Johann Caspar Bluntschli (Die Gartenlaube 1881/49)

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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Johann Caspar Bluntschli
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 815–818
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Johann Caspar Bluntschli.

Ein Streiter für die Wohlfahrt der Menschheit.

In unserer Zeit, welche mit so souverainer Gewalt über die Naturkräfte verfügt, daß in ihr Zeichen und Wunder in voller Leibhaftigkeit geschehen, scheint auch das alte Gesetz aufgehoben zu sein, das der Schaffenskraft des Mannes mit den Jahren des Alters immer engere Schranken zieht und ihn endlich zur Unthätigkeit verurtheilt.

So war es denn auch nur ein Beispiel unter vielen, das der am 21. October dieses Jahres in seinem dreiundsiebenzigsten Jahre verstorbene Geheimrath und Professor Johann Caspar Bluntschli wieder für die Wahrheit dieses eigenthümlichen Satzes lieferte.

Es war kein Greis, der da starb, wenn ihn auch die Jahre äußerlich dazu stempelten; es war ein Mann, der nicht von geborgener Warte in ruhiger Beschaulichkeit auf das tausendfältige Getriebe der Zeit hinabsah, sondern noch mit klarem Kopfe und fester Hand in dasselbe mit eingriff, ordnend, richtend, mahnend und fördernd. Vielleicht war es aber doch die ungewöhnliche Expansion der Kräfte, welche den Faden seines Lebens so rasch wie mit einem Rucke zerriß; denn der Umfang seines Tätigkeitskreises war mit den Jahren beständig gewachsen.

Das moderne Princip der Arbeitstheilung, das die „Specialität“ geschaffen hat, fand vor Bluntschli keine Beachtung, und ein mächtiger Drang nach universeller Thätigkeit hat sein Leben von Anbeginn beherrscht. Es war nicht blos ein Professor des Staats- und Völkerrechts, den sie an der örtlichen Heimath seines Wirkens, im schönen Heidelberg, jüngst begruben – Bluntschli war mehr, weit mehr. Der Raum einer Visitenkarte wäre zu klein gewesen, hätte er unter seinen Namen alle die Titel, Würden, Aemter und Ehrenposten setzen wollen, welche die Ausstrahlungen seiner Thätigkeit markirten. Und wenn es gälte seinen Ruhm und sein Andenken in Beschlag zu nehmen, so würden sich neben der Rechtswissenschaft auch die Philosophien die Theologie, die Geschichte, die Politik, das Vaterland und nicht zuletzt die Menschheit selbst, deren Liebesapostel er war wie kaum ein Anderer, gegenseitig den Rang streitig machen.

Bluntschli war von Geburt ein Schweizer, der am 7. März 1808 geborene Sohn schlichter alteingesessener Züricher Bürgersleute. Er ist auch seinem Schweizerlande treu geblieben bis hinaus in die Mitte seines Alters; nur als sie ihn dort verkannten und nicht mehr verstanden, ist er ein Deutscher geworden, aber auch der ist er nicht geblieben; er wuchs mehr und mehr heran zu einem internationalen Charakter; er ward ein „Abgeordneter der Menschheit“, wie alle die, welche, um weiter mit dem Marquis Posa zu reden, „der Menschheit Glück aus ihrem Füllhorn strömen“.

Als die Eltern den begabten Jüngling für die Wissenschaft zu erziehen trachteten, sandten sie ihn auf deutsche Universitäten; denn die Schweiz besaß damals noch keine Hochschulen in unserm Sinne. Von Haus aus für die Theologie bestimmt, aber das Beengende der Schranken bald empfindend, welche diese Wissenschaft dem weiten und hohen Fluge seines Schaffensdranges anwies, wandte er sich frühzeitig dem Studium der Rechtswissenschaft zu, hörte aber schon in Berlin neben Savigny noch Schleiermacher und in Bonn neben Hasse noch Niebuhr. In diesem Streben nach Vielseitigkeit hat er zeitlebens beharrt.

In seiner Heimath Zürich hielt er neben seiner Amtirung beim Bezirksgericht noch Vorlesungen an dem Polytechnischen Institute und trieb außerdem schweizerische Politik. Dazu regten ihn die damaligen Schweizer Verhältnisse, besonders auch in Zürich, lebhaft an. Es war ein Zustand des Gährens und Werdens. Gegenüber dem aus dem Mittelalter überkommenen aristokratischen Stadtregimente strebte das unterdrückte Land nach einer größeren Selbstständigkeit. Die jüngeren, aus deutschen Universitäten gebildeten Kräfte einten sich, unter Führung von Bluntschli’s früherem Lehrer, Ludwig Zeller, zu einer „wissenschaftlichen Reformpartei“. Ihnen schloß sich Bluntschli an, und eine Frucht dieser Anschauungen waren seine ersten Schriften: „Das Volk und der Souverain“ und „Die Verfassung der Stadt Zürich“. Darin werden unter Anderen Gleichstellung von Stadt und Land, Unabhängigkeit der Gerichte, Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, Aufhebung der halbgeistlichen Ehegerichte verlangt. Der Ausbruch der Schweizer Revolutionskämpfe Ende der dreißiger Jahre brachte eine Spaltung in die Partei, welche in eine radicale und eine conservative Hälfte zerfiel. Bluntschli, der sich bereits in seinen Schriften als einen entschiedenen Feind alles Revolutionären, das „beim geringsten Mißbehagen sogleich den Einsturz des Bestehenden fordert“, bekannt hatte, wandte sich der letzteren zu. Er übernahm sogar die Führerschaft der städtischen Partei und bekämpfte somit das eigene Princip. Er gelangte dort rasch zu Ehren. Erst Mitglied des Großen Rathes, wurde er 1837 dessen Präsident. Als aber die radicale Strömung wieder die Oberhand gewann und er bei der Bewerbung um das Bürgermeisteramt dem radicalen Gegenkandidaten unterlag, zog er sich vom politischen Leben ganz zurück und suchte die Kränkung seines Ehrgeizes durch Erfolge in der Wissenschaft vergessen zu machen. Er war indessen Professor des Staatsrechtes an der neugegründeten Universität Zürich geworden.

Wenn wir zunächst sein politisches Wirken weiter verfolgen, so begegnen wir hier der eigenthümlichen Thatsache, daß, während sonst unsere Politiker mit dem zunehmenden Alter aus der liberalen Strömung vielfach in ein mehr konservatives Fahrwasser hinüberlenken, bei Bluntschli der Proceß sich in umgekehrter Weise vollzog. Diese Umkehr nach links trat aber erst ein mit seiner Uebersiedelung nach Deutschland. Die Verhältnisse in Zürich erwiesen sich für seinen Thatendrang aussichtslos, für seinen Charakter empfindlich. So kam ihm seine von ihm selbst angeregte Berufung an die Universität München als Lehrer des Staats- und Völkerrechts ganz erwünscht. Mit seinen „Stimmen eines Schweizers über die Bundesreform“ rief er seinem angestammten Vaterlande gleichsam noch ein politisches Abschiedswort zu und verließ es (1848) dann aus immer.

In Baiern waren namentlich seine freundschaftlichen Beziehungen zu den liberalen Kammermitgliedern Breten und Bühlen für seine politische Stellungnahme entscheidend. Nur zu bald aber wurde er der Hemmungen inne, die sich dort vielseitig einer freieren Entfaltung der Kräfte entgegenstellten. Es waren nicht blos die Anfeindungen des Ultramontanismus, mit denen er, mehr auf dem wissenschaftlichen, als politischen Gebiete, zu kämpfen [816] hatte, sondern noch besonders die auf der Pflege eines engherzigen Particularismus gegründete Abneigung der Münchener Kreise gegen die geistige Fremdencolonie, die ein hochdenkender König in dem Athen der Isar um sich gesammelt hatte. Sein vorwärts strebender Geist brach auch diese Fessel und ließ ihn eine dritte Heimath suchen in einem Lande, in dem von jeher eine frische, freie Lust geweht hatte, in Baden.

Mit dieser Uebersiedlung nach Heidelberg beginnt die schaffensreichste Epoche in Bluntschli’s Leben, die gewaltige Entfaltung der Schwingen seiner reichen Thatkraft in’s Hohe, Mächtige, Weite. Freilich nahm die politische Entwickelung von da ab bei uns überhaupt einen neuen gewaltigen Flug. Aber Bluntschli faßte nicht blos auf jeder Etappe dieses freien Emporstiegs Posten; er war es selbst auch, der oft den ersten kühnen Schritt zu einem Neuen Vorwärts that. So regte er, Pfingsten 1861, die Gründung des deutschen Abgeordnetentags mit an, der dazu auserlesen war, in den zerstreuten deutschen Kammern eine gemeinsame Verständigung über die zeitbewegenden Fragen und eine einheitliche Behandlung derselben herbeizuführen und somit den Mangel eines deutschen Parlaments gewissermaßen künstlich zu ersetzen. So nahm er Theil an dem Ausschusse der Sechsunddreißig, der es sich zum Ziele gesetzt hatte, die Sache Schleswig-Holsteins gegenüber der hemmenden Eifersucht der deutschen Großmächte, der Ohnmacht des Bundes und der Schlauheit der dänischen Regierung im Wege der gesetzlichen Agitation zu Gunsten des „verlassenen Bruderstammes“ zu verfechten. So war er in gleicher Weise mit thätig bei der Gründung des „Nationalvereins“, der sich mit Förderung der „deutschen Frage“ beschäftigte. Seine hohe amtliche Stellung hatte ihm die Mitgliedschaft der ersten badischen Kammer zugeführt, und auch in diese stillstehenden Elemente trug er neues Leben hinein. Er brachte Anträge auf zeitgemäße Reform dort ein, welche die Kammer nach längerer Berathung in ihren Grundsätzen annahm. Es geschah somit das in der Geschichte des parlamentarischen Lebens fast Unerhörte, daß eine aristokratisch gegliederte, auf ein eisernes Personeninventar gestützte Körperschaft ohne Antrag der Regierung oder eine Nöthigung vom Volke her sich zeitgemäß selbst reformirte. Endlich kam Bluntschli im Jahre 1867 durch die Wahl des Kreises Bretten-Sinsheim in’s Zollparlament. Mitglied des deutschen Parlaments ist er nicht geworden.

Die Pflege der mannigfachen andern Interessen, die sein Leben erfüllten, mag ihn wohl von der Bewerbung um einen Sitz im Reichstage abgehalten haben. Den im Reichstage discutirten Fragen trat aber Bluntschli, besonders soweit sie sich auf den von ihm beherrschten Gebieten der Religions- und Rechtsfragen bewegten, auf literarischem Wege näher, und insoweit war er vielfach, wenn auch nicht ein stimmführendes, so doch ein mit berathendes Mitglied.

Wenn er mit ihr auch nicht den anfangs beabsichtigten Lebensbund schloß, die Theologie ist Bluntschli doch niemals ganz los geworden. Er hat sich auf ihrem Terrain sogar mit weit mehr Klarheit und Sicherheit bewegt als auf dem der Politik. Die philosophische Schule, durch die er schon früh gegangen, und sein klarer, durch die Lehren der Rechtswissenschaft noch logisch geschärfter und dialektisch geschulter Geist haben seine religiösen Anschauungen vor Einseitigkeit und Verdüsterung bewahrt. Seine Weise, Alles was er innerlich verarbeitet hatte, auch nach außen hin und zwar nicht blos in Schrift, sondern auch in fruchtbringende That umzusetzen, schaffte sich auch hier Geltung. Schon in der Schweiz war er bemüht gewesen, den confessionellen Hader, der sein Vaterland durchtobte, durch eine zeitgemäße Bundesreform zu ertödten, und als die Berufung der Jesuiten alle Vermittelungsversuche zu vereiteln drohte, wandte er seinen ganzen Einfluß daran, die Rücknahme des Berufungsbeschlusses zu erreichen. Er, der Protestant, ging sogar soweit, in einem Briefe unmittelbar vom Papst Pius dem Neunten die Abberufung der staatsgefährlichen Körperschaft zu erbitten – natürlich ohne Erfolg!

Und als sich nach Beendigung des deutsch-französischen Krieges die deutsche Regierung vor dieselbe Frage gestellt sah, nahm er auch den Kampf gegen die alten Feinde des staatlichen und nationalen Lebens wieder auf. Damals schrieb er in einer Broschüre aus der Sammlung der Virchow-Holtzendorff’schen Zeit- und Streitschriften: „Wir verlangen also, daß das Urtheil der Weltgeschichte an dem Jesuitenorden vollzogen und daß die Nation von demselben befreit werde. Wir verlangen das im Namen der bürgerlichen Freiheit und der nationalen Geistesfreiheit, der sittlichen Weltordnung und des natürlichen Rechts, im Interesse des confessionellen Friedens und um der Einheit, Macht und Herrlichkeit des deutschen Reiches willen.“

Energisch verwahrte er sich gegen den von der Kirche vollzogenen Raub der Erkenntniß, welche die moderne Wissenschaft dem menschlichen Geiste gebracht hatte, und hob die geistige Ueberlegenheit der Wissenschaft über die kirchliche Tradition und die Ueberlegenheit des heutigen Staates über die mittelalterliche Kirche hervor. „Der wissenschaftliche Mensch von heute,“ schrieb er einst, „schaut von der sonnenbeglänzten Höhe eines Berggipfels herab auf die dunklen nebelumhüllten Schluchten, in denen der römische Clerus von seiner Größe träumt.“ Weit davon entfernt, sich von der Kirche loszusagen, verlangte er nur, daß dieselbe die Resultate der wissenschaftlichen Forschung anerkenne und mit ihnen rechne. Dies wurde für ihn Veranlassung, die Stiftung des „Protestantenvereins“ anzuregen, der eine „Wiederbelebung der protestantischen Kirche im Geiste evangelischer Freiheit und im Einklange mit der modernen Cultur“ erstrebte. Die Gründung desselben erfolgte bekanntlich im Jahre 1865 zu Eisenach, und seitdem hat Bluntschli sowohl in den literarischen Organen des Vereins wie auch auf den jährlichen Protestantentagen unentwegt für dessen Grundsätze, die Grundsätze der freisinnigen deutschen Theologie, gekämpft und gestritten.

Schon in seinen staatsrechtlichen Schriften hatte er das Verhältniß zwischen Staat und Kirche festzustellen gesucht. Beide Begriffe wollte er streng geschieden sehen. Das Christenthum, behauptete Bluntschli, sei schon dem Willen seines Stifters nach keine Staatsreligion. Die Religion sei vom Staate ganz unabhängig; der Staat habe die Freiheit des Bekenntnisses nicht blos zu gewähren, sondern auch zu schützen, er sei andererseits aber auch berechtigt, eine Form des steten Bekenntnisses, welche die öffentliche Wohlfahrt schädige und gemeingefährlich erscheine, zu untersagen. Andernfalls gäbe er sich selbst auf. Die Sonderung des Staates von der Kirche oder, wie der große italienische Staatsmann Cavour es ausdrückt, die freie Kirche im freien Staate sei modernes Princip. Wie Jedes, Staat wie Kirche, seinen eigenen Geist habe, so müsse es auch einen eigenen Körper (Verfassung) haben. „Der Staat im Großen,“ sagt er in einem eigenartigen Gleichnisse, „ist die Menschheit (das Volk) als selbstbewußter, willenskräftiger und thatmächtiger Mann; die Kirche ist die Menschheit (die gläubige) als fromme, gottergebene, moralisch wirkende Frau.“ Der Kirche bleibe nur die innere Disciplin; die Bestimmung der Bedingungen und Grenzen der kirchlichen Autonomie falle dem Staate zu. In seiner schon 1852 erschienenen, dann wiederholt aufgelegten Staatsrechtslehre betonte Bluntschli bereits die Nothwendigkeit der Civilehe.

Bluntschli’s Produktivität auf dem Gebiete seiner eigentlichen Fachwissenschaft war eine fast unglaublich große. Sie umfaßte gleichmäßig alle Disciplinen, mit besonderer Vorliebe aber diejenigen des Staats- und Völkerrechts. Auch hier begnügte sich Bluntschli nicht mit dem Lehren allein, sondern er strebte auch nach praktischer Geltendmachung der erforschten Resultate. Diese erreichte er großentheils durch seine veröffentlichten Rechtsgutachten, zu denen seine Autorität vielfach aufgerufen wurde und von denen besonders dasjenige, das er zur schiedsrichterlichen Beseitigung der Alabamafrage abgab, zur Berühmtheit gelangt ist, weil es einen bis zum kriegerischen Austrage vorgeschobenen Conflict zwischen England und Nordamerika friedlich beseitigte.

Es ist nicht unsere Aufgabe, auf die streng rechtswissenschaftliche Thätigkeit Bluntschli’s näher einzugehen; nur die eine Seite derselben können wir nicht außer Acht lassen, und zwar um deswillen nicht, weil hier nicht blos der Jurist, sondern auch der Mensch in hervorragender Weise das Wort führt. Es sind dies die Verdienste Bluntschli’s um die Gewinnung fester Normen für das Völkerrecht. Hier waren es große humanistische Absichten, welche das Wort, die Feder und die Thatkraft des ausgezeichneten Gelehrten in Bewegung setzten und zu greifbaren Erfolgen führten. Galt es doch nichts Geringeres, als die Abschaffung jenes letzten Rechts, das auf dem Schwerte steht, die Beseitigung des Kriegs und die Creirung des einst von Kant verkündeten ewigen Friedens durch die Anbahnung einer internationalen Rechtsanschauung, die ihre feste Basis in einer unerschüttlichen Rechtsüberzeugung im Schooße des Volkes gewinnen sollte. Auch hier wurde für bessere Förderung die Gründung eines Instituts für internationales Recht (Institut de droit international) in’s

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Johann Caspar Bluntschli.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Leben gerufen, welches hervorragende Rechtslehrer und Publicisten verschiedener Länder zu seinen Mitgliedern zählte. Die erste Idee dieses Instituts ging zwar nicht von Bluntschli selbst aus, aber er, der Verfasser des damals (1872) eben erschienenen „Modernen Völkerrechts“, hatte immerhin all deren Realisirung wesentlichen Antheil und führte all den fährlich abgehaltenen Conferenzen öfter, so erst noch im vorigen Jahre, in Zürich, den Vorsitz. Unter den verschiedenen Editionen dieser gelehrten Körperschaft befindet sich auch ein abgearbeitetes „Handbuch des Kriegsrechts“, das den bekannten schriftlichen Dialog zwischen Bluntschli und Graf Moltke herbeiführte. Der Altmeister der modernen Kriegskunst hatte Bluntschli, der ihm das Gesetzbuch übersandte, seine Bedenken an der praktischen Brauchbarkeit dieser Kriegsgesetze nicht verhehlt, da es all der Autorität einer ihre Einhaltung bewachenden Gewalt fehle, worauf Bluntschli in seiner Erwiderung daraus hinwies, daß nach einer in dem völkerrechtlichen Institute gemachten tröstenden Wahrnehmung sich immer entschiedener eine allgemeine, alle Culturvölker einigende Rechtsüberzeugung herausbilde, welche es noch ermöglichen lasse, ein von dem Rechtsbewußtsein aller civilisirten Völker getragenes Kriegsvölkerrecht festzusetzen

Daß diese völkerrechtlichen Bestrebungen nicht bloße Utopien waren, hatte ja bereits die Abfassung der aus den Schatz der Verwundeten und eine Minderung der Leiden des Krieges überhaupt abzielenden Genfer Convention mit ihren bereits so segensreichen Folgen gezeigt. Daß auch die Regierungen den gegebenen Anregungen nicht fremd blieben, das bewies die weitere Conferenz von Regierungs-Delegierten in Brüssel zur Feststellung der Rechte und Pflichten der kriegführenden Parteien, an welcher Conferenz Bluntschli als Delegirter des deutschen Reichs theilnahm und die hauptsächlich wegen der Abneigung Englands zur Annahme des ausgearbeiteten Entwurfs resultatlos blieb.

In der vorjährigen Versammlung des völkerrechtlichen Instituts zu Oxford hatte Blunschli ein Specialgutachten über die Auslieferung politischer Verbrecher ausgearbeitet und dargelegt. Er beantwortete in demselben die wichtige, neuerdings durch das rassische Attentat wieder in den Vordergrund getretene Frage dahin, daß die Auslieferung eines solchen Flüchtlings zwar an sich nicht zu verlangen sei; etwas Anderes sei es aber, wenn nicht nur die Ordnung eines bestimmten Staates, sondern auch die gesetzliche und öffentliche Ordnung aller civilisirten Staaten dabei in verbrecherischer Weise angegriffen werde, wie dies hinsichtlich der communistischen und nihilistischen Verschwörungen der Fall sei; dann sei es Pflicht des Völkerrechts, sich gegenseitige Unterstützung zu leisten; gegen internationale Krankheiten bedürfe es internationaler Heilmittel.

[818] Bluntschli’s zahlreiche Schriften, wohl mit die zahlreichsten, welche je ein schriftstellerisches Einzelleben geschaffen, bekunden trotz der Zersplitterung seiner Thätigkeit nach verschiedenen Richtungen hin eine gründliche Beherrschung und Durchdringung des einzelnen Stoffgebiets. Fast überall zeigt sich in ihnen eine Verschwisterung von Geschichte und Philosophie. Jene verfolgt das Thema in seiner geschichtlichen Entwickelung, und diese gewinnt die letzten bleibenden Wahrheiten. Eine geschmackvolle Form, der Reichthum des Inhalts und die Klarheit der Darstellung machen sie auch für den Laien zu einer interessanten Lectüre.

Ein Meister des gesprochenen Wortes, war Bluntschli auch ein gesuchter und gefeierter Lehrer der akademischen Jugend und noch darüber hinaus deren Freund und Berather. Von mittelgroßer Statur, behäbiger Corpulenz, gemessen in Ausdruck und Bewegung, entsprach sein Aeußeres ganz der ruhigen Klarheit seines Innern. Der sanfte Blick der tiefblauen Augen erzählte von dem Reichthume seines Gemüths, und das wetterharte, von einem weißen Barte buschig umrahmte Gesicht von der Festigkeit und Energie seines Wollens.

Der letzte Thätigkeitsausfluß Bluntschli’s war seine Theilnahme an der in Karlsruhe im Beginn des letzten Herbstes tagenden Generalsynode und die Führung des Vorsitzes derselben. Auf dem Wege nach einer Audienz beim Großherzog von Baden, welcher im Begriff stand, Bluntschli das Großkreuz seines Hausordens zu verleihen, umfingen diesen die neidischen Gewalten des Todes; er hat nicht mehr den Orden seines Landesherrn, aber dafür den höchsten Orden der Menschheit empfangen, den sie, in’s Erz der Unsterblichkeit gegraben, an alle Jene vergiebt, hie ihr Leben opfernd ihrem Dienste geweiht.

Fr. Helbig.