Drei unvergeßliche Herbsttage

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Titel: Drei unvergeßliche Herbsttage
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 28–31
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Drei unvergeßliche Herbsttage.
Erinnerungen an das Wartburgfest-Jubiläum von einem Mitjubilar.
Burschenschaft, Wartburgfest und Schwarz-roth-gold werden in der Geschichte Deutschlands ewig jugendfrische Zeugen bleiben von der Sehnsucht, welche den edelsten Theil des deutschen Volks ein halbes Jahrhundert lang nach einem Vaterland erfüllte. Es bleibt Geschichte, daß in Deutschland es eine Zeit gab, wo nur noch der Jünglingsmuth an die Möglichkeit eines Vaterlandes zu denken wagte; es bleibt Geschichte, daß die Jünglinge für diesen Gedanken wie gemeine Verbrecher behandelt worden sind; es bleibt Geschichte, daß von dieser Jugend der nationale Gedanke erst in’s Volk getragen wurde und daß dieses Volk, als ein Sturm von außen ihm die Macht der Selbstbestimmung verlieh, die Fahne der Burschenschaft zur deutschen Fahne erhob. Diese volksgeschichtliche Weihe verleiht den burschenschaftlichen Erinnerungsfesten mit der höheren Bedeutung zugleich den eigentümlichen Geist, welcher Jugendfrische und Altersehrfurcht in erhebender Verschmelzung zeigt. Darum hat sich denselben die Theilnahme der Vaterlandsfreunde allezeit zugewandt, und eben darum sind wir überzeugt, daß auch unser etwas verspäteter Rückblick auf das im October des nun vergangenen Jahres gefeierte Jubiläum des Wartburgfestes, dessen Schilderung wir der Feder eines der Alten verdanken, nicht blos bei den Burschenschaftsgenossen in der Ferne, sondern in Deutschland selbst noch immer freundliche Aufnahme finden werde.
D. Red.

Wer den siebzigsten Geburtstag nicht blos von Voß gelesen, sondern selbst hinter sich hat, muß mit seinen Festen sparsam umgehen. Das habe ich gethan. Seit Jahren habe ich das letzte Wiedersehen meiner Burschenschaftsgenossen zu meinem letzten Lebensfeste bestimmt, und Gott hat es mir verliehen, daß ich es erlebte und gesund und froh überstand, ja, daß mir sogar noch durch Vermittelung eines der Gartenlaube nahestehenden Mitfestgenossen der Auftrag zu Theil wurde, meine Festerinnerungen in diesem Blatte zu veröffentlichen.

Ich übergehe die stillbeglückenden Vorfeststunden der Reise, die seit vielen Jahren wieder mein erster weiterer Ausflug war. Hatte ich doch selbst keines der großen Jubelfeste in Jena besuchen können. Ich war fünfzig Jahre älter geworden und hatte keinen meiner Jugendgenossen von der Burschenschaft wiedergesehen, nicht einmal meinen liebsten Freund. Deshalb bewegte mich fortwährend die Frage: Ob wohl Einer Dich wieder erkennt? Mit klopfendem Herzen fuhr ich am Nachmittag des 17. October in Eisenach ein und an demselben Rautenkranz vor, wo auch vor fünfzig Jahren der Festausschuß seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Gruppen von Festgenossen wandelten akademisch frei in den fahnengeschmückten Straßen und auf dem Markte umher. Ich eilte in den Saal des Festcomité, – auch da Gewoge durcheinander, – nahm mein Festzeichen, eine schwarz-roth-goldene Schleife, in Empfang, ward allerdings als Jubilar mit Auszeichnung begrüßt, aber nur von jüngeren Männern, die ich nicht kannte.[1] Da setzte ich mir einen Stuhl neben den Comitétisch, entschlossen, nun meine geheime Wiedersehensfeier zu beginnen. Nannte doch jeder Ankömmling seinen Namen für die Präsenzliste; wie konnte mir da Einer meiner Freunde entgehen? – O, wurden das wehmuthvolle Augenblicke! Wohl trat zwischen den Schaaren der Jünglinge im Alter des blühendsten Glücks und der Männer in jeder Schattirung der Haare, auch Dieser und Jener heran – ach, wie traurig einzeln! – von den „Wartburgfestjubilaren“, – ich hielt das Herz fest, um nicht aufzuspringen, – ich suchte in den Gesichtern die Züge der Jugend, aber vergeblich, – und eben so vergeblich wartete ich auf eine Wiedererkennungs-, eine Begrüßungsfreude. Ja, fünfzig Jahre machen alt! – Ich war nahe daran, mich vom Gefühl der Verbitterung übermannen zu lassen, – Da kam Der, den ich am sehnlichsten erwartet, mit dem ich so oft in einem Bette geschlafen, aus einem Becher getrunken hatte, – und auch Er ließ mich sitzen!

„Karl,“ rief ich aufspringend, „auch Du kennst mich nicht mehr?“ ich nannte mit zitternder Hast meinen Namen, und wir lagen uns in den Armen – lange, lange. Dann betrachteten wir unsere Gesichter mit deutscher Gründlichkeit.

„Wohin sind Deine schönen braunen Locken gekommen?“

„Sie sind denselben Weg wie Dein blondes Bärtchen gegangen.“

„Nichts ist treu geblieben, als die Augen.“

„Und das Herz, Alter, das Herz!“

„Nun rasch fort, hinaus in’s Freie!“ – Wir Zwei hielten uns fest, Arm in Arm geschlungen, wie ein Paar Jünglinge in der ersten Freundschaftsverliebtheit, und so gingen wir von dannen. Draußen sahen wir mehr solcher Pärchen und Grüppchen, alle stillwonnig daran, gegenseitig rückwärts zu blättern in den Bilderbüchern ihres Lebens.

Nach köstlichen Wiedersehensfeierstunden eilten wir in den Erholungssaal zum Fest-Kneibabend! Jetzt begann mein stiller Triumph über meine Mitjubilare: ich konnte sie mit dem Namen anrufen und stolz fragen: „Und wer bin ich?“ O welch’ herrliches Umarmen, wie uralte Lippen preßten da aufeinander! Ich konnte nun das Häuflein der Unseren übersehen: nicht viel über Fünfzehn der Fünfhundert von 1817 brachte ich zusammen! Nur das rüstige und stattliche Aussehen der Meisten tröstete Mich über ihre geringe Zahl. Da saß mein alter Gabler, jetzt Superintendent in Dornburg, Hörschelmann, Superintendent in Schloß Tonndorf, Anacker, Superintendent in Uelleben bei Gotha, die Eisenacher Pfarrer Friderici und Appellationsgerichtsrath Schmidt, die Jenenser Archidiaconus Klopfleisch und Schüler, der Oberappellationsgerichtsrath und tapfere Volksvertreter in Parlament und Landtag, die Oekonomen Huschke von Zwätzen und Sturm von Cella, die Pommern Pastor Loholm von Sanzkow und Professor Zober von Stralsund, und dort wieder Trainer, Advocat in Triptis, und mein treuer Franke, Oberlehrer in Mühlhausen, und noch drei geistliche Herren, Walch, Archidiaconus in Salzungen, Klapproth, Pfarrer in Tüngeda, und unser ehrwürdiger Cotta, Pastor in Willerstedt bei Weimar, der uns als Student mit der ersten Composition von Arndt’s „deutschem Vaterland“ erfreute, nun Mitglied des Wartburgfestcomité und heute unser Kneipwart war. Außer den eigentlichen Jubilaren waren noch andere alte Herren da, welche erst nach 1817 die Universität bezogen hatten, wie Naundorf aus Leipzig, Hofbaurath Demmler aus Schwerin, Weißenborn, Frenzel, Venus und Heym aus Eisenach, Krüger aus Schenkenberg, die Pfarrer Rasch von Thal und Busch von Moosbach, Professor Guericke von Halle, Dr. Buff von Nidda, Amtmann Oehlmann aus Köthen, Dr. Lommel aus Nürnberg etc.; jetzt war’s schwer zu unterscheiden, wer von ihnen damals bemoostes Haupt oder Fuchs gewesen.

Im Saale herrschte Commers-Ordnung, ein Dutzend Jenenser Burschen in Festwichs, mit Baretten, Schärpen und Schlägern besetzten

[29]

Die Bekränzung der Burschenveteranen.
Originalzeichnung von Prof. Doepler in Weimar.


[30] die Enden der langen Tafeln, „Ad loca!“ und „Silentium!“ wurden respectirt. Aber – soll ich hier einen Kneipabend beschreiben? Das Aeußerliche eines solchen weiß doch Keiner zu schätzen, der nicht den Pietätswerth des eigenen Jugendgefühls dazu legen kann. Und heute wär’s ein Kneipabend, zu welchem die Burschenschafter eines halben Jahrhunderts aus allen Gauen des Vaterlandes zusammengekommen waren und wo Geister der verschiedensten politischen und religiösen Richtung zusammentrafen, die Alle aber ein Herzenswunsch zu Brüdern macht, der Wunsch und das Ziel: Heil, Heil dem deutschen Vaterland!

Wir Jubilare hatten für den Festzug den Schwert- und Fahnenträger und deren Begleiter aus unserer Mitte zu wählen. Das Geschäft war rasch abgethan: wer war würdiger, das Ehrenschwert der Burschenschaft zu tragen, als derjenige, welcher gestern vor vierundfünfzig Jahren - auf dem Schlachtfeld von Möckern das Schwert für’s Vaterland geführt und sich das eiserne Kreuz erkämpft hatte, der Pastor Loholm, genannt, der alte Husar? Die Burschenfahne aber erhielt Oekonomierath Sturm, und mit Recht, denn eine Sturmfahne ist sie allezeit in Deutschland gewesen.

Gespräche, Gesänge und Reden füllten den Abend sicherlich für Alle zu gleichem Genuß aus; nur was uns Alten sehr am Herzen lag, wie vor fünfzig Jahren uns auch auf diesem Wartburgfest der Versöhnung und Vereinigung der jetzt so vielgetheilten Burschenschaft zu erfreuen, mißlang. Die Jugend gehört eben einer anderen Zeit an und hat sich in ihrer Weise auf die Kämpfe vorzubereiten, die wir nicht mehr erleben. Möge sie nur ihre Schuldigkeit so treu thun, wie wir die unsere gethan haben!

Wie ein Freudenschuß wirkte plötzlich auf die Versammlung, ein großherzogliches Telegramm von Weimar, welches dem Feste die Wartburg öffnete und dem Commandanten derselben (Obristlieutenant v. Arnswald), fröhliche Feier wünschend, die Begrüßung der Ankommenden auftrug. Die Freudigkeit der Geister wurde dadurch bedeutend belebt und die akademische Lust schwamm auf immer Höheren Wogen, unsere müden Köpfe bedurften aber der Ruhe, und so schlich ich mit meinem Freunde still von dannen.

Wir thaten einen langen kräftigen Schlaf und stiegen am Hauptfestmorgen zum Markt hernieder, als es schon auf ihm von Volk und Festgenossen, wogte. Und wieder frischten hundert „Gutmorgen“ und Handdrücke des Herzens Lust an. Es ging lange bunt durcheinander, bis- endlich um uns Alte die übrigen Festgenossen einen Kreis bildeten. Aus dem Rautenkranz zogen, von Robert Keil geführt, Loholm mit dem Schwert, Sturm mit der Fahne und die chargirten Studenten in Festwichs zu uns her. Nun harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Und siehe, da öffnete sich nach der Karlsstraße neben dem Rathhause hin ein Spalier, die Musik erhob einen Tusch und heran schwebte, geführt von Friedrich Hofmann, eine Schaar Jungfrauen in weißen Gewändern, mit Epheu das Haar und mit schwarz-roth-goldnen Schärpen die Brust geschmückt und mit Eichenkränzen in den Händen. Und gerade vor den alten Husaren hin trat eine hohe schöne Jungfrau und sprach laut und klar:

„Gestattet uns, ehrwürd’ge Greise,
Daß wir dem Dank des Vaterlands
Gestalt verleih’n in uns’rer Weise:
Euch schmücke heut’ ein deutscher Kranz!

Ein Kranz von unsern Wartburgeichen,
Für deutsche Treue, deutsche Kraft
Das schönste Männerehrenzeichen
Euch Vätern uns’rer Burschenschaft!“

Dann wand sie einen Kranz um seinen Hut und einen andern um den Schwertgriff; ebenso wurden gleicher Zeit Sturm und die Fahne geschmückt. Und nun entfaltete sich der weiße Zug und flatterte zu uns heran, wie Frühlingsblüthen auf morsche Stämme, wie ein Friedenstaubenflug zu grauköpfigen Adlern. O, wie da junge und alte Augen selig in einander strahlten in Rührung und Dank! Wie mußte Der sich freuen, in dessen Kopf der schöne Gedanke entsprungen war!

Als die Jungfrau, die mir einen prächtigen Eichenkranz um meinen Hut befestigt hatte, in die Reihe der Uebrigen trat und ich mich nun umschaute, lachten schon all’ die alten Gesichter meiner Genossen unter dem grünen Schmuck und, einzelne der Festjungfrauen suchten für die übrig gebliebenen Kränze noch würdige Häupter. Bescheiden am Rand des Kreises stand ein hoher Mann mit grauem Bart; kaum hatte eine der Jungfrauen erfahren, daß dies ein blinder Dichter, Ludwig Wucke von Salzungen, sei, so eilte sie zu ihm und setzte ihm den Kranz auf’s Haupt. „Ach, wenn ich Das sehen könnte!“ rief der arme Beglückte aus. Noch andere anwesende Poeten, wie Müller von der Werra, von dem am Abend beim Commers „ein neues Wartburglied“ gesungen wurde, und der Rothenburger Einsiedler (Fr. Beyer von Kelbra), wurden geschmückt und schließlich erhielten auch die Comité-Mitglieder die wohlverdiente Auszeichnung.

Der Zug vom Markt durch die Stadt und zur Wartburg hinauf war ein Glanzstück des Festes; wir von den Festjungfrauen geführten und begleiteten Grauköpfe fühlten uns so munter, daß, uns der Uebermuth trieb, steil bergauf manches alte Leiblied anzustimmen. Und mit dem Herzen schwelgte das Auge, jemehr rings um uns Thüringen seine Berg- und Wälderpracht entfaltete.

Es war elf Uhr vorüber, als die Spitze des Zuges das Thor erreichte und dort, auf den gestern Abend telegraphisch ausgesprochenen Wunsch des Großherzogs von Weimar, vom Commandanten mit feierlicher Begrüßung, von der Wachtmannschaft mit präsentirtem Gewehr empfangen wurde. Im Burghof entfaltete sich ein schönes Bild. Während sämmtliche jüngere Festgenossen der Freitreppe des Landgrafenschlosses gegenüber eine halbkreisförmige Gruppe bildeten, hatten wir Jubilare uns unter die Halle der Freitreppe, die Jungfrauen unter die Hallen zur Rechten davon zurückgezogen, zur freien Höhe der Treppe aber stiegen die beiden Festredner hinauf, denen zur Rechten Loholm mit dem Schwert, zur Linken Sturm mit der Fahne, Beide hinter sich ihre jugendlichen Begleiter in akademischem Festschmuck, sich aufstellten.

Der Festact war einfach, aber gediegen. Luther’s „feste Burg“ eröffnete ihn, Cotta’s herzige Begrüßung des Thüringer Landes, der Lutherburg, der Burschenfahne, „des edlen Kleinods einer hehren, großen Zeit“, und Hörschelmann’s kernige Rede, die den treuen Kampf der alten Burschenschaft für „Freiheit, Ehre und Vaterland“ vor den Augen der Jugend als mahnendes Vorbild erhob, unerschrocken der Wahrheit und der auf Wahrheit gegründeten Volksveredelung und Volksbefreiung zu dienen, bildeten den erhebenden Mittelpunkt, und Fr. Hofmann’s „Wartburgfestlied“ schloß ihn und gab ihm durch den Wechselgesang zwischen den Alten und Jungen eine an die Stätte des Sängerkriegs sinnig erinnernde dichterische Weihe.

Als ob die Natur sich unserer Gemüthsstimmung freundlich anschließen wolle, zogen wir unter nun heiterem Himmel zur Stadt zurück. Auf dem Markte löste der Festzug sich auf, wir bedurften, nach der ungewohnten Anstrengung und Aufregung, der leiblichen Stärkung und geistigen Ruhe, um mit Leib und Seele wieder für den Zug zum Festfeuer gerüstet zu sein. Mein alter Freund wich nicht von meiner Seite.

Um fünf Uhr bestiegen wir einen der für uns zur Fahrt auf den Wadenberg bestimmten Wagen und langten mit einbrechender Finsterniß auf der Höhe an. Wiederum eine geschichtliche Stätte. Hier hatten wir vor fünfzig Jahren Luther’s Bullenverbrennung nachgeahmt und dadurch die Rache aller Lichtscheuen und Deutschfeindlichen auf uns gezogen. Sie Alle sind von der Zeit beseitigt und von der Nation vergessen; wir aber standen hier vor dem Jubelfeuer mit den alten patriotischen Grundsätzen und neuen Hoffnungen ihres völligen Sieges in der deutschen Zukunft. Und das sprach in herrlichen Worten Robert Keil, der Feuerredner, aus, nachdem mit den prasselnden Flammen das Lied „Stoßt an, Eisenach lebe!“ sich in die Luft erhoben hatte. In drei Hochs mündete der gewaltige Strom seiner Rede: das erste galt uns Jubilaren von 1817, das andere der deutschen Burschenschaft, das dritte dem einigen, freien deutschen Vaterlande. Daß wir daran auch diesmal das Fragelied knüpften: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ ist nicht gefährlich mehr heute, wo selbst im Norddeutschen Bunde kein rechter Mann als Antwort singen wird: „Das halbe Deutschland soll es sein!

Jetzt erst, wo ich mich dem Thal von Eisenach zuwandte, während die Festgenossen ihre Fackeln am Feuer anzündeten, ward ich durch den Anblick der festlich beleuchteten Wartburg überrascht, die über dem tiefen Dunkel, des Thals und des Bergs wie ein Feenschloß auf den Wolken schwebend erschien. Man konnte des bezaubernden Bildes nicht satt werden, und wir schieden nur von ihm, als der Fackelzug nicht weniger lockend seine Feuerlinie den [31] Berg hinabzog. Unser verspäteter Wagen folgte der von Musik geführten, hellleuchtenden, singenden, jubelnden und volkumwogten Schaar, wir stimmten in ihr Hoch ein vor jedem festlich erleuchteten Hause in den Straßen Eisenachs und labten uns an dem prächtigen ächten Studentenbilde, als Alt und Jung in mächtigem Kreise auf dem Markte zum Schlägerklirren das „Gaudeamus“ sang und endlich alle Fackeln in hohen Bogen auf einen Haufen flogen, während bengalische Flammen die Häuser- und Menschengruppen mit bunter Pracht bestrahlten und von draußen der Donner von Böllern und allerlei Schießgeräth herein grüßte.

Die so einfach und bescheiden angelegte Feier war zum Volksfest geworden, dessen Freude die ganze Stadt erfüllte und von der Wartburg in das Herz Deutschlands, in das Thüringer Land hinaus leuchtete.

Nach kurzer Rast und Stärkung im Rautenkranz im Kreise manches lieben Genossen, wo wir auch dem wackern Oberbürgermeister von Eisenach, Röse, unsererseits den Dank aussprechen konnten für die edle Weise, in welcher er unser Fest unterstützte, er, der treue Sachsensenior, mit unseren Burschenfarben sein Rathhaus geschmückt und das Holz zu unsrem Festfeuer auf Stadtkosten besorgt hatte, eilten wir zum letzten Festwerk des Tags, zum Commers. Die Beschreibung des Commerses überlasse ich ebenfalls unserm Freund Keil; er wird auch die schönste Zierde desselben, die Festjungfrauen, nicht vergessen.

In diesen Augenblicken gehobenster Stimmung konnte nichts uns willkommener sein, als die Grüße, die aus jedem Theile unseres dreigetheilten Vaterlands von treu im Geiste mit uns feiernden Männern und Jünglingen uns telegraphisch zugerufen wurden und deren jeder neuen Jubel in der Versammlung anfachte. Der erste kam vom Rechtsanwalt Beck in Lindau am Bodensee. Aus München rief ein Wartburgs-Jubilar, Oberappellations-Rath v. Tucher, uns Alten zu: „Gruß den Brüdern, welchen, was begeisterter Jugendmuth erkannt, fünfzig Jahre unverrücktes Ziel geblieben. Gott segne unser theures geliebtes Vaterland und wohne unter uns! Pereat den äußeren und inneren Feinden, die es hindern, daß es endlich werde in rechter Herrlichkeit ein einiges freies Deutschland. Es lebe dreimal hoch!“ Aus Lübeck, aus Graz in Steiermarck, aus Königsberg in Preußen, aus Heidelberg, Hanau, Braunschweig, Wien etc. feierten Einzelne und Verbindungen mit uns den Burschenschaftsgedanken des einen und einigen Deutschlands. Zwischen den Telegrammen theilte Robert Keil uns an das Festcomité eingegangene Zuschriften von jetzt sehnsüchtig nach uns Herblickenden mit, vor Allem von Riemann, dem Wartburgredner von 1817, der es bitter beklagte, daß es ihm nicht vergönnt sei, uns Rest der Alten noch einmal zu sehen. – Ein anderer Wartburg-Jubilar, F. W. Gründler[WS 1], schrieb von Heidenheim am Hohen Kamm in Baiern, daß er neununddreißig Jahre lang den 18. October gefeiert habe auf seinen einsamen Bergwerken in den Wäldern Mexicos, wie mitten unter den Kaffeebäumen und Zuckerfeldern, an den glühend heißen Ufern des Montezuma, wie auf der Grenze ewigen Schnees, und heute rufe er aus den Buchenwäldern seiner Heimathberge uns Alten sein Glückauf zu! – Vom Reichstag des Norddeutschen Bundes riefen zwei Jubilare, Lette und Bernhardi aus Hessen, uns zu: „Was wir in der Jugend erstrebt, beginnt sich zu erfüllen im Alter!“

Wohlthätige Ruheminuten gewährte der treffliche Gesang einer Eisenacher Liedertafel, bis endlich der Gipfelpunkt jeder Commersfreude winkte: der „Landesvater“, bei welchem unsere Festjungfrauen bewiesen, daß ein deutsches Mädchen selbst Klinge und Pokal mit Anmuth zu führen weiß und wie vaterländische Begeisterung das Weib so hoch erhebt.

Es war längst Mitternacht vorüber, als die meisten von uns Alten der jüngeren Generation das Feld der Festfreude allein überließen; aber es dauerte lange, bis wir von der Thür des Saales uns trennen konnten: der Blick war zu labend auf diese von den Wogen des edelsten Jubels getragenen Schaaren, – und der Blick war zu wehmüthig, weil’s der letzte war auf einen solchen Jubel.

Am Morgen des Neunzehnten, es war ein wochenmarktbelebter Sonnabend, kamen die Festgenossen noch einmal im Erholungssaale zusammen, wir Alten, um noch ein paar letzte Worte an einander und an die jüngeren Festgenossen zu richten und dann zu scheiden. Heute trieb das erregte Herz Manchen auf die Rednerbühne, der sie bisher Anderen überlassen hatte. Vor Allen ließ Loholm hier das noch immer jugendhelle Feuer seiner kampferprobten Seele aufleuchten und erschütterte Alt und Jung. Doch auch der Humor brach sich Bahn. Klopfleisch citirte ihn durch seine Mittheilungen aus Oken’s Isis über das erste Wartburgfest, und als sich gar ein Zeuge jener Zeit und ganz absonderlicher Festjubilar in dem alten Tambour der anwesenden Musik vorfand, der vor fünfzig Jahren beim Festzug die Trommel geschlagen, so gab dies sogar Anlaß zu einem nochmaligen freudigen Hoch. Die herbeigekommene Scheidestunde, die Abfahrt der meisten Alten mit den Mittags-Bahnzügen, gebot ein plötzliches „Ende“. Wir Greise sahen uns zum letzten Mal in die Augen, schlossen uns zum letzten Mal in die Arme. Thränen rannen auf alte und junge Wangen, als Loholm’s letzter Wunsch an seinen Busenfreund laut wurde: „Wenn Du meinen Tod erfährst, so halte mir in Deiner Familie ein stilles Trauergedächtniß; stirbst Du vor mir, so will ich für Dich dasselbe thun.“ – „Lebt wohl – lebt wohl auf immer!“ – „Wiedersehen dort in der ewigen Wartburg!“

  1. Das Festcomité bestand aus dem Wartburgsjubilar Pastor Cotta, der bei meiner Ankunft seinen Platz noch nicht eingenommen hatte, Dr. Friedrich Hofmann aus Leipzig und Dr. Robert Keil aus Weimar, deren energischem Zusammenwirken wir die Durchführung des Festes verdanken, ferner Keil’s Bruder, Dr. Richard Keil aus Apolda, und dem Diaconus U. R. Schmid aus Lobeda bei Jena. Von den nöthigsten geistigen Festarbeiten hatte Schmid die Begrüßung am Kneipabend, Cotta die Begrüßung auf der Wartburg, Hofmann das Festlied und Robert Keil die Feuerrede übernormnen. Uebrigens wird in diesen Tagen eine alle Reden, Gedichte und Zuschriften enthaltende ausführliche Beschreibung unseres Festes von Dr. Robert Keil erscheinen, für deren Erlös dem wackeren Scheidler ein Grabdenkmal im Gottesacker zu Jena errichtet werden soll.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Wilhelm Gründler (1800–1875); Vorlage: J. W. Gründler