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Die Kolonien (1914)

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Textdaten
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Autor: Friedrich von Lindequist
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Titel: Die Kolonien
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band, Fünftes Buch, S. 3 bis 37
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[415]
Die Kolonien
Von Dr. v. Lindequist, Staatssekretär des Reichs-Kolonialamtes a. D.,
Wirklicher Geheimer Rat


Einleitung.

Die ersten Kolonialerwerbungen. Bismarcks Schutz.

Man pflegt unsere Flotte gern und mit Stolz ein Kind des wiedererstandenen Deutschen Reiches zu nennen. Mit dem gleichen, ja mit noch größerem Rechte verdienen unsere Kolonien diese Bezeichnung. Aber während die Flotte sich rühmen konnte, von jeher des Deutschen Volkes Liebling zu sein, war unser Kolonialbesitz viele Jahre ein rechtes Schmerzens- und Stiefkind. Kein Wunder! Denn ebensowenig wie beim Reichstage (und leider auch zeitweise bei der Reichsregierung) war in den breiteren Schichten unseres Volkes bis in dieses Jahrhundert hinein wirkliches allgemeineres Interesse und tieferes Verständnis für koloniale Fragen vorhanden. Dies war um so überraschender, als bei den ersten Erwerbungen in Afrika und in der Südsee in den Jahren 1884/85 die Initiative nicht etwa von der Regierung, sondern von Männern des praktischen Erwerbslebens ausgegangen war.

Männer, wie der Bremer Lüderitz, der Hamburger Wörmann, der Berliner Hansemann, Hernsheim, und der Mann, dem wir den Erwerb Ostafrikas in erster Linie verdanken, Dr. Peters, wußten die Wünsche einer langsam, aber stetig wachsenden Schar ernster, von Patriotismus durchglühter und von der Notwendigkeit überseeischen Besitzes überzeugter Volksgenossen in die Tat umzusetzen, indem sie nahezu gleichzeitig im Westen und Osten Afrikas und in der Südsee festen Fuß faßten und größere Landerwerbungen machten. Sie taten es im festen Glauben, daß ihrem kühnen Vorgehen in der entscheidenden Stunde die tatkräftige Unterstützung der Reichsregierung nicht fehlen würde; und sie sahen sich darin nicht getäuscht. Denn der eiserne Kanzler, der sich nach Verwerfung der Samoavorlage durch den Reichstag mehrere Jahre hindurch gegenüber allen Anregungen zu einer aktiven Kolonialpolitik ablehnend verhalten hatte, glaubte nun die Stunde gekommen, erwirkte die Erlaubnis seines Kaiserlichen Herrn, seine starke Hand schützend über den Besitzergreifungen zu halten, und wies die angeblich besseren Ansprüche anderer Nationen, die uns diesen Land- und Machtzuwachs neideten, namentlich Englands, ebenso energisch und kühl, wie erfolgreich zurück.

Diese welthistorischen Vorgänge hatten zur Folge, daß sich wenigstens in einzelnen Schichten unseres Volkes die Überzeugung Bahn brach, daß neue, von der Willkür Dritter [416] unabhängige Absatzmärkte für unsere erstarkte und zu den größten Hoffnungen berechtigende Industrie und unseren gewaltig wachsenden Handel ein dringendes Bedürfnis seien, und daß wir Neulandes für die sich gerade damals massenhaft nach dem Ausland wendenden und unserem Volkstum über kurz oder lang verloren gehenden Deutschen Auswanderer benötigten.

I. Militärpolitische Okkupation der Schutzgebiete.

Wirtschaftliche Versuche.

Der Zanzibarvertrag und seine Folgen.

Das erwachende Interesse erfaßte weitere Kreise, als die glänzende Niederwerfung des Araberaufstandes in Ostafrika durch Hermann v. Wißmann und seine tapferen Offiziere mit der von ihm in kürzester Zeit geschaffenen und vorzüglich ausgebildeten Sudanesen-, Zulu- und Landeseingeborenen-Truppe, von unserer Marine tatkräftig unterstützt, in der Heimat bekannt wurde. So war unsere Kolonialpolitik auf dem besten Wege volkstümlich zu werden, als Fürst Bismarck den Schauplatz seiner Taten verließ.

Es zeigte sich bald, daß sein Nachfolger, woraus er selbst kein Hehl machte, unseren überseeischen Besitz nicht nur sehr gering einschätzte, sondern für geradezu bedenklich hielt, weil er uns in Mißhelligkeiten mit anderen Nationen, namentlich mit England, bringen könnte.

Wirkte diese Haltung des ersten Beamten des Reiches schon an sich sehr abkühlend, so hatte der Zanzibarvertrag vom 1. Juli 1890, der uns die für unsere Küstenverteidigung und als Stützpunkt für unsere Untersee- und Torpedoboots-Flottillen wichtige Insel Helgoland einbrachte, eine ungeheure Niedergeschlagenheit aller kolonialfreundlichen Kreise zur Folge. Fast noch böseres Blut, als der Verzicht auf Zanzibar und größere Gebiete im ostafrikanischen Hinterlande, machte die für das Ansehen des Deutschen Reiches höchst betrübende und von den Eingeborenen geradezu als Treulosigkeit betrachtete Aufgabe der kurz zuvor feierlich erklärten Schutzherrschaft über das Sultanat Witu. Die ungünstigen Nebenabreden über die Oranjeflußgrenze in Südwestafrika, die uns im letzten Aufstande so viel Geld gekostet und durch die unsere Truppen so schwer zu leiden gehabt haben, über die Voltagrenze in Togo und den Erwerb des sog. Kaprivizipfels unter Aufgabe unserer Ansprüche am Gnamisee verstärkten die Überzeugung, daß der Vertrag ohne rechtzeitige und genügende Hinzuziehung kolonialer Sachverständiger geschlossen sei, und daß hier unsere junge koloniale Sache für die allgemeine Politik habe bluten müssen. Die Unzufriedenheit steigerte sich noch, als die erfahrenen Afrikaner Wißmann und Peters nach Deutschland zurückkehrten und mit ihrer Meinung über die Schwäche des Abkommens nicht zurückhielten.

Kolonialgesellschaft.

Nach der hierdurch hervorgerufenen großen Erregung blieb die Reaktion nicht aus; Verbitterung und Gleichgültigkeit waren die Folge, so daß bald als Träger des kolonialen Gedankens fast nur noch die Kreise [417] in Betracht kamen, die sich um die damals an Mitgliederzahl noch kleine deutsche Kolonialgesellschaft scharten.

Reichstag.

Vom Deutschen Reichstage waren damals nur mit großer Mühe die allernotwendigsten Gelder für die Okkupation und Befriedung unserer überseeischen Besitzungen und zur ersten Einrichtung einer Verwaltung in den beruhigten Landesteilen zu erlangen, während für Verkehrs- und wirtschaftliche Zwecke in irgendwie erheblicherer Höhe Reichsmittel nicht zu haben waren. Im Gegensatz zu heute standen die Linksliberalen unter Richters Führung der Kolonialpolitik noch gänzlich ablehnend gegenüber; das Zentrum betrachtete sie mit wenigen Ausnahmen nur unter dem Gesichtswinkel der Heidenmissionierung; die Konservativen, bei deren Parteifreunden Peters 1884 für seine kühnen afrikanischen Pläne in besonderem Maße Verständnis und Unterstützung gefunden hatte, versagten zwar nie, wenn es sich um die zur Behauptung unseres Kolonialbesitzes erforderliche politische oder militärische Machtentfaltung handelte, aber den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten stand damals noch mancher von ihnen sehr skeptisch gegenüber, so daß überzeugte Anhänger einer kräftigen, mit großen Mitteln zu betreibenden Kolonialpolitik fast nur in den Reihen der nationalliberalen und freikonservativen Abgeordneten zu finden waren.

Kolonialabteilung. Kolonialrat.

Die Verwaltung der Kolonien war im Jahre 1890 einer neugebildeten Abteilung des Auswärtigen Amtes (Kolonial-Abteilung) übertragen, die in allen eigentlichen Kolonialangelegenheiten dem Reichskanzler direkt unterstehen sollte. Um ihre Stellung zu stärken und ihr den Rat kolonial bewanderter Männer zugänglich zu machen, wurde als sachverständiger Beirat ein Kolonialrat errichtet, in dem neben anderen vom Reichskanzler berufenen Mitgliedern die in den Schutzgebieten tätigen Kolonialgesellschaften vertreten waren. Ihm wurden alle wichtigen Angelegenheiten, seit 1892 vor allem auch die Etats der Schutzgebiete, zur Begutachtung vorgelegt.

Kolonialkriege.

Angesichts der zu geringen militärischen Machtmittel ging die dieser Epoche den Stempel aufdrückende Okkupation unserer Schutzgebiete nur sehr langsam und nicht ohne mannigfache Rückschläge vonstatten.

In den drei großen afrikanischen Kolonien hatten die Schutztruppen, welche Anfang der neunziger Jahre in Kaiserliche umgewandelt waren, und neben denen zum Teil für die rein polizeilichen Aufgaben besondere Polizeitruppen errichtet wurden, schwere Kämpfe zu bestehen.

In Ostafrika galt es auch damals noch, dem durch die Niederwerfung des Araberaufstandes noch nicht ausgerotteten Unwesen der Sklaven-Jäger und -Händler energisch zu steuern, von deren Schreckensherrschaft man einen Begriff bekommt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß nach englischen Berichten in den 60er Jahren vor der deutschen Besitzergreifung allein von unserem Südhafen Kilwa in einem Jahr 18 000 Sklaven ausgeführt worden sind, wobei man rechnen muß, daß mindestens die 2–3fache Zahl [418] von Menschenleben bei der Jagd und dem Transport zur Küste zugrunde gegangen sind. Dazu brandschatzten erst die von Gravenreuth bei Yombo geschlagenen und zersprengten Mafiti und dann die Wahehe die Stämme des mittleren und südlichen Teiles des Schutzgebietes. Die gegen letztere entsandte Zelewskische Expedition wurde von diesen fast gänzlich vernichtet, und erst mehrere Jahre später konnte vom Gouverneur von Schele durch die Unterwerfung dieses Stammes die Ordnung im größten Teile des Schutzgebietes endgültig wiederhergestellt werden, während Johannes im Norden das Kilimandjaro-Meru-Gebiet sicherte. In Kamerun mußten die Schutztruppen schwere Kämpfe mit Dualastämmen und nach Herstellung der Ruhe im Küstengebiet mit den Hinterlandsstämmen bestehen. Die unter den schwierigsten Verhältnissen ausgeführten Expeditionen von Kundt, Tappenbeck, Morgen und Zindtgraf haben den Weg zur Erschließung des Hinterlandes wesentlich geebnet. In Südwestafrika hatten sich Bantus und Hottentotten in jahrzehntelangen Kriegen zerfleischt. Als sie sahen, daß diesen Zuständen durch die Aufrichtung der deutschen Herrschaft das Ende drohte, planten sie, sich zu versöhnen und sich gemeinsam gegen die Weißen zu wenden. Diese Absicht kam aber nicht zur Ausführung, da zuvor unsere Fehde mit Witbooi begann, der dann durch Leutwein nach einer Verstärkung der Truppe niedergeworfen wurde. Ebenso wurden die sich nach und nach empörenden Osthereros, Khauan-, Afrikaner- und Zwartbooi-Hottentotten von ihm in den Jahren 1894 bis 1898 bekriegt und unterworfen.

Schutztruppenorganisation.

Erfreulicherweise suchten die Schutztruppen ihre Betätigung nicht allein im Kriegshandwerk, sondern beteiligten sich in großem Umfange an den Kulturarbeiten, namentlich an Wege- und Brunnenbauten. Daneben erwarben sie sich ein Verdienst durch Triangulation, Routenaufnahmen und topographische Arbeiten. Besonders in Ostafrika wurde hierdurch der Grund zur Kartographie des Schutzgebietes gelegt. Die Organisation der Schutztruppen ist mehrfach geändert worden. Während der Umwandlung in Kaiserliche standen sie unter dem Kommando des Reichsmarineamts. Aber schon Mitte der neunziger Jahre wurden sie dem Reichskanzler und in seiner Vertretung dem Chef der Kolonialverwaltung unterstellt, von denen die militärische Kommandostelle der Schutztruppen in der Heimat „das Oberkommando“, unter Leitung eines Stabsoffiziers ressortierte. An die Spitze der Schutztruppen in den verschiedenen Kolonien standen als Kommandeure ebenfalls Stabsoffiziere. Änderungen sind, wie hier gleich vorweggenommen werden soll, im Jahre 1907 insofern eingetreten, als sowohl an die Spitze des nunmehrigen „Kommandos der Schutztruppen“, wie der Schutztruppe für Südwestafrika je ein Kommandeur in Regimentskommandeurstellung trat. Die Truppe für dieses Schutzgebiet rekrutiert sich im Gegensatz zu den beiden anderen, aus Farbigen bestehenden Schutztruppen aus Freiwilligen des Heeres. Auch die Schutztruppen für Ostafrika und Kamerun haben außer eingeborenen weiße Unteroffiziere, die jenen nicht unterstellt werden dürfen. Der Friedens- und Gefechtsverband ist die Kompagnie. Nur in Südwestafrika sind seit der Verstärkung der Truppe während des letzten Aufstandes zwischen dieser und dem Truppenkommando noch die etwa dem heimischen [419] Bataillonsverbande entsprechenden Nord- und Südbezirke eingeschoben worden. In dem Verhältnis der Truppenbefehlshaber zu den obersten Beamten der Schutzgebiete trat im Jahre 1896 eine wesentliche Änderung ein, indem dem Gouverneur, durch Allerhöchste Order neben der zivilen auch die höchste militärische Gewalt übertragen wurde, in der Erwägung, daß in diesen so weit von der Heimat entfernten Gebieten letzten Endes nur einer die Gesamtverantwortung tragen könne. Diese Organisationsänderung bedeutete einen großen Fortschritt, da der Dualismus und der Mangel an Einheitlichkeit der Verwaltung lähmend auf den ganzen Dienstbetrieb gewirkt hatte. Dies um so mehr, als die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Befugnissen noch sehr flüssig waren, und vielfach Offiziere zugleich Zivilverwaltungsstellen innehatten.

Verwaltung und Gerichtswesen.

Denn erst allmählich, und mit dem Wachsen der rein zivilen Aufgaben erschien es ratsam und aus ökonomischen Gründen vertretbar, eigene lokale Zivilbehörden zu schaffen. Als solche kamen in erster Linie die Bezirksämter in Betracht, die vom Gouverneur und der unter ihm stehenden Zentralverwaltung ressortieren. Zunächst nur an der Küste eingerichtet, wurden sie je nach der Ausdehnung des Einflusses der Regierung auf die Bevölkerung ins Innere vorgeschoben. Aber auch die so gebildeten Verwaltungsbezirke wurden häufig (insbesondere da, wo die militärischen Aufgaben die der Zivilverwaltung überwogen) mit Offizieren besetzt, die gleichzeitig die Funktionen von Stationschefs oder Kompagnieführern versahen. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß auch in diesen Stellungen unsere Offiziere und Sanitätsoffiziere Tüchtiges, zum Teil Mustergültiges geleistet haben, indem sie einen sehr günstigen Einfluß auf ihre Schutzbefohlenen ausübten, die sie mit ruhiger und starker Hand an die deutsche Herrschaft gewöhnten, und zu öffentlichen Arbeiten, hauptsächlich zu – in erster Linie den Eingeborenen zustatten kommenden – Wege- und Wasserarbeiten heranzogen. Auch wußten sie das Vertrauen derselben dadurch zu gewinnen, daß sie ihrem Gesundheitszustande ihre ernste Aufmerksamkeit zuwandten, was ihnen durch die bei ihrer Truppe befindliche Ausrüstung mit Sanitäts-Personal und -Material erleichtert wurde.

Gleichzeitig mit der Organisation der Verwaltungsbehörden wurde auch das Gerichtswesen geordnet. Die gesetzliche Grundlage hierfür boten die §§ 2 und 3 des Schutzgebietsgesetzes, in dessen § 1 bekanntlich festgestellt ist, daß die Schutzgewalt in den Deutschen Schutzgebieten im Namen des Reiches vom Kaiser ausgeübt wird. Für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit der Nichteingeborenen wurden Gerichtsbezirke gebildet, in denen juristisch vorgebildete Beamte allein oder mit 2 Beisitzern die richterlichen Befugnisse erster Instanz ausübten, während der Gouverneur nebst 4 Beisitzern die Befugnisinstanz unter der Bezeichnung „Obergericht“ bildete. Abgesehen von diesen Abweichungen galten nach Maßgabe der Vorschriften über die Konsulargerichtsbarkeit die heimischen Justizgesetze, deren Bestimmung allerdings für die ganz anders gearteten, einfachen afrikanischen Verhältnisse zunächst wenig paßten. Ebensowenig wie für die Trennung von Zivil und Militär in der Verwaltung, waren damals die Verhältnisse für eine gänzliche Scheidung von Rechtsprechung und Verwaltung schon weit genug vorgeschritten. Infolgedessen [420] wurden die richterlichen Funktionen erster Instanz zunächst vielfach juristisch vorgebildeten Bezirksamtmännern mitübertragen.

Für die eingeborene Gerichtsbarkeit wurden Mitte der neunziger Jahre feste Normen geschaffen. Danach wurde sie von den Bezirksverwaltungsbeamten unter Zuziehung von Eingeborenen als Beisitzern ausgeübt, insoweit sie nicht ganz den Stammeshäuptlingen überlassen blieb.

Missionen.

Eine wesentliche Unterstützung in ihrem Bestreben, die Eingeborenen zu heben und der Kultur zu gewinnen, fanden die Gouvernements bei den Missionen beider Bekenntnisse. Diese haben zum Teil das Verdienst, durch ihre Tätigkeit der deutschen Besitzergreifung günstig vorgearbeitet oder aber die Befriedung unserer Kolonien erleichtert zu haben. Andererseits war allerdings die Aufrichtung und Ausdehnung der deutschen Herrschaft sowohl für die Intensität der Missionsherrschaft, wie für die Ausdehnung ihres Einflusses von großem Vorteil. So konnten die schon im Lande tätigen Gesellschaften die Zahl der Stationen erheblich vermehren und das Evangelium in noch gänzlich unberührte heidnische Stämme hineintragen, während andere ihre segensreiche Tätigkeit erst infolge der deutschen Besitzergreifung begannen. Neben der Heidenbekehrung lag auch der Schulunterricht der eingeborenen Kinder in der ersten Zeit fast ausschließlich in den Händen der Missionen, die dafür erhebliche Opfer gebracht haben.

Wirtschaftliche Versuche. Land- und Minen-Konzessionen.

Einen wenig erfreulichen Verlauf nahm in dieser Periode die wirtschaftliche Entwickelung der Schutzgebiete. Angesichts der Unmöglichkeit, von den gesetzgebenden Körperschaften die für eine planmäßige Erschließung derselben erforderlichen Mittel zu erhalten, und bei dem Mangel an eigener praktischer Erfahrung machte die als Abteilung des Auswärtigen Amtes unselbständige und in ihrer Bewegungsfreiheit gehemmte Kolonialverwaltung den Versuch, die wirtschaftliche Entwicklung in die Hände einer Reihe mit weitgehendsten Rechten ausgestatteter Privatgesellschaften zu legen. Dieser Entschluß war von um so größerer Tragweite, als nunmehr zu den schon vorhandenen, ihre Rechte aus alten Verträgen herleitenden, über sehr ausgedehnte Areale verfügenden Gesellschaften, wie der Neuguinea-Kompagnie, der Deutsch-Ostafrikanischen-Gesellschaft und der Kolonialgesellschaft für Südwestafrika, neue monopolartige große Land- und Bergwerksgesellschaften hinzutraten. Auch wenn man die damalige schwierige Lage der Kolonialverwaltung durchaus würdigt, so mußte doch Art und Umfang der erteilten Konzessionen und die unzureichende Abwägung von Rechten und Leistungen große Bedenken erregen. Dem Kolonialrat ist der Vorwurf nicht erspart geblieben, infolge zu starker Interessentenvertretung die Kolonialverwaltung in dieser wichtigen Frage nicht gut beraten zu haben. Daß bei der Vergebung der Konzessionen tatsächlich schwere Fehler gemacht worden sind, geht am deutlichsten daraus hervor, daß man sich später veranlaßt sah, dieselben erheblich einzuschränken oder ganz zurückzunehmen, in einzelnen Fällen auch Gesellschaften erteilte Rechte durch weitere unverhältnismäßig große und [421] wertvolle Verleihungen zurückzuerwerben. Mußte doch z. B. das der englischen South Westafrica Company verliehene Recht des Baues einer Bahn von der Küste nach der Hauptstadt des Landes durch eine das ganze Ovamboland umfassende Minenkonzession zurückgekauft werden. Bedauerlicherweise wurden bei der Verleihung dieser Rechte die Gouverneure zumeist nicht gefragt, ja, es wurden sogar Konzessionen gegen ihren ausdrücklichen Wunsch erteilt. Wurde dadurch in Kamerun für weite Gebiete jahrelang die freie Konkurrenz in Handel und Plantagenwirtschaft zum Nachteil der Entwicklung des Schutzgebietes unterbunden, so wurde in Südwestafrika die Besiedelung fast lahmgelegt. Es ist für dieses Land geradezu zum Verhängnis geworden, daß man sich, während Gouverneur Leutwein und seine Mitarbeiter erklärten, die Besiedelung selbst in die Hand nehmen zu wollen und zu können, in Berlin nicht getraute, die Verantwortung für eine Regierungssiedelungspolitik mitzuübernehmen, und sie deshalb lieber Gesellschaften übergab, deren Kapital in gar keinem Verhältnis stand zu der Größe des Areals und zu den bedeutenden Kosten, welche mit einer systematischen Herrichtung desselben zur Aufnahme von Siedlern und einer den Landesverhältnissen gerecht werdenden Wassererschließung verbunden waren. Die Folge war ein nahezu völliges Versagen des Siedelungswerkes. Nicht nur in Kamerun und in Südwestafrika hat dieses Gesellschaftssystem keine Erfolge gezeitigt, sondern auch in Deutsch-Ostafrika und Neuguinea. Die damaligen Direktoren der Gesellschaft in der Heimat waren vorwiegend Kaufleute, strebten in erster Linie die Ausbeutung der vorhandenen Werte an und wandten der Schaffung neuer, aus Eigenerzeugung hervorgegangener Produkte keine oder geringe Aufmerksamkeit zu. Wo letzteres versucht wurde, scheiterte es im Anfang nur zu häufig an der Unkenntnis der technischen Grundlagen für den tropischen Plantagenbetrieb, an untauglichem Personal und an Mangel an Überblick über die landwirtschaftlichen Leistungen der Angestellten in den Schutzgebieten. Infolgedessen kamen Rückschläge auf Rückschläge, und die Rentabilität war, wo die Pflanzungen überhaupt Reinerträge abwarfen, eine zu dem Risiko unverhältnismäßig geringe. So wurde denn auch nicht einmal erreicht, daß die großen Gesellschaften durch ihr Beispiel oder durch Musterbetriebe kleinere Unternehmer förderten.

Geringe Rentabilität der Plantagenbetriebe. Versuchsgärten.

Angebaut wurde in dieser Periode auf den Pflanzungen Deutsch-Ostafrikas, die fast durchweg in Usambara lagen, vor allem Kaffee. Leider brachte die Kaffeekultur nach einigen Jahren große Verluste, weil der Boden vielfach für sie nicht geeignet war, so daß dieselbe, zumal noch andere ungünstige Faktoren hinzutraten, erheblich eingeschränkt oder ganz aufgegeben werden mußte. Noch schlimmer erging es den Tabakpflanzungsversuchen, besser dagegen den Kokospflanzungen, welche in Küstennähe neu angelegt oder als ältere, bereits tragende von Eingeborenen angekauft wurden. Hinderlich für die europäischen Pflanzer war der Mangel größerer staatlicher Versuchsstationen. Zu fortgesetzten und systematischen Versuchen, die die Grundbedingung für eine erfolgreiche tropische Landwirtschaft sind, fehlte es aber den Pflanzern an Mitteln und geschultem Personal. Hat es auch vorher an einzelnen Versuchen nicht gefehlt – es sei [422] hier nur der später so bedeutungsvoll gewordenen von Stuhlmann mit Manihot-Kautschuk im Donde-Lande Ende der neunziger Jahre unternommenen gedacht –, so wurde diesem Übelstande doch erst gründlicher durch das unter dem Grafen Götzen geschaffene und eröffnete, allerdings schon mehrere Jahre früher vom Gouverneur Liebert geplante Biologisch-Landwirtschaftliche Institut zu Amani abgeholfen, durch das den damals schwer um ihre Existenz kämpfenden Kaffeepflanzern eine Förderung zuteil und gleichzeitig rentable Ersatz- und Ergänzungskulturen ausfindig gemacht werden sollten. Unter den Eingeborenenprodukten, welche die Hauptausfuhrartikel für eingeführte europäische Waren darstellten, spielten Elfenbein, Handelskautschut und Sesam die größte Rolle. Günstiger, als in Ostafrika lagen die Verhältnisse in Kamerun. Hier wurde vor allem die Kakaokultur gepflegt, die namentlich im Bezirk Viktoria auf dem vulkanischen Boden gute Erträge lieferte, wobei den weißen Pflanzern sehr zustatten kam, daß hier schon 10 Jahre früher, als in Ostafrika auf Veranlassung des damaligen Gouverneurs Freiherrn v. Soden ein Botanischer Garten eingerichtet worden war, der sich unter einem wissenschaftlich und praktisch gleich tüchtigen Leiter aus kleinen Anfängen zu der späteren Versuchsanstalt für Landeskultur entwickelte. In Neuguinea wurde dagegen mit dem Hauptanbauprodukt, dem Tabak, kein irgendwie nennenswerter Erfolg erzielt, während die dort, im Bismarckarchipel und auf den Marschallsinseln, heimische, aber erst nach etwa 7 Jahren in Ertrag kommende Kokospalme gut gedieh. In Südwestafrika ging die Besiedelung durch Weiße aus den schon oben gekennzeichneten Gründen sehr langsam vonstatten; es kam dazu, daß die Sicherheit fortgesetzt durch Eingeborenenunruhen gefährdet und gestört wurde. Aus diesem Grunde hatte Major v. François Anfang der neunziger Jahre im Einvernehmen mit der Siedelungsgesellschaft unter dem direkten Schutz der Garnison des Hauptortes das Klein-Windhuker-Tal mit deutschen Familien besiedelt. Die dortigen, nur wenige Hektar umfassenden sog. Klein-Siedelungen haben sich durch den Fleiß und die Energie ihrer Besitzer nach manchen schweren Jahren mit der Zeit zu blühenden Anwesen entwickelt. Die Entwicklung der Eingeborenen-Kulturen in den tropischen Kolonien, der von seiten der Behörde damals nur geringe Förderung zuteil wurde, war wesentlich von den politischen Verhältnissen bedingt. Am günstigsten lagen in dieser Beziehung die Verhältnisse in Togo, wo dank der friedlichen und arbeitsamen Eingeborenenbevölkerung kriegerische Erschütterungen vermieden wurden, und daher, wie die allgemeine, so auch die wirtschaftliche Entwickelung einen steigenden und befriedigenden Verlauf nahm.

Handel.

Durch den Gang der wirtschaftlichen Entwickelung wurde auch der Ein- und Ausfuhrhandel naturgemäß ungünstig beeinflußt. Ende der neunziger Jahre, nach 15jährigem Bestehen unserer Herrschaft, hatte der Gesamthandel unserer Schutzgebiete noch nicht einen Wert von 60 Millionen M. erreicht, wovon die Ausfuhr wiederum noch nicht ein Drittel betrug. An letzterer waren Sisal mit 1, Kautschuk und Ölfrüchte mit je 7, Baumwolle mit wenig über ½ Mill. M. beteiligt, während die Kakaoausfuhr einen Wert von 1¼ Million, die des Kaffees von noch nicht ganz ½ Million ausmachte.

[423]

Finanzen.

Dementsprechend war auch die Finanzlage der Schutzgebiete, die durch Verabschiedung des Schutzgebiets-Etats-Gesetzes vom Jahre 1892, nach welchem alle Einnahmen und Ausgaben für jedes Jahr veranschlagt und auf den durch Gesetz festzustellenden Etat der Schutzgebiete zu bringen sind, selbständige Rechtssubjekte geworden waren, in dieser Epoche nichts weniger als günstig. Nicht nur daß die Kosten der Militärverwaltung ganz vom Reiche getragen werden mußten, auch die Zivilverwaltung erforderte in den 2 großen Kolonien erhebliche Zuschüsse; in Südwestafrika fiel sie sogar fast ganz dem Reiche zur Last, und nur die Kolonie Togo kam mit einem geringen Reichszuschuß aus. Abgesehen von den nicht sehr ins Gewicht fallenden allgemeinen Verwaltungsabgaben bestanden die Einnahmen der zolltechnisch als Ausland geltenden Schutzgebiete aus Eingangszöllen, neben denen in einzelnen Kolonien Produkte des Eingeborenen-Handels mit Ausfuhrzöllen belegt waren, während von den Plantagenprodukten keine Zölle erhoben wurden.

Kapitalbeteiligung.

Durch das heimische Kapital wurde die Entwicklung der Kolonien in jener Zeit nicht wesentlich gefördert. Ursprünglich nicht abgeneigt, sich daselbst zu betätigen, wurde es durch mancherlei Enttäuschungen materieller und ideeller Natur immer zurückhaltender, so daß in den neunziger Jahren selbst zu den ungemein weitgehenden Land- und Bergwerksgesellschaften in Kamerun und Südwestafrika ausländisches Kapital herangezogen werden mußte, da einheimisches nicht in genügender Weise zu haben war, das man lieber in zweifelhaften exotischen Papieren, als in unseren Kolonien anlegte.

Verkehrsmittel.

Dasselbe für den Bau von Eisenbahnen flüssig zu machen, mißlang vollends. Das Großkapital hatte nicht genügend Vertrauen zu der Entwickelung der Schutzgebiete, der Reichstag nicht hinreichend Verständnis für die Bedeutung der Erschließung derselben durch Schienenwege. Auch die Regierung betrieb diese Lebensfrage aller Neuländer nicht energisch genug. So kroch unsere erste und damals einzige Kolonialbahn im Norden Ostafrikas langsam von der Küste 40 km vorwärts, während die Engländer uns schnell überflügelten, indem sie mit bewundernswerter Tatkraft von dem unmittelbar nördlich von Tanga liegenden Hafen Mombassa in kurzer Zeit einen weit später begonnenen Schienenweg nach dem Viktoriasee legten und auf ihn die ganzen deutschen Produkte der Randländer des Seen- sowie des Kilimandjaro- und Merugebietes leiteten, ein vom deutschnationalen Standpunkte aus höchst bedauerlicher Zustand. Inzwischen suchte man dem dringendsten Bedürfnisse des Verkehrs durch Neuanlage und Ausbau von Wegen, für die im Laufe der Jahre größere Mittel und viel Arbeit aufgewendet worden sind, so gut wie möglich Rechnung zu tragen.

Günstiger, als innerhalb der Kolonien gestaltete sich die Verkehrsfrage zwischen Heimat und Schutzgebieten, indem die die Verbindung mit den westafrikanischen Kolonien aufrechterhaltende Woermannlinie mehr ausgebaut, für die Ostküste unter Führung der Gebrüder Woermann eine vom Reiche subventionierte neue Linie errichtet, und auch mit Südwestafrika eine Schiffsverbindung durch Dampfer dieser Hamburger Reederei ins Leben gerufen wurde.

[424]

Unbefriedigende Gesamtentwickelung.

Wenn auch in den Schutzgebieten im einzelnen treu und tüchtig gearbeitet wurde, so war die Gesamtentwickelung in dieser Periode doch schleppend und unbefriedigend. Dies Gefühl machte sich draußen in Klagen über die Verwaltung, die man hier des Assessorismus, dort des Militarismus beschuldigte, Luft. Vor allem wurde beanstandet, daß die Beamten zu häufig wechselten und nicht genügend Interesse und Verständnis den wirtschaftlichen Fragen entgegenbrächten. Schlimmer als dies war aber wohl, daß das richtige Zusammenarbeiten zwischen der Zentrale in Berlin und den Schutzgebieten fehlte. Vom Chef der Kolonialverwaltung abwärts kannte fast niemand unsere überseeischen Besitzungen aus eigener Anschauung, geschweige denn, daß jemand in denselben selbst tätig gewesen war. Trotzdem war die Neigung, von Berlin aus zu regieren, groß. So kam es denn, daß oft in Berlin und im Schutzgebiet entgegengesetzte Anschauungen vertreten wurden. Da man nicht das Bestreben hatte, frisches Blut und praktische Kolonialerfahrung nach Berlin zu ziehen, so bildeten sich gewissermaßen zwei Kategorien von Beamten: heimische, welche die Kolonien nicht kannten, und draußen tätige, denen wiederum die Schwierigkeiten unbekannt waren, mit denen die heimische Behörde in und außer dem Parlament zu kämpfen hatte. Diese Verhältnisse erschwerten naturgemäß bei den wenigen, welche sich überhaupt noch für die Kolonien interessierten, die Einholung zuverlässiger Informationen über die wirtschaftlichen, namentlich die landwirtschaftlichen, Verhältnisse. Dies mußte die Entwickelung um so ungünstiger beeinflussen, als die Neigung zur Beteiligung an Unternehmungen, die auf eine Vermehrung der Produktion hinzielten, an sich schon sehr gering war.

Pessimismus. Verdienste der deutschen Kolonialgesellschaft.

In dieser Zeit der Interesselosigkeit und des Pessimismus hat sich unzweifelhaft die deutsche Kolonialgesellschaft und ihr Präsident Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg-Schwerin, der dem bewährten ersten Präsidenten Fürsten Hohenlohe-Langenburg gefolgt war, das große Verdienst erworben, das schlummernde Interesse immer wieder neu zu beleben und den kolonialen Weckruf erschallen zu lassen. Gar mancher aus den Kolonien heimkehrende Farmer und Pflanzer, aber auch mancher Offizier und Beamter, der durch den Gang unserer Kolonialpolitik schwer niedergedrückt war, wurde durch das Verständnis und Interesse, das er dort fand, wieder aufgerichtet und mit neuer Arbeitslust beseelt. Besonders stark ausgeprägt war in den Kreisen der Kolonialgesellschaft neben der Abneigung gegen die großen Konzessionen der Wunsch, die wirtschaftliche Erschließung mit allen Kräften zu fördern.

Gründung des Kolonialwirtschaftlichen Komitees.

So fand ein Industrieller, der Fabrikbesitzer Karl Supf, einen wohlvorbereiteten Boden, als er im Jahre 1896 die Anregung zur Gründung eines Kolonialwirtschaftlichen Komitees in Berlin gab, die alsbald mit dem ausgesprochenen Zweck vollzogen wurde, die wirtschaftliche Erschließung unserer Kolonien auf wissenschaftlicher Grundlage zu betreiben und so die heimische Volkswirtschaft durch die Kolonialwirtschaft [425] zu ergänzen. Der Rührigkeit des Komitees, das sich selbst als wirtschaftlichen Ausschuß der deutschen Kolonialgesellschaft bezeichnete, gelang es, im Laufe der Zeit eine große Anzahl Mitglieder – besonders auch aus kommerziellen und industriellen Kreisen – zu werben und durch seine wissenschaftlich-wirtschaftlichen Unternehmungen die deutsche Kolonialwirtschaft zu befruchten und neu zu beleben in einer Zeit, wo sie von den maßgebenden Faktoren im Reiche geringe Förderung erfuhr.

II. Wirtschaftliche Erschließung der Schutzgebiete.

Kolonialpolitisch wichtige Neuerwerbungen.

Die von dem Komitee und den schon erwähnten Landesversuchsanstalten in Ostafrika und Kamerun unternommenen wissenschaftlichen und praktischen Arbeiten können als Merksteine für den Beginn einer neuen Periode unserer Kolonialwirtschaft gelten, die man vielleicht am treffendsten als die der wirtschaftlichen Erschließung unserer Schutzgebiete bezeichnen kann.

Fußfassen in Ostasien.

Ihr kam es sehr zustatten, daß der Beginn zeitlich zusammenfiel mit einer Reihe wichtiger politischer Ereignisse, die die Kolonialpolitik stark in Mitleidenschaft zogen und so günstig beeinflußten, daß die kolonialgesinnten Kreise neue Hoffnung auf eine ersprießliche Wendung der Dinge schöpften. Den Auftakt gaben die von den Staatssekretären des Auswärtigen und der Marine um die Wende der Jahre 1897/98 im Reichstage ebenso nachdrücklich wie glücklich vertretenen Vorlagen über die Verstärkung der deutschen Kriegsflotte und über das deutsch-chinesische Abkommen betreffend das Pachtgebiet Kiautschou mit dem großen und wichtigen Hinterlande der Provinz Schantung. Wenn zu dieser Besitzergreifung auch die eine strenge Sühne erfordernde Ermordung unserer deutschen katholischen Missionare die unmittelbare Veranlassung gab, so war dieselbe doch keine Improvisation, sondern, wie Herr von Bülow überzeugend dar legte: „das Ergebnis reiflicher Erwägung und Abwägung aller Verhältnisse und der Ausdruck einer zielbewußten Politik“, da wir aus wirtschaftlichen, maritimen, sowie allgemein- und handelspolitischen Rücksichten einen territorialen Stützpunkt in Ostasien brauchten, wie ihn andere europäische Mächte, namentlich England, Rußland und Frankreich, dort bereits besaßen. Die Verstärkung unserer Marine und Schaffung einer festen Basis für sie im Osten war aber auch für unsere Kolonialpolitik, namentlich in der Südsee, von größter Bedeutung. Sie erleichterte wesentlich den Entschluß weiterer Festsetzung in der Südsee. Ja man darf sagen, daß diese ohne den Flottenstützpunkt in Kiautschou nicht ohne erhebliche Bedenken gewesen wäre; denn es läßt sich nicht leugnen, daß bis dahin unsere dortigen Besitzungen mehr oder weniger in der Luft schwebten. Das durch Kaiserliche Verfügung vom April 1898 zum Schutzgebiet erklärte Kiautschou-Gebiet wurde zweckentsprechend dem Reichsmarineamt unterstellt, unter dessen Leitung [426] es alsbald erfreuliche Fortschritte machte, wobei ihm entgegen unseren afrikanischen Besitzungen sehr zustatten kam, daß es von vornherein reichlich mit Geldmitteln versehen wurde.

Erwerb der Karolinen und Samoas.

Bei dem Erwerb der Karolinen und Samoas im Jahre 1899/1900 sprachen neben kolonialen und maritimen Gesichtspunkten Momente mit, die in dem deutschen Volksempfinden und in dem deutschen Selbstgefühl wurzelten. Hatte doch 15 Jahre zuvor das Kanonenboot Iltis die deutsche Flagge auf den Karolinen gehißt gehabt. In Samoa vollends war deutsches Blut geflossen und auf der Reede von Apia hatte mancher brave Seemann sein Leben gelassen. So kann es nicht Wunder nehmen, daß beide Abkommen mit großer Befriedigung aufgenommen wurden, das über Samoa um so begeisterter, als dadurch ein 10 Jahre früher vom Reichstage verschuldetes Versäumnis wenigstens teilweise wieder ausgeglichen wurde. Aber neben diesen idealen sprachen auch reale Beweggründe mit. Der wirtschaftliche Wert der Inseln Upolu und Sawaii, auf denen der deutsche Handel schon damals überwog und wo deutsches Geld in Handelsunternehmungen und Pflanzungen angelegt war, wurde recht hoch eingeschätzt. Auch auf den Karolinen befanden sich seit langem deutsche Handelsniederlassungen, namentlich bestanden auf einer Reihe von Inseln Faktoreien der Jaluitgesellschaft. Noch mehr ins Gewicht fiel aber der Gesichtspunkt, daß die geographische Lage der Inseln zu unseren Besitzungen in der Südsee es in hohem Grade unerwünscht erscheinen lassen mußte, daß sie in den Besitz einer anderen Macht übergingen. Durch sie wurde unser früherer Südseebesitz so vervollständigt, daß er jetzt gewissermaßen ein zusammenhängendes Ganze bildet. Nimmt man noch hinzu, daß sich in dem Inselgebiet einerseits einzelne gute Ankerplätze, andererseits sehr wertvolle, inzwischen im Abbau begriffene Phosphatlager finden, so wird man sich mit dem im Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Inseln häufig als sehr hoch bezeichneten Kaufpreise von 16 Mill. M. sehr wohl abfinden können.

Gouvernementsräte. Anläufe zur Selbstverwaltung.

Ohne Frage bedeuten die Neuerwerbungen in Ostasien und in der Südsee zu deren Vorbereitung und Durchführung von vornherein und in allen Stadien die mitbeteiligten Stellen, das Reichsmarineamt und die Kolonialabteilung, ausgiebig herangezogen worden waren, sodaß gegenseitiges, vollständiges Einvernehmen erzielt worden war, einen sehr bedeutenden Machtzuwachs des deutschen Reiches, dessen Stellung in der Südsee noch dadurch weiter gehoben wurde, daß es etwa zur selben Zeit von der Neuguinea-Kompagnie die ihr seinerzeit übertragene Landeshoheit zurücknahm, um sie in Zukunft selbst auszuüben. Alle diese wichtigen Ereignisse bewirkten, daß, wenn auch nur vorübergehend, ein frischerer Zug in unsere koloniale Bewegung kam, und Interesse und Verständnis für unseren überseeischen Besitz in der Heimat zunahmen.

Auch die Verwaltung der Schutzgebiete wurde dadurch günstig beeinflußt. Durch Heranziehung weißer Einwohner zu verschiedenen Verwaltungsmaßnahmen und zur [427] Beratung der Beamten strebte die Regierung sie mehr den Landesverhältnissen anzupassen. Zur Regelung dieser wichtigen Materien erging im Jahre 1899 eine Kaiserliche Verordnung, die den Reichskanzler ermächtigte, Wohnplätze zu kommunalen Verbänden zu vereinigen, und Ende 1903 eine Reichskanzlerverfügung, nach der bei jedem Gouvernement ein Gouvernementsrat mit beratender Stimme aus Beamten und Einwohnern zu bilden war.

In Ostafrika wurde unverzüglich eine sich über den größten Teil des Landes erstreckende Kommunalverwaltung eingeführt. An der Spitze der Verwaltung der Kommunalverbände, denen der größte Teil der lokalen Verwaltung, wie Wegebau, Hebung der Wirtschaftsverhältnisse des Bezirks, Wasserversorgung, Armen- und Krankenpflege für Eingeborene pp., übertragen wurde, stand der jeweilige Bezirksamtmann nebst 3–5 vom Gouverneur ernannten Bezirkseingesessenen. Nach und nach wurden in sämtlichen Kolonien Gouvernementsräte ins Leben gerufen; in verschiedenen wurden in analoger Weise Bezirksräte zur Beratung der Bezirksverwalter eingerichtet. Nur in Südwestafrika erlitt die Einberufung des Gouvernementsrats infolge der Unruhen einen Aufschub. In Duala und Kribi schlossen sich außerdem die Kaufleute zu Handelskammern zusammen. Es wurden aber auch die Eingeborenen zur Mitwirkung herangezogen, vor allem als Mitglieder von Steuerkommissionen; denn es waren inzwischen mit gutem Erfolge in beiden Kolonien Hütten- und Gewerbesteuern eingeführt worden, die den doppelten Zweck der Hebung der Finanzen und der Vermehrung der Eingeborenen-Produktion verfolgten.

Neben der eigentlichen Missionierung lag, wie in der vorhergehenden, so auch in dieser Entwickelungsperiode die Unterweisung der Eingeborenen hauptsächlich in den Händen der Missionsgesellschaften beider Konfessionen. Indessen waren inzwischen in den drei tropischen Schutzgebieten und in Samoa neben den Missionsschulen Regierungsschulen errichtet worden, mit denen, ebenso wie bei jenen, zum Teil Handwerkerschulen verbunden waren. Nur in Neuguinea und Südwestafrika überließ man den Unterricht ganz den Missionen.

Zunehmendes Interesse für die wirtschaftliche Entwickelung.

Auf wirtschaftlichem Gebiet setzte das kolonialwirtschaftliche Komitee seine gegen Ende der vorigen Periode begonnene Wirksamkeit tatkräftig fort, indem es in Wort und Schrift die Schaffung volkswirtschaftlich wichtiger Produkte und Rohstoffe in den Vordergrund stellte und auf die immer größer werdende Gefahr der Abhängigkeit unseres Baumwollhandels und unserer Textilindustrie von Amerika hinwies. Es betätigte sich aber auch praktisch in den Kolonien, indem es in Ostafrika Baumwollkulturversuche an verschiedenen küstennahen Plätzen mit ägyptischer Baumwolle machte und Weiße und Eingeborene zum Baumwollbau anregte, während es in Togo die dort heimische Eingeborenenkultur durch Belehrung und Anleitung zu heben suchte. Es richtete zu diesem Zweck eine Baumwollinspektion ein, deren Mitglieder während der Pflanz- und Erntezeit die Kolonie bereisten und die Eingeborenen belehrten. Auch auf anderen Gebieten [428] wirkte es durch gute Ideen anregend und fördernd, so z. B. durch die versuchsweise Einführung und Inbetriebsetzung neu erfundener deutscher Ölfruchtbereitungsmaschinen und die Beteiligung an den Versuchen zur Herstellung tropenlandwirtschaftlicher Maschinen für Sisalentfaserung und Baumwollentkernung. Von ihm wurde auch der erste Dampfpflug in den Kolonien in Betrieb gesetzt. Die Gerechtigkeit gebietet aber, nicht zu verschweigen, daß dem Komitee wahrscheinlich alle auf dem Gebiete des Baumwollbaues und sonst errungenen Erfolge in Deutsch-Ostafrika und Togo versagt geblieben wären ohne die liebevolle und eifrige, praktische Mitarbeit der lokalen Verwaltungsbehörden. Ohne die Bezirksamtmänner hätten sich die vom Komitee entsandten Spezialisten, die meist weder die Landesverhältnisse noch die Eingeborenen und ihre Eigenart kannten, nur sehr schwer orientieren können, ganz zu schweigen von der Erzielung irgendeines Einflusses auf die Eingeborenen.

Die ostafrikanischen Pflanzer gingen immer mehr vom Kaffeebau zu Sisal- und Kautschukkulturen über, von denen man sich eine wesentlich höhere Rentabilität versprach und, sobald die Pflanzungen in das Alter des Ertrages kamen, auch erzielte. In Kamerun hatte der Kakaobau seine absolut dominierende Stelle in der Plantagenwirtschaft behauptet; doch hatte man gegen Ende dieser Periode mit Krankheiten und Schädlingen zu kämpfen, welche die Ernten schwer schädigten. Daneben begann man auch hier mit der Kautschukkultur, allerdings leider mit Kickxia, anstatt mit der hochwertigen Hevea. Angesichts der großen Aufnahmefähigkeit des deutschen Marktes an Ölprodukten fing man auch an, den Ölfrüchten größere Aufmerksamkeit zuzuwenden. In Togo war die Plantagenkultur nach wie vor geringfügig. Immerhin wurden, namentlich von der Togogesellschaft, Versuche mit Kakao, Ceara-Kautschuk, Kola und Baumwolle gemacht, während die vorhandenen Kokospflanzungen heranwuchsen und neue angelegt wurden. Bei den Eingeborenen-Kulturen spielte neben Baumwolle der Anbau von Nahrungsmitteln, vor allem Mais, eine Rolle. In Südwestafrika hatte die Besiedelung und damit die weiße Bevölkerung zwar stetig, aber sehr langsam zugenommen; indessen vermochte das wirtschaftliche Leben auch in dieser Periode keinen irgendwie nennenswerten Aufschwung zu nehmen. Weiße und Eingeborene erholten sich zudem nur sehr allmählich von den enormen Viehverlusten durch die Rinderpest, die immerhin das Gute gehabt hatte, daß sie dem Schutzgebiet eine, wenn auch nur schmalspurige Bahn von der Reede Swakopmund über den Wüstengürtel hinweg brachte, die langsam bis zum Hauptort des Landes, Windhuk, auf 380 km verlängert wurde.

Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft.

Von großer Bedeutung war ferner, daß sich unter Führung des Großfinanziers von Hansemann zur Ausbeutung der vielversprechenden Kupfervorkommen im Norden des Schutzgebietes bei Tsumeb und Otavi im Gebiete der englischen South-West-Africa Compagny die deutsche Otavi-Berg- und Eisenbahn-Gesellschaft mit dem Sitz in Berlin und einem Kapital von 20 Mill. M. bildete, das zur Hälfte in Deutschland aufgebracht wurde, deren Vorstand ganz und deren Aufsichtsrat bis auf ein Mitglied deutsch waren. Da der Abbau der Kupfererze nur möglich war, wenn die Kupferfundstellen durch einen Schienenstrang mit der Küste verbunden wurden, so versprach die Gründung dieser Gesellschaft für den [429] nördlichen Teil des Schutzgebietes politisch und wirtschaftlich von großem Vorteil zu werden, und ist es auch tatsächlich geworden.

Aufstände in Südwest- und Ost-Afrika.

Leider brach in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts in Südwestafrika ein überaus heftiger Aufstand aus, der immer weiter um sich griff, so daß schließlich fast sämtliche eingeborenen Stämme in ihn hineingezogen wurden. Bevor derselbe niedergeworfen war, loderte ein gleichfalls sehr gefährlicher Brand im südlichen Teile von Ostafrika auf, dessen Übergreifen auf die mittleren Bezirke des Schutzgebietes noch eben glücklich verhindert werden konnte. In beiden Fällen wurden Regierung sowohl wie Missionen von dem Ausbruch der Aufstände nahezu völlig überrascht. Ausdehnung und Hartnäckigkeit dieser Erhebungen waren nur dadurch möglich geworden, daß man versäumt hatte, rechtzeitig für eine genügend starke Schutztruppe zu sorgen und Eisenbahnen zu bauen. Sicherlich hätte in Südwestafrika eine rechtzeitige Verstärkung der Schutztruppe um 3 bis höchstens 4 Kompagnien oder die Existenz einer Bahn von Lüderitzbucht nach Keetmanshop genügt, um den Bondelswart-Aufstand, wenn er überhaupt ausgebrochen wäre, im Keime zu ersticken. Dann aber wären Hereros und Witboois nicht zu dem erst durch die Entblößung ihrer Gebiete von Truppen gereiften Entschlusse gekommen, die deutsche Herrschaft abzuschütteln. In Südwestafrika kamen als sekundäre Erscheinungen vereinzelte Übergriffe von Weißen und der ungünstige Einfluß hinzu, den zur Ausstellung nach Berlin entsandte und dort verwöhnte und verdorbene Häuptlingssöhne nach ihrer Rückkehr ausübten, indem sie nachweislich am stärksten zum Aufstande trieben. Beide Erhebungen haben von neuem die Richtigkeit der Ansicht bestätigt, daß Eingeborene zwar human und gerecht behandelt werden sollen, daß sie aber auf der Kulturstufe, auf der sie damals in unseren Schutzgebieten standen und noch heute stehen, der väterlichen Zucht und Strenge nicht entraten können und stets wissen müssen, daß die Macht der Regierung zu stark ist, als daß sie Unbotmäßigkeiten ungestraft begehen können.

Sammlung der Eingeborenen.

Die nach Niederwerfung der Aufstände in die von ihnen heimgesuchten Kolonien entsandten neuen Gouverneure betrachteten es als ihre vornehmste Aufgabe, das Vertrauen der Eingeborenen der aufständischen Gebiete wiederzugewinnen und die flüchtig Herumschweifenden zu sammeln. In Südwestafrika geschah dies durch Einrichtung von staatlichen Sammellagern unter Leitung von Missionaren der seit vielen Jahrzehnten unter ihnen tätigen Rheinischen Mission, die das schwierige Werk mit Eifer, Geschick und gutem Erfolge ausführten. In Ostafrika gelang es, durch jahrelange, vorsichtige Arbeit die in das portugiesische Gebiet Geflüchteten allmählich wieder in das Schutzgebiet zu ziehen.

Entschädigung der Farmer.

In Südwestafrika galt es aber nicht minder, der infolge des Aufstandes in verschiedenen Teilen des Schutzgebietes vernichteten Farmwirtschaft der Weißen wieder aufzuhelfen. [430] Die weitverbreitete Meinung, daß Südwestafrika keinen Wert für das Mutterland habe, wurde auf Grund der Feststellungen der zur Abschätzung der erlittenen Schäden vom Reichskanzler eingesetzten Kommission widerlegt. Denn die Höhe des Schadens betrug über 13 Mill. M., eine beträchtliche Summe, wenn man bedenkt, daß die Ortschaften verhältnismäßig wenig betroffen waren, und sich vergegenwärtigt, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen die Farmerschaft, die diese Werte erzeugte, zu kämpfen gehabt hatte. Es war nur folgerichtig, daß das Gouvernement als erstes Erfordernis für die Gesundung des Landes die Erhaltung der alten Farmer bezeichnete, die sich zum großen Teil aus den Reihen alter Schutztruppler rekrutierten und es durch harte Arbeit in 10–15 Jahren zu einer gewissen Wohlhabenheit gebracht hatten, und daß es alles daran setzte, um eine möglichst vollständige Entschädigung zu erreichen. Durch Bewilligung derselben, welche schließlich die Höhe von 10 Mill. M. erreichte, gelang es, den alten Farmerstamm als Rückgrat für die nunmehr auf breiterer Grundlage ins Werk zu setzende Besiedelung zu erhalten.

Systematische Besiedelung Südwestafrikas.

Schon zu Beginn des Jahres 1906 wurde ein förmlicher und großzügiger Besiedelungsplan aufgestellt, was um so notwendiger war, als nach Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung Landbewerbungen in größerer Zahl einliefen. Er umfaßte die Reorganisation des Vermessungsdienstes unter gleichzeitiger erheblicher Vermehrung des Vermessungspersonals, Errichtung von Bohrkolonnen im Norden und Süden zur systematischen Wassererschließung nach Angaben von Sachverständigen, Beschaffung von Zuchtvieh, namentlich Muttervieh zwecks schnellerer Wiederbestockung der Farmen und die Neuanlage und Vergrößerung von gärtnerischen, forstlichen und landwirtschaftlichen Versuchsstationen. Sowohl für die Wassererschließung wie für die Viehbeschaffung wurden dem Gouvernement dankenswerterweise Mittel von der Wohlfahrtslotterie zur Verfügung gestellt, aus denen u. a. die Transportkosten des Mutterviehs bestritten wurden. Dem Gouvernement gelang es auch, ältere, bewährte Farmer zu bewegen, junge Leute, die sich im Lande ansiedeln wollten, zunächst als Eleven oder Volontäre bei sich aufzunehmen und so in die praktische afrikanische Farmwirtschaft einzuführen. In Frage kam und kommt noch heute, abgesehen von einzelnen wenigen, besonders guten und günstig gelegenen Arealen, die nebst ausgedehnteren Weidegebieten für eine dichtere Besiedelung vorbehalten wurden, nur der Betrieb von Großfarmen, deren Größe je nach der Lage variiert und entsprechend den Regen- und Gras-Verhältnissen von Norden nach Süden zunimmt.

Durch Einberufung des ersten Gouvernementsrats auf Grund eines fast einer Wahl gleichkommenden Vorschlagsrechts der Bezirkseingesessenen wurde die Bevölkerung nun auch in diesem Schutzgebiet zur Selbstverwaltung mit beratender Stimme herangezogen. Die Verabschiedung einer Reihe grundlegender Verordnungen gaben Zeugnis von der Fruchtbarkeit der ersten gemeinsamen Arbeit größeren Stils seitens Bevölkerung und Gouvernement.

Während sich so in dem beruhigten nördlichen und mittleren Teile des südwestafrikanischen [431] Schutzgebietes neues Leben regte, dauerte im Süden der Kampf unserer mit unvergeßlicher Tapferkeit und Ausdauer gegen einen meist unsichtbaren Feind fechtenden Schutztruppe fort. So betrübend dieser ganze Aufstand mit seinen bedeutenden Opfern an weißen und eingeborenen Leben ist: er hatte immerhin das Gute, daß er das deutsche Volk in seiner kolonialen Gleichgültigkeit gewaltig aufrüttelte. Durch die Tausende von Soldaten, die aus den verschiedenen Schichten der Bevölkerung übers Meer zogen, wurde ganz von selbst das koloniale Interesse neu geweckt und in Kreise getragen, denen es bisher ferngelegen hatte. Trotz alledem wollte im allgemeinen der Pessimismus und die geradezu sprichwörtlich gewordene Kolonialmüdigkeit nicht weichen, und das Kapital hielt sich mehr als je von kolonialen Unternehmungen fern.

III. Kolonial-politischer und wirtschaftlicher Aufschwung.

Dernburg Kolonialdirektor.

Einen solchen Boden fand der Direktor der Darmstädter Bank, Bernhard Dernburg, vor, als er auf Vorschlag des Fürsten Bülow an die Spitze der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes berufen wurde und sich mit großer Energie in die ihm neue Verwaltung einarbeitete, die er praktischer zu gestalten und mit mehr kaufmännischem Geist zu durchdringen strebte. Bei seinem Amtsantritt standen im Reichstage die kolonialen Angelegenheiten im Vordergrunde der Beratungen, einmal wegen Beschwerden über Beamte und Offiziere, die nach der Ansicht einer größeren Anzahl Abgeordneter nicht schnell und gründlich genug untersucht und entschieden worden waren; sodann wegen der bedeutenden Mittel, die noch immer für die Schutztruppe in Südwestafrika an- und nachgefordert werden mußten und welche durch ihre erst jetzt im ganzen Umfange erkennbare Höhe die Reichsboten beunruhigten. Bei der Verhandlung über älteren tüchtigen Kolonialbeamten in Togo zur Last gelegte Verfehlungen gegenüber Eingeborenen kam es zu einem scharfen Zusammenstoß zwischen dem Kolonialdirektor und dem Mitgliede einer großen Partei. Als diese dann bald darauf, gefolgt von der Sozialdemokratie, die für die Truppe verlangten Kredite verweigerte, indem sie die Truppenzahl erheblich herabgesetzt zu sehen wünschte, während außer den konservativen Parteien und den Nationalliberalen, die von jeher die Notwendigkeit eines starken militärischen Schutzes anerkannt hatten und für denselben eingetreten waren, jetzt auch die Linksliberalen für die Regierungsforderung stimmten, kam es zu der denkwürdigen Reichstagsauflösung vom 13. Dezember 1906.

Reichstagsauflösung.

In der Zeit zwischen Auflösung und Neuwahl bot sich für den Chef der Kolonialverwaltung Gelegenheit, durch mehrere großzügige Reden und Vorträge sein Programm für die weitere koloniale Entwicklung vor aller Öffentlichkeit klarzulegen. In den vor den Trägern der Wissenschaft, der Industrie und des Handels gehaltenen Vorträgen über die Zielpunkte des deutschen kolonialen Wesens rief er die Nation auf, „sich zu entscheiden, ob sie nach einem wohldurchdachten Plan den Boden und seine Schätze, die Flora, die Fauna und vor allem [432] die Menschen unserer Deutschen Schutzgebiete unter Überbringung höherer Kultur der Deutschen Wirtschaft nutzbar zu machen, oder ob sie dieselben wieder aufgeben wolle“, indem er betonte, daß der Eingeborene, besonders in unseren tropischen Kolonien, der wichtigste Gegenstand der Kolonisation sei. Er führte aus, von welcher Wichtigkeit die Schutzgebiete für unseren Handel und unsere Industrie, für unsere Rohstofferzeugung, unseren Absatz, unsere Zahlungsbilanz weiden könnten, und daß es sich daher bei der Deutschen kolonialen Bewegung um die Lösung einer nationalen Frage allerersten Ranges handele.

Koloniale Begeisterung.

Wie kurz zuvor im Reichstage, so zündeten jetzt auch außerhalb desselben die Worte, die vielfach nicht neu waren, aber doch niemals von autoritativer Stelle mit solchem Nachdruck in das deutsche Volk hinausgerufen worden waren, gewaltig und bewirkten, daß sich über Erwarten schnell ein großer Umschwung vollzog, und sich die Überzeugung Bahn brach, daß unsere überseeischen Besitzungen große Schätze bergen, die es nur zu heben gelte.

Wie die Wahlen, die eine große kolonialfreundliche Mehrheit ergaben, so standen auch die Reichstagsverhandlungen 1906/7 wesentlich unter dem Zeichen von Südwestafrika. Die für die Sicherheit des Landes für notwendig erachtete, aber mit Rücksicht auf die inzwischen erfolgte Beendigung der Unruhen in geringerer Höhe angeforderte Schutztruppe wurde bewilligt, ebenso die neu ins Leben gerufene Landespolizei und der Rest der Entschädigungsgelder. Der bereits erwähnte, vom Gouvernement aufgestellte Besiedelungsplan und die in demselben angeforderten Mittel wurden genehmigt. Auch den übrigen Kolonien widerfuhr volle Gerechtigkeit.

Errichtung des Kolonialamts.

Von einschneidender Bedeutung war die Lostrennung der Kolonialverwaltung vom Auswärtigen Amt, mit dem sie sowieso nur noch lose zusammenhing, und von dem sie als unbequemes Anhängsel betrachtet wurde. Sie wurde zu einem selbständigen Reichsamt mit einer allgemeinen Verwaltungsabteilung, einer Finanz-, einer Personal- und einer mit dem Kommando der Schutztruppen identischen Militärabteilung erhoben. In das damalige Reichskolonialamt wurden eine Anzahl von Beamten berufen, die lange Jahre in den Kolonien tätig gewesen waren, so daß eine engere Beziehung zwischen Zentral- und Lokalverwaltung herbeigeführt wurde, die früher zum Schaden der Sache gefehlt hatte. So ausgerüstet, ging die Kolonialverwaltung sofort an die Lösung einer Reihe für die gedeihliche Weiterentwickelung der Kolonien grundlegender Fragen heran. Im Vordergrunde standen: die Reorganisation des Finanzwesens, die systematische Erschließung der Schutzgebiete durch Schienenwege, die gesteigerte Fürsorge für die Eingeborenen und die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Kolonialbeamten.

Neuordnung der Beamtenverhältnisse, des Finanzwesens.

Durch die feste gesetzliche Regelung der letzteren ist die Gewinnung eines tüchtigen Nachwuchses für die mannigfachen und verantwortungsvollen Aufgaben der Schutzgebietsverwaltungen gesichert und dem früheren [433]

Finanzen.

Dementsprechend war auch die Finanzlage der Schutzgebiete, die durch Verabschiedung des Schutzgebiets-Etats-Gesetzes vom Jahre 1892, nach welchem alle Einnahmen und Ausgaben für jedes Jahr veranschlagt und auf den durch Gesetz festzustellenden Etat der Schutzgebiete zu bringen sind, selbständige Rechtssubjekte geworden waren, in dieser Epoche nichts weniger als günstig. Nicht nur daß die Kosten der Militärverwaltung ganz vom Reiche getragen werden mußten, auch die Zivilverwaltung erforderte in den 2 großen Kolonien erhebliche Zuschüsse; in Südwestafrika fiel sie sogar fast ganz dem Reiche zur Last, und nur die Kolonie Togo kam mit einem geringen Reichszuschuß aus. Abgesehen von den nicht sehr ins Gewicht fallenden allgemeinen Verwaltungsabgaben bestanden die Einnahmen der zolltechnisch als Ausland geltenden Schutzgebiete aus Eingangszöllen, neben denen in einzelnen Kolonien Produkte des Eingeborenen-Handels mit Ausfuhrzöllen belegt waren, während von den Plantagenprodukten keine Zölle erhoben wurden.

Kapitalbeteiligung.

Durch das heimische Kapital wurde die Entwicklung der Kolonien in jener Zeit nicht wesentlich gefördert. Ursprünglich nicht abgeneigt, sich daselbst zu betätigen, wurde es durch mancherlei Enttäuschungen materieller und ideeller Natur immer zurückhaltender, so daß in den neunziger Jahren selbst zu den ungemein weitgehenden Land- und Bergwerksgesellschaften in Kamerun und Südwestafrika ausländisches Kapital herangezogen werden mußte, da einheimisches nicht in genügender Weise zu haben war, das man lieber in zweifelhaften exotischen Papieren, als in unseren Kolonien anlegte.

Verkehrsmittel.

Dasselbe für den Bau von Eisenbahnen flüssig zu machen, mißlang vollends. Das Großkapital hatte nicht genügend Vertrauen zu der Entwickelung der Schutzgebiete, der Reichstag nicht hinreichend Verständnis für die Bedeutung der Erschließung derselben durch Schienenwege. Auch die Regierung betrieb diese Lebensfrage aller Neuländer nicht energisch genug. So kroch unsere erste und damals einzige Kolonialbahn im Norden Ostafrikas langsam von der Küste 40 km vorwärts, während die Engländer uns schnell überflügelten, indem sie mit bewundernswerter Tatkraft von dem unmittelbar nördlich von Tanga liegenden Hafen Mombassa in kurzer Zeit einen weit später begonnenen Schienenweg nach dem Viktoriasee legten und auf ihn die ganzen deutschen Produkte der Randländer des Seen- sowie des Kilimandjaro- und Merugebietes leiteten, ein vom deutschnationalen Standpunkte aus höchst bedauerlicher Zustand. Inzwischen suchte man dem dringendsten Bedürfnisse des Verkehrs durch Neuanlage und Ausbau von Wegen, für die im Laufe der Jahre größere Mittel und viel Arbeit aufgewendet worden sind, so gut wie möglich Rechnung zu tragen.

Günstiger, als innerhalb der Kolonien gestaltete sich die Verkehrsfrage zwischen Heimat und Schutzgebieten, indem die die Verbindung mit den westafrikanischen Kolonien aufrechterhaltende Woermannlinie mehr ausgebaut, für die Ostküste unter Führung der Gebrüder Woermann eine vom Reiche subventionierte neue Linie errichtet, und auch mit Südwestafrika eine Schiffsverbindung durch Dampfer dieser Hamburger Reederei ins Leben gerufen wurde.

[434] der Tanganjikasee erreicht und mit der Küste durch den Schienenstrang verbunden sein, während der Bahnbau im Norden Ostafrikas, ebenso wie in Kamerun, leider nur langsam fortschreitet. Immerhin verfügten unsere afrikanischen Schutzgebiete Ende 1912 über 3800 km Schienenwege gegen noch nicht 500 im Jahre 1904. Mit jedem Kilometer, den die Bahnen ins Innere vorrücken, wachsen die Aussichten für die Anlagen rentabeler Pflanzungs- und Farmbetriebe und Eingeborenen-Kulturen ebenso, wie für den Absatz heimischer Industrieprodukte. Daher darf auch nach Vollendung der in Angriff genommenen Bahnbauten kein Stillstand eintreten; es kann sich höchstens um eine Ruhepause handeln, bis neue Projekte gründlich geprüft sind, wie dies auch neuerdings von der derzeitigen Leitung der Kolonialverwaltung ausdrücklich anerkannt ist. Für die Erweiterung der Bahnnetze muß in erster Linie der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Erschließung maßgebend und auch bei Normierung der Tarife ausschlaggebend sein; zugleich muß aber auch auf eine absehbare Rentabilität der Anlage berücksichtigt werden. Doch können auch andere Gründe in den Vordergrund treten. So macht z. B. in Südwestafrika die Beschaffung von Arbeitern den Bau einer Bahn nach dem Ovambolande unbedingt notwendig. Auch nationale Gesichtspunkte können in Betracht kommen. Gerade in der letzten Zeit hat es sich wieder herausgestellt, ein wie dringendes Bedürfnis es ist, daß der Norden und Nordwesten von Deutschostafrika endlich unabhängig von der englischen Ugandabahn gemacht wird. Triftige national-politische und militärische Gründe erfordern dies.

Eingeborenen-Fürsorge.

Die gesteigerte Fürsorge für die Eingeborenen zeigt sich nicht nur in der größeren Förderung der Eingeborenen-Kulturen, sondern auch in einer Reihe sanitärer Maßnahmen, wie strengere gesundheitspolizeiliche Kontrolle, Verhütung und Bekämpfung ansteckender, gemeingefährlicher Krankheiten (Malaria, Wurmkrankheit, Rückfallfieber) und vor allem in dem mit großer Energie unter Aufwendung sehr erheblicher Mittel zunächst in Ostafrika, dann auch in Kamerun und Togo aufgenommenen Kampf gegen die verheerende, ganze Distrikte entvölkernde Schlafkrankheit; ferner in dem Erlaß von inzwischen teilweise abgeänderten Anwerbe- und Arbeiter-Verordnungen der Eingeborenen in Ostafrika und Kamerun, in Arbeiterschutzbestimmungen für die beim Bahnbau in Kamerun beschäftigten Eingeborenen, in der Ernennung von Eingeborenen-Kommissaren, sowie in einer Revision der Bestimmungen über die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt.

Die im Interesse der Eingeborenen getroffenen sanitären Maßnahmen kommen zum überwiegenden Teil auch den Weißen zustatten, so z. B. die gesundheitspolizeiliche Beaufsichtigung und Reinhaltung der Karawanenstraßen und die Bekämpfung der obenerwähnten Seuchen. An den Hauptweißenzentralen der Tropen, wie Daressalam, Tanga, Duala, Lome, wurde der Kampf gegen die Malaria mit besonderer Energie aufgenommen und die Vernichtung der Anopheles systematisch und mit gutem Erfolge betrieben. Das Sanitätspersonal wurde nach und nach erheblich vermehrt, für Neubau und Erweiterung von Lazaretten und Laboratorien wurden größere Mittel eingestellt. [435] Während in den übrigen Schutzgebieten die ärztliche Fürsorge fast ausschließlich in den Händen von Truppen- und Regierungsärzten liegt, haben sich in Südwestafrika – meist veranlaßt und unterstützt durch Bezirks- und Gemeindeverbände – eine Anzahl Privatärzte niedergelassen. Das rote Kreuz für die Kolonien hat seine segensreiche Tätigkeit immer mehr ausgedehnt und den Stab der zur Krankenpflege und zu sonstigen sanitären Hilfeleistungen entsandten Schwestern erheblich vermehrt.

Verwaltungs-Dezentralisation. Selbstverwaltung in Südwestafrika.

Während dieser Periode vollzogen sich aber auch in der Verwaltung der Schutzgebiete wesentliche Änderungen. Eine größere Dezentralisation wurde dadurch angestrebt, daß die bisher beim Reichskolonialamt geführte Finanzverwaltung der Schutzgebiete in diese verlegt und mehreren Gouvernements die neuerdings auch auf Ostafrika ausgedehnte Ermächtigung zur Neuanschaffung, Verlegung und Aufhebung von Verwaltungsbehörden erteilt wurde. Die Trennung von Verwaltung und Gericht und die Umwandlung von Militärbezirken in Bezirksämter mit Zivilbeamten wurde weiter durchgeführt. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wurde dadurch erhöht, daß mehr und mehr das Amt des Oberrichters von dem des Gouverneurs oder seines Stellvertreters getrennt wurde. Am einschneidendsten war aber die Umgestaltung auf dem Gebiete der Selbstverwaltung; dieselbe nahm in den beiden größten Schutzgebieten merkwürdigerweise eine entgegengesetzte Richtung. In Ostafrika wurden aus vorwiegend fiskalischen Gründen im März des Jahres 1909 die durch Reichskanzlerverordnung von 1901 geschaffenen kommunalen Verbände bis auf die Ortschaften Daressalam und Tanga aufgehoben und ihr Vermögen auf den in die Rechte und Pflichten der Verbände eintretenden Landesfiskus übertragen, während im Januar desselben Jahres Südwestafrika mit einer weitgehenden Selbstverwaltung bedacht wurde. Die größeren Ortschaften wurden dort zu Gemeindeverbänden zusammengefaßt, die Verwaltung einem von den Gemeindeangehörigen aus ihrer Mitte gewählten, über alle wichtigeren Angelegenheiten beschließenden Gemeinderat übertragen, an dessen Spitze ein Gemeindevorsteher oder Bürgermeister steht, der meist ehrenamtlich tätig ist und für die Bezirksverbände ein gleichfalls gewählter Bezirksrat vorgesehen, in dem der staatliche Bezirksleiter den Vorsitz führt. Dem Gouverneur wurde zur Unterstützung bei Wahrnehmung der Interessen des gesamten Schutzgebietes ein aus zur Hälfte gewählten, zur Hälfte von ihm ernannten Mitgliedern bestehender Landesrat als beratendes Organ zur Seite gestellt. Der Wirkungskreis der Gemeinde erstreckt sich auf fast alle wichtigeren Gebiete des öffentlichen Lebens, darunter auch auf die für diese Besiedelungskolonie besonders wichtige Fürsorge für das Schulwesen.

Schulwesen und kirchliche Versorgung.

Dieses hatte sich seit Beendigung des Aufstandes schnell und kräftig entwickelt. Die mit Pensionaten verbundenen, vom Reiche mit erheblichen Mitteln unterstützten Schulen weißer Kinder wurden teilweise von den Gemeinden übernommen. Von den 17 Regierungs- und Gemeindeschulen ist die überwiegende Mehrzahl einklassig, einzelne [436] zwei-, andere dreiklassig. Die in der Hauptstadt Windhuk bestehende Realschule schließt vorläufig mit der Tertia ab, soll aber jährlich weiter ausgebaut werden. Die gesamte Schülerzahl, die in den letzten Jahren eine bedeutende jährliche Zunahme zeigte, betrug im Jahre 1912 bereits nahezu 700. Die nach Herstellung besserer Verbindungen erfolgte Ausdehnung des Schulzwanges wird des weiteren günstig auf die Schulverhältnisse wirken. In Ostafrika wurden 1911 in 4 Regierungsschulen 70 und in 3 Missionsschulen 46 weiße Kinder unterrichtet; in Neuguinea 15. In Samoa besteht bezeichnenderweise eine Regierungsschule für Weiße und Mischlinge mit 124 Kindern, während Kamerun und Togo Regierungsschulen für weiße Kinder nicht haben.

Auch das Eingeborenen-Schulwesen hat bedeutende Fortschritte gemacht. Die Zahl der Regierungsschulen, mit denen vielfach Handwerkerschulen verbunden sind, ist in Ostafrika, wo in 8 Haupt- und 89 Nebenschulen über 5000 Schüler unterrichtet werden, aber auch in Kamerun, Togo und Neuguinea vermehrt worden, während man in Südwestafrika daran festgehalten hat, das Eingeborenen-Schulwesen ganz den Missionen zu überlassen. Indes auch in den übrigen Kolonien müssen die Leistungen der Missionen beider Konfessionen auf dem Gebiete des Schulunterrichts rückhaltlos anerkannt werden. Gleich den Regierungsschulen zeigen die Missionsschulen eine starke Zunahme und ergänzen jene, namentlich auf den Innenstationen, auf das Trefflichste. Wenn auch die einheimische Sprache meist als Unterrichtssprache beibehalten worden ist, so wird von den Missionen jetzt fast überall die deutsche Sprache zielbewußt gefördert. Der Umfang der Tätigkeit der Missionen auf dem Gebiete des Schulwesens wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in unseren Kolonien über 2000 Schulen mit mehr als 100 000 Schülern bestehen.

Auf dem Gebiete der Heidenbekehrung und der Seelsorge wird von den Missionen mit größter Selbstaufopferung und zunehmendem Erfolge gearbeitet, Tüchtiges in der Krankenpflege geleistet und eine umfangreiche Tätigkeit in Waisenhäusern, Siechenhäusern und Polikliniken entfaltet.

Während die kirchliche Fürsorge und Seelsorge der Weißen bei den Katholiken in den Händen der mit der Heidenmission betrauten Priester liegt, haben sich in Deutsch-Südwestafrika und Ostafrika eine Reihe selbständiger evangelischer Kirchengemeinden gebildet, die von besonderen, dem preußischen Oberkirchenrat unterstehenden Geistlichen – in Südwestafrika bereits 7, in Ostafrika 2 – versorgt werden und sich dank der Fürsorge und Unterstützung, deren sie sich durch Oberkirchenrat und Kirchenausschuß erfreuen, sehr gut entwickeln.

Wirtschaftlicher Aufschwung.

Mit dem allgemeinen kolonialpolitischen Umschwung begann auch auf dem Gebiete der mit der Verbesserung der Verkehrsanlagen im engsten Zusammenhange stehenden Kolonialwirtschaft ein neuer Abschnitt: die Periode des wirtschaftlichen Aufschwunges. Von nun an übernahm die Verwaltung auch auf diesem Gebiete die Führung, ohne auf die Mitarbeit der bestens bewährten privaten Organisationen, namentlich des kolonialwirtschaftlichen Komitees, zu verzichten, wohingegen der allgemeine [437] koloniale Beirat, der Kolonialrat, aufgehoben wurde. Durch Schaffung eines besonderen landwirtschaftlichen Referates neben dem schon vorhandenen volkswirtschaftlichen im neuen Reichskolonialamt und durch die Besetzung desselben mit einem gründlich wissenschaftlich und praktisch ausgebildeten Fachmanne wurde einerseits die kritische Bearbeitung der Berichte aus den Kolonien und die Bewertung der dort gemachten Versuche, andererseits die Feststellung eines umfassenden Programms ermöglicht. Von großer Wichtigkeit war dies auch für die nahezu zur Lebensfrage für einen Teil des heimischen Handels und unserer Industrie gewordene Erzeugung von Baumwolle. Die diesbezüglichen Arbeiten hatten bisher ganz in den Händen des kolonialwirtschaftlichen Komitees gelegen; ihr gedeihlicher Fortgang wurde aber naturgemäß durch die mehr auf industrielle und kommerzielle Zwecke zugeschnittene Organisation desselben beeinträchtigt. Vor allem zeigte sich das Komitee, dessen unbestreitbare Verdienste ja schon eingehend gewürdigt worden sind, den rein landwirtschaftlichen Aufgaben nicht genügend gewachsen. Nachdem der Leiter der Kolonialverwaltung sich persönlich mit seinem landwirtschaftlichen Sachverständigen über die großen Baumwollgebiete der Vereinigten Staaten Nordamerikas informiert hatte, kam im besten gegenseitigen Einvernehmen ein Arbeitsteilungsabkommen zwischen Kolonialamt und Komitee zustande, demzufolge ersteres das auf eine breitere Grundlage zu stellende landwirtschaftliche Versuchswesen im weitesten Umfange durch Errichtung landwirtschaftlicher Stationen organisieren sollte, während die sonstigen Arbeiten, insbesondere die Errichtung von Entkörnungsanstalten und der Aufkauf der Rohbaumwolle zu Garantiepreisen, dem Komitee verblieben.

Der landwirtschaftliche Aufschwung wurde wesentlich dadurch gefördert, daß es gelang, das Kapital wieder in größerem Maße für die Kolonien zu gewinnen, so daß eine Reihe neuer Unternehmungen in sämtlichen Kolonien entstanden. Aber auch die älteren Pflanzungen gediehen. Erfreulicherweise hat sich der Pessimismus, der zeitweise bezüglich der ostafrikanischen Sisalplantagen gerade auch in amtlichen Kreisen herrschte, als übertrieben herausgestellt. Begründeter war er dagegen bezüglich der Kautschukpflanzungen. Auch diese haben sich im allgemeinen gut entwickelt und ergaben bisher zufriedenstellende Resultate, doch erscheint hier die Rentabilität für die Zukunft angesichts der südasiatischen Konkurrenz in Frage gestellt, so daß sich die Pflanzer sehr werden überlegen müssen, ob sie nicht, wie einst die Kaffeekulturen in Usambara, so die Manihot-Kautschukkulturen durch andere – Kokospalmen, Kapok, Ölpflanzen usw. – ersetzen sollen. In Kamerun gelang es, die Kakaokulturen durch energische Bekämpfung der Krankheiten und Schädlinge rentabeler zu gestalten, während man sich mehr und mehr davon überzeugt hatte, daß nicht Kickxia, sondern die hochwertige Hevea die geeignetste Kautschukkultur für das in Frage kommende Pflanzungsgebiet sei. Weitere Fortschritte haben in den letzten Jahren die Ölpalmpflanzungen gemacht, denen ebenso wie der seit dem Jahre 1910 sich von Jahr zu Jahr mehr ausdehnenden Tabakkultur eine große Zukunft bevorstehen dürfte. Das Hauptausfuhrprodukt ist aber noch heute der Handelskautschuk, welcher im Jahre 1911 den Wert von rund 11 Mill. M. betrug, wovon 9 Millionen allein auf den Süden entfallen. Die aus dem hierauf gelegten Ausfuhrzoll erzielten Beträge bilden den wesentlichsten Bestandteil der Einnahmen des Schutzgebietes, die durch ein [438] weiteres Sinken der Preise auf dem Kautschukmarkte allerdings stark in Mitleidenschaft gezogen werden können. In Togo nahmen die Eingeborenen-Kulturen von Kakao, Baumwolle und Kokospalmen langsam zu. In Neuguinea kamen die Kokospflanzungen immer mehr in das ertragsfähige Alter, so daß die Ausfuhr der Pflanzungs-Kopra fast die der Handels-Kopra erreichte, während in Samoa die Anpflanzungen von Kautschuk und Kakao weitere Fortschritte machten. Das Rückgrat der Samoanischen Kulturen ist indes die Kokospalme geblieben, deren Ertragsfähigkeit durch den gefährlichen, sofort energisch bekämpften Nashornkäfer erfreulicherweise bisher nicht merklich gemindert worden ist. An der einen Wert von 3½ Mill. M. repräsentierenden Kopra-Ausfuhr sind die Eingeborenen-Kulturen mit einem dreimal höheren Betrage, als die Pflanzungen der Weißen beteiligt. Auch im Schutzgebiete Neuguinea treten alle übrigen Kulturen gegen die der Kokospalme weit zurück, namentlich im Bismarckarchipel und in dem später erworbenen Inselgebiet. Die Kopra-Ausfuhr aus dem gesamten Schutzgebiet, die überwiegend aus Eingeborenen-Kulturen stammt, erreichte im Jahre 1911 einen Wert von 4½ Mill. M. Übertroffen wird dem Werte nach die Kopra-Ausfuhr nur durch den Export der von der Deutschen Südseephosphatgesellschaft auf Angaur und der Pacific Phosphate Co. auf Nauru gewonnenen Phosphate, der sich 1910 auf 9½, im Jahre 1911 auf 6½ Mill. M. belief.

Weißensiedelung in tropischen Hochländern.

Die Kritik, welche an dem Verhalten der Regierung gegenüber weißen Siedelungen, insbesondere auch an Art und Tempo der Besiedelung der höher gelegenen Teile Ostafrikas im Schutzgebiet selbst und außerhalb desselben geübt wurde und die im Reichstage ein lebhaftes Echo fand, führte auf Initiative des Leiters der Kolonialverwaltung im Herbst 1908 zur Entsendung einer aus 7 bis 8 Mitgliedern bestehenden Kommission zu dem Zwecke der Untersuchung der ostafrikanischen Hochländer auf ihre Besiedelungsfähigkeit. Die Reise wurde auch auf die beiden englischen Nachbarkolonien im Norden und Süden ausgedehnt. Auf Grund eingehendster 7 monatlicher Studien kam die Kommission zu dem Schluß, daß größere Gebiete im Norden und Süden Ostafrikas für eine voraussichtlich dauernde und generationsweise Besiedelung mit Weißen geeignet erschienen, da die praktische Erfahrung an den im tropischen Höhenklima von 1200–2000 m ansäßigen Weißen ergeben habe, daß die Männer ihre Lebensfähigkeit, die Frauen ihre Gebärtüchtigkeit behalten hätten, die heranwachsende nächste Generation körperlich, intellektuell und moralisch vollwertig geblieben, und Zeichen irgend welcher Degeneration nirgends zu finden gewesen seien. Die Reise hatte den unmittelbaren Erfolg, daß der von der Kommission warm befürwortete Weiterbau der Usambarabahn beschlossen wurde, nach deren Fortführung bis zum Kilimandjaro wenigstens dies Gebiet von britischen Transportmitteln unabhängig geworden ist, und eine landwirtschaftliche Versuchsstation am Kilimandjaro angelegt wurde.

Kupfer und Diamanten.

In Südwestafrika war die Entwicklung am einschneidendsten, nicht auf dem Gebiete der Farm- und [439] Viehwirtschaft, die naturgemäß nur langsam fortschreiten konnte, sondern auf dem des Bergbaues. Nach Fertigstellung der inzwischen verstaatlichten Bahn Swakopmund–Tsumeb hatte die Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft mit der Kupferförderung auf der Tsumeber Mine energisch begonnen, zugleich aber auch eine Anzahl kleinerer Gruben im Otavital in Angriff genommen, aus denen insgesamt bis zum 31. März d. J. 184 500 t Exporterze verschifft worden waren. Ebenso wurden von anderen Gesellschaften und Firmen Untersuchungs- und Aufschließungsarbeiten im Kahnfluß und bei Okahandja vorgenommen. Von größter Wichtigkeit für das Schutzgebiet wurde aber die Auffindung von Diamanten in der Namib bei dem Südhafen Lüderitzbucht im Jahre 1908. Das Diamantgebiet wurde für die Kolonialgesellschaft für Südwestafrika unter Außerkraftsetzung des kurz zuvor geschlossenen sog. Bergrezesses gesperrt, eine Maßnahme, welche vielfach angegriffen wurde und bei endgültiger vertragsmäßiger Regelung der Angelegenheit im Frühjahr 1910 zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Mineninteressenten im Schutzgebiete, die eine starke Stütze an einflußreichen Parteien im Reichstage fanden, und der Kolonialverwaltung führte. Durch hohe Abgaben, die vor allem in einem inzwischen in eine die Förderung günstig beeinflussende Nettoertragssteuer umgewandelten Bruttowertzoll von 33⅓% bestanden, wurde dem Fiskus eine erhebliche Einnahme aus den Diamanten gesichert, zu deren Verwertung in Deutschland eine Diamantenregie errichtet worden ist, in deren Aufsichtsrat seit 1911 durch die Minenkammer in Lüderitzbucht präsentierte Vertreter der Förderer Sitz und Stimme haben. Die Zahl der letzteren ist inzwischen auf die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates erhöht. Ebenso befindet sich das Kapital der Regie zurzeit zur Hälfte in den Händen der Förderer einschließlich des Fiskus.

Die weitere gedeihliche wirtschaftliche Entwickelung unserer Kolonien hängt wesentlich von der Förderung der für Handel, Industrie und Landwirtschaft wichtigen Eingeborenen-Kulturen und der Ausdehnung der Plantagenbetriebe ab. Letztere ist eng verknüpft mit der Investierung Deutschen Kapitals und der Lösung der Arbeiterfrage, welche in Kiautschau und Togo günstig, in Ostafrika und Neuguinea erträglich, für die übrigen Kolonien aber mehr oder weniger brennend ist. Am akutesten ist sie in Samoa, wo die Europäer ganz auf Arbeiterbezug von auswärts, der sich in den letzten Jahren überaus schwierig gestaltet hat, angewiesen sind; nicht viel besser steht es zurzeit in Kamerun, desgleichen in Südwestafrika, wo es darauf ankommt, ob es gelingt, die Ovambos in größerer Zahl, als bisher zur Arbeit heranzuziehen. Leider hat sich das Deutsche Kapital in letzter Zeit wieder zurückhaltender gezeigt, trotzdem eine Anzahl von kolonialen Erwerbsgesellschaften sich günstig entwickelt und recht gute Abschlüsse gehabt hat, dementsprechend auch höhere Dividenden zahlte. Nicht ganz ohne Einfluß dürfte hier die Arbeiterfrage sein, sowie die Nachwirkung einer Reihe früherer ungesunder Gründungen und verlustreicher Sanierungen.

Handelsbewegung.

Die allgemeine Aufwärtsbewegung in der Entwicklung der Kolonien findet auch in der Handelsstatistik ihren Ausdruck. Mit der vermehrten Kauftraft der Eingeborenen in den tropischen [440] Kolonien, deren Kulturen erhöhte Aufmerksamkeit von seiten der Behörden zugewandt wurde, mit dem günstigen Stand der Anpflanzungen der Weißen, mit dem schnelleren Zuwachs der weißen Bevölkerung stieg die Einfuhr in die Kolonien bedeutend. Während der Gesamthandel in dem 5jährigen Abschnitt von 1900/05 nur um 41 Mill. M. – von 58 auf 99 – zugenommen hatte, stieg er in dem nächsten Quinquennium von 98 auf 229, also um 131 Mill. M., und erreichte 1911 sogar die Höhe von 240 Millionen. Da er nach 20jähriger Kolonialpolitik im Jahre 1904 nur 71 Millionen betrug, hat er sich also seitdem in dem vierten Teil der Zeit erheblich mehr als verdreifacht. Bemerkenswert ist, daß der Wert der Einfuhr in die Siedelungskolonie Südwestafrika mit ihren 15 000 Weißen und 86 000 wenig konsumkräftigen Eingeborenen in Höhe von 45 Mill. M. dem Ostafrikas mit 7½ Millionen Eingeborenen und 5000 Weißen fast genau entspricht. Ganz besonders erfreulich ist der Anteil der Ausfuhr an dem Handel, die in den Jahren 1905/10 von 27 auf 101 Millionen stieg, sich also nahezu vervierfachte, während sie in dem vorhergehenden fünfjährigen Abschnitte nur um 11 Millionen – von 17 auf 28 Mill. M. – zugenommen hatte. Wenn sich auch aus der Statistik der auf die Eigenerzeugung in den Betrieben der Weißen entfallende Teil der Ausfuhr nicht ganz genau feststellen läßt, so ist doch zweifelsfrei aus ihr zu entnehmen, daß die in den letzteren gewonnenen Produkte nach Wert und Menge einen überraschend großen Prozentsatz im Verhältnis zu dem Anteil der Eingeborenen ausmachen. Besonders auffallend ist dies in Ostafrika, wo der Wert der Ausfuhr der Weißenbetriebe – Sisal- und Pflanzungskautschuk figurieren allein mit je 4½ und 3½ Mill. M. – dem der von den Eingeborenen gewonnenen Ausfuhrprodukten mindestens gleichkommt. Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß letztere zum großen Teil nicht auf Eigenerzeugung, sondern auf Sammeltätigkeit der Eingeborenen zurückzuführen sind, und daß eine große Anzahl von Pflanzungen noch nicht in das ertragsfähige Alter eingetreten ist. Andererseits ist in Betracht zu ziehen, daß die europäische Produktion sich im wesentlichen nur auf die durch Bahnen erschlossenen Gebiete beschränkt. Immerhin wird man auf Grund der angeführten Zahlen gut tun, Produktion und Konsum unserer zurzeit rund 24 000 Seelen betragenden weißen Bevölkerung der Schutzgebiete nicht zu unter-, die der 12 Millionen Eingeborenen nicht zu überschätzen.

Finanzlage.

Nicht minder deutlich spiegelte sich der allgemeine Aufschwung in den Finanzen der Schutzgebiete wider. Vor allem wuchsen die Einnahmen aus den Eingangszöllen beträchtlich, so daß der Etat von Togo und bald auch der von Samoa ohne Zuschuß von seiten des Reichs balancierte, Ostafrika und demnächst auch Kamerun einen Reichszuschuß nur noch für die durch den militärischen Schutz erforderlichen Aufwendungen benötigten; nur Südwestafrika würde desselben ohne die Diamantfunde noch jahrelang bedurft haben. Durch diese wurde jedoch ein solcher Wandel in den eigenen Einnahmen des Schutzgebietes herbeigeführt, daß dieselben von noch nicht 7 im Jahre 1908 auf 17 Millionen im Jahre 1909 emporschnellten, so daß fortan nicht nur kein Zuschuß zu dem Ziviletat erforderlich war, sondern jährlich noch 4–5 Mill. M. zu den Eisenbahnbauten direkt aus den bereiten Mitteln des Schutzgebietes beigesteuert [441] werden konnten. Gleichzeitig ging der Reichszuschuß für die Truppe von 38 auf 16 und im folgenden Jahre weiter auf 14 Mill. M. herab. Die eigenen Einnahmen Ostafrikas betrugen im Jahre 1909 fast 11, die Kameruns 5½, Togos 2½ Millionen, Samoas 730 000, Neuguineas 850 000 M. Nur diese letztere Kolonie bedurfte noch eines Reichszuschusses in etwa gleicher Höhe zur Bestreitung ihrer Zivilausgaben einschließlich der Polizeitruppe. Seitdem haben sich die Einnahmen der Schutzgebiete sehr gut und gleichmäßig weiter entwickelt, so daß dieselben für 1912/13 rund 44 und unter Hinzurechnung der Ersparnisse aus früheren Jahren 52 Mill. M. betragen.

Organisation des landwirtschaftlichen Dienstes und Versuchswesens.

Auch nach Dernburgs Rücktritt nahm die Entwickelung sowohl auf verkehrlichem, wie auf wirtschaftlichem Gebiet einen erfreulichen Gang. Die letztere wurde vor allem dadurch gesichert, daß der Reichstag ohne Abstrich die erheblichen Mittel bewilligte, die im Jahre 1910/11 von seinem Nachfolger auf Grund eines umfassenden Programms für wirtschaftliche Zwecke angefordert wurden, und hierdurch ebenso wie in den folgenden Jahren bewies, ein wie großer Umschwung sich endgültig in den Anschauungen der Parteien vollzogen und wie sehr auch dort das Verständnis für die wirtschaftlichen Aufgaben zugenommen hatte, die wir in unseren überseeischen Besitzungen zu erfüllen haben. Die Neuforderungen sahen vor allem die einheitliche Organisation und Ausgestaltung des landwirtschaftlichen Dienstes und Versuchswesens in unseren Kolonien in Anlehnung an die mustergültige Ordnung desselben in unserer heimischen Landwirtschaft vor. Hierbei fand die für unsere Textilindustrie so wichtige Baumwollfrage ganz besondere Berücksichtigung, der eine umfangreiche Denkschrift gewidmet wurde. Man kann heute bereits sagen, daß die Anlage von landwirtschaftlichen Versuchs- und Baumwollsaatzucht-Stationen, sowie die Schaffung neuer Stellen für fachmännisch vorgebildete landwirtschaftliche Beamte und Sachverständige schon nach so kurzer Zeit den Schutzgebieten Nutzen gebracht hat. Die Baumwollstationen sind mittlerweile auf 9 – 4 in Ostafrika, 3 in Togo, 2 in Kamerun – vermehrt. Als Resultat dieser Bestrebungen weist unsere allerdings noch recht bescheidene deutschkoloniale Baumwollproduktion eine jährliche, nicht unerhebliche Steigerung auf. Im Jahre 1910 betrug sie 4400 Ballen von 250 kg, im folgenden 6400, für 1912 rund 10 000 Ballen, und für 1913 wird mit Sicherheit eine weitere Zunahme erwartet. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist in den letzten Jahren den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schutzgebietes Neuguinea zugewandt worden. Den großen Entwicklungsmöglichkeiten desselben ist durch Einsetzung erhöhter Beträge für wirtschaftliche Zwecke in den Etat nach einem sorgsam geprüften Plane Rechnung getragen worden. Durch mehrere Expeditionen, namentlich die im Jahre 1911 gemeinsam von Kolonialverwaltung und Kolonialgesellschaft zur Erforschung des gewaltigen Stromgebietes des Kaiserin-Augustaflusses und seiner Nebenflüsse ausgerüstete, wird mehr und mehr Licht in große, bisher unberührte, im Dunkel des Urwalds schlummernde Gebiete gebracht, die für unsere Kolonialwirtschaft verheißungsvoll zu werden versprechen.

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Kreditwesen.

Immer mehr hatte sich mit den Jahren die Wichtigkeit der schwierigen Frage der Kreditgewährung in den Schutzgebieten in den Vordergrund gedrängt. Der rein kaufmännische Kredit wurde zwar in den afrikanischen Schutzgebieten im Gegensatz zu der Südsee durch Handelsbanken im allgemeinen befriedigt. Indes die Kolonien mit einer stärkeren weißen Bevölkerung, wie Ost- und vor allem Südwestafrika, verlangten die Schaffung weiterer Kreditquellen. In letztererm Schutzgebiet versuchte man diesem Bedürfnis durch die Organisation genossenschaftlicher Darlehnskassen abzuhelfen. Wiewohl sich die Genossenschaftsbank in Windhuk durchaus befriedigend entwickelte, konnte sie ihrem ganzen Wesen nach doch nur kurzfristigen Betriebskredit gewähren. Dieser genügte aber nicht für die große Mehrzahl der Unternehmungen, die, mit mittleren und kleineren Kapitalien ins Leben gerufen, sich gut entwickelt hatten und erhebliche Werte repräsentierten, aber nach Lage der eigenartigen kolonialen Verhältnisse noch keine sichere Rente abwarfen. Hier konnte nur die Schaffung langfristigen Besitz- und Meliorationskredits Abhilfe bringen. Die hierauf gerichteten Bestrebungen fanden in der Deutschen Kolonialgesellschaft eine warme Befürworterin. Auch die Kolonialverwaltung war hiervon so überzeugt, daß mit dem jetzigen Gouverneur für Südwestafrika unmittelbar nach seiner Ernennung diese Frage aufs eingehendste erörtert und derselbe beauftragt wurde, mit größter Beschleunigung sichere, zahlenmäßige Unterlagen über Wert und Verschuldung der Farmen zu beschaffen, die dann alsbald nach ihrem Eingang der inzwischen als Beraterin der Kolonialverwaltung für Gebiete, auf denen eine Mitwirkung von Sachverständigen bisher fehlte, ins Leben gerufenen und neuerdings durch Ernennung weiterer Mitglieder verstärkten wirtschaftlichen Kommission vorgelegt wurden. Sie beantwortete die wichtige Vorfrage, ob für diese Zwecke privates Kapital in genügender Höhe und geeigneter Form erhältlich sei, unbedingt verneinend, stimmte vielmehr der Kolonialverwaltung zu, daß die annehmbarste Lösung die Schaffung einer öffentlich-rechtlichen, mit Staatsmitteln dotierten, aber sich selbst erhaltenden Institution, etwa nach Art der Transvaalbank, sein dürfte. Nachdem die Selbstverwaltungskörper des Schutzgebietes ausgiebig gutachtlich gehört worden sind, ist dann auf ähnlicher, wenn auch in mancher Beziehung veränderter und mehr den deutschen Verhältnissen angepaßter Basis erfreulicherweise eine Landwirtschaftsbank mit einem staatlichen, durch Schutzgebietsanleihe aufzubringenden Kapital von 10 Mill. M. ins Leben gerufen worden, indem gleichzeitig die Möglichkeit der Ausgabe von Schuldverschreibungen auf den Inhaber seitens der Bank bis zum zehnfachen Betrage des Grundkapitals vorgesehen ist. Es scheint fast, als ob hier eine Norm gefunden sei, die mit etwaigen den lokalen Verhältnissen angepaßten Änderungen künftig auch für andere Kolonien – zunächst voraussichtlich für Deutsch-Ostafrika – in Frage kommen dürfte. Früher noch als für den ländlichen, ist für den städtischen Bodenkredit, und zwar durch die Gründung eines rein privaten Kreditinstituts, gesorgt worden. Es ist zu hoffen und zu erwarten, daß diese ihrer Wichtigkeit und Tragweite entsprechend nach langen sehr eingehenden Beratungen unter Zuziehung der sachverständigen preußischen Ressorts zustande gekommenen Kreditanstalten bei richtiger Leitung von großem Segen für die gesunde Weiterentwickelung [443] der Kolonien sein und günstig auf die Bodenständigkeit der Bevölkerung einwirken werden.

Erhebliche Zunahme weißer Frauen und Kinder.

In dieser Beziehung gibt die Statistik der letzten Jahre ein sehr erfreuliches Bild durch die bemerkenswerte Zunahme der Frauen und Kinder. Danach hat sich beispielsweise in Südwestafrika im Jahre 1912 die Zahl der Frauen um 340, die der Kinder um 383 vermehrt, während in Ostafrika die Zunahme der Frauen 158, die der Kinder 91 beträgt, was für beide Länder einen sehr hohen Prozentsatz des Gesamtbevölkerungszuwachses bedeutet. Die weiße Bevölkerung unserer Schutzgebiete betrug im Jahre 1912 rund 24 000 Seelen, darunter etwa 4500 Frauen und 4000 Kinder. Um die Zunahme des weiblichen Elementes hat sich seit nunmehr fast 20 Jahren die Deutsche Kolonialgesellschaft ein bleibendes Verdienst erworben, indem sie Unbemittelten freie Überfahrt gewährt, so daß sie nach Südwestafrika unter der wertvollen Mitarbeit des rührigen Frauenbundes für die Kolonien bereits über 1700 Frauen, Kinder und Bräute von deutschen Ansiedlern befördert hat.

Mischlingsfrage.

Um so größeres Befremden mußte gerade in diesem Schutzgebiete die Resolution des Reichstags über die Mischlingsfrage erregen, das aber auch von den Weißen der übrigen Kolonien, namentlich Deutsch-Ostafrikas, geteilt wurde. Mit Ausnahme von Samoa war von den Gouvernements der Schutzgebiete der Standpunkt vertreten und seit einer Reihe von Jahren konsequent durchgeführt worden, daß Ehen zwischen Weißen und Farbigen nicht statthaft seien und daher standesamtlich nicht beurkundet werden dürften. Nachdem nunmehr auch die Landes- und Gouvernementsräte sich unzweideutig in diesem Sinne geäußert haben, kann der von der Kolonialverwaltung entschieden zurückgewiesene Reichstagsbeschluß wohl als zu Nutz und Frommen unserer ganzen kolonialen Entwickelung abgetan angesehen werden, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß die Mischlingsfrage auf Samoa, die sich nicht ohne Schuld der Verwaltung zu einer recht unerquicklichen ausgewachsen hat, damit noch nicht gelöst ist.

Während mit dem Eisenbahnbau, wie wir sahen, erst in den letzten Jahren in einer seiner Bedeutung für die Entwickelung der Kolonien annähernd entsprechenden Weise vorgegangen ist, hat auf anderen Gebieten des Verkehrswesens den Bedürfnissen weit früher und fortgesetzt Rechnung getragen werden können.

Post- und Telegraphenwesen.

Sehr günstig und gleichmäßig hat sich zwischen Mutterland und Schutzgebieten und innerhalb der letzteren das dem Reichspostamt unterstehende Post- und Telegraphenwesen entwickelt. Auch während der Unruhen, namentlich während des großen Aufstandes in Südwestafrika, hat es vorzüglich funktioniert. Von dem Umfang gibt die Zahl der im letzten Jahre durch die Post beförderten Briefe einen Begriff, die in Kamerun 1, in Ostafrika 3 und in Südwestafrika 6 Millionen überschritten hat. Die [444] Gesamtlänge der Telegraphenlinien beträgt in Ostafrika rund 2500 km, in Südwestafrika 3700, die der Telegraphenleitungen in dieser Kolonie über 6000 km. 77 weiße Beamte und 88 Farbige sind in diesem Schutzgebiete im Post- und Telegraphendienste tätig, abgesehen von 50 Hilfsstellen, die von Farmern, Kaufleuten usw. verwaltet werden. An das Welttelegraphen- und internationale Kabelnetz sind sämtliche afrikanische Schutzgebiete und Kiautschau angeschlossen. Während die übrigen Schutzgebiete zunächst auf fremdländische Kabel angewiesen waren, besitzt Tsingtau bereits seit dem Jahre 1900 ein sich an das deutsch-niederländische Netz in Schanghai anschließendes Regierungskabel. Neuerdings sind in der Schaffung deutscher Kabelverbindungen nach den Kolonien, die politisch von der größten Wichtigkeit sind, weitere bemerkenswerte Fortschritte zu verzeichnen. Durch das deutsch-amerikanische Kabel von Monrovia aus ist auch mit unseren westafrikanischen Kolonien Togo und Kamerun eine eigene, demnächst nach Swakopmund zu verlängernde deutsche Verbindung hergestellt worden, so daß wir in absehbarer Zeit bezüglich unserer afrikanischen Kolonien nur noch im Verkehr mit Deutsch-Ostafrika auf englische Kabel angewiesen sein werden. Auch hier liegt die Herstellung einer nichtenglischen Verbindung von Kamerun durch Funkentelegraphie oder vermittelst Funkenstationen im Verein mit Landlinien durch den belgischen Kongo nicht mehr außer dem Bereich der Möglichkeit. Nur Samoa ist noch gar nicht und das Schutzgebiet Neuguinea nur bezüglich der Karolineninsel Jap mit dem Weltkabelnetz verbunden. Diesem Mangel soll aber demnächst durch eine drahtlose Verbindung zwischen Karolinen (Jap), Neuguinea (Rabaul), Marshallinseln (Nauru) und Samoa (Apia) abgeholfen werden, wozu die Konzession bereits der Deutschen Südseegesellschaft für drahtlose Telegraphie erteilt worden ist. Schon jetzt verfügen übrigens unsere Kolonien über eine ganze Anzahl funkentelegraphischer Stationen, die in den letzten 4 Jahren entstanden sind. Der ersten Anlage auf der Phosphatinsel Angaur durch die Deutsche Südsee-Phosphatgesellschaft im Jahre 1909 folgten 1911 zwei Stationen in Deutsch-Ostafrika am Viktoriasee, in Bukoba und Muansa; 1912 sind sodann Küstenstationen in Duala, in Kamerun, sowie in Swakopmund und Lüderitzbucht in Deutsch-Südwestafrika für den allgemeinen öffentlichen Verkehr mit Schiffen in See eröffnet worden.

Schiffsverkehr.

Durch fortgesetzte Verbesserung und Vermehrung der regelmäßigen Schiffsverbindungen ist Personenverkehr und Güteraustausch zwischen Kolonien und Heimat bedeutend gehoben. Der Zunahme des Reise- und Handelsverkehrs mit unseren afrikanischen Kolonien, an dem sich seit einigen Jahren im Verein mit Woermann auch die Hamburg-Amerika-Linie beteiligt, ist durch Einstellung neuer, größerer und schnellerer Dampfer in anerkennenswerter Weise Rechnung getragen. Seit dem Aufstande in Südwestafrika ist auch die Passagierbeförderung nach diesem Schutzgebiet durch Anlaufen der Dampfer der Deutsch-Ostafrika-Linie durchaus befriedigend geregelt. Unerwünscht und der schnellen Entwickelung der Schutzgebiete direkt hinderlich sind indes die hohen Frachttarife, namentlich der vom Reich subventionierten Deutsch-Ostafrika-Linie. Seitdem diese trotz sehr reichlicher Abschreibungen 8% Dividende gibt, erscheint es unbedingt erforderlich, daß den seit lange erhobenen berechtigten Forderungen der [445] Kolonisten und der Kolonialverwaltung auf Herabsetzung verschiedener Tarifpositionen in größerem Maße, als bisher entsprochen wird. Mit unseren Schutzgebieten in Ostasien und in der Südsee ist inzwischen ein regelmäßiger Post-, Passagier- und Frachtverkehr durch den Norddeutschen Lloyd hergestellt worden, der Tsingtau mit seinen Reichspostdampfern unmittelbar anläuft, während er mit Neuguinea und den Karolinen durch Zweiglinien der Austral-Japan-Linie, sowie durch die Singapore-Neuguinea-Zweiglinie regelmäßige Verbindungen unterhält und im Anschluß an diese das Inselgebiet durch einen seiner Dampfer versorgt, so daß zurzeit nur noch Samoa einer deutschen Schiffsverbindung ermangelt. Durch Ausbau der Häfen Daressalam, Tanga, Lüderitzbucht und neuerdings Duala, sowie durch die Errichtung eiserner Landungsbrücken in Swakopmund und Lome ist die Regierung bemüht gewesen, die Landungsverhältnisse dauernd zu verbessern. Daß diese Bestrebungen nicht ohne Erfolg gewesen sind, geht unter anderem aus dem Stande des Schiffsverkehrs hervor, der allein in den dem Kolonialamt unterstehenden Schutzgebieten im Jahre 1911 3300 Schiffe mit einem Raumgehalt von über 6 000  000 Registertonnen betragen hat.

Grenzregulierungen. Erwerb Neu-Kameruns.

Die Beziehungen unserer Schutzgebiete zu den Nachbarkolonien waren, wenn wir von vorübergehenden Grenzschwierigkeiten mit dem früheren Kongostaat Ende der 90er Jahre und mit der Kapkolonie während des südwestafrikanischen Feldzuges absehen, im allgemeinen freundliche und gute. Sie sind durch eine Reihe internationaler Verträge geregelt, die sich namentlich auf die Festlegung der gegenseitigen Grenzen beziehen. Mit Großbritannien wurden Abkommen über die Festsetzung der Grenze zwischen dem Kilimandjaro und der ostafrikanischen Küste und über die beiderseitigen Interessensphären in dem Gebiete am Golf von Guinea getroffen. Ihnen folgten, ebenfalls während der 90er Jahre, ein Abkommen mit Portugal über die ostafrikanische Südgrenze und die wichtigen Verträge mit Frankreich über die Abgrenzung von Togo und über die zwischen Kamerun und dem französischen Kongo neben Festsetzung der Interessensphäre im Tschadsee-Gebiet. Schon kurze Zeit, nachdem die letztere auf einer Konferenz in Berlin durch Delegierte der beiderseitigen Kolonialämter in glücklicher Weise gelöst worden war, indem die willkürlich schematischen durch natürliche, für Deutschland günstige Grenzen ersetzt wurden, erfolgte durch den Marokko-Kongo-Vertrag eine vollständige Umgestaltung der Ost- und Südgrenze dieses Schutzgebietes. Gegen Abtretung des fruchtbaren, von einem besonders tüchtigen, volkreichen und wohlhabenden Stamme bewohnten sog. Zwischenstromlandes im Nordosten wurden sehr viel größere, auf etwa 250 bis 275  000 Quadratkilometer geschätzte Gebiete des französischen Kongo, südlich und östlich der bisherigen Kolonie Kamerun, eingetauscht. Die Befürworter des Abkommens hoben als besondere Vorzüge die Erwerbung größerer kautschukreicher Landstriche und die Ausdehnung des deutschen Gebietes bis an den Kongofluß und an den belgischen Kongostaat hervor. Dem stellten die Gegner desselben, zu denen, wie aus den im Reichstage vom Reichskanzler abgegebenen Erklärungen genügend bekannt geworden ist, in erster Linie der damalige Chef der Kolonialverwaltung [446] gehörte, mit großem Nachdruck eine Reihe von Nachteilen gegenüber, die nach ihrer Meinung die Vorteile mehr als aufwogen. Diese waren: das überaus ungesunde Klima in dem weitaus größten Teile des erworbenen Gebietes, vor allem die Verseuchung weiter Landstriche durch die gefährliche Schlafkrankheit, die Vergebung eines großen, und zwar gerade des kautschukreichsten Teiles an französische Konzessionsgesellschaften, die unnatürlich langgedehnten Grenzen mit den beiden schmalen Zipfeln nach den Flüssen Ubangi und Kongo, die infolge der Kongo-Katarakte nicht einmal für Seeschiffe erreichbar sind, und schließlich das Zugeständnis von 20 französischen Etappenposten im deutschen Gebiet, die nichts anderes als eine etwa 250 km lange Etappenstraße durch dasselbe bedeuten, militärisch die größten Bedenken erregen müssen und vom nationalen Standpunkte höchst bedauerlich erscheinen. Alles Authentische, was bisher über die neuerworbenen Gebiete zu uns gelangt ist, ist nicht dazu angetan, die Skeptiker eines anderen zu belehren. Daß tatsächlich Kautschuk in beträchtlicher Menge vorhanden ist, was übrigens von der Gegenseite niemals bestritten worden ist, scheint sich zu bestätigen. Der Ausbeutung der Bestände wird aber die Krisis auf dem Kautschutmarkte großen Eintrag tun. Leider hat die Schlafkrankheit eine noch erheblichere Ausdehnung, als selbst die größten Pessimisten angenommen hatten, sodaß ernstlich die Frage zu erwägen sein wird, ob nicht ein großer Teil des Gebietes bis auf Weiteres gänzlich für Weiße zu schließen sein wird. Ein Jahr zuvor war in Brüssel eine alte, für unser ostafrikanisches Schutzgebiet ungemein wichtige Streitfrage entschieden und die Grenze mit dem belgischen Kongo endgültig so festgelegt, daß das große und dicht bevölkerte Sultanat Ruanda, das Belgien zur Hälfte für sich beansprucht hatte, ungeteilt deutscher Besitz verbleibt, ein für uns sehr günstiger Ausgang, der wesentlich der ausgiebigen Zuziehung kolonialer Sachverständiger zu verdanken ist.

Das ostasiatische Schutzgebiet.

Einer kurzen, gesonderten Betrachtung bedarf noch unser ostasiatisches Schutzgebiet, das Pachtgebiet Kiautschau. Dies rechtfertigt sich aus dem von den übrigen Kolonien völlig verschiedenen Grundcharakter und dementsprechenden Entwickelungsgang desselben. Unser asiatisches Schutzgebiet spielt die doppelte Rolle einer deutschen Flottenbasis im fernen Osten und einer typischen Handelskolonie, deren wirtschaftliche Hauptfunktion in einer amtlichen Denkschrift treffend als „in der Vermittelung des Güteraustausches zwischen zwei großen Wirtschaftsgebieten liegend“ bezeichnet wird. Von vornherein reichlich mit Mitteln ausgestattet, unter starkem militärischen Schutz stehend, sind ihr kriegerische Verwickelungen und sonstige Rückschläge erspart geblieben, durch die der Fortschritt der übrigen Kolonien jahrzehntelang gelähmt wurde.

Nach einem sorgfältig erwogenen Plan ging man sofort nach der Besitzergreifung daran, die Bedingungen für einen erstklassigen Handelsplatz und Umschlagshafen durch moderne und groß angelegte Hafeneinrichtungen zu schaffen, und das reiche und bevölkerte Hinterland, vor allem die Provinz Schantung, durch Verkehrswege zu erschließen. Hier ist vor allem die etwa 400 km lange Deutsche Schantung-Eisenbahn zu nennen, deren Reinertrag im Jahre 1912 sich auf 5½ Mill. M. belief und die durch ein neuerliches Abkommen [447] mit der Tientsin-Puchou-Eisenbahn Zugang zum Hoangho erhalten hat. Über sie laufen namentlich auch die Kohlenförderungen der demnächst mit der Eisenbahngesellschaft ganz zu verschmelzenden Schantung-Bergbaugesellschaft, die 1912 insgesamt bereits nahezu 3 Millionen Tonnen erreicht hatten. Hierdurch gelang es, den Schiffsverkehr – auch den fremdländischen – erheblich zu vermehren, den Handel des Hinterlandes immer mehr nach Tsingtau zu ziehen, aber auch einen Eigenhandel zu schaffen, so daß die Kolonie schon nach einigen Jahren einen guten und gleichmäßigen Aufschwung nahm, während für die deutsche Volkswirtschaft eine von Jahr zu Jahr zunehmende Anzahl wichtiger und gewerblicher Handelsbeziehungen entstand. Dem Unterrichtswesen wurde größte Fürsorge zugewandt und durch die Organisation desselben systematisch auf eine Annäherung europäischer und chinesischer Zivilisation hingearbeitet. Die Entwickelung, welche die deutsch-chinesische Hochschule nahm, die 350 Schüler zählt, ohne daß dem Verlangen um Zulassung wegen Raummangels genügt werden könnte, zeigt, daß es immer mehr gelingt, deutsche Bildung und deutsche Sprache in Ostasien zu verbreiten. Daneben ist aber auch für europäische Kinder durch Errichtung eines ständig an Schülerzahl zunehmenden Reform-Realgymnasiums bis Untersekunda und der Berechtigung zum Einjährig Freiwilligen-Dienst gesorgt.

Auch auf anderen Gebieten wurde eifrig gearbeitet. Erwähnt seien die Einführung des Strohbortenflechtbetriebes, die Förderung der Seidenraupenzucht, des Wege- und Straßenbaues, die nach einheitlichem Plane erfolgte Anlage und Ausdehnung der Stadt, die in der Landordnung zum Ausdruck gelangende planmäßige Bodenpolitik und die von Anfang an der Aufforstung von Ödländereien zugewandte Fürsorge der Regierung. Diese gesunde Grundlage, auf der die Entwickelung der Kolonie aufgebaut ist, dürfte wesentlich mitgewirkt haben, daß die schweren weltwirtschaftlichen und ostasiatischen Krisen der Jahre 1907/8 und 1910 nicht nur leichter und schneller überwunden wurden, als in den anderen großen Handelsplätzen des Ostens, sondern sogar dazu beitrugen, daß sich fremdländische Firmen in zunehmendem Maße im Schutzgebiete niederließen, und daß die Zuwanderung von Chinesen so wuchs, daß sie nach den neuesten Feststellungen auf etwa 12 000 Seelen in einem Jahre geschätzt wird. Dementsprechend ist der Gesamthandel in den letzten 10 Jahren von rund 20 auf 180 Millionen, die eigenen Einnahmen von 200 000 auf über 6 Mill. M. gestiegen, denen man allerdings entgegenstellen muß, daß der jährliche Reichszuschuß, einschließlich der Ausgaben für das ostasiatische Marinedetachement, der sich bis 1912 im ganzen auf 156½ Mill. M. beläuft, immer noch 9½ Millionen beträgt.

Rückblick und Ausblick.

Das bezahlte Lehrgeld nicht zu hoch.

Sicherlich kann man nicht mit ungeteilter Freude auf die letzten fünfundzwanzig Jahre kolonialer Entwickelung zurückblicken, die in den beiden ersten Jahrzehnten dieses Abschnitts viele Stockungen und Rückschläge aufzuweisen hat. Aber diese [448] sind keiner Kolonialmacht in ihren Kindheitsjahren erspart geblieben. Im Gegenteil: alle übrigen Kolonialländer haben erheblich größere Opfer an Gut und Blut bringen müssen, als wir. Wir haben Lehrgeld zahlen müssen, aber schließlich kein zu hohes gegenüber dem bleibenden Gewinn, den uns die Kolonien gebracht haben und hoffentlich in noch gesteigertem Maße bringen werden. Sie haben den Gesichtskreis des deutschen Volkes erweitert, indem sie noch intensiver, als dies unser Außenhandel vermochte, den Blick aller Berufsstände unseres Volkes über das Meer lenkten. Unsere Kolonialpolitik hat im Verein mit dem Ausbau unserer Flotte aus der Kontinentalmacht eine Weltmacht geschaffen. Durch unseren Kolonialbesitz ist ferner überseeische Betätigung auf deutschem Grund und Boden ermöglicht worden. Ihm haben wir es zu danken, daß von den Tausenden, welche noch immer jährlich das Vaterland verlassen, wenigstens ein – wenn auch nur kleiner – Prozentsatz durch Niederlassung auf deutscher Erde dem Deutschtum dauernd erhalten wird.

Ideeller Nutzen der Kolonien für das deutsche Volk.

Unsere Kolonien haben aber auch ihr Teil dazu beigetragen, uns bis zu einem gewissen Grade vor Verweichlichung und Materialismus zu bewahren. Denn die Pionierarbeit drüben, wenn sie von Erfolg gekrönt sein soll, erfordert einen ganzen Mann, der Furcht nicht kennt, sich vor keiner Arbeit scheut und überall selbst mit zugreift, der Strapazen, Hunger und Durst erträgt, ohne mit der Wimper zu zucken. Hierin haben es unsere braven Kolonialkrieger allen voran getan! . . Sie haben uns den handgreiflichen Beweis geliefert, daß trotz der langen Friedenszeit der Geist, der unser Volk vor 100, 50 und 40 Jahren beseelte, noch nicht geschwunden ist, wie sehr auch dagegen anzustürmen versucht wird. Aber kaum weniger als die Kolonialkriege härtet die koloniale Friedensarbeit ab und stählt den Charakter; das ist der große moralische Nutzen, den wir aus unseren Kolonien ziehen. Aber nicht nur in ideeller, auch in materieller Beziehung versprechen die Kolonien ein immer größerer Gewinn für unser Vaterland zu werden.

Bedeutung der Kolonien für Handel, Industrie und Landwirtschaft.

Denn seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts können die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen unserer Kolonialpolitik als so gesund betrachtet werden, und befinden sich die Schutzgebiete in einem so anhaltenden Aufschwung, daß eine ruhige stetige Weiterentwickelung völlig gesichert erscheint, insofern sie nicht durch äußere Erschütterungen gestört wird. Sie kann durch Fehler und Mißgriffe wohl vorübergehend beeinträchtigt und verlangsamt, aber kaum mehr ernstlich gefährdet werden. Ganz besonders wichtig ist der Erwerb unserer Kolonien für unseren Handel und unsere Industrie. Denn mit der weiteren Erschließung und wirtschaftlichen Entwickelung, mit der Zunahme der Bedürfnisse der Eingeborenen und ihrer Kaufkraft, mit dem Wachsen der weißen Bevölkerung wird die Bedeutung derselben als Absatzmärkte sich nach menschlicher Voraussicht so heben, daß Handel und Industrie große Vorteile aus ihnen ziehen werden. Dies ist um so freudiger zu begrüßen, als sich unverkennbar bei anderen Kolonialmächten immer mehr das Bestreben geltend macht, ihre Kolonien ausschließlich für ihren eigenen Absatz nutzbar zu machen. Von noch größerer Bedeutung dürften sie [449] als Bezugsquellen von überseeischen Rohstoffen werden, deren Bedarf zurzeit nur zu einem sehr geringen Prozentsatz aus den Schutzgebieten und noch fast ganz vom Auslande gedeckt wird, wenn auch die Produktion derselben in unseren Kolonien jährlich zunimmt. Hält man sich vor Augen, daß Deutschland an solchen Rohstoffen heute für 2,9 Milliarden M. einführt, und daß der Verbrauch derselben rapide zunimmt, so kann kein Zweifel darüber herrschen, von welcher eminenten nationalen Bedeutung es ist, daß wir mit allen Kräften danach streben, unsere Industrie hinsichtlich der Befriedigung ihres Rohstoffbedarfs je länger je mehr unabhängig vom Auslande zu machen, denn wir können ihn bei entsprechender Vermehrung der Produktion zum guten Teil sicherlich aus unseren Kolonien decken. Aber auch für unsere heimische Landwirtschaft sind die Kolonien von größter Wichtigkeit, namentlich mit Rücksicht auf die Möglichkeit des Bezugs wertvoller Futterstoffe, deren Bedarf aus dem Auslande nach Wohltmann im Jahre 1911 den Wert von nicht weniger als 460 Mill. M. betragen hat. Ein Vergleich der gewaltigen Flächen, die in unserem überseeischen Besitz noch ungenutzt liegen, mit denjenigen, die sich nach der amtlichen Plantagenstatistik von 1911/12 unter Kultur befinden und in runden Zahlen in Ostafrika auf 82 000 ha, in Neuguinea auf 28 000, in Kamerun auf 20 000, in Samoa auf 8400 und in Togo auf 1000 ha angegeben werden, zeigt, daß wir erst ein verhältnismäßig kleines Stück Weges unserer kolonialen Entwickelung zurückgelegt und noch ein großes zu durchmessen haben. Indes, die Ausblicke, die sich nach den verschiedensten Richtungen in unsere koloniale Zukunft eröffnen, erscheinen so hoffnungsfroh, daß wir mit vollstem Vertrauen fürderhin auf ein schnelleres Tempo in unserer kolonialen Entwickelung rechnen können. „Vorwärts“ sei drum die Losung! –