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Die Tulpenmanie in Holland

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Textdaten
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Autor: Karl Theodor von Heigel
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Titel: Die Tulpenmanie in Holland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 720, 722–724
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Spekulation mit Tulpenzwiebeln in den Niederlanden im 17. Jahrhundert
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Die Tulpenmanie in Holland.

Von Dr. Karl Theodor Heigel.

Ueber die Tulpenmanie, welche im 17. Jahrhundert das holländische Volk ergriff, ist viel gesagt und geschrieben worden. Allein je mehr Geschichten man davon erzählte, desto weniger beschäftigte man sich mit ihrer Geschichte. Nun will ich mir durchaus nicht anmaßen, Ursache und Wirkung jener merkwürdigen Episode aus dem Völkerleben erschöpfend darlegen zu wollen. Immerhin hoffe ich, über den Gang der Ereignisse einiges Neue und eben das zu sagen, was zur Erklärung des Unerklärlichen beiträgt. Denn wohl unerklärlich muß auf den ersten Blick jene Tollheit bei einem so hervorragend wirthschaftlichen Volke wie das holländische erscheinen. Der Wirthschaftlichkeit, dieser „Tochter der Klugheit, Schwester der Mäßigkeit und Mutter der Freiheit“, verdankte ja Holland seine materielle Macht. Die republikanische Regierungsform schien Adam Smith die Hauptstütze der Größe Hollands zu sein, aber sie war selbst hinwieder die Frucht der volkswirthschaftlichen Ueberlegenheit der Holländer über die Spanier. Wirthschaftliche Interessen hauptsächlich bewogen die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande, sich von Spanien loszuringen und als eine holländische Nation aufzuthun. Kriegstüchtig und reich, errangen diese „beidlebigen“ Niederländer, wie sie Goethe im Hinblicke auf ihr Heimathsrecht zu Wasser und zu Lande nennt, ungeheure Erfolge. Ihre Flagge wehte auf allen Meeren, die ostindische Compagnie beherrschte die reichsten Länder der Welt, die westindische wetteiferte wenigstens eine Zeit lang glücklich mit ihrer Nebenbuhlerin, die Union hatte, wie man zu sagen pflegte, mehr Schiffe als Häuser, die Bank von Amsterdam war die erste Geldmacht der Welt. Dabei blieb der Holländer seiner Natur getreu: äußerst sparsam. „Es will den Holländern nicht in den Kopf,“ schrieb Temple, „daß der regelmäßige Belauf der Ausgaben dem Einkommen gleich sein sollte, und wo dies ja der Fall wäre, glauben sie ein verlornes Jahr gelebt zu haben.“ Roscher führt eine Stelle aus „Richesse de Hollande“ an, die Schilderung eines reichen Dorfes bei Amsterdam, wo ein Mann mit 120,000 Gulden Einkommen jährlich vielleicht nur 1000 Gulden für sich ausgiebt.

Wie aber stimmt mit allem Dem die Tulpennarrheit überein?!

Ich werde zeigen, daß der Wahnsinn „doch Methode“ hatte, oder um sachlicher zu sprechen, daß das Uebel in einem volkswirthschaftlichen Vorzuge wurzelte, in der Sitte nämlich, jede Handelswaare so viel wie möglich als Grundlage von Umlaufsmitteln zu benutzen, welchen Brauch ebenso wie die unbegrenzte Arbeitstheilung die Holländer vor den Engländern voraus hatten.

Es ist eine Erzählung in zwei Capiteln. Im ersten spielt der Blumist und seine Tulpe, im zweiten der Speculant die Hauptrolle.

Aus Martin Zeiller’s Beschreibung und verschiedenen Reiseberichten wissen wir, daß in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gartenbau und Landwirthschaft in Holland erfreulich entwickelt waren. Wo immer der Boden es gestattete, wechselten fette Weiden mit Saatfeldern; die Straßen waren mit Alleen von Obstbäumen oder Linden besäumt, ein Garten schloß sich an den andern an.

Der Holländer verkannte bei seinem ebenso gesunden wie praktischen Sinne nicht die Vortheile und Reize des Landlebens. Der Kaufherr, der den Tag angestrengter Arbeit widmen mußte, wollte doch Abends eine Stätte haben, wo er frische Luft schöpfen, behaglich spazieren wandeln, ungestört seiner Familie leben konnte; er baute sich also in unmittelbarer Nähe der Stadt ein Landhaus, und dabei durfte der Lustgarten nicht fehlen. Da in den meisten Fällen nur ein enger Raum gegeben war, verbot sich Abwechselung der landschaftlichen Scenerie durch zwanglose Zusammensetzung von Wiesen, Buschwerk und Hain, Wasser und Höhen von selbst.

Dafür bildete sich ein eigenthümlicher holländischer Gartenstil aus, dem zwar auch wie dem französischen Symmetrie des Plans als Gesetz, bunteste Farbenpracht eines Blumenflors aber als höchster Reiz galt. Wenn der französische Gartenkünstler auch schon vor Le Nôtre’s epochemachenden Schöpfungen wie ein Architekt wirkte und der englische Geschmack später den Gärtner zum Landschaftsmaler machte, so war der Holländer dem Mosaikbildner vergleichbar, der durch Reinheit, Helle und Feuer harmonisch gemischter Farben bestrickende Wirkung erzielt. In den zierlichen Gärtchen der „hochmögenden Mynheers“ kamen zuerst die sanften Tinten einer Hyacinthe, die feinen Schattirungen der Nelke, die Gluth der Rose zur Geltung.

Es ist gewiß kein Zufall, daß sich gerade in Holland und in der Zeit, da die Blumenzucht eine so hohe Stufe erreichte, auch eine echt künstlerische Blumenmalerei entwickelte, während sie in allen anderen Ländern und Zeiten nur decorativen Zwecken dienstbar gewesen war. Hier, wo eine reiche Pflanzenwelt mannigfaltiges Material bot, wurde nicht blos nach getreuer Nachahmung der Natur getrachtet, sondern auch sinnige Anordnung, Farbenharmonie, kurz, eine ästhetisch geläuterte Darstellung angestrebt. Hier legte ein Jan Breughel, der „Sammetbreughel“, den Grund zu freierer Kunstentfaltung, schuf David de Heem Blumenportraits von unübertroffener natürlicher Frische, erreichte Huysum einen Glanz der Farbe, welchen Jahrhunderte nicht zu trüben vermochten, ließ Rachel Ruysch Blumen auf der Leinwand erblühen, deren Lob begeistert die Dichter sangen.

Hier strebte man auch bald erfolgreich, der Natur durch künstliche Mittel neue Bahnen zu weisen, sodaß der ursprüngliche Typus der Art oft gar nicht mehr zu erkennen war; für die sogenannte „Veredelung“ der Flora war Holland gleichsam die classische Scene. Wenn dadurch einerseits manche schätzbare Neuerung erzielt wurde, so lag andererseits die Gefahr nahe, daß die Kunst in Künstelei ausarte und schließlich nicht mehr die Anmuth und Lieblichkeit, sondern die Curiosität den Werth bestimme. Guter Geschmack ist ohnehin nicht allzu häufig ein Begleiter des Reichthums; auf diese Wahrnehmung gründet sich Falconer’s Behauptung, bei Handelsvölkern sei am seltensten die Fähigkeit ausgebildet, die Schönheit zu erkennen. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch in Holland da und dort die Begierde, mit dem durch Handelsglück erzeugten Ueberfluß zu prunken, zu nichtigen Schaustellungen verführte. So sah man z. B. in einem Garten zu Broek einen mit Flaschen und Gläsern besetzten Tisch, ein großes Kriegsschiff, eine Hasenjagd u. dergl. m., Alles aus Buchs geschnitten. Eine Geschmacklosigkeit war die Anpflanzung von weit ausgedehnten Blumenbeeten, deren Farbenfülle das Menschenauge nur verwirren, nicht fesseln konnte. Auch die Vorliebe der Holländer für Einleitung von Gräben und Teichen mit stehendem Wasser tadelt Hirschfeld in seiner Theorie der Gartenkunst; die Gothen, spottet er, hätten nicht barbarischer zu Werke gehen können.

Keine von diesen Verirrungen stand jedoch mit der anmuthigen Kunst in so unversöhnlichem Widerstreit, wie der Mißbrauch, die holden Geschenke des Frühlings als Objecte der Speculation in den Handel zu bringen.

Der Zeitraum, den wir nun zu betrachten haben, gehört nicht mehr der Blüthezeit der holländischen Handelsgeschichte an. Wie durch das Aufstreben des absolutistischen Militärstaates Frankreich die politische Bedeutung, so wurde der Handel der Niederlande durch die siegreiche Concurrenz Englands schwer geschädigt, und ein noch gefährlicherer Feind war der eigene Materialismus. Freilich war im kleinen Holland noch immer mehr Capital aufgestapelt, als in irgend einem großen Reiche Europas, allein gerade dieses Uebermaß verleitete zu einseitiger Begünstigung des Geldhandels und damit ebenso zu Habgier wie zu kleinlichem Krämersinn. Im Privatleben und in der Regierungspolitik traten trübe Symptome zu Tage. In vielen Kreisen überwucherten Gewinnsucht und Speculationslust die alte, sprüchwörtlich gewordene Solidität, leichtfertige und betrügerische Bankerotte waren an der Tagesordnung.

„Fixen“, das heißt Betrieb von Differenzgeschäften, die gar nicht auf wirkliche Lieferung von Waaren und Effecten berechnet sind, sondern wobei nur der Betrag der in Folge des Schwankens der Preise erwachsenden Differenz bezahlt wird, war schon nach römischem Recht verboten. Auch die Hansa untersagte auf’s Strengste dergleichen volkswirthschaftlich unfruchtbare Speculationen, so durften z. B. die Eigenthümer der auf Häringsfang ausziehenden Schiffe nicht den erhofften Gewinn verkaufen, durfte die Ernte nicht auf dem Halm veräußert werden etc. In Holland dachte [722] man weniger streng, nicht blos die Actien der Compagnien, die den Handel Ost- und Westindiens gepachtet hatten, wurden zu Zeitkäufen benutzt, sondern auch Effecten, die ihrer Natur gemäß ganz und gar nicht zu Speculationsobjecten geeignet scheinen, vor Allem die Tulpen.

„Tulipa,“ sagt der Dichter Rist in seinem Büchlein ‚von der alleredelsten Thorheit‘, „kommt zwar vom Schlawonischen Tulipant, das einen türkischen Hut bedeutet, aber Diejenigen irren nicht weit, die an das niederländische Wort Tülpa, Tülpisch denken, welches einen groben Phantasten oder dummen Menschen bedeutet, sodaß die Blume selbst eigentlich Narrenkraut zu heißen.“

Die etymologische Ableitung ist nicht unrichtig. Das Wort Tulipane bezeichnete die dem türkischen Kopfbund, türkisch Tulband, ähnliche Blume, die, wie so viele andere, aus dem Orient in’s Abendland gebracht wurde und sich hier allmählich einbürgerte. Die natürliche, ungekünstelte Tulpe ist fast einfarbig, großblätterig und verhältnißmäßig langstielig; erst unter dem Einfluß der Cultur verliert sie die ursprünglich starken Farben, sie wird blasser, bunter, kleiner, sie wird je schöner, desto schwächlicher, sodaß sie nur durch sorgfältige Wartung erhalten werden kann.

„So verschönert die Cultur,“ klagt der Göttinger Professor Beckmann in einer 1780 geschriebenen Abhandlung, „das vierschrötige Bauernmädchen zur schwächlichen Prinzessin, so verfeinert Paris den starken Teutschen!“

Kaum eine andere Blume hat so viele Varietäten aufzuweisen; holländische Blumisten erzogen von den Spättulpen über 1000 Spielarten. Alle diese aber sind Abkömmlinge derjenigen Art, die nach dem Linné des 16. Jahrhunderts, dem Polyhistor Conrad Gesner, Tulipa Gesneriana benannt wurde. In Augsburg wurde sie in dem ob seiner Seltenheiten hochberühmten Garten des um Kunst und Wissenschaft verdienten Rathsherrn Johann Heinrich Herwart gezogen. Hier sah sie Gesner im Jahr 1559 und entwarf die erste wissenschaftliche Beschreibung in seinen Zusätzen zu den Werken des Pharmaceuten Valerius Cordus. Er erwähnt auch eine andere, in Italien bereits eingebürgerte Tulpe, die jedoch nur eine Spielart der Augsburgischen war.

Balbinus, in seinen Böhmischen Miscellen, nimmt das Verdienst der ersten Uebertragung der bei den Türken sehr beliebten Blume nach dem Abendland für Kaiser Ferdinand’s I. Gesandten bei der Pforte, Augier Ghislen von Busbek, in Anspruch. Nun thut dieser allerdings in seinen für die Kenntniß türkischer Lebensweise bahnbrechenden, 1555 geschriebenen „Türkischen Briefen“ der Tulpen ziemlich ausführlich Erwähnung. Er habe auf dem Wege von Adrianopel nach Constantinopel außer Narcissen und Hyacinthen auch andere Blumen gesehen, „welche die Türken Tulipan heißen“, die sich zu seinem Erstaunen mitten im Winter, der doch sonst den Blüthen wenig hold, entfalteten. „Sie haben entweder gar keinen oder doch nur dürftigen Duft, dagegen zeichnen sie sich durch Mannigfaltigkeit und Schönheit der Farbe aus. Die Türken vervollkommnen die Pflanze sehr und tragen, sonst keineswegs verschwenderisch, kein Bedenken, für hervorragend schöne Exemplare einige Aspern aufzuwenden. Auch mir kamen diese Blumen theuer zu stehen.“ Allein Busbek scheint keine Exemplare davon nach dem Abendland gebracht zu haben, denn an anderer Stelle heißt es: „An Wurzeln und Pflanzen habe ich fast Nichts heimgebracht, nur Abbildungen, die mir Mathiolus fertigte.“

Entschieden unrichtig ist die Angabe eines anderen Zeitgenossen, des Reisenden und nautischen Schriftstellers Hakluyt, daß der Botaniker de l’Ecluse, genannt Clusius, die ersten Tulpen nach Europa gebracht habe; diesem Botaniker gebührt nur das Verdienst, in seiner 1601 veröffentlichten Geschichte seltener Pflanzen zuerst die damals bekannten Spielarten untersucht und beschrieben zu haben. Er verdankte seine Kenntniß der noch immer seltenen Blume glücklichem Zufall. Einem Kaufmann in Antwerpen, erzählt er, war von einem Geschäftsfreund in Constantinopel mit einer Sendung Baumwolle eine Anzahl Tulpenzwiebeln geschickt worden. Der Kaufmann, der von der Bestimmung der Knollen keine Ahnung hatte, ließ sich einige mit Essig und Oel als Salat zurichten, andere setzte er zwischen Kohlstauden in seinem Garten ein, wo sie verkamen. Aber ein Kaufherr aus Mecheln, Georg Ryn, der sich einige Knollen geben ließ, schenkte Dank seinen botanischen Kenntnissen den Fremdlingen größere Aufmerksamkeit und bessere Pflege. Er ward mit herrlichen Blüthen belohnt, und diese konnte de l’Ecluse untersuchen und classificiren.

In Holland, wie im Abendland überhaupt, pflegten damals vorzugsweise Gelehrte und Antiquare mit Zucht seltener Pflanzen sich zu beschäftigen. Der große Philologe und Kritiker Justus Lipsius (eigentlich Joest Lips) hatte in Leyden und später in Löwen berühmte Gärten, deren Blumenschätze meist durch Geschenke weitgereister Freunde gesammelt waren. Hier unter Tulpen und Ranunkeln – so erzählt sein Biograph Aubertus Miraeus – fernab vom Tumult der Städte suchte und fand er Zerstreuung und jene reine Freude, welche den Blumenfreund für alle Anstrengung und alles Sinnen und Sorgen reichlich entschädigt. In seiner Schrift „Ueber die Beharrlichkeit“ feiert Lipsius begeistert die Gärtnerei. Mit großen Kosten legte sich der Philologe und Dichter Johannes Barclay in Rom nahe beim Vatican einen Garten an, wo er ebensowohl mißachteten Alpenpflanzen, wie theuer gekauften Tulpen und Narcissen sorgfältige Pflege widmete. Auch Pompejus de Angelis wird als eifriger Blumist geschildert, und es fehlte nicht an Eiferern, die – wie Reimann, der Begründer der Literargeschichte in Deutschland – so kostspielige „Allotria“ mit der Gelehrtenwürde unvereinbar fanden.

Mit besserem Recht konnte man über die Ausartung der Blumenliebhaberei in Holland den Stab brechen.

„Die Rose, die Königin des Blumenreichs, wird mißachtet,“ klagt der holländische Humanist Schrevelius in seiner Beschreibung von Haarlem, „die Tulpe dagegen um so mehr überschätzt – die Nachwelt wird unsere Verirrungen kaum glaublich finden.“

Und in der That erzielte diese Blume, welche nur durch ihre Farben sich auszeichnet, verhältnißmäßig märchenhafte Preise. Am tollsten steigerte sich die Manie für sie in den Jahren 1634 bis 1637 in Amsterdam, Utrecht, Haarlem und einigen anderen holländischen Städten, in Haarlem gerade in der Zeit, da die Pest am furchtbarsten wüthete. Manche Angaben mögen übertrieben sein, aber auch die wohl beglaubigten lesen sich heutzutage wie lächerliche Uebertreibung. Die Stadtkammerregister von Alkmaar bezeugen, daß im Jahr 1637 120 Tulpen zum Vortheil des Waisenhauses um 90,000 Gulden versteigert wurden. Der Botaniker Munting zog aus den Handelsregistern einige Preise für Tulpenzwiebeln aus, von denen nur derjenige für die Spielart Viceroi erwähnt sei. Es wurden für eine Zwiebel 2 Last Weizen, 4 Last Roggen, 4 fette Ochsen, 8 fette Schweine, 12 fette Schafe, 12 Oxhoft Wein, 4 Tonnen Bier, 2 Tonnen Butter, 10 Centner Käse, ein vollständiges Bett, ein Kleid und ein silberner Becher, Alles im Gesamm[t]werth von 2500 Gulden, verschrieben. Die Spielart Semper Augustus – weiß mit Lackroth aus einem blauen Grunde bis zu oben fein proportionirlich und ebenmäßig geflammt, wie sie in Francisci „lustiger Schaubühne vielerhand Curiositäten“ beschrieben – kostete 2- bis 5000 Gulden, etwas niedriger im Preis standen die Spielarten Admiral van Eyck, Admiral Liefken, Schilder und Andere. Für eine Zwiebel wurden einmal, wie Munting erzählt, 4600 Gulden verschrieben, und da sich der Verkäufer noch nicht begnügte, gab der Liebhaber eine neue, mit zwei Apfelschimmeln bespannte Kutsche dazu.

Mancherlei Anekdoten sind aus jenen Tagen überliefert. Ein Amsterdamer Kaufmann hatte eine Tulpenzwiebel um 500 Gulden gekauft. Noch lag der unscheinbare Schatz auf dem Tisch, als ein Matrose in’s Zimmer trat und eine Botschaft überbrachte. Der Kaufmann ließ ihm eine Kanne Bier und einen Häring vorsetzen, und unbemerkt griff der Bote auch nach der Zwiebel, schälte und aß sie, – ein Frühstück, das dem Wirth mehr kostete, als wenn er durch den Koch des Prinzen von Oranien ein stattliches Tractament hätte rüsten lassen. Ein englischer Naturforscher, mit welchem Matthews reiste, steckte in einem Garten in Holland ein paar Zwiebeln zu sich, um die schädliche Wirksamkeit der sogenannten Tulpenfliege zu untersuchen, wurde aber des Diebstahles bezichtigt und sollte einen Schadenersatz leisten, als wenn er sich in einer fürstlichen Schatzkammer einen kühnen Griff erlaubt hätte.

Ein treffendes Urtheil über jene Handelschaft findet sich in Francisci’s oben genannter Schrift. Er läßt einige Freunde über die Tulpenmanie der Holländer ein Gespräch führen. Ehrenhold verwirft ein für allemal solche Geschäfte, ein ehrlicher Mann dürfe sich nicht aus eines Andern Thorheit bereichern. „Warum nicht?“ erwidert ihm Freund Gaston, „wenn die Narren zu Markte gehen, freuen sich die Weiber, denn sie lösen Geld!“ „Warum,“ fährt er fort, „soll gerade nur ein edler Stein und nicht [723] auch eine edle Blume hohen Preis erzielen? Wenn reiche Leute ihr Geld mit Schmausen und Zechen verprassen, finde man es begreiflich, aber man schelte sie Narren, wenn sie für eine Lieblingsblume ein kleines Vermögen ausgeben.“ –

Es handelte sich aber in Wirklichkeit nicht mehr um Befriedigung einer Laune reicher Liebhaber, es war vielmehr, wie ein Zeitgenosse, der holländische Geschichtschreiber van Meteren, es kurz und bündig ausspricht, „ein blinde Kauffmannschaft, daß manche Blum an den zwantzigsten verkaufft wurde, deren keiner die Blum jemahls gesehen.“ „Sie kaufen und verkaufen, was sie nicht besitzen,“ damit bezeichnet auch Schrevelius das neue Geschäft als „Fixen“. Bei der Steigerung des Handels und der Häufung der Preisschwankungen wurde die Differenz der Course selbst zum Gegenstand des Handels gemacht, und diesem nur der Schein von Waarenverkaufsgeschäften gegeben.

Dieser Gesichtspunkt ist festzuhalten. Es ist deshalb im Ganzen und Großen unrichtig, von einer Tulpenmanie – der französische Dichter Menage, ein Zeitgenosse Racine’s soll zuerst das Wort Tulipomanie gebraucht haben, – zu sprechen, denn nicht um den Besitz der Tulpe handelte es sich, – in diesem Falle hätte der Preis nicht steigen, sondern fallen müssen. „Macht die Producte der Landwirthschaft theurer, wenn ihr sie wohlfeiler haben wollt,“ sagt Young, und mit Recht, denn stärkerer Consum bewirkt stärkere Production, und die Tulpe ist so gut wie der Spargel ein Product der Landwirthschaft im weiteren Sinn des Worts. Wo es viel Personen giebt, die Spargel essen wollen und bezahlen können, werden viele Spargelbeete angelegt, und der Preis fällt. Auf gleiche Weise würden binnen Kurzem in Holland ganze Tulpenplantagen entstanden sein, und nach wenigen Jahren würden alle Liebhaber für weit niedrigere Preise Blumen haben kaufen können. Allein dies traf nicht ein, weil eben der Schornsteinfeger, der seinen Besen wegwarf, nicht Gärtner, sondern Händler wurde. Aus weiter Ferne würde man Zwiebeln verschrieben, nach Cappadocien und Thracien würde der hohe Preis die Leute gejagt haben, um Zwiebeln zu holen, dagegen zechte der Tulpenhändler gelassen in der heimathlichen Schenke, ohne an so mühevolle Beutezüge zu denken. Ehe nur überhaupt der Tulpenflor aufblühte, waren mehr Zwiebeln erhandelt und verhandelt, als alle Gärten Hollands aufzuweisen hatten, und obwohl der Semper Augustus nur in zwei Exemplaren zu Amsterdam und Haarlem vorhanden gewesen sein soll, so wurde doch keine Art öfter gekauft und verkauft als diese.

Ein unglaublicher Spieltaumel ergriff Alt und Jung. Bettler fingen an, auf Tulpen zu bieten, die viele Tausende kosten sollten, Edelleute und Bauern, Matrosen und Holzträger, Weber und Waffenschmiede verließen ihre gewohnte Beschäftigung, um Tulpenhandel zu treiben. Es lief dabei nicht viel Geld um, Alles ging auf Borg und auf „Lieferung in der Tulpenzeit, welche irgend ein vier Wochen wehret“. Alle schlimmen Folgen einer Erschütterung der gewohnten Ordnung des Handelsverkehrs stellten sich ein. „Was für Praktiken, Betriegerey und Vervortheilung unter dieser Kauffmannschaft ist fürgelauffen,“ sagt van Meteren, „kann ein Jeder leichtlich gedenken.“ Manch Einer entzweite sich mit seiner Hausfrau ob der Verwendung des erhofften Gewinns, weil der Mann Rappen und die Frau Schimmel vor die Kutsche zu spannen wünschte. Nicht blos Banken zu gemeinsamem Betrieb mit größerem Capital bildeten sich, sondern die Blumisten insgesammt vereinigten sich zu einer förmlichen Gilde mit eigenen Herbergen, Beamten, Schiedsgerichten. In den Herbergen pflegte es hoch herzugehen. Schrevelius plündert die ganze poetische Literatur Roms, um die Ausschreitungen jener Schwindelperiode nach Verdienst zu brandmarken. „Den Himmel selbst gedachten sie in ihrer Thorheit zu stürmen!“

Auch in England und Frankreich, Deutschland und Dänemark begann man Zwiebelgeschäfte abzuschließen. Ein Engländer soll für eine Zwiebel, welcher ein regelrecht ausgearbeiteter Stammbaum beigelegt war, 13,000 holländische Gulden geboten haben. Die Agiotage hatte ihren Höhepunkt erreicht – da brach das Kartenhaus zusammen. „Als nun die Sache auf’s Höchste kommen und die Blumisten in ihrem großen Gewinn gleichsam ersoffen waren, ist dieser Handel unversehens sogar übern Hauffen geworffen worden.“

Ein unbedeutender Zufall führte die Krisis herbei, die ohne ihn freilich nur verzögert, niemals aufgehalten worden wäre.

In Haarlem war zu Anfang des Jahres 1637 große Tulpenbörse. Da fiel plötzlich der Cours einer beliebten Gattung um mehrere hundert Gulden. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt und erregte in allen betheiligten Kreisen Bestürzung und Furcht. Die kleinen Leute wollten nun ihr Capital retten, indem sie rasch Baarzahlungen verlangten, dies hatte unvermeidlich ein Sinken aller Course und eine Panik auch in allen anderen Städten Hollands zur Folge. Die wirklichen Tulpenzüchter wollten die vor Kurzem so kostbaren Zwiebeln in natura abliefern, aber Niemand wollte sie annehmen. Sobald einmal der windige Handel in seinem wahren Charakter erkannt war, mußte er ein Ende nehmen, ein Ende mit Schrecken. Alle Symptome des Bankerotts zeigten sich im ganzen Lande, wie sie ein Jahrhundert später bei dem Actienschwindel der Law’schen Compagnie in Frankreich sich wiederholten. Die Träume von fabelhaften Reichthümern zerrannen, Angst und Trauer bemächtigten sich der Gemüther, der Anruf der Gerichte war erfolglos, die Resignation eine Nothwendigkeit, kein Trost.

Zwar wurde ein Versuch gemacht, die Krisis abzuwenden oder doch in engeren Schranken zu halten. Eine Anzahl der angesehensten Blumisten trat am 24. Februar 1637 in Amsterdam zusammen; es wurde verabredet, daß alle Contracte, die vor dem 30. November 1636 geschlossen waren, unverbrüchlich gehalten werden, neuere aber gegen eine Entschädigung von zehn Procent für die Händler außer Rechtskraft gesetzt werden sollten.

Allein es war nicht mehr möglich, die Katastrophe aufzuhalten, der Credit der neuen Gesellschaft selbst war allzusehr erschüttert, als daß ihr Ausspruch Beachtung gefunden hätte. Nun riefen die in ihrer Existenz Bedrohten Staatshülfe an, aber die Generalstaaten weigerten sich, das Schwindelgeschäft durch obrigkeitlichen Schutz gleichsam zu sanctioniren. Zwar erklärte ein Edict vom 27. April 1637 vorläufig, d. h. bis zum Ausgang amtlicher Untersuchung, alle Contracte für gültig; die Verkäufer sollten ihre Tulpen den Contrahenten anbieten und, falls diese die Annahme verweigerten, ihre Waare entweder aufbewahren oder anderweitig verkaufen und sich des Schadens wegen an die ersten Contrahenten halten. Da aber kaum zu erwarten stand, daß sich die Obrigkeit definitiv für Gültigkeit der Contracte aussprechen werde, so gereichte die provisorische Erklärung keineswegs zur Beruhigung. Die Käufer weigerten sich, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, der Proceß führte nur um so sicherer zum Bankerott, man schätzte sich schließlich glücklich, wenn man durch Vergleiche 5 oder 6 Procent rettete.

So nahm jenes Hazardspiel ein jähes, immerhin zu spätes Ende. Es wurden zwar später wiederholt Versuche gemacht, ähnliche Geschäfte in’s Leben zu rufen. Rist erzählt, daß in den sechsziger Jahren des 17. Jahrhunderts in Holland plötzlich die Anemone, das Windröschen, so hoch im Preise stand, wie einige Jahrzehnte früher die Tulpe, aber bei massenhaft gesteigerter Production verlor das Ziergewächs rasch diesen Modewerth. Eine gefüllte Lilie kostete 50 Reichsthaler. Ricard, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nach Haarlem kam, sah dort ein paar Tulpenzwiebeln, die ungefähr 600 holländische Gulden gekostet hatten. In Weston’s „Botanicus universalis“ und in der „Physikalisch-ökonomischen Bibliothek“ finden sich Listen, in welchen für einige Tulpenarten, Don Quivedo, Valentinier etc. mehr als zwei Pfund Sterling angesetzt sind. Auch Sophie La Roche, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Holland bereiste, sah in Haarlem eine Tulpe von schönem Blau, Imperialis, welche 100, eine weiß-rothe, Maria Schurmann, welche 50 Gulden kostete. Sie erwähnt auch eine Sitte, wonach sich reiche Kaufherren, welche „von der artigen Krankheit, kostbare Blumen besitzen zu wollen“, angesteckt waren, von ihren Lieblingen getreue Portraits malen ließen und diese wie Familienbilder an ihre Freunde versendeten. Der Göttinger Professor Beckmann meinte deshalb, man könne immerhin noch von einer „kleinen Tulpomanie“ sprechen.

Zum Hazardspiel freilich war die Zwiebel nicht mehr nöthig, dazu hatte man bereits fast in allen Staaten das italienische Lotto, Dank dem, wie Beckmann klagt, „einige Gewinne Vornehme und Geringe, Reiche und Arme zum öffentlichen Spiel ziehen, daß alle Gewerbe schläfriger betrieben und von manchen gänzlich verlassen werden, weil man den Arbeitern ein bequemeres Mittel, reich zu werden, gewiesen hat; sowie wir die Tulpomanie des [724] 17. Jahrhunderts verlachen, so werden unsere Nachkommen über die Lottomanie des 18. spotten.“

Nun, des Lotto sind wir in Deutschland ledig, die Spielsucht, d. h. die Begier nach außergewöhnlichem Gewinn ist geblieben, und wir können ebenfalls nur die Frage aufwerfen: wie werden unsere Nachkommen über die von uns erlebte Gründer–Aera, über die Dachauer Banken, über den „schwarzen Freitag“ 1869 in New-York, über den Börsenkrach 1873 in Oesterreich und Deutschland denken?

„Die Welt,“ läßt Francisci seinen Ehrenhold sagen, „ist mit all ihrem Wesen selbst eine Blume, bei der man billig Zweifel hegt, ob sie nit allzu theuer im Preise stehe!“