Die Verschwörung des Fiesco (Schiller-Galerie)

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Autor: Friedrich Pecht
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Titel: Die Verschwörung des Fiesco
Untertitel:
aus: Schiller-Galerie. Charaktere aus Schiller’s Werken, gezeichnet von Friedrich Pecht und Arthur von Ramberg. Funfzig Blätter in Stahlstich mit erläuterndem Text von Friedrich Pecht
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Fiesco.

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FIESCO.
(Die Verschwörung des Fiesco.)


Ist es die Empörung gegen das Bestehende, der revolutionäre Geist, der alle drei Jugendarbeiten Schiller’s beseelt, so tritt er in den „Räubern“ unstreitig am unbändigsten auf, er richtet sich gegen die ganze Gesellschaft, im „Fiesco“ dagegen beschränkt er sich bereits auf die Auflehnung gegen den Staat, wie er in „Kabale und Liebe“ die Standesunterschiede angreift.

„Fiesco“ sollte ein „republikanisches Trauerspiel“ sein, also doch wol eine Apotheose dieser Regierungsform versuchen. Unter Schiller’s Händen wurde aber etwas anderes daraus, beinahe das Gegentheil, denn die meisten Figuren, die ihm wirklich lebendig geriethen: Gianettino Doria, der Mohr, Sacco, Calcagno, sind nichts weniger als geeignete Bürger einer Republik, ihr bevorzugter Vertreter Verrina aber, mit seinem kalten, inhaltsleeren, conventionellen Römerthum, ist auch nicht angethan, uns ihre Möglichkeit begreiflich zu machen; – kurz, des Dichters Genie hatte mehr den Instinct des Wahren, als seine damalige Weltanschauung Richtigkeit. Es ist viel Reminiscenz an „Coriolan“ und „Julius Cäsar“, an „Emilia Galotti“ u. a. in dem Stück; Julia, Verrina, der Mohr sind alte Bekannte.

Um so origineller ist Fiesco selber angelegt, wir werden aber auch in dem, was wir mislungen nennen müssen, die Klaue des Löwen überall erkennen. Wie prachtvoll sind die Volksscenen, wie spannend reich an Erfindung, an unerwarteten Zwischenfällen, an erschütternden und fortreissenden Scenen das ganze Stück überhaupt, wie glücklich, mit welchem genialen Instinct ist endlich die nationale Färbung in dem Helden zur Erscheinung gebracht!

[Ξ] Fiesco ist ganz Italiener, Aristokrat und Politiker. Er hat das Wortreiche, die Liebe zum Vielreden seines Volks, die das Gutsprechen nicht beeinträchtigt, er hat die Tücke und Verschlagenheit, die Geistesgegenwart und schnelle Fassungskraft desselben. Grossartig und prächtig, dabei unmässig stolz wie der echte Aristokrat, und ausserdem noch ein wenig eitel im Genuss der eigenen glänzenden Persönlichkeit. Der rasende Ehrgeiz, der ihn verzehrt, ist wol mit Lust an der Intrigue, aber auch mit so viel Verachtung der Gefahr gepaart, um dem Helden doch unser Interesse, ja unsere Theilnahme zu sichern.

Am bewunderungswürdigsten ist aber, wie der junge Dichter den politischen Verstand in Fiesco zur Erscheinung zu bringen wusste, auch wenn wir die Reminiscenz an den Menenius und die Scene mit den Bürgern abrechnen, in der ihn unser Bild darstellt:

Die Regierung war demokratisch. . . . Mehrheit setzte durch. . . . Der Feigen waren mehr denn der Streitbaren, der Dummen mehr denn der Klugen. – Mehrheit setzte durch.

Schwarz, mit klugem, durchdringendem Schlangenauge, schlank und hoch von Wuchs, panthergleich lässig und sprungbereit. Charakteristisch ist besonders an ihm das Prächtige, Glänzende des Auftretens, das überall imponirt, ihm die Herzen der Frauen wie des Volks, kurz aller derer erwirbt, die bestochen, nicht überzeugt sein wollen; nicht umsonst sagt er von sich: „Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.“ Der geheimnissvolle Hintergrund, das Undurchdringliche in ihm, das alle die Weiber wie die Staatsmänner an ihm herausfühlen, vermehrt nur seine Macht, denn es reizt und spannt, wie alles Verhüllte. Es spricht nicht für die menschliche Natur, ist aber doch gewiss, dass offene, rückhaltlose, wenn auch noch so geistreiche Menschen es nicht zu dem Einflusse auf die Massen bringen werden, wie arglistige Politiker. Vielleicht liegt dieser Erscheinung der richtige Instinct zu Grunde, dass jene bei ihrer Vortrefflichkeit wol schwierige Plane zu fassen, aber nur schwer durchzuführen vermögen, denn alles Werden soll ins Dunkel gehüllt bleiben.

[Ξ] Was aber an Fiesco am meisten bezaubert, ist vor allem der Reichthum seiner Natur, die Unerschöpflichkeit; Adel der Bildung, Geist, männliche Schönheit, schneller Witz und Grazie, wie Feuer und Muth, – sie alle sind in ihm vereint, um die Schwachen und Empfänglichen nicht allein zu bezaubern, sondern ihn auch den Einsichtigen als zu grossen Dingen berufen erscheinen zu lassen.

Am eigenthümlichsten tritt diese Natur in dem humoristischen Verhältniss zum Mohren heraus, weil er sich da ungenirter gehen lässt. Der Mohr ist ein drolliger Schuft, und geistreiche Menschen wie Fiesco werden leicht durch den Witz bestochen. Sehr gut ist bei ihrer Bekanntschaft besonders der Beginn derselben, den der Mohr mit der Versicherung einleitet, dass er ein ehrlicher Mann sei: eine Behauptung, die bekanntlich um so verdächtiger macht, als sie öfter vorgebracht wird. Dass er sich den „Schurken“ gefallen lässt, aber sich den „Dummkopf“ verbittet, das charakterisirt den Mohren, und dass dies den Fiesco für ihn einnimmt, den letztern vortrefflich, wie auch, dass er, da ein Jesuit von ihm sagte, „dass ein Fuchs im Schlafrocke stecke“, erwidert: „Ein Fuchs riecht den andern.“ Das Vornehme seines Wesens spricht es aus, wenn er, da von seinem Namen die Rede ist, sagt:

Dummkopf! Er ist so leicht zu behalten, als schwer er zu machen war. Hat Genua mehr als den Einzigen? –

oder sich ärgert, dass er sich von einem Schurken loben lassen muss; endlich in jener classisch gewordenen Sentenz: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen.“ So etwas konnte nur einem Dichterjüngling einfallen, der mit Shakspeare Verwandtschaft hatte.

Sehr fein ist auch Fiesco’s Verhältniss zu Verrina gedacht. Als eine reifere, productivere, begabtere Natur übersieht er den letztern bei weitem, und doch imponirt ihm dieser durch die unbeugsame Charakterfestigkeit, weil er fühlt, dass sein elastisches Wesen nichts gegen dieselbe vermag. Sie lieben sich beide, weil jeder hat, was dem andern fehlt, und Fiesco ist in dieser Empfindung vielleicht noch [Ξ] aufrichtiger, weil sie der Achtung entspringt, als Verrina, bei dem sie in Hoffnung und Bewunderung ihren Grund hatte.

Damit sind wir nun freilich am Ziele unserer Bewunderung angekommen und müssen uns weiter gestehen, dass die Ausführung mit der genialen Conception nicht Stich hält. Vor allem widerwärtig ist das Verhältniss Fiesco’s zu den beiden Frauen, die ihn lieben, die Herzlosigkeit, mit der er beide mishandelt, die Brutalität gegen die Imperiali, die Kälte und Berechnung in seinem Benehmen selbst gegen Leonore. Ebenso steht seine politische Dialektik in einem sonderbaren Widerspruch durch ihr geschraubtes Wesen zu seinem folgerichtigen Thun. Wozu brauchte Fiesco sich vorzulügen, dass die Schande abnehme mit der wachsenden Sünde, dass es namenlos gross sei, eine Krone zu stehlen, wenn er sich doch ganz ruhig sagen kann, dass die Genueser keine Republikaner seien und er der Mann der Situation sei? Nicht minder stösst uns die da und dort herausbrechende Prahlerei des Helden zurück, die noch gar zu sehr nach studentischer Renommistik schmeckt, und mit der sonstigen grossen Feinheit, die er in der Regel zeigt, der Grazie, die er meistens seinem Ausdrucke verleiht, um so mehr contrastirt. Diese Ungleichheiten charakterisiren eben die Uebergangsperiode, in der sich der Dichter befand, es ist die Unsicherheit in der Technik, die uns aus all dem noch entgegentritt, eine Unsicherheit, die in „Kabale und Liebe“ sogar noch einmal womöglich noch stärker wird, um bald darauf im „Don Carlos“ schwer errungener Meisterschaft zu weichen.

Dies Schwanken in der Behandlung tritt besonders im fünften Act heraus, der gegen die vorhergehenden entschieden schwächer wird, nur sehr gemischte Empfindungen erregt, vielleicht am wenigsten befriedigende, da hier den Dichter sein Instinct für das Wahrscheinliche verliess, den er sonst bei allem Reichthum seiner Erfindung so glänzend bewährt; ein beinahe ermüdendes Pathos verdrängt hier die herrliche Sprache, deren Prägnanz und machtvolle Fülle uns auch in diesem Stück sonst so oft fortreisst.



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Leonore.

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LEONORE.
(Die Verschwörung des Fiesco.)


Wenn wir nicht leugnen können, dass die Gestalten des „Fiesco“ fast alle noch etwas Uebertriebenes haben, noch die Ueberschwenglichkeit der Jugend aussprechen, ja gelegentlich sogar ihre Masslosigkeit und Roheit, so trifft dieser Vorwurf doch am wenigsten die Gräfin Lavagna, in der es dem jugendlichen Dichter zum ersten male gelang, eine weibliche Figur zu zeichnen, welche die wärmste Theilnahme weckt. Es ist ein süsses, sanftes und doch leidenschaftliches Geschöpf, die ganz ihrer Zärtlichkeit lebt, die selbst im höchsten Schmerz noch flieht, weil sie fürchtet, dass der Anblick ihrer Trauer dem geliebten Manne einen trüben Augenblick machen könnte. Fiesco war ihre erste Liebe, ihr ganzer Himmel ruht in ihm, sie wiegte sich fortwährend in dem Triumph, ihn erobert zu haben:

Ein blühender Apoll, verschmolzen in den männlich schönen Antinous. Stolz und herrlich trat er daher, nicht anders, als wenn das durchlauchtige Genua auf seinen jungen Schultern sich wiegte. . . . Ach, Bella! wie verschlangen wir seine Blicke! wie parteiisch zählte sie der ängstliche Neid der Nachbarin zu! Sie fielen unter uns wie der Goldapfel des Zanks, zärtliche Augen brannten wilder, sanfte Busen pochten stürmischer, Eifersucht hatte unsere Eintracht zerrissen.
Und nun mein ihn zu nennen! verwegenes, entsetzliches Glück! Mein Genuas grössten Mann, der vollendet sprang aus dem Meissel der unerschöpflichen Künstlerin, alle Grössen seines Geschlechts im lieblichsten Schmelze verband –

und jetzt ein halbes Jahr kaum vermählt, muss sie schon an die Möglichkeit denken, dieses unschätzbare Gut, diesen ihren höchsten Reichthum zu verlieren; in ihrem eigenen Hause sieht sie den Mann ihres Herzens im Spiel leichtfertiger Galanterie mit einer andern, sie mit Aufmerksamkeiten überhäufend, deren Gewicht ihre Eifersucht um das zehnfache vergrössert! Wie die Welt ihre Sittenstrenge und das [Ξ] Verhältniss beurtheilt, in welchem ihr Gatte zur Imperiali steht, erfahren wir sofort durch die Unterhaltung Calcagno’s und Sacco’s:

Calcagno. Man sagt, sie sei ein Beispiel der strengsten Tugend.
Sacco. Man lügt. Sie ist das ganze Buch über den abgeschmackten Text. Eins von beiden, Calcagno, gib dein Gewerb oder dein Herz auf.
Calcagno. Der Graf ist ihr ungetreu. Eifersucht ist die abgefeimteste Kupplerin. Ein Anschlag auf die Doria muss den Grafen in Athem halten und mir im Palaste zu schaffen geben. Während er nun den Wolf aus der Hürde scheucht, soll der Marder in seinen Hühnerstall fallen.

Indem wir die Plane des Wüstlings auf sie erfahren, sehen wir auch gleichzeitig, aus welchem liederlichen Material der störrische Verrina den Bau einer altrömischen Republik zusammenschweissen zu können meint.

Der Künstler hat Leonore gleich in der ersten Scene aufgefasst, da diese uns den ganzen Charakter der Frau am besten zeigt, die schwärmerische Begeisterung für den Gatten und den elegischen Zug, der durch ihr ganzes Wesen geht, malt, wenn sie, die Maske abreissend, sich verzweifelnd in den Sessel wirft, und doch fast nichts zu finden weiss, als Worte der Bewunderung für ihn.

Wenn sie aber keine Waffen hat gegen den Mann, den sie liebt, als Thränen, so ist sie doch zu sehr Frau, hat zu viel Geist, als dass sie deren nicht die niederschmetterndsten fände gegen die verhasste Nebenbuhlerin, – sie hat diese kaum zwei Minuten gehört, so wird es ihr sofort auch klar, dass Fiesco diese Frau nicht lieben könne:

Wünsche mir Glück, Mädchen! Unmöglich hab’ ich meinen Fiesco verloren, oder ich habe nichts an ihm verloren.

Sie replicirt mit einer Schärfe, die den Frauen a tempo viel besser zu Gebote steht, als den meisten Männern:

Julia. Der arme Ehemann! Dort lacht ihm ein blühendes Ideal – hier ekelt ihn eine grämliche Empfindsamkeit an. Signora, um Gottes willen! wird er nicht den Verstand verlieren, oder was wird er wählen?
Leonore. Sie, Madame – wenn er ihn verloren hat.

[Ξ] Aber wenn sie ihn offen behielt für die Nebenbuhlerin, so verliert sie ihn bei allem, was den Geliebten angeht, so bringt sie schon der blosse Anblick seines Medaillons in den Händen derselben vollständig um die Fassung, wenn es auch ihre Liebe nicht vermindert.

Gemeine Naturen verbittert und verschlechtert der Schmerz, höhere veredelt er. Unsere Leonore gehört zu den letztern, daher findet Calcagno gerade in dem Augenblick, der ihm am günstigsten scheint, dass er sich verrechnet hat, wenn er auf ihre Enttäuschung zählte:

Ich verstehe, und meine Empfindlichkeit sollte dir meine Empfindung bestechen? Das wusstest du nicht, dass schon allein das erhabene Unglück, um den Fiesco zu brechen, ein Weiberherz adelt. Geh! Fiesco’s Schande macht keinen Calcagno bei mir steigern, aber – die Menschheit sinken!

Die grenzenlose abgöttische Liebe, von der Leonore erfüllt ist, tritt überall hervor, am meisten aber in diesem unaufhörlichen Auf- und Abwogen des Gefühls, in diesem „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein“, das die sieben Monate verheirathete Frau erröthen macht, wie ein schüchternes Mädchen, wenn ihr die Kammerfrau des Gatten Grüsse bringt; im nächsten Augenblick aber wird der Zweifel schon wieder übermächtig, sie will sich ganz von ihm trennen, sie will ihn mit Vorwürfen überhäufen und bringt es doch nicht weiter, als zu einer sanften Klage:

Ihre Gemahlin zu sein, hab’ ich nicht verdient, aber Ihre Gemahlin hätte Achtung verdient. – Wie sie jetzt zischen, die Lästerzungen! Wie sie auf mich herabschielen, Genuas Damen und Mädchen! „Seht, wie sie wegblüht, die Eitle, die den Fiesco heirathete!“

Spricht sie so es rührend aus, dass sie es niemals zum Hasse bringen kann, so legitimirt sie sich aber dadurch als Deutsche; hätte Schiller die Italienerinnen gekannt, so würde er sie schwerlich so gemalt, sie so leicht sich wieder haben trösten lassen, sowenig als einer Italienerin eingefallen wäre zu sagen:

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Er will’s, Rosa; ich weiss also genug, um gehorsam zu sein. Bella, genug, um ganz ausser Furcht zu sein. – Und doch! doch zittr’ ich so, Bella, und mein Herz klopft so schrecklich bang. Mädchen, um Gottes willen, gehe keines von meiner Seite.

Deutsch ist ebenfalls der Zug, dass sie, nachdem ihr Fiesco den höchsten Triumph verschafft über die Nebenbuhlerin, für diese bittet, statt ihn zu geniessen, dass sie eifersüchtig auf seine Herrschsucht ist:

Hier ist keine Wahl, mein Geliebter! Wenn er den Herzog verfehlt, ist Fiesco verloren. Mein Gemahl ist hin, wenn ich den Herzog umarme –

und mit feinem Instinct für ihr eigenes Glück Republikanerin wird, weil sie sogleich herausfühlt, dass, wenn sie ihn nicht auf dem Wege zum Throne, doch sicher auf ihm verlieren muss. Ist aber der Kampf erst angebrochen, so kennt sie wieder nichts mehr als die Liebe, ihr mächtigstes Gefühl überwindet selbst die Furcht des Weibes:

Nein! eine Heldin soll mein Held umarmen!

An seiner Seite will sie siegen oder sterben. Ihr wird das letztere. So übermächtige, grenzenlose Leidenschaft an der Seite eines Mannes, der sie nicht in diesem Masse zu erwidern im Stande ist, muss schon allein zu einem tragischen Ausgang führen; dass sie aber von ihm selbst in verhängnissvoller Verwechselung gemordet wird, ist eine unnütze Grausamkeit, die unser Gefühl beleidigt, und die viel eher misverstandenen Shakspeare’schen Reminiscenzen, als Schiller’s eigenem Herzen angehören möchte.



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Andreas Doria.

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ANDREAS DORIA.
(Die Verschwörung des Fiesco.)


Die Jugend versteht unter der Freiheit gewöhnlich die Unbegrenztheit, die Masslosigkeit oder eine Art gemüthlicher Anarchie, während sie doch gerade in der Entfernung von aller Willkür, in der freiwilligen Unterwerfung unter die organischen Gesetze, sei’s des Staats, sei’s des Kunstwerks, besteht.

Den Fortschritt, welchen Schiller that, als er von den ungeheuerlichen Gestalten der „Räuber“ zu einem historischen Gegenstand überging, ist daher unbestreitbar, da dieser ihn nöthigte, die fessellos überwuchernde Phantasie durch die bestimmter Zeichnung und lokalisirter Färbung bedürftigen Gestalten eines solchen Vorwurfs in ihre natürlichen Grenzen zurückzuzwingen, und sie so dadurch allmählich zu ihren schönsten Blüten brachte. Allerdings ist dieser erste Versuch, den Schiller im „Fiesco“ machte, sich den Forderungen eines geschichtlichen Stoffs anzubequemen, im ganzen noch nicht gelungen, er zeigt im Gegentheil noch dieselbe, ja vielleicht eine noch grössere Verwilderung, als sie uns in den „Räubern“ zurückstösst, ohne dieselbe ursprüngliche Kraft in gleichem Masse zu entwickeln. Aus der naturalistischen Roheit kommen wir zu einer oft hohlen pathetischen Phrase, wie der nachgemachte, angeblich altrömische Republikanismus des Stücks eine ist, der keinen Platz auf dieser Welt schon darum hat, weil kein eigentlicher Inhalt, keine bestimmte Vorstellung darin steckt, weil er keinen Körper hat, sondern nur ein Schemen ist. Sein Vertreter Verrina bleibt eigentlich mit all seiner wilden und echten Energie, aus Mangel an allen positiven Ideen, immer nur bei der Verneinung stehen; er ruft beständig „Freiheit“, gibt uns aber [Ξ] keinerlei Aufklärung über den bestimmten Sinn, den er mit diesem sehr unbestimmten Worte verbinde. Sicherlich zeichnet Verrina’s manierirtes Römerthum den damaligen Horizont des feurigen Dichters selber, wie es denn höchst interessant ist, das Form- und Masslose der politischen Ideen in den drei ersten Stücken, das Fester- und Bestimmterwerden derselben im „Don Carlos“ und endlich die vollständige Sicherheit in deren Entwickelung beim „Tell“ miteinander zu vergleichen. Welcher Unterschied in der Betrachtung, während doch bei allen dasselbe Streben zu Grunde liegt; welche edle Weisheit in den Reden des sterbenden Attinghausen, in den Forderungen der schweizer Landleute, verglichen mit der chaotischen Verwirrung in „Kabale und Liebe“ oder „Fiesco“!

Die Lücke der jugendlichen Bildung, die er später in seinem „Don Carlos“ und „Tell“ so glänzend ausfüllt, einmal zugegeben, werden wir aber auch hier schon theils durch die dramatische Kraft in der Bewegung der ganzen Handlung, die überall herausbricht, schadlos gehalten, theils durch die mächtige Fähigkeit zur grossartigen Zeichnung, wie sie sich bei einzelnen Figuren findet. Ein Menschenbild mit Grösse der Seele auszustatten und es doch individuell wahr zu schildern, kann nur einem Künstler gelingen, der selber eine geniale Natur ist. Dass Schiller dies in Andreas Doria vermochte, und zwar mit wenigen Meisterstrichen, spricht deutlicher als das ganze übrige Stück für seinen echten Künstlerberuf. Seelengrösse aber erkennt man nicht sowol direct, sondern vorzugsweise durch Vergleichung mit andern, an der zauberischen Wirkung, die sie auf dieselben ausübt. Diese Wirkung des alten Helden ist aber überall im Stück aufs feinste ausgesprochen, überall treffen wir die Verehrung vor ihm, die Scheu oder die Achtung. So sagt selbst Leonore, dies feine Frauenherz, im Augenblick, da sie den Sturz seines Geschlechts träumt und wünscht, von ihm, es sei eine Wollust, ihm gut zu sein, „denn er ist sanft und so gross zugleich“ – „Donner und Doria“ ist ein Sprichwort geworden –, Andreas ist überall der erste Gedanke, der letzte Grund, den jeder hat; ob mit Verehrung oder Hass, immer aber denken sie [Ξ] alle schliesslich an ihn. Fiesco nennt seine Sanftmuth furchtbarer als des Neffen Trotz, Verrina nennt seine Ketten von Seide und hält ihm damit die glänzendste Lobrede, bezeichnet scharf den Unterschied zwischen dem guten und schlechten Staatswesen, das der Bänder ja unter allen Umständen bedarf. Tritt Doria dann selber auf, so ist sein erster Gedanke der der Gerechtigkeit, der zweite der der Liebe für den Staat. Wenn er seinem Neffen vorwirft, diesen zu untergraben, so gibt er ihm in zehn Worten eine sehr gesunde Lection in der Staatskunst, wenn er uns auch eine Schwäche verräth, die wir ihm nicht übel nehmen: die zu grosse Liebe für seine Verwandten; denn ist sie bei Menschen ohne Verdienst widerwärtig, so hat am Ende bei einem alten Helden jeder Beweis von Herzensgüte eher etwas Bestechendes. Heroisch aber erscheint er uns erst recht durch die Art, wie er sich in der Gefahr benimmt und den Gegner durch Grossmuth zu entwaffnen sucht, wenn er Fiesco schreibt:

Lavagna, Sie haben, däucht mich, Ein Schicksal mit mir – Wohlthaten werden Ihnen mit Undank belohnt. Dieser Mohr warnt mich vor einem Complot. Ich sende ihn hier gebunden zurück und werde heute Nacht ohne Leibwache schlafen.

Ist der Aufruhr nun aber doch ausgebrochen und will der Gegner sich nicht übertreffen lassen, sondern warnt ihn, ohne dass Andreas in dem nächtlichen Warner Fiesco selbst ahnt, auf die Flucht zu denken, so antwortet Andreas ihm ruhig:

Fiesco denkt edel. Ich hab’ ihn niemal beleidigt, und Fiesco verräth mich nicht.
Fiesco. Denkt edel, verräth dich, und gab dir Proben von beidem.
Andreas. So steht eine Leibwache da, die kein Fiesco zu Boden wirft, wenn nicht Cherubim unter ihm dienen.
Fiesco (hämisch). Ich möchte sie sprechen, einen Brief in die Ewigkeit zu bestellen.
Andreas (gross). Armer Spötter! hast du nie gehört, dass Andreas Doria Achtzig alt ist, und Genua – glücklich?

Sein grossartiges Vertrauen, das aus seinem guten Gewissen stammt, wird nichtsdestoweniger verrathen; in seinem Schmerz über [Ξ] die Täuschung bleibt er aber nicht minder imponirend, er erschüttert uns, ob er sich zur deutschen Leibwache wendend sage:

Höret, Ausländer! höret! Das sind die Genueser, deren Joch ich brach. Vergilt man auch so in euerm Lande ? . . . . Rettet euch! Lasst mich! Schreckt Nationen mit der Schauerpost: die Genueser erschlugen ihren Vater –

oder ob er, nachdem seine Gegner gesiegt, die Genueser um einen Platz bitten lässt, darauf zu sterben:

Geh! mache bekannt, dass Andreas noch lebe – Andreas, sagst du, ersuche seine Kinder, ihn doch in seinem achtzigsten Jahre nicht zu den Ausländern zu jagen, die dem Andreas den Flor seines Vaterlandes niemals verzeihen würden. Sag’ ihnen das, und Andreas ersuche seine Kinder um so viel Erde in seinem Vaterlande für so viel Gebeine.

Die Mahnung thut schliesslich ihre Wirkung: nicht nur halb Genua läuft wenigstens nach Fiesco’s Tode wieder dem Andreas zu, sondern auch Verrina selber sieht sich genöthigt, nachdem er die Täuschung eingesehen, der er sich über den Charakter seiner Landsleute wie des Fiesco hingegeben, sich wieder zu ihm, als dem festesten Hort der Freiheit, die für Genua möglich ist, zu wenden.



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Julia Imperiali.

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JULIA IMPERIALI.
(Die Verschwörung des Fiesco.)


Wenn es Schiller gelungen ist, der Gräfin Lavagna allen Schmelz und Reiz einer feingestimmten Seele zu verleihen, so muss man gestehen, dass er die Gräfin Imperiali um so übler behandelt hat. Nicht nur, dass er sie uns in einem Grade grob und impertinent gibt, der selbst bei Damen, die eine sehr viel niedrigere Stufe auf der Leiter der Gesellschaft einnehmen, nicht gewöhnlich ist, – er verleiht ihr ausserdem noch eine nicht unbeträchtliche Dosis von mit ziemlicher Stupidität vermischter Gefallsucht, endlich zu guter letzt auch ein wahres Uebermass von hochmüthigem Dünkel.

Dass die Schwester des Gianettino Doria, dieses Urbilds eines brutalen Wüstlings, nicht eben ein Ausbund von Liebenswürdigkeit sein werde, war wol ziemlich wahrscheinlich, aber ihre Roheit will uns doch mehr nach stuttgarter als genueser Studien schmecken. Ihre Sprache nimmt sich neben der bewunderungswürdig geschilderten Feinheit des Fiesco aus, wie die eines polternden Corpsburschen, der Skandal in allen Gassen anfängt, neben der Delicatesse eines Diplomaten der alten Schule. Oder ist es etwas anderes, wenn sie zu Fiesco, dessen Gast sie ist, in dessen eigenem Hause sagt:

Eifersucht? Eifersucht? Was will denn das Köpfchen? (Vor einem Spiegel gesticulirend.) Ob sie wol eine bessere Fürsprache für ihren Geschmack zu erwarten hat, als wenn ich ihn für den meinigen erkläre? (Stolz.) Doria und Fiesco? – ob sich die Gräfin von Lavagna nicht geehrt fühlen muss, wenn die Nichte des Herzogs ihre Wahl beneidenswürdig findet?

[Ξ] Wo solcher Uebermuth von den Repräsentanten der Souveränetät zur Schau getragen wird, kann man freilich Aufruhrsgedanken nicht übel nehmen!

Und doch ist dieses so hochmüthige Herz der Liebe zugänglich, hatte eine wahre und echte Empfindung, aber wenn die Liebe und das Glück edle Naturen noch grossmüthiger machen, so haben sie bei gemeinen die Wirkung des Rausches: sie erhöhen die schlechten Eigenschaften. So wird unsere schöne Julia, als sie Fiesco’s Liebe sicher zu sein glaubt, von einer wahren Wuth der Ruhmredigkeit geplagt; rachsüchtig von Haus aus, will sie jetzt ihre Triumphe über die Gegnerin sofort geniessen. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass die Glieder des schönen Geschlechts, so viel Esprit de corps sie auch besitzen, doch im Grunde ganz ausnehmend wenig Wohlwollen füreinander haben und sich in der Regel überraschend richtig beurtheilen, soweit dies eben bei so wenig Neigung möglich ist. So findet selbst die rohe Julia bald heraus, dass für den perfiden Fiesco eigentlich eine weniger empfindsame, mehr kokette und witzige Natur noch besser passen würde, worin sie wol recht haben mag; Leonore findet freilich noch schneller, dass diese Qualitäten in Gräfin Julia keineswegs ihren Culminationspunkt erreichen. Da die Damen sich einander auch ohne viele Umschweife zu gegenseitigen Vertrauten dieser Reflexionen machen, so ist es natürlich, dass sie mit merklich verminderter Zärtlichkeit voneinander scheiden, jetzt erst recht Todfeindinnen sind. Bei dem heissen Blut einer Italienerin ist’s aber von einer Todfeindschaft gegen die Nebenbuhlerin bis zum Versuche, dieselbe wirklich aus dem Wege zu räumen, keineswegs ein so weiter Weg, und vor dreihundert Jahren, wo das Vergiften ohnehin noch mehr in der Mode war als jetzt, war er noch kürzer. Fiesco’s Entsetzen, als er diesen Beweis von Julia’s Liebe zu ihm erhält - denn nichts anderes ist es –, däucht uns daher eher ein wenig deutsch. Vielleicht noch mehr ist es die doctrinäre Galanterie, durch die Fiesco die schöne Gräfin bewegt zu ihm zu kommen; diese galante Casuistik:

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Die Sinne müssen immer nur blinde Briefträger sein, und nicht wissen, was Phantasie und Natur miteinander abzukarten haben –

würde schwerlich irgendeine vornehme oder geringe Dame sehr weit, am wenigsten ins Haus des Redners gebracht haben.

Ebenso ist es ein wenig unwahrscheinlich, dass die erhitzte, sinnenberauschte Julia solche lange Reden aber ihren Zustand gehalten haben werde, wie:

Mensch, dein Gesicht brennt fieberisch, wie dein Gespräch! Weh, auch aus dem meinigen, ich fühl’s, schlägt wildes, frevelndes Feuer. Lass uns das Licht suchen, ich bitte. Die aufgewiegelten Sinne könnten den gefährlichen Wink dieser Finsterniss merken. Geh! diese gährenden Rebellen könnten hinter dem Rücken des verschämten Tags ihre gottlosen Künste treiben. Geh unter Menschen, ich beschwöre dich. . . .
. . . . Wenn ich den Schlüssel zu meinem weiblichen Heiligthum an dich vertändle, womit du mich schamroth machst, wenn du willst? Was hab’ ich weniger zu verlieren als alles? Willst du mehr wissen, Spötter? Das Bekenntniss willst du noch haben, dass die ganze geheime Weisheit unsers Geschlechts nur eine armselige Vorkehrung ist, unsere tödliche Seite zu entsetzen, die doch zuletzt allein von euern Schwüren belagert wird, die – ich gesteh’ es erröthend ein – so gern erobert sein möchte, so oft beim ersten Seitenblick der Tugend den Feind verrätherisch empfängt?

Durch solche Gedanken in diesem Moment zeigt sie viel mehr Geist und viel weniger Verstand, als eine Italienerin in der Regel entwickeln dürfte, und fällt in die Rolle eines deutschen Professors. Mehr Blut und Wahrheit ist darin, wenn sie sagt:

Fiesco, wir sind Heldinnen, wenn wir unsere Tugend sicher wissen; – wenn wir sie vertheidigen, Kinder! (ihm starr und wild unter die Augen) – Furien, wenn wir sie rächen! – Höre. Wenn du mich kalt würgtest, Fiesco?

Im höchsten Grade unritterlich ist aber die Rache, die letzterer sich ausgedacht. Sie ist von einer widerlichen Roheit; kein Mann von Ehre, am wenigsten ein italienischer Cavalier, denen bei alter sonstigen Verderbtheit sicherlich Feinheit in diesem Punkt nicht abzusprechen ist, würde so etwas thun gegen eine Frau, die, wie gross auch sonst [Ξ] immer ihre Schuld sein mag, dieselbe doch lediglich seinethalben, aus Liebe zu ihm auf sich geladen hat. Wenn ihr Bruder mehr als ungalant ist und sie „für ein Stück Weiberfleisch, in einen grossen – grossen Adelsbrief gewickelt,“ erklärt, so mag das in der Ordnung sein: die Brüder haben in der ganzen Welt das Recht ungalant zu sein, und man muss gestehen, dass es vollständig motivirt ist, weil sie im besten Falle doch nur als Lückenbüsser dienen; aber der Verehrer, der Mann, der Liebe wenn auch nur geheuchelt hat, ist niemals zu so roher Mishandlung gegen die berechtigt, die am Ende unter allen Umständen doch nur das Opfer seiner Tücke gewesen wäre. Es zeigt uns die Einmischung dieses Zugs von Roheit nur die Verwilderung, in der sich Schiller damals selbst befunden, und jenen Mangel an Feinheit der Umgangsformen, der, wie wir schon erwähnt, die Sitten der Schwaben damals und theilweise auch heute noch kennzeichnet, und von denn ein Stück noch unserm jugendlichen Poeten hängen geblieben sein mag, der freilich zu jener Zeit es noch in seinen weiblichen Bekanntschaften nicht weit über die – famose Bäckersfrau gebracht hatte!