Erinnerungen an Heinrich Heine aus dem Jahre 1851

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Autor: Heinrich Rohlfs
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Titel: Erinnerungen an Heinrich Heine aus dem Jahre 1851
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30–31, S. 473–475, 487–490
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Erinnerungen an Heinrich Heine aus dem Jahre 1851.

Von Heinrich Rohlfs in Bremen.

Von allen unseren deutschen Dichtern ist wohl keiner so verschieden beurtheilt worden, als der vor sieben Jahren in Paris verstorbene Heinrich Heine. Dies ist um so wunderbarer, als seine Freunde wie seine Feinde sich unter den verschiedensten Ständen und politisch und religiös geschiedenen Parteien befinden. Die radicale Burschenschaft und die aristokratische Diplomatie, der oberflächliche commis voyageur und der pedantische, für die Außenwelt abgestorbene Stubengelehrte, die feine Salondame und die leichtfertige Berliner Grisette, der Pietistische Landpfarrer des Wupperthales und der lichtfreundliche Pastor Sachsens, der für Mozart und Beethoven schwärmende classische Musikfreund, sowie der für Richard Wagner’s Zukunftsmusik sich Enthusiasmirende, der durch die raffinirtesten Sinnesgenüsse blasirt gewordene Jüngling der Neuzeit, sowie der jugendliche Greis aus den Befreiungskriegen, der für culinarische Genüsse und eine Havannacigarre begeisterte Hanseat, sowie der bei Knödeln, Dampfnudeln und Bier in körperliche Ekstase gerathende Altbaier, kurz jedes Alter, jeder Stand, jeder Rang war eine Zeitlang von den Heine’schen Gedichten und Schriften hingerissen und bezaubert. Kein Buch außer „Werther’s Leiden“ und den „Räubern“ hat unter den Deutschen je eine solche Wirkung, wie Heine’s „Reisebilder“ und sein „Buch der Lieder“ hervorgebracht. Ja, es gab eine Zeit, in der Heine, ehe die Verwicklungen mit Börne und Platen ihm viele Widersacher und Feinde erweckten, nur einen Stand in einer geschlossenen Phalanx gegen sich hatte, es war der vormärzliche Stand der Censoren, die, wenn auch bei unseren augenblicklich halbfertigen und provisorischen Institutionen ihre Rolle und ihr Amt von den Redacteuren und der Polizei übernommen ist, doch als Stand und Staatsbeamte zu bestehen aufgehört haben. Wenn es nun auch noch nicht an der Zeit sein dürfte, ein abschließendes Urtheil über Heine als Dichter und Mensch zu fällen, da wir als Zeitgenossen desselben durch den Charakter unserer Zeit selbst zu sehr in unseren Urtheilen geleitet werden und die richtige Auffassung eines jeden großen Mannes einer künftigen Generation überlassen bleiben muß, so werden doch gewiß, besonders da wir bis jetzt keine Biographie Heine’s besitzen, alle Mittheilungen über seine Persönlichkeit für die Freunde der Literatur von Interesse sein. Denn je mehr positive Details und Data über Heine vorliegen, desto leichter wird es einem späteren Geschlechte werden, mit Hülfe dieser Materialien zu einem richtigen Verständnisse des Dichters zu gelangen. Hat die Nachwelt doch stets den Vortheil, daß sie von einem überwundenen Standpunkte aus, von der objectiven Höhe der Vogelperspective, und nicht durch von den Vorurtheilen und Schlacken der Gegenwart getrübte Gläser, die Vergangenheit betrachtet und daher von vorn herein einen richtigeren Sinn und ein unbefangeneres Urtheil mitbringt. Die Worte aber, die Schiller von Wallenstein sagt: „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“, können wir auch auf Heine anwenden. So viel jedoch steht fest, daß mit Heine eine neue Epoche unserer Literatur begonnen hat.

Heinrich Heine ist der erste deutsche Dichter, in dem sich das Bild seiner ganzen Zeit mit ihren Fehlern und Tugenden, in allen ihren Bestrebungen, Neigungen, Gedanken und Gefühlen in politischer, socialer und kulturhistorischer Beziehung abspiegelt. Ich halte diesen Umstand für so bedeutend, daß ich fest überzeugt bin, daß spätere Literarhistoriker von Heine an für die deutsche Literatur eine neue Periode datiren und daher unsere ganze jetzige Literaturperiode die Heine’sche nennen werden. Heine wird daher erst dann ganz begriffen werden, wenn es einem späteren Geschichtsschreiber gelungen ist, von dieser merkwürdigen Zeit ein treues und wahres Bild geliefert zu haben. Wenn man aber Heine ohne Rücksicht auf seine Zeit beurtheilen wollte, dann würde das Urtheil auf jeden Fall schief, hinkend und einseitig werden. Dem Biographen Heine’s muß daher erst der Schlosser und Macaulay der politischen Geschichte vorausgehen. So verschieden auch in diesem Augenblicke das Urtheil über Heine ausfallen mag, darin sind die Meisten einig, daß er als lyrischer Dichter selbst neben Goethe und Schiller steht und von keinem Dichter der Neuzeit übertreffen ist. Seine zahlreichen Feinde und Widersacher, an denen jedes Genie zu leiden hat, -– denn nur der Dumme ist eben durch den ihm angeborenen Panzer der Dummheit vor Feinden gesichert, – sind mit ihren persönlichen Invectiven und Injurien seit seinem Tode verstummt, und die kurz vor seinem Ende bei Hoffmann und Campe erschienenen neuen Gedichte – ich meine den Romancero – haben den Deutschen gezeigt, daß Heine’s geistige Spannkraft selbst auf seinem Sterbelager noch nicht erloschen war, und die binnen wenigen Tagen vergriffene Auflage von 4000 Exemplaren hat bewiesen, wie groß noch immer der Zauber war, den der deutschfranzösische Dichter, wie die Franzosen in ihrer Eitelkeit ihn zu nennen beliebten, auf die Freunde der Dichtkunst ausübte. Man erinnert sich vielleicht noch, mit welcher Theilnahme das deutsche Publicum zur Lebenszeit Heine’s die Berichte von Alfred Meißner und Adolf Stahr aufnahm. Wenn meine Schilderungen auch nicht die Bilderpracht eines Alfred Meißner zur Schau tragen, noch gewürzt sind durch die schwungvolle Phantasie eines Adolf Stahr, so werden sie doch das Verdienst haben, nach der Quelle zu schmecken. Ein halbjähriger Aufenthalt in Paris gab mir hinreichend Gelegenheit, Heine, den ich als Dichter seit meiner Jugend verehrte, auch als Mensch auf’s Höchste schätzen zu lernen.

Als ich im Frühjahr 1851 nach Paris kam, schwankte ich lange, ob ich es wagen sollte, Heinrich Heine zu besuchen. Mehrere Bekannte, die ich dort traf und denen ich meine Zweifel mittheilte, versicherten mir, daß es mir nichts helfen könne, wenn ich zu ihm ginge, indem ich sicherlich abgewiesen würde; denn Heine’s Zustand sei ein solcher, daß er nicht einmal die mit Empfehlungsschreiben von seinen Verwandten Versehenen zu sich ließe und selbst Leute von literarischem Rufe nicht mehr annehme. Einem Enkel der Goethe’schen Charlotte in Werther’s Leiden, der auf diese Verwandtschaft hin keinen Zweifel hegte, vorgelassen zu werden, war dasselbe widerfahren. Dies Alles waren Beweggründe genug, mich in meinem Schwanken zu bestärken. Der Gedanke jedoch, daß ich mir, wenn ich Paris wieder verlassen hätte und Heine vielleicht nicht mehr zu den Lebenden gehörte, stets Vorwürfe machen würde, [474] nicht wenigstens versucht zu haben, des Dichters persönliche Bekanntschaft zu machen, bestimmten mich endlich, zu ihm zu gehen.

Heine wohnte in einem von dem alten Paris, der Cité, sehr entlegenen Stadtviertel. Hat man sich durch den Strom der eleganten Equipagen und Reiter auf den von allen Völkern der Erde wimmelnden Boulevards glücklich durchgearbeitet, so gelangt man am äußersten Ende der noch sehr belebten Chaussée d’Antin, auf der das Gelärm der Boulevards noch immer in den Ohren nachklingt und die Augen noch geblendet sind von der Pracht und Großartigkeit der mannigfaltigen Gegenstände, durch eine kleine Seitenstraße in einen Stadttheil, in dem man nur noch durch die Höhe und Eleganz der Häuser erinnert wird, daß man in Paris ist. Hier schweigt das ewige Gerassel der Wagen, – höchstens sieht man einen Omnibus in gleichmäßigem Trabe dahinfahren – hier werden die Ohren nicht mehr verletzt durch die unerträglichen und unarticulirten Töne des nomadisirenden Kaufmannsstandes, hier hört man nur in der Ferne die monotone Musik der von Tagesanbruch arbeitenden Drehorgeln, auf denen Invaliden durch deutsche Melodien das musikalisch so hoch gebildete Ohr der Pariser in Entzückung versetzen; hier glaubt man wirklich, wenn man sich statt der Häuser in modernem Baustyle Giebelhäuser denkt, man befände sich in dem stiller gewordenen Augsburg oder Lübeck. Wäre dieser Stadttheil erbaut worden zu der Zeit, als letztere Städte in commercieller Beziehung die Metropolen Deutschlands waren, dann würden sicherlich auch einige der Straßen dieses Stadttheils ihren Namen führen. So aber findet man hier wohl eine Rue de Constantinople, Milan, Naples, Berlin, Munich, Stockholm, Florence etc., aber man vermißt die Namen obiger Städte. In diesem Viertel, dessen Straßen nur die berühmtesten europäischen Städte zu Pathen haben, wohnte auch Heinrich Heine und zwar in der Rue d’Amsterdam No. 50. Die Dichter liebten von jeher die Einsamkeit. Wohin hätte also Heine sich besser zurückziehen können, als nach diesem Stadttheil, der, ohne den Schmutz und die unheimliche Diebesstille anderer Vorstädte zu besitzen, den Comfort und die Eleganz des übrigen Paris aufweist? Zwei Stiegen im Hinterhause des Gebäudes führten zu der Wohnung des Dichters. Eine junge Dame, deren Gesichte eine tiefe Trauer aufgeprägt war, öffnete mir die Thür. Ihr trug ich meine Bitte vor. Welche kaum gehoffte Freude für mich, als sie, nach wenigen Augenblicken zurückkehrend, mir Einlaß in das Zimmer des Dichters gewährte! Wegen der herabgelassenen Vorhänge herrschte in dem Gemache, das durch ein paar auf den innern Hofraum führende Fenster erhellt wird, ein abenddämmerliches Licht. In dem den Fenstern entgegengesetzten Theile des Zimmers steht des Dichters Bett, im Halbkreise von einem Ofenschirm umgeben, um so viel wie möglich allen Zug abzuhalten. Wie schlug mein Herz, als ich, um den Schirm mich wendend, nun endlich, in einer halb sitzenden, halb liegenden Stellung, den Dichter vor mir sah! Ich weiß nicht mehr, was ich gesprochen habe; ich stand einige Augenblicke stumm an seinem Lager. Alle Eindrücke, die ich jemals bei der Lectüre der Heine’schen Schriften empfangen hatte, schienen in meinem Geiste zu gleicher Zeit bei dem Anblicke des Dichters wieder aufzuleben. Von einer schrecklichen Krankheit bewältigt, lag er, ein Prometheus an den Felsen geschmiedet, schon seit drei Jahren an sein Bett gefesselt, mit den Qualen des Todes stets ringend, ohne die Freuden des Lebens, die von ihm so lieblich besungenen irdischen Götter, genießen zu können. War es wirklich derselbe Heine, in dessen Schriften die Gottheit und der Teufel wie Braut und Bräutigam die Ringe wechseln; der uns ein Paradies des menschlichen Herzens schildert und gleich darauf dasselbe in einen Sündenpfuhl verwandelt; dessen Gedichte bald Rosen und Veilchen sind, bald die verderblichsten Giftblumen; dessen Gefühle bald als ätherische Elfen durch Frühlingslüfte dahin schweben, um im nächsten Augenblicke als grinsende Kobolde unter der Aegide Mephisto’s in Holzschuhen aufzutreten; derselbe, der da gesungen: „Du bist wie eine Blume, so hold, so schön und rein,“ und gleich darauf singt: „Der König Wiswamitra, den treibt’s ohn’ Rast und Ruh’“; derselbe Dichter, in dessen Köcher die Pfeile der Satire von duftenden Blumen der Lyrik umwunden sind? Ja! dieses poetische psychologische Räthsel lag vor mir in einem Zustande, der auch das Herz seiner Feinde geschmolzen haben würde.

„Nehmen Sie es mir nicht übel,“ hob er an, „daß ich mich in diesem Augenblicke nicht lange mit Ihnen unterhalten kann, weil ich gerade jetzt von den heftigsten Krämpfen gepeinigt werde, so daß ich alle meine Geisteskraft zusammen nehmen muß, um nur sprechen zu können.“ Darauf zog er mit den Händen, die er meistens über die Stirn geschlagen zu halten pflegt, die gelähmten Augenlider empor und schaute mich an mit einem Blicke, aus dem tiefes Leiden, stoischer Muth und ein verglimmendes Feuer zugleich zu athmen schienen. Obgleich seine Augenlider gelähmt waren und seine Sehkraft bedeutend abgenommen hatte, so hatte doch der Vesuv seines Blickes noch nicht aufgehört, feurige Blitze zu sprühen. Heine’s Physiognomie ist ungemein interessant; die hohe, freie Stirn zeugt von der Tiefe seiner Gedanken, die scharfgeschnittene Nase und die schmalen, eng zusammen gepreßten Lippen erwecken unwillkürlich den Gedanken in uns, daß jedes seiner Worte eine Satire sein müßte, und man ist nicht wenig überrascht, aus diesem Munde eine Stimme vom weichsten Klänge und Worte von der Milde der Frühlingslüfte des Wonnemonats ertönen zu hören. Daneben giebt der starke Schnurr- und Kinnbart dem abgemagerten und eingefallenen Gesichte etwas eigenthümlich Dämonisches. Trotz der heftigsten Krämpfe, die vom Rückenmark aus seine untern Extremitäten befallen hatten, konnte ich doch in seinen Mienen keine Spur von Schmerz lesen. Einen Menschen leiden sehen, erregt Mitleid; einen Menschen mit Seelenruhe, mit Stoicismus die furchtbarsten Qualen ertragen sehen, steigert das Mitleid zur Bewunderung.

Das Jahr 1848, durch das für die Völker Europa’s die Morgenröthe der Freiheit aufging, brachte Heine die Leiden hoffnungslosen Siechthums, das ihn seitdem beständig an’s Krankenzimmer fesselte. Sein Uebel bestand in einer Erweichung des Rückenmarks. Die untere Körperhälfte war bei ihm vollkommen gelähmt, ebenso die Augenlider. Nur die obern Extremitäten konnte er noch frei bewegen. Die Krämpfe beschränkten sich jedoch nicht blos auf die gelähmten Theile, sondern befielen auch die Athmungs- und Schlingorgane. Manchmal hatten sie solche Stärke, daß der ganze Körper wie eine Spirale sich krümmte. Die einzige Linderung verschafften dem Dichter große Gaben Opiums; doch scheiterte auch dessen Wirkung häufig an der Intensivität der Anfälle. Sehr charakteristisch für Heine ist, daß er auch in der Medicin Freigeist war. Heine machte in diesem Punkte eine Ausnahme von allen sogenannten Freigeistern, die ich bisher Gelegenheit hatte, kennen zu lernen. Sind diese auch in ihren politischen Ansichten Communisten oder rothe Republikaner, in der Religion Atheisten oder Pantheismen: in jeder Beziehung, die ihr körperliches Wohl betrifft, sind sie gläubig, schwören auf die Worte ihrer Aerzte und erblicken in jeder ihnen verordneten Pille ein untrügliches Wundermittel gegen ihre körperlichen Gebrechen. Sie, die allen Glauben als ein Unding verwerfen, fangen an gläubig zu werden, sobald nur ein Glied ihres Körpers erkrankt. Fast ohne Ausnahme sind die Atheisten stets Pietisten in der Medicin! Anders Heine. Diejenigen, die seine Inconsequenz so häufig zur Zielscheibe ihrer Angriffe gewählt haben, werden in dieser Hinsicht seine Consequenz anerkennen müssen. „Ich glaube nicht,“ sagte er eines Tages zu mir, „daß noch Hoffnung für mich vorhanden ist, meine Gesundheit je wieder zu erlangen, überdies habe ich kein Vertrauen zu den französischen Aerzten als Heilkünstlern; sie mögen ausgezeichnete Chirurgen sein und auch auf die Diagnose der innern Krankheiten sich gut verstehen, sie verstehen aber nicht dieselben zu heilen. Ich nehme übrigens keine Medicin, weil ich an ihre Wirkung nicht glaube.

Das einzige Medicament, welches ich in meiner ganzen Krankheit genommen habe, war Jodkali, ohne daß ich dadurch eine Verbesserung meines Zustandes verspürt hätte. Man hat mich gebrannt, ich habe verschiedenartige Bäder gebraucht – doch Alles ohne Erfolg!“ Als ich ihm darauf erwiderte, daß, da er noch frei sei von torpidem Fieber, man nicht alle Hoffnung aufgeben dürfe, eine Abnahme seiner Leiden zu bewirken, und daß, wenn auch dem Schatze unserer Arzneimittel ein unnützer Ballast beigemischt sei, man doch ohne dieselben nicht fertig werden könne, zumal die Wirkung mancher vollständig erwiesen sei, antwortete er: „Es mag sein, daß viele Arzneien trefflich wirken, doch dazu gehört ein eigener Glaube; das aber glaube ich, daß mancher Arzt auf irgend einem beliebigen Dorfe Deutschlands mich richtiger behandeln würde, als die Aerzte von Paris.“ Mag Heine’s Urtheil auch zu streng erscheinen, so enthält es doch auf jeden Fall viel Wahres und giebt Stoff zum Nachdenken über die verschiedene Entwicklung der Medicin bei zwei Nationen, deren einzige Aehnlichkeit mit einander vielleicht darin besteht, daß sie, die eine in rein wissenschaftlicher, die andere in politischer Beziehung, wie ein Gährstoff auf alle übrigen Völker Europa's [475] gewirkt haben und noch wirken. So viel ist gewiß, so sehr die französischen Chirurgen im Allgemeinen die deutschen an Kühnheit, Eleganz und technischer Fertigkeit übertreffen, so tief stehen die französischen innern Aerzte unter den deutschen, und die eigentliche Therapie, d. h. das Heilen der Krankheit, befindet sich in Frankreich in einem noch viel größeren Verfalle, als bei uns in Deutschland.

Heine gehörte nicht zu den großen Männern, welche, wenn man ihre persönliche Bekanntschaft macht, nachher in uns den Wunsch erregen, dieselbe lieber nicht gemacht zu haben. Jeder Mensch bildet sich eine Vorstellung von einem Manne, für den er sich besonders interessirt, dessen Schriften ihn vor andern anziehen. Findet er nun bei späterem persönlichen Bekanntwerden, daß das von ihm entworfene Ideal dem wirklichen Gegenstände nicht entspricht, so fühlt er sich in seinen Erwartungen bitter getäuscht. Nun aber finden wir nur sehr selten, daß ein ausgezeichneter Schriftsteller im gewöhnlichen Leben dem Bilde gleicht, das wir nach seinen Schriften uns von ihm geschaffen haben. Und in der That befähigen nur ein wahrhaft unerschöpflicher Reichthum und eine seltene Elasticität und Frische des Geistes dazu, im alltäglichen Verkehr in Gedanken und Ausdruck nicht hinter dem zurückbleiben, was nur das Ergebniß einsamen, tiefen Nachdenkens und die in guten Stunden empfangene Eingebung der nicht allezeit bereiten Muse zu sein pflegt. Wohl Keinem ist es gegeben, immer Geistreiches, immer Bedeutendes zu sagen! Dennoch – gestehen wir es nur offen – nahen wir uns selten einem genialen Manne anders, als mit der geheimen Prätension, daß er sich als solcher sofort durch Wort und Blick vor uns legitimire. Daher ist denn auch der Eindruck, den die Persönlichkeit sowohl anderer großer Männer, als namentlich ausgezeichneter Schriftsteller erregt, sehr häufig ein fast nichtssagender, und es gehört immer zu den Ausnahmen, daß wir einen Dichter, und sei er noch so begabt, im gewöhnlichen Leben ebenso interessant als in seinen Schriften finden. Heine zählte zu diesen Ausnahmen. Er machte auch in seinen Unterhaltungen den Eindruck eines genialen Mannes. Nur insofern fand ich mich im Irrthum, als ich ihn mir als einen Solchen gedacht hatte, der nicht drei Worte sprechen könne, ohne beim vierten satirisch zu werden. Die mephistophelische und dämonische Seite seines Geistes, die in seinen Gedichten und prosaischen Schriften gleich Wetterleuchten überall hervorblitzt, vermißte man in seinem Gespräche beinahe gänzlich. Nur zuweilen warf er als Würze einen sarkastischen Witz ein. Sonst war er in seiner mündlichen Unterhaltung ebenso einfach wie in seinen schönen lyrischen Gedichten. Aber eben diese ungekünstelte Einfachheit übte einen ungemeinen Zauber aus. Die Worte flössen ihm harmonisch vom Munde, und er sprach über die verschiedenartigsten Gegenstände mit einer Gewandtheit und Leichtigkeit, daß es in der That Bewunderung erregte, wenn man bedachte, wie sehr er fortwährend leiden mußte. Weder sein Gedächtniß, noch die Schärfe seines Verstandes hatte bis dahin im Geringsten in Folge seiner schrecklichen Krankheit gelitten. Und niemals hörte ich ihn über seinen traurigen Zustand in solchen Klagen sich ergehen, wie sie bei Menschen gewöhnlichen Schlages üblich sind. Nur einmal, als wir gerade über die Zustände Deutschlands sprachen, hörte ich ihn ausrufen: „O, könnte ich doch noch einmal mein Vaterland wiedersehen, wäre es mir doch vergönnt, in Deutschland zu sterben!“

Eine tiefe und innige Vaterlandsliebe sprach sich in allen seinen Reden aus, und diejenigen irren sehr, welche glauben, Heine habe durch seinen langen Aufenthalt in Frankreich seine Sympathien für Deutschland verloren und neige sich zum Franzosenthume hin; wie auch diejenigen zu strenge urtheilen, welche es ihm zum Verbrechen machen, daß er in seinen Schriften auf Kosten der Deutschen mit den Franzosen liebäugle. Das Wahre daran ist, daß Heine die lächerliche Seite des deutschen Volkscharakters mit bitterer Satire geißelte, und welcher Deutsche wollte ihm das nicht Dank wissen? Daß er aber die Franzosen über die Deutschen erhebt, wo sie es nicht wirklich verdienten, dafür finden sich nirgends Belege. Anfangs, als der Dichter nach Frankreich kam, wurde er freilich, wie jeder am Kosmopolitismus leidende Deutsche, durch den äußern Glanz und Schimmer der französischen Zustände bestochen. Einem Manne von solch’ einem diagnostischen Scharfblicke wie Heine mußten jedoch die mannigfachen französischen Unzulänglichkeiten nur zu bald in die Augen fallen, und bei näherem Anblicke erscheint das meiste Schöne, was er den Franzosen sagt, als mit Zucker bestreute Galle, und die Franzosen haben weder Ursache, für die groben Schmeicheleien und schmeichelhaften Grobheiten, die er ihnen auftischt, ihm dankbar zu sein, noch die Deutschen, ihre Nachbarn dieserhalb zu beneiden. Wie richtig Heine aber die politischen Verhältnisse Frankreichs nach der Julirevolution beurtheilt hat, das geht aus vielen seiner Schriften zur Genüge hervor. Und wenn er u. A. sagt: „das ganze Geheimniß der revolutionären Parteien besteht darin, daß sie die Regierung nicht mehr angreifen wollen, sondern von Seiten derselben einen Angriff erwarten, um thatsächlichen Widerstand zu leisten; eine neue Insurrection kann daher in Paris nicht ausbrechen ohne den besondern Willen der Regierung, die erst durch irgend eine bedeutende Thorheit die Veranlassung geben muß. Gelingt die Insurrection, so wird Frankreich sogleich zu einer Republik erklärt, und die Revolution wälzt sich dann über ganz Europa, dessen alte Institutionen alsdann, wo nicht zertrümmert, doch wenigstens sehr erschüttert werden,“ – so hat er mit wahrhaft prophetischem Blicke die Genesis der Februarrevolution vorausgesehen. Ob auch die andere Prophezeiung des Dichters in Erfüllung gehen wird, daß das französische Volk, nachdem es den andern Völkern die Freiheit gebracht, durch den Zwiespalt der inneren Parteien zu Grunde gerichtet werden wird? Die jetzigen Zustände scheinen auch dieses Orakel bewahrheiten zu wollen.

[487] Der oben erwähnte Kosmopolitismus Heine’s findet sich in vielen Stellen seiner Schriften; derselbe giebt die Erklärung dafür, wenn Heine Manches bei den Franzosen zu überschätzen scheint. Das deutsche Volk ist von allen Völkern der Erde das einzige, bei dem der Kosmopolitismus sich nicht allein heimisch, sondern auch auswärts zerstreut findet. Vermöge unseres Kosmopolitismus erblicken wir in allen fremden Zuständen ein Eldorado und bewundern z. B. den Roman, das Lustspiel eines Franzosen, die, wenn sie der Feder eines deutschen Autors entflossen wären, sicherlich bei uns Fiasco gemacht haben würden. Diesen Kosmopolitismus betrachte ich als eine Hauptursache unserer politischen Machtlosigkeit, denn nicht blos unsere Dichter und Gelehrten leiden daran, sondern auch unsere Diplomaten und Feldherrn. Wenn wir dieses Nationalfehlers uns nicht entschlagen und unsere kosmopolitischen Sympathien eine Zeitlang unter Schloß und Riegel legen, werden wir niemals zu einer politischen Macht und Einigung gelangen. Um ohne Nachtheil vielseitig sein zu können, muß man zuvor einseitig gewesen sein.

Für die damaligen Zustände in Frankreich offenbarte Heine eine nur sehr geringe Theilnahme, während er die Entwicklung der deutschen Verhältnisse mit dem größten Interesse verfolgte. „Die französischen Zustände,“ sagte er eines Tages zu mir, „amüsiren mich nur, Interesse empfinde ich allein für die deutschen. Ich darf mich aber nicht zu sehr mit ihnen beschäftigen, weil die trüben Nachrichten, die von drüben einlaufen, mich stets so aufregen, daß sie jedes Mal eine Verschlimmerung meines Befindens herbeiführen.“

Ja! Heine’s Herz schlug nur für Deutschland, und wenn es ihm auch nicht vergönnt gewesen ist, seiner Asche in vaterländischer Erde eine Ruhestätte zu verschaffen, so werden seine Manen doch über den Gauen des Landes schweben, das ihn geboren hat.

Viel Interesse zeigte der Dichter für Schleswig-Holstein. Wie hätte das auch anders sein können, zumal er ja so lange in Hamburg gelebt hatte, in einer Stadt, die durch so mannigfaltige Bande mit diesen beiden Ländern verknüpft ist und als die natürliche Hauptstadt der beiden durch deutsche Diplomatie jetzt getrennten Schwesterlande betrachtet werden kann. Ueber diese Angelegenheit äußerte Heine sich folgendermaßen: „Der Kampf zwischen Dänemark und Deutschland ist deshalb sehr zu bedauern, weil er zwischen zwei verwandten Stämmen stattgefunden hat, die in ihrem ganzen Volkscharakter so viel Ähnlichkeit miteinander haben. Der Däne und der Holste sind in Hinsicht ihres Nationalcharakters bei weitem nicht so verschieden, wie der Holste und der Schwabe. Schleswig-Holstein ist übrigens in diesem Augenblicke noch nicht so sehr zu beklagen, als wenn es unter ein slavisches Regiment gekommen wäre. Ueberdies steht zu hoffen, daß die Dänen zur Besinnung gelangen werden; denn im Allgemeinen hat dieses Volk in seiner ganzen Geschichte viel Rechtssinn gezeigt. Zu bedauern ist nur, daß in den Gegenden der Herzogthümer, die jetzt danisirt werden, das moralische Gefühl der Einwohner augenblicklich mit Füßen getreten wird. In sprachlicher Beziehung ist es einerlei, ob jetzt so und so viel Schleswiger weniger Deutsch lernen. Es ist [488] dies doch nur vorübergehend, denn Dänemark kann auf die Länge der Zeit trotz seiner herrlichen Literatur und Geschichte, und hierzu rechne ich auch die isländische und norwegische, nicht dem Schicksale entgehen, daß die deutsche Sprache sich über das ganze Land ausbreitet. Nicht nur die ältere Literatur Dänemarks ist so schön und reich, sondern auch in der neueren Zeit hat es große Dichter gehabt, die, da sie zum Theil in deutscher Sprache gedichtet haben, auch insofern schon Dänemark mit Deutschland verknüpfen. Baggesen ist tief und lieblich, Heiberg witzig und geistreich, Oehlenschläger hat nicht die Tiefe des Gefühls, wie Baggesen, ist aber doch sehr anziehend. Merkwürdiger Weise haben diese Dichter in Deutschland nicht einen solchen Anklang gefunden, wie Andersen, obgleich sie letzteren weit überragen. Andersen hat mich hier vor einigen Jahren besucht. Er kam mir vor, wie ein Schneider; er sieht auch wirklich ganz so aus. Er ist ein hagerer Mann mit einem hohlen, eingefallenen Gesichte und verräth in seinem äußeren Anstande ein ängstliches, devotes Benehmen, so wie die Fürsten es gern lieben. Daher hat Andersen auch bei allen Fürsten eine so glänzende Aufnahme gefunden. Er repräsentirt vollkommen die Dichter, wie die Fürsten sie gern haben wollen. Als er mich besuchte, hatte er seine Brust mit einer großen Tuchnadel geschmückt; als ich ihn fragte, was er da denn eigentlich vor seiner Brust sitzen habe, antwortete er mit einer ungemein salbungsreichen Miene: das ist ein Geschenk, welches die Kurfürstin von Hessen mir zu verleihen die Gnade hatte. Uebrigens ist Andersen’s Charakter sehr ehrenwerth.“

Die schönen Gegenden Schleswig-Holsteins kannte Heine nur theilweise. Er sprach sein Bedauern darüber aus, daß er nicht die Ostküste desselben, sowie die dänischen Inseln, deren schöne Buchenwälder ihn stets so angezogen hätten, besucht habe. Sehr interessirte er sich auch für die Dithmarsen und Friesen, und ich mußte Manches von der geographischen Beschaffenheit, von der Eigenthümlichkeit der Sitten und Gebräuche ihres Landes erzählen. In ihre Geschichte war er auf’s Genaueste eingeweiht, er entwickelte hier in’s Einzelne gehende Kenntnisse. Als ich ihm sagte, daß Dithmarsen und Eiderstadt in vielen Beziehungen mit dem Jeverlande und Ostfriesland Ähnlichkeit haben, kam er auf seine Jugendzeit zu sprechen. In einer Sprache, wie sie sich nicht lieblicher in seinen Reisebildern findet, erzählte er mir jetzt von seinen einsamen, romantischen Wanderungen auf den Inseln Langerog, Spikerog und Wangerog. „Einmal,“ schloß er seine Erzählung, „wären mir diese Streifereien beinahe schlecht bekommen. Ich hatte nämlich zur Zeit der Ebbe eine der Inseln verlassen, um an’s Festland zu gehen, ohne mich vorher nach der Eintrittszeit der Fluth erkundigt zu haben. Plötzlich, als ich noch weit vom Lande entfernt war, brach die Fluth herein, und die Wasser schwollen mit solcher Geschwindigkeit an, daß ich nur mit genauer Noth noch die Küste erreichen konnte.“ Als er von diesen Wanderungen seiner Jugend redete, gab der Zauber der Erinnerung der Sprache des Dichters etwas so Anmuthiges, daß man die durch Windeshauch den Saiten einer Aeolsharfe entlockten Töne zu hören glaubte.

Welche Sehnsucht Heine hatte, in sein Vaterland zurückzukehren, das geht schon daraus hervor, daß er sich ernstlich mit dem Gedanken beschäftigte, nach Hamburg überzusiedeln. Eines Tages fragte er mich, was ich davon hielte, ob er die Reise besser zu Lande oder zur See bestehen würde? Wenn des Dichters Vermögensverhältnisse in besserem Zustande sich befunden hätten, so würde er seinen Plan auch wahrscheinlich ausgeführt haben. Die Seeluft hatte, wie er mir versicherte, stets wohlthätig auf seinen Körper eingewirkt, und auch das rauhere, neblige Klima der norddeutschen Tieflande war ihm stets gut bekommen. Was dem Dichter überdies den Aufenthalt in Paris verleidete, war, daß es mit so großer Mühe verbunden ist, die meisten Erzeugnisse des literarischen Marktes in Deutschland sich zu verschaffen. Es wohnen zwar in Paris eine Menge Deutsche, dieselben sind aber theilweise französisirt. Wirft doch auch keine Nation so leicht ihre Nationalität als unnützen Ballast über Bord, wie die deutsche! Die meisten im Auslande ansässigen Deutschen erinnern unwillkürlich nur zu sehr an Petrus und den Hahn. Wenn aber die Deutschen in Paris sich doch noch mit Deutschland beschäftigen, so zeigen sie wenigstens nur selten Interesse für die Leistungen der neuen Literatur. Natürlich führen die dortigen deutschen Buchhändler daher nur solche Bücher, auf deren Absatz sie sicher rechnen können, und Heine erzählte mir, daß er noch nicht einmal Gelegenheit gehabt habe, den ja in Deutschland so sehr gefeierten Emanuel Geibel zu lesen. Nun, an der Lectüre dieses specifischen Damendichters würde Heine wohl schwerlich viel Vergnügen gefunden haben. Mir kommen die Gedichte der norddeutschen Hansa-Biene stets vor wie Honig aus den Blüthen Byron’s und Heine’s, versetzt mit etwas Lübecker Marcipan, Mondschein- und Theegefühlen.

Ueber Wienbarg machte Heine nicht mittheilbare Bemerkungen; den früheren Reichsminister Heckscher beurtheilte er sehr streng, aber gerecht. – Ich hatte ihm Stahr’s „zwei Monate in Paris“ gebracht; als ich ihn später fragte, wie ihm das Buch gefallen habe, antwortete er mir: „Das Buch ist im Ganzen recht schön geschrieben, nur begreife ich nicht, wie ein Mann wie Adolf Stahr in den über mich handelnden Artikeln mich sehr häufig das Gegentheil von dem sagen lassen kann, was ich wirklich gesagt habe. Uebrigens macht es nichts, denn seine Absicht war gut.“ Als ich ihm von der allgemeinen Theilnahme erzählte, die seine Krankheit in Deutschland hervorgerufen, rief er aus: „Die Deutschen sind ein eigenthümliches Volk; wenn es einem gut geht, so ärgern sie einen zu Tode; wenn man am Rande des Grabes steht, dann zeigen sie Theilnahme und Mitleid.“

In der That, es ist eine Nationaleigenthümlichkeit der Deutschen, ihre Todten mehr als ihre Lebenden zu ehren, und der Mann des Geldes trägt die Schuld, daß der Dichter nicht in sein geliebtes Vaterland zurückkehren konnte. Nachdem er gestorben, wurden in kurzer Zeit Tausende gezeichnet, um ihm in Düsseldorf ein Monument zu errichten. Die Aschenliebe der Deutschen ist so stark, daß sie sich nichts daraus machen, ihre großen Geister Hungers sterben zu lassen. So ging es Kepler. „Er wußte nur die Geister zu vergnügen, d’rum ließen ihn die Körper ohne Brod.“ Hätte er nur während seines Lebens die Summe gehabt, wofür man jetzt in Weil der Stadt ihm ein Denkmal zu setzen gedenkt!

Es ist bekannt, daß Heine’s Charakter in Deutschland vielen Anfechtungen von jeher ausgesetzt gewesen ist, daß sein Streit mit Börne und Platen als ein pathognomonisches Symptom betrachtet wurde, durch das man auf den ganzen Charakter zu schließen sich für berechtigt hielt. Wenn man auf synthetischem Wege eine Definition des Charakters aufstellt, wird man bei der Beurtheilung großer Männer sehr häufig in Verlegenheit kommen, zu bestimmen, ob sie überhaupt einen Charakter haben. Auf jeden Fall urtheilen Diejenigen zu hart, welche Heine eines schlechten Charakters beschuldigt haben. Mir scheint des Dichters Charakter darin zu bestehen, daß er keinen Charakter hat, und als er dichtete „ein Talent, doch kein Charakter“, scheint er eine Selbstschau gehalten zu haben. Große Männer dürfen nicht mit dem Maßstabe gemessen werden, mit dem man gewöhnliche mißt. Es ist überhaupt lächerlich, noch Untersuchungen über den Charakter eines Genies anstellen zu wollen. Der Charakter berührt allein die sittliche Sphäre des Menschen. Wenn nun ein Genie die Anlagen von Hunderten von Menschen in sich concentrirt, so ist es ungereimt, demselben es zum Verbrechen machen zu wollen, das nicht zu besitzen, nach dem zwar der gewöhnliche Mensch ringen und streben soll, das aber für ihn als Genie ganz gleichgültig ist. Große Männer vom christlichen Standpunkte und nach dem erhaltenen Facit ihre Größe beurtheilen wollen, ist eben so eitel als die Quadratur des Cirkels suchen. Ein Genie ist keine mit gewöhnlichem Maß meßbare Größe. Nicht indem man es nach einzelnen Thaten und Handlungen beurtheilt, sondern nur indem man es in seiner Totalität auffaßt, läßt es sich annähernd richtig beurtheilen.

Heine hatte keinen Charakter, wenn man denselben im Sinne unserer Dogmatiker nimmt, dafür aber hat sein Genie einen Charakter, und sein Genie ist sich stets treu geblieben und brachte noch auf dem Sterbebette Diamanten aus seinen dunklen geheimnißvollen Schachten an’s Tageslicht, deren Glanz selbst den unmuthigen Augen seiner Feinde Bewunderung entlockte.

Wir wissen, daß Heine zum Glauben an einen persönlichen Gott zurückgekehrt ist. Ich kann darin keine Inconsequenz erblicken. Der Geist hat eben sowohl seine Phasen durchzumachen, wie der menschliche Körper. Wundert man sich darüber, daß der Frühling dem Sommer weicht, dieser in den Herbst übergeht, welcher endlich dem Winter Platz macht? Oder wundert man sich darüber, daß ein Jüngling nicht immer Jüngling bleibt, daß er Mann, daß er Greis wird? Der Geist hat ebenso seine Ver- und Entwickelungszeiträume wie der menschliche Körper, und es ist die Aufgabe unserer Naturphilosophen, statt eine Identität der Gesetze des Körpers [489] und des Geistes anzunehmen, die Verschiedenheit derselben zu ergrübeln. Durch die Annahme, der menschliche Geist solle sich stets so zeigen, wie er sich einmal gezeigt hat, sind viele große Männer in den Verdacht der Inconsequenz gefallen. Und doch ist diese Inconsequenz, bei Licht betrachtet, weiter nichts als die Blüthe der vollendeten geistigen Entwicklung. Skepticismus und Freidenkerei sind die Pfade, die zum Lichte der Wahrheit führen. Einige bringen längere, Andere kürzere Zeit auf diesen Wegen zu. Weshalb sich darüber wundern, daß es Menschen giebt, die, nachdem sie lange Zeit auf den Pfaden dieses Irrgartens gewandelt sind, endlich doch noch das Ziel erreichen?

Wenn man Heine von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, wird man ihn dann noch inconsequent nennen?

Heine ist als Dichter der Repräsentant einer Richtung des deutschen Geistes, die sich in ähnlicher Weise in der Philosophie und Politik offenbart. Nur das sind wahre Volksdichter, deren Poesie der Spiegel des Volksgemüthes ist, deren Gedichte dem Herzen des Volks entsprossen sind. Diese Dichter sind Erzeugnisse ihrer Zeit. Was Alles die Menschen bewegt, zu welchen Anschauungen sie sich hinneigen, Alles findet sich niedergelegt in der Brust des Dichters. Deshalb findet auch im Volke jeder wahre Dichter Anklang. Heine’s Popularität ist darum so groß, weil seine Gedichte, mit denen er zuerst vor das Forum der Öffentlichkeit trat, uns ein Bild geben von dem innersten Gemüthsleben des Volkes.

Heine ist in der Poesie der Vertreter der Hegel’schen Philosophie, doch nur als Lyriker, der entsprechende Dramatiker soll noch erst geboren werden. Betrachten wir Heine von diesem Standpunkte aus, so fallen uns die Gegensätze nicht mehr auf, die überall in seinen Poesien hervorblitzen. Der Verstand des Dichters ist angefüllt mit Hegel’schen Ideen; sein Gefühl aber will nichts davon wissen, es ist menschlich und wahr. Daher in seinen Gedichten das Hingezogenwerden zum Irdischen und das Sichzuwenden zum Himmlischen; diese Gemeinheit der fleischlichen Triebe und zugleich diese Reinheit, dieser Adel der Empfindung; diese Verletzung des Herkömmlichen und Gesetzlichen und diese Erhebung des Natürlichen; diese göttliche Tiefe der Gedanken und dieser teuflische Hohn der Lüste. Dies Alles giebt den Heine’schen Gedichten etwas Dämonisches. Ich kenne nur einen Dichter, mit dem Heine hierin die größte Aehnlichkeit hat. Es ist Byron. Man könnte Heine daher auch den deutschen Byron nennen. Nur ist Byron vielseitiger als Heine, der es nur in der lyrischen Poesie zur Meisterschaft gebracht hat.

Es ist, als wenn Heine am Herzen des deutschen Volkes gelegen und die geheimsten Gefühle, die es bewegten, ihm abgelauscht hätte. Bürger wurde Volksdichter, weil er es verstand, den im Munde des Volkes lebenden Sagen poetische Form zu geben; Schiller zog dasselbe Loos, weil die ganze damalige Richtung des deutschen Volkes sich dem Idealismus zuneigte; Heine gewann seine Popularität unter dem Volke daher, daß in seinen Gedichten sich das Schwanken zwischen Idealismus und Realismus ausprägt, welches mehrere Jahrzehnde hindurch der Stempel des durch die politischen Ereignisse zum Aufschwünge gekommenen Volksgeistes war.

Wenn wir Heine so auffassen, dann erklärt es sich von selbst, daß er so viele Nachahmer fand. Was man gewöhnlich Nachahmer nennt, sind sehr häufig auch Producte des Zeitgeistes; sie unterscheiden sich von ihrem Vorbilde zunächst dadurch, daß sie die Form von dem entlehnten, der es zuerst verstanden hatte, den Volksgeist in seiner Tiefe aufzufassen und in geeigneter Weise zu reproduciren. Ist einmal der Grundton der Octave angeschlagen, dann ergeben sich die übrigen Töne von selbst; dem aber bleibt das Verdienst, der den Grundton angab. Heine war der Erste, welcher die Gefühle, welche damals das deutsche Volk bewegten, in sich concentrirte und abspiegelte. Unter seinen zahlreichen Nachfolgern sind einzelne bedeutende Talente, welche, aus dem Geiste der Zeit entsprossen, Heine blos die Anregung verdanken. „Denn zur Zeit der Reife fallen die Früchte in verschiedenen Gärten zu der nämlichen Zeit auf die Erde.“ – Die Nachahmer Heine’s lassen sich in zwei Classen eintheilen. Den Meister zu erreichen ist keinem Einzigen geglückt. Der eine Theil ist von der in den Heine’schen Gedichten athmenden Sentimentalität angezogen worden. Sie haben geglaubt, ihn zu übertreffen, indem sie die Sentimentalität zum höchsten Grad steigerten. Wenn diese Classe sich gleichsam nur das Ideale der Heine’schen Poesie zum Gegenstand ihrer Nachahmung erwählte, so hat die andere Classe die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Sie haben blos das Frivole, Irdische in Heine aufgefaßt. Keiner von ihnen hat begriffen, daß der ganze Zauber der Heine’schen Poesie gerade darin besteht, daß in ihr Himmel und Erde fortwährend Küsse tauschen.

Durch eine Eigenthümlichkeit unterscheidet sich Heine leicht von allen übrigen lyrischen Dichtern. Er ist als Lyriker zugleich Kritiker. Des Dichters theologische, philosophische und politische Schriften haben nur in kritischer Beziehung einen Werth. Dieses sein Talent für die Kritik hat ihn auch besonders zu Lessing hingezogen, dem er die unbedingteste Hochachtung zollt. Lessing steht in der Literatur einzig und allein als solcher da, der durch Hülfe seiner Kritik poetische Werke schuf, die dem Borne eines poetischen Genies entflossen zu sein scheinen, während er selbst eingesteht, daß er kein Dichter ist. Heine zeigt umgekehrt bei seiner lyrischen Begabung einen so kritischen Geist, daß man ihn den besten Kritikern der Neuzeit beizählen darf. Die Kritik Heine’s unterscheidet sich aber wesentlich von der Lessing’schen. Darin kommen sie überein, daß sie beide gewürzt sind durch das verzehrende Gift der Satire – sie ist für die Kritik das, was das Salz für die Speisen ist – Heine aber schießt seine vergifteten Pfeile meistens auf die Personen ab und glaubt dadurch auch ihr geistiges Wirken zu treffen, während Lessing sich um die Personen nicht bekümmert, sondern nur ihre Werke zur Zielscheibe seiner Kritik wählt. Heine’s Kritik ist ein anfressendes äußerliches Aetzmittel, die Kritik Lessing’s ein verzehrendes inneres Gift, welches freilich den ganzen Organismus zerstört, aber zugleich einen neuen an die Stelle des zerstörten setzt. Wenn Heine bitter ist, so kommt man in Versuchung zu denken, ein Gallenfieber habe sich seines Geistes bemächtigt und lasse alle Gegenstände ihm in ähnlichem Zustande erscheinen; wenn aber Lessing tadelt, so zeigt er uns das Falsche und Verzerrte eines Gemäldes und hilft durch geeignete Pinselstriche dem Falschen ab oder stellt ganz neue Cartons an dessen Platz.

Ob Heine vielleicht durch, seinen eigenen Zustand zum Glauben an einen persönlichen Gott zurückgeführt und ein Apostat wurde der Hegel’schen Philosophie, der er so lange Weihrauch gestreut hatte? Ich weiß nicht, doch scheint es mir ziemlich wahrscheinlich. Die Macht des Geistes über den Körper und dadurch auch die Superiorität desselben war bei ihm zum vollen Bewußtsein gekommen. Eines Tages, als er in den heftigsten Krämpfen lag, sagte er zu mir: „Mein einziger Trost ist der, daß ich nie den Gedankengang verliere, daß mein Verstand stets klar ist. Ich halte dies für so wesentlich, daß ich mich während meiner ganzen Krankheit beständig geistig beschäftigt habe, obgleich meine Aerzte es mir als schädlich abrathen. Ich aber glaube im Gegentheil, daß es bedeutend dazu beigetragen hat, meinen Zustand nicht zu verschlimmern. Denn niemals verspürte ich durch angestrengtes Denken eine nachtheilige Wirkung auf meinen Körper; es wirkte vielmehr ebenso wohlthätig wie Freude und Aufheiterung.“

Stets wird mir der Tag in Erinnerung bleiben, an welchem ich Abschied von Heine nahm. Jedes Mal, wenn ich ihn bisher besuchte, hatte ich ihn im Bette getroffen, entweder in Gesellschaft seiner Frau oder seines Vorlesers. Dieses Mal traf ich ihn allein, mit einem langen, schwarzen Talar angethan, in einem Fauteuil am Fenster sitzend. Die Krämpfe hatten sich mit solcher Heftigkeit eingestellt, daß er es im Bette nicht mehr hatte aushalten können. Die Gardinen waren von den Fenstern weggezogen, und die herbstliche Sonne umstrahlte das Haupt des Dichters und vergoldete die Silberlocken seines Haares. Als ich eintrat, zog er mit matter Hand seine Augenlider empor. Er konnte kaum sprechen. Der Anblick war für mich höchst erschütternd. Ich habe manchen Kranken mit dem Tode ringen, auf Schlachtfeldern die Opfer der Kriegsfurie das Schrecklichste erleiden sehen, – mein Herz wurde tief ergriffen – niemals aber hatte ich eine Empfindung wie die, als ich den Dichter in diesem Zustande sah. Er erinnerte mich an den sterbenden König von Thule. Die Sonne selbst schien Mitleid mit dem Kranken zuhaben; sie lächelte so mild und verklärte das gramgefurchte Gesicht des Dichters wie mit einem Heiligenschein. Als er mir die Hand zum Abschiede reichte, die durch das lange Krankenlager sich so weich wie Sammet anfühlte, rief er aus: „Grüßen Sie meine Freunde in Deutschland von mir!“

Vier lange Jahre mußte Heine noch diese entsetzlichen Leiden ertragen, bis der Tod ihm die Ruhe brachte, die er im Leben vergeblich gesucht hatte.