren eine dritte öffnete, hinter der ich einiges Geräusch vernahm und die Küche vermuthete, wurde mir ein solches Bild und gleich das rechte und eines von denen, die sich nie wieder in der Erinnerung verwischen.
Ich stand auf der Schwelle und blickte in ein großes helles Gemach, in welchem ich acht oder zehn Kinder von etwa vier bis acht oder zehn Jahren in dem offenen Raum vor den Bettchen, die an der Längswand, durch ganz schmale Zwischenräume getrennt, neben einander standen, in der wunderlichsten Beschäftigung fand. Freilich an und für sich war nichts Wunderliches daran; die Sache wurde es nur durch die Winzigkeit der Geschöpfchen und durch die scheinbar weit über ihr kindisches Alter hinausgehende intelligente Rührigkeit, welche sie dabei entwickelten. Sie kleideten sich nämlich an – offenbar zu einem Ausgange; vielmehr: sie kleideten einander an; denn das Eine, ein bischen ältere oder klügere, half dem Anderen jüngeren oder dümmeren in seine Stiefelchen, in sein Kittelchen hinein, bürstete ihm das schlichte Haar, setzte ihm das Mützchen auf, dessen Bänder es ihm unter dem Kinn zusammenband, drehte es vor sich herum, zu sehen, daß die Toilette tadellos vollendet sei – alles ohne Lärmen und Geschrei, fast lautlos, mit einer Ehrbarkeit, einer Gewissenhaftigkeit, die sehr drollig gewesen sein würde, nur daß sie noch um vieles rührender war.
Ich staunte nach dem nie gesehenen Schauspiel, als sich eine gegenüberliegende Thür öffnete und Frau von Werin in das Gemach trat, zum Ausgehen angezogen: in derben Schuhen, wetterfestem, bis an den Hals zugeknöpftem Paletot und rundem schmucklosen Hut mit mäßig breiter Krempe, unter welchem das krause, jetzt grau gewordene Haar hervorquoll. Auch das feine Gesicht schien mir älter in der mitleidslos hellen Beleuchtung, aber weniger starr und streng als damals.
Ich konnte diese Beobachtungen mit einer gewissen Ruhe anstellen, da sie mich nicht bemerkt hatte, indem ihr Blick sofort auf den Kindern haftete, von denen eines, wohl das älteste, auf sie zugegangen war, vielleicht, ihr Bericht zu erstatten. Sie sprach zu ihm einige Worte, wobei sie, die Hand auf seinem Kopfe, sich ein wenig zu ihm herabbog. Dann trat sie zu den anderen Kindern, die sie schnell einer Musterung unterzog, hier und da noch Einiges zurecht rückend und zupfend. Sie fand wenig zu thun. Dann setzte sich die kleine Schar nach der Thür, in der ich noch immer stand, in Bewegung, und die Dame, jetzt zum ersten Mal dahin blickend, sah mich. Sie hatte mich sofort erkannt. Ein freundliches Lächeln glitt über ihre Züge, indem sie mir, der ich mich ihr nun rasch näherte, über die Köpfe der Kinder hinweg, welche furchtlos zu dem Fremden aufblickten, die Hand reichte.
„Willkommen!“ sagte sie dabei.
Es war dasselbe Wort, mit dem sie mich früher noch jedesmal empfangen hatte, auch dasselbe Lächeln – als hätte sie mich gestern zum letzten Mal gesehen. Die Flucht der Zeit schien dieser Frau nichts zu bedeuten.
„Sie treffen uns in Begriff, unseren Spaziergang zu machen,“ fuhr sie fort. „Vielleicht begleiten Sie uns ein Stückchen. Ich schicke Sie zu rechter Zeit wieder zurück, damit ich Maria keine Minute der Freude raube, die ihr Ihr Besuch machen wird. Sie ist ausgegangen und wird –“ hier blickte sie nach der Uhr an der übrigens kahlen Wand – „in einer Viertelstunde zurück sein.“
So verließen wir das Zimmer und das Haus, das offen blieb, wie ich es gefunden hatte. Ich machte eine darauf bezügliche Bemerkung.
[547] „Mir stiehlt Niemand etwas,“ erwiderte Frau von Werin. Und dann auf die Kinder deutend, die vor uns schritten: „Diese hier sind mir Riegel, Schlösser und Vorlegeketten. Sie sind mir auch der Anker, der mich noch am Leben festhält.“
Als ich nach einer Viertelstunde vor das Werin’sche Haus zurückgekehrt war, sah ich, um die Ecke nach der Front des Hauses biegend, Maria auf der obersten der Trittstufen, im Begriff hineinzugehen. Sie wandte sich nach dem Geräusch meiner Schritte, und ich sah, daß eine feine Röthe über ihr blasses Gesicht flog, als ich nun, rasch hinaufspringend, ihre entgegengestreckte Hand ergriff und küßte.
„Verzeihen Sie!“ sagte ich; „ich weiß, Sie lieben das nicht; es ist auch nur, weil ich so glücklich bin, daß ich Sie endlich wiedersehe.“
„Nicht glücklicher als ich,“ erwiderte sie, und es zuckte dabei um ihre Oberlippe.
Ich sah, daß es ein Lächeln sein sollte, sah es an dem heitren Glanze ihrer Augen, die mir mit ihrem götterhaft festen Blick bis in die tiefste Seele zu schauen schienen.
Sie hatte meine Hand in der ihren behalten und führte mich so über den Flur in ein dem Kinderzimmer gegenüberliegendes kleines Gemach, an das sich, wie ich durch die offenstehende Thür sah, ihr Schlafgemach schloß. Sie verschwand in demselben, um nach einer halben Minute ohne Hut und Mantel wieder einzutreten und mit mir auf zwei Rohrsesseln neben ihrem Arbeitstische Platz zu nehmen – ein Sofa gab es in dem klösterlich einfach ausgestatteten Raume nicht.
„Sie haben die Mama gesprochen,“ sagte sie; „ich nehme es aus der Richtung ab, aus der Sie kamen; und so sind Sie über unser Leben und Treiben unterrichtet. Ich helfe der Mutter, so weit es mir die fünf Stunden, die ich täglich in meiner Schule gebe, gestatten. Freilich braucht sie kaum eine oder gar keine Hilfe, da sie ausschließlich für unsere Kinder lebt; und Sie wissen, was das bei einer Frau von Mamas Energie sagen will. Adalbert – aber ich lasse Sie nicht zu Worte kommen – Sie wollten etwas sagen?“ Ich wollte ihr allerdings sagen, daß ich sie wunderbar verschönt fände, womöglich noch edler im Ausdruck der reinen Züge, die doch soviel milder und weicher geworden waren. Ein abermaliger Blick in die herrlich klaren Augen warnte mich und ich sagte, Adalbert’s Namen auffassend:
„Ich habe ihn gesehen – und gehört: in der Versammlung. Dann bei Adele. Seitdem nicht wieder. Ich habe keine Zeit ihn aufzusuchen. Offen gestanden: ich glaube nicht, daß er mich vermißt hat, trotzdem er sich über unser Wiedersehen aufrichtig zu freuen schien.“
„Warum nur schien?“ erwiderte Maria, und es zog wie eine Wolke über die reine Stirn. „Lassen Sie das alte Mißtrauen nicht wieder aufkommen, und seien Sie ein- für allemal überzeugt: an Adalbert ist kein Schein. Dafür bedarf er eines Freundes, das heißt Ihrer – er hat nie einen andern gehabt – mehr als je: der echte Sohn unserer Mutter, Beide entweder Alles wollend oder Nichts. Und er, fürchte ich, ist für sein Theil dahinter gekommen, wie die Rechnung in Wirklichkeit steht. Aber nun erzählen Sie mir ein wenig, ich meine möglichst ausführlich von sich selbst – von dem Augenblick an, wo Sie, von dem Hofe des Herzogs schieden. Bis dahin weiß ich Ihre Geschichte aus den Mittheilungen Ihrer liebenswürdigen Schwester – und vielleicht besser als diese selbst. Sie brauchen wahrlich nicht zu erröthen über eine Leidenschaft, vor der die Natur Sie nicht gewarnt hat. Und glauben Sie mir: ich würde diese Hindeutung nicht gewagt haben, wäre ich nicht entschlossen, unsere alte Freundschaft mit allen ihren Rechten und Pflichten wieder aufzunehmen und, indem ich in das Verborgenste Ihrer Seele deute, zugleich darauf hinzuweisen, daß wir heute wie damals kaum etwas vor einander verbergen können und ganz gewiß nichts vor einander zu verbergen brauchen.“
Die Gelegenheit, das zur Sprache zu bringen, was mich doch, wenn ich ehrlich sein wollte, eigentlich hierher geführt hatte, war zu günstig, und so sagte ich denn rasch:
„Lassen Sie mich Sie beim Wort nehmen! Es betrifft Jemand, der Ihnen einmal theuer war und dem Sie es noch sind. Ich weiß es sicher – aus einem Briefe, den ich gestern von ihm empfing – von Ulrich Vogtriz.“
Ich hatte dabei Maria in die Augen zu sehen versucht. Es war mir doch nicht recht gelungen, und jetzt war mir der unveränderte Klang ihrer Stimme kein gutes Zeichen.
„Darf ich wissen, woraus Sie das Letztere schließen?“
„Er schreibt, er habe das werden müssen, was er geworden, weil die Hand ihn verworfen, in welcher er Wachs gewesen sein würde. Und dann bittet er noch, seine todte Liebe zu grüßen.“
Ich blickte wieder auf; es war nun doch ein Schatten über den Glanz ihrer Augen gefallen und ihre Stimme ein wenig dumpfer, als sie nach einer kurzen Pause erwiderte:
„Seine todte Liebe? todt für wen? für ihn? für mich? für uns Beide? Ich darf mit Sicherheit allerdings nur für mich sprechen, und da kann ich nur wiederholen, was ich Ihnen bereits vor fünf Jahren, kurz nach der Katastrophe, bei unserer Abreise schrieb: ,mein Traum ist ausgeträumt‘. Wer so wenig Talent zum Träumen hat wie ich, der weiß mit seinen wenigen Träumen Bescheid – glauben Sie mir! Was ihn betrifft? Was ist er seitdem gewesen? Ein toller Student, wie ich nach den Narben schließen muß, von denen sein Gesicht zerfetzt ist – ich begegnete ihm neulich auf der Straße – zum ersten Male – er führte eine große Ulmer Dogge an der Leine und sah mich nicht – Gott sei Dank! Einer jener jungen Leute, Deren Treiben mir verhaßt gewesen sein würde, wenn ich auch nicht Adalbert’s Schwester wäre. Was ist er jetzt? Ein junger Gelehrter, mit dessen Gelehrsamkeit es nicht weit her sein soll – sagt Adalbert. Ich vermag das nicht zu beurtheilen; aber ich habe seine paar Broschüren und Aufsätze gelesen, und ein wenig verstehe ich auch von diesen Dingen. So viel, daß ich den Standpunkt erkennen kann, von dem Jemand über diese Dinge schreibt, und sein Standpunkt ist der unserer ärgsten Gegner, für die wir: Adalbert, die Mutter, ich, Ihr Schwager, Sie, und Alle, die auch nur ähnlich denken wie wir, einfach Verbrecher sind. Das ist er gewesen, das ist er jetzt. Und Sie könnten wirklich glauben, er wäre ein Anderer geworden, wenn ich – nun ja, wenn ich ihn weiter geliebt hätte, er der Fortdauer meiner Liebe gewiß gewesen wäre? In den Formen vielleicht, im Wesen nimmermehr. Und ich bin zu sehr meiner Mutter Tochter und meines Bruders Schwester, um nach anderer Mädchen Weise – die leider auch die Weise so vieler Männer ist – mich durch den süßen Rausch jener Empfindungen, die wir Liebe nennen, über den wesentlichen Unterschied wegtäuschen zu lassen und zu vergessen, daß die schlimmste Scheidung, die der Gedanken ist, mit denen wir unseres Lebens Wurzeln nähren. Da haben Sie, lieber Lothar, die Inschrift auf dem Grabe meiner ,todten Liebe‘. Sie ist ein wenig lang geworden; aber Ihnen war ich einige Ausführlichkeit schuldig, schon für den Fall, daß Sie doch noch einmal mit Ihrem Freunde auf dies Thema zu sprechen kommen sollten.“
Das klang ja nun freilich sehr hart und trostlos für Schlagododro. Aber während sie sprach, war wiederholt die Farbe auf ihren zarten Wangen gekommen und gegangen, und sie hatte Einzelnes in einer Erregung gesagt, die mir auf eine Grabesruhe in ihrem Herzen nicht eben zu deuten schien.
Ich hatte, während Maria sprach, unwillkürlich auf den rasch näher kommenden Hufschlag eines Pferdes gehört und mich gewundert, was wohl ein Reiter bei dieser Jahreszeit auf diesen Wegen zu suchen habe. Indem ich die letzten Worte sprach, ertönte der Hufschlag in unmittelbarer Nähe, und ein großer dunkler Gegenstand huschte an dem Fenster, dem ich halb den Rücken kehrte, vorüber, worauf das Geräusch verstummte: zweifellos ein Wagen mit Gummirädern, der nun vor dem Hause hielt.
„Das ist doch seltsam,“ murmelte Maria, indem sie sich zugleich erhob und sich nach der Thür bewegte. Sie hatte aber noch keine zwei Schritte gethan, und ich nicht die Zeit gefunden, zu fragen, was seltsam sei, als bereits an die Thür gepocht und dieselbe dann auch sofort geöffnet wurde. Eine junge Dame in pelzbesetztem Plüschpaletot und ebenfalls mit Pelz verbrämter, mützenartiger Kopfbedeckung stand auf der Schwelle und schaute auf uns Beide mit großen, halb erschrockenen, halb lachenden Augen.
Ich hatte seit fünf Jahren nicht in diese Augen gesehen, aber ich glaube, ich würde sie erkannt haben, hätten sie mich aus den Höhlen einer Maske angeblickt.
Und jetzt blickten sie mich an aus dem rosigen Gesichte Ellinor’s von Vogtriz.
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[549] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
[550]Ich habe diese Geschichte meines Lebens mit dem festen Vorsatz begonnen, in jedem Zuge wahr und wahrhaftig zu sein. So bin ich denn auch jetzt, wenngleich zu meiner tiefsten Beschämung, verpflichtet, zu bekennen: meine zweite Regung, nachdem ich den ersten Schrecken über das so plötzliche Erscheinen der schönen vornehmen, jungen Dame überwunden, war die Genugthuung darüber, daß ich zu meinem Besuche bei Maria jenen mir als einzigen aus meiner Komödiantenzeit verbliebenen guten und noch einigermaßen modischen und kleidsamen Anzug gewählt, in welchem ich auch den letzten Besuch bei Adele gemacht hatte.
Doch darf ich – diesmal zu meiner Ehre sagen: diese Regung währte nur wenige Sekunden, nur so lange, als die beiden jungen Damen sich die Hände reichten, und war schon verflogen in dem Moment, da sich Ellinor zu mir wandte, mir mit schelmisch verlegenem Lächeln, das ihr unaussprechlich reizend stand, schüchtern die Hand entgegenstreckend, die ich an den Fingerspitzen berührte.
„Wir haben uns freilich recht lange nicht gesehen,“ lispelte sie.
„Ja, es ist schon recht lange,“ stotterte ich.
„Ich will nur einen dritten Stuhl holen,“ sagte Maria, in deren Oberlippe es zuckte, und verschwand in der Kammer nebenan.
Sie hatte kaum den Rücken gewandt, als Ellinor, die langen seidenen Wimpern aufschlagend und mich mit einem Blick ansehend, der mich durchschauerte, leise und eifrig sagte:
„Das war nichts! Geben Sie mir Ihre Hand – ordentlich!“
Ich that, wie sie geheißen, und hielt ihre Hand, die in der meinen fast verschwand.
„Mein Gott, wir sind doch schließlich alte Freunde,“ flüsterte sie weiter. „Und wenn wir auch damals kindisch genug waren –“
Sie brach ab. Maria kam aus der Kammer zurück mit einem Stuhl, den ich ihr abnahm. Wir setzten uns, ich klüglich mit dem Rücken nach dem Fenster, um nicht das volle Licht ins Gesicht zu bekommen; die beiden Damen, durch einen kleinen Zwischenraum getrennt, mir gegenüber. Wie oft hatte ich sie so gesehen, wenn uns der Kammerherr in Nonnendorf seine dramaturgischen Vorlesungen hielt! Und wie war mir das Bild der Beiden in der Erinnerung geblieben, daß ich jetzt die leisesten Veränderungen wahrnehmen konnte, nun auch bei Ellinor, wie vorhin bei Maria, ja bei der letzteren – wohl eben in Folge des sich aufdrängenden Vergleiches – schärfer als vorhin und – zu ihren Gunsten! Damals wäre es mir nicht eingefallen, zu fragen, wer von Beiden die Schönere sei. Jetzt fragte ich es mich sehr ernsthaft. Nicht, als ob Ellinor nicht noch schön gewesen wäre! Sie war es vielleicht mehr als je. Aber das Knospenhafte des süßen Mädchengesichtes war verschwunden; die Reize, die damals, sich ihrer selbst nur halb bewußt, aus demselben wie schalkhafte Elfen gespielt und geneckt hatten – sie kannten jetzt augenscheinlich ihre Natur und Macht vollkommen. Eine vollendete Weltdame neben – ja, Maria’s einziges Wesen war nicht so leicht zu rubriciren – ein Wesen eben aus einer anderen Welt, für deren Bewohner und ihre Eigenschaften unsere banale Sprache unzulänglich wird. Schon ihre gehaltene Ruhe stach sonderbar ab gegen die rastlose Beweglichkeit des Mienen– und Gestenspiels, in welcher Ellinor sich gefiel, trotzdem sie erklärte, in großer Eile und „furchtbar abgespannt“ zu sein von einer Reihe langweiliger Visiten, die sie habe machen müssen, zuletzt bei einer alten Generalin, ganz in der Nähe; da habe sie der Versuchung nicht widerstehen können, bei der Freundin, die sie leider so selten sehe, einen Augenblick vorzusprechen.
„Du triffst es besonders günstig,“ sagte Maria; „ich selbst bin kaum vor einer halben Stunde aus der Stadt zurück, und dieser Herr erweist mir heute zum ersten Male die Ehre.“
„Ist es möglich?“ rief Ellinor, sich zu mir wendend. „Aber ich höre ja von Ulrich – das heißt, er schreibt mir, daß Sie schon seit drei oder vier Monaten in Berlin sind. Wir armen Vogtriz freilich – wir können ja keinen Anspruch auf Sie machen, trotzdem ich es nebenbei denn doch recht grausam von Ihnen finde, den guten Ulrich so konsequent geschnitten zu haben. Und den Kammerherrn hätten Sie doch wirklich einmal aufsuchen sollen – unseren alten Lehrer! Er würde sich so über Ihr Kommen gefrent haben. Er spricht so oft von Ihnen, wenn er bei Tante Isabella ist – in einem sehr eleganten Salonrollstuhl, der oben bei uns stehen bleibt, und in den er hineingesetzt wird, wenn sie ihn die Treppe hinaufgetragen haben. Und Tante Isabella daneben auf ihrer Kauseuse, und der Eine kann kein lautes Wort mehr hervorbringen, und die Andere kaum noch das lauteste verstehen – Ihr könnt Euch vorstellen, wie interessant die Unterhaltung der beiden alten Herrschaften ist. – Wollen Sie fort, Herr – Lorenz?“
„Leider,“ sagte ich; „meine Zeit ist um; ich bin bereits länger, als ich gut verantworten kann, von Hause fort gewesen.“
„Was ist es denn an der Zeit?“
Sie hatte nach der Uhr gesehen. „Himmel,“ rief sie, aufspringend, „schon so spät! Ich bekomme ja die gräßlichsten Schelte. Husch in den Wagen! Nein, in den Wagen nicht, wenigstens nicht auf dieser Straße, die ja schlimmer ist, als unsere alten pommerschen Landwege. Ich bin fast gerädert. Da gehe ich lieber zu Fuß. So habe ich auch noch zugleich ein paar Minuten länger das Vergnügen, vorausgesetzt, daß Sie nicht vorziehen, allein zu gehen – auf der anderen Seite der Straße. Nein? Das ist galant. Also Adieu, Maria! Auf Wiedersehen! auf baldiges Wiedersehen!“
Sie hatte Maria umarmt, der ich nun auch die Hand zum Abschied reichte.
Wir schritten an der Seite des Fahrdammes etwas hinter dem einspännigen geschlossenen Koupé, dessen Gummiräder kaum einmal über eine Unebenheit zu hüpfen hatten. Auf Ellinor’s Gesicht spielte ein halb schelmisches, halb verlegenes Lächeln, als sie jetzt, zu mir emporblickend, hastig sagte: „Sie sehen, ich wollte Sie sprechen.“
Ich verneigte mich stumm.
„In Maria’s Gegenwart konnte ich es nicht,“ sprach sie in derselben hastigen Weise weiter. „Vielleicht haben Sie vor Maria keine Geheimnisse: sie war ja immer die Bevorzugte und verdiente es auch. Aber ich war nicht sicher, ob ich in ihrer Gegenwart auch nur andeuten durfte, daß auch ich Ihr Geheimniß kenne.“
„Ein Geheimniß, mein gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich, „das leider so Vielen bekannt zu sein scheint, ist so eigentlich kein Geheimniß mehr. Glücklicherweise wird für mich das Peinliche einer solchen Lage durch einen Umstand wesentlich erleichtert. Der Inhalt des Geheimnisses kann für den, welchen es betrifft, ein Etwas sein, das für ihn nicht existirt, und das ist durchaus mein Fall. Sie verzeihen mir deßhalb gewiß die Bemerkung, daß es sich nicht verlohnt, über ein Nichts zu sprechen.“
Es war härter herausgekommen[WS 1], als ich beabsichtigt hatte. Ich fühlte es und sah es an dem Zucken ihrer Lippen.
„Ich wollte Sie bei Gott nicht kränken,“ sagte ich, mich ihr unwillkürlich nähernd. „Aber wenn Sie eine Ahnung davon hätten, was ich unter diesem unverschuldeten Unglück schon gelitten habe, Sie würden meine Erregung begreifen.“
„Ist denn das Unglück wirklich so groß?“ erwiderte sie. „Ich kenne Viele, die ich weiß nicht was darum gäben, wenn sie so unglücklich wären. Und Ihre Mutter soll so schön gewesen sein!“
„Sie haben das natürlich Alles vom Kammerherrn?“ sagte ich ausweichend.
„Natürlich!“ erwiderte sie, „von wem sonst? Direkt oder indirekt! Er hat noch alte Freunde am herzoglichen Hofe, die ihn immer au courant halten. Alte und junge, unter den letzteren zum Beispiel Herrn von Renten – wissen Sie, zu Ihrer Zeit Kammerjunker, jetzt Kammerherr und der manchmal nach Berlin kommt, auch zu uns, und mir nebenbei sehr den Hof macht. Ich lasse es mir gefallen unter der Bedingung, daß er möglichst viel von Ihnen erzählt. Alles was er weiß. Und er weiß eine Menge, wie, wo und wann er mit Ihnen zusammen gewesen ist, und was Sie gethan und gesagt haben. Er ist voll von Ihnen; er sagt, Sie seien der liebenswürdigste, unterhaltendste, ritterlichste Kamerad, und der Sommer damals die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Und auch die glücklichste des Herzogs, der seitdem ganz menschenscheu und hypochondrisch geworden ist. Besonders nachdem ihn nun auch noch Frau von Trümmnau verlassen hat. Wissen Sie denn nicht, wo Ihre – wo Frau von Trümmnau jetzt ist?“
„Nein!“ sagte ich kurz und scharf.
„Ach, Sie wissen es sicher,“ rief sie; „Ihr sollt einander ja so sehr lieb gehabt haben! Wie werdet Ihr da nicht mit einander in Verbindung geblieben sein! Und Renten sagt, das würde da bei ihnen auch nicht eher besser, als bis Ihr Beide wieder zurückgekommen [551] wäret; und Renten schwört, daß der Herzog, obgleich er jetzt niemals mehr von Euch spricht, und Keiner Eure Namen erwähnen darf, nichts sehnlicher wünscht und Euch mit offenen Armen empfangen würde. Sehen Sie, das Alles konnte ich Ihnen doch nicht in Maria’s Gegenwart sagen, und jetzt will ich Ihnen auch nur gestehen: ich bin bloß deßhalb gekommen, nachdem ich erst gestern von Ulrich erfahren, daß Sie hier in Berlin sind, weil ich dachte, wenn er auch sonst zu Niemand geht, zu Werins, zu Maria gewiß. Da wollte ich sie denn so lange bitten, bis sie mir Alles von Ihnen sagte, was sie selber wüßte. Und nun muß ich gleich das erste Mal Sie selbst bei Maria treffen! Ist das nicht ein glücklicher Zufall?“
„Für mich zweifellos, gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich, „und ich bin Ihnen auch gewiß dankbar für das Interesse, welches Sie augenscheinlich an mir nehmen. Indessen –“
„Nun?“
„Ich frage mich fortwährend, welches wohl der Grund dieses für mich so schmeichelhaften Interesses sein kann. Einen so frivolen, wie bloße Neugier, Ihnen unterzustellen verbietet mir die Höflichkeit, und einen andern finde ich doch nicht.“
„Mein Gott,“ rief sie, „Sie erschweren es den Leuten aber auch gar zu sehr, die ein Unrecht, das sie an Ihnen gethan haben, wieder gutmachen möchten!“
„Verstatten Sie mir ein paar Fragen, gnädiges Fräulein!“
„Fragen Sie immerhin. Sie werden mich offener gegen Sie finden, als Sie es gegen mich gewesen sind.“
„Ich denke, Sie sollen über meine Offenheit am Ende nicht zu klagen haben. Also zuerst: weiß außer Ihnen und Ulrich und selbstverständlich dem Kammerherrn noch sonst Jemand in Ihren Kreisen, wer – nun ja: wer mein Vater ist?“
„Mein Gott,“ rief sie, „das konnte doch nicht verborgen bleiben! Sie kennen ja Herrn von Renten! Was er weiß, weiß schließlich alle Welt.“
„Auch Ihr Herr Vater?“
„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Er verkehrt so wenig bei uns. Ich habe es ihm nicht gesagt. Jedenfalls weiß er nicht, daß Sie in Berlin sind, oder er hätte Sie sicher aufgesucht. Er liebt Sie sehr.“
„Und hat Ihnen Ulrich gesagt, was ich hier in Berlin treibe?“
„Nein. Was werden Sie treiben? Ich denke, was immer Ihre Lieblingsbeschäftigung war, auch, wie ich von Renten weiß, am herzoglichen Hofe: Poesie.“
„Doch nicht, gnädiges Fräulein. Ich treibe keine Poesie, sondern ein recht nüchternes Handwerk: ich bin Tischler.“
„Was sind Sie?“
Ich hatte den Schrecken, der sich auf ihrem Gesicht malte, erwartet und empfand über denselben eine Art von grausamem Vergnügen. „Tischler,“ wiederholte ich. „Noch dazu ein ganz ordinärer Bautischler, der Thüren und Fensterrahmen macht. Wenn Sie daran zweifeln, wie ich jetzt nach dem spöttisch-ungläubigen Lächeln auf Ihren Lippen schließen muß – ich kann Ihnen meine Adresse geben und würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir die Kundschaft aus Ihrem Kreise zuwenden. Nicht wahr, gnädiges Fräulein, das haben Sie nicht erwartet? Das vermindert denn doch ein wenig das Interesse an meiner unbedeutenden Person? Auch muß ich, um mein Versprechen völliger Offenheit einzulösen, hinzufügen, daß ich ganz wesentlich aus dem Grunde Handwerker geworden bin und zu bleiben gedenke, weil ich hoffe, so am besten die Schmach jenes Unglücks abbüßen und abwaschen zu können, welches mich ohne mein Verschulden bei meiner Geburt getroffen hat.“
Ich öffnete den Schlag des Wagens, welcher jetzt, am Ausgange der wüsten Straße in eine andere, schon etwas mehr bebaute, halten geblieben war. Sie stand dicht an dem Tritte, zögernd, einzusteigen, mit zuckenden Lippen, während die Farbe aus ihren zarten Wangen gewichen war. Dafür flammte es jetzt in ihren braunen Augen auf, und es kam fast unverständlich durch die zusammengeklemmten weißen Zähne:
„Das war unritterlich von Ihnen.“
„Ich bin auch, Gott sei Dank, kein Ritter, gnädiges Fräulein.“
Sie war an mir vorüber in den Wagen gesprungen, der sich auch alsbald in Bewegung setzte, kaum daß ich den Schlag schließen konnte. Ich sah nur noch eben, wie sich die junge Schöne mit trotziger Miene in die Ecke lehnte.
Und dann stand ich allein auf der öden Straße, dem rasch sich entfernenden Wagen nachblickend, und murmelte noch einmal: „Gott sei Dank!“
Aber aus dem Herzen kam es mir nicht. In meinem Herzen war die todte Liebe wieder erwacht und hatte mit der süßen unvergessenen Stimme – wie an jenem ersten Abend im Nonnendorfer Park – gesprochen: „Hier bin ich!“ Und hatte mich wieder angeschaut mit den großen unvergessenen braunen Märchenaugen.
Das Picknick.
Ich kann mich nicht recht darauf besinnen – war ich es von Jugend auf oder ist mein Charakter erst im Ministerium so geworden – ich bin von einer prickelnden Ungeduld. Leider – oder vielleicht glücklicher Weise – ist die Natur meiner Charlotte gerade entgegengesetzt. In ihrem Leben ist sie zu keinem Entschlusse gekommen, und wenn ich ihr nicht vor dreißig Jahren mit der Uhr in der Hand eine Präklusivfrist von fünfzehn Minuten gestellt haben würde, innerhalb welcher Zeit sie sich auf ja oder nein für mich zu erklären hätte: mein Weibchen würde entschieden ihr Leben als altes Jungfräulein vertrauert haben – bis an ihr Ende gepeinigt von Selbstanklagen, daß sie ihr Glück durch ihre Unentschlossenheit von sich geworfen hat.
Nun, es ist, dank meiner Energie, nicht dazu gekommen, und wenn ich, ganz eingenommen von meinen amtlichen Pflichten, auch selten ein Wörtlein in die häuslichen Angelegenheiten hineinrede, – in Hauptsachen habe ich mir doch mein Prestige zu wahren gewußt. Wenn der Familienwagen aufs Tiefste verfahren ist und sämmtliche Muhmen und Basen bereits ihre Köpfe geschüttelt haben, so kommt die Sache doch vor meinen allerhöchsten Richterstuhl, und wenn Papa sich geäußert hat, dann ist kein Appell mehr möglich – Rom hat gesprochen – die Sache ist aus und – alle Theile sind befriedigt.
Wir besitzen einen Sohn und – Verzeihung, wenn ich zähle, ich bin zwar Geheimer Rechnungsrath, aber in Familienangelegenheiten ein durchaus fehlbarer Mensch, und wenn mir meine Frau das Küchenbüchelchen zum Zusammenaddiren bringt, weil sie mit der Köchin nicht einerlei Meinung über die Summe ist: ich bringe sicher ein neues und noch falscheres Resultat heraus – also einen Sohn und – Linchen, Minchen, Pinchen und Tinchen: d. h. zusammen vier Mädchen. Es wäre auch gegen Brauch und Ordnung, wenn sich ein höherer Beamter mit weniger als vier Töchtern begnügen wollte. Was sollte er denn allein oder kinderlos mit dem ganzen Gehalt anfangen? Er würde übermüthig werden. Darum hat es die ausgleichende Natur in ihrer Weisheit schon so eingerichtet, daß entweder ein paar gehaltlose Assessoren oder ein paar schneidige Officierchen dem väterlichen Geldbeutel zu Nutz und Frommen beigegeben sind, so ein viertel oder halbes Dutzend Töchterchen dem Salon entblühen; und Töchterchen, wie nett, wie anspruchslos, wie einfach sie auch sein mögen, Sorgen bringen sie immer ins Haus, und die wachsen mit jedem Centimeter, bis zur Verheirathung – und dann hören sie auch nicht einmal immer so sicher auf.
Unser Sohn Adolf freilich hat uns nur Freude ins Haus gebracht. Das Rechnungsräthliche seines Vaters mag ihm wohl auch etwas im Blute stecken: schon als Baby sah er so ernst nach seinen gespreizten Händchen, als wenn er die Fingerchen zusammenrechnete, und als Knabe wußte er aufs Haar zu sagen, wie viel Kirschen ihm Mama zum Frühstücksbrot zugedacht hatte: wenigstens sagte diese immer, es stimme. In der Schule war er bald seinem Lehrer in der Mathematik über, und an dem Tage, an welchem ihn mein Freund, der Direktor der Deutschen Bank, als Lehrling an die Kopirpresse nahm, sagte er mir das Datum voraus, an welchem er Prokurist werden würde. Das stimmte und auch seine Absicht, eine reiche Frau und dereinst drei kleine Grazien um sich zu haben: der Junge hat sich nicht um eine Decimalstelle verrechnet. Klara ist uns eine sehr, sehr liebe Schwiegertochter. Sie wäre es auch sicher gewesen, wenn sie nichts mitgebracht hätte, als ihre persönlichen Vorzüge, aber daß sie die einzige Tochter von drei Häusern Unter den Linden ist, die alle einmal auf das reizende Mädchen fallen werden, ohne ihr Schaden zuzufügen, thut unserer Liebe keinen Eintrag.
Ich bin, weiß Gott, kein Geldmensch, keine Rechenmaschine, aber wenn man sieht, welchen bedeutenden Faktor in dem großen Exempel der Weltgeschichte neuesten Abschnittes leider das Geld spielt, wenn man gewissermaßen als verantwortlicher Vater von drei – nein, vier unheimlich schnell heranwachsenden Töchtern eine gewisse Garantie dafür haben will, daß sie einem nicht eines schönen Tages wie ein unbezahlter Wechsel unter Protest ins Haus zurückkommen, muß man nothgedrungen etwas vorsichtig sein in der Wahl der Freier. Nachdem Adolf einen so schönen Anfang gemacht hatte, meinte ich allerdings, die Mädchen würden sich an ihm ein gutes Beispiel nehmen; nach dem A, glaubte ich, würde es in gleichem Stile das ganze A-B-C hindurch [552] fortgehen: aber – ich hatte mich verrechnet. Ich bin gewöhnt, mit bekannten Größen zu rechnen, so ein Mädchenherz aber ist ein ganz undefinirbarer Werth, und ich verlor den Boden unter den Füßen. Freilich – nach dem A kam in der That das B, aber ein unwillkommenes B, und was das Schönste war, wir hatten das B dem A zu verdanken. Mein Sohn Adolf hatte nämlich den Wunsch ausgesprochen, zu seiner Hochzeit einige Jugendfreunde einzuladen: was kam es den Schwiegereltern auf ein paar Kouverts an, und überhaupt junge Leute – flotte Tänzer, gute Redner, feste Trinker kann man nie zu viel haben. Bauführer Hermann führt unsere älteste Tochter zu Tisch. Es entgeht meinem scharfen Vaterauge nicht, daß mein Linchen sich im Besitze ihres Nachbarn sehr behaglich befindet, verschiedene Male erröthet und dann wieder an seinen Lippen hängt, als ob da nur Perlen der Weisheit herausrieselten. Ich hielt die Sache für sehr harmlos, der Anblick meiner Charlotte, deren Gesicht von heimlicher Freude glänzte, das Töchterchen, das sich zum ersten Male in einer Gesellschaft befand, so gefeiert zu sehen, hätte mich stutzig machen sollen. Aber bei Hochzeiten rechnet man nicht so genau, und der Champagner schweifte jede Besorgniß fort. Linchen tanzte den ganzen Abend fast ausschließlich mit dem jungen Bauführer, der ein Gesicht hatte, als wäre es mit dem Zirkel konstruirt. Habe ich ihm, auf die gemeinsame Einflüsterung meiner Frau und der Wittwe Cliquot, beim Abschied Erlaubniß gegeben, uns zu besuchen – die Kinder behaupteten so – oder nicht: gleichviel, er kam, und er kam so oft und blieb jedesmal so lange da, daß ich mir schließlich die Wohnung nicht mehr ohne dieses Zimmergeräth vorstellen konnte.
Linchen, Minchen, Pinchen, Tinchen schien die Sache zu behagen. Charlotten auch. Es war also an mir, einem Unglück vorzubeugen. Was sollte nur heute ein Bauführer, der nebenbei ohne Vermögen und Protektion war, für meine heirathsfähigste? Wenn er sich noch um Tinchen bemüht hätte, die damals gerade zu buchstabiren anfing – dann hätte er innerhalb eines Dutzend von Jahren Zeit gefunden, seine erforderlichen Durchfälle beim Baumeisterexamen zu absolviren, und wenn er eben vielleicht sein erstes Wärterhäuschen zu bauen den Auftrag bekommen hätte, so sollte er meinethalben nicht länger mehr warten. Aber die älteste, auf „wenn“ und „ob“ zu verloben und noch dazu bei der Ueberfülle im Baufach, das war gegen jedes vernünftige Kalkül, verdarb der ganzen Familie den Zuschnitt und schreckte ernste Freier für die nachwachsenden Geschlechter zurück. Eines Tages also nahm ich mir mein Linchen vor, redete ihr ins Gewissen, einen Gewissen zu verabschieden; das Kind aber setzte sich in Positur wie eine tragische Heldin und sprach: „Den oder Keinen“. Darauf sagte ich: „Dann meinetwegen Keinen“; denn ich wußte zu genau, daß ein weibliches Wesen es bei „Keinem“ nicht auf die Dauer bewenden lassen würde, und die nächste Zukunft sollte mir Recht geben. Es gab damals noch einen Auftritt mit meiner feinfühligen Charlotte, die mich für einen Barbaren erklärte, der die zarten Sprossen keimender Liebe mit plumpen Füßen zertritt – noch einige Tage verweinte Augen, verschmollte Mittagbrote – dann war Alles, wie es vordem war, nur der Bauführer blieb von der Bildfläche verschwunden, und sein Name wurde viele Jahre hindurch nicht hinter unseren vier Pfählen vernommen.
Meine Lina wurde während dessen immer heirathsfähiger, und meine anderen Mädel rückten prompt nach. Kein Freier zeigte sich in der Runde. Nicht einmal am fernen Horizont stieg einer auf. Ob meine Frau in mir den Barbaren strafen, ob sie in der That dem Zufall nicht vorgreifen wollte, nicht mit einer Miene spielte sie auf die Verhältnisse an. Ob Linchen mit dem Bauführer alle ihre Hoffnungen begraben und sich vollständig als Himmelsbraut fühlte, sie schien sich gar nicht um ihre Zukunft zu ängstigen. Desto mehr bangte ich. Ich hatte mich über manchen meiner Kollegen lustig gemacht, der jahraus jahrein mit seinem halben Dutzend längst aufgegebener Töchter Bälle, Koncerte, Soiréen bezieht, wie ein Schaubudenbesitzer die Jahrmärkte. Das sollte mir nicht widerfahren. Wer solche schöne Rosen sein nennt wie ich, der braucht nicht an ihr Dahinwelken zu denken. Freilich muß der Gärtner intelligent sein und sich nicht von Frauenlaunen bestimmen und zurückhalten lassen.
Diesen Winter – zwei, drei Jahre hatten wir sehr zurückgezogen gelebt; meine Damen hatten alles Faible für Gesellschaften verloren, und Adolf feierte alljährlich in aller Stille ein Familienfest – stürzte ich mich und meine beiden Aeltesten in den Strudel, und nach dem ersten Juristenball hatten wir – zwei Freier im Hause. Beide für Linchen. Das Mädchen mußte doch auf die jungen Leute gar nicht den Eindruck der Nonne machen: sie waren Beide augenscheinlich bezaubert. Und Beides erste Partien. Der Eine ein Staatsanwalt, besten Renommées, von allen Uebelthätern gehaßt, von allen jungen Damen geliebt, von einem durchdringenden Inquisitionsblick, der in der Tiefe aller Seelen lesen konnte. Der Andere ein hübscher Officier von Landadel, kein großer Geist, aber guter Tänzer und von gebräunter Gesichtsfarbe wie ein Spanier. Diese beiden interessanten Menschen machten meinem Linchen die Kour, als wäre sie ein ganz ungewöhnliches Mädchen, und so sah ich mit wachsender Besorgniß dem Tage entgegen, an welchem der Lieutenant seinen Degen ziehen und der Staatsanwalt seinen Rivalen vor das Schwurgericht zerren würde. Ich sah gar keinen andern Ausweg. Es war merkwürdig, daß dieser Zustand so lange währen konnte, ohne daß es zum Krach zwischen den beiden Widersachern kam. Entweder hatten sich diese Taubenseelen unter einander geeinigt – und danach sahen sie mir nicht aus – oder mein Töchterlein wußte in Jedem den Glauben zu erwecken, daß sie ihn bevorzuge, wie der Vater mit „den drei Ringen“ in seinen Söhnen. War denn das aber nicht Koketterie? Dieser Gedanke empörte mich einigermaßen. Es kam mir nicht in den Sinn, daß Penelope doch auch keine Kokette war, obwohl sie bei einigen Dutzend Freiern Hoffnungen auf ihre Hand erregte. An meiner Charlotte hatte ich keinen Rückhalt: sie erklärte, Nichts mehr hineinzusprechen und Alles im Hause meiner weisen Einsicht zu überlassen.
Ich verstand ihren Trotz und beschloß auf eigene Hand zu handeln. Die Sache regte mich auf, störte mich in meinen Berufsarbeiten. Dem mußte ein Ende gemacht werden. Mein Plan war ein Sommerfest mit Picknick im Walde. Die Idee wurde allseitig mit Begeisterung aufgenommen; nur meine Charlotte bat, zu Hause bleiben zu dürfen. Ich war damit ganz einverstanden, denn da ich eine Entscheidung um jeden Preis wollte, kam ich möglicherweise in die Zwangslage, eine größere Energie zu entwickeln, als meine zartfühlende Frau sie liebte.
Ein Picknick hat einen eigenartigen Reiz. Jeder ist Wirth und Jeder ist Gast. Da ist Niemand einem Anderen zur Dankbarkeit verpflichtet – als dem lieben Gott, daß er den Rasen und die Bäume grünen, den Himmel blauen und die Sonne leuchten läßt. Es ist wie eine Komödie, in der es keine Zuschauer giebt, in der Jeder seine Rolle hat. Es giebt Vorbereitungen, Besprechungen, Ueberraschungen: Jeder trägt etwas auf dem Herzen und im Korbe. Es giebt eine Vorfreude, Freude und Nachfreude, wie zu Weihnachten. Wenn es hier nicht zum Klappen, zum Aussprechen, zum Verloben kommt, hat Linchen einen Kieselstein, wo andere Mädchen ihr Herz tragen.
So dachten auch die jungen Leute, der Staatsanwalt und der Lieutenant. – Als die ganze Gesellschaft sich um sieben Uhr vor unserem Hause versammelte, waren auch sie, sommerlich gekleidet, Blumen im Knopfloche, angetreten; hinter ihnen Dienstmänner mit Körben, aus denen Flaschenhälse hervorlugten. Meine Charlotte sah lächelnd zum Fenster hinab, wie unsere Auguste auch einen Waschkorb unter die Sitze schob; es war ein Gebirge von Butterstullen, Braten, Backhuhn, Schinken und Käse: das ganze Hunnenheer hätte sich damit sättigen können. Meine Schwiegertochter Klara brachte eine Chokoladenkrême von dem Umfange einer Pyramide, die bei der Fahrt jede Schwankung des Gesellschaftsomnibus mitmachte, und Konserven, angebliche Handarbeit, deren Büchsen aber am Boden noch die Fabrikmarke trugen. Die Hinfahrt war wunderbar, es wurde in allen Tonarten gesungen und gejubelt. Nicht weit vom See, im Kreise herrlicher noch nicht voll belaubter Buchen, lagerte sich im hohen Grase die Gesellschaft; Linchen zwischen ihren beiden Getreuen, dem weißen und dem schwarzen Ritter, schien lustiger und liebenswürdiger als je. – Heute kommen wir mit einer Braut nach Hause; jedes Lüftchen fächelt, jeder Falter summt „ein Geständniß“. Schade, daß Charlotte nicht dabei war: es geht am Ende doch noch in aller Gemüthlichkeit ab. Um der Sache die Krone aufzusetzen und in der Meinung, die jungen Herren würden irgend welchen billigen Krätzer mitgebracht haben, hatte ich mich zu einigen Flaschen meiner viele Jahre nicht umarmten und darum vielleicht um so inniger geliebten Veuve Cliquot verstiegen. Sie sollte der Verlobung gleich die nöthige Feierlichkeit verleihen. Aber die jungen Verschwender waren mit Heidsieck und deutschem Schaumwein vertreten, und so schwelgten wir in einem Ocean von Champagner. Eine Flasche nach der andern entkorkte ich, in seliger Erinnerung an meine flotte Jugendzeit; mit jedem Knall sah ich hinüber – aber sie hatten sich noch immer nicht erklärt. Meinetwegen, dachte ich – der Sekt fing schon an zu wirken; was gräme ich mich, während Alles freudestrahlend sich dem Genusse der Natur und ihrer Gaben hingiebt? Warum knurre ich wie Box, der auf dem Boden des Korbes noch eine Schicht Cervelatwurst wittert und ungeduldig Umschau hält, ob heute Keiner seiner Acht hat? So jung kommen wir doch nicht wieder zusammen – es lebe, was sich liebt – vielleicht kommt es zur Aussprache – später – bei der Waldwanderung.
Und siehe – es kam in der That dazu – in der Dämmerstunde, aber anders, als der Rechnungsrath kalkulirt hatte. Auf einer einsamen Moosbank ruhend, an eine Eiche gelehnt, eine geraubte Sektflasche in der Hand, über die Nichtigkeit des menschlichen Daseins grübelnd und lächelnd, fühlte ich mich plötzlich von zwei weichen Armen umschlossen und von den rosigen Lippen Linchens auf den Mund geküßt. „Aha,“ rufe ich beseligt, „endlich – ich gebe meinen Segen!“ Und da knieet auch schon so eine lange Gestalt vor mir und reibt mir den Krauskopf unter die Hände. „Machen Sie keine Thorheit, lieber“ – will ich sagen, und hebe ihn empor, um ihm vom Gesichte abzulesen, ob ich: Staatsanwalt oder Lieutenant hinzufügen soll. Aber wer war es? – Der lange Bauführer. Doch Bauführer hieß er nicht mehr, sondern Baumeister: er hatte gleich sein erstes Examen mit derartigem Erfolg bestanden, daß ihm die schönsten Regierungsbauten in Aussicht gestellt worden waren. Durch Vermittelung meines Adolf, des Bankprokuristen, hatte er bereits einen Umbau der Deutschen Bank zugeschlagen bekommen – kurz, er war ein gemachter Mann und sah in dem Vollbarte, den er inzwischen Zeit gehabt hatte, sich stehen zu lassen, sogar sehr bedeutend aus. Was sollte ich thun? Den polternden Vater spielen? meinen Segen für erschlichen erklären? Nein, dazu hatte ich zu viel Sekt getrunken, dazu schien der Mond zu mild und versöhnlich, und dazu waren die Kinder zu glücklich. Ich versprach also mit Charlotten zu reden. Aber da sprach eine Stimme neben mir: „Die ist einverstanden.“ Und wie ich mich umdrehe, steht mein Weibchen an meiner Seite und lacht aus vollem Halse. Und wie wenn das ein Signal gewesen wäre, lacht es rings um mich herum, und ich sehe ein, daß das Alles eine abgekartete Geschichte gewesen, daß Mama mit dem Bauführer – Verzeihung, Baumeister – auf der Eisenbahn nachgekommen, daß Linchen nicht Eine Stunde von ihrem Ersterwählten abgegangen war und die zwei Freier nur mit allerlei Tändeleien hingezogen hatte, bis ihr Odysseus als gemachter Mann wieder Einzug halten sollte. Und als ich sah, daß auch die Freier die Wendung nicht sehr tragisch nahmen, sich im Gegentheil freier zu fühlen schienen, als vordem, und sofort ihre Neigung auf Minchen und Pinchen übertrugen, die heute ganz entzückend aussahen, da brach auch ich in weithinschallendes Gelächter aus. Heiter und guter Dinge, wanderten wir drei, vier, nein, fünf Paare – wir Alten dürfen uns doch nicht vergessen – lautsingend „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin“ – durch den dunklen, vom Glühlicht der Leuchtkäfer erglänzenden Wald, und ich dachte bei mir: das ist einmal ein reichliches Picknick gewesen; denn von dessen Erinnerung werden Kinder, Enkel und Urenkel noch lange zu zehren haben.
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Goethe’s Sterbe- und Arbeitszimmer.
Wohl wanderten gar Viele jahraus und jahrein von nah und fern der alten Musenstadt Weimar zu, um die geweihten Stätten zu betreten, wo unsere größten Dichter einst gewirkt und geschafft haben. Sie verließen aber die Stadt unbefriedigt, denn das Haus, in welchem Goethe ein Menschenalter lang wohnte, blieb ihnen verschlossen. Dies ist nun anders geworden.
Am 15. April 1885 verstarb der letzte Nachkomme Goethe’s, sein Enkel, der großherzogliche Kammerherr Walther Freiherr von Goethe, dem es vorbehalten war, das theure Vermächtniß seines Großvaters zu hüten und zu bewahren. – Der Eröffnung des Testaments sah man begreiflicherweise mit großer Spannung entgegen und war überall freudig erregt, als man die Kunde vernommen, daß dem großherzogl. Staatsfiskus das Goethe-Haus zu Weimar nebst Garten und Nebenhäusern, die Goethe’schen Sammlungen und alle diejenigen Gegenstände eigenthümlich zugewendet seien, welche in der Studirstube, der Schlafstube und dem Vorzimmer Goethe’s sich befänden, daß ferner dem großherzoglichen Staatsfiskus ein Kapital von 30
000 Mark zur Instandhaltung der ererbten Gegenstände zufalle, daß die hinterlassenen Manuskripte des Dichters in den Besitz der Großherzogin von Weimar übergingen, und endlich, daß man beabsichtige, die geweihte Stätte der Nation und allen Goethe-Freunden für immer zu erschließen und ein Goethe-National-Museum zu begründen. Der Plan, alle aus dem Besitze Goethe’s herrührenden oder zu dem Dichter in Beziehung stehenden Gegenstände zu einem in sich abgeschlossenen Ganzen zu vereinigen, fand den allgemeinsten Anklang, und nach landesherrlicher Bestätigung des Stiftungsbriefs – und nachdem der Weimarische Landtag in seiner denkwürdigen Sitzung vom 22. Januar dieses Jahres einstimmig die etwa noch nothwendigen Mittel bewilligt hatte, ging man unverdrossen an die Verwirklichung desselben. Das Goethe-National-Museum in Weimar bildet eine staatliche, der öffentlichen Benutzung gewidmete Anstalt, welche den Zweck verfolgt, das Goethe-Haus nebst dessen Zubehör in einer Weise zu erhalten, die der Erinnerung an Goethe würdig sei, die Goethe’schen Sammlungen, sowie andere von Goethe herrührende oder zu ihm und seinem Wirken in Beziehung stehende Gegenstände zu bewahren und der Goethe-Forschung wie der Verehrung für den Dichter eine weihevolle Stätte darzubieten. –Um jedoch das Goethe-Haus [554] vor baulichem Verfalle zu sichern, machte sich eine durchgreifende Reparatur der Gebäude unbedingt nothwendig, und erst am 4. Juli d. J. konnte das Goethe-National-Museum eröffnet werden; aber noch heute sind einige Räume bis auf Weiteres für das große Publikum verschlossen; darunter auch das eigentliche Heiligthum des Goethe-Hauses, das Arbeitszimmer und das Sterbezimmer des Olympiers. Die Enkel hatten es niemals gestattet, diese Gemächer photographisch zu vervielfältigen; erst jetzt ist es dem Hofphotographen Held in Weimar erlaubt worden, die Räume, welche Deutschlands Dichter-Heros während der Dauer von 39 Jahren bewohnte, bildlich zu fixiren. Sie sind bescheiden und entsprechen keineswegs der hohen gesellschaftlichen Stellung, welche Goethe einnahm. Beide Zimmer sind in dem sonst sehr geräumigen Wohnhause die einzigen nach Süden gelegenen. Das Arbeitszimmer ist ein großes, etwas dunkles Gemach mit zwei Fenstern, die nach dem Garten hinausgehen. Die Ausstattung ist höchst einfach. In der Mitte ein länglich runder eichener Tisch, neben demselben ein Korb, in welchen der Dichter sein Taschentuch zu legen pflegte, einige Stühle, an der Wand rechts ein langer Schreibtisch, darauf ein Bücherregal, an welchem ein zerbrochenes Gipsmedaillon Napoleon’s hängt. An der Wand gegenüber ebenfalls ein Pult, auf welchem neben kleineren Gegenständen eine Statuette Napoleon’s aus Milchglas steht, an deren opalisirenden Farben sich Goethe oft erfreute und die er auch für seine Farbenlehre praktisch verwendbar fand. Neben dem zwischen den Fenstern befindlichen Spiegeltisch mit Uhr und Weinglas steht ein einfaches, verstellbares Stehpult, an welchem der Dichter arbeitete, wenn er nicht, die Hände auf dem Rücken, diktirend im Zimmer auf- und abging. Ganz so, wie sie Goethe verlassen, ist diese geweihte Stätte. Ebenso unverändert zeigt sich das kleine anstoßende Schlafzimmer, eigentlich nur ein Alkoven, mit einem Fenster nach dem Garten. Ein niedriges hölzernes Bett mit verblichener rosafarbener Bettdecke, ein Tischchen, auf welchem noch die letzte Medicinflasche steht, und der bequeme grün gepolsterte Lederstuhl, mit dem davorliegenden Fußkissen, welches Ottilie von Goethe einst ihrem Schwiegervater stickte, bilden das einfache Mobiliar des Zimmers, in welchem Goethe am 22. März 1832 mit den Worten „Mehr Licht“ aus diesem Dasein schied.
Die Geheimmittel gegen Trunksucht.
Wie alle Krankheiten von etwas anrüchigem Charakter, besonders wenn ihre ärztliche Behandlung mit Beschränkungen und Schwierigkeiten für die Kranken verbunden und zugleich langwierig und von zweifelhafter oder geringer Heilungsaussicht ist, so bietet auch die Trunksucht ein überaus ergiebiges Feld für Geheimmittel und Heilschwindler. Fast jede Zeitung enthält zahlreiche Anzeigen wie: „Die Trunksucht heilbar“, „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“, „Sichere Hilfe für Trunksüchtige“ u. dergl. m., und aus den werthvollen Veröffentlichungen der Herren Schnetzler und Neumann „Die medicinischen Geheimmittel“ und „Die Geheimmittel und die Heilschwindler“ (Karlsruhe, Bielefeld’s Verlag) wissen wir, daß ein solcher Schwindler nach amtlichen Erhebungen in einem einzigen Jahre mehr als 300 000 Mark Einnahme gehabt hat.
Die fabelhaften Erträge der Geheimmittel- und Heilschwindler im Anlocken und Ausbeuten Hilfsbedürftiger werden begreiflich, wenn man ihr Thun und Handeln mit demjenigen gewissenhafter Aerzte vergleicht. Wird ein Arzt um die Behandlung eines Trunksüchtigen angegangen, so wird er pflichtgemäß wohl eine Besserung einiger durch den Alkohol erzeugter Krankheiten, z. B. des Magenkatarrhs, des Delirium tremens etc., in Aussicht stellen, für die dauernde Heilung der Trunksucht selbst aber keine Gewähr übernehmen, sondern diese von dem dauernden festen Willen, der Charakterstärke des zu Heilenden, vielfach auch noch von günstigen äußeren Umständen abhängig machen. Vielleicht sind die Aerzte darin zu vorsichtig, zu gewissenhaft, da es für den Trinker und seine Familie doch schon ein großer Gewinn ist, wenn er auch nur eine Zeit lang zur Enthaltsamkeit und Arbeitsfähigkeit gebracht, und da unter den vielen Rückfälligen doch mancher sich befindet, der durch ärztliche Hilfe und Zuspruch, durch Ermahnungen und werkthätigen Beistand auf bessere Bahnen geführt wird. Immerhin müssen die Aerzte, um solche Erfolge in Aussicht stellen zu können, bedeutende Anforderungen an die Mithilfe der Trinker und ihrer Angehörigen machen.
Ganz anders die Geheimmittel- und Heilschwindler! Das Versprechen „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“, „Sichere Heilung“, eine scheinbar geringe Geldforderung für Arzneien, eine sehr einfache und nicht lange dauernde Kur, strenges Geheimniß, sogar sichere Heilung ohne Wissen des Trinkers, locken die Hilfsbedürftigen, noch mehr aber ihre unter physischem und moralischem Druck und Ungemach schwer leidenden Frauen und Angehörigen heran. Entsetzen erregende Schilderungen der schrecklichen Folgen des Uebels ängstigen sie in Folgsamkeit und Opferwilligkeit hinein; zahlreiche Zeugnisse angeblich Geheilter bestätigen die günstigen Wirkungen der Kur: begreiflich genug, daß ein Versuch gemacht wird, der unter solchen Umständen eine Zeit lang günstig ausfällt und zu neuen Zeugnissen Anlaß giebt; die Nichterfolge und Rückfälle aber bleiben verschwiegen, weil Niemand seine eigene Schuld an dem Fehlschlagen eingestehen, noch weniger aber öffentlich bekannt machen wird. Außerdem wissen diese Menschen in ihren mit vielen medicinischen Kunstausdrücken gespickten Anzeigen eine solche Menge von krankhaften Veränderungen der Organe etc. zu nennen, so viele unheilbare Folgen eingewurzelter und zu spät zur Behandlung gekommener Trunksucht, trotz der verheißenen „sicheren Heilung“ aufzuzählen, daß sie selten oder niemals wegen unerfüllbarer oder unerfüllter Versprechen zu belangen sind. Damit die ergiebige Geldquelle aber nicht zu rasch versiege, bekommen die Heilungsuchenden gleich den Trost, wenn die erste „Kur“ nach Verbrauch der übersendeten Arzneien nicht geholfen habe, werde eine zweite – zu gleichem Preise – es sicher thun. Die Verheißung „Unentgeltlicher Rath und Hilfe“ bezieht sich überhaupt nur auf die Aufforderung zum Kurgebrauch; die Kur selbst muß vorher und zwar sehr theuer, außer allem Verhältnisse zu dem Werth der Mittel bezahlt werden.
Die andere Verheißung, daß die Kur auch ohne Wissen und Willen des Trinkers mit Erfolg vorgenommen werden könne, ist ebenfalls nicht wörtlich zu nehmen. Das wäre ja auch mit den in der Regel sehr bitteren oder als Pillen zu nehmenden Mitteln ganz unmöglich. Vielmehr werden Diejenigen, welche einen Trunksüchtigen ohne sein Wissen heilen wollen, angewiesen, ihm durch einen guten Freund „mit vollem Ernst und ehrbarer Miene“ einreden zu lassen, das Mittel sei gegen irgend ein anderes Leiden wirksam, „woran ja bei den dem Trunke ergebenen Personen kein Mangel ist“. Eine solche Belehrung über die schlimmen Folgen und die sichere Heilung solcher Leiden betitelt sich z. B. „Gebrauchsanweisung zu der seit dem Jahre 1870 glänzend berühmten Radikal-Remedien, mit welcher nächst Gott viele Menschen zu ihrer Gesundheit gelangten“.
Die meisten dieser angeblichen Mittel gegen die Trunksucht, die den Trinker nicht nur von den Folgen seines Lasters, sondern auch von der Neigung zum Trinken heilen sollen, bestehen aus der sehr bitteren Wurzel des Enzian, die als gröbliches Pulver zum Thee und als Extrakt in Pillen gereicht wird. Dieses Mittel ist sehr billig und giebt also beim Verkauf einen ungeheuren Gewinn, indem für einen Apothekenwerth von 50 bis 100 Pfennig von den Schwindlern mindestens 8 bis 9 Mark erhoben werden. Der Enzian ist freilich nicht im Stande, die versprochenen Wirkungen auszuüben, aber er ist doch wenigstens nicht so positiv schädlich und geradezu gefährlich, wie einige andere dieser Geheimmittel, namentlich die scharfen, Uebelkeit und Erbrechen erregenden, oft den Magen anätzenden und das Herz schwächenden Haselwurzpulver oder der Brechweinstein.
Eine große, anscheinend ziemlich vollständige Sammlung solcher Trunksuchtmittel findet man in einer kürzlich erschienenen Schrift: „Die Trunksucht und ihre Heilung durch bewährte Heilmittel. Von Dr. Balert, prakt. Arzt. Neue Stereotypausgabe. Druck und Verlag von Enßlin und Laiblin. Reutlingen.“ (Ohne Jahreszahl!) Der Verfasser will sich meist persönlich von der bedeutenden Wirksamkeit und Nützlichkeit seiner Mittel überzeugt haben und stellt sich, wie auch seine Genossen im Fache des Heilschwindels zu thun pflegen, als Gegner einer gewissenlosen Industrie hin, „welche gerade die ärmste Bevölkerung durch ihre theuren Pillen ausbeutete, um nicht zu sagen, ihr das Hemd vom Leibe zog“; auch er handelt natürlich rein aus Menschenliebe und empfiehlt seine Schrift vorzugsweise den Predigern und Lehrern, sowie den Gutsbesitzern und Ortsvorstehern, welchen „diese Unglücklichen zur Last fallen.“ Unter den bewährten Hausmitteln, die ohne Kenntniß ihrer besonderen Wirkungen und Gefahren von jedem Laien angewendet werden sollen, finden wir neben einigen bitteren und gewürzhaften Pflanzenstoffen, wie Enzian, Kalmus, Kaskarille u. a. m., die scharfe und oft giftige Haselwurz, die Schwefelsäure, den gefährlichen Brechweinstein, und zwar in Gaben, die von Aerzten nicht ohne besondere Auszeichnung verordnet und von den Apothekern nicht ohne solche abgegeben werden dürfen. So werden z. B. für delirium tremens sogar höchst lebensgefährliche Gaben von Opium und Chloralhydrat vorgeschrieben, und das Alles als Hausmittel, ohne Unterschied der Person, der besonderen Verhältnisse und Gefahren.
Dr. Balert selbst freilich braucht die Verantwortung nicht zu scheuen; er existirt sicher nicht mehr – wenn er jemals existirt hat, was zu ergründen mir nicht möglich gewesen ist.
Wenn der Geheimmittelschwindel mit Recht als „ein Handel ohne Stolz, ohne Ehrgeiz, auf Täuschung aufgebaut, mit betrügerischen Mitteln ausgeführt, den ein ehrenhaftes Geschäft zurückweisen wird“, bezeichnet werden darf (s. Schnetzler und Neumann), so finden wir bei diesen Trunksuchtkuren die Vorspiegelung falscher Thatsachen und die Ausbeutung der Unerfahrenheit und der Nothlage weit bösartiger als bei dem Wucherer, bei dem es sich doch nur um Geld und Geldeswerth handelt, während hier Gesundheit und Leben in Frage stehen.
Die Trunksucht ist nicht etwa ein böser Dämon, der mit Beschwörungen aus ihrem Opfer ausgetrieben oder mit Arzneimitteln in ihm getödtet werden könnte, sondern der Trunksüchtige ist ein kranker Mensch, der, nach der gleichen Methode wie andere Kranke, gemäß seinen persönlichen Verhältnissen und Zuständen, nach den Ursachen seines Leidens und den Folgen, welche der Alkohol in ihm bewirkt hat, sehr verschieden behandelt werden muß und deßhalb nur nach genauer Kenntniß des besonderen Falles von einem wirklich Sachverständigen richtig behandelt werden kann. Wenn aber irgendwo, so ist ganz besonders in Bezug auf die Trunksucht richtig, daß eine Krankheit verhüten besser ist, als eine Krankheit heilen; denn die Trunksucht bringt große Gefahren des Leibes und der Seele mit sich, ihre Heilung ist äußerst schwierig und unsicher und erfordert außer der eigentlich ärztlichen Behandlung in der Regel eine moralische Erziehung und Gewöhnung an Enthaltsamkeit, Ordnung und Arbeitsamkeit, die meistens nur unter besonderen Umständen und in besonders zu diesem Zwecke eingerichteten Anstalten durchzuführen ist.
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Blätter und Blüthen.
Die deutsche Sprache in Oesterreich und Amerika. Der Kampf des Deutschthums gegen Unterdrückung ist zugleich ein Kampf für die deutsche Sprache. Daß dieselbe in Oesterreich, wo sie noch immer die Sprache des Heeres ist, nicht unter dem Sprachwirrwarr der zahlreichen andern Nationalitäten verschüttet werden darf: das scheinen doch jetzt auch die Männer des Kabinets Taaffe einzusehen. Der Unterrichtsminister Dr. von Gautsch hat auf seiner Rundreise in Böhmen bei Besichtigung der tschechischen Schulen stets das Mahnwort ausgesprochen: „Lernt deutsch!“, da er sich davon überzeugen mußte, daß die deutsch-böhmischen Abgeordneten Recht hatten, wenn sie im Parlamente diesen Mangel an Kenntniß der deutschen Sprache bei der tschechischen Jugend stets gerügt. Natürlich wehren sich die Tschechen aufs Aeußerste gegen diese Zumuthung; denn gerade die Kenntniß der deutschen Sprache muß der tschechischen Jugend die Ueberzeugung beibringen, daß sie einer überlegenen Kultur gegenüberstehen. Jeder Anwalt des Deutschthums hat gerade dadurch eine scharfe Waffe in der Hand, daß er die Kultur und Litteratur einer geistig hoch stehenden Nation gegen die untergeordneten Leistungen der in das österreichische Kaiserreich eingesprengten Völkerstämme ins Feld zu führen vermag. Und auch von jenseit des Oceans tönt jetzt eine Stimme herüber, welche diese Bedeutung des Deutschthums aufs Entschiedenste betont. Kein Geringerer als der hervorragende Staatsmann Nordamerikas, der dort stets dem Deutschthum ein mächtiger Hort gewesen, Karl Schurz, sprach sich bei der Versammlung des deutsch-amerikanischen Schulvereins, welche in New-York am 27. Juni stattfand, in diesem Sinne aus und zugleich im Sinne einer von jeder Einseitigkeit freien Duldsamkeit. „Wir haben das Gefühl,“ sagte er, „daß die Errungenschaften eines großen Kulturvolkes, seine Litteratur, seine Sprache, seine Kunst und sein Gemüthsleben nicht dem Volke allein gehören, sondern der ganzen Menschheit. Ich bin nicht dafür, daß die deutsche Sprache in Amerika aussterben soll, im Gegentheil, jeder, der deutsch spricht, versteht oder es zu lernen Gelegenheit hat, soll dies thun; denn er hat damit einen Schatz, der ihm in allen Lebensstellungen von ungeheurem Vortheil ist. Ich bin dafür, daß jeder Deutsche in Amerika ordentlich Englisch lerne, und wenn ich das könnte, würde ich jedem Amerikaner rathen, auch ordentlich Deutsch zu lernen, damit er sein Englisch um so besser versteht; das ist der Gesichtspunkt, von dem ich diese Frage ansehe. Wir wollen uns nicht in die politischen Kämpfe der Nationalitäten in Oesterreich mischen; wir wollen aber Eins thun, so weit wir dies können: wir wollen helfen, daß das große Kulturelement, welches in der deutschen Litteratur und Sprache, im Leben und Streben des deutschen Herzens und Geistes besteht, dem österreichischen Volke erhalten bleibe. Ich bin kein Feind der Tschechen, Ungarn oder Kroaten. Ich will die deutsche Sprache nicht nur deßhalb erhalten wissen, weil sie deutsch ist, sondern auch der Tschechen, Ungarn und Kroaten wegen. Die Ungarn haben eine Litteratur; aber selbst der stolzeste Ungar wird nicht sagen, daß sie sich mit der deutschen messen kann. Die böhmische Litteratur ist noch schwächer, und von einer kroatischen habe ich noch nichts gehört. Die deutschen Schulen in Ungarn, Böhmen und Kroatien werden also nicht allein dem Deutschthum dienen, sondern auch die herrschenden Volksstämme von einer brutalen Verfolgung des Deutschthums abhalten.“ Die Gefahren, welche demselben drohen, hebt auch Karl Schurz hervor. Hat doch neuerdings das Tschechenorgan „Politik“ ausdrücklich erklärt, mit dem Nationalitätenhader gehe es so nicht weiter; er dringe bis in das Heiligthum der Familie und lasse kein Gebiet mehr verschont; alle Fragen der Wissenschaft arteten zuletzt in böswilligen Streit aus, in welchem nationale Mißgunst, Neid und Verleumdungssucht die Hauptrolle spielten. Berufsstände eines und desselben Landes mit gemeinsamen Interessen würden gewaltsam aus einander gerissen. Schurz wies in seiner Rede auf den deutschen Schulverein hin: man richte so oft die Blicke auf die Deutschen in Amerika und wie diese immer, wenn große Wasserfluthen kämen, bereit seien, zu helfen. „Was wir jetzt sehen, ist auch eine Wasserfluth, und zwar eine der schlimmsten Sorte. Als das Hochwasser am Rhein wüthete, wurden Häuser weggeschwemmt; sie konnten wieder aufgebaut werden. Die jetzige Wasserfluth soll deutsches Wesen, deutschen Geist, deutsche Litteratur, deutsches Streben wegschwemmen. Haben wir den Leuten am Rhein wieder zu Häusern und Aeckern geholfen, so sollten wir den Deutschen in Oesterreich auch wieder zu ihrer Kultur helfen.“ Ernste, schöne Worte, die über den weiten Ocean zu uns herüber tönen und uns daran mahnen, daß gleicher Sinn und gleiches Streben herrscht, so weit die deutsche Zunge klingt. †
Ein Bundesgenosse Deutschlands. Der Bundesgenosse des deutschen Reichs, von dem wir hier sprechen wollen, kommt zwar bei einem europäischen Kriege nicht in Frage, wohl aber bei den deutschen Kolonisationsbestrebungen in Ostafrika, wo sie allem Anscheine nach einen sehr günstigen Boden finden. Es ist Mandare, der König von Moschi, auf dessen Reich der Doppelgipfel des afrikanischen Mont-Blanc, des Kilima-Ndscharo, des höchsten Berges im schwarzen Kontinent, herabsieht. Diesen Berg hat der Engländer Johnston bestiegen und in einem interessanten Reisewerk („Der Kilima-Ndscharo“, Leipzig, F. A. Brockhaus) beschrieben, sowie auch Land und Leute der nächsten Umgebung mit glänzendem Kolorit geschildert. Es sind zum Theil paradiesische Landschaften von großem malerischen Reiz, wie geschaffen für europäische Ansiedelung. Der König Mandare begrüßte den englischen Reisenden, indem er, von einer Kriegerschar umgeben, sich dem Zelte desselben näherte. Die Krieger waren in einem Halbkreis geordnet; jeder mußte seine glänzende Speerklinge gerade vor sich herhalten, daß der König wie von einem Halbkreis von Stahl umgeben war. Der Fürst machte anfangs auf Johnston den Eindruck, als ob er ein großes altes Weib sei. „Das gerundete bartlose Gesicht, der etwas zierliche säulenartige Hals, ein voller Busen und über all dem der Haarputz – ein rothes Taschentuch, wie es die Weiber in Sansibar tragen – und die wehenden Falten eines langen verblichenen, um den Leib geschlagenen Tuches machten mich eher glauben, ich sähe ein stolzes Mannweib vor mir, als einen afrikanischen Fürsten in der Blüthe seiner Jahre. Von ansehnlicher Größe, wahrscheinlich 177 bis 180 Centimeter hoch, war er vortrefflich gewachsen, wenn auch die runden Formen seines Umfangs eine Neigung zum Fettwerden bekundeten. Sein Gesicht war eigenartig breit, über die Backenknochen gemessen, die Augenbrauen schön gewölbt, die Nase leicht gekrümmt, der Mund weit mit dünnen Lippen, und das Kinn fest, rund und Entschlossenheit verrathend. Ein Auge war blind und sah irr und glasig aus, das andere aber glänzte wie das eines Adlers und sah funkelnd unter den Brauen hervor. Der allgemeine Eindruck seines Gesichts, besonders die gekrümmte Nase und die starken Backenknochen, erinnerte an die rothen Indianerhäuptlinge von Nordamerika.“ Alles, was Seiner Majestät von Johnston’s Garderobe in seinem Gepäck gefiel, wollte er haben; er begann schon sein erstes Gespräch mit den vielsagenden Worten: „Was Du für hübsche Stiefel hast!“ Johnston meinte, der König sei bereit, sich unter Sansibars Schutz zu begeben und so in den Machtkreis der Engländer zu gerathen; denn der General des Sultans, Mathews, ist ein Britte von Geburt. Statt dessen schloß Mandare ein Bündniß mit den Deutschen ab, von denen er schon früher den „Baroni“, Baron Klaus von der Decken, kennen gelernt. Wir zweifeln nicht, daß auf diesem Gebiete die deutsche Kultur mit der Zeit glänzende Erfolge davontragen wird auch im Verkehr mit den Eingeborenen: denn unser Deutschthum vertritt überall die Humanität, während der Engländer ausschließlich seinen praktischen Zwecken huldigt. So wird gewiß nach hundert Jahren die deutsche Jugend der Umwohner mit dem Alpenstock auf den ostafrikanischen Mont-Blanc wandern, den „Kälteteufelsberg“, wie die Uebersetzung seines Namens lautet, hinauf zu dem ewigen Schnee desselben, an den auch Naturforscher längere Zeit nicht glauben wollten, da der Riesenberg mitten in der heißesten Zone liegt, nur drei Grad vom Aequator entfernt. †
Der erste deutsche Verlagsbuchhändler. In der Geschichte des deutschen Buchhandels, welche die Historische Kommission des Börsenvereins der deutschen Buchhändler herausgiebt, werden in der eingehenden und gefälligen Weise, in der das ganze Werk abgefaßt ist, auch die Erfindung der Buchdruckerkunst und die ersten Schicksale derselben geschildert. Interessant ist es zu erfahren, daß der Ruhm Gutenberg’s, des ersten Erfinders derselben, der hier vollständig aufrecht erhalten wird, fast ein ganzes Jahrhundert hindurch verdunkelt war und daß man Fust und Peter Schöffer als die Erfinder dieser Kunst feierte. Namentlich der Letztere ließ durch seine Lohnschreiber das Verdienst Gutenberg’s überall verkleinern. Er war ein spekulativer Kopf und verstand sich überhaupt auf Reklame: er und Fust waren nachweisbar die ersten Händler mit den von ihnen gedruckten Büchern, die ersten Buchhändler; Schöffer aber organisirte dies Geschäft zum ersten Male im größeren Stil; er verschaffte sich einen Vertreter in Paris und verkaufte dort nicht bloß seinen eigenen Verlag, sondern auch die Werke anderer Verleger; er wurde Bürger der Stadt Frankfurt am Main, da diese nahegelegene Reichsstadt mit ihren Messen ihm die beste Gelegenheit zum Absatz seiner Verlagsartikel und zur Anknüpfung neuer Verbindungen bot.
Während der Erfinder Gutenberg verarmte, wurde Peter Schöffer wohlhabend. „In seiner geschäftlichen Thätigkeit,“ heißt es in der „Geschichte des Buchhandels“, „zeigen sich bereits die Grundlinien, auf denen der deutsche Verlags- und Sortimentshandel sich in der Folge weiter entwickelte: Auswahl der zu veröffentlichenden Werke unter bestimmter Rücksichtnahme auf das Bedürfniß und die Bildung der Käufer; Besorgung von Druckaufträgen auf Kosten Dritter; Ausdehnung des Geschäfts durch Errichtung von Filialen nicht bloß in Deutschland, sondern auch im Auslande; Verbindung des Sortimentsbuchhandels mit dem Verlag; Besuch der Frankfurter Messe; öffentliche Ankündigung der Verlagsartikel.“ †
Schmückung der Kriegergräber bei Metz. Wie bereits im vorigen Jahre an dieser Stelle mitgetheilt wurde (vergl. S. 484), hat der Metzer Turnverein alsbald nach seiner im Jahre 1872 erfolgten Gründung es als eine seiner Aufgaben erkannt, die Kriegergräber bei Metz mit frischen Kränzen zu schmücken, um so das Andenken an die tapferen Kämpfer, welche die großen Siege bei Metz mit ihrem Herzblut erkauften, wachzuerhalten.
Seit einer Reihe von Jahren nehmen auch die Kriegervereine von Metz und Umgebung, welche die gleichen Zwecke verfolgen, einen hervorragenden Antheil an der Gräberschmückung. Außerdem leistet der Turnverein den ferne weilenden Angehörigen, welche sich seiner Vermittelung bedienen wollen, kostenlos jeden auf die Schmückung der Gräber bezüglichen Dienst, indem er aus der Heimat gesandte Kränze auf den Gräbern niederlegt, über deren Zustand berichtet u. A. m. In diesem Jahre findet die allgemeine Schmückung Sonntag den 15. August statt, und der Metzer Turnverein bittet, ihm unter seiner Adresse „Postlagernd Metz“ alle bezüglichen Aufträge rechtzeitig übermitteln zu wollen. Für den pietätvollen Zweck sind im Herbst vorigen Jahres sechs Sammelbüchsen an verschiedenen Orten aufgestellt worden. Als am besten geeignet zur Aufstellung der Sammelbüchsen wurden die Schlachten-Panoramen erkannt. Mit dankenswerther Bereitwilligkeit haben die Direktionen des National-Panoramas in Berlin, des Sedan-Panoramas ebendaselbst, des Panoramas St. Privat in Dresden, desselben Panoramas in Köln, des Panoramas in Leipzig und des Panoramas in Frankfurt am Main die Aufstellung der Sammelbüchsen gestattet. Der Erfolg war ein die Erwartungen weit übersteigender. G. F.
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Zimmerfontaine. Die wohlthätigen Wirkungen einer Zimmerfontaine bestehen, wie wir schon wiederholt hervorgehoben haben, darin, daß der zerstäubende Wasserstrahl die Luft reinigt und durch die gleichmäßige Verdunstung kühl, feucht und milde macht. So erfrischend nun eine derartige Atmosphäre für den Gesunden ist, so wohlthuend wirkt sie namentlich auf Lungen- und Halsleidende, Nerven- und Augenkranke, die sich in der Nähe einer Zimmerfontaine wesentlich wohler fühlen. Der allgemeinen Verbreitung dieses so nützlichen Hausgeräthes stand bisher jedoch einerseits der hohe Preis, andererseits die schwierige und verwickelte Behandlung und Zustandhaltung der einzelnen Systeme im Wege. Diese Nachtheile sind durch die „Exakt-Fontaine“ beseitigt, welche der Ingenieur Ernst Fischer in Berlin SW., Belle-Alliancestraße Nr. 81, konstruirt hat. Dieselbe beruht auf dem Luftdrucksystem und ist überaus einfach und bequem zu handhaben und in Betrieb zu erhalten, indem man nach der Füllung des Bassins nur die unteren Ballons von Zeit zu Zeit wie eine Sanduhr umzudrehen braucht, um den Strahl von Neuem spielen zu lassen. Die sonst gebräuchlichen Uhrwerke, Heizvorrichtungen, Pumpen etc. kommen dadurch in Wegfall und mit ihnen mehr oder minder kostspielige Reparaturen und Betriebskosten. Die Exaktfontaine besteht, wie unsere Abbildung zeigt, aus einem das Bassin tragenden Blumentisch, der, aus Bronze, Zink und gebogenem Schmiedeeisen hergestellt und mit Gold bronzirt, zu jeder Zimmereinrichtung paßt und durch den niedrigen Preis von 30 Mark auch minder Bemittelten zugänglich ist.
Arndt’scher zusammenlegbarer Speiseschrank. Gute Erhaltung und Aufbewahrung der Speisen bildet im Sommer eine der Hauptsorgen unserer Hausfrauen. Sie haben in dieser Zeit nicht allein mit der übermäßigen Hitze zu kämpfen; auch das Heer der Insekten bestürmt namentlich in den heißen Monaten die Speisevorräthe und richtet durch Niederlegung der Brut nicht unbedeutende Verheerungen in der Speisekammer an. Ein treffliches Schutzmittel gegen alle derartige Verunreinigung der Küchenvorräthe bilden Schränke aus Eisendraht, deren Gebrauch leider bis jetzt nicht so allgemein geworden ist, wie man glauben sollte. Wir führen heute unseren Lesern die Abbildung eines solchen Speiseschrankes vor, welcher von der Firma Gebrüder Arndt in Quedlinburg vor Kurzem in den Handel gebracht wurde. Derselbe ist in den verschiedensten Größen zu beziehen und des leichteren Transportes wegen zusammenlegbar. Zum Schutze gegen Rost ist er zweimal dauerhaft lackirt und besitzt vor den hölzernen Schränken den Vorzug, daß er von Würmern, Mäusen und Ratten nicht zernagt werden kann. Seitdem man festgestellt hat, daß hier und dort Krankheitskeime durch Insekten, namentlich durch Fliegen, auf Nahrungsmittel übertragen wurden, kann dieser Schrank, welcher dem lästigen geflügelten Schwarm den Zutritt zu den Speisen verwehrt, in gewisser Hinsicht auch als ein Mittel zur Verhütung ansteckender Krankheiten betrachtet werden.
Frage 19: In verschiedenen Handbüchern der Blumenpflege wird der Rath ertheilt, Zimmerpflanzen mit „warmem“ Wasser zu begießen. Wie viel Grad soll die Temperatur des Wassers betragen, damit das Wachsthum der Pflanzen am besten gefördert werde?
Inhalt: Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 537. – Schwarzwälderin. Illustration. S. 537. – Ausstellungs-Briefe. Von Hermann von Baudissin. 2. Das Fest der Künstler. S. 540. Mit Illustrationen S. 540, 541, 542 und 543. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 544. – Das Picknick. Von Oskar Justinus. S. 551. Mit Illustration S. 548 und 549. – Goethe’s Sterbe- und Arbeitszimmer. Mit Illustrationen S. 553. – Die Geheimmittel gegen Trunksucht. Von Dr. Fr. Dornblüth. S. 554. – Blätter und Blüthen: Die deutsche Sprache in Oesterreich und Amerika. – Ein Bundesgenosse Deutschlands. – Der erste deutsche Verlagsbuchhändler. – Schmückung der Kriegergräber bei Metz. – S. 555. – Sprechsaal: Zimmerfontaine. – Arndt’scher zusammenlegbarer Speiseschrank. S. 556.
Elegant gebunden Preis 1 Mark.
Die über Erwarten günstige Aufnahme und die große Verbreitung, welche unser „Gartenlaube-Kalender“
gleich im ersten Jahre seines Erscheinens gefunden hat, machen es uns möglich, den Preis für den neuen Jahrgang, elegant in Ganzleinwand gebunden, auf nur 1 Mark festzusetzen.
Der Kalender bringt wieder neben einem ausführlichen Kalendarium, verbunden mit haus-, garten- und landwirthschaftlichen Notizen und einem Jagdkalender, zahlreiche praktische Nachweise und Tabellen, populär-wissenschaftliche, belehrende und unterhaltende Artikel, besonders auch gute Erzählungen, Humoresken, Gedichte und vorzügliche Illustrationen. Aus dem reichen Inhalte geben wir im Nachstehenden einen kurzen Auszug:
Kalendarium, statistische Nachweise, Tabellen etc. etc. – Auf Posten. Erzählung von Zoë von Reuß. Mit Illnstralionen von H. Fieg. – Ein kühner Kriegszug. Von R. Lindenheim. Mit Illustrationen von H. Lüders. – Anita. Eine westafrikanische Geschichte. Von C. Falkenhorst. Mit Illustrationen von Fritz Bergen. – Heidelberg. Von Emil Peschkau. Mit Illustrationen von R. Püttner. – Die Frau des Zott. Erzählung von Ludovika Hesekiel. Mit Illustrationen von H. Fieg. – Im Mai. Gedicht von M. Eichler. – Mein letztes Vielliebchen. Humoreske von B. Renz. Mit Illustrationen von Fritz Bergen. – Am Meer. Gedicht von Frida Schanz. Mit Illustration von R. Hirth du Frênes. – Das Tagewerk des Kaisers Wilhelm. – In der Webergasse. Von W. Heimburg. Mit Illustrationen von Z. R. Wehle. – Die Ruhestätte zweier Dichtermütter. Mit zwei Schattenrissen und einer Illustration von R. Püttner. – Beim Photographen (mit Illustration). Eine Plauderei von Oscar Justinus. – Der alte Fritz. Zum Gedächtniß seines hundertjährigen Todestages. Von Schmidt-Weißenfels. Mit Illustration nach Wilhelm Kaulbach’s Karton. – Blätter und Blüthen. Mit Illustrationen von Th. Grätz. – Ein Liebling des deutschen Volkes. (J. V. v. Scheffel.) Von R. Artaria. Mit Portrait. – Ueber Hausmittel und deren Anwendung bei Kindern. Offener Brief an eine Mutter. Von Sanitätsrath Dr. Fürst (Leipzig). – Stubenvogel-Züchtung zum Vergnügen, für wissenschaftliche Zwecke und zum Erwerb. Von Dr. Karl Ruß in Berlin. – Ein Königsleben. (Ludwig II. von Bayern.) Von Schmidt-Weißenfels. (Mit Portrait.) – Vom Büchermarkte. Von R. v. Gottschall. – Leopold Ranke. Vvn Ernst Hellmuth. (Mit Portrait.) – Die Entstehung der Finsternisse, insbesondere über die totale Sonnenfinsterniß vorn 19. August 1887. Von Dr. M. Wilhelm Meyer. – Polytechnische Umschau. Mit Illustrationen. – Uebersicht der Tagesgeschichte. Juni 1885 bis Juni 1886. – Gruß aus dem Gebirge. Illustration von H. Fechner jr. – Hochwildjagd. Jllustration von C. Reichert. – Die kleine Haarkünstlerin. Illustration von Paul Wagner etc. etc.
Der reiche gediegene Inhalt, die geschmackvolle Ausstattung und der überaus billige Preis des neuen Jahrgangs werden unseren „Gartenlaube-Kalender“, wie wir zuversichtlich hoffen, seiner Bestimmung, eine Ergänzung der „Gartenlaube“, ein alljährlich wiederkehrender, gern gesehener Hausfreund in jeder deutschen Familie zu werden, um ein gutes Stück näher bringen.
Der erste Jahrgang 1886 des „Gartenlaube-Kalenders“ steht denjenigen Abonnenten, welche denselben noch nicht besitzen, soweit der Vorrath reicht, zum Preise von 1 Mark ebenfalls noch zur Verfügung.
Den beiliegenden Bestellzettel wolle man gefl. mit Namen und Adresse versehen der Buchhandlung übergeben, welche die „Gartenlaube“ liefert. – Postabonnenten erhalten den „Gartenlaube-Kalender“ in jeder beliebigen Buchhandlung oder gegen Einsendung von 1 Mark und 20 Pfennig (für Porto) in Briefmarken direkt von der unterzeichneten Verlagshandlung.
Leipzig, den 1. August 1886. Ernst Keil’s Nachfolger.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: herausgekommnn