Erinnerungen an Hermann Marggraff

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Autor: Fr. Hofmann
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Titel: Erinnerungen an Hermann Marggraff
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 212–215
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[212]
Aus dem deutschen Schriftstellerleben.
Erinnerungen an Hermann Marggraff.
Von Friedrich Hofmann.

In den letzten zehn Jahren konnte man in Leipzig, früher auf dem Wege nach Gohlis, in jüngster Zeit auf der belebten Straße zwischen den Brockhaus’schen Geschäftsgebäuden und dem äußersten Ende der Kohlenstraße am bayerischen Bahnhofe, tagtäglich in den Abendstunden einem Mann begegnen, dem manches Auge mit Wohlgefallen nachblickte, denn nie sah man ihn allein, immer umgab ihn ein Kranz köstlich lachender blonder Lockenköpfchen. Ein Knabe und drei bis vier Mädchen, Alle mit ihren Schulränzchen behängt, bildeten seine regelmäßige Begleitung, sie hielten sich an seinen Händen, an den Kleidern fest, umschwärmten ihn mit der lieblichsten Kinderlust, die munteren Augen lachten nur ihm, und wie die Gruppe so dahinzog, erkannte man leicht, daß es ein Stückchen von einem Familienbilde war, das auch auf der Straße ein um die Umgebung unbekümmertes Ganzes blieb.

[213]

Hermann Marggraff.

Wir folgen der jubelnden Schaar auf dem Fuße nach. Es ist nicht schwer, das Haus zu erkennen, dem der Mann zueilt. Da hüpft es mit lautem „Papa! Papa kommt!“ aus der Thür ihm entgegen, wiederum lauter blonde Lockenköpfchen, und oben aus den Fenstern drängen sich noch ein Paar Gesichtchen hervor, ganz so fröhlich und lieblich, wie die den Vater unten umjubelnden, und so tritt er endlich in den vollen Kreis, wo ihm das Jüngste, von der Mutter geführt, entgegenzappelt und mit lallendem „Papa“ die Händchen entgegenstreckt. – So feiert unser Mann jeden Abend ein Freudenfest des Wiedersehens, und wenn in seinem Auge ein so ganz besonderer Strahl der Liebe glänzt, so ist das nicht blos der natürliche Ausfluß eines warmen Dichterherzens, sondern ebenso das Werk der Kinder, die mit ihren Augen in die des Vaters die Immer-frische der Jugend hineinzaubern.

Nun wird der Tisch gedeckt, denn erst jetzt, wo der Vater daheim, ist’s Mittag im Hause geworden; und nun zählt es sich auch leichter, als vorher im Gewimmel, jetzt sehen wir, daß zehn liebe, prächtige, gesunde Kinder, ein Knabe und neun Mädchen, um Vater und Mutter am Tisch versammelt sind.

Ein Abend im Familienkreise Hermann Marggraff’s war für Jeden, der ein Herz für Kinder hat, so anmuthend, wie er für den, welcher mit Marggraff’s Charakter und seiner Stellung in der Literatur vertraut war, belehrend sein konnte. Sämmtliche Kinder zeigten ein ebenso vielgetheiltes Spiegelbild des Vaters. In jedem Einzelbildchen konnte man, je nach der Entwickelung des Kindes mehr oder weniger hervortretend, irgend eine Besonderheit angedeutet finden, die sich am Original in voller Ausgeprägtheit zeigte. Hier ein vorherrschender Hang zum ernsten Denken, dort zum dramatischen Gestalten, hier zu lyrischen Ergüssen, dort wieder der neckende Humor, die Liebe zur bildlichen Darstellung, die Lust am Fabuliren, und Allen gemein die Herzensgüte, die der Vater so vielfach durch die That bewährt hat, die bei den Kindern unter sich durch wahrhaft rührende Geschwisterliebe, und gegen Andere durch die reizendste „Zuthulichkeit“ sich äußerte. – Wir dürfen jedoch nicht zu lange bei ihnen verweilen, wir schicken sie zur Ruhe. Da kommt Eines um das Andere, gute Nacht zu sagen, in der Schlafstube wird’s um so munterer, bis durch die Bemühung der Größeren die Kleineren nach und nach beschwichtigt werden, und dazu hilft jeden Abend am besten ein Gesang. Heute hören wir das „Hobellied“ erschallen, erst von allen Stimmen, dann immer einzelner, bis endlich das kleine Volk schon süß schlummert, wenn die Großen den Schlußvers singen:

„Dann klopf ich meinen Hobel aus
Und sag’ der Welt ade!“

Es ist Ruhe ringsum. Auch die Mutter hat sich zu den Kindern begeben. Nun beginnt in der stillen Nacht des sorgenvollen Vaters und des gewissenhaften Schriftstellers schweres Tagewerk.

Wir folgen ihm in seine Arbeitsstube. Sie ist so einfach ausgestattet, so verlassen von allem Luxus, ja selbst von den wohlthätigen Erfindungen des Comfort, daß wir uns in frühere Zeiten [214] versetzt glauben, wo diese Einfachheit noch allgemein Sitte war. Nicht einmal eine stattliche Bibliothek paradirt an der Wand; nur schmucklose, aber vielgebrauchte Bücher füllen die Breter. Und der Arbeitstisch zeugt davon, daß der Mann „seine Feder“ nicht vergeblich besungen, daß sie in der That „ein arbeitsames Werkzeug, sein Rüstzeug und seine Ehrenwaffe“.

Eines erkennen wir auf den ersten Blick: daß in diesem Raume mancher stille schwere Kampf gekämpft wird zwischen äußerem Beruf und innerem Sehnen. Hier Briefe, Manuscripte, neue Bücher, Broschüren und Zeitschriften, alle auf Beantwortung, Prüfung und Beurtheilung wartend, und dort aufgehäufte Skizzen zu eigenen Werken, Anfänge von Dichtungen aller Art, halb verdeckt, wie um sich nicht zu sehr zu zeigen und doch nicht ganz vergessen zu werden. Zu diesen zieht es das Herz, zu jenen die Pflicht. Da ist oft mancher Gang der Beruhigung durch das Zimmer nöthig, bis gewöhnlich die stärkere Sorge siegt; schweraufseufzend weicht der Dichter und überläßt dem Kritiker den Platz am Tisch allein.

Von aller schriftstellerischen Thätigkeit ist diejenige, welche Hermann Marggraff’s Lebensberuf wurde, die schwerste und die undankbarste zugleich. Sie erfordert ein ausgebreitetes Wissen, einen gestählten Charakter und ausdauernde Arbeitskraft. Es gilt nicht blos, Buch zu führen über alle bemerkenswerthen Erscheinungen der vaterländischen Literatur und durch Lob und Tadel einfach die Schafe von den Böcken zu scheiden; der Kritiker, dem die Nationalehre am Herzen liegt, wird die Literatur nie anders, wie als den Ausdruck des Nationalgeistes auffassen, und wie er in allem Mittelmäßigen und Schlechten nur Krankhaftes erkennt, gegen das er mit der Entschiedenheit eines gewissenhaften Arztes zu verfahren hat, so wird er alle guten Werke mit der Freude des Patrioten begrüßen, der ein Nationalgeschenk in Empfang nimmt. Nur auf diesem Standpunkt ist ein Urtheil ohne Ansehen der Person möglich, und nur ein solches Unheil ist befähigt, veredelnd auf die Entwickelung des Nationalgeistes einzuwirken. Auf dieser Höhe stand Marggraff und von ihr aus leitete er namentlich die Redaction der allbekannten „Blätter für literarische Unterhaltung“, denen in den letzten zehn Jahren seines Lebens seine Thätigkeit vorzugsweise gewidmet war und die ihm allein ihre stets würdige und edle Haltung und dadurch ihre hohe Geltung in Deutschland verdankten.

Indeß wird es Zeit und ist es zum Verständniß der literarischen Bedeutung dieses Schriftstellers nothwendig, seine Vergangenheit an uns vorübergehen zu lassen.

Hermann und der Münchner Kunsthistoriker Rudolph Marggraff sind die Söhne eines Obersteuereinnehmers zu Züllichau, wo sie eine glückliche Kindheit und Beide ihre Gymnasialzeit verlebten. Hermann, am 14. Septbr. 1809 geboren, kam 1829 nach Berlin, um Philologie und Philosophie zu studiren und später den akademischen Lehrstuhl zu besteigen. Bald zogen ihn jedoch die damaligen beiden einzigen Kampfgebiete der Journalistik, die Literatur und das Theater, in ihre anregenden Kreise, so daß er sich ihnen mit Leib und Seele verschrieb: er war „unter die Journalisten gegangen“, unter die geistigen Streiter der Tagespresse, und ward bei ihrer Fahne festgehalten, bis er sie, aus Liebe und Noth, selbst festhielt und mit ihr in der Hand fiel. Daß die Rührigkeit seiner Feder ihm so früh, im Jahre 1836, die erste Redaction („Berliner Correspondenzblatt“) einbrachte, ward verhängnißvoll für sein ganzes Leben. Es liegt ein hoher Reiz in der selbstständigen Leitung eines Blattes, es ist eine Wirksamkeit, die dem Manne voll Thatkraft und Strebelust schmeichelt, es ist ein Amt voll Macht und Einfluß. In den glücklichen Tagen der geistigen Elasticität der Jugend wird das rastlose Drängen und Gedrängtwerden der von der Zeit gebotenen Thätigkeit nicht als Last gefühlt, das Aufreibende der vielseitigen Arbeiten nicht empfunden und selbst die von Zeit zu Zeit aufsteigende Sehnsucht nach eigenem freierem Schaffen leichter besiegt. Aber die Jahre ändern den Menschen, der Reiz der Redactionsgloire schwindet, die Last wird schwerer, die Sehnsucht stärker, die Elasticität schwächer, und wenn äußeres Glück den ermattenden Kämpfer nicht vom Schlachtfeld zu einer freundlichen Stätte des Friedens führt, so ist ein stilles Hinschmachten in innerer Zerwürfniß das traurige Loos des einst so wackern Streiters.

Hermann Marggraff war ein solcher wackrer Streiter, und zwar einer, der von einem Kampffeld zum andern zog, immer mit demselben ritterlichen Anstand und bürgerlichen Fleiß, aber auch immer fern davon, seine „Ehrenwaffe“ in einem Concurrenzkampf literarischer Geschäftsvortheile zu führen. Wie ein echter Ritter vermochte er es nie, sein Schwert zu einem Handwerkszeug der Speculation für sich zu machen, er führte es stets nur für die gute Sache, die er verfocht, und für den Stand, dem er angehörte; ihm wog allezeit die Ehre schwerer, als der Mammon, der sich freilich deshalb um so gemeiner an ihm rächte. – Nachdem Marggraff 1837 Süddeutschland bereist hatte, finden wir ihn im folgenden Jahre in Leipzig. Hier betrieb er die Herausgabe der „Münchner Blätter für Kunst“ und betheiligte sich eifrig an der daselbst blühenden Journalistik. Hier schloß er damals auch seinen Ehebund. Dennoch setzte er auch von da seinen rastlosen Stab wieder weiter; er siedelte 1843 nach München über und arbeitete hauptsächlich für die süddeutsche Presse. Dies veranlaßte 1845 seine Einladung nach Augsburg zur Redaction der „Allgemeinen Zeitung“ und 1847 nach Heidelberg, wo die „Deutsche Zeitung“ dem damals in Deutschland erwachenden freien national-politischen Geiste als Organ dienen sollte. Das Blatt, wie ganz Deutschland, vom Jahre 1848 überrascht, theilte das Schicksal des deutschen Parlaments, und nachdem die eigenen Begründer es verlassen, führte Marggraff allein es, von Frankfurt aus, noch bis zum Herbst 1849 fort, – die undankbarste von allen seinen Arbeiten, die ihm die unsäglichsten Anstrengungen schließlich noch mit eigenen Verlusten lohnte. – Nachdem er noch einige Zeit das „Frankfurter Volksblatt“ redigirt, ward ihm (im Sommer 1851) die Mitredaction des „Altonaer Merkur“ angetragen. Da er jedoch 1850 ein Heftchen Lieder zum Besten der Schleswig-Holsteiner unter dem Titel: „Trutz Dänemark“ herausgegeben hatte, so ward er dafür aus dem dänischen Reiche ausgewiesen. Er übernahm nun (1852) das Feuilleton des „Hamburger Correspondenten“, folgte aber schon im Jahre 1854 der Einladung der Brockhaus’schen Buchhandlung nach Leipzig, wo er die Scholle fand, die ihn endlich festhielt und schließlich bedeckte.

Zehn Jahre lang, die Zeit seiner höchsten Manneskraft, von seinem 45. bis zum 54. Jahre, hat er den Blättern, für die er berufen worden war, den „Blättern für literarische Unterhaltung“ seine beste Kraft gewidmet, und zwar „mit jener Pflichttreue und jenem ausdauernden Fleiß, der (wie Robert Prutz es ausspricht) überhaupt einen so hervorstechenden Zug seines Charakters bildete.“ Ehrenwerthe Anerbietungen, wie eine Einladung nach Köln, hat er, den Blättern zu Liebe, ausgeschlagen; ebenso noch 1861 einen Ruf als Professor nach Kiel. Die rasch anwachsende Familie ward zum schweren Anker seines ehedem so leicht beweglichen Lebensschiffs. Aber warm, zum Ankeimen warm ist er in Leipzig nicht geworden, die immer tiefer nagenden Sorgen für die Seinen ließen ihn in letzter Zeit manchen sehnsüchtigen Blick in die Ferne thun, – aber dabei blieb’s. Ein Wunsch seines Lebens war es, nur einmal die Schweiz zu sehen, aber die Mittel zu einer solchen Reise waren für ihn zu unerschwinglich; ein Ausflug von Leipzig bis zur Wartburg, vier Stunden Eisenbahnfahrt, mit ein paar Tagen der Erholung in Thüringen, das war das Höchste, das er in diesen zehn Jahren für sich erringen konnte.

Kehren wir zurück zu dem edlen Ringer in seine Arbeitsstube, um sein Wirken in der Werkstatt seines Geistes zu betrachten. Da ist der emsige Mann mit seinem kindlich frischstrahlenden Auge, mit dem zuthulich hastigen Wesen, mit dem nur allzu offenen Herzen, in das auch ein Schurke sich einschleichen konnte und das oft so häßlich verrathen ward. Hätte er Alles, was er geschrieben, wie manche Andere von geringerem Werth, in einer Ausgabe seiner gesammelten Werke vor sich stehen, es würde eine imponirende Bändezahl sein; aber die Mehrzahl würde nur die Zeugnisse seines undankbaren Berufs enthalten, jene massenhaften kritischen Aufsätze, die vielleicht oft nur von einem einzigen Menschen, dem Verfasser des kritisirten Buchs, gewürdigt wurden und die doch die beste Kraft seines Lebens aufgezehrt haben.

Es ist, aber leider erst seitdem Hermann Marggraff im Grabe ruht, von Blatt zu Blatt die Anerkennung für sein Wirken als Kritiker und hauptsächlich als Redacteur der „Blätter für literarische Unterhaltung“ gedrungen; ebenso das Lob seiner fast grenzenlosen Gefälligkeit und Uneigennützigkeit Jedem gegenüber, der sich ihm mit einem literarischen Anliegen nahte; aber auch seine unerbittliche Strenge gegen jede unredliche Zumuthung gehört zu den Tugenden, wegen deren er den deutschen Kritikern als Muster aufgestellt werden darf. Und wenn sie jetzt an allen seinen kritischen Arbeiten im vollen Chor preisen „gediegenes Wissen, sittlichen Ernst, künstlerischen Geschmack, unparteiisches Urtheil, vor Allem aber – [215] als für Marggraff ganz besonders charakteristisch – eine herzgewinnende Milde und Toleranz“, – so ist nur zu beklagen, daß letztere schöne Tugenden im Leben gegen ihn selbst so wenig geübt worden sind – namentlich in der Beurtheilung und Behandlung seiner eigenen selbstständigen Schöpfungen.

Marggraffs erste Werke „Bücher und Menschen“ (1837) und „Deutschlands jüngste Cultur- und Literaturepoche“ (1839) sind zwar aus einer Sammlung früher veröffentlichter Journalartikel entstanden, haben aber bleibenden Werth als treffende Charakteristiken der damaligen literarischen Zustände in Deutschland und sind anerkannte und oft ausgebeutete Quellen für die Literaturgeschichte jener Zeit. Von gleichem Werthe ist seine kritische und literarhistorische Einleitung zu seinen „Politischen Gedichten aus Deutschlands Neuzeit von Klopstock bis auf die Gegenwart“ (1843) und seine Einleitung zu dem „Hausschatz deutscher Humoristik“; seine Biographie von Ernst Schulze und die von Goethe. In Gemeinschaft mit Robert Blum und Carl Herloßsohn gab er ein „Allgemeines Theaterlexikon“ heraus. Zu seinen gediegensten Schriften gehört ferner „Schiller’s und Körner’s Freundschaftsbund“ (1859). Ueber seinem jüngsten Werke, der Einleitung zu einer Anthologie aus Shakespeares Werken, überraschte ihn der Tod.

Wer sich, nach dem Schicksalsdruck, von dem Marggraff sich leider nicht befreien konnte, ein Bild von einem ewig trüben und zerrissenen Innern desselben macht, ist in Irrthum. Ihm hatte die Natur ein starkes Gegengift gegen die Bitterkeiten des Daseins in einem trefflichen Humor mitgegeben, einem so lebenstüchtigen Humor, daß er bis an das Ende seiner Tage den Mann aufrecht erhielt. Zeugnisse desselben sind, außer vielen lyrischen Ergüssen, besonders seine komischen Romane „Justus und Chrysostomus Pech, Zeit- und Lebensbilder“ (2 Bände 1840), „Johannes Mackel. Bunte Schicksale einer häßlichen, aber doch ehrlichen deutschen Haut“ (2 Bände, 1841) und „Fritz Beutel. Eine Münchhauseniade“ (1856).

Mit unzweifelhaftem Beruf, aber mit viel zu viel Bescheidenheit, um durch Vordrängen in die Nähe des Glücks zu kommen, betrat er das dramatische Feld. Sein Erstlingswerk, „Die Maler von Florenz“, ein Trauerspiel, ist wohl ungedruckt geblieben; erschienen sind: „Kaiser Heinrich IV. Historisches Trauerspiel“ (in Willkomm’s Dramaturgischen Jahrbüchern, 1837), „Elfride, Trauerspiel“ (in Gubitz’ Jahrbuch deutscher Bühnenspiele für 1841) und „Das Täubchen von Amsterdam. Trauerspiel“ (1839). Der rauschende Beifall, mit dem letzteres in Leipzig, wo die blühende Dessoir in der Rolle der „Düveke“ (Täubchen) entzückte, über die Bühne ging, versprach dem Dichter eine glänzende dramatische Laufbahn, aber auch diese Hoffnung hat ihm nicht Wort gehalten.

Die wärmste Anerkennung hätte Hermann Marggraff für die lyrischen Gaben verdient, die er dem deutschen Volke bot, und wenn unsere „gebildeten Stände“ schon so gebildet wären, bei dem Genuß, den ihnen schöne Dichtungen bringen, auch an die Dichter zu denken, ein wenig Dankgefühl zu empfinden und bis zu der Idee emporzusteigen, wie edel es sei, für Freuden wieder mit Freuden zu lohnen, so hätte in Hermann Marggraff’s Haus für die vielen gehobenen und heiteren Stunden, die er Anderen bereitete, wiederum, und war’s nur durch ein freundliches Wort, einen herzlichen Gruß, gar manche erquickende Stunde einkehren müssen. Aber wer kann an so etwas denken? Man hat ja das Buch oder das Entrée bezahlt, was geht Einen da noch der Dichter an? – Von Marggraff’s ersten Gedichten, die er 1830 zusammen mit denen seines Bruders Rudolph herausgegeben, hat er nur wenige in die Sammlung aufgenommen, welche 1857 erschienen ist. Im Jahre 1862 erschien seine „Balladenchronik“; eine besondere Ausgabe seiner sämmtlichen „Lieder für das Haus und die Familie“, die er im Plane hatte, sollte nicht unterbleiben. Die Ballade, das Familienlied und die humoristische Lyrik hat er am glücklichsten gepflegt und unsern poetischen Nationalschatz in allen drei Arten um wahre Meisterstücke bereichert. Die humoristischen Gedichte Marggraff’s gehören zu den besten Ergüssen unserer modernen Dichtung; „es liegt,“ sagt R. Gottschall, „oft eine reizende Schalkheit und eine Laune von glücklichster Wirkung in ihnen“, wie in „Der Deutsche an der Himmelsthür“, in „Was thut man nicht aus Liebe“ und noch in seinem letzten komischen Bildchen, mit dem er mich für meinen „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ erfreute, in der köstlichen Philisterschilderung: „Wir bleiben bei unserem Oele.“

Als eine theure Reliquie werden wir Hermann Marggraff’s letztes Lied in der nächsten Nummer folgen lassen.

Wir stehen am Ende und blicken zurück auf Das, was der Mann geleistet, und das Auge wird uns trübe vor dem, was er errungen hat. Erfüllt von der Würde des Schriftstellerstandes, fühlte er um so schmerzlicher den Abstand zwischen der geistigen Höhe, auf der er stehen, auf der er sich erhalten muß, um seinen hohen Beruf zu erfüllen, und der bürgerlichen Bedrängniß, die ihn rief unter jeden andern, jeden materiellen Erwerbszweig niederdrückt. Darum war es ihm eine Herzensangelegenheit, die Schriftsteller in ihrem eigenen Interesse näher zusammenzubringen, daher seine Bemühung für die Gründung eines Schriftstellervereins und ebenso sein Eifer für die Förderung der Schillerstiftung, die wenigstens verhüten sollte, daß nicht, zur Schande für Deutschland, für die Hinterbliebenen jedes in Dürftigkeit gestorbenen Schriftstellers öffentlich gebettelt werden müsse. Er hat redlich für diese letzte Ehre des Schriftstellers gerungen, und nun? – Indeß darf nicht verschwiegen werden, daß die Schillerstiftung sich ihm dankbar erwies; sie sicherte ihm einen Ehrensold von je 300 Thaler auf drei Jahre zu, und die erste Auszahlung der ersten Jahreshälfte von 150 Thalern war Marggraff’s letzte Lebensfreude. Als diese langersehnte Schillerhülfe endlich kam, da war es des strengrechtlichen Hausvaters erste Sorge, sich von den nach und nach angehäuften Schuldpöstchen zu befreien, deren Druck ihm von je der schmerzlichste war. Mit inniger Freude siegelte er Paketchen um Paketchen, bis endlich von der ganzen „Schillerhülfe“ noch – 171/2 Ngr. übrig blieben. Für diese kaufte er eine Flasche Rothwein, die erste, die seit langer, langer Zeit den Tisch des Dichters schmückte, und auch die letzte!

Hermann Marggraff starb am 11. Februar dieses Jahres. Sein Tod war der bitterste, – drei Tage lang, im Bewußtsein des nahen Endes und mit dem Gefühl im Herzen, alle seine Lieben hülflos der Barmherzigkeit der Welt überlassen zu müssen – war ihm das letzte Glück des Menschen, die Seele durch die Rede zu erleichtern, versagt, er konnte nicht mehr sprechen, rang vergeblich darnach, sich verständlich zu machen, nur die unaufhörlich rinnenden Thränen zeugten von seinem brennenden Schmerz und die Inbrunst, mit welcher er alle seine Lieben an sich drückte und küßte, bis ihm der letzte Hauch entfloh.

Am kalten trüben Nachmittag des 13. Februar geleiteten ihn etwa fünfzig Männer, die Mehrzahl Schriftsteller Leipzigs, zu Grabe, still und prunklos, wie er gelebt hatte.

Wir können jedoch unmöglich so schließen. Die Kinder haben uns in ihres Vaters Wohnung geführt; dort wollen wir auch von ihnen scheiden. Wir wollen die letzte Weihnacht mit ihnen verleben, wir wollen Hermann Marggraff’s letztes Weihnachtsfest in seiner Familie mit feiern. Betreten wir noch einmal das liebe Haus.

„Guten Abend, Kinder! Es sieht ja noch recht dunkel bei Euch aus! Wo ist denn Papa?“ – „In seiner Arbeitsstube,“ antworten sie ziemlich kleinlaut. – Da saß er, bei ihm seine Gattin, Beide Thränen in den Augen. „Liebe Frau, es geht nicht, es geht nicht! Der Vorschuß aus der Buchhandlung muß herunter und wir müssen mit den Paar Thalern bis zu Ende des Monats ausreichen, ich kann den Kindern kein Christfest bereiten; es thut mir weh, sehr weh, aber es geht nicht! Vertröste sie auf die bessere Zeit, wenn die ersten 150 Thaler von der Schillerstiftung angekommen sind, da sollen sie sich recht freuen, da will ich Alles wieder gut machen. Nur jetzt keine Ausgabe, die uns in Verlegenheit bringen könnte! O, es ist traurig, es ist sehr traurig! Meine armen, armen Lieblinge!“ – „Lieber Mann, Du weißt ja, wie bescheiden die Kinder sind, gieb nur zu einer kleinen Stolle und zu einem Bäumchen, das sie sich selbst anputzen. Den drei Kleinsten habe ich ihre alten Püppchen ein wenig hergestellt, das ist Alles. Nur damit sie nicht weinen, wenn sie nicht einmal ein Christbäumchen sehen!“ – „Nun ja, jawohl, das geht, wir müssen uns eben dann darnach einrichten.“ – – Und da kam die eine kleine Christstolle für die 10 Kinder und ein kleines ärmliches Bäumchen, und daran hingen die größeren Mädchen fünf Pfennig-Zuckerstückchen und steckten drei Lichtchen darauf. Sie hatten nicht mehr. Und als die drei Lichtlein brannten, wurden die Kleinen gerufen, und da stürmen die blonden Lockenköpfchen herein, und wie strahlen die Augen und wie groß ist die Freude, wie klatschen sie in die Händchen und tanzen um den Tisch und sind so glücklich! – Aber der Vater schleicht sich hinaus, hinüber in seine Arbeitsstube, um sich auszuweinen.

Das war Hermann Marggraff’s letztes Weihnachtsfest.