Die Räuber (Schiller-Galerie)

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Autor: Friedrich Pecht
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Titel: Die Räuber
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aus: Schiller-Galerie. Charaktere aus Schiller’s Werken, gezeichnet von Friedrich Pecht und Arthur von Ramberg. Funfzig Blätter in Stahlstich mit erläuterndem Text von Friedrich Pecht
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Karl Moor.

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KARL MOOR.
(Die Räuber.)


Unsere eigene Natur ist der Zettel, die Welt der Einschlag, die zusammen erst das Gewebe des ganzen Menschen bilden. Die fertige Persönlichkeit ist nicht blos das Product der angeborenen geistigen Anlage und Empfindungsweise, sie ist auch das der ihr im Laufe des Lebens entgegentretenden Erfahrungen, der Einwirkungen der Aussenwelt, die jene entwickeln, aber auch umformen, und mit jenen zusammen erst einen Charakter bilden. Gerade die reichsten Naturen müssen durch den unvermeidlichen Contact mit dem Leben um so mehr umgebildet werden, je mannichfaltiger sich dieses gestaltet, und es ist vollkommen unrichtig, wenn man von einem begabten Menschen erwartet, dass er im funfzigsten Jahre derselbe sein soll wie im achtzehnten, wo sein Leben meist noch ein unbeschriebenes Blatt Papier war, dem die Erfahrung erst die mannichfaltigste Färbung geben, es arm und dunkel oder glänzend und reich erscheinen lassen kann. Es sind daher diejenigen, bei denen diese Einwirkung der Aussenwelt eine geringe Veränderung hervorbringt, und denen man daher vorzugsweise das Prädicat von „Charakteren“ zu geben liebt, in der Regel entweder arme Naturen, oder ihr Leben war arm.

Letzteres ist aber bei einer so reich begabten Künstlerseele, wie die Schiller’s war, geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, da eine solche allemal das ganze Leben ihrer Zeit mitlebt, in sich aufnimmt und widerspiegelt, wie ein Diamant den kleinsten Lichtstrahl auffasst und tausendfältig bricht, während eine Welt voll Sonnenlicht dem Kiesel keinen Glanz verleihen kann. Wenn die Reibung des äussern Lebens aber den Edelstein immermehr zu seinem rechten Werthe bringt, ihn immer strahlender macht, so vermag sie den Kiesel nicht zu ändern; sie [Ξ] kann ihn abschleifen, zerbröckeln, niemals aber seinen Werth erhöhen, und wenn sie ihn auch über und über in Gold fasste, während jener erst durch sie zu seiner rechten Bedeutung kommt.

Man kann sich daher nicht wundern, wenn wir die Persönlichkeit des Dichters als eine so ganz andere beim Anfang seiner Laufbahn sehen, als wir sie bei erlangter Reife nach der Läuterung eines reichen innern und äussern Lebens wiederfinden. Da diese die erhabenste und Ehrfurcht einflössendste, nachdem sie sich siegreich durchs Leben durchgerungen, so kann es uns nur um so mehr interessiren, sie bis in ihre Anfänge bei der ersten gewaltigen Aeusserung zu verfolgen, wie sie uns in den „Räubern“ vorliegt.

„Im Anfang war die Kraft“, muss man hier, wie in der Bibel, sagen, wo wir sie sofort den Kampf mit der ganzen Weltordnung aufnehmen und in der energischsten Weise durchführen sehen, soweit ihr eben diese Welt erreichbar und bekannt geworden. Dass das nur ein sehr kleines Stück ist; dass Karl mit seiner grossen Natur nichts anderes zu thun weiss, als aus innerer Empörung gegen das „tintenklecksende Säculum“ in die Wälder zu gehen, Räuberhauptmann zu werden und sich mit der Polizei herumzuschlagen, dieses kindische Misverhältniss zwischen der Absicht, die er hat, und den Mitteln, die er zu ihrer Erreichung wählt: – das zeigt uns besser als alles, wie so etwas nur auf den staubigen Bänken der Karlsschule reifen konnte!

Die unwiderstehliche Wirkung, die er auf die damalige Jugend ausübte, wird uns aber durch das ausserordentliche Talent erklärt, welches der Dichterjüngling an die Erreichung dieses bizarren Ziels wendet. Gleicht Karl in seiner tollen Jagd auf die dicken Pfaffen und reichen Pächter durchaus jenem Riesen, der mit Mühlsteinen nach Spatzen warf, und malt uns damit deutlicher als alles den engen Horizont des Dichters, der vorläufig nur – von Stuttgart bis Ludwigsburg ging, so begreift man das Entsetzen, welches den welterfahrenen Goethe bei solch unbändigem Gebaren anwandeln musste, wie den Jubel der Jugend, der dieses Studententhum so aus der Seele geschrieben war, und die sich von Karl blos dadurch unterschied, dass [Ξ] dieser erstens die Mühlsteine wirklich zu schleudern vermag, und zweitens bald genug zur Erkenntniss seines thörichten Beginnens kommt. Sagt er doch selber von sich:

Da steht der Knabe, schamroth und ausgehöhnt vor dem Auge des Himmels, der sich anmasste, mit Jupiter’s Keule zu spielen, und Pygmäen niederwarf, da er Titanen zerschmettern sollte.

Karl, in dem der Dichter seine eigene Subjectivität wie nirgend anders niederlegt, ist in dem, was er uns von seinem innern Leben sagt, bereits voll jenes hohen Sinnes, jener Verachtung alles Gemeinen und Niedrigen, die der entschiedenste Charakterzug der Schiller’schen Muse bleibt, derjenige, der sie auf allen ihren sonstigen Umwandelungen unverändert begleitet; wie die Studenten- und spätere Räuberwirthschaft im Stück geschildert wird, das zeugt von einer plastischen Kraft, die uns dieselbe lebendig werden und im Gedächtniss eingegraben bleiben lässt. Trotzdem, dass wir Karl’s Irrthümer beständig tadeln oder selbst belächeln, so fesselt uns das Heroische im Charakter desselben doch. Er sieht in seinem Unmuth nur die Schattenseite der Dinge, aber diese trefflich, wie wir aus seiner echt studentischen Schilderung des Jahrhunderts, weiter aus der Aeusserung sehen, dass „das Gesetz noch nie einen grossen Mann gebildet“. Dass die grossen Männer aber dazu da sind, die Gesetze zu machen, nicht sie zu zerstören – das pflegt man mit zwanzig Jahren und einer glühenden Seele eben noch nicht so genau zu wissen!

Schlechte Dichter sagen uns, ihr Held sei geistreich, bedeutend, gross, während er die gewöhnlichsten Dinge vorbringt; Schiller’s Karl ist es wenigstens bis zu einem gewissen Grade wirklich, in allem was er äussert, spricht sich jedenfalls ein ungewöhnlicher Mensch aus, trotz der Ueberschwenglichkeit, trotz seines Irrthums, ja selbst trotz des schwülstigen Pathos, in das er alle Augenblicke zurückfällt.

Wenn ihn aber der Dichter diesen Irrthum vollkommen erkennen und aussprechen lässt:

O über mich Narren, der ich wähnte, die Welt durch Greuel zu verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten!

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Ich nannte es Rache und Recht. – Ich masste mir an, o Vorsicht, die Scharten deines Schwertes auszuwetzen und deine Parteilichkeiten gut zu machen – aber – o eitle Kinderei – da steh’ ich am Rande eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, dass zwei Menschen, wie ich, den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grunde richten würden. Gnade – Gnade dem Knaben, der dir vorgreifen wollte – dein eigen ist die Rache. . . . Aber noch blieb mir etwas übrig, womit ich die beleidigten Gesetze versöhnen und die mishandelte Ordnung wiederum heilen kann –

und so die Lösung und Versöhnung der Greuel herbeiführt, in die er durch den tollen Uebermuth und Ungestüm der Jugend Schritt für Schritt immer tiefer hineingerathen, – so ist das, fürchten wir, wenigstens in dieser Form ein späterer Zusatz, eine Reflexion, die der Dichter selbst über Karl machte, als er das Stück überarbeitete.

Für die Darstellung des Künstlers sind uns durch die Andeutungen des Dichters hinlängliche Winke gegeben, da gleich im Anfang seine hohe, stolze und mächtige Gestalt erwähnt wird, später Franz ihn bei seinem Besuch auf dem Schlosse seiner Väter an dem wilden sonnverbrannten Gesicht, dem langen Hals, seinen schwarzen feuerwerfenden Augen, den finstern überhängenden buschigen Augenbrauen erkennt. Die Scene, in der wir ihn dargestellt sehen, ist der berühmte tiefsinnige Monolog, wo er, von dem Wiedersehen Amalia’s zurückkommend, mit verzweifelnder Seele an die Selbstvernichtung denkt und vor sich hinmurmelt:

Wenn der armselige Druck dieses armseligen Dings (die Pistole vors Gesicht haltend) den Weisen dem Thoren – den Feigen dem Tapfern – den Edeln dem Schelmen gleichmacht?

Verübt Karl alle möglichen Greuel und raisonnirt nachher empfindsam darüber, so ist dieser schreiende Widerspruch zwischen seinen Empfindungen und seinem Thun freilich nicht zu lösen: er lag noch in der Seele des Dichters selber, der einen fremden Menschen zeichnen wollte, und ihm doch immer die eigenen Empfindungen lieh.



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Amalia.

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AMALIA.
(Die Räuber.)


Vermag man doch nie zu schildern, was man nicht kennen gelernt! So dürfen wir uns denn nicht wundern, wenn der Zögling der Karlsschule in seinem Erstlingswerke der einzigen Frauengestalt desselben kein rechtes Leben zu verleihen, sie uns nicht so deutlich zu gestalten wusste, als die Figuren der wilden Genossen des jungen Poeten, der Roller, Schweizer, Spiegelberg u. a. m., die er nach dem Leben zeichnete.

Hat der Dichter in Karl sich selbst geschildert, die eigene flammende Empörung gegen die Ordnung der Dinge, die ihn umgab, gegen einen gesetzlichen Zustand, der ihm in einen todten Mechanismus verkehrt schien, so können wir dagegen aus seiner Amalia, zu der ihm schwerlich ein lebendes Original die Züge geliehen, nur sehen, wie er sich damals edle Frauen dachte, ehe er sie kannte. Es ist dies indess bei einem Talent von dieser Bedeutung auch schon interessant genug, um sich der Mühe zu unterziehen, die etwas unklaren und flüchtig gezeichneten Züge zusammenzusuchen, die er ihr gibt.

Eine arme Nichte des alten Moor, früh Waise, ist sie in dessen Hause erzogen worden, auf gleichem Fusse mit den beiden Brüdern aufgewachsen. Es verstand sich also fast von selbst, dass sich ihr glühendes, liebebedürftiges Herz unter diesen Umständen der herrlichen Erscheinung des ältern Bruders zuwandte. Sagt doch der neidische Franz von ihm:

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Hier, hier herrschte Karl wie ein Gott in seinem Tempel, Karl stand vor dir im Wachen, Karl regierte in deinen Träumen, die ganze Schöpfung schien dir nur in den Einzigen zu zerfliessen, den Einzigen widerzustrahlen, den Einzigen dir entgegenzutönen.

In diesem allmächtigen Gefühl der Liebe geht ihre schwärmerische Seele ganz auf, an ihm, dem Einzigen, hängt sie mit unerschütterlicher Treue, bei allen Verdächtigungen des Bruders, die sie eher als solche erkennt denn der leichtgläubige Vater, welchem gegenüber sie den Geliebten muthig vertheidigt. Die Liebe, die uns alle verwandelt, gibt ihr also bald Muth und Stärke, macht sie zur Heldin, lehrt sie den Listigen durchschauen und den Schlechten verachten, sie lässt ihr alle Empfindungen, von der seligsten bis zur tödlichsten, durchkosten, schafft ihr einen Reichthum, den sie vorher kaum geahnt, denn die Liebe ist ja die Lehrmeisterin der Frauen.

Diesen Muth der Liebe bewährt das schwache Mädchen glänzend dem tückischen Bruder Karl’s gegenüber, dem sie, obwol er ihr Schicksal in seiner Hand hat, doch ihre Verachtung überall bezeigt, ja ihm, da er sie mit seinen Liebkosungen verfolgt, den Degen entreisst und den Feigen in die Flucht schlägt. Dieser Zug ist um so richtiger, als er uns auch die wilde Glut des kalten Franz für sie erklärlicher macht, da eine entschlossene Frau einen ganz besondern Reiz für einen feigen Wüstling haben muss; ein schwaches Weib würde Franz rücksichtslos misbrauchen und zertreten. Jetzt kann er blos ihr Herz zerreissen durch die Nachricht von Karl’s Tode, die ihr der selbst von Franz hintergangene und lediglich als Werkzeug gebrauchte Hermann bringt; – ihre Treue erschüttern kann der reiche Graf nicht, diese wird erst in die seltsamste Verwirrung gebracht, als ihr der Geliebte nach jahrelanger Trennung in der Verkleidung als Fremder erscheint und sofort ihre Neigung wieder gefangen nimmt, da seine Erscheinung ihr die ganze wonnevolle Zeit ihres Zusammenseins mit Karl vor die Seele ruft.

In dieser Scene hat sie uns der Künstler gezeigt, wie sie den Fremden in der Ahnengalerie herumführt, versunken in schmerzliche Erinnerung an alte Seligkeit, die sich jetzt mit der Gegenwart [Ξ] so sonderbar für sie verknüpft, ihm Karl’s Bildniss zeigend und auf seinem Antlitz Lösung des Räthsels suchend. Er hat sich Amalia als eine schlanke hohe Gestalt gedacht, mit grossen dunkeln schwärmerischen Augen, vollen Lippen, die von Sehnsucht und Zärtlichkeit geschwellt sind, einer hohen Stirn, auf welcher der Schmerz zuckt und die bittere Frage an das Schicksal, warum es gerade ihr allen Reiz des Lebens entziehen musste, wie es sich in ihren Worten ausspricht:

Dahin! wie unsere besten Freuden dahingehn. . . . Alles lebt, um traurig wieder zu sterben. Wir interessiren uns nur darum, wir gewinnen nur darum, dass wir wieder mit Schmerzen verlieren.

Das Heftige, Ueberschwengliche, die rücksichtslose Leidenschaft, die alles, was Schiller in dieser ersten Periode schrieb, durchzieht, pulsirt auch in Amalia, so oft sie – und das ist so ziemlich immer – an ihre Liebe denkt, ob sie nun dem Todtgeglaubten nachweint, oder sich der Erinnerung an vergangene Tage hingibt:

Sein Umarmen – wüthendes Entzücken! –
Mächtig, feurig klopfte Herz an Herz,
Mund und Ohr gefesselt – Nacht vor unsern Blicken –
Und der Geist gewirbelt himmelwärts. . . . .
Er ist hin. – Vergebens, ach! vergebens
Stöhnet ihm der bange Seufzer nach.
Er ist hin – und alle Lust des Lebens
Wimmert hin in ein verlornes Ach! –

oder ob sie mit Schauder dieselben Empfindungen endlich für den Fremden entdeckt:

Du weinst, Amalia? – und das sprach er mit einer Stimme! mit einer Stimme – mir war’s, als ob die Natur sich verjüngte – die genossenen Lenze der Liebe dämmerten auf mit der Stimme! Die Nachtigall schlug wie damals – die Blumen hauchten wie damals – und ich lag wonneberauscht an seinem Hals. – Ha! falsches, treuloses Herz! wie du deinen Meineid beschönigen willst!

So unglaublich auch dieses ganze Nichterkennen aussieht, da sie Karl ja doch nachher im Walde gleich erkennt, so ist doch jedenfalls [Ξ] mehr Consequenz in ihrem Benehmen als in dem Karl’s, der in jeder Lage lediglich der augenblicklichen Stimmung gehorcht, während sie ihre Leidenschaft nie vergisst, immer derselben gemäss handelt und spricht, ob sie nun bei diesem letzten Wiedersehen in Entzücken vergehen will:

Ich hab’ ihn, o ihr Sterne! Ich hab’ ihn! . . . . Ewig sein! Ewig, ewig, ewig mein! – O, ihr Mächte des Himmels! Entlastet mich dieser tödlichen Wollust, dass ich nicht unter der Bürde vergehe!
Karl Moor. Reisst sie von meinem Halse! Tödtet sie! Tödtet ihn! mich! euch! alles! Die ganze Welt geh’ zu Grunde! (Er will davon.)
Amalia. Wohin? was? Liebe! Ewigkeit! Wonne! Unendlichkeit! und du fliehst?
Karl Moor. Weg, weg! – Unglückseligste der Bräute! – Schau’ selbst, frage selbst, höre! – Unglückseligster der Väter! Lass’ mich immer ewig davonrennen!
Amalia. Haltet mich! Um Gottes willen, haltet mich! – es wird mir so Nacht vor den Augen. – Er flieht! –

oder, vom Entsetzen über seine und ihre Lage ergriffen, ihn um den Tod fleht:

O, um Gottes willen! um aller Erbarmungen willen! Ich will ja nicht Liebe mehr, weiss ja wohl, dass droben unsere Sterne feindlich voneinander fliehen – Tod ist meine Bitte nur.



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Franz Moor.

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FRANZ MOOR.
(Die Räuber.)


Als des „kalten, trockenen, hölzernen Franz“ erwähnt sein eigener Vater der giftigen Viper, deren furchtbarer Charakter als eine der genialsten Schöpfungen unsers Dichters wol immer anerkannt bleiben wird. Jene Benennung scheint sprichwörtlich gewesen zu sein im Moor’schen Schlosse, um den jüngern der beiden Söhne zu bezeichnen, ehe man ihn noch besser kannte.

Doch sehen wir gleich in der ersten Scene, dass es ihm weder an Witz noch an Bosheit fehlt, am allerwenigsten aber an Reflexion; die Neigung zur Sophistik, zum Klügeln ist vielmehr das hervortretende Element bei ihm, er hat einen starken philosophischen Tic und beurkundet überall seine genaue Bekanntschaft mit der materialistischen Philosophie des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, – ihr ganzes Raisonnement hat er sich angeeignet und es zur Rechtfertigung seiner entsetzlichen Wünsche vor sich selber verbraucht.

Bekanntlich ist man viel mehr geneigt, die glänzenden äussern Vorzüge anderer zu beneiden als ihre innern, bei denen man sich gewöhnlich mit der Ableugnung derselben hilft. Die blendende Erscheinung des ältern Bruders, die ihres Schönheitszaubers halber überall vorgezogen wurde, hat den jüngern von Jugend auf gegen die Natur, die ihm so parteiisch erscheint, mit einem Hass getränkt, dessen Glut so verzehrend ist, dass ihm auch alle Bande, die sie knüpft, nicht minder zuwider werden, und er nach und nach in den vollkommensten [Ξ] Aufruhr gegen sie geräth. Diese wilde Empörung gegen die Natur wird zum Grundgedanken seines Wesens, den er sich unumwunden gesteht, wenn er sagt:

Ich habe grosse Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und, bei meiner Ehre! ich will sie geltend machen. . . . . Warum musste sie mir diese Bürde von Hässlichkeit aufladen? gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei meiner Geburt einen Rest gesetzt hätte. Warum gerade mir die Lappländersnase? gerade mir dieses Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?

Der Künstler hatte die Winke, die hier gegeben sind, nur zu vervollständigen, dem Franz, der sich hier so wenig schmeichelhaft malt, noch jenes tückische, äusserlich gemessene, innerlich leidenschaftliche Aussehen zu geben, jenen Hang zur Reflexion zu markiren, das Versteckte, unheimlich Brütende des Charakters zu malen, wie es in seiner Erscheinung überall heraustritt. Es ist eine Stubenhocker-Natur; sind seine Wünsche und Leidenschaften der wildesten Art, so lässt ihn sein nervöses Temperament doch überall im Stich, sobald er Muth braucht. Feigheit und Grausamkeit sind Vettern, die fast immer zusammen auftreten, und auch bei Franz ist dies der Fall. Er ist ein blasser, rothhaariger sommersprossiger Mensch mit übereinander gekniffenen fahlen Lippen, der niemand gerade, sondern nur von der Seite oder von unten herauf ansehen kann, ein hoher Zwanziger mit einem unausgebackenen Bubengesicht, in dem nur die Stirn breit und mächtig entwickelt, das Uebrige unfertig ist. Franz ist eitel, also reich gekleidet, obwol die beständige innere Bewegung ihn es nur nachlässig besorgen lässt. Ebenso muss er vornehm aussehen selbst in der wildesten Leidenschaft; das Nesthähnchen einer alten Familie darf das Verwöhnte und Verweichlichte nicht vermissen lassen. Hat er wenig Muth, so fehlt es ihm weder an Geist und Scharfsinn noch an Phantasie, und gaben ihm die erstern reiche Hülfsquellen an die Hand, so lässt ihn die letztere im Bewusstsein seines erfinderischen Geistes seine Kraft sogar noch fortwährend überschätzen:

Schwimme, wer schwimmen kann, und wer plump ist, geh’ unter! Sie gab mir nichts mit; wozu ich mich machen will, das ist nun meine

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Sache. Jeder hat gleiches Recht zum Grössten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnt beim Ueberwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.

Die Grundlage seiner Bildung, die materialistische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts zeigt sich besonders in allen seinen Raisonnements über das Gewissen:

Ehrlicher Name! – wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer’s versteht sie gut auszugeben. Gewissen, – o ja, freilich! ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschrecken!. . . .
In der That sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respect und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheidten es desto bequemer haben. . . .
Also frisch drüber hinweg! Wer nichts fürchtet, ist nicht weniger mächtig als der, den alles fürchtet.

Ebenso erscheint sie wie er sich über die Bande des Bluts lustig macht:

Es ist dein Vater! er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch, sein Blut – also sei er dir heilig! Wiederum eine schlaue Consequenz! . . . . Soll ich ihm etwa darum gute Worte geben, dass er mich liebt? Das ist eine Eitelkeit von ihm, die Schossünde aller Künstler, die sich in ihrem Werk kokettiren, wär’ es auch noch so hässlich. – Sehet also, das ist die ganze Hexerei, die ihr in einen heiligen Nebel verschleiert, unsere Furchtsamkeit zu misbrauchen. Soll auch ich mich dadurch gängeln lassen, wie einen Knaben? –

oder sich gar den Vatermord plausibel macht:

Soll sich mein hochfliegender Geist an den Schneckengang der Materie ketten lassen? Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den letzten Oeltropfen noch wuchert – mehr ist’s nicht.

Findet man sich so mit dem Gedanken des Mordes am eigenen Vater ab, so ist natürlich der vom Bruder eine wahre Kleinigkeit:

Glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag alte Wucherer auf dem Todesbette foltern – bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen.

Zur Vollendung des Porträts gehört noch die Sinnlichkeit, da diese und Grausamkeit ja immer zusammenwohnen.

[Ξ] Die letzten Scenen, in denen das verhöhnte und verlachte Gewissen endlich doch seine Rechte geltend macht, und er von ihm gepeitscht umherrennt, sind von einer schauerlichen Wirkung, welche die ganze Macht von Schiller’s Talent bereits im hellsten Glanze zeigt, und es erschüttert uns, wenn der Bösewicht alle die Argumente hervorsucht, die ihm einst eine so leichte Brücke zum Verbrechen gebaut, und sie jetzt rettungslos unter ihm zusammenbrechen:

Pöbelweisheit, Pöbelfurcht! – Es ist ja noch nicht ausgemacht, ob das Vergangene nicht vergangen ist, oder ein Auge sich findet über den Sternen. . . .
Sterben! warum packt mich das Wort so? Rechenschaft geben dem Rächer droben über den Sternen – und wenn er gerecht ist, Waisen und Witwen, Unterdrückte, Geplagte heulen zu ihm auf, und wenn er gerecht ist? – warum haben sie gelitten, warum hast du über sie triumphirt?. . . .
Es ist kein Gott!. . . . Ich weiss wohl, dass derjenige auf Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist; aber er wird garstig betrogen. Ich hab’s immer gelesen, dass unser Wesen nichts ist, als Sprung des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und Gedanke. . . . Ich will aber nicht unsterblich sein – sei es, wer da will, ich will’s nicht hindern. Ich will ihn zwingen, dass er mich zernichte, ich will ihn zur Wuth reizen, dass er mich in der Wuth zernichte. Sage mir, was ist die grösste Sünde und die ihn am grimmigsten aufbringt? . . . .
(Auf den Knien.) Höre mich beten, Gott im Himmel! – Es ist das erste mal – soll auch gewiss nimmer geschehen. – Erhöre mich, Gott im Himmel! . . . . (Betet.) Ich bin kein gemeiner Mörder gewesen, mein Herrgott – hab’ mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben, mein Herrgott. . . . Ich kann nicht beten – hier, hier! (Auf Brust und Stirn schlagend.) Alles so öde – so verdorrt. (Steht auf.) Nein, ich will auch nicht beten – diesen Sieg soll der Himmel nicht haben, diesen Spott mir nicht anthun die Hölle.

Diese allmähliche Steigerung der Todesangst ist mit ebenso grosser plastischer Kraft geschildert, als es psychologisch richtig ist, dass das Scheusal aus Furcht vor dem Tode sich selbst erdrosselt.