Die Gartenlaube (1887)/Heft 44

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[725]

No. 44.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
1.

Die Stadt hat sich außerordentlich verändert, dachte Herr von Perser, als er in einer Droschke, die er nach seiner Ankunft am Bahnhofe bestiegen hatte, durch ihm fremde, neu errichtete Straßen fuhr. Im Wagen hatte der Reisende einen leicht tragbaren Handkoffer auf dem Sitz gegenüber, und auf den Knieen einen Plaid, den er beim Frost eines früh dämmernden Herbstnachmittags um so fester an sich zog, je weniger dicht sein Oberkleid erschien.

Fünfundzwanzig Jahre! fuhr er in seinen Gedanken fort, die silberne Hochzeit meiner ersten Trennung von dieser alten geliebten Stadt oder meiner ersten Begegnung mit dem schrecklichen Paris. Nie wieder dahin! Das ist eine Zeit, daß nicht bloß die Weltgeschichte, daß auch gewöhnliche Bauleute schon etwas aufführen können. Ich hoffe aber, sie haben mir das alte Gebäude unangetastet stehen lassen; es hat immer so fest und stattlich ausgesehen, wie für Jahrhunderte gebaut.

Die Droschke bog jetzt in Straßen ein, deren er sich wohl zu erinnern vermochte; ja er wollte sogar hier und da einen Laden wiedererkennen, wie er ihn in seiner Jugend gesehen hatte. Dies überkam ihn wohlthuend wie eine Illusion, als ob noch vieles Andere unverändert geblieben sein müßte, unbeschadet freilich des Hinschwindens seiner eigenen Jünglingstage. Unveränderlichkeit ist oft ein so großes Uebel, Menschen und Dingen gegenüber, die man um jeden Preis anders haben möchte; wenn aber die Unveränderlichkeit an sonst gleichgültigen und nur lange nicht gesehenen Gegenständen hervortritt, dann schöpft man die Hoffnung, auch was schon längst verloren gegeben ist, müsse sich plötzlich wiederfinden lassen.

Er hielt vor dem alten Gebäude still, welches das Ziel seiner Fahrt war. Da er nicht sogleich abstieg, trat der Kutscher an den Wagenschlag. Herr von Perser zog, noch immer sitzen bleibend, sein Geldtäschchen und reichte absichtlich ein Zehnmarkstück hin in der Voraussetzung, daß der Kutscher nicht werde wechseln können. Das war richtig und Herr von Perser sagte:

„Rufen Sie ’mal den Hausmann hier; es ist ja sonst nichts in der Straße, kein Verkaufsladen."

In der That, die große breite Straße war den ganzen Tag über wie ausgestorben, und auf jener Strecke, zu der das alte Gebäude gehörte, befand sich nicht einmal ein Gassengeschäft. Man hätte glauben können, in diesen Häusern müßten lauter vom Schicksal vergessene Menschen wohnen, weil es rings umher stets so still war und das Schicksal doch immer die Gestalt vielbewegter Menschen und vielbeweglicher Sachen annimmt. Die Stimme Herrn von Perser’s war wegen dieser Stille auch viel vernehmbarer, als er beabsichtigte.

„Ach nee!" schallte eine Frauenstimme zurück, „was geht denn das uns an?"

Die Stimme gehörte der Hausmannsfrau selbst, die unbemerkt im Schatten der Einfahrt


Bernhard v. Langenbeck.


[726] gestanden hatte. Das war ein Zufall, der dem Wunsch des Reisenden völlig entgegenkam. Er verließ den Wagen, den Plaid auf den Schultern, den Koffer in der Hand, und gab der Frau das Goldstück mit den Worten:

„Sie sollen eine Mark für Ihre Bemühung haben.“

Die Frau verschwand im finstern Eingang; Herr von Perser folgte ihr bis in die höhlenartige Pförtnerwohnung, wo das nöthige Kleingeld sogleich beisammen war. Er ließ durch die Frau den Kutscher befriedigen und behielt die übrigen Münzen in der Hand, was den Anschein hatte, als ob er sie nach und nach an eine Schar Kinder zu vertheilen Lust hätte, die vom Spielen im Hofe abgelassen hatte, um den fremden Mann anzustarren.

Wahrscheinlich traute ihm auch die rückkehrende Frau solche Großmuth zu; denn die essigscharfen Züge ihres Gesichtes milderten sich, als sie die Frage beantwortete, wie lange sie schon in diesem Hause bedienstet sei.

Herr von Perser kannte kaum eine höhere Lebensklugheit, als unerwartete Freigebigkeit gegen untergeordnete Leute. Diese Tugend hatte ihm oft schon mit verhältnißmäßig geringen Kosten Vortheile gebracht, welche Andere mit großem Aufwand kaum erschwingen konnten. Jetzt beschäftigte er sich, immer in der Haltung, als ob er sich entfernen wollte, mit den Kindern, fragte sie, betheilte sie, brachte sie zum Lachen und wendete sich dann erst wieder der Frau zu mit der Bitte, ihm zu sagen, ob das Haus noch immer das Eigenthum des ostpreußischen Gutsbesitzers von Tartarow sei.

Der Name war der Frau ganz unbekannt; aber sie begann eine Erzählung von dem neuen Eigenthümer und rückte dabei ihrem Besucher einen Stuhl zurecht. Herr von Perser ließ sich nieder und hörte eine Weile zu, bis er gewiß war, daß die Mittheilungen der Frau nichts enthielten, was mit seinen eigenen Interessen eine Berührung hatte. So unterbrach er denn ihren Redestrom: „Die Familie Tartarow, der noch vor fünfundzwanzig Jahren das Haus gehörte, hat die zweite Etage des Vorderhauses bewohnt. Wer wohnt jetzt in dieser Etage?“

„Die verwittwete Geheimräthin,“ erwiederte die Frau und suchte, als Perser den Namen wissen wollte, nach einer Tafel, die eigentlich im Hausflur hätte hängen sollen und auf welcher die Bewohner der verschiedenen Etagen verzeichnet waren. Perser las den Namen: „Geheimräthin Brigitta Forstjung“ und versank in Nachdenken. Der Name war ihm ganz fremd, und sein Nachdenken bezog sich eben auf die Möglichkeit, in der ihm gewordenen Mittheilung einen Anhaltspunkt für sein Vorhaben zu finden.

„Brigitta!“ sagte er zu sich selbst und wußte nicht, ob dieser Frauenname schon in sein Leben eingegriffen hatte oder nicht. Es war aber thöricht, über einen Namen zu grübeln, der so verbreitet ist, und er entschloß sich endlich, rund heraus zu fragen, ob die Geheimräthin, die, wie die Frau gesagt, kinderlos war, die nach seiner Erinnerung sehr geräumige Wohnung ganz allein innehabe oder ob sie vielleicht Zimmer vermiethe oder zu vermiethen geneigt wäre.

„Ja,“ erwiederte die Hausmannsfrau, „es ist einmal davon die Rede gewesen; es läßt sich ja ein schönes Stück des Quartiers ganz von den vorderen Zimmern abtrennen. Die Geheimräthin ist aber nicht darauf angewiesen und hat darum keinen Zettel herausgehängt. Sie wartet, daß eine Person, die ihr paßt, von selbst kommt.“

Herr von Perser richtete sich hoch auf; sein Freiherrntitel fiel ihm ein, und Etwas sprach in seinen Gedanken dafür, daß damit das Passende schon gefunden sein müsse. Dennoch sank sein Haupt wieder und Schatten flogen über seine Stirn. Wieder kam er nach einigem Besinnen darauf zurück, ob denn aus der Zeit, da er selbst in diesem Hause gewohnt hatte, Niemand mehr am Leben wäre.

„Warten Sie,“ rief die Frau lebhaft, „ich weiß schon Einen. Haben Sie noch den Trödler gekannt, der bis vor fünf Jahren an der Ecke der langen Straße einen Laden gehalten hat? Man hat gesagt, er wär’ älter als das Haus. Er ist wirklich ein ganz zusammengeschrumpfter, uralter böser Geist. Ich weiß, daß er seit Ewigkeit den Laden gehalten und dabei immer hier im Hinterhause gewohnt hat, zwei Treppen hoch. Wie heißt er nur?“

Die Frau kramte in einer Schublade, in der sich verschiedene alte und beschmutzte Papiere befanden, und einen Streifen hervorziehend, fuhr sie fort: „Jetzt hat der Inspektor das Hinterhaus selbst zu versehen. Wir haben aber noch hier alle Miethsleute aufgeschrieben. Da steht es, wie er heißt.“

Perser las den Namen „Carmisoli“, und vor seiner Erinnerung tauchte ein Bild auf, welches selbst durch das Schwatzen der Frau nicht zerstört werden konnte.

„Wie ich Ihnen sage,“ sprach sie eifrig weiter; „vor fünf Jahren hat er den Laden aufgegeben, aber nicht das Geschäft und auch nicht seine Wohnung. Der muß sein Glück gemacht haben; denn früher hatte er da oben nur zwei Stuben und eine Küche. Jetzt hat er das ganze Stockwerk, es sind acht Zimmer. Alle sind voll von seinem Trödel. Es kommen aber auch vornehme Leute zu ihm, oft Damen in der Equipage, die dann oft eine Stunde vor dem Hause warten muß.“

„Ich erinnere mich sehr wohl,“ fiel Perser ein, der nicht widerstehen konnte, den Gedanken, die plötzlich seine Seele bewegten, lauten Ausdruck zu geben; „ich erinnere mich sehr wohl des Ladens, habe oft lange hineingeschaut auf den bunten Kram, wollte immer etwas kaufen und bin niemals dazu gekommen, weil ich niemals etwas gesehen habe, was ich hätte brauchen können. Und Sie glauben, meine gute Frau, daß Carmisoli über die früheren Bewohner des Hauses Auskunft geben könnte?“

Sie bejahte; er ließ Koffer und Plaid in ihrer Verwahrung und machte sich auf den Weg, den Trödler im Hinterhause aufzusuchen.




2.

Ludwig von Perser stammte aus einem freiherrlichen Geschlecht der Rheinprovinz. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte er die Universität der Hauptstadt besucht und in diesem Hause bei der seinem Vater befreundeten Familie des ostpreußischen Gutsbesitzers von Tartarow gewohnt. Damals war er nahe dran gewesen, sich mit einer englischen Dame, die aber von ihrer Kindheit an in Deutschland erzogen worden, mit einer Miß Isabel Glowerstone zu verloben. Der frühe Tod seines Vaters, welcher ein weit geringeres Vermögen zurückgelassen, als man zu erwarten berechtigt gewesen, hatte die Partie zerschlagen, und eine Zeit lang waren deßhalb fast tragische Entschlüsse im Busen des jungen Mannes aufgestiegen.

Allein er war mit seinem noch immer nicht unbedeutenden Erbtheil nach Paris gegangen, wo er seit fünfundzwanzig Jahren ununterbrochen gelebt hatte. Das Leben, das er geführt, war nicht gerade ein verschwenderisches gewesen, schon weil die Erinnerung an Miß Isabel niemals die Lust zu rauschenden Freuden recht hatte in ihm aufkommen lassen, eben so wenig wie die Möglichkeit, sich zu verheirathen. Dennoch sah er zuletzt sein Vermögen auf eine Weise reducirt, daß er nur noch hoffen konnte, unter befreundeten Menschen in Deutschland eine auskömmliche Existenz zu finden. Dabei war sein erster Gedanke die Familie Tartarow gewesen.

Was war aus den Tartarow’schen Mädchen geworden? Mit der jüngsten, die bei seinem Scheiden noch ein Kind war, hatte er sich nicht abgegeben, aber der damals zwanzigjährigen Johanna mußte er jetzt lebhaft gedenken.

Niemand war mehr in dem alten Gebäude vorhanden, der ihm über die ehemaligen Bewohner hätte Auskunft geben können, Niemand, als nach der Aussage der Hausmannsfrau der alte Trödler von der Straßenecke, Carmisoli, zu dem er jetzt die zwei Treppen hinanstieg.

Er zog die Klingel. Ein kleiner Bursche öffnete ihm und Perser trat in ein unerleuchtetes Vorgemach. Noch hatte er nicht gesprochen, als eine alte Person, der man die Köchin auf den ersten Blick ansah, mit einer Lampe in der Hand die Thür eines inneren Raumes öffnete. Jetzt konnte Perser gewahren, daß der kleine Bursche seltsam ausstaffirt war, halb wie ein Reitknecht, halb wie ein Page, nicht anders, als ob er selbst [727] zum Trödelwerk gehörte und zwischen Porcellanfigürchen aufzustellen gewesen wäre. Außerdem saß ein Livreebedienter wartend im Vorgemach.

Auf die Frage der Köchin nach seinem Begehr wollte Perser einfach weiterschreiten, wie man in einen Verkaufsladen sich begiebt. Allein die Köchin gestattete ihm dies nicht: sie verlangte, seinen Namen zu wissen. Er zog seine Visitenkarte. Der Bursche nahm sie und verschwand.

Perser ging ungeduldig hin und her, nachdem die Köchin die Lampe auf einen Tisch gestellt und sich entfernt hatte. Wieder war es ein Gemisch von Stolz und Demuth, was sich der Seele des Barons bemächtigte; wie schon kurz vorher bei der Hausmannsfrau, als er seines Ranges gedacht, drückte sich ein hochfahrendes Selbstbewußtsein in seinen Zügen aus und machte bald wieder einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz.

Der kleine Junge kehrte mit der Meldung zurück, der Herr Baron müsse eine halbe Stunde warten oder ein anderes Mal kommen. Es entsprach dem Gefühle der Demuth, welches ihn überkommen hatte, daß Perser sich zum Warten entschloß. Kaum gönnte er dem seltsamen Umstand, daß hier die Form der Meldung wie bei einer angesehenen Herrschaft zu walten schien, während es sich doch nur um den Eintritt bei einem alten Ladenbesitzer handelte, einen flüchtigen Gedanken. Der schwere Druck der Nothwendigkeit nahm seine Seele ein und führte seine Vorstellungen, ohne daß er es wollte, auf die Thatsachen zurück, die er in diesem Hause erlebt und die ihn vor fünfundzwanzig Jahren daraus vertrieben hatten.

Mit dem eigentlich interessanten Mittelpunkt der Familie von Tartarow, mit Johanna, hatte er nur in geringem, ganz äußerlichem Verkehr gestanden. War er doch damals in der Lage gewesen, das einzige Erlebniß, welches ihn jemals zur Thatkraft und Leidenschaft aufgeregt hatte, mit ganzer Kraft der Seele festzuhalten: die so früh gescheiterte Beziehung zu Miß Isabel Glowerstone, jetzt ein längst verschmerzter Verlust, damals die Hoffnung auf ein ganzes, volles Lebensglück. Allerdings hatte ihn im letzten Jahre seines Aufenthaltes der Gang der Dinge in ein sonderbares Verhältniß zu Johanna gebracht, welches jedoch nur von kurzer Dauer war und an dessen Verlauf er nicht gerade mit Selbstbefriedigung zurückdachte, wenn er sich auch den Gedanken daran stets aus dem Kopfe geschlagen hatte, um so mehr, als nichts geschehen war, was thatsächlich in sein Leben eingegriffen hätte.

Endlich wurde eine zum inneren Raume dieses seltsamen Trödlerladens führende Thür geöffnet, und eine Dame, vornehm gekleidet, rauschte durch das Vorgemach. Der Bediente, der in der Ecke gewartet, war aufgesprungen, und die Köchin eilte herbei, um der Dame die Ausgangsthür zu öffnen. Der Bediente folgte, und Perser glaubte, daß er lange genug bei einem Trödler antichambrirt hätte, und wollte sich ohne Weiteres in das Innere der Wohnung begeben. Die Köchin faßte ihn jedoch beim Rocke und erklärte kurz, daß er entweder fortgehen oder noch warten müsse.

„Ich werde mir doch den Weg in den Verkaufsladen eines Trödlers freimachen können,“ rief Perser mehr lachend als ärgerlich.

„Da müßte ich nicht die Katharine Plunz sein,“ erwiderte die Frauensperson und sah ihm scharf und drohend ins Gesicht.

Perser senkte das Haupt mit derselben Niedergeschlagenheit, die ihn heute schon oft überkommen, und ließ sich wieder auf den Stuhl nieder.

Sind einmal längst vergangene Tage durch irgend einen Umstand wieder in Erinnerung gebracht worden, so treten auch Personen wieder ins Gedächtniß, die man bisher gänzlich vergessen hatte. So tauchte jetzt vor Perser mit der Gestalt seiner Jugendgeliebten, Miß Isabel Glowerstone, auch die ihres Vetters Albert auf.

Miß Isabel hatte zum Hause des Sir Robert Glowerstone gehört, ihres Oheims, der einen beträchtlichen Theil seines Vermögens politischen Zwecken geopfert hatte und deßhalb mit dem Rest nach dem Kontinent gegangen war. Von der Geliebten wußte Perser nur so viel, daß sie, nachdem die Verbindung mit ihm gescheitert, nach England zurückgekehrt und Hofdame einer Prinzessin geworden war. Erst vor wenigen Jahren hatte sie einen steinalten und steinreichen Franzosen, einen Grafen Surville, geheirathet, und sie sollte gegenwärtig nach dem Tode ihres Gatten auf einem Gut in den Pyrenäen, ihrem Wittwensitz, leben.

Diese Thatsachen hatte Perser in Paris durch einen Brief des Sohnes von Sir Robert, Albert Glowerstone, erfahren. Die Gestalt dieses Mannes war eben jetzt plötzlich in der Erinnerung Perser’s aufgetaucht. Albert hatte auf der Universität dieser deutschen Stadt Philosophie studirt und war eben so oft zu Perser in das Haus der Tartarow’s gekommen, wie dieser in das Haus Sir Robert’s. Nach der Lösung des Verhältnisses zu Miß Isabel hatte Perser auch den Umgang mit Albert bald abgebrochen; denn ein hinter eleganten Manieren mehr und mehr hervorgetretenes Schmarotzerthum, welches die Börse Perser’s unverhältnißmäßig in Anspruch genommen, hatte ihn bewogen, die Gesellschaft des Halbengländers immer deutlicher abzulehnen. Von seinen fernern Schicksalen wußte Perser nur, daß Albert später eine junge Dame geheirathet, die ihm ein kleines Besitzthum am Rhein zugebracht hatte, wo er jetzt noch als Wittwer und Vater eines Mädchens lebte.

Die Thür ging wieder auf; der kleine, seltsam kostümirte Bursche erschien, wie um den Vortritt zu leisten, und ihm folgte ein elegant gekleideter Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, der noch einige Worte in die inneren Gemächer zurücksprach, wahrscheinlich zu dem Trödler, der ihn bis an die Schwelle des Vorgemachs begleitet haben mochte. Der junge Mann warf einen flüchtigen Blick auf Perser, während die Köchin herbeistürzte, um den Ueberzieher zu reichen, wobei sie fast ununterbrochen den Titel „Herr Legationsrath“ im Munde führte. Nach der Entfernung desselben fragte Perser mit ironischem Lachen, ob er sich jetzt des Eintritts unterfangen dürfe, was der kleine Bursche mit einer Handbewegnng, die nach innen wies, beantwortete.

Perser fand im ersten Gemache, welches von einer herabhängenden Ampel nur wenig erleuchtet war, eine Gestalt, die mit seiner Erinnerung an den Trödler nicht völlig übereinstimmcn wollte. Statt der aus verschiedenen Zeitepochen des vorigen Jahrhunderts zusammengefügten Kleidung trug der kleine alte Mann, der den Eintretenden mit stummer Verbeugung begrüßt hatte, die Salontracht eines Hofraths oder Diplomaten. Er war ganz in Schwarz gehüllt mit Ausnahme der hohen weißen Halsbinde, und sein mit vielen kleinen Falten bedecktes Antlitz wäre sogar ehrwürdig erschienen, wenn nicht eine stark hervortretende rothe Nase, an der ihn auch Perser wieder erkannt hatte, dem sonstigen Charakter der Züge Eintrag gethan hätte.

Carmisoli entschuldigte sich, daß er den Baron so lange hatte warten lassen. Er wäre, seit er den Gassenladen aufgegeben, nicht mehr in der Lage, beaufsichtigende Leute um sich zu haben, und könne bei den Schätzen, die hier aufgespeichert seien, einen Fremden nicht einlassen, so lange andere Personen anwesend wären. Freilich hätte das neue Lokal den Vortheil, vornehme Herren und Damen anzulocken.

Der Trödler kramte auch den Trödel seiner aristokratischen Beziehungen aus, nannte unter Anderen den Legationsrath Siegfried Malköhne, der eben von ihm gegangen war, und rühmte sich der Bestellungen von Seite adeliger Damen, unter denen er auch die Gräfin Surville nannte. Perser erfuhr dadurch zu seiner Ueberraschung, daß sie sich wieder in Deutschland aufhielt. Er entschuldigte sich seinerseits, daß er nicht gekommen war, um etwas zu kaufen, sondern um eine Erkundigung einzuziehen, und erwähnte der Familie von Tartarow mit dem Bemerken, daß wohl Niemand mehr als Herr Carmisoli, der schon vor einem Menschenalter das Haus bewohnt, über den ehemaligen Besitzer desselben würde Auskunft geben können.

„Von den Tartarow’s,“ erwiederte der Trödler, „sind alle verschwunden, begraben; einige leben freilich noch in der Provinz; aber warten Sie, neulich war die Geheimräthin Forstjung in meiner Galerie, und es ist mir aufgefallen, daß sie sich im Gespräch mit einer andern Dame eine geborne von Tartarow genannt hat. Das fällt mir erst jetzt wieder ein. Die Geheimräthin bewohnt im Vorderhaus die zweite Etage. Sie ist Wittwe.“




[728]

Schwarzwald. Neuweier. Steinbach (Erwin-Denkmal). Varnhalt. 
 Schloß Horrenbach. Eisenthal. Gallenbach.
 Bühl.0Affenthal.  Neufreistedt.   Lichtenau.
 Achern. Saßbach. Schwarzach.   Fort Louis.
 Straßburg.  Drusenheim.   Sesenheim.
 Vogesen.

Rundschau von der Yburg. 0Originalzeichnung von Professor A. Kappis.


3.

Das war Alles, was Perser wissen wollte, und war mehr, als er gehofft hatte. Er eilte rasch die Treppe hinab und begab sich nach dem Vorderhaus, um trotz der Stunde, die inzwischen eine späte geworden war, den Versuch zu machen, bei der Geheimräthin vorzukommen. Was blieb ihm auch übrig? Mit tiefer Beklommenheit gestand er sich, daß diese Momente, in welchen er aufs Gerathewohl eine neue Lebenslage aufsuchte, die bittersten waren, die ihm sein Schicksal bisher bereitet hatte. Es ist noch immer weniger grausam, das Letzte auf eine Karte setzen zu müssen, als alle seine Hoffnungen Zufällen anzuvertrauen, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt eine Karte sind, die im günstigen Falle Gewinn bringen kann.

Bei der Geheimräthin Forstjung war eben Damenkaffee gewesen, und als sich Perser mit Abgabe seiner Karte melden ließ, befand er sich in einem Vorsaal, der von Frauen und Mädchen, die ihre Straßenkleider wieder angezogen hatten, ganz erfüllt war. Erst, als die letzte Dame verschwunden war, wurde er gebeten, einzutreten. Man öffnete ihm ein kleines Gemach, dessen zurückgeschobene Portière auf der entgegengesetzten Seite den Blick in den großen Salon gewährte, den die Gesellschaft soeben verlassen hatte. Offenbar war es nur dieser Umstand, der ihm das Boudoir erschloß; man wollte einen fremden Besuch nicht in den augenblicklich unwirthlich gewordenen Räumen empfangen, in welchen das fröhliche Treiben der jungen Mädchen Alles in Unordnung gebracht hatte. Perser war kaum einige Minuten allein geblieben, als die Geheimräthin an der Schwelle erschien, eine hohe, stattliche Frau, die seinen Gruß stumm und kalt erwiederte. Der Baron sah, daß die Gestalt einer Juno ein Antlitz trug, an welchem die blühende Jugend bereits vorübergegangen war, ohne jedoch ihr Scheiden allzuschwer empfinden zu lassen. Die Züge waren überaus gewinnend und verführten, der Dame kaum mehr als dreißig Jahre zu geben, während sie in Wahrheit schon über das fünfunddreißigste Lebensjahr hinaus war.

„Ich wünschte ein alter Bekannter zu sein,“ sagte Perser bei seiner ersten Verbeugung, „bin aber leider nicht sicher, ob ich dies wirklich bin. Ich komme nur in der Voraussetzung, mit dem [729] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.



Mitglied einer Familie zu sprechen, die mir vor vielen Jahren nahe befreundet war.“

„Ich bin eine geborne von Tartarow,“ erwiederte die Geheimräthin, die steif aufrecht stehen blieb und keine Miene machte, den Baron zum Sitzen einzuladen.

„Ich weiß nicht, ob das ein Grund ist, daß ich meinen Namen als bekannt annehmen darf,“ sprach der Baron, sich von Neuem verbeugend.

„Ich würde Sie sonst um diese Stunde nicht mehr empfangen haben,“ erwiederte die Geheimräthin; „man kann aber einen langgehegten Vorsatz nur ausführen, wenn man jede noch so unerwartete Gelegenheit dazu ergreift.“

Als der Baron diese ihm räthselhaft klingenden Worte nicht erwiedern konnte, setzte die Dame hinzu:

„Ist Ihr Gedächtniß so stark, wie angeblich Ihre Freundschaft für das Haus Tartarow, so müssen Sie wissen, wer vor Ihnen steht.“

Perser erinnerte sich, daß er an diesem Nachmittag bei der Hausmannsfrau den Vornamen der Geheimräthin gelesen und sich vergebens besonnen hatte, in welcher Weise dieser Name in sein Leben eingegriffen hätte. Er konnte jetzt nichts Besseres thun, als ihn aussprechen, womit eine scheinbare Probe seines Gedächtnisses gegeben war.

„Brigitta!“ sagte er daher mit gefühlvollem Ausdruck.

„Sie erinnern sich also?“ rief die Geheimräthin etwas lebhafter; „das kleine Mädchen, das Ihnen niemals sehr hold war, ist Ihnen nicht ganz entfallen?“

Jetzt erst schoß es wie ein Blitz durch die Seele Perser’s.

„Die Schwester Johanna’s!“ sprach er mit Lächeln; denn er war entzückt von der Erinnerung, die ihm so plötzlich zu Hilfe gekommen war.

„Mein Vorsatz aber, den ich seit vielen Jahren, seit dem Tode Johanna’s, im Herzen hegte, ist: demjenigen, der meiner edlen, geliebten Schwester ein Unrecht zugefügt hat, meine Bitterkeit, meinen Zorn nicht zu verschweigen.“

Jetzt erst winkte sie Perser, sich niederzulassen, und nahm vor ihm Platz, um die Erklärung zu geben.

(Fortsetzung folgt.)


[730]
Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Edmund Alfred Brehm.
Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil.

Aegypten und Nubien, unmittelbar an einander grenzend, durch den ihnen gemeinsamen Strom verbunden, sind wesentlich von einander verschieden. Aegypten durchfluthet der göttliche Nil in ruhigem Gange, Nubien durchrauscht er in hastiger Eile; über Aegyptenland verbreitet er weithin seinen Segen; in Nubien wird er gefesselt durch hohe, felsige Ufer; in Aegypten erreicht er die Wüste, in Nubien die Wüste ihn selber. Aegypten ist ein Garten, welchen er in einer Arbeit geschaffen, die Jahrtausende währt; Nubien eine Wüste, welche er nicht zu besiegen vermochte. Wohl hat auch diese Wüste Oasen wie jede andere; ihrer aber sind wenige und alle kaum in Betracht zu ziehen gegenüber dem in unwandelbarer Oede und Unfruchtbarkeit verharrenden Lande zu beiden Seiten des Stromes. Fast überall in dem langen, gewundenen Thale, welches wir Nubien nennen, erheben sich dunkle, glänzende Felsenmassen aus dem Strombette selbst oder doch nur in geringer Entfernung vom Ufer, verwehren aus weite Strecken hin beinahe allen Pflanzen, sich zu entwickeln, und empfangen nur durch die Wüste im Osten wie im Westen eigenartigen Schmuck in Gestalt goldgelber Sandwogen, welche über sie hinab zum Strome rollen. Glühend blitzt die Sonne hernieder von dem tiefblauen, kaum jemals bewölkten Himmel, und viele Jahre nach einander erfrischt nicht ein einziger Regenguß das ausgedörrte Land. In dem tief eingeschnittenen Felsenthale kämpfen die lebenspendenden Wogen des befruchtenden Stromes vergeblich mit dem unempfänglichen Gesteine, an welchem sie sich hallend und brausend, rauschend und donnernd brechen, als könnten sie zürnen, daß ihrer Freigebigkeit Undank, ihrer Milde Trotz geboten wird. Die Walstatt, auf welcher dieser Kampf stattfindet, ist das Gebiet der Stromschnellen des Nil.

Die wenigsten Reisenden, welche das untere Nilthal durchziehen, lernen die Stromschnellen seines mittleren Laufes kennen. Ein verhältnißmäßig geringer Bruchtheil von ihnen überschreitet den sogenannten ersten Katarakt, unter Hunderten kaum Einer den zweiten. Wadihalfa, ein unmittelbar unter der zweiten Stromschnellengruppe gelegenes Dorf, bildet das gewöhnliche Ziel der Nilreisenden; weiter nach Süden hin treiben nur Forschungsdrang, Jagdeifer oder Hoffnung auf Handelsgewinn. Von Wadihalfa aus beginnen die Schwierigkeiten einer Reise in das Innere Afrikas: kein Wunder daher, daß die große Menge in jenem Palmendorfe den Bug des Bootes wieder heimwärts kehrt. Wer aber jung und kräftig, willensstark und unverzärtelt ist, wird niemals bereuen, wenn er weiter nach Süden vordringt. In dem an landschaftlichen Reizen armen Nilthale bildet das Gebiet der Stromschnellen eine eigenartige Welt für sich. Großartige und anmuthige, ernste und heitere, unendlich öde und frisch lebendige Bilder wechseln mit einander ab; aber es sind Bilder der Wüste, welche diese Landschaft dem Auge bietet, und Vergessen des Gewohnten wird zur Vorbedingung, um sie so zu würdigen, wie sie verdienen.

Wer nicht im Stande ist, die Wüste zu begreifen, an ihrem Farbenreichthum sich zu ersättigen, ihre Gluth zu ertragen, an ihrer Nacht sich zu erquicken, thut wohl, auch die Nilwüste zu meiden; wer offenen Auges und empfänglichen Herzens das Gebiet der Stromschnellen durchwandert, womöglich sogar in gebrechlichem Boote, den Kampf aufnimmt mit den schäumenden und tobenden Wogen, wird sein ganzes Leben hindurch zehren an köstlichen Erinnerungen; denn nie und nimmer wird vor dem geistigen Auge das ergreifende Schauspiel verbleichen, welches das leibliche Auge erschaute, niemals der Seele die erhabene Weise verklingen, welche der Strom einst dem Ohre gesungen. So wenigstens ergeht es mir, der ich zu Lande und zu Wasser das Felsenthal Nubien durchwandert, im Boote stromauf- wie stromabwärts mit den Wellen wie mit Mangel und Noth gekämpft, von der Spitze steiler Felsen wie vom Rücken des Kamels die Stromschnellen überblickt habe.

Es ist gebräuchlich geworden, von drei Nilkatarakten zu reden. Jeder von ihnen besteht aus einer Reihe von Stromschnellen, welche innerhalb eines meilenlangen Landstrichs die Schifffahrt in hohem Grade erschweren und gefährden. Im ersten Katarakt giebt es allerdings nur eine einzige namhafte Stromschnelle; im zweiten und dritten aber zusammengenommen deren gegen dreißig, welche der nubische Schiffer mit besonderen Namen bezeichnet. Wasserfälle, welche ja auch jede Schifffahrt unmöglich machen würden, sind nicht vorhanden, finden sich wenigstens nicht in der Straße, auf welcher, abgesehen von den durchgehenden Fahrzeugen, die eigens für die Stromschnellen gebauten und ausgerüsteten Boote sich bewegen.

Wenn man, den Fluthen des heiligen Stromes entgegenreisend, die nördlichste Einengung der Ufer zwischen den „Bergen der Kette“ hinter sich gelassen hat, ändert sich jählings die Landschaft. Aegypten oder das unterhalb gelegene breite, nach dem Meere hin zu einer unabsehbaren Ebene sich erweiternde Stromthal, liegt hinter dem Reisenden, und die felsige Schwelle Nubiens baut sich vor dem Auge auf. Der Gegensatz ist überraschend. An Stelle des eintönigen Geländes tritt wechselvolles. Wohl bietet auch die Landschaft Aegyptens manches augenerquickende, herzerfrischende Bild; wohl schmückt auch sie sich, zumal in den Morgen- und Abendstunden, mit dem wunderbaren Glanze der südlichen Beleuchtung: im Großen und Ganzen aber erscheint sie eintönig, weil man überall dasselbe erschaut, gleichviel ob man den Blick an den Sandstein- und Kalkfelsen der Thalgrenze haften oder über Strom und Felder schweifen läßt. Ein und dasselbe Bild kehrt, kaum verändert, hundertfach wieder: Gebirge und Fruchtebene, Uferwände und Inseln des Stromes, Mimosenhaine, Palmengruppen und Sykomorenbestände, Städte und Dörfer tragen im Wesentlichen dasselbe Gepräge. Angesichts der Felsenmassen des ersten Katarakts, des letzten Riegels, welchen der zum Meere drängende Strom sprengte, endet dieses Aegypten und beginnt Nubien. Nicht mehr auf dem in majestätischer Ruhe dahinfluthenden Strome treibt das Boot, sondern zwischen Felsenmassen und aus den Wogen sich erhebenden Felsenkegeln erkämpft es sich seine Bahn.

Hoch auf steilabfallendem Vorsprunge des linken Ufers zeigt sich ein erbärmliches und dennoch wirkungsvoll zur Geltung gelangendes arabisches Bauwerk, das Grabmal Scheich Musa’s, des Schutzheiligen der ersten Stromschnelle, sodann die palmenreiche Insel Elephantine und gleich darauf Assuan. Felsenmassen, aus deren Rinde die jahrtausendelange Arbeit der gegen sie anstürmenden Wogen zur Pharaonenzeit eingegrabene Schriftzeichen nicht zu vertilgen vermochte, sperren die Fahrstraße und zwingen das Boot zu vielfachen Windungen, bis es endlich in einer stillen Bucht, zu welcher aber doch das Tosen der Stromschnelle klangvoll herniederhallt, einen gesicherten Landungsplatz findet.

Es ist altehrwürdiger Boden, auf welchem wir stehen. Durch die erwähnten Zeichen der heiligen Schrift des altägyptischen Volkes reden vergangene Jahrtausende mit uns in verständlicher Sprache. „Ab“ oder Elfenbeinstätte, Elephantine, hieß die Stadt auf der gleichnamigen Insel, welche geblieben ist, während selbst die Trümmer jener fast vollständig verschwanden, „Sun“, Syene die Ortschaft am rechten Stromufer, an deren Stelle das heutige Assuan liegt. Elephantine, der südlichste Hafen des alten Aegyptens, in welchem die aus dem Innern Afrikas kommenden Waaren, insbesondere das schon damals hochgeschätzte Elfenbein, aufgestapelt wurden, war die Hauptstadt des südlichsten Nilkreises, Sun, wohl nur ein Arbeiterdorf, als solches jedoch keineswegs von geringerer Bedeutung als Elephantine. Denn hier wurde von den ältesten Zeiten des ägyptischen Reiches aus der „Mat“ oder „äthiopische Stein“ des Herodot, welchen man in der Nähe brach, an das Nilufer gebracht und auf die Schiffe verladen, welche ihn seinem Bestimmungsorte zuführten; nach diesem Orte erhielt der kostbare Stein den Namen „Syenit“, welchen er heutigen Tages führt. Inschriften, welche sich auf Denkmälern aus der Zeit der ältesten Königsgeschlechter Aegyptenlands finden, auf solchen, welche bis in das zweite und dritte Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hinüber reichen, thun des Ortes Sun bereits mehrfach Erwähnung, und zahllose andere [731] Hieroglyphen in den nahegelegenen Steinbrüchen selbst bekunden die Bedeutung dieses Arbeiterdorfes. Ueber nahezu zwei geographische Geviertmeilen der östlich vom Katarakt belegenen Wüste erstrecken sich die Steinbrüche, in denen man jene mächtigen Werkstücke löste, welche, als riesige Rund- und Spitzsäulen, Gesimse und Träger der Tempel uns mit staunender Bewunderung erfüllen, mit denen man die Grabkammern der Pyramiden überdeckte, weil man ihnen vertrauen durfte, sie würden die über ihnen aufgethürmten ungeheuren Lasten tragen.

„Ueberall,“ sagt mein gelehrter Freund Dümichen, „sehen wir hier, wie Menschenhände gearbeitet, theils, um das werthvolle Gestein von der Felswand zu lösen, theils, um durch bildliche Darstellungen und Inschriften dieses oder jenes Geschehniß zu verewigen; überall ist hier der Stein zu einem Denkmale der Erinnerung umgewandelt, und zahlreiche Inschriften, nicht selten gerade an den höchsten Spitzen der Berge angebracht, Weihinschriften zu Ehren der göttlichen Dreiheit des ersten oberägyptischen Gaues, des Kataraktengottes Chnum-Ra und seiner beiden Genossinnen Sati und Anuka, wie Verherrlichungen einzelner Großthaten ägyptischer Könige und hoher Staatsdiener bedecken weit und breit die Felsenwände. Auch diese Inschriften gehen zum Theile bis in der Geschichte zurück, und doch wie jung erscheinen sie im Vergleiche mit jener Arbeit, welche hier in nicht zu berechnenden Jahrtausenden der ägyptische Sonnengott Ra mit dem Gestein vorgenommen! Ueberall nämlich sind die Felsen da, wo sie noch nicht von Menschenhand bearbeitet, unseren Blicken entgegentreten, an ihrer Oberfläche mit einer dunkelglänzenden Kruste wie mit einem Schmelze überzogen, während die Bruchflächen des Syenites, denen wir mit Sicherheit zum Theil ein Alter von tausend Jahren beilegen dürfen, eben so wie die überall in den Steinbrüchen umherliegenden Blöcke noch heute uns die dem Granite eigenthümliche rothe Färbung in ihrer vollen Frische zeigen – zu jung noch, um jene Rinde der Zeit angenommen zu haben.“

Von jedem höheren Uferberge aus kann man einen Theil des Katarakts überblicken. Zwei Wüsten treten an den Nil heran und reichen sich gleichsam in ihm durch Hunderte von kleinen Felseninseln die Hand. Jedes dieser Eilande theilt den Strom und zwingt ihn, seine Fluthen aufzustauen; um so heftiger aber rauscht er zwischen ihnen hindurch. Unablässig anstürmend gegen die Trümmer des von ihm vor Jahrhundertausenden gebrochenen Felsendammes, scheint er jene wegräumen und vernichten zu wollen und erzürnt zu sein über den noch immer unbesieglichen Widerstand, so grollend klingt das Tosen seiner Gewässer zu dem Beschauer hinauf und wird diesem zu der rechten Begleitung des großartigen Schauspiels vor und unter ihm. Ruhelos wie die ewig fluchenden Wellen schweift das Auge durch das Felsenwirrsal; hundert Einzelbilder erschaut es mit einem Blicke, und dennoch gestaltet sich aus ihnen allen endlich ein erhabenes, einheitliches Gesammtbild, in welchem die starren glänzenden Felsmassen scharf sich abheben von dem weißen Gischte der sie umzischenden Wogen, der beide begrenzenden goldgelben Wüste ringsum und dem wolkenlosen, tiefdunklen. Himmel darüber. Besonders reizvoll ist der obere Theil der Stromschnellen. Eine Kette von schwarzen Felsen, die natürliche Grenzmauer zwischen Aegypten und Nubien, zieht sich quer durch den Nil und schweift auf dessen rechtem wie auf dem linken Ufer in weiten Bogen aus, vor dem Auge des Beschauers einen ringsum geschlossenen, mit Felsendämmen umwallten Thalkessel bildend. Die Wälle bestehen zum Theile aus ungetrennten Massen, zum Theile aber aus lose über einander liegenden, wie von der Hand eines Riesen aufgethürmten runden, eigestaltigen und eckigen Felsblöcken. Hier und da treten einzelne Theile der wundersamen Umwallung vor und wiederum zurück; hier und da erheben sie sich inselgleich aus dem alten Seebecken, welches sie umgaben, bevor der gewaltige Strom freien Durchgang erzwang.

Inmitten dieser vormenschlichen Trümmerstätte liegt die grüne, palmenbestandene Insel Philä mit ihrem herrlichen Tempel. Ich kenne kein erhabeneres Landschaftsbild als dieses. Rings umgeben von starrem, tiefdunklem Gefelse, ewig umtost von den gegen seine Grundfesten ankämpfenden Wellen, freundlich begrünt von fruchtspendenden Palmen und duftenden Mimosen, erscheint der Tempel als ergreifendes Sinnbild inneren Friedens in tobendem Streite. Ein gewaltiges Kampflied singt ihm der Strom und Palmen. Er ist eine Stätte zur Verehrung der hehren Gottheit, welcher er geweiht, wie es keine Würdigere geben kann. In solcher Einsamkeit, in solcher Umgebung mußte der Geist der von den weisesten Priestern gebildeten Zöglinge Nahrung und Leben empfangen, dem Erhabenen und Hohen sich zuwenden, den Kern der sinnigverhüllten, bedeutungsvollen Lehren erkennen, das verschleierte Bild von Saïs erschauen.

Unter der göttlichen Dreiheit, welcher der Tempel von Philä geweiht war, Isis, Osiris und Horus, stand Isis oben an. „Isis, die große Göttin, die Herrin des Himmels, die Herrin aller Götter und Göttinnen, welche mit ihrem Sohne Horus und ihrem Bruder Osiris in jeder Stadt verehrt wird, die erhabene, göttliche Mutter, die Gemahlin des Osiris: sie ist die Herrin von Philä,“ lehren die Inschriften im Tempel selbst. Inschriften in allen Schreibarten, welche in den verschiedenen Zeiträumen der ägyptischen Geschichte im Gebrauche waren, erzählen uns aber auch von den Wandlungen, welche der Tempel im Laufe der Zeiten erlitten hat, bis endlich eingewanderte Araber die christlichen Priester, welche den Dienern der Isis gefolgt waren, aus dem Heiligthum Vertrieben.

Heut zu Tage liegt ein großer Theil von Philä in Trümmern. An Stelle feierlicher Gesänge der Priester vernimmt man nur noch das einfache Lied der Wüstenlerche; aber die Wogen des Stromes rauschen noch ihre gewaltigen Weisen wie vor Jahrtausenden. Die Insel ist verödet, der Frieden des Tempels ihr geblieben. Und trotz aller Wandlungen ist die Insel wie der Tempel noch immer das Kleinod des ersten Katarakts.

Von hier an aufwärts ist der Nil auf weit hin felsenfrei, jedoch nicht mehr im Stande, seinen Segen über die Ufer hinauszutragen. Mühsam versucht der Mensch, die ihm anderswo freiwillig gegebene Spende dem Strome abzuringen. Ein Schöpfrad neben dem anderen hebt kreischend das belebende Naß auf die schmalen Feldsäume am Ufer. An den meisten Stellen aber drängt sich die Wüste mit ihren Felsenwänden so dicht an das Ufer heran, daß kein Raum für das Feld oder den Palmenwald bleibt. Auf weite Strecken hin sieht man hier einzig und allein verkrüppelte Unkrautpflanzen zwischen denen der gelbe Flugsand fort und fort zur Tiefe rollt, als wolle er der Wüste schon hier zum Siege über den göttlichen Spender des Fruchtlandes verhelfen.

Im Süden von Wadihalfa: dem südlichsten Grenzdorfe des obenerwähnten Landstrichs, tost wiederum das zwischen Felseninseln eingezwängte Wasser des Stromes. Zahllose Steinmassen, Felsenkegel und Blöcke zwingen diesen, sich auszubreiten; ein Wirrsal von Fels und Wasser, wie er es zum zweiten Male niht ausweist, beirrt selbst das Auges. Bei hohem Wasserstande übertönt das Gebrüll der wirbelnd zwischen den Felsen hinabellenden Wogen den Klang der menschlichen Stimme: es dröhnt und donnert, rauscht und braust, tobt und zischt, daß die Felsen selbst zu erzittern scheinen. Oberhalb der hier ununterbrochen aneinander gereiheten Schnellen und Tobel liegt der hochaufgestauete Nil wie ein weiter stiller See vor dem Auge; doch dieses freundliche, durch einige begrünte Inseln gehobene Bild ist eng umgrenzt. Weiter aufwärts, wird das Strombett nochmals durch zahllose Felseninseln zertheilt; denn nunmehr beginnt, das „Batte el Hadjar“ oder Felsenthal der Schiffer, in welchem noch zehn namhafte Stromschnellen liegen. Es ist der ödeste Landstrich Nubiens und des ganzen Nilthals überhaupt. Gewöhnlich sieht man nur Himmel und Wasser, Felsen und Sand. Die Uferwände sind so glatt, als ob sie geschliffen wären, und so glänzend, bei Tage auch so glühend, als seien sie erst vor ganz kurzer Zeit dem innerirdischen Feuer entstiegen. Der segenspendende Strom rauscht fast spurlos an ihnen vorüber; denn nur an äußerst wenigen Stellen kann er sein göttliches Vorrecht zur Geltung bringen. Hier, in einspringenden Buchten oder hinter Vorgebirgen, welche die heftige Strömung ablenken, senkt er seinen fruchtbaren Schlamm hernieder und führt ihm selbst den Samen zu. Dann keimt und wächst, grünt und blüht es auch in dieser Wüstenei. Auf allen Inseln, in deren Felsenspalten abgelegter Schlamm haften blieb, in allen von der Strömung nicht getroffenen Buchten erheben sich Weiden und einzelne Mimosen, Bürgen des Lebens im Reiche des Todes. Wurzel auf Wurzel, Schößling auf Schößling sendete die erste Weide aus, welche hier festen Fuß faßte, und bald überkleidete sie den kahlen Grund mit belebendem Grün.

(Fortsetzung folgt.)
[732]
Yburg.
Mit Illustrationen von Professor A. Kappis.

Yburg.

Aus der anmuthigen Mulde, in welcher Baden-Baden, das deutsche Capua und Bajä, liegt, schreiten wir den Weg rechts von der Lichtenthaler Allee hinauf in den Fichtenwald, der die Kuppen rings umkränzt. Immer wieder wird der Blick festgehalten hier durch den berühmten Namen einer strahlenden Villa, dort durch die Pracht oder Eigenart der Gartenanlage, durch fremdländische Bäume und Sträucher, farbige Blumenbeete und wohlgepflegte Matten. Endlich umrauschen uns die ernsten dunklen Wipfel des deutschen Waldes, Quellen springen, Waldmeister duftet herüber, blaue Glocken und Weidenröschen nicken am Wege und wie eine Wandeldekoration ist das stolze Bild von Stadt und Schloß und Badepalästen entschwunden. Die erfrischende Kühle, der schattendunkle Weg, die beschauliche Ruhe thun uns wohl nach dem Musik-, Menschen- und Wagengewirr der Niederung. Immer wieder die Brust vollnehmend von der würzigen Luft, freuen wir uns des Waldganges, wie er schöner kaum irgendwo zu finden, bis durch die Lichtung ein alter Thurm niederschaut und uns kündet, daß wir dem Ziele unserer Wanderung nahe sind.

Yburg und Mercurius sind die beiden Wahrzeichen Badens, jener für Den, der von Süden herkommt, auf steiler Nadel kühn emporragend, dieser auf behäbigem grünen Bühl dem Reisenden, der von Norden naht, ankündend, daß unter ihm im Winkel des Schwarzwaldes die heißen Quellen dem Fels entspringen. An der Stelle, von welcher her wir kamen, zeigt sich, daß die steile Nadel, die von der Eisenbahn aus auffällt, in eine mäßige Hochfläche sich fortsetzt, auf der man einen Wirthsgarten angelegt und einladende Tische und Stühle bereit gestellt hat.

Uns lockt es vor Allem, über die kleine Treppe links vom Thurme zu der Aussicht zu gehen, die dort ins Thal hinunter sich bieten muß.

Das Pförtchen in dem Thurm öffnet sich uns; über mühsame Holzstiegen geht es aufwärts auf die Hochzinne zur berühmten Aussicht von Yburg.

Unser Zeichner hat uns einen Ausschnitt der Fernsicht nach Westen gegeben (vergl. S. 728 und 729), wie er ungefähr begrenzt wird durch das Dreieck: Yburg – Anfang der pfälzischen Haardt – Obervogesen. Es ist die stolzeste Stromebene deutschen Landes, die vor uns liegt. Im Rücken nach Osten hin steht das Gewoge des Schwarzwaldes bis zu den ultramarin- und lichtblauen Tönen der fernen Höhenzüge. Auch nach dieser Seite ist das Bild ein schönes; das Spiel der Linien fesselt vor Allem das Auge, der Wechsel der stolz geschwungenen Bogen mit scharfen Abstürzen und gewagten Ueberschneidungen; aber hier nach Westen hin, welche Mannigfaltigkeit der Farben, vom Grün der Vorberge und Rebgelände zur wohlbebauten Fruchtebene und dem aufblitzenden Strome, der hier gleichsam an der Grenze seiner Jünglingsperiode noch mit ungebändigter Kraft durch das weite Gebiet dahineilt und versucht, in Altwässern und Seitenarmen sich immer neues zu erobern. Drüben über dem Strome ragt als Abschluß des Bildes der Kamm des Wasgaues und dort im Süden eine dunkle Säule, die aus weiter Ferne die ganze Ebene beherrscht, ein Anblick, der heute das Herz des Deutschen mit stolzer Freude erfüllt – der Münster von Straßburg.

Welchen Zauber über dieses gesegnete Land der Wechsel von Leichtigkeit und Schwere, Trockene und Feuchtigkeit der Luft, von Morgen- und Abendsonne, ungebrochenem Licht und Wolkenschatten, Dämmerung und Mondesflimmer verbreitet, das möge Jeder selbst von Neuem erleben.

Wie schicksalsreich das Land gewesen, das zu unseren Füßen liegt, läßt sich eher andeuten. Da, wo unser Bild zur rechten Hand zu Ende geht, rauscht die Oos dem Rhein entgegen. Hier setzten in der Urzeit unserer Volksgeschichte Alamannen die Grenzsteine ihrer Gaue, des Ufgaus und der Mortenau, diesseit des Rheins, und jenseit desselben die Linie fortsetzend, die Grenze des Alsacinser- und des Spiergaus. Bis hierher erstreckte sich die Herrschaft des Bischofsstabes jener Stadt, die an Stelle der römischen Ruinen von Argentoratum als die Burg an der Straße entstand. Und als das Gemeinwesen emporblühte und als Ausdruck des auf ein Ziel gerichteten idealen Strebens der Münster emporstieg, da sandte ihm – so will es die Sage und der Bildhauer – das kleine Steinbach den Meister Erwin, der das mächtige Langhaus, die herrliche Façade mit ihrer Rose und dem Maßwerk erdachte, das wie Filigran die röthlichen Mauern überspinnt.

So will es die Sage – denn die Geschichte weiß nichts Sicheres von der Geburtsstätte des Erwin; aber wir bekritteln deßhalb doch nicht den wackern Meister Friedrich, der in Pietät gegen seine Heimathsauen den Münsterbaumeister auf den Hügel am Dorf in rothem Stein hingestellt hat, den Blick auf seinen Dom gerichtet. Denn deutsch war der Meister wie sein erhabenes Werk, und kein Erpuin de Pierrefont, wie uns ein französischer Kunsthistoriker mundgerecht zu machen versuchte.

Nach Straßburg ausschauend, streifen wir Saßbach, bei dem ein anderes Denkmal unsere Betrachtung festhält. Dort wo der Obelisk verkündete: „Hier ist Turennius ertödtet worden“, werden wir eingeführt in die schlimmsten Zeiten deutscher Geschichte. Aber schon stieg der Stern empor, auf den von jetzt an Diejenigen hoffend schauten, welche glaubten, daß es mit dem deutschen Volke noch nicht zu Ende sei. Zwei Jahre, ehe der große Feldherr des französischen Ludwig XIV. an dem Hügel von Saßbach fiel, hatte er den großen Kurfürsten bei Türkheim geschlagen und aus dem Elsaß gedrängt, über dessen Schicksal damit auf zwei Jahrhunderte hinaus entschieden war. Dort an der Rheinbrücke stand er, schaute noch einmal nach der Stadt hinüber, welche das Grab seines Sohnes und aller seiner Hoffnungen barg, und die patriotische Legende legt ihm die Worte in den Mund: „Aus meinen Gebeinen wird der Rächer mir erstehen.“

Als Türenne starb, war hoch oben im Norden der Sieg von Fehrbellin schon erfochten, welcher den Grund legte zum Waffenruhm und zur Macht des neuen Staatswesens der Hohenzollern. Damit aber unter der Fremdherrschaft, die für das linksrheinische Land nun folgte, das geistige Band nicht zerrissen würde, das die von drüben mit denen hüben verband, gingen wackere Jünglinge immer wieder auf die hohe Schule nach Straßburg. Der Größte unter ihnen träumte den Traum seiner Jugendliebe in dem Dorf Sesenheim, dessen Thurm von jenseits herübergrüßt, und erzählte uns in seinen alten Tagen von dem schönen Lande.

Bei Vielen hielt Goethe so die Gedanken an das Verlorene wach und das Verlangen, daß, was einst zu uns gehörte, wieder zu uns kommen müsse.

Wenn wir vom Thurm herabsteigen und die herrliche Schau mit edlem Trunke feiern wollen, steht uns der rothe aus dem Avemarienthal, den man zum „Affenthaler“ gemacht hat, oder der weiße „Mauerwein“ zu Diensten, golden wie Bernstein und stärker als mancher Mann: beide an den Abhängen unter der Burg gezeitigt. Dabei werden wir wohl auch nach der Geschichte der Burg gefragt. Vieles ist davon nicht zu berichten. Zwei Ritter Namens Rodarii de Jberc erscheinen im Jahre 1245 in einer Schenkung für das Kloster Lichtenthal. Dann kommen die üblichen Käufe, Tausche, Verpfändungen und Besitzwechsel. Im Bauernkrieg von 1525 wird die Burg zum Theil zerstört; im Jahre 1594 wohnte hier oben, auf Befehl des Markgrafen Eduard Fortunatus, der Alchemist Franz Muscatello aus Schio, um eine „Mixtur zu Silbermünzen“ zu bereiten.

Erwin-Denkmal.

Für Hexenmeister, Zauberer, Hexen und Unholde war die Berghöhe nach dem Volksglauben immer ein bevorzugter Ort.

Der Unfug, den hier die Teufel Hürtriegel, Fetterlin, Kochlöffel, Grünling, Schitterlein mit den Hexen Beppenküchel, Mummel, Wurzbix, Baubo und Stüdel verübten, wurde einstmals so arg, daß man das Franziskanerkloster Fremersberg erbauen und mit frommen Männern besetzen mußte. Noch um 1780 wurden die für Vieh und Menschen schädlichen Nachtkumpane in große Schachteln gepackt und auf den Klopfengraben in der Nähe von Yburg gebannt.

An diese schönen Geschichten des alten Klüber mußte ich denken, als ich im Sommer 1869 und in der Hochfluth der Saison eine Reihe der schönsten Pariser Unholdinnen unter Anführung einer vielgenannten Oberhexe in elegantem Wagenzug auf die Yburg einfahren sah. Es war zwischen zwölf bis ein Uhr – nicht des Nachts, sondern des Mittags. Wie es bei den Generalkapiteln der Walpurgisnächte erging, so sah auch hier der Zuschauer zu seinem Erstaunen unter den Anbetern der Hexen Mitglieder der „besten Familien“. Seinen modernen Charakter erhielt das Fest durch den Champagner, der getrunken, und die Quadrille, die zum Schluß getanzt wurde. Der scharfe Wind des Jahres 1870 hat auch diesem Hexensabbath ein Ende bereitet.




[733]
Der Unfried.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Ein gellender Aufschrei zitterte in die Luft – Sanni hatte ihn ausgestoßen – und mit gerungenen Händen warf sie sich dem Vater entgegen. Der Bursche aber riß sie an seine Seite zurück, und während er den einen Arm um ihre Schultern preßte und den anderen wie zur Abwehr über seine Stirn warf, brach es in heißen, bebenden Worten von seinen bleichen Lippen: „Sorg’ Dich net, Sanni – ich kenn’ kein Fürchten net – und sehen soll er’s, Dein Vater, daß wir z’sammg’hören, ich und Du!“

Noch hatte er nicht ausgesprochen, da stand der Bygotter schon auf Schrittesbreite vor den Beiden. Einen Augenblick noch schien es, als müßte er die erhobenen Fäuste nun niederschmettern über das Haupt des Burschen – dann aber ließ er langsam die Arme sinken und stierte keuchend zu Boden, als vermöchte er die unerschrockenen, zornigen Blicke nicht zu ertragen, die ihm aus Karli’s Augen entgegenblitzten.

Aufathmend drückte der Bursche die Geliebte noch enger an sich. Doch Sanni wand sich aus seinen Armen, und die zitternden Hände faltend, stammelte sie unter Thränen: „Vater – Vater –“

Auf der Sparkasse in Wien.0 Originalzeichnung von G. Zafaurek.


Da richtete der Bygotter sich in die Höhe, und vor der unheimlichen Wildheit, die in seinem verzerrten Gesichte zuckte und aus seinen rollenden Augen flackerte, erstarben die Worte auf Sanni’s Lippen. Mit einem taumelnden Schritte trat er dicht vor das Mädchen hin; ein Schauer überrann seine hagere Gestalt, und mit keuchender, kaum verständlicher Stimme raunte er seinem zitternden Kinde zu:

„Das Siegel der Vollendung warst Du mir – Deines Vaters Leben solltest Du sein – und Deines Vaters Vernichtung willst Du werden. Tausend Wege sind – und einer nur ist Gottes Weg. So wähle zwischen ihm und allen – wähle zwischen Deinem Vater und diesem, der Deinen Sinn bethöret, auf daß Du buhlest mit ihm in Sünden!“

Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte seine Brust; er drückte die zuckenden Fäuste wider seine Stirn und wankte in das Gebüsch, dessen Zweige raschelnd hinter ihm zusammenschlugen.

Die Beiden folgten ihm mit den Augen und standen wie erstarrt. Karli war es, der zuerst wieder Bewegung und Sprache fand. „Na – na – das is ja die helllichte Narretei!“ stotterte er. „Sanni – Sanni – zu dem laß’ ich Dich nimmer heim! Der is ja freilich zum Fürchten – der! Komm, Sanni, komm – Du gehst mit mir!“

Als er bei diesen Worten ihren Arm mit beiden Händen umklammerte, fuhr sie aus ihrer Betäubung auf, starrte ihm mit angstvollem Blick ins Gesicht und stammelte: „Er is mein Vater, Karli – mein Vater!“

„Und ich, Sanni? Was bin denn nachher ich? Bin ich Dir gar nix – han?“

Da schlug sie ihre Arme um seinen Hals und unter Küssen weinte sie: „Mein Alles, Karli – mein Alles bist – mein Alles – aber – aber –“

Laut schluchzend riß sie sich von ihm los, raffte das Linnenzeug vom Ufer und flog davon wie ein gescheuchtes Reh.

„Sanni – Sanni!“ hörte sie Karli mit bebender Stimme noch rufen, als sie die Büsche schon gewonnen hatte.

Blaß, erschöpft und zitternd erreichte sie das Zaunthor des väterlichen Gehöftes. Dasselbe stand weit offen vor ihr, und auf der Hausthürschwelle kauerte der Vater, mit aufgestützten Armen, das Gesicht in die Hände vergraben. Als Sanni den Hof betrat, warf er den Kopf empor, und wie in wilder Freude blitzte es über sein Gesicht. Je näher ihm aber Sanni kam, desto starrer und härter wurden seine Züge wieder, und regungslos, mit lauernd funkelnden Blicken schaute er in ihre scheuen, flehenden Augen, während sie vor ihm stand, bebend am ganzen Leibe, keines Wortes mächtig. Er sprach keine Silbe; er stellte keine [734] Frage an sie; schweigend wartete er, bis sie in leisen, stockenden Lauten die Sprache fand. Und da sagte sie ihm, daß es ihr letzter Gedanke gewesen wäre, ihm das Herz zu betrüben, ihn wissentlich zu hintergehen. Als er das Haus verlassen, hätte sie gethan, wie er ihr befohlen – sie hätte seine Linnengewänder am Brunnen gewaschen. Aber in dem harten, moosigen Brunnenwasser hätte sie das Linnen nicht rein und weiß gebracht, und so wäre sie gegangen, um es im rinnenden Bache zu spülen. Und da wäre er plötzlich vor ihr gestanden – er – und da hätte sie in ihrer jäh erwachten Herzensfreude vergessen, was sie dem Vater vor Wochen in die Hand gelobt. Zitternd verstummte sie; aber immer noch schwieg der Bygotter, ihre Augen gebannt haltend mit funkelnden Blicken – und da begann sie aufs Neue zu sprechen, flüsternd und unter Thränen, und Alles sagte sie dem Vater, was sie ihm von Karli zu sagen wußte – von seiner Liebe und von ihrem eigenen Herzen.

Als sie geendet hatte, erhob sich der Bygotter und winkte ihr, daß sie ihm folgen sollte. Er schritt ihr voraus in die traurig kahle Stube und trat auf den morschen Tisch zu. Hier lag ein großes Buch, und das schlug er auf.

„Komm’ zu mir! Und wenn Du die Wahrheit geredet hast, so lege Deine Hand hierher – auf Gottes Wort!“

Sie legte ihre Rechte auf das Buch. „Daß ich d’ Wahrheit g’sagt hab’, Vater!“

„Und daß Du nichts verschwiegen hast – nichts – nichts?“

„Und daß ich nir verschwiegen hab’!“

So beängstigend auf Sanni bis nun die finstere Starrheit des Vaters gewirkt hatte, ebenso beängstigend wirkte jetzt auf sie die unheimliche Freude, welche jählings aus seinen glühenden Augen brach. Er riß sie an sich und drückte sie an seine Brust, daß ihr der Athem fast verging. Er streichelte ihr mit zitternden Händen das Haar und die Wangen, und während er ihre Stirn mit heißen Küssen bedeckte, lallte und schluchzte er: „Susanna – mein Kind – mein Leben giebst Du mir wieder – und die Hoffnung meiner Seele! Meines Ausgangs Schwelle bist Du, von reinem Holze und unbetreten! Die Leiter Jakob’s bist Du mir – das Siegel der Vollendung! Meine Augen hatten wider Dich gezeuget – und Gott hat gezeuget für Dich. Seine Arme stehen Dir offen – und harren wird er und sitzen auf den Steinen des Weges, wenn Du mir vorangehst, auf daß ich ihn finde, der sich verschließet vor mir!“

Wieder preßte er sie an seine Brust, mit so ungestümer Gewalt, daß ihr unter einem stöhnenden Laute die Sinne vergingen.

Als sie wieder zum Bewußtsein erwachte, sah sie sich in ihrer Kammer auf dem Bette liegen. Draußen in der Stube hörte sie die hastigen Schritte des Vaters, ein Poltern wie von fallenden Scheiten und dann ein Rascheln, als würden Späne auf die Dielen geworfen. Eine Weile lauschte sie in einem traumhaften Zustande den Geräuschen, welche durch die geschlossene Thür an ihr Ohr schlugen und die sie sich nicht zu deuten wußte. Die Gedanken versagten ihr. Aufseufzend drückte sie die Hände vors Gesicht und weinte bittere Thränen. Dann wieder horchte sie – eine Thür hatte sie gehen hören, und es kam ihr vor, als verließe der Vater das Haus. Da hörte sie auch seine Tritte von draußen her über den gepflasterten Vorplatz hallen und auf dem knisternden Kiesweg sich entfernen. Sie sprang vom Bette und eilte an das kleine vergitterte Fenster; aber sie konnte von ihm aus das Zaunthor nicht gewahren. So flog sie auf die Thür zu – und fand sie verschlossen. Mit erschrockenen Augen starrte sie die Bretter an, und dann überfiel sie eine namenlose Angst – um sich selbst? – um den Vater? Das wußte sie nicht; sie fühlte nur, daß es ihr war, als möchte ihr der Herzschlag stocken und das Blut gerinnen. „Jesus Maria!“ schrie sie schluchzend auf und begann mit beiden Händen an der Thür zu rütteln. Ein Knirschen und Knacken – und unter ihrer schwachen Kraft zerbrach das vom Roste zerfressene Schloß. Aufathmend taumelte sie in die Stube. Hier stand sie eine Weile und starrte nach dem Tische, auf welchem zwei lange Kienholzfackeln und ein großes Bündel dünn geschliffener Späne neben schweren Fichtenscheiten lagen, die mit Stricken zu einem mächtigen Packe verschnürt waren. Dann eilte sie in den Flur hinaus und fand auch die Hausthür versperrt. Aber die Stubenfenster waren ja nicht vergittert! Sie flog zurück, riß an einem der Fenster den Flügel auf und sprang in den Hof hinaus. Zitternd lehnte sie sich an die von der sinkenden Sonne röthlich beschienene Mauer und drückte die Hände vor die Augen. Nun wußte sie sich nicht zu sagen, weßhalb sie das Alles gethan, und wozu. Da fielen ihre verstörten Blicke auf das halb offene Zaunthor, welches, vom Winde leicht bewegt, in seinen hölzernen Angeln knarrte. Mit zögernden Schritten näherte sie sich dem Thore, trat unter die leise rauschenden Bäume hinaus und rief mit schwankender Stimme ziellos in die Dämmerung des Waldes: „Vater! – Vater!“

Wie aber hätte der Bygotter diesen schwachen, scheuen Ruf noch hören sollen? Er war schon zu weit von seinem Gehöft entfernt. Er hatte die Straße schon erreicht, auf welcher er mit weit ausgreifenden Schritten dem Dorf entgegenwanderte. Die langen Flügel seines Rockes flatterten hinter ihm; der graue mächtige Bart wehte über seinen Schultern; unter seinen Schritten wirbelte der Staub empor und legte sich weiß in die Runzeln der hochschäftigen Stiefel. Seine Augen waren halb in die Höhe gerichtet und starrten mit flackernden Blicken ins Leere. Er sah nicht die Schönheit des Abends, dessen roth überglühter Himmel die herbstlich bunte Landschaft mit einem zauberhaften Schimmer übergoß. Und als er das Dorf erreichte, schaute er nicht links noch rechts und sah nicht, wie die Leute an die Fenster eilten, wie sie aus den Thüren stürzten, wie sie ihm mit den Armen nachdeuteten und wispernd oder lachend zu einander traten.

Vor einem Hause endlich hielt er still – vor dem Hause des Krämers. Und diese Augen, die der alte Krämer machte, als er den Bygotter in seinen Laden treten sah! Und mehr noch, als er hörte, was der Bygotter von ihm zu kaufen wünschte: ein Messer, wie es die Schlächter führen, mit langem und breitem Stahl, scharfgeschliffen und niemals noch von einer Hand benützt. Kopfschüttelnd legte ihm der Krämer das Gewünschte vor. Mit funkelnden Augen betrachtete der Bygotter das Messer und prüfte die Schärfe der blitzenden Klinge an seinem Daumennagel. Was es kosten sollte? Zwei Mark und achtzig Pfennige – und das wäre geschenkt, meinte der Krämer – auch nur aus alter Freundschaft könnte er das Messer zu diesem Preise lassen. Der Bygotter nickte nur, stieß das Messer in die lederne Scheide und schob es hinter den hohen Schaft des linken Stiefels. Dann sagte er, daß er nicht bezahlen könne – aber er wolle tauschen – Gold für Eisen. Dabei griff er in die Tasche und legte einen kleinen goldenen Reif auf den Ladentisch – den Ehering seines Weibes. Der Krämer machte verdutzte Augen; aber er war mit dem Tausche zufrieden. Das konnte er nun freilich dem Bygotter nicht mehr sagen – der hatte, ohne die Meinung des Krämers abzuwarten, den Laden verlassen.

Und wie er durch das ganze Dorf einhergeschritten, so schritt er nun, der Straße folgend, wieder heimwärts. Doch hatte er die Hälfte des Dorfes noch nicht durchwandert, als er plötzlich wie angewurzelt inmitten der Straße stehen blieb.

Winselnde Geigentöne und schmetternde Trompetenklänge schollen ihm entgegen.

Da wurde dem Pointner mit seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“. Der Zug erfüllte die ganze Straße. Voraus die Musikanten. Hinter ihnen der Hochzeitslader inmitten des Brautpaares – und während Kuni frei an seiner Seite schritt, mit blassem, verstörtem Antlitz, mit schmalen Lippen und gesenkten Augen, hatte er schwere Mühe, den taumelnden Pointner aufrecht zu erhalten und vorwärts zu bringen. Den Dreien folgte ein einzelner Hochzeitsgast mit eingekniffenen Augen, die Cigarre schief im Munde, die beiden Hände in den Taschen der schwarz und grün gewürfelten Jacke.

Dann kam die lange Paarreihe der Mahlgäste, unter ihnen Karli, finster zu Boden starrend, Martl, Zenz und Stoffel mit lachenden Gesichtern. Ein Trupp johlender Burschen und kichernder Dirnen hatte sich dem Zuge angeschlossen.

Näher und näher kam dieser Zug, und immer noch stand der Bygotter auf der gleichen Stelle. Aus seinen Blicken sprühte ein wilder Zorn; seine Hände ballten sich, und an Stirn und Schläfen schwollen ihm die Adern zu dicken Striemen. Und jetzt erhob er mit drohendem Schütteln die Arme; aber die Worte, mit denen er diese Gebärde begleitete, erstickten ungehört unter dem Schmettern der Trompeten.

Nun standen die Musikanten dicht vor dem Bygotter; der Zug staute sich; die Leute reckten die Hälse und traten aus der [735] Reihe. Da schien es, als möchten die Musikanten die Klügeren spielen, denn da der Bygotter nicht zur Seite wich, schwenkten sie um ihn herum. Einen der Bläser schien aber doch die Neugier zu packen; er setzte die Trompete ab und schaute lachend zurück; ein anderer that’s ihm nach, die übrigen geriethen aus dem Takte; nach einem kurzen, ohrzerreißenden Tongewirr verstummte die Musik, und das Gelächter wurde hörbar, mit dem es durch die Reihe schrie und kreischte: „Jesses, der Bygotter, da schaut’s her, der Knotzensepp!“ Im Nu hatte eine lachende Schar den Bygotter umringt, dessen zornig rollende Stimme alle anderen übertönte: „Feste feiern sie, den Bauch füllen sie mit Fraß und Jauche, mit Pauken und Zinken tanzen sie die Straße des Lasters und der Sünde, statt daß sie wandeln den Weg des Herrn in Sack und Asche! Aber kommen wird ein Tag, nahe ist er und eilet schon herbei! Ein Tag des Grimmes ist selbiger Tag, ein Tag der Vernichtung, ein Tag der Finsterniß, ein Tag der Drangsal und Angst!“

„Miau – ouih – au – oh,“ kam es mit Winseln, Stöhnen und Gelächter von allen Seiten, während man den Hochzeitslader die Musikanten anschreien hörte: „Ja malefiz noch amal – spielen, sag’ ich – und weiter! Wie könnt’s Euch denn aufhalten lassen von dem alten Narren da, daß mir der ganze Zug aus einander kommt!“ Dem Pointner aber schien diese Anordnung nicht zu taugen. „Nix da – da’blieben wird!“ lallte er. „Ich möcht’ auch ’was hören – und wann ich gleich an Rausch hab’ – ich g’hör’ ganz vornhin – ich bin der Hochzeiter!“

Und während dieses Durcheinanders von kreischenden Worten und spottenden Lauten rollte und grollte die Stimme des Bygotter’s: „Das Unheil und die Rache sehet Ihr schweben über Eurem Haupte, und nichts thuet Ihr, sie abzuwenden! Ihr ziehet Euch die Strafe her an Stricken des Lasters und an Wagenseilen den Sündenlohn! Das Rind kennt seinen Hüter und der Esel die Krippe seines Herrn; Ihr aber kennt nicht den Gott, von dem Ihr ausgegangen. Ein Volk Gomorras seid Ihr; von Euren Köpfen bis zu Euren Füßen ist an Euch nichts Reines und Gesundes! Die sich Männer heißen unter Euch, sie mästen sich vom Raub der Armen, der in ihren Häusern ist. Stolz dünkt Ihr Euch, und Helden meint Ihr zu sein! Ja, Helden seid Ihr im Schlemmen und Völlern! Und hoffärtig sind Eure Weiber und Töchter! Sie gehen einher mit gerecktem Halse, frech die Augen werfend und klirrend mit silbernen Ketten, die Haare duftend von Oel! Aber ein Tag wird kommen, und statt des Wohlgeruches wird Moder sein, Verwesung statt schwellenden Fleisches und statt der duftenden Haare wird Glatze sein!“

Da hob sich über das Johlen und Lachen, welches die Reden des Bygotter’s begleitete, eine schrille Mädchenstimme: „Buben! Buben! Ihr wollt’s Buben sein und laßt’s auf Euere Deandln solchene Sachen sagen! Pfui der Teufel! Von mir aus könnt’s heut’ Nacht mit die Besenstiel tanzen! Und was a richtigs Deandl is, die halt’s mit mir!“ Und aus der Schar der Dirnen kam die Zustimmung: „Ja! Ja! Ihr seid’s Buben! Schöne Buben!“ Einer der Burschen lachte: „Recht hat d’ Wabi – ganz Recht!“ Eine andere Stimme schrie: „Werft’s ihn ’nein in Straßengraben!“ und eine dritte rieth: „Haut’s ihn durch, daß ihm d’ Heiligkeit zu blaue Fleck’ auswachst!“

Der Bygotter aber streckte die Arme gegen den Himmel und donnerte in die Lüfte: „Ihr Schmähen hörst Du, Gott, und ihre Anschläge wider mich! Zahl ihnen Vergeltung nach ihrem Thun und Reden! Dein Fluch komme über sie! Verfolge sie im Zorne. Tilge sie hinweg –“

„Tilgen? Was? Tilgen? Wart’ – Dir will ich tilgen!“ kreischte der Maurer-Hansl, stürzte auf den Bygotter zu und packte ihn an der Brust. Ein wilder Tumult erhob sich, ein Dutzend Arme schwang sich in die Höhe, und während die Aelteren und Besonnenen, unter ihnen Karli, vergebens zu wehren suchten, regnete es Faustschläge über Kopf und Schultern des Bygotter’s.

Der rührte keinen Arm zur Abwehr. Mit jauchzender Stimme schrie er gegen Himmel: „Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh an – was der duldet um Deines Namens willen! Meinen Rücken gab ich den Stoßenden und meine Wange den Schlagenden. Mein Antlitz biete ich der Schmach und dem Speichel! Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh’ an –“

Da hatte sich Karli durch den Knäuel der Raufenden durchgezwungen. Unter zornigen Worten schlug er die Arme nieder, die den Alten gefesselt hielten, und stieß ihn gegen die freie Straße. Unter der Wucht dieses erlösenden Stoßes taumelte der Bygotter bis an den Zaun des nächsten Gehöftes. Hier raffte er sich auf, riß vom Halse an das Hemd entzwei und schrie: „Hier – sehet – meine nackende Brust! Ich fürchte nicht Eure Fäuste! Denn nahe ist, der mir Recht schafft! Mit ihm zusammen will ich auftreten. Wer ist mein Gegner – er nahe sich mir! Siehe, sie Alle, wie morsche Rinde zerfallen sie, und ihr Staub zergehet in fließendem Wass…“

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, und während rinnendes Blut seine linke Backe färbte, stürzte er mit dumpfem Schlag zu Boden.

Ueber die Köpfe der Burschen hinweg hatte von irgendwoher ein Stein die Schläfe des Bygotter’s getroffen.

Allen Andern voraus, eilte Karli auf den leblos Scheinenden zu. Wirres Geschrei erhob sich. Keiner wollte wissen, wer den Stein geworfen, keiner wollte es gethan haben. Und mitten in dieses Schreien, Schelten, Streiten und Jammern schmetterten die Trompeten der Musikanten, die der Hochzeitslader endlich zu Paaren gebracht. Energisch griff er dem Pointner unter die Arme, zerrte ihn an Kuni’s Seite; den Dreien folgten all die Vielen, welche jetzt „dahinten“ nicht mehr „dabei sein“ wollten, und so ging es vorwärts unter lustigen Klängen, bis der Pointnerhof erreicht war.

Hier schenkte der Hochzeitslader dem neuvermählten Paare den sonst üblichen „Zuspruch“. Er schob den lallenden Pointner über die Hausschwelle bis unter die offene Stubenthür. Dann warf er ihn in Kuni’s Arme, rückte den Hut und kehrte schnaufend in den Hof zurück, um die Musikanten nach dem Wirthshaus zu führen.

Während sich unter einem fidelen Marsche der Hof entleerte, zog Kuni in der dämmerigen Stube drinnen den schwankenden Pointner gegen die Kammerthür. Der aber wollte nicht folgen; mit Gewalt suchte er sich loszureißen und lallte dazu mit schwerer Zunge: „Na – net – ich mag net! Mein’ Karli möcht’ ich haben – mein’ Buben! Na – und Kreuz Teufel noch amal – ich laß’ ihn net drauß – unter dene Wildling’ – daß ihm ’was g’schieht – allein – solchene Räuber und Mörder – Spitzbuben – Halunken – Mordbrenner! Mein’ Buben möcht’ ich haben – mein’ Karli!“

Da stieß ihn Kuni mit zorniger Faust in die Kammer und schmetterte zwischen ihm und sich die Thür zu. Schwer athmend stand sie und preßte die Hände wider die Stirn. Eine Weile noch hörte sie den Pointner in seiner Kammer rumoren, dann wurde es stille hinter der Thür. Und da schritt sie wankenden Ganges durch die dunkle Stube, sank stöhnend auf die Holzbank nieder, warf sich über den Tisch, und das Gesicht in die Arme grabend, brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus.




10.


Eine Stunde später – und stille Nacht lag über dem Pointnerhofe. Scharf und schwarz hoben sich die Dächer vom Himmel ab, an welchem in zahlloser Schar die Sterne funkelten. Manchmal trug der wechselnde Wind den vermischten Hall eines Jauchzers und einzelne gedämpfte Klänge der Tanzmusik vom fernen Wirthshaus her. In den Ställen rasselte ab und zu eine Kette; leise flüsterten die nahen Bäume, und melancholisch plauderte der Brunnen.

Mit gekreuzten Beinen, die qualmende Pfeife an den Lippen, saß Götz auf einer Ecke des Brunnentroges. Vor ihm, die Hände hinter dem Rücken verschlungen, stand Martl. Schweigend schauten sie vor sich hin. Sie hatten ja lange genug geredet über diese Hochzeit und über die Geschichte mit dem Bygotter. Das heißt, geredet hatte der Martl, während Götz ein wortkarger Zuhörer gewesen.

Jetzt reckte Martl gähnend die Arme. „No also, legen wir uns halt schlafen.“

„Kannst schon gehn!“

„Und was is dann mit Dir?“

„Ich hab’ noch kein’ Schlaf net!“

„Geh weiter, versaumst ja die schönste Zeit! Aber mein’twegen! Gut’ Nacht!“ Bei diesen Worten hatte sich Martl schon zum Gehen gewandt. Da kehrte er wieder um. „Ja, Du, was [736] ich schier vergessen hätt’. Weißt denn schon, daß wir morgen an neuen Einstand kriegen am Hof? An Herrn Bruder von der gnädigen Frau Bäuerin!“

Götz setzte die Pfeife ab und hob den Kopf.

„Ja, heut’ Nachmittag bei der Hochzeit, da is er auf amal da g’wesen, der Herr Bruder. Kein Mensch net hat ihn kommen sehen. Und a sakrische Freud’ muß die Bäuerin g’habt haben mit ihm. Alle Farben hat s’ g’spielt, und völlig ’zittert hat s’ an Händ’ und Füß’. Und wie der Bauer dazu ’kommen is, da hat sich der Herr Bruder gleich auf B’such eing’laden, und da is Dir die Bäuerin ordentlich erschrocken! G’wiß wird sie sich ’denkt haben, daß der Bauer grob werden könnt’ – auf so a Keckheit ’nauf. Er hat auch net gleich anbeißen wollen, der Bauer. Aber wie nachher die Bäuerin so g’redt hat, als wie wann ’kein rechter Platz net wär’ im Hof, da hat der Herr Bruder seiner Frau Schwester g’rad ’nein ins G’sicht g’lacht. Ja, und den Bauern hat er untern Arm g’nommen und hat ihn wo ’nein’zogen in a Eck, wo s’ nachher ein Haferl um’s ander’ schön sauber aus’bichelt[1] haben mit einander! No ja – und morgen wird er sein’ Einstand halten, der Herr Bruder. Aber kannst Dir denken, was d’ Leut’ für Augen g’macht haben, und wie g’spaßig da um einander g’redt worden is. Wann die Bäuerin schon an Bruder hätt’, warum hat s’ ihn net zur Hochzeit eing’laden und hat net g’redt davon? Und wann s’ ihn schon net eing’laden hat, wieso nachher is er ’kommen? Weßwegen war s’ denn so derschreckt? Und wann s’ ihn net mag, weßwegen laßt s’ ihn denn ins Haus? Ich sag’ Dir’s, Götz, das Fragen und Wispern hat unter die Leut’ schiergar kein End’ net g’nommen! Aber no, jetzt is er amal da, der Bruder! Auf wie lang, das weiß ich net. Geht mich auch nix an! Und jetzt gut’ Nacht.“

Von Neuem gähnend schlurfte Martl davon.

Mit nickendem Kopfe schaute Götz ihm nach, und als der Andere verschwunden war, schleuderte er die Asche aus der Pfeife und stieß mit zornigem Lachen vor sich hin: „Morgen schon oder übers Jahr – aus’blieben wär’ er ja nie net – der Bruder von weiß Gott woher!“

Rasche, hallende Schritte näherten sich auf der Straße.

Götz erhob sich und ging auf das Zaunthor zu.

„Karli!“ rief er mit halblauter Stimme in die Nacht hinein.

„Ja, Götz!“ scholl es entgegen.

Karli betrat den Hof und drückte in zitternder Erregung die Hand des Knechtes.

„Wo kommst denn her so spät? Beim Tanz wirst dengerst so lang net ’blieben sein?“

„Wie kannst denn so ’was denken? Heimschaffen hab’ ich ihn helfen – den selbigen – wirst ja wohl g’hört haben, was g’schehen is! Na! D’ Haar’ möchten Ei’m aufstehn! Komm, Götz, komm! Ganz drucken thut’s mich, daß ich mich amal ausred’ zu Dir!“

Mit ungestümer Hast schob Karli seinen Arm unter den des Knechtes und zog ihn mit sich fort, quer durch den Hof und in den Garten zu jener gleichen Bank, zu welcher Götz ihn am verwichenen Morgen nach jenem plötzlichen Sturze geführt hatte. Noch auf dem Wege zur Bank erzählte Karli, wie er unter Beihilfe einiger anderer Burschen den Bygotter nach Hause geschafft hätte. Der hätte sich aus seiner Betäubung bald wieder erholt; aber wenn sie auch gleich gesehen hätten, daß es so gar gefährlich um ihn nicht stünde, so hätten sie ihn doch nicht mehr aus ihren Händen gelassen. In schäumendem Zorne hätte sich der Bygotter anfangs gegen ihre Führung gewehrt und hätte dazu bald in den lächerlichsten und bald in den unheimlichsten Worten getobt und geschrieen. Als er aber gemerkt hätte, daß ihm alles Sträuben und Toben wenig nützen könnte, wäre er ganz willig und still geworden, und so hätten sie ihn hinausgeführt bis ins Binderholz.

„Stockfinster is ’s g’wesen,“ erzählte Karli, „aber natürlich, den Weg, den hätt’ ich ja mit verbundene Augen g’funden. Kenn’ ja da draußen jeden Span, der um einander liegt, und jeden Stein. Und wie wir nachher so auf dreißig Schritt zum Zaun hinkommen, da hab’ ich gleich g’merkt, daß ’s Thor offen steht, und für’kommen is mir’s, als sehet ich am linken Pfosten so an g’spaßigen Fleck, der sonst net da g’wesen is. Und wie ich noch so hinschau’ durch d’ Finstern, fangt sich der Fleck zum rühren an, und da hab’ ich auch d’ Sanni gleich ’kennt. Sie muß beim Thor heraußen auf ihren Vatern g’wart’t haben, wie wann sie sich schon ’denkt hätt’, daß ’was B’sonders g’schehen wär’. Und da schlagt s’ auch schon d’ Händ’ in einander, und ‚Vater – Vater!‘ schreit s’ – ich sag’ Dir’s, Götz, die Stimm’ is mir durch’s Herz durch’gangen wie a Stich! Und der Bygotter, wie er sein Deandl hört, macht an Rumpler rechts und links, wirft den Ein’ von uns hinum, den Andern herum, fahrt wie der Teufel auf d’ Sanni zu, reißt’s Deandl am Arm mit ’nein in Hof – und die Bretter hat er hinter ihm zug’worfen, daß ’s g’rad so g’scheppert hat. Ehvor noch von uns Einer an Rührer hat machen können, hat der Bygotter schon den Riegel zug’habt – drin im Hof is’s dahin’gangen übern Kies – und gleich drauf hab’ ich d’ Hausthür ’schlagen hören.“

Sie hatten die Bank erreicht. Seufzend ließ sich Karli nieder und zog den Knecht an seine Seite. Dann wieder begann er zu erzählen, von der Begegnung, die er Nachmittags mit dem Bygotter gehabt, von jenem Morgen vor seiner Abreise, von Allem, was er mit eigenen Augen wahrgenommen oder durch Sanni erfahren hatte.

„Die ganze Zeit schon hab’ ich mir’s denkt,“ so schloß er endlich in heißem Eifer, „und heut’ am Heimweg hab’ ich mir’s g’schworen, daß da ’was g’schehen muß. Das arme Deandl hat ja a Leben, daß’s net zum sagen is! Und net amal in die Kirchen laßt er’s gehen, damit sie sich in der Ordnung mit unserm Herrgott trösten könnt’ – und auch diemal mit andere Leut’ reden – wenn’s auch g’rad an einzigs Mal wär’ in der Woch’. Was meinst? Ich hab’ mir schon ’denkt, ich sollt’ mit ’m Lehrer reden, daß sich am End’ der um d’ Sanni annimmt. Oder – wann gar nix hilft – nachher wird halt dengerst der Pfarrer hinter’n Bygotter einrucken müssen!“

„Der Pfarrer? Ah na! Wie ich die Sach’ jetzt anschau’, mein’ ich, daß da der einzig’ rechte Helfer der Doktor wär’ – wenn überhaupts noch was zum helfen is!“

Da fühlte Götz die zitternde Hand des Burschen auf seinem Arme. Wortlos saßen sie eine Weile. Dann athmete Karli tief auf und murmelte:

„Ja – gelt? So ’was hab’ ich mir selber auch schon g’sagt. Aber natürlich, der Sanni z’ lieb hab’ ich halt dengerst net d’ran glauben mögen. An Elend is ’s allweil g’wesen, die ganze Sach’ – aber das, Götz, das wär’ a fürchtigs Unglück!“

„No geh’, mußt Dich auch net gleich von Allem so anpacken lassen!“ mahnte Götz, während er sich langsam erhob. „Mit ’m Jammer is nie nix g’holfen! Machst halt morgen amal an Sprung hin zum Dokter und verzählst ihm Alles. Nachher werden wir schon sehen, was er meint. Oder wann’s Dir lieber is, geh’ ich statt Deiner. Und jetzt verschlafen wir die Sach’ amal!“

„Schlafen? Ich – und schlafen? Unter ei’m Dach, unter dem – ah!“ Dumpf stöhnend schlug der Bursche die Arme über die Stirn. Sein Leid um Sanni hatte ihn die eigenen Sorgen völlig vergessen lassen, und da waren sie nun plötzlich zu doppelt fühlbarer Pein in ihm erwacht.

Mit schwerem Drucke legte sich die Hand des Knechts auf seine Schulter.

„Geh’, Karli, sei gescheit! G’schehen is g’schehen! Jetzt heißt’s halt weiter denken. A Bißl an ungute Zeit wird’s freilich setzen für Dich –“

„So? Meinst? Ah na, kein’ Tag net bleib’ ich im Haus, und wann ich an Bauernknecht machen muß!“

„Ja natürlich, daß Dich d’ Leut’ auslachen! Bist Dein halbeter Vater, der auch gleich ’s Kind mit ’m Bad ausschütt’ und meint, er müßt’ a Dummheit hinter ei’m Unsinn verstecken. Nix da! G’rad jetzt mußt bleiben, Dir selber und Dei’m Vater z’lieb! Wie sich Alles anschaut jetzt, mein’ ich, Du wirst Dich mit ihm so gar hart net fahren. Aber natürlich, nix G’wiß weiß man allweil net, wie ’s Wetter ausfallt mit der Zeit. Das is gar a zitteriger Barameter – die Bäuerin von heut’! Aber mußt denn nachher gleich an Bauernknecht machen? Was ich Dir sagen will – es is g’rad, daß man weiter denkt – für alle Fäll’ – – der schöne Freithof is auf der Gant und wär’ billig zum haben. Mit Dei’m Muttergut, mein’ ich, zahlst ihn baar aus.“


  1. Einen Krug um den andern geleert.
[737]

Der Sonntagsjäger.
Nach dem Oelgemälde von Edm. Herger.

[738] „Vergelt’s Gott, Götz – vergelt’s Dir Gott! Schau, ganz aufg’richt’ hast mich jetzt wieder!“ sprudelte es über Karli’s Lippen. „Gleich morgen red’ ich mit ’m Vater –“

„Oeh a, langsam, langsam!“ lächelte Götz. „Brennt Dir schon wieder ’s Roß mit der Deichsel durch! Für alle Fäll’ – verstehst mich – hab’ ich Dir g’rathen. Und da redst für den Anfang amal gar nix und schaust a Zeit lang zu, wie ’s Wetter thut – und vergißt dabei net, daß Dein Vater allweil Dein Vater is –“

„Das is er auch! Und weil’s mich so anhalt’t an ihn, g’rad deßwegen hätt’ mir nix Aergeres net g’schehen können!“

„No also! Und da wirst nachher schon sehen, wie’s geht. Und daß über die ersten Tag’ a Bißl leichter wegkommst – in der letzten Woch’ hat d’ Holzarbeit am Sonnberg’ ang’fangen und morgen in der Fruh müßt’ ich wieder ’nauf. Geh’ Du statt meiner – aber zeitlich mußt in d’ Höh’ – ich hab’ um sechs Uhr in der Fruh schon ’s Treffen ang’sagt mit die Holzknecht bei der Holzerhütten. Und drum schau’ Dich jetzt um an g’sunden Schlaf um, daß morgen Dein’ Kraft wieder frisch bei ’nander hast. Wann’s Zeit is, weck’ ich Dich schon. Und jetzt gut’ Nacht – und sei mir g’scheit!“

Götz mußte noch den stotternden Dank des Burschen über sich ergehen lassen. Dann trennten sie sich mit einem kräftigen Händedruck. Der Knecht suchte sein Stübchen im Gesindetrakt, Karli seine Kammer im Hause.

(Fortsetzung folgt.)




Erinnerungen an die erste Aufführung des „Don Juan“.

Vor hundert Jahren, am 29. Oktober 1787, wurde Mozart’s Meisterwerk „Don Juan“ zum ersten Male in Prag aufgeführt. An allen Bühnen wird dieser Gedenktag festlich begangen; auch wir wollen an dieser Stelle desselben gedenken und unseren Lesern einige Erinnerungen mittheilen, welche für Mozart und die Entstehung der „Oper aller Opern“ charakteristisch sind.

Schon an die Ouverture des „Don Giovanni“ knüpft sich ein förmlicher Sagenkreis, denn von Jedem, der die Entstehungsgeschichte dieser Komposition als „Augenzeuge“ erzählt hat – und es giebt solcher „Augenzeugen“ gar viele! – hören wir sie anders darstellen. Nur so viel geht aus all diesen Berichten mit ziemlicher Sicherheit hervor, daß der Tag der Aufführung vor der Thür stand, ohne daß die Ouverture zur Oper geschrieben worden war. Mozart’s Wittwe theilt darüber in der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom Jahre 1798 Folgendes mit: „Den vorletzten Tag vor der Aufführung des ‚Don Juan‘ in Prag, als die Generalprobe schon vorbei war, sagte er (Mozart) Abends zu seiner Frau, er wolle in der Nacht die Ouverture schreiben; sie möge ihm Punsch machen und bei ihm bleiben, um ihn munter zu halten. Sie that’s, erzählte ihm Märchen von Aladin’s Lampe, vom Aschenhutterl u. dergl., die ihn zu Thränen lachen machten. Der Punsch aber machte ihn so schläfrig, daß er nickte, wenn sie pausirte, und nur arbeitete, wenn sie erzählte. Da aber diese Anstrengung, die Schläfrigkeit und das öftere Nicken und Zusammenfahren ihm die Arbeit gar zu schwer machten, ermahnte seine Frau ihn, auf dem Kanapee zu schlafen, mit dem Versprechen, ihn nach einer Stunde zu wecken. Er schlief aber so fest, daß sie es nicht übers Herz brachte und ihn erst nach zwei Stunden weckte. Dies war um fünf Uhr; um sieben Uhr war der Kopist bestellt, um sieben Uhr war die Ouverture fertig.“

Recht komisch klingt die weitere Bemerkung Konstanze Mozart’s: „Einige wollen das Nicken und Zusammenfahren in der Musik der Ouverture erkennen,“ welcher Unsinn von Vielen gläubig nachgesprochen wurde. Frau Mozart (die sich später mit dem dänischen Staatsrath Georg N. von Nissen vermählt hat) scheint also wirklich der Ansicht gewesen zu sein, daß ihr unsterblicher Gatte die „Don Juan“-Ouverture in jener Nacht komponirt habe! Dies war jedoch durchaus nicht der Fall; denn Komponiren und Schreiben war bei Mozart meist zweierlei. Er ging gewöhnlich erst dann ans Niederschreiben eines Werkes, wenn er es bereits im Kopfe fertig hatte, wie aus nachstehender Stelle eines Briefes an einen Baron von P. hervorgeht:

„Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann: da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. Woher und wie, das weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopfe und summe sie auch wohl vor mich hin, wie mir Andere wenigstens gesagt haben – halt’ ich das nun fest, so kommt nur bald eins nach dem andern bey, wozu so ein Brocken zu brauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente et caetera, et caeteara, et caetera! Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer; und ich breite es immer weiter und heller aus; und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich’s hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geiste übersehe, und es auch gar nicht mehr nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. … Was nun so geworden ist, das vergesse ich nicht leicht wieder; und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sacke meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig und wird auch selten viel anders, als es vorher im Kopfe gewesen ist. Darum kann ich mich auch beym Schreiben stören lassen; und mag um mich herum mancherley vorgehen: ich schreibe doch; kann auch dabey plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen, oder von Gretel und Bärbel u. dergl.“

Und so wird es auch mit der „Don Juan“-Ouverture gewesen sein, einem Stücke, das selbst ein Mozart nicht in wenigen Stunden und im Halbschlafe zu komponiren im Stande gewesen wäre. Daß dieselbe schon längst in seinem Kopfe fertig war, ehe er sich zum Niederschreiben bequemte, zeigt übrigens – falls es überhaupt eines weiteren Beweises, als die Komposition selbst, bedarf – die Mittheilung J. B. Lyser’s im „Mozart-Album“ (1856), nach welcher Mozart zu Duschek gekommen sei und diesem, in Gegenwart des Sängers Bassi (des ersten „Don Juan“-Darstellers) erwähnt habe, daß ihm zu seinem „Don Giovanni“ nicht weniger als drei Ouverturen im Kopfe herum gehen, er sich jedoch für keine entscheiden könne und daher den Rath seiner Freunde sich erbitte. Er spielte den Beiden nun drei verschiedene Ouverturen vor: eine in Es-Dur, die zweite in C-moll (eine freie Fuge, nach Art der Ouverture zur „Zauberflöte“) und die dritte in D. Duschek und Bassi erklärten sich, obwohl von allen dreien entzückt, für die letztere, welche Mozart dann in der Nacht vor der ersten Aufführung auch niederschrieb. Es möge hier erlaubt sein, auf einen ähnlichen Fall hinzuweisen, wo Mozart gleichfalls das Aufschreiben eines im Geiste bereits vollendeten Stückes von einem Tag auf den andern verschob, bis er schließlich keine Zeit mehr dazu hatte und daher seine Klavierstimme, statt zu schreiben, in einem öffentlichen Koncerte, bei dem auch Kaiser Josef anwesend war, gleich aus dem Gedächtnisse spielte. Es geschah dies bei jener Sonate für Klavier und Violine, welche er für die treffliche Violinvirtuosin Regina Strinasacchi komponirte. Der Tag der Akademie, in welcher das Stück aufgeführt werden sollte, nahte heran, und es war noch nicht eine Zeile der Sonate auf dem Papiere. Nur mit Mühe gelang es der Strinasacchi am Abend vor dem Koncert, wenigstens die Violinstimme von Mozart zu erpressen. Sie übte dieselbe am folgenden Morgen allein ein, denn den Komponisten sah sie erst Abends im Koncert, in welchem sie mit ihm (also ohne vorhergehende Probe) die Sonate unter großem Beifalle vortrug. Kaiser Josef, der mit seiner Lorgnette zu bemerken glaubte, daß Mozart keine Noten vor sich habe, ließ ihn zu sich rufen und ihn ersuchen, die Sonate mitzubringen. In der That bestand der Klavierpart, aus welchem Mozart scheinbar gespielt hatte, aus einem bloß mit Taktstrichen versehenen leeren Notenblatte: er hatte also die Klavierstimme gar nicht niedergeschrieben, sondern die Sonate, ohne sie früher anders als mit seinem inneren Ohre gehört zu haben, aus dem Kopfe gespielt.[1]

Doch wenden wir uns wieder zur „Don Juan“-Ouverture. Nachdem Mozart die Partitur derselben in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober zu Papier gebracht – eine Arbeit, die schon in rein mechanischer Hinsicht ganz erstaunlich ist, denn die „mit auffallend flüchtigen Zügen, aber fast ohne alle Aenderungen“[2] geschriebene Originalpartitur umfaßt gegen 300 Seiten (!) – wurde sie am nächsten Morgen zum Kopisten geschickt, der es nur mit knapper Noth zuwege brachte, bis zum Abend die Orchesterstimmen auszuschreiben. Dieselben kamen, noch feucht, auf die Pulte, und die Ouverture mußte natürlich von dem Orchester vom Blatt gespielt werden. Die enthusiasmirten Musiker nahmen sich tüchtig zusammen, so daß Mozart während der auf die Ouverture folgenden Introduktion zu dem ihm zunächst sitzenden Orchestermitgliede sagte: „Es sind zwar viele Noten unter die Pulte gefallen, aber die Ouverture ist doch recht gut von statten gegangen.“ (Nach der Erzählung Laitl’s, der bei der ersten „Don Juan“-Aufführung die Flöte geblasen: „… aber brav gespielt habt’s doch.“)

Eine recht drollige Episode spielte sich auch bei einer der ersten Opernproben ab. Die Worte des Komthurs in der Kirchhofsscene wurden ursprünglich bloß von Posaunen begleitet; mit der mangelhaften Ausführung dieser Stelle nicht zufrieden, klopfte Mozart mehrmals ab und begab sich endlich zu den Pulten der Posaunisten, um ihnen zu erklären, wie er sie eigentlich vorgetragen wünsche.

„Das kann man so nicht blasen und von Ihnen werde ich es auch nicht lernen!“ rief einer dieser posaunirenden Herren ärgerlich aus.

„Gott bewahre mich, daß ich Sie die Posaune lehren wollte,“ erwiederte lächelnd der Komponist; „geben Sie nur die Stimmen her, ich will sie ändern.“

Und das that er auch, indem er die Stelle für die Posaunen erleichterte und je zwei Oboen, Klarinetten und Fagotte hinzusetzte.

Bei einer anderen Probe gab er wieder einen Beweis seines phänomenalen Tongedächtnisses, indem er zum Finale des zweiten Aktes die Trompeten- und Paukenstimmen – ohne die Partitur vor sich zu haben – niederschrieb und sie den betreffenden Orchestermitgliedern mit der Weisung gab: „Ich bitte Sie, meine Herren, bei dieser Stelle besonders aufmerksam zu sein; denn es werden entweder vier Takte zu viel oder zu wenig [739] sein.“ Wirklich ergab sich hier, wie vorausgesagt, eine Differenz von vier Takten.

Teresina Bondini, die erste Zerline, zeigte sich im ersten Finale etwas zimperlich und war nicht dazu zu bringen, den verhängnißvollen Aufschrei ordentlich auszustoßen. Nach mehreren Versuchen, die sich als vergeblich erwiesen, hörte man sie endlich in natürlichster Weise erschrocken aufschreien: Mozart war nämlich auf die Bühne gegangen und hatte die Bondini im richtigen Momente plötzlich um die Hüften gepackt. „So ist’s recht,“ rief er ihr lachend zu, „so muß man aufschreien!“

In Prag war der Erfolg des „Don Giovanni“ ein ganz außerordentlicher, in Wien aber, woselbst die Oper am 7. Mai 1788 zum ersten Male gegeben wurde, ein ziemlich geringer. Trotz aller Zusätze und Aenderungen wollte das Werk anfangs nicht recht gefallen. „Die Oper ist göttlich,“ sagte Kaiser Josef zu Da Ponte, Mozart’s Librettisten, „vielleicht noch schöner als ‚Figaro‘; aber das ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.“ Als Da Ponte diesen Ausspruch des Monarchen Mozart mittheilte, bemerkte Letzterer schlagfertig: „Lassen wir ihnen Zeit zu kauen.“

Reizend ist die Antwort, die Rossini in einer Gesellschaft auf die Frage gab, welche von seinen eigenen Opern ihm die liebste sei: „Eh bien, c’est Don Giovanni“. Viardot (dessen Frau, Pauline Viardot-Garcia, so glücklich ist, im Besitze der Mozart’schen Originalpartitur zu sein, deren Ausstellung im Foyer der Großen Oper in Paris gelegentlich des Jubiläums beschlossen wurde) erzählt auch in der „Illustration“ vom Jahre 1855, daß Rossini, der eine ganz besondere Vorliebe für den „Don Juan“ hegte, ihn mit den Worten besucht habe: „Ich will niederknieen vor dieser heiligen Reliquie.“ Im Geburtslande Rossini’s dauerte es jedoch recht lange, bis das Mozart’sche Meisterwerk das richtige Verständniß und die ihm gebührende Verehrung fand; ja heute noch ist der Kreis Jener, welche die Bedeutung „Don Giovanni’s“ zu würdigen verstehen, ein sehr geringer. Würde man es für möglich halten, daß in einer Stadt des angeblichen „Landes der Musik“, in Florenz, im Jahre 1857 des Heils die Oper – ausgepfiffen und für „veraltete hyperboreische Musik“ erklärt wurde?! …

Nach der ersten Aufführung des „Don Juan“ in Deutschland gab es übrigens gleichfalls Stimmen, auch „kritische“, welche sich mehr oder weniger gegen die Mozart’sche Oper wendeten. Es wird gewiß zur Erheiterung unserer Leser beitragen, wenn ich diese „Don Juan“-Reminiscenzen mit einem Citate aus der Kritik über die erste Aufführung der „Oper aller Opern“ in Berlin (20. Dec. 1790) schließe, die sich in der „Chronik von Berlin“ (IX, S. 132 ff.)[WS 1] befindet. Dieser weise Kritikaster predigt Mozart zum Schlusse seiner Besprechung folgendes: „… aber theatralische Musik kennt keine andere Regel, keinen anderen Prüfungsrichter als das Herz; ob und wie sie darauf wirkt, bestimmt alsdann allen Werth derselben. Nicht Kunst in Ueberladung der Instrumente, sondern das Herz, Empfindung und Leidenschaften muß der Tonkünstler sprechen lassen; dann schreibt er groß, dann kommt sein Name auf die Nachwelt und ein immer grünender Lorbeer blüht ihm im Tempel der Unsterblichkeit. Gretry, Monsigny und Philidor werden davon Beweise sein. Mozart wollte bei seinem ‚Don Juan‘ etwas Außerordentliches, unnachahmlich Großes schreiben; so viel ist gewiß, das Außerordentliche ist da, aber nicht das unnachahmlich Große! Grille, Laune, Stolz, aber nicht das Herz war ‚Don Juan’s‘ Schöpfer, und wir wünschen lieber in einem Oratorium oder sonst einer feierlichen Kirchenmusik die hohen Möglichkeiten der Tonkunst von ihm zu bewundern erhalten zu haben, als in seinem ‚Don Juan‘, dessen Ausgang so ziemlich analog ist mit einer Schilderung des jüngsten Gerichts, wo wie Seifenblasen die Gräber aufspringen, Berge platzen und der Würgengel des Herrn mit der Schrecktrompete zum Aufbruch bläst. Bei alledem (!) hat diese Oper der Direktion gute Einnahmen geschafft, und die Galerie, die Logen und das Parquet werden in der Folge nicht leer sein; denn (sic!) ein geharnischter Geist und feuerspeiende Furien sind ein sehr starker Magnet. Ach, Verstand der Abderiten!“

„Ach, Verstand der Abderiten!“ rufen sicherlich auch unsere Leser aus und klappen mit uns die „Chronik von Berlin“ zu. Rich. Robert.     




Blätter und Blüthen.


Bernhard v. Langenbeck †. (Mit Portrait S. 725.) In der Nacht vom 29. auf den 30. September starb in Wiesbaden Bernhard v. Langenbeck, einer der größten Chirurgen unseres Jahrhunderts. Er entstammte einer Familie, in welcher der ärztliche Beruf seit langen Zeiten eingebürgert war, und sein Oheim, der berühmte Professor J. Martin Langenbeck in Göttingen, war sein hervorragendster Lehrer und Meister. Bernhard Langenbeck, der zuerst in Göttingen und Kiel docirte, erlangte rasch einen bedeutenden Ruf; denn als im Jahre 1847 Dieffenbach plötzlich im Hörsaale während einer Operation, die er auszuführen hatte, gestorben war, glaubte man für den Lehrstuhl der Chirurgie an der Berliner Universität keinen würdigeren Nachfolger finden zu können, als Langenbeck, der damals erst 37 Jahre alt war.

Er hat die Hoffnungen, die auf ihn gesetzt wurden, glänzend erfüllt. Die Chirurgie verdankt ihm viele ihrer größten Fortschritte, und berühmte Meister wie Billroth, Hüter etc., die auf deutschen und ausländischen Universitäten wirken, waren einst seine Schüler. Langenbeck war der eifrigste Vertreter der „konservativen Chirurgie“, welche bei den Operationen möglichst schonend vorgeht und von den zu operirenden Theilen so viel als möglich zu erhalten bestrebt ist.

Während z. B. früher bei Knochen- und Gelenkverletzungen die Chirurgen meist zur Amputation des ganzen Gliedes schritten, brachte Langenbeck die Knochen- und Gelenkresektionen zur allgemeinen Geltung, wodurch zahllose Verwundete und Verunglückte vor einer gänzlichen Verstümmelung bewahrt wurden. Nach dieser Richtung hin konnte Langenbeck namentlich in der Kriegschirurgie segenbringend wirken und that es auch in allen Kriegen, welche Preußen in letzter Zeit geführt hatte. Schon im Jahre 1869 wurde er zum Generalarzt erster Klasse à la suite der Armee ernannt. Mit dieser Charge ist der Oberstrang verbunden; aber der König verlieh Langenbeck, um ihn ganz besonders auszuzeichnen den Rang eines Generallieutenants.

Nach den Angaben der Tageszeitungen und der Konversationslexika wurde Langenbeck am 9. November 1810 in Hannover geboren; dem gegenüber wird jetzt vom Pastor v. Hanffstengel die Behauptung aufgestellt, der „Altmeister der deutschen Chirurgie“ habe am 8. November 1810 in Padingbüttel im Lande Wursten das Licht der Welt erblickt. *     

Ein Museum der Steuerbehörde. Wie in London, so hat auch in Paris die Steuerbehörde ein großes Museum (musée de l’octroi) errichtet, in welchem sie der Erfindungsgabe und dem Genie derjenigen Rechnung trägt, welche den Kampf mit ihr in höchst scharfsinniger Weise aufzunehmen und durchzuführen versuchten. Setzt die Behörde doch damit auch zugleich ihrem eignen Scharfsinn ein Denkmal, welcher alle diese Listen zu durchschauen und zu enthüllen vermochte; freilich war sie oft längere Zeit hindurch das Opfer der beabsichtigten Täuschungen. Wandert man durch die Säle dieses Museums, so findet man eine große Menge von Gegenständen, welche sich dazu hergeben mußten, steuerpflichtige Waaren vor den Augen der Behörden zu verbergen: über einander geschichtete Porcellanteller, von denen nur das obere und untere halbe Dutzend als solche zu benutzen sind, während den übrigen der Boden fehlt und sie so sich zur Aufnahme verpönter Artikel eignen; Statuen in Lebensgröße und kleinere Puppen, anscheinend aus Wachs und Papiermaché gebildet, unbearbeitete Holzstämme oder Leinwandrollen, die sich bei näherer Prüfung als Blechgefäße ergaben, die mit Baumrinde oder Leinwand umkleidet sind; Früchte, wie sie die Landleute auf den Markt bringen, aber inwendig hohl. Auch in Deutschland sind ja Tournüren bekannt, mit deren Hilfe schon manche vornehme Dame eine Sünde gegen das Zoll- und Steuergesetz beging, eben so Westen mit weiten wasserdichten Innentaschen.

Doch einige dieser Merkwürdigkeiten des Zollmuseums sind mehr im großen Stile gehalten; da ist ein gewaltiger Block von karrarischem Marmor, der dem Anschein nach nur durch bedeutende Transport- und Hebekräfte in das Museum gebracht werden konnte: doch dieser Koloß ist federleicht; es ist ein kunstvoll aus dünnem Blech gefertigter Felsblock, einer von sechs gleichartigen Genossen, welche aus Italien kamen und in ihrem Innern Spitzen im Werthe von 150 000 Franken verbargen. Die Wachspuppe eines Lakaien erinnert an ein anderes pikantes Zollabenteuer. Dieser Lakai saß mit gekreuzten Armen auf einem leichten Wagen, den ein eleganter Herr täglich durch die Steuerbarrieren von Paris lenkte. Da begegnet ihm eines Tages das Unglück, daß der Wagen nicht weit vor der Accise an einen Markstein anprallte und umschlug. Der Wagenlenker wurde besinnungslos fortgetragen; der Lakai hatte sich eine Stirnwunde beim Sturze zugezogen, doch aus derselben strömte nicht Blut, sondern – Kognak, und in dem ganzen Wagen war in verborgenen Höhlungen Alkohol untergebracht.

Ein drittes merkwürdiges Stück des Museums ist ein Sarg, den ihm die Stadt Marseille zum Geschenk machte. Während der Cholerazeit im Jahre 1884 fuhr alltäglich ein schwarzbehangener Leichenwagen mit einem Sarg durch das Thor der Stadt, dem auch die Zollbeamten die üblichen Honneurs machten. Als aber auch nach dem Erlöschen der Cholera derselbe Leichenwagen täglich mit peinlicher Pünktlichkeit zum Thor hinausfuhr, erschien das den Zollbeamten verdächtig; sie untersuchten Wagen und Sarg und fanden, daß der letztere mit Cigarren angefüllt war.

Die Kunst und die Artillerie. Daß der Dienst bei der Artillerie eine Fundgrube humoristischer Lebensbilder sein kann: das hat Friedrich Hackländer bewiesen, der seine Jugendzeit zum Theil mit dem Wischer und Zündstock in der Hand zugebracht hat. Ohne diese militärische Vorschule hätte er seine ansprechenden „Bilder aus dem Soldatenleben“ und seinen Roman „Der letzte Bombardier“ nicht zu schreiben vermocht. Die Stätte, wo Hackländer diese Studien machte, ist die Dominikanerkaserne in Köln, welche wahrscheinlich demnächst niedergerissen werden wird, indem das neue Postpalais an ihre Stelle treten soll. In jener alten Kaserne haben indeß noch andere Kunstjünger eine militärische Lehrzeit vollbracht: zu ihnen gehört Junkermann, der ausgezeichnete Fritz Reuter-Spieler, dessen Lebensbeschreibung wir in Nummer 42 brachten. Am Stuttgarter Hoftheater fand er einen früheren Vorgesetzten aus der Kaserne wieder, den ehemaligen Artillerielieutenant Wentzel, der dort noch heute engagirt ist. Einer der damaligen Kanoniere ist sogar jetzt Leiter des Berliner Hofschauspiels geworden: es ist dies Anno, der als Komiker bei den deutschen Bühnen seinen Weg gemacht, dann Direktor des Berliner Residenztheaters wurde, wo er die neufranzösischen Dramen mit Geschick in Scene setzte und wegen seiner Regietalente jetzt die einflußreiche Stellung am Berliner Hoftheater erhielt.

Auf der Sparkasse in Wien. (Mit Illustration S. 733.) Seitdem der Dichter den Wienern einen Ruf als Phäakenvölklein gemacht, bei dem immer am Herde der Spieß sich dreht, ist auch die Mythe gang und gäbe geworden: der Wiener könne nicht sparen; doch zu jeder Zeit hat es auch in Wien sparsame Leute gegeben und in unseren Tagen ist dort die Schar der Sparer zahlreicher als je.

Eine kurze Periode hindurch – während der sogenannte „volkswirthschaftliche Aufschwung“ die Köpfe verwirrte – war das Sparen [740] etwas aus der Mode gekommen. Man entäußerte sich mit Leichtigkeit dessen, was man mit Leichtigkeit gewonnen. Nach der Krisis von 1873 kehrte man reuig zum Sparen zurück. Seither behauptet das „Sparkassabüchel“ seine Herrschaft und wird sie wohl nicht wieder einbüßen. Der Zeichner, zu dessen Arbeit wir diese Zeilen schreiben, liefert mit seinem Stifte einen Beitrag zur Rehabilitirung Wiens in den Augen aller sparsamen Leute. Er zeigt, wie lebhaft es auf der Sparkasse zugeht, und er hat recht gethan, in den Vordergrund einige weibliche Figuren zu stellen.

Im Heim des Wiener Geschäftsmannes kommt es nicht selten vor, daß die Gattin, die Mutter hinter dem Rücken des Hausvaters ein „Sparkassabüchel“ erwirbt und Gulden auf Gulden zurücklegt, um einmal bei besonderen Unfällen eine Zuflucht zu haben oder um dem studirenden Sohne oder der heirathsfähigen Tochter heimlich beispringen zu können.

Unsere Illustration stellt eine Scene dar, die gewiß an dem letzten Tage eines Monates oder um die Zeit der Wohnungsmiethe herum – „Zins“ nennt sie der Wiener – spielt; denn in solchen Momenten ist die Sparkasse am besuchtesten. Wohl giebt es in Wien verschiedene Anstalten für die Sparer; seit Kurzem erschließt die „Postsparkasse“ sich sogar den Besitzern der kleinsten Beträge, aber unter „Sparkasse“ schlechtweg versteht man in Wien nach wie vor die „Erste österreichische Sparkasse“, aus deren Räumen unser Zeichner sich denn auch seinen Vorwurf geholt hat. Dieses Institut ist über hundert Jahre alt. Es wird unentgeltlich verwaltet – an der Spitze standen Männer wie Karl Giskra, Anton von Schmerling etc. als „Kuratoren“ – und der Gewinn wird, nach Abzug eines Reservefonds, jährlich zu wohlthätigen Zwecken vertheilt. Das Volk bleibt der „Ersten österreichischen Sparkasse“ treu, deren Entwickelung mit der Geschichte Wiens untrennbar verbunden ist. Es ist kein Zufall, daß der Zeichner diesem Institut und nicht einem anderen seinen Besuch gemacht hat.

Russische Suppen. In einem Schriftchen: „Die Suppe, ein Stückchen Kulturgeschichte“, giebt Eduard Maria Schranka auch eine Schilderung der russischen Suppen, die nicht ohne Interesse ist. Da giebt es zunächst Fischsuppen, den Rassol, aus dem delikaten Sterlet bereitet mit gesalzenen Gurken und langgeschnittenen Wurzeln, worin aus Mehl und Kaviar gemachte Klöße schwimmen. Auch die Ucha ist eine russische Fischsuppe, zu welcher das Fleisch der Fische ganz fein verrieben wird. Bei den 1791 von Potemkin in St. Petersburg gegebenen Bällen erschien stets eine Fischsuppe im Werth von 1000 Rubeln in einem 300 Pfund schweren Silbergefäß. Einstmals lud sich die große Katharina bei Potemkin plötzlich zum Abend auf eine Sterletsuppe ein. Nun war aber gerade zur Zeit kein Sterlet aufzutreiben und nur aus besonderer Gefälligkeit überließ ein Kaufmann dem Minister einige Fische, wofür er sich ein Gemälde der Madonna von Andreas del Sarto ausbedungen, das der Fürst und Liebling der Katharina kurz zuvor für 10000 Rubel erstanden. Das war allerdings die theuerste russische Fischsuppe und wohl die theuerste Suppe überhaupt, von welcher die Anekdotensammler berichten.

Die berühmte russische Nationalsuppe, die so weit gekocht und gegessen wird, als es Russen in der Welt giebt, ist die Kohlsuppe, der „Schtschi“. Täglich findet sie sich in der Schüssel der Armen sowie neben den feinsten Ragouts und Pasteten auf den Tafeln der Reichen. Weder eine politische noch eine moralische Revolution war bis jetzt im Stande, den Schtschi von der russischen Tafel zu verdrängen. Die Zubereitung ist eine sehr verschiedene: es giebt zunächst so viele Arten des Schtschi, wie es Kohlvarietäten giebt. Das Hauptrecept ist: gehackter weißer Kohl, sechs bis acht Köpfe, ein halbes Pfund Mehl, Graupen, ein viertel Pfund Butter, eine Hand voll Salz und zwei Pfund Schaffleisch. Dazu ein paar Kannen Kwaß, des bierähnlichen russischen Getränkes. Wird statt Butter Oel genommen, so entsteht der Posdnoi-Schtschi, der Fasten-Schtschi; außerdem giebt’s noch eine große Menge Abarten: dazu gehört auch der kleinrussische Borschtsch. Dem Schtschi als Wintersuppe steht die berühmte russische Botwinje, die Sommersuppe, gegenüber. Sie enthält dieselben Ingredienzien wie dieser, nur kalt. In Rußland herrscht überhaupt die Eigenthümlichkeit, daß jedem warmen Gericht oder Getränk ein kaltes Gegenstück entspricht. So ist das Gegenstück des kalten „Kwaß“, der unserem Bier entspricht, der heiße Sbiten. Ueberhaupt haben die Russen für jede Jahreszeit eigene Suppen, ja eine eigene Speisekarte.

Sonntagsjäger (Illustration S. 737) sind von jeher ein beliebter Gegenstand der Spottlust gewesen. Liefert doch jeder, der nach Dingen strebt, denen er seinem ganzen Wesen nach nicht gewachsen ist, mit seiner Person jenen Kontrast, der das Wesen des Komischen ausmacht. Wenn aber das Herrchen, das die ganze Woche über im Komptoir sitzt und in seinen Mußestunden im sorgfältigsten Stutzerkostüm durch die Straßen wandelt, am Sonntag plötzlich mit gewichtigen Stiefelungethümen und im Lodenrock oder im Leinenkittel des Waidmanns erscheint, wenn es mit der offenbaren Absicht ausgeht, seinen goldenen Zwicker nicht nach den Schönen der Stadtpromenaden, sondern nach Hasen und Rebhühnern zu richten – wer kann sich da eines leisen Lächelns erwehren? Aber auch draußen in den Jagdgründen ist man nicht unempfindlich für komische Kontraste: das beweist die Scene, die der Schöpfer unseres Bildes mit dem Pinsel festgehalten hat. Da sitzt der kühne Jäger, an dem Alles stilgemäß ist – selbst der Eberzahn, den er als Uhranhängsel trägt – in der Bauernstube, und das energische Zupfen des Schnurrbärtchens wie der träumerisch starre Blick der Augen verräth uns, daß er seinen Beruf ernst nimmt und eben ein „kolossal imponirendes“ Jagdabenteuer – erzählt hat. Die Bauerndirne, die ihm gegenüber steht, hat ihm, dumm-gutmüthig, wie sie zu sein scheint, wohl staunend zugehört, während über das echte scharfgeschnittene Alpenjägergesicht seines Nachbars ein recht höhnisches Lächeln zuckt. Oder lacht er über den Schelm, der im Hintergrund der Stube einstweilen seine Bosheiten verübt? Armer Sonntagsjäger! Während er im Hochgefühl seiner Waidmannskunst schwelgt, während er die ganze Wichtigkeit seines sonntäglichen Berufes voll empfindet, spielt man ihm einen so häßlichen Schabernack und steckt eine Katze in seine Jagdtasche. Vielleicht zeigt uns der Künstler auch noch einmal das Gesicht, das der Nimrod macht, wenn er die seltene Jagdbeute entdeckt.

Schach.
Von W. Steinmann in Parchim.

SCHWARZ

WEISS

Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.


Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 708.
Weiß: Schwarz: Weiß: Schwarz:
1. D g 7 – h 7 ! S b 6 – c 4 : 1. … K d 6 – c 6
2. D h 7 – d 7 K d 6 – c 5 2. T c 4 – c 6 beliebig.
3. L f 6 – d 4 matt. 3. D setzt matt.

Varianten. a) 1. … K d 5, 2. D f 5 : †, K c 4 :, 3. d 3 matt. – b) 1. … L c 5 (a 5, c 3, d 2 :), 2. D c 7 †, K d 5 (c 6), 3. T c 5 (:) matt. – c) 1. … f 4, 2. L e 7 †, K zieht, 3. D e 4 matt. – d) 1. … S c 7 †, 2. D c 7 : † nebst 3. D setzt matt. – Es scheitert: 1. D b 7 an K e 6 ! oder 1. D f 7 an f 4 oder 1. d 3 ! an K d 5 ! – Ein Meisterstückchen! Der Zugzwang ist in feinsinnigster Weise angelegt.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

H. R. in Salzburg. Wir haben über „Don Juan’s“ Entstehen in Prag und die ersten „Don Juan“-Aufführungen berichtet. Sehr eingehend hat dies Alles Rudolf v. Freisauff in seiner Schrift: „Mozart’s Don Juan 1787–1887“ (Salzburg, Kerber) dargestellt: eine Schrift, die zur 100jährigen Jubelfeier der Oper „Don Juan“ von der „Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg“ herausgegeben wurde. Sie enthält 9 Kunstbeilagen, meistens Portraits von deutschen und französischen Künstlern, die bei „Don Juan“-Aufführungen mitwirkten, und eine, was die großen Theater betrifft, erschöpfende Bühnenstatistik des „Don Juan“.

K. C. in Berlin. Wer sich mit der Geschichte und den Zuständen des deutschen Buchhandels in Leipzig bekannt machen will, dem empfehlen wir den gediegenen Vortrag von Dr. Oskar von Hase „Die Entwickelung des Buchgewerbes in Leipzig“ (Leipzig, Hedeler). Die Schrift ist überaus reich an zuverlässigen thatsächlichen Angaben, übersichtlich und geschmackvoll in der Gruppirung und Darstellung.

Ne. in Berlin. Sie theilen uns mit Bezug auf das von uns besprochene Chamisso-Denkmal mit, daß der Kaiser eine Beihilfe von 1000 Mark dazu bewilligt und daß auch der Entwurf eines Bronzereliefs für das Postament von Julius Moser vorliegt, welcher bei ausreichender finanzieller Unterstützung ausgeführt werden soll; die Enthüllung des Denkmals ist für den 4. August 1888 in Aussicht genommen.

Radfahrer-Verein in C. „Wolf’s Radfahrer Karte von Deutschland. Sektion I. Königreich Sachsen,“ die soeben erschienen und in jeder Buchhandlung zu haben ist, dürfte Ihren Zwecken entsprechen. Sie giebt außer den Kunststraßen auch die Kommunikationswege an, auf denen man bei Schadhaftwerden der Maschine oder anderen kleinen Unfällen, die jedem Radfahrer begegnen können, am schnellsten die nächste Hilfe bringende Ortschaft erreichen kann. Die Steigungen der Wege sind leider nicht bezeichnet; wünschenswerth wäre es, daß dieselben in die nächste Auflage der Karte eingetragen werden, da die Kenntniß derselben für den Radfahrer von großer Wichtigkeit ist.

Professor R. in Stuttgart. Anknüpfend an unsere Notiz, daß schon im Jahre 1530[WS 2] ein in Nizza erbautes Kriegsschiff mit einem Bleipanzer versehen worden sei, weisen Sie darauf hin, daß es schon im Alterthum gepanzerte Schiffe gegeben habe. Julius Cäsar in seiner Schrift über den Bürgerkrieg erwähnte, daß Pompejus dem L. Domitius und den Massiliern eine Flotte von 16 Schiffen geschickt, in quibus paucae erant aeratae (unter denen einige mit Erz beschlagen waren). Es ist freilich aus dieser Stelle nicht zu entnehmen, ob diese Panzerung auf die ganzen Schiffe ausgedehnt oder nur an den Vordertheil derselben gegen den Stoß der feindlichen Schiffsschnäbel angebracht war.

Stud. jur. in Leipzig. Wenden Sie sich an den unter dem betr. Bilde angegebenen Kunstverlag.

K. L. in Breslau. Zwei vornehme und vermögende Russinnen haben in Paris Ladendiebstähle in den großen Läden des Louvre begangen. Die eine, ein Fräulein von Fomine, ist auch zu Gefängniß verurtheilt worden. Es liegt hier offenbar jene bekannte Manie zu Grunde, von der Sie sprechen und für welche Sie mehrere Beispiele anführen: doch die Pariser Gerichte haben in diesem Fall keine Geisteskrankheit anerkennen wollen.

H. M. in Köln. Lesen Sie „Die Berufswahl im Staatsdienst“ von A. Dreger (Verlag von C. A. Koch [J. Sengbusch] in Leipzig).

H. R. in Kiel. Ihre Mittheilung, daß die Schleswig-Holsteiner jetzt daran denken, dem Dichter des „Schleswig Holstein meerumschlungen“, Mathäus Friedrich Chemnitz, in seinem Geburtsorte Barmstedt ein Denkmal zu setzen, ist recht erfreulich: denn es muß unvergessen bleiben, wie volksthümlich das Lied seinerzeit gewesen und wie mächtig dasselbe auf Erregung nationaler Begeisterung hingewirkt.


Inhalt: Die Geheimräthin. Novelle von Hieronymus Lorm. S. 725. – Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm. Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil. S. 730. – Yburg. S. 732. Mit Illustrationen S. 728, 729 und 732. – Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 733. – Erinnerungen an die erste Aufführung des „Don Juan“. Von Rich. Robert. S. 738. – Blätter und Blüthen: Bernhard v. Langenbeck †. S. 739. Mit Portrait S. 725. – Ein Museum der Steuerbehörde. S. 739. – Die Kunst und die Artillerie. S. 739. – Auf der Sparkasse in Wien. S. 739. Mit Illustration S. 733. – Russische Suppen. S. 740. – Sonntagsjäger. S. 740. Mit Illustration S. 737. – Schach. S. 740. – Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 708. S. 740 – Kleiner Briefkasten. S. 740.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Diese Anekdote findet sich zuerst in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“, Bd. I, ferner bei Rochlitz („Für Freunde der Tonkunst“) und in der 1828 erschienenen Mozart-Biographie von Nissen.
  2. Otto Jahn in seinem „Mozart“ IV, S. 301, Anmerk. 46.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Chronic von Berlin oder Berlinsche Merkwürdigkeiten. Herausgegeben von Tlantlaquatlapatli. 9. Bändchen, 201. Stück (5. Februar 1791) SLUB Dresden
  2. Vorlage: 1830