Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Osterfest 2

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II.

Am Abend des ersten Ostertages.

1858.
1. Cor. 5, 6–8.
 WEr, meine lieben Brüder, von euch allen, hat schon einen großen Wendepunkt seines eignen Lebens erfahren – und hernach vergeßen? Der Tag des ersten Abendmahlsgenußes fällt bei uns in eine sehr frühe Zeit des Lebens; wie viele Dinge folgen hernach, die ganz geeignet sind, den frühen Eindruck zu verwischen und in Vergeßenheit zu bringen; dennoch, wer vergißt seinen ersten Abendmahlstag? Und wer vergißt seinen Hochzeittag, den Todestag seiner Eltern, und alle hervorragenden Tage seines Lebens? Wenn nun aber niemand die Wendepunkte seines Lebens vergißt, wie viel mehr werden sich solche Tage unverwüstlich der Erinnerung einprägen, die zugleich für uns und für andre, oder gar für uns und die ganze Welt große, folgenreiche Wendepunkte geworden sind. Diese Schlüße, meine Lieben, sind mir immer gekommen, so oft ich die Behauptung hörte, daß die ersten Christen keine Feste gefeiert hätten. Ich habe| es nie geglaubt und nie glauben können, weil es mir so unnatürlich, so gar nicht zur Einfalt des heiligen Lebens zu paßen schien, welches die heiligen Apostel hatten und das von ihnen auf die ersten Gemeinden übergieng. Im Gegentheil scheint es mir fast über den Zweifel erhaben zu sein, daß die großen Dinge, welche der HErr an Ostern und Pfingsten unter den Seinen gethan hat, sich in jedem wiederkehrenden Jahre in der Erinnerung der Christen erneuern mußten, festlich und feierlich erneuern mußten, auch wenn sich dazu weiter kein Anlaß gefunden hätte. Nun kam aber dazu noch ein andrer Umstand, der nemlich, daß die judenchristlichen Gemeinden sich durch das Christentum von ihrem alten gottesdienstlichen Leben keineswegs so losgetrennt fühlten, daß sie für die von Jugend auf gewohnten Festfeiern gar keinen Sinn mehr gehabt hätten. Die großen Thaten der Erlösung und Heiligung der Welt trafen ja so genau mit jüdischen Festen zusammen, daß man sogar auf den Gedanken kommen konnte, Gott selbst, dem alle Seine Werke bewußt sind vom Anfang der Welt her, habe die alttestamentlichen Feste gerade für die Zeiten angeordnet, an welchen Er nach Seinem ewigen Rathe die großen Thaten der Erlösung und Heiligung vollbringen wollte. So trifft ja mit dem jüdischen Passahfeste der Tod und die Auferstehung JEsu Christi, mit dem jüdischen Pfingstfeste die Ausgießung des heiligen Geistes zusammen, und die alt gewohnten Feiertage bekamen für den Judenchristen nur eine neue, höhere Bedeutung mehr. Daraus schon geht hervor, daß auch die erste christliche Zeit ihre Feste werde gefeiert haben. Wir finden aber auch in der heiligen Schrift die bestimmten Spuren davon. Im 16. Kapitel unseres Textesbriefes, welcher in das Jahr 57 n. Chr. zu setzen sein wird, schreibt St. Paulus V. 8: Er wolle in Ephesus bis Pfingsten bleiben. Auch lesen wir Ap.-Gesch. 18, 21 und 20, 16, daß der Apostel in Jerusalem im Jahr 58 habe Pfingsten feiern wollen. So feierte also der Apostel Paulus Pfingsten, und zwar nicht bloß in Jerusalem, der judenchristlichen Muttergemeinde, sondern auch in der heidenchristlichen Gemeinde Ephesus. Kann man da zweifeln, daß er auch seine heidenchristlichen Gemeinden zur Pfingstfeier werde angeleitet haben? Und kann man sich denken, daß er, der große, von allem Judaismus freie Lehrer der Heiden, mit diesen ein jüdisches Pfingsten werde gefeiert haben: wird nicht die christliche Heilsthat das Hervorstechendste der Feier gewesen sein? Wenn er sie aber angeleitet hat, Pfingsten zu feiern, wird er sie nicht angeleitet haben, auch Ostern zu feiern? Die Antwort wird wohl aus Ap.-Gesch. 20, 6 mit ziemlicher Klarheit zu nehmen sein. Da schreibt nemlich St. Lucas: „Wir aber schifften nach den Tagen der süßen Brote von Philippi ab.“ Also feierte der Apostel mit Lucas zu Philippi in Macedonien das Fest der süßen Brote, und zwar in einer heidenchristlichen Gemeinde. Man könnte zwar allerdings sagen, es könne hier eben so gut angenommen werden, daß der Ausdruck: „nach dem Fest der süßen Brote“, bloß zur Zeitbestimmung diene. Allein warum dann gerade diese Weise der Zeitbestimmung, zumal in der Apostelgeschichte, von der man doch nicht einmal sagen kann, daß sie im Interesse der Judenchristen geschrieben sei? Die Apostelgeschichte ist offenbar in heidenchristlichem Sinne geschrieben. Wenn aber das, wozu dann die jüdische, den Heidenchristen ferne liegende Zeitbestimmung, wenn diese nicht zugleich zu einer christlichen geworden ist? Hier treten wir nun unserm Texte näher. Aus Kap. 16 unsres Textesbriefes muß man wohl schließen, daß der erste Brief an die Korinther kurz vor der österlichen Zeit geschrieben ist. Bemerkt man aber diese Zeit des Briefes, so werden unsre Textesverse, namentlich V. 7 und 8, kaum anders zu verstehen sein, als eine Ermunterung zur Osterfeier, nicht zur jüdischen, sondern zu einer christlichen, welche von der jüdischen unterschieden wird. Oder was soll es denn heißen, wenn St. Paulus schreibt: „Christus, unser Passah, ist für uns geschlachtet; so laßt uns nun Fest feiern, so laßt uns Ostern halten nicht im alten Sauerteige?“ Was sollen diese, was sollen alle andern Beziehungen auf das alttestamentliche Osterfest, wenn es kein neutestamentliches Osterfest gibt? Wenn man auch sagen wollte, die neutestamentliche Passahfeier sei eine immerwährende, unser Passah sei am Charfreitag geschlachtet und das neutestamentliche Osterlammseßen dauere eben so lange, als die Verkündigung des Todes Christi dauern solle, nemlich bis der HErr kommt, so ist mit aller Wahrheit, welche sich darinnen ausspricht, doch der Ausdruck: laßt uns Fest feiern, noch nicht erklärt, der eben doch| auf eine bestimmte Zeit, auf eine bestimmte Feier hinweist, und uns in der Ueberzeugung bestärken kann, daß St. Paulus mit seinen Heidenchristen bereits ein christliches Passahfest, ein neutestamentliches Ostern gefeiert habe. Allerdings gewinnt in der Darstellung unsres Textes dies Osterfest St. Pauli ganz die Gestalt eines Abendmahlsfestes. „Unser Passahlamm ist geschlachtet,“ nemlich am Charfreitag. „So laßt uns Fest feiern, Ostern halten,“ das ist, das Gedächtnis der Aufopferung JEsu im österlichen Sacramente begehen. Allein, meine lieben Brüder, wenn auch in unserm abendländischen Bewußtsein bei der Osterfeier hinter dem Gedanken der Auferstehung der Gedanke des heiligen Abendmahles zurücktritt, so mahnt uns doch eben unsre Epistel, ihn mit dem Gedanken der Auferstehung vielmehr zu verbinden. Ohne die Auferstehung Christi kein Abendmahl. Wär’ Er nicht erstanden, so würde niemand seine Stiftung geehrt und ein Abendmahl gehalten haben. Erst nachdem Er in der Auferstehung als Gottes ewiger Sohn und unser Hoherpriester erwiesen ist, dazu als das Gott angenehme Passahlamm, gewinnen alle Seine Worte und alle Seine Werke, in der Zeit Seines Fleisches gethan, Kraft und Leben. In Kraft Seiner Auferstehung feiert man das Abendmahl und in das Abendmahl herein strömt die Kraft des Todes und der Auferstehung unsres Passahlammes Christus. Daher ist auch des Ostertages höchste, fröhlichste Feier von alten Zeiten her, ja wie unser Text zeigt, von Anfang her, die Feier des Abendmahles JEsu, der da todt war und ist wieder lebendig geworden, der uns auch nicht bloß reichet den Leib Seines Todes, sondern den Leib der Auferstehung und das lebendige, unverwesliche Blut, in beiden aber eine Speise und Arzenei des ewigen Lebens.

 Ist nun das Osterfest ein Fest des Abendmahles des Auferstandenen, so laßt uns nun auch einmal sehen, wie wir es nach der Lehre St. Pauli begehen, wie die Gemeinden an Ostern das Abendmahl eßen und feiern sollen. Alles, was wir darüber lernen werden, wird dann zugleich für die gesammte österliche Lebenszeit der Abendmahlsgemeinde und für jeden Abendmahlsgenuß maßgebend sein, der auch nicht in die Zeit der Ostern fällt.

 Auch bei dieser Anweisung schließt sich der Apostel ganz an die alttestamentliche Passahfeier an. Von dem eigentlichen Passaheßen, dem Passahlamm selbst, ist allerdings keine Rede: das Lamm ist Christus, im Abendmahle gegeßen. Dagegen aber hat das alttestamentliche Passahmahl auch geringere Nebenspeisen gehabt: insonderheit die ungesäuerten Kuchen, welche zum Lamm gegeßen werden mußten. Diese Verbindung der ungesäuerten Kuchen mit dem Lamm ist es, auf welche der Apostel in unserem Texte zumeist sieht. Mit dem Lamme, der himmlischen Speise, vereinigt sich das ungesäuerte Brot, die irdische Speise. Wie nun das Lamm die Himmelsspeise bedeutet, die uns im Sakramente gegeben wird: so fragt es sich nun, was durch die menschliche Speise bedeutet wird, die wir unter dem ungesäuerten Brote zu suchen haben. Diese Frage aber löst uns unser Text mit voller Sicherheit. Das ungesäuerte Brot bedeutet die Gemeinde, welche im Sakramente mit Christo, ihrem Passahlamm, verbunden wird. Wäre das nicht der Fall – so würde der Apostel nicht sagen können: „Feget den alten Sauerteig aus, auf daß ihr ein neuer Teig seid, gleichwie ihr ungesäuert seid.“ Da ist also nichts anderes gesagt, als: die Gemeinde ist der Teig, das Brot, entweder gesäuert oder ungesäuert, neu oder alt. Diese von dem heiligen Apostel gegebene Deutung ist nicht etwa bloß ein willkührliches, menschliches Gleichnis, sonst würde es für die Korinther keine schlagende Kraft haben, sondern sie ist die Offenbarung des Inhaltes, welcher im alttestamentlichen Vorbilde verborgen war. Gleichwie, um mit dem Kirchenvater und der Abendmahlsvermahnung zu reden, aus vielen Körnlein ein Brot zusammen gebacken wird; so entsteht aus vielen einzelnen Menschen nach Gottes Willen eine Gemeinde. Wie diese Gemeinde zum neutestamentlichen Passah gehört, so ist sie auch selbst von neuer Art, oder wie der Apostel sagt: ein neuer Teig; zum neutestamentlichen Passah paßt keine alttestamentliche Gemeinde; das Vorbild ist vergangen, das Urbild gekommen, der Herr macht alles neu. Er ist aber auch ein Eiferer für den neuen Charakter der christlichen Gemeinde, und war es schon zur Zeit, da er die Vorbilder einsetzte. Darum gebot er in der Zeit des Vorbildes, daß zur Zeit des Passah’s der alte Sauerteig weggethan, ausgefegt werden mußte. Auch Sauerteig ist Teig, so muß auch das, was unter Sauerteig gemeint ist, eine Verwandtschaft mit dem| haben, was unter dem Teige begriffen ist. Ist also der Teig die Gemeinde, so muß der Sauerteig Menschen bedeuten, die sich zur Gemeinde fügen, wie man den Sauerteig zum Teige fügt; es müßen aber Menschen gemeint sein, welche sich von dem Teige auch wiederum unterscheiden, wie Süßteig vom Sauerteig, also böse Menschen, denn süß ist hier gut und sauer ist böse. Dazu müßen diese bösen Menschen eine ansteckende Kraft auf die Gemeinden haben, wie der Sauerteig den Süßteig versäuert, sonst würde der Apostel weder sagen: „ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig,“ noch würde er die starke Aufforderung ergehen laßen: „feget den alten Sauerteig aus.“ Das Beispiel der Gottlosen ist also kräftig zum Verderben, und daher soll es wirkungslos gemacht werden dadurch, daß man sie hinwegschafft, und wie der Apostel selbst im Verlaufe des Kapitels sagt, aus der Gemeinde wegthue. Dies alles geht aus unserm Texte unzweifelig hervor. Darum muß es auch aus dem ganzen Zusammenhang unzweifelig sein, daß der Apostel in Beziehung auf das Osterfest bei dem Genuß des neutestamentlichen Osterlamms im Abendmahle ernste Zucht verlangt, und haben will, daß die Gemeinden bei ihren Abendmahlsgängen jedes böse Beispiel entweder entfernen oder umwandeln sollen, und daß in Bezug auf die Osterfeier sowie auf jede Abendmahlsfeier, durch welche unsere Lebenszeit zu einer österlichen umgestempelt wird, großer Eifer und heilige Sorgfalt für Reinigung und Reinerhaltung der Gemeinden erfordert wird. Abendmahlszucht, insonderheit österliche Abendmahlszucht, ist eine nöthige vom Apostel geforderte Sache. Darum sagt auch der Apostel: „Laßt uns Ostern halten nicht im alten Sauerteig, auch nicht im Sauerteig der Schalkheit und Bosheit, sondern in den süßen Broten der Lauterkeit und Wahrheit.“ Damit will er nicht bloß, daß jeder Christ auf sich selber sehen soll, die üble Mischung zwischen gut und bös in sich meiden, die Einfalt eines aufrichtigen und wahrhaftigen Herzens, die Süßigkeit eines göttlichen Gemüthes herstellen; sondern er will eine solche Lauterkeit, Einfalt und Süßigkeit haben, welche sich gegen die Anwesenheit des Bösen in der Gemeinde wehrt, und gegen die Ansteckung desselben auf der Hut ist. – Wer nun hier nicht sieht, meine lieben Brüder und Schwestern, daß der Apostel von den Abendmahlsgemeinden Zucht verlangt, ja sogar strenge Zucht, und daß es nach seinem Sinne die Liebe zu allen fordert, daß man die einzelnen bösen Beispiele von der Gemeinde ausscheide, wenn man sie mit der bekehrenden Liebe nicht überwältigen kann, der hat nicht viel Auge, der ist nahe an der Blindheit. In den alten Gemeinden herrschte der Grundsatz: „das Heilige den Heiligen,“ das ist: das Passahlamm zum süßen Teige, das Abendmahl denen, die nach Gerechtigkeit hungert und dürstet. Nach unserem Texte ist dieser Grundsatz auch vollkommen gerechtfertigt, und wer es mit der Zucht, mit der Abendmahlszucht, mit der österlichen Zucht nicht genau nimmt, von dem könnte man auch wohl behaupten, er nehme es mit den apostolischen Worten nicht sehr genau, diene den Verhältnissen der jammervollen Mischung, die in der Kirche sich findet, anstatt darnach zu ringen und darauf zu dringen, daß die Verhältnisse von innen heraus erneuert und gereinigt werden.
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 Es gab einmal, meine lieben Brüder, eine kirchliche Partei, die Novatianer, welche denen, die nach der Taufe in offenbare schwere Sünden fielen, keine Absolution und keine kirchliche Tröstung mehr zuwendeten. Sie sagten gerade nicht, daß derlei Menschen unrettbar verloren wären, sie wollten Gottes Barmherzigkeit nicht beschränken, aber die Kirche hielten sie nicht befugt, im Namen Gottes mit solchen armen Sündern tröstend umzugehen: eine solche novatianische Zucht können wir nimmermehr wollen. Es gab auch noch eine andere Kirchenpartei, die Donatisten, die zwar jene novatianische Strenge ein wenig milderten, und denen, die nach der Taufe gesündigt hatten, wenigstens in der Todesnoth den kirchlichen Trost gespendet wißen wollten, die aber nichts destoweniger von der Kirche verlangten, was Christus nicht glaubte, verlangen zu können, nämlich daß alle Glieder rücksichtlich ihres Wandels so rein sein sollten, wie die Kirche in ihrem Grundsatz war. Diese Donatisten mußten bald an ihrem eigenen Beispiele erleben, wie unbesonnen ihre Hoffnung war, und wie jedes Maß überschreitend der von ihnen gehegte Gedanke, völlig reine Kirchen herstellen zu können. Auch mit diesem Donatismus können wir nichts zu schaffen haben wollen. In der alten katholischen Kirche selbst führte man nach der decianischen Verfolgung| für die Gefallenen eine scharfe Bußzucht ein: man setzte vier Stationen der Buße fest, welche Jahre lang ausgedehnt wurden, so daß ein Gefallener sogar zwanzig und mehr Jahre brauchen konnte, um die Stufen der Bußzucht durchzumachen. Auch vor dieser unapostolischen und unevangelischen Strenge behüte uns der HErr, selbst in dieser elenden jammervollen Zeit, in welcher der böse Sauerteig den guten fast ganz und gar durchdrungen zu haben scheint. Es muß eine Hoffnung sein für jeden Sünder, und wenn der korinthische Blutschänder, von welchem in unserm Textkapitel die Rede ist, von der Gemeinde und dem Apostel wieder aufgenommen wurde, so bald er Buße that, so ist es offenbar, daß auch der, welcher nach der Taufe in schwere Sünden fiel, von Gott und Seiner Gemeinde um Christi willen wieder angenommen werden kann. Aber wenn wir auch aller novatianischen, donatistischen und altkatholischen Uebertreibungen der Zucht widerstehen müßen, so dürfen wir ihr doch nicht überhaupt widerstehen, weil ja der heilige Apostel Paulus, als er dies schrieb, Zucht, Abendmahlszucht, und solche Abendmahlsgemeinden verlangt, wie sie das Vorbild des alttestamentlichen Süßteiges vorbedeutet hat. Nachdem das Verderben so groß geworden ist, wie wir es täglich unter uns erkennen müßen, hat die Wiederherstellung auch nur eines geringen Maßes von Zucht so große Schwierigkeiten, daß denjenigen, die es mit unbesonnenen Hoffnungen und ohne Kenntnis des großen Verderbens versucht haben, oft schnell aller Muth zerrinnt, und sie lieber alles gehen laßen, wie es kann und mag, als daß sie mit Beständigkeit, langsam, aber unwidertreiblich, die Ordnung Christi in den Gemeinden wieder herzustellen suchten. Aber mag es nun leicht oder schwer gehen, gelingen oder nicht gelingen, so bleibt doch das Wort des Apostels stehen und man muß dennoch immer wieder predigen und sagen, daß eine zuchtlose Horde keine Gemeinde, kein neuer Teig, kein Süßteig, sondern ein verderbter durchsäuerter Teig sei, der zum Osterlammseßen des neuen Bundes nicht paßt, und beim Abendmahl Christi des HErrn selbsteigene hohe Misbilligung findet.
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 Diese Auslegung, meine lieben Brüder, bringt allerdings wenig Osterfreude mit sich. Sie ist von tiefer, schmerzlicher Trauer begleitet. Wenn man diese Osterepistel liest, da könnte es einem werden, wie den heimgekehrten Israeliten, da sie das Gesetzbuch Mosis fanden. Die Freude am lautern Wort des HErrn könnte Reue und Bußethränen bringen und das Osterhallelujah in lauter Sündenbekenntnis und flehendes Kyrie-eleison verwandeln. Es wäre auch gar nichts beßeres zu wünschen, als eine solche Wirkung, welche, so wie sie eintreten würde, die Grundlage zu der größten Freude bilden könnte. Wie kann eine Osterfreude beim Sauerteig, beim alten Teig, beim verderbten Teige stattfinden? Wenn gleich die österliche Zeit vorhanden ist, so bleibt doch nicht das Hallelujah, sondern die Buße für alle diejenigen die nöthigste Sache, die sich, wie die Gemeinde zu Korinth, den Tadel des Apostels gefallen laßen müßen, der da spricht: „Euer Ruhm ist nicht fein, wißet ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert“? Das aber müßen sich die Gemeinden unseres Vaterlandes weit und breit gesagt sein laßen, und ich wüßte in der That keine einzige Ausnahme unter allen Gemeinden unserer Heimath zu machen. Das Passahlamm wird zwar allenthalben gegeßen und Ostern überall gefeiert, aber nicht in süßen Broten, sondern im alten Sauerteig, und alles, was bisher geschehen ist, um nicht novatianischen, donatistischen und altkatholischen Uebertreibungen, aber den Forderungen Christi und Seiner Apostel genug zu thun, ist aller Orten so klein und gering, daß man es kaum anschlagen und etwas nennen kann. Wir und unsere Väter, dazu auch die Hirten und Lehrer der letzten und der früheren Zeit haben durch völlige Vernachläßigung der apostolischen Worte so viel gesündigt und so großen Zorn Gottes aufgehäuft, daß in der That nicht mehr abzusehen ist, wie die Strafe aufgehalten und geholfen werden kann. Wenn Bekenntnistreue und Zucht die beiden Beine sind, welche den Leib der Kirche tragen, so kann man sich kaum der Bemerkung erwehren, daß wenigstens das eine Bein, nämlich die Zucht, lahm, todt und ohne Tragkraft ist. So muß dann der ganze Körper mit all seinem Ballast und Uebergewicht sich dahinschnellen auf dem selbst wunden Einen Beine, hinken und hüpfen, bis er in die Grube fällt, die ihm der Feind auf seinem Wege bereits gegraben hat. Es ist mir sehr leid, wenn der zweite Theil dieses Vortrags dem ersten so wenig entspricht, betrübt machen und Freude stören kann, aber die Schuld liegt nicht| an mir, nicht an dem Texte, sondern allein an den Umständen und am Zustand der Gemeinden. Der Himmel ist voll österlicher Freude, die Tische zum Passahmahle sind alle gedeckt, aller Ueberfluß ist vorhanden, es könnten Millionen satt werden und eßen, es könnte ein Osterjubel, ein Passahgesang, ein Freudenton in der Welt sein, der alle Heiden wecken und fröhlich machen könnte, aber es ist nicht so, weil allenthalben die furchtbarste Zuchtlosigkeit herrscht, und am Ende gar von denen vertheidigt wird, die sich vielmehr der Sünden schämen und bekennen sollten, was für eine große Mitschuld auch sie an diesem Verderben tragen.

 Als Jerusalem bereits belagert war, lief ein Mann, Jesus, Anani Sohn, wie wahnwitzig in der Stadt und auf ihren Mauern herum und rief ohn Unterlaß: „Wehe, wehe Jerusalem!“ Man suchte ihn zu stillen mit guten und mit bösen Worten und mit Strafen, aber er blieb seinem Weheruf getreu, bis ihn ein feindliches Wurfgeschoß unterbrach, und er mit den Worten niedersank: „wehe auch mir!“ So ist es bei uns. Wehe Jerusalem, wehe auch mir, ist der Ruf. Wehe dem Ganzen der Kirche, wehe den einzelnen Gliedern, wehe allen. Der Teig ist versäuert, der Sauerteig droht den wenigen guten Teig vollends zu verschlingen, alles ist sauer, schier nichts paßt zum Osterlamm. Da helfe uns der einige Helfer und verleihe uns, daß wir hoffen, wo nach Menschen Ansicht nichts zu hoffen steht. Er verleihe uns ein fröhliches Auferstehungsfest Seiner Kirche, und laße noch einmal Seine Todten wieder leben, und die Kinder Seiner Kirche grünen, wie die Oelzweige um Seinen Tisch her. Amen.



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